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Gebietsreform

Aus Historisches Lexikon Bayerns

von Julia Mattern

Zwischen 1969 und 1978 wurde in Bayern eine umfassende kommunale Gebietsreform durchgeführt. Diese bestand aus einer Gemeindegebietsreform, einer Landkreisreform und einer Funktionalreform. Unter der Leitung von Innenminister Bruno Merk (CSU, 1922–2013, Innenminister 1966–1977) wurde die Landkarte Bayerns entscheidend verändert: Die Zahl der Gemeinden wurde von 7.073 auf 2.052 reduziert, die der Landkreise von 143 auf 71 und die der kreisfreien Städte von 48 auf 25. Besonders betroffen waren die kleinen ländlichen Gemeinden, von denen es in Bayern bis dahin eine große Zahl gegeben hatte. Die Reform stieß jedoch vielerorts auf Widerstand, insbesondere in Gemeinden, die anderen Gemeinden angegliedert werden sollten. Besonders öffentlichkeitswirksam wurde der Protest in der unterfränkischen Gemeinde Ermershausen geführt. Die Reform war 1980 offiziell beendet.

Kommunale Selbstverwaltung in Bayern seit dem frühen 19. Jahrhundert

Karte der Kreiseinteilung Bayerns von 1808, München 1808. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Kartensammlung 732)

Seit dem Ende der Villikation (Hofverband) im Hochmittelalter hatte es im bayerischen Raum Dorfgemeinden gegeben. Mit den Gemeindeedikten von 1808 und der Gemeindeordnung von 1818 gab die Regierung den bayerischen Gemeinden, wie auch denen der neu hinzugekommenen schwäbischen und fränkischen Landesteile, eine neue rechtliche Grundlage. Die Gemeinden bekamen das Recht auf eine beschränkte Selbstverwaltung zugestanden und ihre Zahl wurde von rund 40.000 auf circa 7.000 reduziert. Aus der seit 1816 zu Bayern gehörenden Pfalz übernahm Bayern 1828 die Einrichtung des Landrates als Gremium, des späteren Bezirkstages, für das rechtsrheinische Bayern.

1852 konnte nach der Auflösung der Patrimonial- und Herrschaftsgerichte 1848/49 auch die rechtliche Grundlage für die dritte, mittlere kommunale Ebene in Bayern, die der späteren Landkreise, geschaffen werden, die nun im Sprengel der Landgerichte gebildet werden konnten. Mit der Trennung von Justiz und Verwaltung auf der unteren Ebene schuf die Regierung 1862 aus den Landgerichten älterer Ordnung die Bezirksämter. Die neue Gemeindeordnung von 1869 schrieb die Selbstverwaltung der Gemeinden erneut fest und führte für den eigenen Wirkungsbereich das Prinzip der Allzuständigkeit der Gemeinden ein.

Nach dem Ende der Monarchie in Bayern erließ die Regierung zwar am 22. Mai 1919 ein Gesetz über die gemeindliche Selbstverwaltung (GVBl S. 239), jedoch erst 1927 eine neue Gemeindeordnung. Die neue Gesetzeslage brachte für die Gemeinden die Einschränkung der Staatsaufsicht sowie die Gleichstellung von Stadt- und Landgemeinden. Darüber hinaus stärkte es besonders die Position des Gemeinderates.

Die Gleichschaltungsgesetze von 1933 und die Deutsche Gemeindeordnung von 1935 beseitigten diese Errungenschaften wieder. Nach der Deutschen Gemeindeordnung ernannten nun Beauftragte der NSDAP Bürgermeister und Gemeinderäte. Eine Wahl durch die Bürger entfiel. Der Bürgermeister war nach dem Führerprinzip alleiniger Leiter der Gemeinde. Den Gemeinderäten oblag lediglich die Rolle eines Beratergremiums.

