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Handwerk (19./20. Jahrhundert)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Ein Friseur beim Zurechtmachen seines Modells auf der Friseurausstellung im Ausstellungspark München. (Fotografie: 14. Juni 1949, Haus der Bayerischen Geschichte)
Die Handschuhmacherin Gerlinde Ballin-Huth fertigt in ihrer Würzburger Handschumacherei maßgefertigte Handschuhe. Da die Massenproduktion von Handschuhen für kleine Werkstätten kaum noch rentabel ist, hat sie sich auf die Anfertigung von Maßhandschuhen, v. a. für Personen, die durch einen Unfall ganze oder Teile von Fingern verloren haben, spezialisiert. (Foto: Gerlinde Ballin-Huth)

von Barbara Kink

Das Handwerk ist ein sehr vielseitiger Wirtschaftsbereich. Das Spektrum reicht von traditionellen Tätigkeiten wie Bäckerei oder Schreinerei bis zu hochtechnologisierten Feldern wie der Energetischen Gebäudesanierung oder dem Elektrohandwerk. Die Betriebe des Handwerks sind allein über ihr Tätigkeitsfeld und nicht über die Betriebsgröße definiert, die von Einmannbetrieben bis hin zu einer quasi industriellen Fertigung reichen. Mit 194.260 Betrieben und 851.000 Beschäftigten (Anteil an allen Erwerbstätigen 13 %) erwirtschaftet es mit rund 89,9 Mrd. € fast 9 % des BIP (Stand: 31.12.2010) und ist integraler Bestandteil des Wirtschaftsstandortes Bayern.

Definition

Unter Handwerk wird nach dem Wirtschafts- und Sozialhistoriker Karl Heinrich Kaufhold (geb. 1932) die "selbständige gewerbliche Tätigkeit" verstanden, die "mit der Person ihres Trägers unlösbar verbunden ist und bei der auf Grundlage individueller, erlernter Handfertigkeit und umfassender Werkstoffbeherrschung produziert wird oder Dienstleistungen angeboten werden." Eingeteilt wird Handwerk in verschiedene Branchen, denen meist Werkstoffe zugrunde liegen wie Metall, Baustoffe, Leder, Holz, Bekleidung, Nahrung, Glas und Papier. Seit dem frühen 20. Jahrhundert kam noch das Elektrohandwerk und eine ganze Reihe weiterer hinzu. Handwerk und technischer Fortschritt stehen in engem wechselseitigem Verhältnis zueinander. Zum einen entsprang manche technische Neuerung der Innovationskraft findiger Handwerksmeister (z. B. Joseph von Fraunhofer [1787-1826], Sigmund Schuckert [1846-1895]), zum anderen profitierte das Handwerk auch vom technischen Fortschritt.

Das bayerische Handwerk im Umbruch 1789-1825: Die Diskussion um die Zünfte

Schäfflertanz auf dem Königsplatz anlässlich des 75. Jahrestages der Gründung des Fachvereins der Schäffler in München. (Fotografie: 6. Juli 1946, Haus der Bayerischen Geschichte)

Seit dem späten Mittelalter regelten die Zünfte alle Belange des Handwerks. Sie kümmerten sich um Ausbildung, Preise, Löhne und Qualitätsstandards – kurz gesagt um alle Belange der "Ehrbarkeit" und "Nahrung" ihrer Mitglieder. Die Zünfte prägten auch stark das Brauchtum und gesellschaftlich-religiöse Leben ihrer Stadt. Bekannt sind etwa der Münchner Metzgersprung und Schäfflertanz oder der Nürnberger Schembartlauf.

Bereits vor der Französischen Revolution 1789 wurde von aufklärerischen Kräften die Existenzberechtigung der immer stärker als wirtschaftshemmend empfundenen Zünfte – davon gab es 1811 im Königreich Bayern insgesamt 9.800 – in Frage gestellt. Die restriktiven, auf den Erhalt des Bestehenden ausgerichteten Vorgaben der Zunft schienen zunehmend dem wirtschaftlichen Fortschritt im Wege zu stehen. Insbesondere die Verhinderung zur Gründung neuer Betriebe und die damit verbundene Erschwerung des Aufstiegs zum Meister - was auch zur Folge hatte, dass es eine große Anzahl von Gesellen gab, die nicht heiraten durften - bot reichlich Konfliktstoff.

Mittenwalder Geigenbauer prüft in seiner Werkstatt eines seiner Instrumente. (Fotografie, um 1945, Haus der Bayerischen Geschichte)

Handwerk war nicht gleich Handwerk: Es gab reiche und arme Gewerke. Insbesondere die Nahrungsmittelgewerke wie Brauer, Metzger, Bäcker und Wirte zählten zu den einkommensstarken Gewerben, während Schneider, Schuster oder Schreiner oftmals nur mit Müh und Not ihre Familie, die in der Regel im Betrieb mit Hand anlegte, ernähren konnten. Die Regionen wiesen oftmals handwerkliche Produktionsschwerpunkte auf: Von den Korbflechtern in Lichtenfels über das Hutmachergewerbe im Allgäu (Hutmacherei Xaver Milz in Lindenberg, Lkr. Lindau), die Schuhproduktion in Pirmasens (kreisfreie Stadt, Rheinland-Pfalz; etwa die Firmen Rheinberger und Neuffer), das Nürnberger Tand, die Nadelmacherei in Schwabach, den Mittenwalder Geigenbau (Lkr. Garmisch-Partenkirchen), das Augsburger Textilhandwerk, die Glasmacherei im Bayerischen Wald (z. B. Glashütte Theresienthal in Zwiesel, Lkr. Regen) und viele andere handwerkliche Zentren mehr – das bayerische Handwerk war bunt und vielgestaltig. Von entscheidender Bedeutung war jedoch die Versorgung der Bevölkerung mit jenen Gütern, die diese für die Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit und zur Deckung ihres Grundbedarfs an Bekleidung, Haushaltswaren und Lebensmitteln benötigte. Dementsprechend weit verbreitet waren neben dem Lebensmittelhandwerk Schneider und Schuster, Wagner, Büttner und Stellmacher, Schmiede und Schlosser, Zimmerleute und Maurer, Töpfer und Glaser. Die bedeutendsten handwerklichen Exportprodukte waren aber Textilien und Bier. Deshalb fanden in diesen beiden Branchen auch am ehesten frühindustrielle Fertigungsweisen Eingang. Auch das protoindustrielle verlegte Handwerk war in Bayern von Bedeutung. Vor allem im textilen Bereich veredelten viele Handwerker die vom Verleger bereitgestellten Rohstoffe.

