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Hochgerichtsbarkeit in Schwaben

Aus Historisches Lexikon Bayerns

(Weitergeleitet von Hochgerichtsbarkeit in Schwaben)

von Peter Kreutz

Unter der seit dem Hochmittelalter nachweisbaren Hochgerichtsbarkeit wird das Gericht über die "Blutfälle" verstanden. In Schwaben handelte es sich dabei im Kern um die drei Sachverhalte des Diebstahls, der Notzucht (Vergewaltigung) und der Tötung. Letzterer wurde bald in Mord und Totschlag differenziert, so dass sich vier Hohe Fälle ergaben. Die Hochgerichtsbarkeit war ein königliches Regal, dessen Ausübung im 13. Jahrhundert endgültig den Fürsten des Reiches bestätigt wurde. In Schwaben übten die Staufer zunächst selbst die Hochgerichtsbarkeit aus. Im Laufe des Spätmittelalters fiel sie zunehmend an die geistlichen und weltlichen Territorien (Fürstbistümer, Reichsstädte), die auf dieser Grundlage häufig Landeshoheit aufzurichten versuchten. Landeshoheit konnten dort allerdings auch Herrschaften erringen, die nur über die Niedergerichtsbarkeit verfügten. In Schwaben war die Landeshoheit somit nicht zwingend mit der Hochgerichtsbarkeit verknüpft. Reichsstiften gelang in der Frühen Neuzeit häufig der Erwerb von Hochgerichtsgerichten, vor allem im 18. Jahrhundert.

Zuständigkeit der Hochgerichte

Unter der Hochgerichtsbarkeit wurde seit dem 12. Jahrhundert in Abgrenzung zur Niedergerichtsbarkeit das Gericht verstanden, das über die "Blutfälle" zu richten hatte. Die Differenzierung dieser "Blutfälle" war dabei regional von etwas unterschiedlicher Akzentsetzung: Während in Franken darunter die "vier hohen Rügen" – nach modernen Begriffen die Delikte Mord/Totschlag, Raub/Diebstahl, Notzucht und Brand – verstanden wurden, war im Bayerischen und Schwäbischen zunächst nur von "drei Sachen" die Rede: Diebstahl, Notzucht und Tötung.

Ausgeübt wurden die Gerichtsrechte zunächst durch den Rechtsträger selbst. Das „Statutum in favorem principum“ Kaiser Friedrichs II. (reg. 1212-1250, Kaiser seit 1220) von 1231/1232 gewährte den Fürsten des Reiches, die Träger königlicher Rechte (Regalien) waren, immerhin die Blutbannleihe an nachgeordnete Richter (postiudices). Hinsichtlich der Kleriker ging Papst Bonifaz VIII. (reg. 1294-1303) ungeachtet der Regel, wonach die Kirche kein Blut vergießt (ecclesia non sitit sanguinem) davon aus, dass sie den Blutbann verleihen konnten und ihnen mithin Blutgerichtsgewalt zustünde. Regelmäßig wurden die kirchlichen Hoheitsträger bevogtet, was freilich dazu führen konnte, dass nicht nur die Trägerschaft der Hochgerichtsrechte selbst in Streit stand, sondern auch die Inhaberschaft der Vogtei.

Hochgerichtsbarkeit und Landesherrschaft

Die Hochgerichtsrechte waren vordergründig zunächst von rein sachlicher Relevanz. Durch sie wurde die gerichtliche Zuständigkeit in den Hohen Fällen konkret bestimmt. Da es sich bei diesen Gerichtsrechten aber um zentrale königlich verliehene Berechtigungen handelte, entwickelten sich die Hochgerichtsrechte zum essentiellen Anknüpfungspunkt für die Erlangung von Landesherrschaft. Hielt man Hochgerichtsrechte inne oder ging man davon aus, solche erworben zu haben, wurde dieser Umstand feierlich dokumentiert: An markanter Stelle wurde in festlicher Handlung der Richtplatz aufgerichtet und feierlich angeklopft. Noch 1781 ist ein solcher Vorgang aus Oberdorf im Hochstift Augsburg bezeugt. Umgekehrt konnte die gewaltsame Fällung des Galgens durch konkurrierende Herrschaftsträger als sichtbares Infragestellen der Hochgerichtsherrschaft erfolgen.

