Justiz (19./20. Jahrhundert)
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Christoph Bachmann und Florian Sepp
Die überkommene Gerichtsverfassung, die keine Trennung von Justiz und Verwaltung kannte, wurde Anfang des 19. Jahrhunderts mehrfach neu organisiert. 1808 wurde der Instanzenzug von Oberappellationsgericht, Appellationsgericht und Landgericht/Stadtgericht geschaffen. Neben den Land- und Stadtgerichten bestanden noch besondere Gerichte des Adels. Die Revolution von 1848 stieß diverse Reformen an: Noch 1848 wurden die adeligen Patrimonial- und Herrschaftsgerichte aufgehoben, 1861 Justiz und Verwaltung auch auf der Ebene der Landgerichte getrennt. Die bis heute gültige Organisation entstand durch das Gerichtsverfassungsgesetz des Deutschen Reiches vom 27. Januar 1877, das den Instanzenzug von Bayerischem Oberstem Landesgericht, Oberlandesgericht, Landgericht und Amtsgericht schuf. Größere Einschnitte brachte die Zeit des Nationalsozialismus (Sondergerichte, Erbhofgerichte, Erbgesundheitsgerichte), doch wurde nach 1945 die alte Gerichtsverfassung wieder erneuert. Seit den 1920er Jahren ist die Zahl der eigenständigen Amtsgerichte deutlich reduziert worden, zuletzt im Zusammenhang mit der Landkreisreform von 1972. Das Oberste Bayerische Landesgericht wurde 2006 aufgehoben und 2018 wieder errichtet.
Die Ausgangslage um 1800
Das beginnende 19. Jahrhundert markierte nicht nur für die territoriale Entwicklung Bayerns grundlegende Veränderungen. Auch Verfassung, Verwaltung und Justiz erhielten eine neue, von aufklärerischen Grundzügen bestimmte Ausformung.
Die aufgeklärten Reformer trafen dabei auf eine Gerichts- und Verwaltungsorganisation, die in ihren Grundzügen zum Teil bis ins 12./13. Jahrhundert zurückreichte. Dabei waren die "Gerichte" mit Verwaltung und Rechtsprechung betraut. Unterschieden wurde zwischen der Hochgerichtsbarkeit, die für die Aburteilung schwerer Verbrechen zuständig war, und der Niedergerichtsbarkeit, die kleinere Vergehen strafte. Meist waren mit der Niedergerichtsbarkeit auch Kompetenzen in der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Beurkundungswesen) verbunden. Für Adelige und Geistliche existierten eigene Gerichtsstände.
In Altbayern gab es seit dem 12./13. Jahrhundert ein nahezu flächendeckendes Netz landesherrlicher Land- oder Pfleggerichte. Ihre Kompetenz umfasste die Hochgerichtsbarkeit über alle und die Niedergerichtsbarkeit über den größten Teil der Untertanen. Adel und Kirche konnten in ihren Hofmarken und Sedlhöfen in der Regel nur die Niedergerichtsbarkeit erlangen. Auch die landsässigen Städte verfügten über eigene Niedergerichtsrechte, über Hochgerichtsrechte hingegen nur selten.
In Franken und Schwaben bestand - anders als im Herzog- und Kurfürstentum Bayern - kein zwingender Zusammenhang zwischen Landeshoheit und Hochgerichtsbarkeit: Die Hochgerichtsbarkeit (in Franken auch Zentgerichtsbarkeit genannt) lag nicht immer in der Hand der jeweiligen Landesherren.
Im Laufe der Frühen Neuzeit war die Prozessführung bei schweren Hochgerichtsfällen vielfach von den jeweiligen Land-, Pfleg- oder Zentgerichten vor Ort an zentrale Regierungsstellen übergegangen - im Herzog- und Kurfürstentum Bayern etwa an den Hofrat in München und die Regierungen der Rentämter in Landshut, Straubing, Burghausen und Amberg.
Neuorganisation 1799-1804
Ein erster Schritt zur Reform des Justizwesens war die zwischen 1799 und 1801 erfolgte Bildung des Justizdepartments (seit 1817: Ministerium der Justiz) als zentraler Verwaltungsstelle. Diese Zentralbehörde war nicht für die Rechtsprechung selbst, wohl aber für deren Organisation zuständig.