Löhne im alten Handwerk

Im Handwerk gab es eine Fülle von verschiedenen Entlohnungsarten: Die Palette lohnförmiger Leistungen reichte vom Stücklohn über den Stunden-, Tag- bzw. Wochenlohn bis hin zur Entlohnung durch Naturalien und verschiedene Zulagen. Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein war das Nebeneinander von Waren- und Geldlohn eine gängige Form der Bezahlung von Handwerkern. Kost- und Logislohn wurden bei den im Haus lebenden Gesellen vom Geldlohn abgezogen und waren oft Ursache von erheblichen Konflikten. Taglohn war vor allem im Bereich der unqualifizierteren Tätigkeiten und im Saison- bzw. im Baugewerbe üblich. Bei langfristigeren und stabileren Arbeitsverhältnissen herrschte der Wochen- bzw. Monatslohn vor. Insbesondere bei der Textilproduktion und der Metallverarbeitung wurden oftmals Stücklöhne ausbezahlt. Im Bauhandwerk bezahlte man in der Regel Taglöhne.

"Territorialisierung des Gewerbes"

Vor allem jene Territorien Bayerns, in denen Realteilung praktiziert wurde, wiesen eine recht hohe Gewerbedichte auf, das Gleiche gilt für ehemalige Hofmarks- und Klosterdörfer. Charakteristisch war hier ein Mischeinkommen aus Landwirtschaft und Gewerbe. Eckart Schremmer konstatierte in diesem Zusammenhang eine "Territorialisierung des Gewerbes", das sich eben nicht nur in den Städten konzentrierte, sondern auch das flache Land prägte. Auf den Dörfern waren nur die sog. Ehaftgewerbe wie die Wirte, Schmiede, Bader, Müller oder Bäcker im Rahmen der Zunft erlaubt. Charakteristisch für Bayern waren Alleinmeister-, Kleinbetriebe und das sog. Stör, worunter alle umherziehenden Handwerker zusammengefasst wurden (z. B. Messerschleifer, Kesselflicker). Sicherlich das bekannteste Beispiel ist die Störnäherin, die gegen Kost und Logis die Kleidung des jeweiligen Kunden neu anfertigte bzw. instand setzte. Während sich auf dem Land vor allem Gewerke fanden, die Dinge des alltäglichen Bedarfs produzierten bzw. reparierten, war in größeren Städten spezialisierteres Handwerk anzutreffen wie etwa Perücken- und Uhrenmacher, Instrumentenbauer, Zinngießer und Goldschmiede, Alabasterer oder Posamentierer, die den speziellen und verfeinerten Bedürfnissen ihres städtischen Kundenkreises Rechnung trugen. Eine herausgehobene Stellung nahmen hier die königlich-bayerischen Hoflieferanten ein, die sich besonders zahlreich rund um die Münchner Residenz ansiedelten. Traditionsfirmen wie Alois Dallmayr, Kaut-Bullinger, Radspieler, Roeckl oder Eduard Meyer bestehen bis heute.

Das Handwerk und das Reformwerk Montgelas

Bereits vor der Erhebung Bayerns zum Königreich am 1. Januar 1806 war es das dezidierte Ziel des Freiherrn Maximilian Graf von Montgelas (1759-1838, seit 1809 Graf), durch eine Gewerbefreiheit die Macht der Zünfte zu brechen. Hier sollte Montgelas jedoch an seine reformerischen Grenzen stoßen. Zunächst wurden zwar die ehemaligen Zwangs- und Bannrechte wie beispielsweise der Tafernen-, Bier- oder Brotzwang abgeschafft und die handwerkliche Ausbildung unter staatliche Obhut gestellt. Die radizierten, das heißt an Gebäude gebundenen, und die realen Gewerberechte, die einen hohen finanziellen Wert hatten, wurden beibehalten. Während in der linksrheinischen Pfalz die während der französischen Herrschaft eingeführte Gewerbefreiheit beibehalten wurde, vermied man diesen Schritt im rechtsrheinischen Bayern. 1825 schließlich unterzeichnete König Max I. Joseph (1756-1825, reg. 1799-1825) ein Gewerbegesetz, das im Wesentlichen einen Kompromiss zwischen den beiden Polen Zunftwesen und Gewerbefreiheit festlegte. Gewerbevereine, die sich aus den jeweiligen Handwerksmeistern und somit oftmals auch aus der städtischen und kommunalen Honoratiorenschicht zusammensetzten, sollten nun die neuen Wächter über das Handwerk werden. Für die Meister war die über eine entsprechende Fähigkeitsprobe und Zulassungsgebühren erworbene Mitgliedschaft in diesen Gewerbevereinen bindend. Die Zulassung für die Ausübung eines Handwerks wurde nun von diesen wichtigen Organisationen unter dem Vorsitz eines ortsansässigen Beamten entschieden. Gegen diese Reform formierte sich besonders im städtischen Mittelstand, der sich in seiner wirtschaftlichen und sozialen Stellung bedroht sah, rasch starker Widerstand und behinderte die Umsetzung dieses Gesetzes stark.