Im heute bayerischen Schwaben lag der Zusammenhang von Landesherrschaft und Hochgericht komplexer als anderswo. Auch hier gab es Herrschaftsträger, deren Landesherrschaft sich nicht zuletzt daran zeigte, dass sie Träger der Hochgerichtsbarkeit waren, beispielsweise das Hochstift Augsburg, das Fürststift Kempten oder die Markgrafschaft Burgau. Deren Blutgerichtsrechte standen zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Zweifel, lediglich die territoriale Reichweite wurde mehrfach zum Streitpunkt. Anders lag der Fall bei aufstrebenden Rechtsträgern, die schwächere Herrschaftsrechte erhalten hatten, Niedergerichtsrechte etwa, und von dieser Grundlage aus den Versuch unternahmen, ihre Rechtsposition zu vervollkommnen und sich aus der Hochgerichtsbarkeit anderer Rechtsinhaber zu lösen.

Seit dem 16. Jahrhundert zeigten die Entwicklungen im Bereich der Hochgerichtsrechte im Gebiet des heutigen Bayerisch-Schwaben zwei gegenläufige Auffälligkeiten: Die bestehenden größeren Herrschaften, deren Hochgerichtsrechte traditionell als anerkannt galten, waren sowohl in ihrem Binnenbereich als auch an ihren territorialen Rändern mit kleineren Herrschaftsträgern, häufig Inhabern von Niedergerichtsrechten, konfrontiert, die das Hochgericht beanspruchten oder anstrebten. Dies waren sowohl kleinere weltliche oder geistliche Herrschaften (als Beispiel mag hier die Abtei Ottobeuren wirken) als auch Reichsstädte, die ihr Territorium arrondieren wollten (man denke etwa an Lindau, Kempten, Kaufbeuren, Memmingen, Augsburg oder Nördlingen), oder landsässige Städte, die eine Beförderung ihrer Autonomie anstrebten. Das Interesse der traditionellen Hochgerichtsherrn mit hinreichend unbestrittener Landesherrschaft musste mithin dahin gehen, eine präzise Differenzierung von Hoch- und Niedergerichtsinhaberschaft erkennbar werden zu lassen. Eine Form ist diejenige des Vertrages, wie sie 1531 etwa zwischen der Stadt Mindelheim und dem frunsbergischen Landesherrn gewählt wurde. Die exakte Fassung der Zuständigkeiten war im heutigen Bayerisch-Schwaben aber die Ausnahme, Kompetenz- und Vorherrschaftskonflikte die Regel. Die Grundtendenz ist in allen Fällen freilich klar erkennbar: Die Hochgerichtsrechte werden nicht mehr vorzüglich personal verstanden, sondern in räumlicher Erstreckung gedacht, es lässt sich von einer "Territorialisierung" der Gerichtsrechte sprechen.

Hochstift Augsburg

Der Bischof von Augsburg war seit dem Frühmittelalter Stadt- und Gerichtsherr in der Stadt Augsburg selbst. Die Ausübung der Gerichtsrechte erfolgte freilich durch Vögte. So lag etwa im Hochmittelalter die Bevogtung des Hochstifts in den Händen der Familie derer von Schwabegg. Nach deren Aussterben zog Kaiser Friedrich Barbarossa (reg. 1152-1190, Kaiser ab 1155) die Vogtei als erledigtes Lehen ein und übertrug sie staufischen Familienangehörigen, die über Untervögte amtierten. König Rudolf von Habsburg (reg. 1273-1291) betrachtete diese Gerichtsrechte als eigentliche Reichsrechte und schlug sie einer Reichslandvogtei zu. Ludwig der Bayer (reg. 1314-1347, Kaiser seit 1328) übertrug dem Augsburger Bischof die Straßvogtei zwischen Lech und Wertach. Während die Bischöfe ihre Rechtspositionen in der Lechstadt selbst schon mit dem Stadtrecht von 1156 beschnitten fanden und mit dem durch Rudolf von Habsburg bestätigten Stadtbuch von 1276 weitgehend verloren, wurde die Straßvogtei, auf deren Grundlage den Bischöfen die Hochgerichtsbarkeit zustand, zur Grundlage der Herrschaft des Hochstifts in jenem Landstreifen. Dieser reichte in seinem Kernbestand etwa von Füssen im Süden bis an die Mauern der Stadt Augsburg.