Auf der erstinstanzlichen Ebene ersetzte die Verordnung vom 24. März 1802 die seit dem Hochmittelalter existierenden Pfleggerichte durch Landgerichte (älterer Ordnung) als Verwaltungsbehörden und Gerichte mit Zuständigkeit für die höhere und niedere Gerichtsbarkeit. Die Sprengel der Gerichte wurden dabei völlig neu umschrieben und kleinere Gerichte ganz aufgelöst. Zwischen 1803 und 1807 wurde die Landgerichtsverfassung auch in den neu erworbenen Gebieten (Franken, Schwaben, Tirol) eingeführt.
Auf der Mittelinstanz entstanden 1802 aus dem Münchner Hofrat und den kurpfalzbayerischen Regierungen in Straubing, Amberg und Neuburg die Hofgerichte in München, Straubing, Neuburg (bis 1805) und Amberg (bis 1806). Zu diesen traten infolge der territorialen Erweiterung Bayerns 1803 die Hofgerichte in Bamberg und Würzburg sowie 1804 das Hofgericht Ulm hinzu. Da die Verwaltungsaufgaben der Regierungen gleichzeitig der neugebildeten Landesdirektion übertragen worden waren, handelte es sich bei den Hofgerichten ebenfalls um reine Justizstellen. Letztinstanzlich entschieden die drei Obersten Justizstellen in München (1802 aus dem "Revisorium" gebildet), Ulm und Bamberg (1803 eingerichtet).
Gleichzeitig wurde die Niedergerichtsbarkeit der Landstände stark eingeschränkt: Die Gerichtsuntertanen der Klöster wurden im Zuge der Säkularisation 1803 den Landgerichten überwiesen. In den Hauptstädten Bayerns erfolgte 1802/03 die Einrichtung eigener Stadtgerichte, die den Landgerichten gleichgestellt waren. Die Stadtgerichte waren reine Justizorgane ohne Verwaltungsaufgaben. Den übrigen Städten und Märkten wurden die Gerichtsrechte 1806 und 1808 entzogen. Mit Gesetz vom 20. April 1808 verlor der Adel die Jurisdiktion über seine außerhalb der Hofmarken lebenden "einschichtigen" Untertanen.
Gerichtsverfassung von 1808, Veränderungen bis 1818
Mit dem Organischen Edikt über die Gerichtsverfassung vom 24. Juli 1808 erhielt diese Organisation eine neue Form. Die Obersten Justizstellen wurden durch das Oberappellationsgericht in München ersetzt. Dieses war den neun Appellationsgerichten auf Ebene der Kreise, die an die Stelle der Hofgerichte traten, vorgesetzt. Die Appellationsgerichte fungierten als Zweitinstanz in Zivilsachen und als entscheidende Instanz in Strafsachen. Nach der Neuorganisation der Kreiseinteilung Bayerns 1817 bestanden acht Appellationsgerichte.
Als Eingangsinstanz fungierten die Landgerichte (älterer Ordnung) und in größeren Städten die Stadtgerichte, wobei letztere reine Justizorgane waren. Dazu traten für die gutsherrlichen Untertanen die Herrschafts- und Patrimonialgerichte.
Die patrimoniale Gerichtsbarkeit des Adels ordneten Edikte vom 8. September 1808 und 16. August 1812. Nachdem die Patrimonialgerichtsbarkeit eigentlich nur noch die freiwillige Gerichtsbarkeit (Norariat) umfassen sollte, wurden den größeren Adelsgütern im Jahr 1812 wieder erweiterte straf- und zivilrechtliche Kompetenzen zugestanden. Es bestanden Herrschaftsgerichte erster und zweiter Klasse sowie Ortsgerichte. Letztere erhielten 1818 den Namen Patrimonialgerichte und wurden ebenfalls nach zwei Klassen unterschieden. Die Herrschaftsgerichte waren im Wesentlichen für die Zivilsachen zuständig, die Orts- bzw. Patrimonialgerichte weitgehend auf die freiwillige Gerichtsbarkeit beschränkt.