Von 1825 bis zur Einführung der Gewerbefreiheit 1868

Zu Beginn der Regentschaft König Ludwigs I. (1786-1868, reg. 1825-1848) wurde diese Konzessionierung relativ liberal gehandhabt. Die große Zahl der neu verausgabten Gewerbebewilligungen erregte jedoch den Unmut der etablierten Handwerksmeister, die eine Vermehrung der Konkurrenz scheuten. 1834 legte Ludwig I. die Gewerbezulassungen in die Hände kommunaler Gremien. Die Gemeinden, und somit in erster Linie die ortsansässigen Gewerbetreiben und Honoratioren, konnten nun durch ein absolutes Veto die Vergabe neuer Gewerbekonzessionen verhindern. Nicht zuletzt aus Angst vor einer politisch unzufriedenen Arbeiterklasse betrieb der König eine konservative und restaurative Wirtschaftspolitik. Zwischen 1834 und einer neuerlichen Modifizierung 1853 wurde demnach eine verschärfte Prüfung des Nahrungsstandes durchgeführt. Modernisierend wirkten jedoch in der Regierungszeit Ludwigs I. die Verankerung Bayerns im Zollverein seit 1834, der Ausbau des Eisenbahnnetzes seit den 1830er Jahren, die Förderung von Industrieausstellungen und Aktivitäten des Polytechnischen Vereins sowie die Mitwirkung bei der Gründung von Banken. Diese Maßnahmen wurden jedoch nicht unbedingt von allen Handwerkern begrüßt, da vor allem den Handwerkern der übersetzten Handwerkssparten wie Schuster, Schreiner oder Weber eine Konzession und die damit verbundene Niederlassung verwehrt blieb. In den übersetzten Handwerkssparten war die Aussicht auf eine Meisterstelle äußerst gering.

Die Gesellenwanderung

Die Gesellenwanderung nach der Lehrzeit war ein integraler Bestandteil im Leben eines Handwerkers. Teilweise überwanden wandernde Gesellen sehr weite Distanzen. Hatte man 1806 die Gesellen angewiesen, nicht mehr ins außerbayerische Ausland zu wandern, erfolgte 1808 ein regelrechtes Wanderverbot, da man befürchtete, dass die wandernden Handwerksgesellen mit revolutionärem Gedankengut in Berührung kämen oder in fremde Militärdienste gepresst würden. Polizeilich geführte Wanderbücher und eine bürokratische Kontrolle der Gesellen sollten dies verhindern. Immer wieder kam es zu Verhaftungen wandernder Handwerksburschen, die als dynamisches Unruhepotenzial die Obrigkeiten herausforderten. Im Verlauf der Revolution 1848 waren es vor allem die Gesellen der übersetzten Handwerkssparten, die polizeilich auffällig wurden. 1853 wurde schließlich im Rahmen einer staatlichen Gewerbeinstruktion der Wanderzwang der Gesellen abgeschafft. Die Walz war nun freiwillig, wurde jedoch bis in das 20. Jahrhundert hinein von vielen Gesellen praktiziert.

Gewerbevielfalt im Königreich Bayern

Die Wirtschaft des 1806 proklamierten Königreichs Bayern war nicht nur durch die Landwirtschaft bestimmt, sondern wies eine beachtliche Gewerbevielfalt auf. Die Herstellung und der Export bestimmter handwerklicher Produkte ernährte und prägte ganze Dörfer und Regionen. Als Exportartikel besaßen etwa die Textilprodukte aus dem westlichen Altbayern und dem Bayerischen Wald, die sog. Nürnberger (bzw. Fürther) Waren wie Brillen oder Spiegel, die Lichtenfelser Körbe, die Augsburger Gold- und Silberschmiedearbeiten, die Glasprodukte des Spessarts, des Bayerischen und Oberpfälzer Waldes oder die Musikinstrumente aus Mittenwald und Füssen überregionale Bedeutung. Neben Textilien war Bier eines der wichtigsten bayerischen Ausfuhrprodukte. Beide ursprünglich handwerkliche Bereiche wurden relativ rasch von der Industrialisierung erfasst. Die Bierbrauerei, die Ignaz Rudhart (1790-1838) als das "eigentliche Haupt- und Nationalgewerbe" ausmachte - durch den Kanzler Wiguläus Xaverius Aloysius Freiherrn von Kreittmayr (1705-1790) auch als das "fünfte Element" in Bayern bezeichnet -, besaß große volkswirtschaftliche Bedeutung (Die nachfolgende Übersicht basiert auf: Bavaria, Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern, München 1864).

Oberbayern

Ein Schäffler montiert die Einzelteile eines hölzernen Bierfasses zusammen. Die Aufnahme entstand in der Fassfabrik Schmid, der letzten Fassfabrik Münchens. (Foto: Coopers Craft Oktoberfest Beer Barrels. Photography. Encyclopædia Britannica ImageQuest. Web. 24 Nov 2014)

"Oberbayern ist ein nach seinem Grundcharakter ackerbautreibendes Land" (Bavaria, Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern, München 1864, 504). Neben agrarischen Produkten wie Bier und Getreide waren Textilien das wichtigste Ausfuhrprodukt. In München erlangten insbesondere feinmechanisch-optische Produkte, Luxuswaren sowie die Erzeugnisse der Nahrungs- und Genussmittelhandwerke besondere Bedeutung für den Export.

  • Berchtesgaden: Schachteln, Holzschnitzereien
  • Landsberg: Strohwaren, Leinwand, Barchent
  • Mittenwald: Geigen
  • München: Bier, Bucherzeugnisse, Gelbgießerprodukte, Gläser, Instrumente, Pergament, Spiegel, Lebkuchen, Schäfflerwaren, Perücken, Kupferstiche, Kattun, Tabak, Talglichte
  • Oberammergau: Holzschnitzereien
  • Weilheim: Strohwaren

Niederbayern

Ein Leinenweber am Webstuhl. (in: Das Bayerland. Illustrierte Wochenschrift für Bayerns Land und Volk, 25. Jg., Nummer 32, 9. Mai 1914)

Für Niederbayern besondere Bedeutung besaß das Glashandwerk im Bayerischen Wald. In Niederbayern gab es 478 Brauereien mit 1.653 Arbeitern.

