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Festungshaft Adolf Hitlers in Landsberg, 1923/24

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Luftaufnahme der Haftanstalt Landsberg, nicht datiert. Ein Teil des Gefängnisses diente seit 1920 als Festungshaftanstalt. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-6651)

von Peter Fleischmann

Nach seiner Verurteilung wegen des gescheiterten Putsches vom 8./9. November 1923 wurde Adolf Hitler (1889-1945) zur Verbüßung seiner Strafe in die Gefangenenanstalt Landsberg am Lech eingewiesen. Die Festungshaft, die er am 1. April 1924 antrat, gestaltete sich für Hitler sehr moderat: Hitler war in einem separaten Gefängnistrakt untergebracht, konnte zahlreiche Besucher empfangen und den ersten Band von "Mein Kampf" verfassen. Am 20. Dezember 1924 wurde Hitler auf Fürsprache des Leiters der Strafanstalt, Otto Leybold (1868-1933), auf Bewährung entlassen.

Schutz- und Untersuchungshaft

Nach dem gescheiterten Putsch vom 8./9. November 1923 wurde Adolf Hitler am 11. November im Haus seines Freundes Ernst Hanfstaengl (1887-1975) in Uffing am Staffelsee (Lkr. Garmisch-Partenkirchen) verhaftet und in der Strafanstalt Landsberg am Lech inhaftiert. Die Verbringung in dieses Gefängnis war schon in einem allgemeinen Schutzhaftbefehl des Generalstaatskommissars Gustav von Kahr (BVP, 1862-1934) vom 13. Oktober 1923 festgelegt worden. In Schutzhaft kamen alle Personen, welche durch "staatsfeindliches Treiben die Sicherheit des Staates" gefährdeten. Bei der Aufnahme in das Gefängnis attestierte der Bezirksarzt Dr. Josef Brinsteiner (1857-1944) "rechtsseitigen Kryptorchismus" (d. i. Fehlen des rechten Hodens). Am 14. November überführte man Hitler in die Untersuchungshaft, doch war er bis zum Beginn seines Prozesses vor dem Volksgericht München weiterhin in der verhältnismäßig modernen, im Jahr 1908 errichteten Haftanstalt Landsberg am Lech verblieben. Wegen des gescheiterten Putsches war Hitler zunächst demoralisiert, weshalb er am 14. November 1923 in einen Hungerstreik trat, bei dem er von 73 Kilogramm auf 68 Kilogramm abmagerte. Erst nach Zureden seines Rechtsanwalts Lorenz Roder (1881-1958) und Anton Drexlers (1884-1942), des Gründers der DAP (Vorgängerin der NSDAP), nahm er am 24. November 1923 wieder Nahrung zu sich. Während der Untersuchungshaft erhielt Hitler Besuch von mehreren ihm persönlich oder politisch Nahestehenden wie dem Kassier der NSDAP Johann Singer (1869-1939), der Witwe des bei dem Putsch tödlich getroffenen Dr. Max Erwin von Scheubner-Richter (1884-1923), der verwitweten, ihm mütterlich zugeneigten Hermine Hoffmann (1857-1945) aus München-Solln, seiner Halbschwester Angela Franziska Raubal (1883-1949) aus Wien oder der antisemitisch eingestellten, finanziellen Unterstützerin Helene Bechstein (1876-1951) aus Berlin.

Die Angeklagten im Hitler-Ludendorff-Prozess 1924, Aufnahme vom 1. April 1924; mit Aufdruck: "Die Angeklagten des Hitler-Prozesses". Von links nach rechts: Heinz Pernet, Friedrich Weber, Wilhelm Frick, Hermann Kriebel, Erich Ludendorff, Adolf Hitler (mit Hut und Trenchcoat), Wilhelm Brückner, Ernst Röhm, Robert Wagner. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-6622)

