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Deutscher Tag, Nürnberg, 1./2. September 1923

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Deutscher Tag in Nürnberg am 1./2. September 1923, Teilnehmer marschieren durch die Altstadt zum Marktplatz. (Bayerische Staatsbibliothek, Fotoarchiv Hoffmann)
Aufmarsch der Teilnehmer zum Deutschen Tag in Nürnberg, 1923. (Bayerische Staatsbibliothek, Fotoarchiv Hoffmann)
Adolf Hitler [Mitte] und Julius Streicher [2vr] auf dem Nürnberger Hauptmarkt (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-6561)
Aufmarsch auf dem Nürnberger Hauptmarkt; Adolf Hitler (mit Trenchcoat und Spazierstock). (Bayerische Staatsbibliothek, Fotoarchiv Hoffmann)

von Siegfried Zelnhefer

Formal als Erinnerungsfeier an die Schlachten von Sedan (1./2. September 1870) und Tannenberg (17. August.-2. September 1914) geplant, wurde der 4. "Deutsche Tag" in Nürnberg tatsächlich zu einer "Heerschau" und Großkundgebung mit 100.000 Teilnehmern vaterländischer und völkischer Verbände. Die Veranstaltung diente den Nationalsozialisten in Teilen auch als Vorbild für ihre späteren Reichsparteitage in Nürnberg. Die Gründung des Deutschen Kampfbunds gilt als wichtigstes politisches Ergebnis des Nürnberger "Deutschen Tages".

"Parademäßige Aufmärsche" in Franken 1923

Bereits im Frühjahr und Sommer 1923 waren "Deutsche Tage" an verschiedenen Orten Frankens begangen worden. Vorbild war der "Deutsche Tag" in Coburg am 14./15. Oktober 1922, den der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund organisiert hatte. 1923 fanden in einer Reihe von fränkischen Städten und Gemeinden ähnliche vaterländische Veranstaltungen statt, so in Marktbreit, in Nenzenheim, auf dem oberfränkischen Döbraberg, in Hersbruck, Mainbernheim, Neustadt a.d.Aisch und Kulmbach. Sie waren gekennzeichnet von "Kundgebungen der Wehrverbände mit Reden und großen parademäßigen Aufmärschen" (Hambrecht, Aufstieg, 48). Den Höhepunkt bildete der "Deutsche Tag" am 1./2. September 1923 in Nürnberg.

Explosive Stimmung

Wenige Monate vor dem Hitler-Putsch war die Stimmung aufgeheizt. Die Vorstellung einer völkisch-revolutionären Bewegung nahm Formen an. Es herrschte die Meinung vor, dass es bald zum "Losschlagen" kommen würde. Der "Deutsche Tag" war als bewusste Provokation in die "rote" Arbeiterstadt gelegt worden. Auf dem Land gingen Parolen um, wonach es in Nürnberg zur "großen Abrechnung mit den Novemberverbrechern" käme. Der Nürnberger Sozialdemokratische Ordnungsdienst war in Alarmbereitschaft und holte sich Verstärkung. Oberbürgermeister Dr. Hermann Luppe (DDP, 1874-1945) verhinderte nicht nur, dass Sonderzüge mit Vaterländischen nach Nürnberg kamen, er informierte auch Reichsinnenminister Wilhelm Sollmann (SPD, 1881-1951) über die mögliche Putschgefahr. Der Publizist Hans von Hülsen berichtete: "Nürnberg galt immer als eine "rote" Stadt. Aber angesichts der erdrückenden Fülle von Hakenkreuzlern verhielten sich die "Roten" still. (...) Die Arbeiter blieben unsichtbar, das Straßenbild wurde völlig vom Hakenkreuz, der feldgrauen Kappe und den schwarzweißroten Fahnen beherrscht. Wäre in dieses Pulverfaß ein Funke gefallen, es hätte ein Blutbad sondergleichen gegeben!" (zit. nach Deuerlein, Aufstieg, 183)

Abordnungen aus ganz Deutschland

Für die rechten Verbände war der "Deutsche Tag" ein Erfolg. Der Nürnberger Polizeichef Heinrich Gareis (1878-1951) begleitete die Veranstaltung mehr als wohlwollend. Am Begrüßungsabend (1. September) in der Ausstellungshalle im Luitpoldhain (später Ort der Kongresse während der Reichsparteitage der NSDAP) überbrachte der Regierungspräsident von Mittelfranken die Grüße der Staatsregierung und der Kreisregierung von Mittelfranken. Nach einem Gottesdienst auf der Deutschherrnwiese marschierten am 2. September 100.000 Teilnehmer zum Hauptmarkt, wo die Ehrengäste - unter ihnen Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern (1859-1949), General Erich Ludendorff (1865-1937), zahlreiche Generäle und Offiziere sowie Justizminister a.D. Dr. Christian Roth (DNVP, 1873-1934) - neben den Führern der verschiedenen Verbände, unter anderem Hauptmann Adolf Heiß (1882-1945), Adolf Hitler (1889-1945) und Julius Streicher (1885-1946), die Parade abnahmen. Am Umzug waren Einheiten der Bayerischen Landespolizei, Kriegervereine, Offiziersbünde, der Pfälzer Treubund, studentische Korporationen, die SA, die Reichsflagge, der Bund Wiking, der Bund Oberland und der Bund "Bayern und Reich" beteiligt. Die Abordnungen kamen aus dem ganzen Deutschen Reich.