1807/08 wurde den mediatisierten Fürsten und Grafen sowie den Inhabern von Majoraten (Fideikommissen) ein privilegierter Gerichtsstand zugestanden. Für sie waren nun die Appellationsgerichte zuständig, während alle übrigen Adeligen der ordentlichen Gerichtsbarkeit unterworfen waren. Die Verfassung von 1818 sowie das im selben Jahr erlassene Adelsedikt befreiten alle Adeligen und Geistlichen von der Zuständigkeit des Landgerichts. Für ihren privilegierten Gerichtsstand wurde der Aufgabenbereich der Stadtgerichte erweitert und diese in Kreis- und Stadtgerichte umgewandelt. Ihr Sprengel umfasste jeweils mehrere Landgerichte und ein Stadtgericht. Erste Gerichtsinstanz der Standesherren waren weiterhin die Appellationsgerichte.
Justizreformen 1848-1862
Im Rahmen der Justizreform des Revolutionsjahres 1848 wurde der größte Teil der privilegierten Gerichtsstände aufgehoben. Die adeligen Herrschafts- und Patrimonialgerichte wurden abgeschafft, bei den Kreis- und Stadtgerichten Schwurgerichte eingerichtet. Als eigene Ankläger entstanden die Staatsanwälte. Ankläger und Richter innerhalb einer Behörde wurden getrennt. Zahlreiche Reformanliegen konnten aber erst in den folgenden Jahren verwirklicht werden.
Mit dem Jahr 1856 erfolgte die Auflösung der Kreis- und Stadtgerichte. An ihre Stelle traten 34 Bezirksgerichte, deren Zuständigkeit sich auf alle erstinstanzlichen Angelegenheiten in strittigen und nichtstrittigen Fällen erstreckte, soweit nicht die Landgerichte zuständig waren. Die Landgerichte waren jedoch bei der Fülle der ihnen übertragenen administrativen, judikativen und notariellen Aufgaben angesichts eines begrenzten Personalstandes ständig überlastet.
Mit dem Gerichtsverfassungsgesetz vom 10. Januar 1861 wurde die Rechtspflege auch auf der unteren Ebene von der Justiz getrennt (1. Juli 1862) und für die nichtstreitige (freiwillige) Gerichtsbarkeit ständige Notariate eingerichtet. Die administrativen Aufgaben gingen auf die Bezirksämter (seit 1939 Landratsämter genannt) über. Als Erstinstanz bestanden damit Landgerichte, in den kreisunmittelbaren Städten als Stadtgerichte bezeichnet. Jene Gerichte, die für einen Land- und Stadtbezirk zuständig waren, hießen Stadt- und Landgerichte.
Sonderstellung der Pfalz
Eine völlig andere Entwicklung nahm die Gerichtsbarkeit in der Pfalz. Die Pfalz war von den Montgelas'schen Reformen nicht erfasst worden, da sie seit 1792/93 französisch besetzt und seit 1799/1801 Teil Frankreichs war. 1798 führten die Franzosen - wie im gesamten linksrheinischen Raum - die französische Gerichtsverfassung ein, in welcher Rechtspflege und vollziehende Gewalt bereits getrennt waren. Ausgeübt wurde die Gerichtsbarkeit durch Friedensrichter, die einzelnen Kantonen vorstanden. Als übergeordnete Instanz bestanden Arrondissements mit eigenen Gerichten. Auf der Ebene der Departements waren Gerichtshöfe für Zivil- und Kriminalsachen eingerichtet worden. Auch das französische Zivil- und Strafrecht wurde in der Pfalz eingeführt.
Französische Organisation und französisches Recht wurden nach dem Übergang der Pfalz an Bayern 1816 beibehalten. 1817 erhielten die Kantone die Bezeichnung Friedensgerichte; 1854 wurden sie nach Kompetenzerweiterungen in Landgerichte umbenannt. Die Gerichte der Arrondissements wurden in Kreisgerichte umgewandelt, die seit 1817 den Namen Bezirksgerichte führten. Das Appellationsgericht für die Pfalz (Rheinkreis) in Zweibrücken besaß gegenüber den Appellationsgerichten im rechtsrheinischen Bayern besondere Kompetenzen.