Verurteilung

Am 1. April 1924 verkündete Georg Neithardt (1871-1941) am Volksgericht München I das Urteil. Als Sympathisant rechter Kreise hatte Neithardt schon am 16. Januar 1920 dem Mörder Kurt Eisners (1867-1919), Anton Graf von Arco-Valley (1897-1945), "glühendste Liebe zu seinem Volke und Vaterlande" attestiert. Am 12. Januar 1922 hatte Neithardt Hitler wegen schweren Landfriedensbruchs zu einer bis zum 1. März 1926 dauernden Bewährungsstrafe verurteilt. Unter bewusster Nicht-Berücksichtigung letztgenannter Tatsache und weiterer rechtsbeugender Vorgänge wurden Hitler, Hermann Kriebel (1876-1941) als Führer der SA, Dr. Friedrich Weber (1892-1954) als Führer des Bunds Oberland und der Münchner Polizeipräsident Ernst Pöhner (1870-1925) wegen Hochverrats zu je fünf Jahren Festungshaft mit der Aussicht auf Bewährung schon nach sechs Monaten verurteilt. Erich Ludendorff (1865-1937) wurde freigesprochen, dessen Stiefsohn Heinz Pernet (1896-1973) wurde sofort entlassen; mehrere Angehörige des Stoßtrupps Hitler erhielten bei einem späteren Prozess wegen Beihilfe zum Hochverrat 15 bis 18 Monate Festungshaft. Pöhner konnte seinen Strafantritt durch Atteste bis zum 5. Januar 1925 hinauszögern; schon am 31. März 1925 wurde er auf Bewährung entlassen.

Festungshaft

Gemäß dem Reichsstrafgesetzbuch vom 18. Mai 1871 wurden die Tötung bei einem Duell und politische Verbrechen mit Festungshaft geahndet, weil ehrenhafte Gesinnung unterstellt wurde. Dies bedeutete lediglich Freiheitsentzug ohne Arbeitszwang, der häufig in Festungen vollzogen wurde. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Verhängung von Festungshaft weitgehend hinfällig geworden, da sie im Widerspruch zum allgemeinen Strafgesetz stand, doch ist der entsprechende Artikel in der Weimarer Republik unverändert beibehalten worden. Deshalb sind auch die Urheber der "Räterepublik Baiern" vom April 1919 zu Festungshaft verurteilt worden. Sie mussten ihre Strafe in dem Gefängnis von Niederschönenfeld (Lkr. Donau-Ries; ehemaliges Kloster, seit 1849 Strafanstalt) verbüßen, wo man sie unter sehr restriktiven Bedingungen festgehalten hat.

Dagegen kamen Hitler, Kriebel und Dr. Weber am 1. April 1924 in die Gefangenenanstalt Landsberg am Lech, welche keinerlei Festungscharakter aufwies. Hier saß seit dem 28. Januar 1920 als einziger langzeitiger Festungshaftgefangener Anton Graf von Arco-Valley ein, dem man jedoch am 13. April 1924 Strafunterbrechung gewährte, bis er 1927 begnadigt wurde.

Privilegierte Haftbedingungen Hitlers

In einem separaten Trakt innerhalb des Gefängnisses wurden die Urheber des Putsches vom 8./9. November 1923 in je eigenen Stuben mit Gemeinschaftsraum untergebracht. Erst im Laufe des Monats Mai 1924 trafen weitere zu Festungshaft Verurteilte in Landsberg am Lech ein, darunter als einer der ersten Emil Maurice (1897-1972) und Rudolf Heß (1894-1987), die sich mit Hitler, Kriebel und Dr. Weber die fünf Stuben im Obergeschoss teilten. In wechselnder Zusammensetzung belegten insgesamt 25 Angehörige des Stoßtrupps das Untergeschoss der Festungshaftanstalt; fast alle sind an der Jahreswende 1924/25 vorzeitig auf Bewährung entlassen worden.

Die Propagandapostkarte vom 12. April 1924 zeigt Adolf Hitler am Zellenfenster der Festungshaftanstalt Landsberg; sie trägt die irreführende Bezeichnung "Festung Landsberg". (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-6638)

Gefängnisbesucher

Der Leiter der Gefangenenanstalt Landsberg am Lech, Oberregierungsrat Otto Leybold (1868-1933) , erachtete die Putschisten als "nationalhochgesinnte Männer". Aus diesem Grund ließ er ihnen einen sehr moderaten Strafvollzug zukommen. Leybold genehmigte über das vorgeschriebene Maß hinaus die Zulassung von Besuchern und nahm große Rücksicht auf die Lebensführung der Festungshaftgefangenen. Schon Anfang April setzte bei Hitler ein regelrechter Ansturm von Besuchern ein, wie er in der Praxis des bisherigen Strafvollzugs völlig neu war. Bis zu seiner Entlassung am 20. Dezember 1924 wurden zu Hitler 330 Personen vorgelassen, von denen ihn die allermeisten nur ein oder zwei Mal für relativ kurze Zeit gesprochen haben. Davon kam jeder zweite Besucher aus München und etwa 80 % aus Bayern. Gemessen an der Frequenz und der gesamten Sprechdauer suchten neben Rechtsanwalt Lorenz Roder das Berliner Klavierfabrikantenehepaar Edwin (1859-1934) und Helene Bechstein, Erich Ludendorff, Max Amann (1891-1957) und Hermine Hoffmann den Putschisten am häufigsten auf.