Das Hochstift Augsburg hatte einerseits mit insässigen Trägern der Niedergerichtsrechte umzugehen andererseits konnte es seine Landesherrschaft mithilfe von Blutbannverleihungen an seine Städte stärken. So wissen wir etwa von keiner Stadtrechtsverleihung vor und um die Wende zur Frühen Neuzeit, die nicht auch die Ausübung des Hochgerichts an die jeweilige Stadt übertragen hätte; Sonthofen hielt den Blutbann offenkundig bereits 1429, die spätere bischöfliche Residenzstadt Dillingen erhielt ihn im Jahr 1431, ebenso Füssen. Marktgemeinden wie Marktoberdorf oder Oberstdorf folgten, wobei teilweise anderweit durch die römisch-deutschen Könige an die Gemeinden verliehene Rechte in die bischöflichen Privilegien eingepasst wurden. Auf der anderen Seite standen die landsässigen Klöster im Hochstift, die regelmäßig Träger von Niedergerichtsrechten waren. Sie waren freilich bestrebt, die Differenzierung ihrer Rechte von denen des bischöflichen Landesherrn im Unklaren zu halten und damit auch das Hochgericht zu beanspruchen. Beispielhaft mögen hier die Zisterzienserinnen von Oberschönenfeld stehen, die bis in das 18. Jahrhundert hinein in hoheitlichen Verlautbarungen die Hohen Fälle nicht zu kennen schienen und unterschiedslos alle Vergehen vor ihr Gericht zu ziehen beabsichtigten.

Fürststift Kempten

Das Kloster Kempten wurde bereits in karolingischer Zeit von den Angehörigen der königlichen Familie mit namhaften Dotationen ausgestattet. Wohl im Jahr 853 wurde aus dem Gau am Alpenrand die Marca Campidonensis, die Kemptener Mark, herausgelöst und die Grafschaftsrechte auf das Kloster übertragen, das aber zunächst bevogtet wurde. Als Vögte amtierten zeitweise Angehörige des welfischen Hauses, zuletzt Angehörige des staufischen. Im Jahr 1218 verkaufte Kaiser Friedrich II. dem Kloster diese Vogteirechte, die ihm im 14. Jahrhundert nochmals bestätigt wurden, womit es die Hochgerichtsbarkeit und deren Ausübung in der Kemptener Mark innehielt. Die Grafschafts- und damit insbesondere die Hochgerichtsrechte wurden zum Fundament der weltlichen Herrschaft des Klosters Kempten, das nach dem Hochstift Augsburg zur zweitgrößten kirchlichen Herrschaft auf dem Gebiet des heutigen Bayerisch-Schwaben aufstieg. Den Bestrebungen unbeschränkter Landesherrschaft der Kemptener Äbte stand zum Ende des Mittelalters aber noch ein Gerichtsinstitut besonderer Prägung entgegen: der "Allgäuische Gebrauch", der 1471 erstmals unter dieser Bezeichnung aufscheint. Gemeint ist damit ein Fortwirken der Gerichtszuständigkeit nach dem Personalitätsprinzip anstatt nach territorial gebildeten Bezirken. Dabei handelte es sich um eine Tradition der älteren Gerichtsformen, die an den personalen Status der Prozessbeteiligten anknüpfte und nicht an einen Wohn-, Geschäfts- oder Tatort. In dieser Prägung war der "Allgäuische Gebrauch" ein merklicher Hemmschuh der Ausbildung von Landesherrschaft der Fürstäbte, die nachhaltig die Überwindung des Gebrauchs – durch Leibeigenentausch etwa – betrieben.

