Hitlerputsch (8./9. November 1923)
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Im Krisenjahr 1923 der Weimarer Republik (Hyper-Inflation; Ruhrbesetzung und "Ruhrkampf" von Januar bis September, kommunistische Unruhen in Sachsen und Thüringen) wollte der Parteiführer der NSDAP, Adolf Hitler (1889-1945), in München am 8./9. November durch einen bewaffneten Putsch die Regierung in Berlin absetzen und selbst die Macht in einer nationalen Diktatur erringen. Zu diesem Zweck hatte er sich mit rechtsradikalen Kräften verbündet und versuchte, rechtskonservative Kreise in der bayerischen Regierung und Verwaltung zu benutzen. Da sich diese alsbald distanzierten und auch die Reichswehr eine Beteiligung verweigerte, scheiterte das Vorhaben. Den "Marsch zur Feldherrnhalle" stoppte die Bayerische Landespolizei mit Gewalt (20 Tote). Zwar kam Hitler nach Haft und Prozess bereits am 20. Dezember 1924 frei, doch hatte der Putschversuch auf lange Sicht sowohl für ihn als auch für Bayern bedeutende Folgen.
Instabile Lage in den ersten Jahren der Weimarer Republik
Obwohl die Republik 1918/19 durch eine unblutige Umwälzung begründet war und anfangs die demokratischen Parteien Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Zentrum und Deutsche Demokratische Partei (DDP) die Szene beherrschten, kam der neue Staat bis 1924 nicht zur Ruhe: außenpolitisch durch die Probleme und die Agitation um den Versailler Vertrag (Gebietsabtretungen, Besetzung, Reparationen), im Inneren durch Aufstände der Kommunisten (Spartakus 1919, "Ruhrkampf" 1920, Mitteldeutschland 1921 und 1923) und der Rechtsradikalen (Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920, Buchrucker-Putsch 1923). Dazu kamen schwere wirtschaftliche Probleme durch die Demobilmachung der Truppen und die zunehmende Inflation. Schon 1920 verloren die demokratischen Parteien im Reich die Mehrheit; der Aufstieg der Republikkritiker und -gegner (Deutschnationale Volkspartei, Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Kommunistische Partei Deutschlands) begann.
Schwierige Verhältnisse in Bayern
Noch instabiler war die Lage in Bayern, wo Ende April/Anfang Mai 1919 die linksradikale Münchner Räterepublik von preußischem und württembergischem Militär und von Freikorps beendet werden musste. Die folgenden Regierungen (bis 1920 SPD/Bayerische Volkspartei, dann rechtskonservative Beamtenregierungen) waren eher schwach. Das politische Hauptproblem war neben der Besetzung der Pfalz durch französische Truppen (Gefahr des Separatismus) das Verhältnis Bayerns zum neuen Deutschen Reich. Dieses war deutlich zentralistischer als das Bismarck-Reich, und Berlin gebärdete sich auch rücksichtslos, etwa durch die Erzbergersche Finanzreform, die die Selbständigkeit der Länder antastete. Die Eigenständigkeit von Post, Bahn und Militär in Bayern (Reservatrechte im Bismarck-Reich) war ebenfalls dahin.
Die Angst vor weiterer Verreichlichung Bayerns und besonders vor negativen Einflüssen aus Berlin (von den Sozialisten geführte Regierung in Preußen, moralisches "Sündenbabel" der modernen Metropole) bot eine Einbruchstelle für antidemokratische Bestrebungen. Dies wurde besonders deutlich unter der Regierung Gustav von Kahr (BVP, 1862-1934, Ministerpräsident 1920/21), der mit dem Schlagwort einer "Ordnungszelle Bayern" ein straffes Regiment, im Gegensatz zum "chaotischen" Norden, propagierte, das auch spezifisch ausländerfeindliche und antisemitische Tendenzen zeigte (Bemühung um Ausweisung von Ostjuden aus Bayern unter dem Vorwand des Wuchers seit 1920, verschärfter Zugriff ab 13. Oktober 1923). Bayern wurde darum auch ein Eldorado für aus Preußen weichende Rechtsradikale (z. B. der berühmte Weltkriegs-General Erich Ludendorff [1865-1937]; der Leiter der Geheimorganisation Consul, Hermann Ehrhardt [1881-1971]; beide seit 1920 in Oberbayern).