Nach dem Entzug bedeutender Rechte in der NS-Zeit wurden 1946 die bayerischen Gemeinden gestärkt, als in der Bayerischen Verfassung (BV) ihr Selbstverwaltungsrecht und ihre grundlegende Bedeutung für den Aufbau der Demokratie von unten nach oben festgeschrieben wurden. Die 1952 erlassene Gemeindeordnung (GO) hielt dann die Rechte und Aufgaben der Gemeinden, die ihnen teilweise bereits 1919 zugesprochen worden waren - und die bereits praktiziert wurden -, genauer fest, so den allzuständigen Rat, den direkt gewählten Bürgermeister und die Selbstverwaltung im eigenen Wirkungskreis. Dazu führte die Gemeindeordnung mit der Pflicht zu einer jährlichen Bürgerversammlung neue Elemente der direkten Demokratie ein. Ebenso erging 1952 eine Landkreisordnung (LKrO), wonach Landrat und Landratsamt jeweils eine Doppelfunktion ausüben: Beide sind sowohl in der unteren staatlichen Verwaltung tätig als auch in der Kommunalverwaltung des Kreises, wozu der Landrat von den Bürgern des Kreises direkt gewählt wird.

Die Entwicklung der Dorf- und Gemeindeordnungen zeugt von einem langen Weg zu grundlegenden Rechten der gemeindlichen Selbstverwaltung, die Bayern für die Kommunen zuletzt mit der Gemeindeordnung 1952 definierte. Diese Gemeindeordnung sah jedoch auch die Möglichkeit vor, zwar nicht die gemeindliche Selbstverwaltung, jedoch die Zahl der Gemeinden zu ändern. Wenn hierfür dringende Gründe des öffentlichen Wohls vorlagen, sollte dies sogar gegen den Willen der betroffenen Gemeinden geschehen können.

Zielvorstellungen und Kriterien zur Gebietsreform

In Bayern begann die Gebietsreform 1969. Sie basierte jedoch auf Vorarbeiten und Vorstellungen, die mehrere Jahrzehnte zurückreichten. Ein wichtiger Gedanke war die Vorstellung der Verwaltungsvereinfachung, die bereits aus den 1920er Jahren stammte und von der Arbeitsgemeinschaft für Staatsvereinfachung in Bayern in den 1950er Jahren aufgegriffen wurde. Diese Arbeitsgemeinschaft erörterte auch Fragen zur Gebietsreform und brachte 1955 und 1957 die nach ihrem Leiter Ottmar Kollmann (1886–1969, Präsident des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs 1950–1954) benannten "Kollmann-Gutachten" heraus. Ähnliche Anstöße gab auch 1959 der damalige Innenminister Alfons Goppel (CSU, 1905–1991, Innenminister 1958–1962, Ministerpräsident 1962–1978), der für eine territoriale Verwaltungsvereinfachung eintrat.

Ein weiterer Grundstein der Gebietsreform war die Idee vom System der zentralen Orte, die der Geograph Walter Christaller (1893–1969) in den 1930er Jahren nach dem Führerprinzip entworfen hatte und die in Gebieten östlich der Oder Anfang der 1940er Jahre erstmals umgesetzt wurde. Demnach sollten alle Orte in ein System eingereiht werden, das sie nach dem Stand ihrer infrastrukturellen und wirtschaftlichen Ausstattung und nach ihrer Funktion für ihr Umland, also nach "führenden und folgenden Siedlungseinheiten", unterschied. Dieses System, dass die meisten Orte als "nicht-zentral" abqualifizierte, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in allen westdeutschen Ländern zu einer wichtigen Grundlage der staatlichen Raumordnung.

Aufbauend auf seinen Ideen aus den 1950er Jahren kündigte Ministerpräsident Goppel in seiner Regierungserklärung am 25. Januar 1967 eine Gebietsreform an und beschrieb auch erste Ideen, wie die Bestellung eines Beratergremiums aus Verwaltung und Wirtschaft, das seine Ergebnisse 1968 und 1970 vorlegte. Ebenso kam unter Innenminister Bruno Merk (CSU, 1922–2013, Innenminister 1966–1977) eine Arbeitsgruppe zur Kommunalverwaltungsreform zusammen, die 1968 ihre Resultate präsentierte.