  • Abensberg: Buchdruckerei
  • Arnsdorf: Lodenherstellung
  • Buchenau: Glasbläserei, v. a. Spiegelgläser
  • Deggendorf: Töpfereiprodukte, Buchdruckerei
  • Frauenau: Glasbläserei (Poschinger, v. a. Hohl- und Tafelglas)
  • Grafenau: Bleistifthülsen, Zündhölzer, Siebreifen
  • Klingenbrunn: Glasbläserei
  • Kötzting: Holzschnitzarbeiten
  • Lambach: Glasbläserei
  • Landshut: Buchdruckerei
  • Lohberg: Glasbläserei
  • Ludwigs- und Theresienthal: Glasbläserei
  • Oberzwieselau: Glasbläserei
  • Passau: Leinen-, Baumwoll- und Seidenweberei, Straminweberei, Madrastücher, Seidenkopftücher; Bierbrauerei, Papiermühlen, Lederbearbeitung, Buchdruckerei
  • Peterskirchen: Töpfereiprodukte
  • Regen: Weberei, Holzverarbeitung
  • Rosenau bei Passau: Porzellanbearbeitung
  • Schachtenbach: Glasbläserei (Steigerwaldsche Luxusgläser)
  • Straubing: mathematisch-physikalische Instrumente
  • Viechtach: Leinenproduktion (v. a. für Armeebedarf)
  • Wegscheid: Bleicherei, Leinenprodukte (sog. Passauer Linnen, Tafeltücher, Servietten, Segeltücher)
  • Wolfstein: Holzschnitzarbeiten
  • Zwiesel: Weberei, Holzverarbeitung, Produktion landwirtschaftlicher Gerätschaften

Oberpfalz

Besondere Bedeutung für die Oberpfalz besaß das Montangewerbe. Bekannt war die Oberpfalz jedoch auch für seine Glas- und Töpfereiwaren. In der Oberpfalz gab es 491 Brauereien mit 1.343 Arbeitern.

  • Allersberg: Drahtzieher
  • Amberg: Büchsenschäffler, Gewehrherstellung
  • Auerbach: Spiegel- und Glasschleifer
  • Bodenwöhr: Emaillieren von gusseisernem Geschirr
  • Einbuch: Glasherstellung
  • Erbendorf: Rosenkränze aus Glasperlen
  • Grötschenreuth: Drahtwaren
  • Hirschau: Porzellan und Steingut
  • Regensburg: Seidenweberei, Gewehrherstellung, Messerschmiedwaren, Porzellan- und Steingut, Schnupftabak, Seilerwaren, Branntwein, Gürtel, Kupferschmiedwaren
  • Reuth: Rosenkränze aus Glasperlen
  • Tirschenreuth: Wollspinnerei, Tuchbearbeitung
  • Vilseck: Spiegel- und Glasschleifer
  • Walderbach: Porzellan und Steingut
  • Weiden: Silberhütte, Tuchbearbeitung

Oberfranken

In Oberfranken gab es 854 Brauereien mit 1.555 Arbeitern.

  • Berneck: Weißstickerei
  • Fichtelgebirge: Holzschuh- und Schlappenmacher; Korb- und Schwingenmacher
  • Fröbershammer: Knopf- bzw. Paterlhütten (Glasproduktion)
  • Hallstadt: Damastweberei
  • Hof: Weberei (v. a. Flöre - schwarzgefärbte Baumwolle für Halsbinden), sog. Tüchleinwirkerei, Spinner, Strumpfwirker
  • Kulmbach: Baumwollgarn, Bier, Schleiermacher (Kopftücher)
  • Lettenreuth: Korbflechter
  • Lichtenberg: Weberei
  • Lichtenfels: Korbflechter (Krätzen, Waschkörbe, Tische, Sessel, Kinderwägen, Koffer)
  • Marktschorgast: Weißstickerei
  • Michelau: Korbflechter
  • Münchberg: Weberei (v. a. Jacquard-Produkte)
  • Naila: Weberei
  • Redwitz: Weberei
  • Rehau: Weberei
  • Schney: Korbflechter
  • Schürlitz: Korbflechter
  • Schwarzenberg: Weberei
  • Selb: Weberei
  • Stadtschwarzenbach: Weberei
  • Thüringer Wald: Tafelmacher (Schiefertafeln)
  • Voigtland - Sechsämter: Weberei
  • Warmensteinbach: Knopf- bzw. Paterlhütten (Glasproduktion)
  • Weidenberg: Knopf- bzw. Paterlhütten (Glasproduktion)
  • Weissenstadt im Fichtelgebirge: Nagelschmiedearbeiten, Drahtstifte
  • Wunsiedel: Weberei (v. a. Baumwolle), Kattun- und Mousselinweberei, Wollzeug, Strumpfwirker

Mittelfranken

Metropole nicht nur der fränkischen, sondern der gesamtbayerischen Wirtschaft war Nürnberg. "Nürnberger Tand in aller Hand" war ein geflügeltes Wort im Königreich, das auf die starke Exportwirkung der sog. Nürnberger Waren anspielt. Die Stadt war eines der wichtigsten gewerblichen Zentren des Reiches. In Mittelfranken gab es 887 Brauereien mit 1.804 Arbeitern.

Unterfranken

In Unterfranken gab es 634 Brauereien mit 1.310 Arbeitern.