Hitlers Aufstieg und Bündnispolitik
Der Zustand des Reiches und besonders Bayerns war für den Aufstieg Adolf Hitlers (1889-1945), der seit 1921 in München unbeschränkter Führer der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) war, günstig. Das innenpolitische Klima war aufgeheizt, der revolutionäre, nationalistische und militaristische Geist (Frontkämpfergeneration) durch die Einwohnerwehren allgegenwärtig. Nach deren Verbot 1921 beherrschten Kampfverbände aller Art das Feld; auch monarchistische Traditionsverbände und der wittelsbachische Kronprinz Rupprecht (1869-1955) lehnten die Republik weitgehend ab.
Vielen erschien anfangs die NSDAP als Teil dieser Strömungen. Doch Hitler, der auf die Macht im Reich und die alleinige Führerschaft zielte, genügten die beachtlichen Versammlungserfolge seiner Partei und der Zulauf zu seinen Organisationen nicht. Bündnispartner fand er allerdings weniger in konservativen Verbänden wie "Bayern und Reich", sondern bei den radikal-völkischen und Freikorps-Gruppen, etwa der "Reichsflagge", dem "Bund Oberland" und anderen. Die 1921 von ihm gegründete Sturmabteilung (SA) wurde von Hauptmann Ernst Röhm (1887-1934), ab 1922 von Hermann Göring (1893-1946) militärisch geschult. Besonders wichtig war, dass Hitler sowohl in der intellektuellen Öffentlichkeit (z. B. Verleger Hugo Bruckmann [1863-1941]; Hochschullehrer Karl Alexander von Müller [1882-1964]) wie bei der bayerischen Regierung und Verwaltung vielfach Unterstützung fand, etwa bei Franz Gürtner (1881-1941, bayerischer Justizminister 1922-1932), Ernst Pöhner (1870-1925, Polizeipräsident von München 1919-1921) und Wilhelm Frick (1877-1946, Leiter der politischen Polizei 1919-1923).
Der Weg zum Putsch
Schon 1922 gab es Gerüchte, Hitler werde putschen. Mehrere Stationen führten zum endgültigen Entschluss: Ein sog. Deutscher Tag in Coburg am 14./15. Oktober 1922, der 1. Reichsparteitag der NSDAP am 27./29. Januar 1923 in München, den Hitler der Regierung mit dem Versprechen, keinen Putsch zu machen, abgetrotzt hatte, dann der höchst brisante und zum Teil bewaffnete Massenaufmarsch gegen die Gewerkschaften am 1. Mai 1923 am Münchner Oberwiesenfeld, schließlich der Deutsche Tag in Nürnberg am 1./2. September dieses Jahres, bei dem Hitler mit Ludendorff zusammenging und selbst die politische Leitung des "Deutschen Kampfbundes" in die Hand bekam (SA, "Bund Oberland" und "Reichskriegsflagge", eine radikale Abspaltung der "Reichsflagge"). Sein Ziel war, nach dem Vorbild von Benito Mussolini (1883-1945) und Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938) im Jahr 1922 (Marsch auf Rom; Kampf gegen die Griechen) von Bayern als gewissermaßen letzter "deutscher Bastion" nach Berlin zu marschieren und die nationale Diktatur gegen Marxisten und Juden zu errichten. Voraussetzung dafür war die Bereitschaft von Politik und Militär, sich diesem Vorgehen anzuschließen, zumindest aber es zu tolerieren.
Die Gelegenheit für solche Pläne ergab sich, als beim Abbruch des "Ruhrkampfes" durch die Reichsregierung am 26. September 1923 die bayerische Regierung den Ausnahmezustand verhängte und den früheren Ministerpräsidenten von Kahr zum Generalstaatskommissar mit faktisch diktatorischer Vollmacht ausrief. Dieser trieb sogleich den Konflikt mit Berlin zum Höhepunkt. Er setzte die Vollzugsverordnung des Republikschutzgesetzes (1922) für Bayern außer Kraft, zog den Chef der Landespolizei Hans von Seißer (1874-1973) an sich und unterstellte sich den von Berlin abgesetzten Landeskommandanten der Reichswehr, Otto von Lossow (1868-1938), nahm damit also die Reichswehr für Bayern in die Pflicht; diese sollte die Grenze gegen das von SPD, USPD und KPD regierte Thüringen sichern. Kahr selbst suchte die nationalen Verbände um sich zu sammeln, jedoch nicht zu einem gewaltsamen Putsch gegen Berlin, sondern als Unterstützungsbasis für die Einsetzung einer mit Ausnahmevollmachten eingesetzten Reichsregierung in Berlin. Hitler, der von München aus marschieren wollte, spürte, dass ihm die Führung entgleiten konnte, und beschloss loszuschlagen und das "Triumvirat" Kahr-Lossow-Seißer mitzuziehen; die Pläne wurden mit Führern des Bundes Oberland, am 6. November mit dem baltischen Freikorpskämpfer Max Erwin von Scheubner-Richter (1884-1923) und dem fränkischen Juristen Theodor von der Pfordten (1873-1923) entwickelt, die beide am 9. November umkamen.