Begeisterung der Polizei

Aus einem Bericht des Staatspolizeiamts Nürnberg-Fürth spricht die Begeisterung: "Die Straßenzüge waren in ein Meer von schwarzweißroten und weißblauen Fahnen gehüllt, brausende Heilrufe der Straßen, Gehsteige und Fenster in dicht gedrängten Massen füllenden Bevölkerung umtosten Ehrengäste und Zug, zahllose Arme streckten sich ihm mit wehenden Tüchern entgegen, ein Regen von Blumen und Kränzen schüttete sich von allen Seiten über ihn: Es war wie ein freudiger Aufschrei hunderttausender Verzagter, Verschüchterter, Getretener, Verzweifelnder, denen sich ein Hoffnungsstrahl auf Befreiung aus Knechtschaft und Not offenbarte. Viele, Männer und Frauen, standen und weinten, überwältigt von seelischer Erregung." (zit. nach Deuerlein, Aufstieg, 181)

Gründung des "Deutschen Kampfbunds"

SA und Nationalsozialisten dominierten rein zahlenmäßig den Deutschen Tag keineswegs. Doch Adolf Hitler machte diese Demonstration der national-völkischen, vaterländischen Verbände zu seinem Erfolg. Vorbeimarsch am Hauptmarkt und Massenversammlungen kennzeichneten später auch die Reichsparteitage der NSDAP.

Während des "Deutschen Tags" in Nürnberg schlossen sich NSDAP (mit Adolf Hitler an der Spitze), SA (Hermann Göring [1893-1946]), Reichsflagge (Adolf Heiß) und Bund Oberland (Friedrich Weber [1892-1954]) zum "Deutschen Kampfbund" zusammen - das "wichtigste politische Ereignis des Treffens" (Hambrecht, Aufstieg, 49).

Proteste und Unruhen in den Betrieben

Der "Deutsche Tag" verstärkte in Nürnberg die politische Auseinandersetzung zwischen linken und rechten Kräften. Der Kampf fand auch auf der Straße statt. Am 2. September 1923 wurde der sozialdemokratische Arbeiter Georg Krämer ermordet. Am 3. und 4. September kam es in mehreren Nürnberger Großbetrieben, darunter MAN, Gebrüder Bing AG und Siemens-Schuckert-Werke AG, zu gewaltsamen Aktionen gegen die Teilnehmer der Veranstaltung. Manche der rechtsstehenden Arbeiter und Angestellten wurden aus den Betrieben geprügelt und zum Teil auch misshandelt. Die Anführer der Unruhen in den Unternehmen wurden von den Firmen entlassen, mehrere Personen verhaftet und später wegen Landfriedensbruchs und Körperverletzung verurteilt. Im Nürnberger Stadtrat kam es am 7. September 1923 zu Tumulten, als der "deutschnationale Stadtrat Schmidt nach scharfen Angriffen die Schuld an den Vorkommnissen am Deutschen Tag allein der Linken zuschieben wollte. Der 'heiße Herbst' in Bayern hatte begonnen" (Hermann Hanschel). Im Bewusstsein der Bevölkerung setzte sich die Meinung durch, der Deutsche Tag sei die Generalprobe für mehr, für den Umsturz.

Literatur

  • Ernst Deuerlein (Hg.), Der Aufstieg der NSDAP in Augenzeugenberichten, München 5. Auflage 1982.
  • Michael Diefenbacher/Rudolf Endres (Hg.), Stadtlexikon Nürnberg, Nürnberg 1999.
  • Rainer Hambrecht, Der Aufstieg der NSDAP in Mittel- und Oberfranken (1925-1933) (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte. Schriftenreihe des Stadtarchivs Nürnberg 17), Nürnberg 1976.
  • Hermann Hanschel, Oberbürgermeister Hermann Luppe. Nürnberger Kommunalpolitik in der Weimarer Republik (Nürnberger Forschungen 21), Nürnberg 1977.
  • Werner Maser, Der Sturm auf die Republik. Frühgeschichte der NSDAP, Frankfurt am Main/Berlin/New York 1981.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Siegfried Zelnhefer, Deutscher Tag, Nürnberg, 1./2. September 1923, publiziert am 28.08.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Deutscher_Tag,_Nürnberg,_1./2._September_1923> (19.03.2024)