  • Alzenau: Papier aus Lumpen
  • Amorbach: Tuche, Tapeten, Likör, Essig
  • Aschach: Steingut
  • Aschaffenburg: Buntpapier, Leim, Likör, Zigarren, Leder, Wachs, Essig, Zündhölzer, Steingut, Bücher; Glocken
  • Brückenau: Seife, Talglichter
  • Gemünden: Lederprodukte, Gerberlohe
  • Heidingsfeld: Glocken
  • Kitzingen: Druckerschwärze aus Weinrückstande (der Hefe sog. Rebenschwärze), Wein, Bier, Fässer, Pianoforte, Streichinstrumente, Schokolade, Lederprodukte, Seilereiwaren
  • Kleinheubach: Pianoforte
  • Lohr: Stabeisen
  • Marktbreit: Litographiesteine, Platten, Eisenprodukte, Seile
  • Miltenberg: Öl, Knöpfe, Bänder und Litzen, Beindrechslerprodukte, Schnitzereien
  • Neustadt a. d. Saale: Kurgbäckerei, Steinware
  • Schweinfurt: Druckerschwärze aus Weinrückstande der Hefe
  • Schweinfurt: Wein, Bleiweiß, Malerfarben (v. a. Schweinfurter Grün), Tapeten, Pappendeckel, Strohpapier, Bücher, Orgelbau, Packfässer, Hüte
  • Sommerhausen: Seidenbänder
  • Würzburg: Tuch- und Seidenwaren; Wein, Zigarren, Schnupftabak, Buchhandel, Spielkarten, Essig, Likör, Zündhölzer, Papier, Bücher, Seilereiwaren

Schwaben

Besondere Bedeutung für Schwaben besaß das Textilgewerbe. In Schwaben gab es 969 Brauereien mit 1.943 Arbeitern.

  • Augsburg: Weberei, Spinnerei, Metallerzeugung, Garnzwirnerei (Nähfäden, Stickgarne, Posamentierfäden), Kattundruckerei, Kupferdrucker (sog. Augsburger Zitze), Schönfärbereien, Wachstuchherstellung, Zwirnherstellung, Seidenweberei; Lederverarbeitung, Pergamentherstellung, Schnupftabakherstellung, Buchdruck, Gold- und Silberschmiedprodukte
  • Blaichach: Weberei
  • Fischen: Weberei
  • Füssen: Seilerwaren
  • Günzburg: Weberei
  • Immenstadt: Seilerwaren
  • Kaufbeuren: Baumwollspinnerei, Flachsbearbeitung
  • Kempten: Baumwollspinnerei, Baumwollweberei
  • Kottern: Baumwollspinnerei
  • Memmingen: Wachstücher
  • Nördlingen: Webereiwaren, v. a. Teppiche
  • Schüttentobel: Weberei
  • Schwabmünchen: Weberei
  • Zöschlingsweiler: Weberei

Bayerische Rheinpfalz

  • Annweiler: Strohprodukte, Bürsten
  • Dürkheim: Papier
  • Frankenthal: Halbwollprodukte, Puppen
  • Grünstadt: Draht, Ketten, Stifte und Nägel, Steingutprodukte
  • Kaiserslautern: Webereiprodukte, Nesselstoffe, Blaudruckwaren, Kammgarne, Farben, Uhrgläser, Steingutprodukte, Tapeten, Bier
  • Kusel: Baumwollprodukte, Walkprodukte
  • Landau: Rosshaarprodukte
  • Ludwigshafen: Baumwollstoffe, Farben, Bier
  • Neustadt: Schaumwein
  • Oggersheim: Webereiprodukte
  • Otterberg: Leinengarn
  • Pirmasens: Schuh- und Lederwaren, Uhrgläser
  • Schönthal bei Neustadt: Tuche
  • Speyer: Taue und Seile, Eisenprodukte, Farben, Seife, Lichter, Essig
  • St. Ingert: Eisenprodukte, Tafelgläser, Kirchenfenster
  • Trier: Kirchenfenster
  • Zweibrücken: Webereiprodukte, Seidenplüsch, Drähte, Nägel, Ketten, Glocken, Tabak

Die Einführung der Gewerbefreiheit 1868

Die Gewerbeordnung, die 1853 von König Maximilian II. (1811-1864, reg. 1848-1864) erlassen wurde, empfanden viele Zeitgenossen, vor allem die Mitglieder der 1863 gegründeten liberalen Bayerischen Fortschrittspartei, als nicht mehr zeitgemäß. In den meisten Ländern des Deutschen Bundes war die Gewerbefreiheit bereits eingeführt. Der verlorene Krieg gegen Preußen 1866, der auch als Resultat der wirtschaftlichen Rückständigkeit Bayerns galt, und die Auflösung des Deutschen Bundes brachten schließlich auch dem Königreich Bayern umfangreiche Reformen mit von liberalen Kräften lange geforderten Neuerungen. Das "Gesetz das Gewerbswesen betreffend" war nur ein Aspekt in diesem Reformwerk, auch die Ehe- und Ansässigkeitsgesetze erfuhren eine Neuregelung. Seit dem 30. Januar 1868 durfte nun jeder Mann und jede Frau ohne Nachweis einer abgelegten Befähigungsprüfung ein Gewerbe ausüben.

Handwerk im Kaiserreich: Krise und Innovation

Diese Neuordnung rief in weiten Teilen der mittelständischen Handwerkerschaft große Verunsicherung hervor. Viele Gewerke sahen sich bedroht durch die nun allenthalben spürbaren Industrialisierungstendenzen im Königreich. Auch die Verbesserung der Verkehrswege durch die Eisenbahn schürte große Ängste, da nun langlebigere, oftmals im Ausland billiger produzierbare Konsumgüter wie Textilien oder Möbel von weither transportiert werden konnten. Die Klage vom "Niedergang des Handwerks", das sich nicht gegen die Konkurrenz der billigeren industriell gefertigten Massenwaren erwehren konnte, war in aller Munde. Je mehr sich das Krisensyndrom im Handwerk verstärkte - ein erster Beweis war etwa der Gründerkrach 1873 (Börsenkrach in Deutschland) -, umso größer wurde die nostalgische Verklärung der ehemaligen Zunftherrlichkeit und umso lauter wurden die Stimmen, die dezidiert den staatlichen Schutz des Handwerks forderten. Eindrucksvolles Zeugnis dieser Handwerksromantik war die Münchner Centenarfeier aus Anlass des Geburtstags König Ludwigs I. im Jahre 1888, deren Höhepunkt der Festzug der Handwerkswägen war. Dem Drängen nach Wiederherstellung des Zunftzwanges kam die Politik schließlich 1897 mit einer Novellierung des reichsweit gültigen Gewerberechts nach. Mit diesem "Handwerkerschutzgesetz" wurde die Gewerbefreiheit wieder zurückgenommen und der Zunftzwang de facto wiederhergestellt. In Bayern wurde dieses Gesetz 1899 noch durch eine Verordnung zur Bildung von Handwerkskammern flankiert, denen alle Kleingewerbetreibenden beizutreten hatten. Auch wenn manche Gewerke wie etwa die Bau- oder die Lebensmittelbranche vom Bevölkerungswachstum profitierten, so hatten viele Handwerker vor allem im Bereich der Metallindustrie Angst vor dem Abstieg in den Arbeiterstand.