Gerichtsverfassungsgesetz 1877/1879
Das Gerichtsverfassungsgesetz des Deutschen Reiches vom 27. Januar 1877, das in Bayern am 1. Oktober 1879 in Kraft trat, schuf die im Wesentlichen auch heute noch gültige und bekannte Gerichtsorgansiation. Das Oberappellationsgericht wurde durch das Bayerische Oberste Landesgericht, die Appellationsgerichte durch die Oberlandesgerichte als Beschwerdeinstanzen zu den Landgerichten ersetzt. Oberlandesgerichte entstanden in München, Bamberg, Nürnberg, Augsburg (bis 1932) und Zweibrücken.
Die Landgerichte, nunmehr in verschiedene Kammern gegliedert (Zivilkammer, Handelskammer, Strafkammer), ersetzten die Bezirksgerichte und erhielten Schwurgerichte zur Aburteilung der Schwerstkriminalität. Die Sprengel wurden neu zugeschnitten, wobei auf die bestehende Einteilung in Bezirksämter nicht immer Rücksicht genommen wurde.
Auf der Eingangsinstanz ersetzten die Amtsgerichte die bisherigen Landgerichte (mittlerer Ordnung ab 1862, bzw. Stadtgerichte oder Land- und Stadtgerichte), deren Zuständigkeit sich auf kleinere Straftaten und Streitsachen, das Konkursverfahren sowie auf Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit (v. a. Grundbuchsachen, Vereinsregister, Handelsregister) erstreckte. Auch die Zahl der Sprengel wurde reduziert. Es bestanden nun 240 Amtsgerichte.
Entwicklung in der Weimarer Republik
Die Revolution von 1918 und das Ende der Monarchie, die Bamberger Verfassung des Freistaates Bayern und die Weimarer Verfassung hatten zunächst keine tiefgreifenden Auswirkungen auf Recht und Rechtspflege in Bayern. Eingriffe in die traditionelle Gerichtsverfassung des Bismarckreichs wie die Errichtung der Volksgerichte, vor denen die meisten der spektakulären politischen Prozesse der Weimarer Zeit geführt wurden, oder der Wuchergerichte blieben temporär. Aufgehoben wurden nach dem Ende der Monarchie der Staatsrat - dessen administrativ-jurisdiktionelle Kompetenzen der Verwaltungsgerichtshof übernahm - sowie das königliche Hausrecht und die bayerische Militärgerichtsbarkeit.
Die Weimarer Zeit war geprägt von einem massiven Behörden- und Personalabbau im Justizbereich in Folge der in der Mitte der 1920er Jahre und vor allem ab 1928 forciert durchgeführten Staatsvereinfachung. So wurden zwischen 1923 und 1932 insgesamt 11% der Beamten und Angestellten eingespart. Zudem wurde das Oberlandesgericht Augsburg am 1. April 1932 aufgelöst und mit dem Oberlandesgericht München zusammengelegt, und auch die drei Landgerichte Fürth, Neuburg a.d. Donau und Straubing sowie 31 Amtsgerichte wurden aufgehoben. Die räumliche Deckung von Gerichts- und Verwaltungssprengeln ging damit vielfach verloren.
Anfang 1933 waren dem bayerischen Justizministerium das Oberste Landesgericht, 4 Oberlandesgerichte (Bamberg, München, Nürnberg, Zweibrücken), 26 Landgerichte, 240 Amtsgerichte (Jahresende 1933: 237), 11 Strafanstalten und 350 Notariate nachgeordnet. An Personal verfügte die Justiz über rund 7.700 Beamte, Angestellte und Arbeiter, über 2.300 Rechtsanwälte und 1.200 Referendare.
Die Justizorganisation in der NS-Zeit
Bereits während der Weimarer Republik hatte die Frage der Verreichlichung der Justiz einen ständigen Disskussionspunkt zwischen den föderalistisch eingestellten Ländern und dem Reich dargestellt. Nach der "Machtübernahme" durch die Nationalsozialisten erfolgte die Überführung der Länderhoheit über das Justizwesen auf das Reich in drei Schritten bis zum 24. Januar 1935. Bereits am 27. Juni 1933 wurde der Staatsgerichtshof aufgehoben. Nach Abschluss der Verreichlichung der Justiz erfolgte zum 1. April 1935 die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bayerischen Justizministeriums.