Das Fürststift Kempten ist insoweit eine gewisse Ausnahme im heutigen Bezirk Schwaben, als es seine Hochgerichtsrechte in besonderer Weise zur Grundlage seines Landeshoheitsstrebens machte. Ganz offensichtlich bildete die Hochgerichtsgrenze der Marca Campidonensis die Linie, innerhalb derer die Äbte Territorialherrschaft anstreben. Darüber hinausgreifen wollten sie erkennbar nicht. Förderlich mag dabei gewesen sein, dass es der Abtei noch im Hochmittelalter gelungen war, die Vogtei in die eigenen Hände zu bekommen. Mit Nachdruck betrieben die Äbte den Erwerb aller maßgeblichen Rechte innerhalb des fraglichen Bereichs. Insoweit konnten die Kemptener Äbte ähnlich wie die Augsburger Bischöfe darangehen, ihre Gerichtsherrschaft im Binnenland zu organisieren. Sie taten dies etwa durch Verleihung von Rechten des Blutbanns an vier Marktgemeinden – Buchenberg, Legau, Unterthingau und Martinszell – die die räumliche Ausdehnung des Klosterstaates absteckten. Obergünzburg war bereits seit 1407 mit entsprechenden Rechten ausgestattet worden. In Landesordnungen legten die Äbte neben anderem die Ausübung des Gerichts fest.

Sowohl das Fürststift Kempten als auch das Hochstift Augsburg standen hinsichtlich der Gerichtsbarkeit in Konkurrenz mit dem kaiserlichen Landgericht auf der Leutkircher Heide, das zivilrechtliche Zuständigkeiten hatte und gegen das sich sowohl der Bischof von Augsburg wie der Abt von Kempten zusehends zu wehren begannen. 1542 erreichten beide Herrschaftsträger eine durch den Kaiser ausgesprochene Beschränkung der Gerichtsbarkeit des Landgerichts bei einer Streitwertgrenze von sechs rheinischen Gulden zugunsten der hoch- bzw. fürststiftischen Gerichte, gleichwohl verblieb Konfliktstoff, der durch die beiden kirchlichen Würdenträger unter Berufung nicht zuletzt auf den "Allgäuischen Gebrauch" zu ihren Gunsten beeinflusst wurde.

Markgrafschaft Burgau

In besonderer Weise instruktiv für die Frage, inwieweit Hochgerichtsrechte als Grundlage für Landesherrschaft dienen konnten, ist die Markgrafschaft Burgau: Markgrafen waren hier seit dem 14. Jahrhundert Angehörige des Hauses Habsburg, die sich zur Begründung ihrer landesherrlichen Stellung zunächst auf die traditionellen Rechte als Grafen und damit als regionale Gerichtsherrn stützten. Damit fanden sie aber am Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit zusehends weniger Gehör, weswegen sie ihren Anspruch auf eine Vielzahl von Rechten zurückführten: Forsthoheit, Geleits- und Appellationszug, Religionshoheit, Judenschutz, Zoll- und Steuerrechte. Eine wesentliche Position unter den habsburgischen Rechten in der Markgrafschaft nahmen die Hochgerichtsrechte ein, um die herum sich die übrigen gruppierten.