Nicht unterschätzt werden darf für die damalige Stimmung neben dem Streit mit Berlin, neben der zum Höhepunkt schreitenden Inflation und neben der drohenden Hungerkrise der Eindruck der kommunistischen Gefahr. Anfang Oktober hatten das Politbüro in Moskau und das Exekutivkomitee der Internationale unter Grigorij Sinowjew (1883-1936) den Aufstand der KPD in Deutschland beschlossen ("Deutscher Oktober"), der über die linksorientierten Regierungen in Sachsen und Thüringen und die dort erlaubten "Proletarischen Hundertschaften" erfolgen und am 9. November eine neue Revolution in Deutschland erreichen sollte (Kellerhoff, Putsch, 152). Auch in Bayern bereitete sich die KPD intensiv sowohl politisch wie militärisch für den Aufstand vor, der vor allem durch eine Einheitsfront mit der SPD, im Kampf gegen rechts, erreicht werden sollte (Zehetmair). Auch wenn das Reich seit Mitte Oktober in den genannten Ländern eingreifen und damit die aktuelle Gefahr beseitigen konnte (die südbayerische KPD-Führung wurde am 20. Oktober von der bayerischen Polizei verhaftet), dann auch der Hamburger Aufstand vom 23./25. Oktober blutig niedergeworfen wurde, boten diese Ereignisse doch hervorragende Argumente für die Rechtsradikalen.
Die Vorgänge
Für den 8. November 1923 war zu einer Versammlung mit Kahr im Bürgerbräu am Gasteig eingeladen, zu der neben Lossow und Seißer auch der Regierungschef Eugen von Knilling (1865-1927, Ministerpräsident 1922-1924), mehrere Minister und viele konservative Honoratioren kamen. Hitler, der ursprünglich am 11. November losschlagen wollte, hoffte nun, durch einen Coup die Versammlung auf seine Seite zu bringen; dazu hatte er bewaffnete Einheiten des Kampfbundes aufgeboten und die Umgebung besetzt. Während der Rede Kahrs drang Hitler in die Versammlung ein und verschaffte sich mit einem Schuss Ruhe. Im Folgenden drängte er Kahr, Lossow und Seißer in ein Nebenzimmer und erreichte, mit Pistolendrohung und Überredung, dann auch mit Hilfe des herbeigeholten Weltkriegsgenerals Ludendorff und des Polizeipräsidenten Pöhner die Zusage der drei zur Teilnahme an der Aktion und an einer neuen Reichs- und Staatsregierung:
- Adolf Hitler: Politische Leitung,
- Erich Ludendorff: Nationalarmee,
- Otto von Lossow: Reichswehrminister,
- Hans von Seißer: Polizeiminister,
- Gustav von Kahr: Statthalter der Monarchie in Bayern,
- Ernst Pöhner: Bayerischer Ministerpräsident.
Barrikaden am bayerischen Kriegsministerium in der Münchner Schönfeldstraße. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-6604)
Blick auf den Münchner Marienplatz; stehend als Redner Julius Streicher. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-6610)
Berittene Abteilungen der Bayerischen Landespolizei am Odeonsplatz in München. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-6608)
Die anwesenden Minister wurden verhaftet und in die Villa des Verlegers Julius Friedrich Lehmann (1864-1935) am Stadtrand gebracht, im Bürgerbräu das Hauptquartier aufgeschlagen. München erlebte dann sogleich einen Vorgeschmack des späteren NS-Terrors, etwa bei der Verwüstung der Redaktion der SPD-Zeitung Münchener Post oder bei antisemitischen Übergriffen. Sie erfolgten im Rahmen von Geiselnahmen, wobei leitend sehr einfache antijüdische Klischees waren, weniger konkrete Personen, die eher zufällig angegriffen und festgenommen wurden; besonders aktiv waren der Stoßtrupp Hitler und eine Abteilung des Bundes Oberland, die dabei in übelster Weise vorgingen.