Die Einrichtung mehrerer justizieller Institutionen höhlte die tradierte Gerichtsverfassung aus. So wurden mit Reichsverordnung vom 21. März 1933 die "Sondergerichte" geschaffen, die jeweils beim Landgericht am Sitz eines Oberlandesgerichts ansässig waren (München, Bamberg, Nürnberg). Kennzeichnend für die mit politischen Delikten befassten Sondergerichte war der kurze Prozess mit eingeschränkten Verteidigungsmitteln und ohne Rechtsmittel. 1942 traten noch die Sondergerichte Würzburg und Bayreuth hinzu.
Im Zusammenhang mit der Unterwanderung der rechtsstaatlichen Grundsätze sind die Parteigerichte der NSDAP sowie die eigene Gerichtsbarkeit für SS und Polizei zu nennen, wodurch immer massiver in den Zuständigkeitsbereich der Justiz eingegriffen wurde.
Einen Ausfluss der NS-Rassenideologie stellte die Erbhof- und Erbgesundheitsgerichtsbarkeit dar. Mit dem Reichserbhofgesetz vom 29. September 1933 entstanden an den Amtsgerichten Anerbengerichte, bei den Oberlandesgerichten die Erbhofgerichte. Diese hatten vor allem über die Erbfolge bei den Erbhöfen zu entscheiden, da die Erbfolge hier außerhalb der Erbgesetzgebung des BGB stand. Die Erbgesundheitsgerichte, die bei dem Amtsgericht am Sitz eines Landgerichts per Gesetz am 14. Juli 1933 errichtet wurden und ihre Tätigkeit 1944 einstellten, entschieden über Zwangssterilisationen "zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses".
Die Nationalsozialisten planten für die Zeit nach dem Krieg eine durchgreifende Neuorganisation der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Ab 1943 wurden aber aus Einsparungsgründen zahlreiche Amtsgerichte stillgelegt. Ihre Aufgaben übernahmen die Amtsgerichte, die sich an Landgerichtssitzen befanden, oder Zweiggerichte. Die Amtsgerichtssprengel wurden jedoch nicht geändert.
Wiederaufbau nach 1945
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde mit der Proklamation Nr. 1 die gesamte deutsche Gerichtsbarkeit geschlossen. In Bayern vollzog sich der Wiederaufbau des Gerichtswesens nach dem vom amerikanischen Hauptquartier in Frankfurt am Main herausgegebenen "Plan für den Aufbau des Rechtspflegewesens in der amerikanischen Zone", dessen Ziel unter anderem der Aufbau einer unabhängigen Richterschaft war.
Am 4. Oktober 1945 wurde die ordentliche Gerichtsbarkeit wieder eröffnet. Gleichzeitig entstand mit Verordnung vom 5. Oktober 1945 das bayerische Justizministerium neu. Der Wiederaufbauplan sah vor, eine Reihe von Amtsgerichten stillzulegen und einen erheblichen Teil nur als Nebengerichtssitze aufrechtzuerhalten. Bis Ende März 1946 hatten bereits 185 Amtsgerichte ihre Tätigkeit wieder aufgenommen, Mitte 1948 arbeiteten über 200 Amtsgerichte. Wegen des Verlustes der Pfalz reduzierte sich die Zahl der Landgerichte auf 21.
Auf amerikanische Anregung hin wurden 1947/48 bei den Amtsgerichten Schöffengerichte gebildet und bei den Landgerichten Schwurgerichte eingeführt. Die Wiedererrichtung des Bayerischen Obersten Landesgerichts erfolgte am 11. Mai 1948 per Gesetz. Es nahm am 1. Juli 1948 seine Tätigkeit wieder auf.
Durch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland von 1949 fällt die Gerichtsverfassung in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung von Bund und Ländern. Der Bund besitzt die Gesetzgebungskompetenz für Gerichtsverfassung und -organisation. Die Verwaltung obliegt aber den Ländern, die eine eigene Justizhoheit besitzen.