Ein Privileg des Habsburgers und römisch-deutschen Königs Maximilian I. (reg. 1486-1519, Kaiser seit 1508) aus dem Jahr 1492 stellte klar, dass die vier Hohen Fälle (Mord, Totschlag, Brandstiftung, Diebstahl) dem Landrichter der Markgrafschaft zugewiesen waren. Aber schon die Verfolgung dieser Hohen Fälle lag nicht allein in den Händen des markgräflichen Hochgerichts, sondern hatte die unterschiedlich ausgestalteten Niedergerichte der Region zu respektieren und einzubinden. Diskussion über die territoriale Reichweite der Gerichtsrechte kam hinzu. Immerhin erreichten die habsburgischen Markgrafen aber die Zustimmung ihrer Landsassen, dass ab 1587 vorläufig, ab 1653 dauerhaft die Hochgerichtsrechte über die vier Hohen Fälle hinausgreifen sollten und etwa auch bei Raub, Fälschung, Majestätsbeleidigung und Unkeuschheit greifen konnten, wobei teilweise eine Mischgerichtsbarkeit mit den Niedergerichtsherrn bestand.

An anderer Stelle vermochten es die Habsburger, aus einer kaiserlichen Rechtsposition jedoch unmittelbaren Nutzen zu ziehen: Ludwig der Bayer hatte im südlichen Schwaben das Landgericht Marstetten als Gericht für die Landvogtei Oberschwaben errichtet. Die Wittelsbacher hatten dieses Gericht auf der Leutkircher Heide als Reichslehen inne, freilich mehrfach verpfändet. Spätestens 1489 wurde dieses Gericht aber in das habsburgische Weißenhorn verlegt und zu einem landesherrlichen Obergericht umgewidmet. Insoweit liegt hier ein besonders augenfälliger Fall von Territorialisierung von Gerichtsrechten – in diesem Fall durch das Kaiserhaus selbst – vor.

Reichsstädte in Schwaben

Augsburg löste sich seit dem 12. Jahrhundert allmählich aus der Stadtherrschaft der Bischöfe; wesentliche Wegmarken waren die Stadtrechte von 1156 und von 1276, die beide gerade die Gerichtsrechte zwischen Stadtherrschaft und Einwohnerschaft teilten. Der bischöfliche Burggraf büßte schrittweise seine zentrale Rolle ein, der Vogt begann zentral zu dominieren. Nach dem Aussterben der Vögte aus dem Hause derer von Schwabegg setzten die Staufer für die Stadt Augsburg einen eigenen Stadtvogt und für das Umland einen Landvogt ein. Der Stadtvogt übte die Hochgerichtsrechte innerhalb der Stadt Augsburg aus. Ihm zur Seite fungierten Urteilsratgeben aus der Einwohnerschaft, denen es gelang, den Vogt zusehends in eine repräsentative Rolle zu drängen und die Gerichtsbarkeit, namentlich die Hochgerichtsbarkeit, unmittelbar auszuüben.

In der Frühen Neuzeit wurde die Funktion als Reichs=Stadt=Vogtei=Amt in die städtische Ratshierarchie eingegliedert und spielte nur mehr eine bescheidene Rolle im Registerrecht. Die Hochgerichtsrechte lagen nun beim Rat. Der städtische Richtplatz lag markant nordwestlich der Stadt im heutigen Stadtteil Kriegshaber, noch heute durch das Sträßlein "Im Galgental" markiert.

In Ähnlich derjenigen in der Reichsstadt Augsburg scheint die Entwicklung in Kempten verlaufen zu sein. Auch hier waren die Vogteirechte, deren wesentlicher Bestandteil auch das Gericht über die Hohen Fälle war, Anknüpfungspunkt für städtische Autonomie. König Rudolf von Habsburg verbriefte der Stadt 1289 ausdrücklich, dass er der alleinig rechtmäßige Vogt der Stadt sei. Damit löste er die Stadt aus der Gerichtsbarkeit des Klosters, das sich 1218 die Vogteirechte in der Grafschaft Kempten gesichert hatte. Hier lag der Nukleus der Ratsgerichtsbarkeit, die frühneuzeitlich gerade auch die Hochgerichtsbarkeit ausübte, auch wenn der Rechtsbestand der Stadt bis zum Großen Kauf des Jahres 1525 umstritten blieb.