Insgesamt basierte so die Gebietsreform in Bayern nicht auf den Vorstellungen einer wissenschaftlichen Kommission, wie das in anderen deutschen Ländern der Fall war, sondern auf mehreren Gutachten und Meinungen verschiedener Gruppen aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft. Reformer, wissenschaftliche Berater und berufene Experten vertraten die Meinung, dass in Bayern eine Gebietsreform durchgeführt werden sollte, vor allem, weil sich seit den 1950er Jahren die Lebensverhältnisse im ländlichen Raum Bayerns stark gewandelt hätten. Die Bürger hätten nun gestiegene Ansprüche an die Verwaltung. Auch seien die öffentlichen Aufgaben deutlich ausgeweitet worden, was besonders kleine Gemeinden mit ihren wenig geschulten Verwaltungskräften und den ehrenamtlichen Bürgermeistern überfordern würde. Die finanzielle Ausstattung der Landgemeinden sei zu gering, der Einsatz moderner Technik nicht rentabel durchführbar. Die großen Ziele der Reform müssten sein, so die Vorstellungen der Reformer weiter, eine Steigerung von Effektivität und Wirtschaftlichkeit der Verwaltung durch den Einsatz von hauptamtlichem Personal und modernen Hilfsmitteln sowie eine größere Bürgernähe durch die Verlagerung staatlicher Aufgaben von den Landkreisen auf die künftig finanziell besser ausgestatteten Gemeinden. Insgesamt sollte die kommunale Selbstverwaltung auf allen Ebenen gestärkt werden.

Vor allem die Lebensverhältnisse im ländlichen Raum müssten verbessert werden, denn die Bürger hätten ein Recht darauf, überall auf dem Land den städtischen gleichwertige Lebensbedingungen vorzufinden. Unausgesprochen sollte damit auch der Abwanderung vom Land in die Städte entgegen gesteuert werden. Mit diesen gleichwertigen Lebensbedingungen waren Bildungseinrichtungen wie Kindergärten und Schulen, Versorgungssysteme für Wasser und Abwasser, Sportstätten oder auch Verkehrsinfrastrukturen gemeint. Wie Ministerpräsident Alfons Goppel in seiner Regierungserklärung am 27. Januar 1971 erklärte, sei dazu eine Gebietsreform unumgänglich.

Weitere Zielvorstellungen und Kriterien formulierten die Reformer im Innenministerium vor allem für die beiden großen Reformen innerhalb des Gebietsreformpakets, für die Reform der Landkreise und kreisfreien Städte und für die Gemeindegebietsreform. Als einzige numerische Vorgabe legten die Planer für beide Reformen jeweils Einwohnerzahlen fest. Bei den Landkreisen stellten sich die Reformer nach Untersuchungen zur optimalen Größe dieser Gebietskörperschaften eine Einwohnerzahl von 80.000 vor und bei den kreisfreien Städten eine Einwohnerzahl zwischen 25.000 und 50.000. Eigenständige Gemeinden sollten mindestens 5.000 Einwohner haben, Mitgliedsgemeinden von Verwaltungsgemeinschaften mindestens 1.000 Einwohner. Die Verwaltungsgemeinschaft sollte ein Zusammenschluss benachbarter kreisangehöriger Gemeinden werden. Im Gegensatz zur Einheits- oder Gesamtgemeinde – beides Begriffe für eine Gemeinde, die im Zuge der Gebietsreform andere Gemeinden eingemeindete – blieben die Mitgliedsgemeinden einer Verwaltungsgemeinschaft rechtlich und politisch eigenständig und behielten Bürgermeister und Gemeinderat. Nur die Verwaltungsgeschäfte der Gemeinden erfüllten nun in der Verwaltungsgemeinschaft hauptamtliche Kräfte für alle Mitgliedsgemeinden gemeinsam.

Weitere Ziele der Kreisreform waren die Einheit von Lebens-, Verwaltungs- und Investitionsraum sowie die Einräumigkeit der Verwaltung, was bedeutete, dass die verschiedenen Behörden und Gerichte den gleichen Zuständigkeitsbereich haben sollten. Ferner sollte die Ausdehnung des neuen Kreises nur so weit gehen, dass es jedem Bewohner möglich sei, mit den vorhandenen öffentlichen Verkehrsmitteln einen Besuch im Landratsamt an höchstens einem halben Tag zu verwirklichen. Und es sollten kulturelle, historische und stammesmäßige Zusammenhänge Berücksichtigung finden. Diese übrigen Ziele waren jedoch, bis auf die Entfernung zum Landratsamt, nicht quantifizierbar, was Platz für Handlungsspielräume der Reformer in den verschiedenen Landkreisen ließ.

Bei der Gemeindegebietsreform stand dagegen vor allem das Argument der Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung im Vordergrund. Es sollten daher so große Gemeinden gebildet werden, dass diese in der Lage wären, ihre Grundausstattung mit den vorhandenen personellen und finanziellen Mitteln selbst tragen und effizient nutzen zu können. Die Gemeinden sollten nach Kriterien der späteren Leistungsfähigkeit, der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verflechtungsräume, der Überschaubarkeit des Raumes und vorhandenen Ansatzpunkten der Integration neu gebildet werden. Die Verwaltung sollte bürgernah sein und ohne die Hilfe von Zweckverbänden ihre Aufgaben erfüllen können.