Das Handwerk und die Arbeiterbewegung

Eine ungebrochene Kontinuitätslinie führt von den Gesellenvereinigungen des Alten Reichs zur frühen Arbeiterbewegung. Das an alten Handwerkstraditionen geschulte Solidaritätsverhalten der Gesellen prägte vor allem die Gewerkschaftsbewegung sehr stark. Arbeitsverweigerung und Streiks gehörten etwa zum kollektiven und tradierten Verhaltensrepertoire der Handwerksgesellen, die jedoch branchentypische Kennzeichen besaßen: Als "streiklustige" und konfliktfreudige Gewerke galten vor allem jene Handwerkssparten mit hohen Gesellenzahlen. Weniger streikfreudig waren die Gesellen der Nahrungsmittelgewerke, die bis weit in das 20. Jahrhundert hinein in den Meisterhaushalt integriert waren und somit einer vermehrten häuslichen Kontrolle ausgesetzt waren. Streikursachen waren meist Lohnforderungen oder das Eintreten für eine Verkürzung der Arbeitszeit. Um ihren Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen, wählten Gesellen gerne besonders arbeitsintensive Zeiten.

Veränderungen in der bayerischen Gewerbelandschaft durch die einsetzende Industrialisierung

Dennoch war die bayerische Industrie sehr lange durch ihr handwerkliches Profil geprägt. Der industrielle Takeoff seit den 1860er Jahren beschleunigte den bereits vorher sichtbaren Polarisierungsprozess: Viele Alleinmeister und Kleinstbetriebe wurden verdrängt oder vergrößerten sich geringfügig, andere Handwerksmeister wiederum stiegen auf und wurden zu Fabrikherren. Von einem Niedergang des Handwerks und Kleingewerbes konnte tatsächlich keine Rede sein. Abgenommen hat nur die Zahl der "Alleinbetriebe", d. h. der Betriebe ohne Beschäftige. Ihre Zahl sank von 1875 bis 1907 von ca. 214.000 auf ca. 145.000. Dagegen wuchs die Zahl der Betriebe mit einem bis fünf Beschäftigten im gleichen Zeitraum von knapp 131.000 auf 226.000, und die der Betriebe von sechs bis 50 Personen von ca. 5.600 auf 24.800. Waren von allen gewerblich Tätigen im Jahr 1882 noch 31,3 % in Alleinbetrieben tätig, so waren es 1907 nur noch 10,7 %. Auch der angebliche Niedergang des Handwerks, der als Begründung der Novellierung des Gesetzes 1897 herhalten musste, bestand in der Realität vor allem in diesem Strukturwandel. Das zeigt ein Blick auf die Statistik einzelner Gewerbeabteilungen wie z. B. auf die der "Metallverarbeitung", in der die Handwerksbetriebe traditionell sehr stark vertreten waren. Hier nahm die Zahl der Betriebe in den Jahren von 1882 bis 1895 zwar von 19.900 auf 17.961 ab, gleichzeitig aber stieg die Zahl aller darin Tätigen von 54.606 auf 63.440 an. Der von der Politik beabsichtigte Schutz aller bestehenden Betriebe ging somit an den wahren Bedürfnissen des gewerblichen Mittelstandes vorbei und hat - wenn überhaupt - nur einen geringen Beitrag dazu geleistet, dass sich dieser unter den sich wandelnden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen behaupten konnte.

Gründerzeiten

In manchen Werkstätten kam neuer Wind und neue Kraft durch Dampf- und Gasmaschinen. Das Wirken Oskar von Millers (1855-1934) und die von ihm mitinitiierte "Elektricitäts-Ausstellung" im Glaspalast in München 1882 - es war die erste ihrer Art in Deutschland überhaupt - setzten neue technische Maßstäbe. Der Elektromotor, der auf dem elektrodynamischen Prinzip basierte, war der wirkungsvollste von allen bisher bekannten Antriebsmotoren, auch wenn es noch lange dauern sollte, bis ihn sich auch kleinere Betriebe leisten konnten. Neue Berufe entstanden, alte Handwerksberufe verschwanden. Das Handwerk wurde um die Jahrhundertwende von einem tief greifenden Transformationsprozess erfasst. Nicht mehr nur Produktion, sondern Dienstleistung, Spezialisierung und Reparatur wurden immer wichtiger. Das Kunsthandwerk erlebte mit den Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk um Richard Riemerschmid (1868-1957), Wilhelm von Debschitz (1871-1948) und Hermann Obrist (1862-1927) um die Jahrhundertwende eine Blüte; vor allem München setzte sich mit dem die englische Arts-and-Crafts-Bewegung rezipierenden Jugendstil an die Spitze der avantgardistischen Bewegung.