Ausblick auf die Zeit nach 1945
Die organisatorische Entwicklung der Gerichtsbarkeit nach 1945 ist bis jetzt nicht weitergehend erforscht. Die Grundzüge der 1877 eingeführten Gerichtsverfassung blieben bestehen. Lediglich das Bayerische Oberste Landesgericht wurde zum 1. Juli 2006 im Zuge von Sparmaßnahmen aufgehoben. 2018 wurde es wieder errichtet. Seit den 1950er Jahren wurde die Zahl der Amtsgerichte reduziert. Bestanden 1950 noch 209 Amtsgerichte und 37 Zweigstellen, wurde ihre Anzahl 1956 auf 188 vermindert. Die Zahl der Landgerichte blieb unverändert bei 21.
Die Landkreisreform von 1972 zog eine Anpassung der Amtsgerichtssprengel an die (neuen) Landkreisgrenzen und die Aufhebung zahlreicher Amtsgerichte nach sich. Ihre Zahl wurde um mehr als die Hälfte auf 72 verringert. An den Sitzen der aufgehobenen Amtsgerichte blieben Zweigstellen bestehen. Obwohl diese bereits 1975 vollständig verschwunden sein sollten, wurden sie erst seit 2004 verstärkt geschlossen.
Im Jahr 2007 bestanden in Bayern drei Oberlandesgerichte (München, Nürnberg, Bamberg), 22 Landgerichte, 72 Amtsgerichte und 22 Zweigstellen von Amtsgerichten. Bis 2018 sank die Zahl der Zweigstellen auf zwei.
Gerichtsbarkeit für Spezialgebiete
Neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit bestanden und bestehen noch weitere Gerichte für Spezialgebiete:
- Verfassungsgerichtsbarkeit (seit 1848/50 mit der Einrichtung des Staatsgerichtshofs)
- Verwaltungsgerichtsbarkeit (seit 1879 mit der Gründung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs)
- Handelsgerichtsbarkeit (seit 1877/79 den ordentlichen Gerichten überwiesen)
- Finanzgerichtsbarkeit (seit 1856)
- Arbeitsgerichtsbarkeit (seit 1892)
- Sozialgerichtsbarkeit (seit 1953)
- Spruchkammern (1946-1960)
- Militärgerichtsbarkeit (bis 1920)
Bis auf die Verfassungs- und Handelsgerichtsbarkeit fielen oder fallen diese Gerichte nicht in die Ressortzuständigkeit des Justiz-, sondern des jeweiligen Fachministeriums. Für die Spruchkammern war anfangs ein Sonderministerium (Ministerium für politische Befreiung) zuständig. Nach dessen Auflösung 1950 gingen die entsprechenden Kompetenzen an das Justizministerium über.
Literatur
- Sebastian Hiereth, Die bayerische Gerichts- und Verwaltungsorganisation vom 13. bis 19. Jahrhundert. Einführung zum Verständnis der Karten und Texte (Historischer Atlas von Bayern. Teil Altbayern. Einführungsband), München 1950. (immer noch gültige knappe Einführung in die Entwicklung bis 1879)
- Hanns Hubert Hofmann, Die Gerichtsorganisation in Bayern 1800 bis 1975, in: Behördliche Raumorganisation seit 1800. Grundstudie 14 (Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Beiträge 100), Hannover 1989, 60-157.
- Erich Stahleder (Hg.), "Gerechtigkeit erhöht ein Volk". Recht und Rechtspflege in Bayern im Wandel der Geschichte. Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs mit Unterstützung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz und der Landesnotarkammer Bayern. München, 15. September - 18. November 1990 (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 28), München 1990.
- Wilhelm Volkert (Hg.), Handbuch der bayerischen Ämter, Gemeinden und Gerichte 1799-1980, München 1983, 109-141.
Quellen
- Verordnung, die Einrichtung der Landgerichte betreffend, vom 24. März 1802. (Churpfalzbaierisches Regierungs-Blatt 1802, 236-239, 249-262)
- Verordnung, die Auflösung der Regierung Landshut, und Anordnung der churfürstlichen Hofgerichte betr., vom 5. November 1802. (Churpfalzbaierisches Regierungs-Blatt 1802, 793-797)
Weiterführende Recherche
Externe Links
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- Städtische Gerichtsbarkeit
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Empfohlene Zitierweise
Christoph Bachmann/Florian Sepp, Justiz (19./20. Jahrhundert), publiziert am 07.08.2008; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Justiz_(19./20._Jahrhundert)> (05.10.2024)