Schnell zeigte sich, dass der Putsch, wohl auch durch die zeitliche Verschiebung, schlecht vorbereitet und zum Scheitern verurteilt war. Schon die Verhandlung im Nebenzimmer mit dem Triumvirat war sehr mühsam und dauerte fast eine ganze Stunde, was Unruhe brachte. Nur das frühere Kriegsministerium (jetzt Wehrkreiskommando VII) an der Ludwigstraße (Nr. 24; heute Nr. 14 Bayerisches Hauptstaatsarchiv) konnte durch die Putschisten besetzt werden, dann auch die am Marsfeld gelegene Infanterieschule; bei den Kasernen gab es Probleme. Als Hitler gegen 22 Uhr dorthin eilte, wurde Kahr, Lossow und Seißer von Ludendorff erlaubt, den Bürgerbräu zu verlassen und ihre Ämter aufzusuchen, wobei er offenbar die anfangs erzwungene Bereitschaft zur Mitarbeit als freiwilliges Ehrenwort betrachtete. Es dauerte, trotz der Distanz, aber dann noch bis nach Mitternacht (2 Uhr 55), dass Kahr, Lossow und Seißer, nun in der Infanteriekaserne, die Aktion offiziell widerriefen, ihre Beteiligung am Putsch als gewaltsam erpresst bezeichneten und sich auf die Seite ihrer Behörden stellten, die entschlossen gegen den Putsch gearbeitet hatten. Und schließlich proklamierte Minister Franz Matt (1860-1929, 1920-1926 Kultusminister) zusammen mit drei anderen Ministern, die nicht im Bürgerbräu gewesen waren, den Fortbestand der bayerischen Regierung und wich kurzzeitig nach Regensburg aus. Damit war das Unternehmen bereits in der Nacht gescheitert; auch Bereitstellung und teilweise Zuzug von Hitleranhängern aus einigen bayerischen Städten (aus Nürnberg Julius Streicher [1885-1946]), ja sogar aus dem thüringischen Jena, änderten daran nichts.
Auf Vorschlag Ludendorffs beschloss man, am Vormittag des 9. November durch einen Demonstrationszug das Blatt zu wenden und Röhm zu entsetzen. Auf dem Weg vom Bürgerbräu über den Marienplatz zur Ludwigstraße wurden die ca. 2.000 teilweise bewaffneten Putschisten vor dem Odeonsplatz durch die Bayerische Landespolizei aufgehalten, die, nachdem geschossen worden war (vom wem, blieb unklar), ihrerseits schoss: 15 Kampfbündler, 1 unbeteiligter Zivilist und 4 Polizisten starben. Der Zug stob auseinander; der angeschlagene Hitler wurde mit dem Auto nach Uffing am Staffelsee in die Villa von Ernst Hanfstaengl (1887-1975) gebracht, um von dort nach Österreich zu fliehen; er wurde aber am 11. November verhaftet. Der unverletzte Ludendorff wurde gefangen genommen. Hitler wurde dann ins Gefängnis nach Landsberg am Lech verbracht, bis 14. November 1923 in Schutzhaft, dann bis 21. Februar 1924 in Untersuchungshaft. Nach dem Prozess in München (26. Februar - 1. April 1924) war er wieder in Landsberg, nun in Festungshaft, aus der er am 20. Dezember 1924 auf Bewährung entlassen wurde.
Die Suche nach den Ursachen des Scheiterns, besonders nach den Gründen für das Verhalten von Kahrs, begann schon damals; vielfach wurden dafür - besonders von den Rechtsradikalen - Interventionen des Kronprinzen Rupprecht und des Münchner Kardinals Michael von Faulhaber (1869-1952, seit 1917 Erzbischof von München und Freising) behauptet, was aber nicht zutrifft. Eine 2023 von Matthias Bischel vorgelegte Quellen-Sammlung über das Verhalten Kahrs im November 1923 lassen den Schluss zu, dass Kahr von Anfang an ein Gegner der Hitlerschen Aktion war, jedoch am Tatort selbst und dann auch noch einige Zeit nachher sehr vorsichtig agierte, um vor allem Handlungsfreiheit zu gewinnen und den Erfolg des Eingreifens gegen die Putschisten zu sichern.