1897 schuf der deutsche Reichstag aus Gründen des Mittelstandsschutzes mit einer Handwerkernovelle die Grundlage zur Errichtung von regionalen Handwerkskammern. In der Novelle wurden auch die Errichtung von Innungen und der Schutz des Meistertitels festgelegt. Wenige Jahre später konnten die ersten Früchte der nun intensiv einsetzenden Verbands- und Lobbyarbeit geerntet werden. Die Novellierung von 1908 sah vor, dass nur Personen mit bestandener Meisterprüfung den sog. kleinen Befähigungsnachweis erhielten und damit zur Ausbildung des handwerklichen Nachwuchses zugelassen werden durften. Dies sollte eine Qualitätssicherung für Handwerksprodukte bewirken.

Das Handwerk im Ersten Weltkrieg

Der Erste Weltkrieg setzte auch dem Handwerk schwer zu: Arbeitskräfte gingen verloren, die Betriebe hatten mit massiven Engpässen bei Lebensmitteln und vor allem Rohstoffen zu kämpfen, während gleichzeitig die Nachfrage stark sank. Manche Gewerke profitierten von den Heeresaufträgen, beispielsweise handwerkliche Zulieferfirmen für Heeresbedarf (Bekleidung, Geschirr etc.), doch die Umstellung von der Kriegs- auf die Friedenswirtschaft, die Inflation von 1923 und die sinkende Kaufkraft setzten dem bayerischen Handwerk schwer zu.

Das Handwerk in der Weimarer Republik

Insbesondere die handwerklichen Klein- und Kleinstbetriebe kämpften unter den ungünstigen Rahmenbedingungen zunehmend ums wirtschaftliche Überleben. Das Ausweichen auf Reparatur, Installations- und Handelstätigkeit war für manche Unternehmen ein Ausweg aus der Krise. Mit den neuen technischen Möglichkeiten entstanden auch neue Berufe wie etwa der Elektriker, der Fahrrad-, Näh-, Büromaschinen-, Motorrad- oder Kraftfahrzeugmechaniker oder der Installateur. Die Einführung der Rentenmark 1923, der Aufschwung im Leitsektor der Baugewerke und amerikanische Kredite zeigten um die Mitte der 1920er Jahre ihre positive Wirkung.

1925 waren ca. 35 % der bayerischen Bevölkerung in der Land- und Forstwirtschaft tätig, auf Industrie und Handwerk entfielen um die 34 %. Die große Handwerksausstellung 1927 in München versuchte Optimismus und positive Zukunftsprognosen für das Handwerk zu verbreiten. Dennoch wurden nach wie vor Forderungen an die Politik gerichtet, für einen effektiveren Schutz des handwerklichen Mittelstandes zu sorgen. Tatsächlich aber betrieb die seit 1924 von Ministerpräsident Heinrich Held (1868-1938, BVP, Ministerpräsident 1924-1933) geführte bayerische Regierung ohnehin eine sehr an den Interessen des Mittelstandes, der nicht nur handwerkliche Kleinstbetriebe, sondern durchaus auch Fabrikherren umfasste, orientierte Wirtschaftspolitik. Das belegte erneut die im Jahr 1929 erlassene Eintragspflicht in die Handwerksrolle, die von den Kammern geführt wurde.

Das Handwerk im Nationalsozialismus

Die durch die Wirtschaftskrise am Ende der Weimarer Republik ausgelöste "Panik im Mittelstand" kam vor allem den Nationalsozialisten zugute. Das Handwerk wurde mit antimodernistischen Parolen umgarnt. Bereits kurz nach der "Machtergreifung" erfolgten die ersten Boykottmaßnahmen gegen große Warenhäuser und jüdische Geschäfte. So verbot etwa der Münchner Oberbürgermeister Karl Fiehler (1895-1969, NSDAP, Oberbürgermeister 1933-1945) im März 1933 jegliche städtische Auftragsvergaben an Warenhäuser und an jüdische Firmen. Rasch wurden die Handwerksorganisationen gleichgeschaltet: Im Oktober 1933 wurde der "Reichsverband des deutschen Handwerks" aufgelöst und dem "Reichsstand des deutschen Handwerks" eingegliedert. Ein besonderer Gunstbeweis der Nationalsozialisten an das Handwerk war jedoch die Einführung des "Großen Befähigungsnachweises" im Jahr 1935. Dieser setzte nach einer Übergangsfrist den Meisterbrief verbindlich für die Führung eines handwerklichen Unternehmens voraus.

Die Bekanntgabe des Vierjahresplans 1936 setzte viele Handwerksbetriebe massiv unter Druck: Propagiert wurden nun die Einführung neuer Werkstoffe und der verstärkte Einsatz von Elektromotoren. Seit 1937 wurde die Buchführung in Handwerksbetrieben zur Pflicht. Kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs begann eine regelrechte Auskämmaktion, in deren Rahmen nicht rentable Kleinstbetriebe entschädigungslos zur Betriebsstilllegung gezwungen wurden. Von den in Bayern 1933 existierenden 200.000 selbständigen Handwerksbetrieben gab es 1939 nur noch 170.500. Ein wesentliches Motiv war die Rekrutierung von Fachkräften für die Rüstungsindustrie. Im Bereich der Rüstungsproduktion spielte das Handwerk jedoch lediglich eine untergeordnete Rolle. Der Kriegsausbruch schließlich brachte aufgrund der Einberufung vieler Handwerker für bayerische Betriebe erneut eine Welle von Schließungen.

Mit der "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" wurde es den jüdischen Bürgern ab dem 1. Januar 1938 untersagt, Einzelhandelsgeschäfte und Handwerksbetriebe zu führen. In München etwa reduzierte sich in den darauffolgenden Monaten die Zahl jüdischer Handwerksbetriebe von 1.690 auf 660. Die Reichspogromnacht und die Zwangsarisierungsmaßnahmen taten ein Weiteres, um jüdische Handwerker und Geschäftsinhaber aus dem Wirtschaftsleben zu drängen.