Neben der Reform der Landkreise und Gemeinden war auch eine Funktionalreform Teil des Gebietsreformpakets. Ihr Ziel war die Neuverteilung der Verwaltungsaufgaben nach dem Subsidiaritätsprinzip, um die Verwaltungsarbeit der Behörden zu rationalisieren, die Personalkosten zu senken und die Verwaltungsverfahren zu vereinfachen. Die Ministerien sollten sich auf Führungsaufgaben beschränken, die Mittelebene und die erstinstanzlichen Entscheidungsträger gestärkt werden. Dazu sollten vor allem publikumsintensive Zuständigkeiten und Aufgaben soweit möglich von den Landkreisen an die Gemeinden abgegeben werden.

Helmut Rothemund (SPD, 1929–2004, MdL 1962–1992). (Bildarchiv Bayerischer Landtag)

Einen anderen Plan sah dagegen die Landtagsfraktion der SPD unter ihrem stellvertretenden Landesvorsitzenden Helmut Rothemund (SPD, 1929–2004, MdL 1962–1992) vor. Nach dem sogenannten "Rothemund-Plan" sollte Bayern seinen vierstufigen Verwaltungsaufbau mit Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und der staatlichen Ebene zugunsten eines dreistufigen Aufbaus aufgeben, der neben Gemeinden und der Staatsebene nur noch Verwaltungsregionen kannte. Diese Verwaltungsregionen sollten die Aufgaben der Landkreise und Bezirke übernehmen. Das Modell der SPD konnte sich jedoch aufgrund der CSU-Mehrheit im Landtag nicht durchsetzen.

Gebietsreformen in anderen Ländern und europäischen Staaten

Den Startschuss für Gebietsreformen in der Bundesrepublik Deutschland gab im April 1965 das Bundesraumordnungsgesetz (ROG; BGBl. I 1965, 306), wonach mehrere Länder begannen, entsprechende Beratergremien zu bilden und Planungen auf den Weg zu bringen. Als erstes begann Rheinland-Pfalz noch 1965 mit der Reform, andere Länder folgten bald. Gab es bei Fragen zur Notwendigkeit einer Reform nur wenig Unterschiede, kam es in den Ländern doch zu unterschiedlichen Ausrichtungen der Reformvorhaben. Im Gegensatz zum im bundesweiten Vergleich in weiten Teilen ländlichen Bayern, das vor allem die Landkreise und Gemeinden mit seiner Reform im Blick hatte, sah beispielsweise Nordrhein-Westfalen mit seinen großen Ballungszentren eine zentrale Aufgabe in der Lösung des Stadt-Umland-Problems.

Bei den Ergebnissen der Reform können deutliche Unterschiede festgestellt werden: Bayern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg führten Formen von Gemeindeverbänden ein, die die grundsätzliche Selbständigkeit der Mitgliedsgemeinden bewahrten. Das bedeutete aber nur in Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz auch den weitgehenden Schutz kleiner Gemeinden. In Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen gingen trotz dieser – unterschiedlich benannten und auch mit unterschiedlichen Aufgaben ausgestatteten – Gemeindeverbände vielfach kleine Gemeinden in sogenannten Einheitsgemeinden auf und verloren damit ihre politische Eigenständigkeit.

Nach der Wiedervereinigung 1990 führten auch die neuen Länder im Osten Deutschlands Gebietsreformen durch, zunächst vor allem auf Ebene der Kreise, später auch auf Gemeindeebene, wobei man sich an westdeutschen Vorbildern orientierte und teilweise Gemeindeverbände, je nach Übertragbarkeit auf die eigenen Verhältnisse, übernahm.

Aber nicht nur in Deutschland, auch in verschiedenen anderen europäischen Staaten gab es Gebietsreformen, so beispielsweise in Schweden, Dänemark, Belgien, England und Österreich. Deren Regierungen führten ab Mitte der 1960er Jahre planmäßige Gebietsreformen durch, wobei sie die Zahl ihrer Gemeinden um gut zwei Drittel verringerten. Nach wenigen Jahren, in denen die Gemeinden sich freiwillig zusammenschließen sollten, wurden auch Zwangszusammenlegungen vorgenommen. In den Niederlanden, Norwegen und Finnland gab es ebenfalls vermehrt Gemeindezusammenschlüsse, wenn auch keine zentral koordinierte Gebietsreform. Dagegen kam es in der Schweiz mit seinem stark verankerten Prinzip des Föderalismus, aber auch in Frankreich, hier auch aufgrund der starken Ablehnung der Gebietsreform durch die Bevölkerung, nur zu wenigen Gemeindevereinigungen.