Unmittelbare und langfristige Folgen
Unmittelbare Folge des Putschversuchs war eine schwere innenpolitische Krise in Bayern, wobei die Putschisten anfangs starke Sympathien genossen. So erhielt der nach dem sofortigen Verbot der NSDAP gegründete "Völkische Block" bei der Landtagswahl 1924 17 % (in der Stadt München 34 %) der Stimmen. Dem entsprach der schmähliche Ablauf und Ausgang des Hitlerprozesses. Allerdings wandelte sich bald die Szene. Seit dem Rücktritt von Kahrs als Generalstaatskommissar am 17. Februar 1924 und dem Amtsantritt von Heinrich Held (1868-1938) als Ministerpräsident im Juni 1924 distanzierte sich die politische Führung in Bayern immer stärker von Hitler und wurde bald sein heftigster Gegner. Dem entsprach eine immer deutlichere ideologische Abgrenzung der Konservativen vom Nationalsozialismus.
Hitler seinerseits änderte auf Grund seiner Erfahrungen von 1923 die Taktik; er betrieb nun die Machtübernahme auf formal legalem Weg. Seine Agitation verlagerte sich nach der Wiedergründung der NSDAP 1925 auch mehr auf außerbayerische Gebiete, von wo aus er schließlich zur Herrschaft gelangte, obwohl die Parteizentrale nach wie vor in München blieb.
Nach 1933 stilisierte das NS-Regime den Hitlerputsch zu einem Kult-Ereignis. Hitler stiftete ein "Ehrenzeichen 9. November" (Blutorden; bis Kriegsende ca. 4.000 Träger), eine mit dem Blut von Putschisten getränkte Fahne wurde als "Blutfahne" schon seit 1926 zur Hauptreliquie der Partei, Schriftsteller verbreiteten die gewünschte Sichtweise der Vorgänge (z.B. Karl Richard Ganzer [1909-1943]). Seit 1933 fanden große Feiern an der Feldherrnhalle und am Königsplatz statt (Ehrentempel mit den Särgen der NS-Toten); die jährliche Wiederholung des Marsches, mit Streicher an der Spitze, wurde zu einem Traditionsfundament. Allerdings wurden die Feiern seit 1939 stark eingeschränkt und verkümmerten zu Reden und Kranzniederlegung regionaler Größen (Hitler kam noch bis 1943 in den Bürgerbräu). Nach Kriegsende wurden die Toten entfernt, die Ehrentempel im Januar 1947 abgerissen.
Zur Historiographie
Sowohl zur Feststellung der Vorgänge wie zur Interpretation ist von der großen Edition des Hitler-Prozesses (Gruchmann) auszugehen, wobei die Anklageschriften von besonderem Wert sind; auch die Einleitung des Bandes ist wichtig. Für die bayerische Szene sind die Edition von Deuerlein und seit 2023 auch die umfangreichen Dokumente aus dem (bis dahin unbekannten) Nachlass und dem persönlichen Umfeld von Kahr maßgeblich; sie erlauben eine genaue stundenweise Rekonstruktion des Tathergangs und vor allem des Verhaltens von Kahr selbst (Bischel, 30*-48*, 57*-60*). Als zeitgenössisches Denkmal ist die Zusammenstellung von Wilhelm Hoegner (1887-1980, MdL für die SPD 1924-1930, Bayerischer Ministerpräsident 1946 und 1954-1957) über Materialien des Landtagsuntersuchungsausschusses zum Hitlerputsch 1927 (1928) wichtig. Was die ungedruckten Archivalien betrifft (Bischel, 16* ff., Kellerhoff, 307 ff.), so sind diese mittlerweile vor allem durch Digitalisierung besser zugänglich.