1942/43 schließlich wurden die Handwerkskammern in die Gauwirtschaftskammern eingegliedert, alle Kreishandwerkerschaften und Innungen verloren ihren Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Das Handwerk in der Nachkriegszeit

Vergleich der Zahlen im Handwerk im Bundesgebiet und in Bayern 1949. Abb. aus: Bayerisches Landesamt für Statistik (Hg.): Bayern in Zahlen. 5. Jahrgang, Januar 1951, Einlage nach S. 304. (© Bayerisches Landesamt für Statistik, Fürth, 1951)
Vergleich der Bevölkerung und der Beschäftigten im Handwerk 1939 und 1949 in Bayern und Deutschland. Abb. aus: Bayerisches Landesamt für Statistik (Hg.): Bayern in Zahlen. 5. Jahrgang, Januar 1951, Einlage nach S. 304. (© Bayerisches Landesamt für Statistik, Fürth, 1951)
Vergleich des Handwerks in Bayern vor (1948) und nach (1949) der Gewerbefreiheit. Abb. aus: Bayerisches Landesamt für Statistik (Hg.): Bayern in Zahlen. 5. Jahrgang, Januar 1951, Einlage nach S. 304. (© Bayerisches Landesamt für Statistik, Fürth, 1951)

Nach Kriegsende war die Situation in den bayerischen Handwerksbetrieben durch enormen Fachkräfte- und Materialmangel gekennzeichnet. Die Bedeutung der Flüchtlinge und Vertriebenen am Aufbau der mittelständischen Wirtschaft kann mit 11,6 % der von ihnen betriebenen Handwerksbetriebe nicht genug betont werden. Auch die Rückkehr der ehemals in Rüstungsbetrieben arbeitenden oder in Gefangenschaft geratenen Handwerker sorgte für ein ausreichendes Arbeitskräftepotential.

Die Direktive vom 29. November 1948, die die Gewerbefreiheit in der amerikanischen Besatzungszone festlegte, löste große Protestwellen im bayerischen Handwerk aus. Die ehemaligen Handwerkskammern und Innungen waren nun zu "freien Vereinen mit freiwilliger Mitgliedschaft" geworden. Unterstützung fanden sie bei den konservativen politischen Kräften. 1953 schließlich verabschiedete der Bundestag das Gesetz zur Ordnung des Handwerks, demzufolge der "Große Befähigungsnachweis" und die Innungspflicht wieder eingeführt wurden.

Das bayerische Handwerk war auch während des "Wirtschaftswunders" bis in die späten 1960er Jahre noch stark vom Nebenerwerb geprägt. Viele ländliche Handwerksbetriebe konnten sich nur in Verbindung mit landwirtschaftlicher Betätigung über Wasser halten. Die Wachstumsbranchen in der Nachkriegszeit schlechthin waren die dem Bau anhängigen Gewerke und das KfZ-Handwerk. In den Nahrungsmittelgewerken vollzog sich ein massiver Konzentrationsprozess; die großen Bäckerei- und Metzgereiketten erwiesen sich seit den 1970er Jahren für viele kleinere Betriebe als übermächtige Konkurrenz. Auch das bayerische Textilgewerbe konnte mit den billiger produzierten ausländischen Produkten kaum mithalten.

Dass das Bayern der Nachkriegszeit, das neben Württemberg-Baden als das führende Handwerkerland der Bundesrepublik galt, längst kein Agrarstaat mehr war, hob Ministerpräsident Hanns Seidel (1901-1961, CSU, Ministerpräsident 1957-1960) in seiner Regierungserklärung von 1958 hervor. Danach waren die Land- und Forstwirtschaft am bayerischen Bruttoinlandprodukt nur noch mit 14,6 % beteiligt, während auf Industrie und produzierendes Gewerbe 43,6 % und auf die gewerblichen Dienstleistungen 22,7 % entfielen. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Wirtschaftswunder auch schon Bayern erfasst, in den Ballungsräumen allerdings weitaus stärker als in den ländlichen Gebieten und dem Zonenrandgebiet. Die daraus resultierende Wanderungsbewegung vom Land in die Städte hat in der Folge auch die Struktur des Handwerks nachhaltig verändert.

Das Handwerk bis zur Jahrtausendwende

Die Jahre zwischen 1949 und der Jahrtausendwende brachten zum einen deutliche Einbußen im Bereich der Nahrungsmittel- und Bekleidungsgewerke. Die Globalisierungstendenzen und die Öffnung des EG-Binnenmarktes (seit 1984) sind neue Herausforderungen des Handwerks. Allen Unkenrufen zum Trotz, dass das Handwerk nicht überlebensfähig sei, erwies es sich durch Anpassung an die Bedürfnisse des Marktes bis ins 21. Jahrhundert hinein als flexibel. Wenn auch der Prozess der rückläufigen Produktion und der Konzentration weiter anhält, ist die Intensivierung des Handels mit Fertigprodukten, des Reparaturgeschäftes und die Zulieferung von Einzelteilen an Industriebetriebe ein Teil der Überlebensstrategie vieler Handwerksbetriebe. Der Trend zur "Tertiarisierung", also zur Entwicklung in Richtung Dienstleistungsgesellschaft, ist unübersehbar: Als Wachstumsbranchen zählen vor allem reine Dienstleistungsgewerbe wie Friseure oder Gebäudereiniger; besonders hohe Zuwachsraten bei den Gewerken sind in den grünen Technologien etwa im Bereich Elektrotechnik und Heizungsbau und auch im Gesundheitssektor zu verzeichnen.

Das Handwerkerland Bayern weist auch heute noch im bundesdeutschen Vergleich mit 11,9 % die größte Handwerksdichte auf. Um die Jahrtausendwende erwirtschaftete das bayerische Handwerk in rund 159.000 Betrieben ca. 11 % des bayerischen Bruttoinlandsprodukts und bildete mit mehr als 107.000 Lehrlingen immer noch ca. 41 % aller Auszubildenden in Bayern aus.

Literatur

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Quellen

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Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Barbara Kink, Handwerk (19./20. Jahrhundert), publiziert am 21.08.2012; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Handwerk_(19./20._Jahrhundert)> (19.03.2024)