Kriebel und Dr. Weber hatten seit Anfang April die Genehmigung, "Besuche der ihnen am nächsten stehenden Personen ohne Überwachung zu empfangen", was sich auf Angehörige ihrer weitläufigen Familien erstreckte. Aus dem familiären Umfeld wurde Hitler nur von seiner Halbschwester Angela Franziska Raubal und deren noch minderjährigen Kindern Leo (1906-1977) aus Wien und Angela Maria (1908-1931) aus Linz besucht. Sie haben ihren Halbbruder bzw. Onkel am 17. Juni bzw. am 14. Juli 1924 für die Dauer von knapp drei bzw. vier Stunden ohne Aufsicht sprechen dürfen. Darüber hinaus hatte Leybold genehmigt, dass Hitler vertrauliche Gespräche mit politischen Gesinnungsfreunden regelmäßig ohne Anwesenheit eines Wachtmeisters führen durfte.

In seinem Kampf gegen die Weimarer Republik hatte sich Hitler gegen eine Beteiligung an Wahlen der seit dem 9. November 1923 verbotenen NSDAP ausgesprochen, doch erzielten Tarnparteien (Völkischer Block, Großdeutsche Volksgemeinschaft, Nationalsozialistische Freiheitspartei) bei den Wahlen zum Bayerischen Landtag am 6. April 1924 und zum Reichstag am 4. Mai 1924 unerwartet viele Stimmen. Kurz vor den Wahlen und unmittelbar danach suchten potentielle und gewählte Mandatsträger Hitler in Landsberg am Lech unverhältnismäßig oft auf. Allerdings begannen sich die völkischen Gruppierungen bald aufzusplittern und gegenseitig zu bekämpfen. Daraufhin ließ Hitler im Juli in der völkischen Presse verlauten, er wünsche keine Besuche mehr, was zu einem spürbaren Versiegen des Zustroms an Personen führte.

Abfassung von "Mein Kampf"

Spätestens im Juni 1924 hatte Hitler damit begonnen, auf einer Schreibmaschine eine Art politische Abrechnung mit dem Titel "4 ½ Jahre Kampf gegen Lüge, Dummheit und Feigheit" zu verfassen, wobei die Jahresangabe als damals allgemein bekannte Chiffre für den Ersten Weltkrieg stand. Im Herbst war das Manuskript des ersten, stark autobiographisch geprägten Teils von "Mein Kampf" sehr weit gediehen, aber noch nicht abgeschlossen. Noch in Landsberg begann Hitler mit der Niederschrift des zweiten Teils, doch kam er bis zum Ende der Festungshaft über Anfänge nicht hinaus.

Adolf Hitler nach der Entlassung aus der Festungshaft, 20. Dezember 1924. Im Hintergrund nicht etwa das Tor der Festungshaftanstalt Landsberg, sondern das mittelalterliche Bayertor in Landsberg. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-6650)

Haftentlassung

Mit der Veröffentlichung von "Mein Kampf" verknüpfte Hitler auch finanzielle Motive, zumal er am 13. September 1923 den Erwerb eines Wagens der Marke Benz & Cie. ins Auge fasste. Denn Hitler, Kriebel und Weber rechneten fest damit, nach einem halben Jahr Festungshaft zum 1. Oktober 1924 – wie in Aussicht gestellt – auf Bewährung entlassen zu werden. Die Staatsanwaltschaft München verhinderte dieses Vorhaben, nachdem kurz zuvor entdeckt worden war, dass trotz sehr weitmaschiger Kontrolle aller ein- und ausgehenden Briefe durch Leybold ein umfangreicher Schmuggel von Briefen stattgefunden hatte. Dessen ungeachtet bescheinigte Leybold wenige Tage darauf in einem positiven Gutachten gegenüber dem Staatsministerium der Justiz wegen Freilassung Hitlers auf Bewährung, der Festungshaftgefangene sei "reifer, ruhiger und überlegter geworden" und werde nach seiner Entlassung "Fühlung mit den berufenen Regierungsstellen suchen". Auf weitere Fürsprache von Leybold wurde Hitler schließlich am 20. Dezember 1924 auf Bewährung aus der Festungshaft entlassen.