In entsprechender Weise wie in Augsburg oder Kempten verlief die Entwicklung in den meisten schwäbischen Reichsstädten: Über die Einsetzung von Stadtvögten löste der König, recht häufig Rudolf von Habsburg, einzelne Städte organisatorisch aus der Gerichtsherrschaft der sie umgebenden Region heraus. Die Städte gewannen Einfluss auf die praktische Ausübung gerade der hohen Gerichtsbarkeit. Im Spätmittelalter erhielten die Städte dann häufig eine ausdrückliche Bestätigung ihrer Hochgerichtsbarkeit, so geschehen in Memmingen (1403/1438) oder Nördlingen (1437).

Die Reichsstädte im heute bayerischen Schwaben hatten sich somit im Hoch- und Spätmittelalter nicht zuletzt durch Erwerb der hohen Gerichtsrechte als solche herausgebildet. Neuzeitlich bemühten sich diese Kommunen im Binnenverhältnis um eine differenzierte Organisation des Gerichtswesens, wobei das Hochgericht in der Regel durch den Rat selbst ausgeübt wurde. In Augsburg war es ein vom Rat gebildeter Ausschuss, der als Stadt=Gericht amtierte.

Nach außen hin versuchten die Reichsstädte, ihre Gerichtsrechte über die eigentliche Stadt hinaus zur Geltung zu bringen, was sie notwendig in Konflikt mit den kirchlichen und säkularen Herrschaftsträgern der Nachbarschaft gebracht hat. Regelmäßig gingen im heutigen Bayerisch-Schwaben daraus die Reichsstädte als Verlierer hervor. Eine Ausnahme bildet etwa die Inselstadt Lindau, der es gelang, in den sogenannten Inneren Gerichten – den unmittelbar an die Stadt grenzenden Landstrichen – volle Gerichtsrechte, in den Äußeren Gerichten eine Mischgerichtsbarkeit mit den Grafen von Montfort durchzusetzen.

Kleinere kirchliche Herrschaften - das Beispiel Ottobeuren

Von besonderer Anschaulichkeit für die Verflechtung von Rechtstiteln und ihrer jeweiligen Anschauung im Hinblick auf das Hochgericht und die Landeshoheit ist das Beispiel der Reichsabtei Ottobeuren. Dass die Abtei im Hochmittelalter aus altem Herkommen heraus auch die Blutgerichtsrechte hielt, war unumstritten. Ausgeübt wurden sie durch Vögte. Die Vogtei lag zeitweise bei den Staufern, wurde unter Rudolf von Habsburg der Reichslandvogtei zugeordnet, unter Ludwig dem Bayern aber 1335 verpfändet. 1356 erwarb der Bischof von Augsburg das Pfand, auf dessen Grundlage das Hochstift in der Folgezeit Rechte über Ottobeuren auszuüben begann, die echter Landeshoheit nahekamen. Erst im 16. Jahrhundert begann man in Ottobeuren gegen die als angemaßt empfundenen Rechte der Augsburger Bischöfe zu opponieren und schaltete lokale Autoritäten ebenso ein wie solche des Reiches. Es dauerte insgesamt etwa 300 Jahre, bis es der Ottobeurer Abtei gelang, sich aus dem Augsburger Zugriff zu lösen. Es begann bescheiden mit der Verleihung von punktuellen Blutbannrechten durch den Kaiser und endete mit dem formalen Rückkauf der Vogteirechte im Jahre 1710. Die Reichsabtei Ottobeuren konnte erst ab diesem Zeitpunkt formal Rechte ausüben, die ihr seit alters her zustanden. Die Inhaberschaft der Hochgerichtsbarkeit war das eine, ihre faktische Ausübung offenkundig etwas anderes.

Literatur

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Peter Kreutz, Hochgerichtsbarkeit in Schwaben, publiziert am 21.06.2016; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <nowiki><http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Hochgerichtsbarkeit_in_Schwaben> (9.10.2024)