Fundierte historische Untersuchungen gab es bereits seit Anfang der 1970er Jahren, etwa jene von Harold J. Gordon (1919-1980); sie wurden erheblich erweitert durch Arbeiten im Zusammenhang mit dem Gedenkjahr 2023, teilweise zum Putsch selbst (etwa Niess), besonders aber zu dessen Umfeld, also dem "Krisenjahr" 1923, wobei u.a. auf Longerich und Jones hinzuweisen ist. Für Bayern besonders wichtig ist die Dokumentation zum Verhalten von Kahr (Bischel); von den staatlichen Archiven Bayerns wurde eine große Vortragsreihe unternommen ("Demokratie im Abwehrmodus. Bayern im Krisenjahr 1923"), die Ende 2024 veröffentlicht wird (Archivalische Zeitschrift, Bd. 100). Gritschneder hat, aufgrund der Gerichtsakten, viele interessante und wichtige Aspekte aufgezeigt; seine Urteile sind freilich oft sehr dezidiert. Alle maßgeblichen Hitler-Biographien gehen auf das Ereignis ein, oft mit weiterführenden Einsichten (z.B. Ullrich; Longerich). Auch viele populäre Darstellungen sind erschienen, gerade auch im englischsprachigen Bereich (als "Beer Hall Putsch". z. B. in Jeffrey Gaab, Munich. Hofbräuhaus & History – Beer, Culture & Politics, New York 2008) oder in Frankreich (z. B. Chauvet Didier, Hitler et le putsch de la brasserie, Paris 2012); sie sind im Einzelfall nützlich, bringen aber meist wenig Neues. Eine erzählende Sachbuchdarstellung von King ist sehr beachtenswert durch zeitgenössische Zeugnisse und die Vielzahl ausländischer Presseerzeugnisse. Für die Aufnahme in der Öffentlichkeit ist hinzuweisen auch auf Fernsehbeiträge, so etwa "Hitler vor Gericht" (2009) vom österreichischen Regisseur Bernd Fischerauer (1943-2017), damals BR-Alpha, oder "Hitlerputsch 1923: Das Tagebuch der Paula Schlier" (ARD 2023), das u.a. deren Aufzeichnungen als (gegnerisch gesinnte) junge Sekretärin beim Völkischen Beobachter 1923 verwertet. Für ein tieferes Verständnis ist eine Einordnung in die größeren Verhältnisse entscheidend; es darf also nicht nur nach München geblickt werden: Vor allem das Problem der Kämpfe in der Pfalz, die parallel zum Putsch liefen, die Verhältnisse im Reich und die Interessen der europäischen Mächte, besonders Frankreichs, müssen jeweils miteinbezogen werden.
Literatur
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- Karl Richard Ganzer, Der 9. November 1923. Tag der ersten Entscheidung, München 1936 [NS-Sicht].
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- Harold J. Gordon, Hitlerputsch 1923. Machtkampf in Bayern 1923-1924, Frankfurt am Main 1971.
- Otto Gritschneder, Bewährungsfrist für den Terroristen Adolf H. Der Hitler-Putsch und die bayerische Justiz, München 1990.
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Quellen
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- Eberhard Jäckel/Axel Kuhn (Hg.), Hitler. Sämtliche Aufzeichnungen 1905-1924, Stuttgart 1980.
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- Paula Schlier, Petras Aufzeichnungen oder Konzept einer Jugend nach dem Diktat der Zeit [1926], neu hg. von Annette Steinsiek, Norderstedt 2023.
- Hellmut Schöner (Hg.), Hitler-Putsch im Spiegel der Presse. Berichte bayerischer, norddeutscher und ausländischer Zeitungen über die Vorgänge im November 1923 in Originalreproduktionen, München 1974.
- Hermann Wilhelm (Hg.), Die vergessenen Opfer. Dokumente, Polizeiakten und Augenzeugenberichte zum Terror in den Tagen des Hitlerputsches am 8. und 9. November 1923, unter Hervorhebung der Haidhauser Ereignisse und Akteure, München 2004.
Weiterführende Recherche
Externe Links
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- Hitler-Ludendorff-Prozess, 1924
- Kabinett Knilling, 1922-1924
- Kabinett Lerchenfeld, 1921/22
- Strafanstalt Landsberg am Lech
Marsch auf die Feldherrnhalle, Hitler-Ludendorff-Putsch, Beer Hall Putsch
Empfohlene Zitierweise
Walter Ziegler, Hitlerputsch (8./9. November 1923), publiziert am 11.05.2006 (Aktualisierte Version 5.02.2024); in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Hitlerputsch_(8./9._November_1923)> (13.11.2024)