Rezeption

Die in Hans Franks (1900-1946) Memoiren "Im Angesicht des Galgens" wiedergegebene Äußerung Hitlers, "Landsberg sei seine Hochschule auf Staatskosten" gewesen, war Teil der Legendenbildung um die Festungshaft. Diese setzte im Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 durch Veröffentlichungen des ehemaligen Wachtmeisters Otto Lurker (1896-1949) und des zeitweise mitinhaftierten Angehörigen des Stoßtrupps Hitler, Hans Kallenbach (1897-1966), ein. Die 1933 von Landsberg am Lech angetragene Ehrenbürgerwürde wurde erst ein Jahr danach förmlich angenommen, doch hat Hitler der Stadt keinen offiziellen Besuch mehr abgestattet. Dagegen kehrte er 1934, 1936 und 1938 unangemeldet in die Haftanstalt zurück, wo sich seine ehemalige Haftstube zu einem nationalsozialistischen Wallfahrtsort entwickelt hatte. Bis 1937 wurde sie von 180.000 Personen aufgesucht. Die offizielle Ernennung zur "Stadt der Jugend" im Jahr 1937 geht auf das Betreiben der Stadtspitze und des Reichsjugendführers Baldur von Schirach (1907-1974) zurück, um Landsberg am Lech als "nationalen Wallfahrtsort" zu stilisieren.

Nach Kriegsende 1945 errichtete die US-Besatzungsmacht in der Haftanstalt ein Kriegsverbrechergefängnis, das zum 9. Mai 1958 endgültig der bayerischen Justizverwaltung übergeben wurde. Schon 1946 hatte man die "Hitlerzelle" baulich völlig verändert, so dass heute nichts mehr an die Inhaftierung des gescheiterten Putschisten in der oberbayerischen Kleinstadt erinnert.

Quellenüberlieferung

Die schriftliche Überlieferung zur Schutz-, Untersuchungs- und Festungshaft Hitlers galt jahrzehntelang als verschollen, bis diese plötzlich im Juli 2010 in einer Auktion auftauchte. Sogleich wurden die Dokumente in das Verzeichnis national wertvoller Archivalien zum Schutz deutschen Kulturguts eingetragen. Seit 2015 werden sie im Staatsarchiv München verwahrt. Im selben Jahr erschien eine wissenschaftliche Edition aller Dokumente.

Literatur

  • Manfred Deiler, Von Hitlers Festungshaft zum Kriegsverbrecher-Gefängnis No. 1: Die Landsberger Haftanstalt im Spiegel der Geschichte, in: Landsberg im 20. Jahrhundert, Heft 1 (1993).
  • Otto Gritschneder, Bewährungsfrist für den Terroristen Adolf H. Der Hitler-Putsch und die bayerische Justiz, München 1990.
  • Rudolf Herz, Hoffmann & Hitler. Fotografie als Medium des Führer-Mythos, München 1994.
  • Wilfried Otto, Die Festungshaft. Ihre Vorläufer, Geschichte und Zukunft, Magdeburg 1938.
  • Othmar Plöckinger, Geschichte eines Buches: Adolf Hitlers "Mein Kampf", 1922-1945, München 2. Auflage 2011.
  • Klaus Weichert, Von der Gefangenenanstalt zur Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech 1909-2008. Eine Chronik über 100 Jahre, Landsberg am Lech 2008.

Quellen

  • Peter Fleischmann (Hg.), Hitler als Häftling in Landsberg am Lech 1923/24. Der Gefangenen-Personalakt Hitler nebst weiteren Quellen aus der Schutzhaft-, Untersuchungshaft- und Festungshaftanstalt Landsberg am Lech, Neustadt an der Aisch 2. Auflage 2018.
  • Hans Kallenbach, Mit Hitler auf Festung Landsberg. Nach Aufzeichnungen des Mitgefangenen Oberleutnant a.D. Hans Kallenbach, bearb. von Ulf Uweson, München 1933.
  • Otto Lurker, Hitler hinter Festungsmauern. Ein Bild aus trüben Tagen. Miterlebt und nach amtlichen Schriftstücken herausgegeben, Berlin 1933.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Peter Fleischmann, Festungshaft Adolf Hitlers in Landsberg, 1923/24, publiziert am 17.06.2016; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Festungshaft_Adolf_Hitlers_in_Landsberg,_1923/24> (19.03.2024)