Während die Neugliederungspläne anderer Länder der Bundesrepublik Deutschland in den bayerischen Neuordnungsplänen bei den vorgesehenen Einwohnerzahlen der Landkreise genannt wurden, fanden die Reformpläne anderer Staaten in Bayern keine besondere Berücksichtigung. In den bayerischen Reformplänen sind die deutlich höheren Vergleichszahlen anderer Länder vor allem dazu erwähnt, um die Mäßigung bayerischer Reformvorhaben hervorzuheben.

Zeitplan und Durchführung der Gebietsreform

Die Gemeindefinanzreform, die die kommunalen Finanzen kräftigen sollte, leitete 1969 die Gebietsreform in Bayern ein. Nach dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Staat, Gemeinden und Gemeindeverbänden (Finanzausgleichsgesetz - FAG; GVBl. 1969, 65) vom 24. März 1969 förderte Bayern nun Zusammenschlüsse von Gemeinden, womit de facto die Gebietsreform in Bayern begann.

Zunächst wandten sich die Reformer im Innenministerium jedoch der Landkreisreform zu, die mit erhöhter Geschwindigkeit bis zur Kommunalwahl 1972 durchgeführt werden sollte. Mit der einfacher erscheinenden Landkreisreform wollte man das Reformwerk frühzeitig absichern, bevor die Gemeindereform durchgesetzt werden sollte.

Für die Landkreisreform erstellten ab Herbst 1970 die Arbeitsgruppe "Gebietsreform" im Innenministerium und nach Anweisung des Innenministeriums ab 1971 die sieben Bezirksregierungen Vorschläge für eine Neugliederung der Landkreise. Anhand dieser Vorschläge erarbeitete das Innenministerium einen Gesamtplan, den es den Gemeinden, Kreisen und Bezirken in zwei Anhörungsverfahren vorlegte.

Die Durchführung der Landkreisreform beschloss der Landtag schließlich am 9. November 1971. Am 27. Dezember 1971 trat die Verordnung über die Neugliederung Bayerns in Landkreise und kreisfreie Städte in Kraft. Damit reduzierte sich am 1. Juli 1972 die Zahl der Landkreise von 143 auf 71, die Zahl der kreisfreien Städte von 48 auf 25. Für ehemals kreisfreie Städte war im Zweiten Gesetz zur Stärkung der Kommunalen Selbstverwaltung vom 15. Dezember 1971 (GVBl. 1971, 450) der Status einer Großen Kreisstadt neu in die bayerische Kommunallandschaft eingeführt worden.

Mit der Neuabgrenzung von Landkreisen und Gemeinden führte Bayern gleichzeitig eine Bezirksreform durch. Die Regierungsbezirke an sich und ihre Anzahl wurden zwar nach dem Willen der Staatsregierung nicht angetastet, die Veränderung einiger Bezirksgrenzen erregte jedoch teilweise deutlichen Protest: Stadt und Landkreis Eichstätt kamen vom Regierungsbezirk Mittelfranken nach Oberbayern, das zuvor im Regierungsbezirk Schwaben gelegene Neuburg an der Donau nach Oberbayern, die oberbayerischen Orte Friedberg und Aichach hingegen nach Schwaben.

Die Gemeindegebietsreform, die ja bereits seit der Finanzreform 1969 in Gang war, sollte zunächst auf freiwilliger Basis von den betroffenen Gemeinden umgesetzt werden. Diese sog. "Freiwilligkeitsphase" lief bis zum 1. Januar 1976. Fassten die Gemeinden bis zu diesem Datum Eingemeindungsbeschlüsse nach den Vorgaben des Innenministeriums, konnten sie mit finanziellen Zuschüssen rechnen, andernfalls wurden die Zuschüsse gestrichen. Diese Maßnahmen als "freiwillige Zusammenschlüsse" zu bezeichnen, war also wenig mehr als eine beschönigende Umschreibung für den Druck, dem die Gemeinden ausgesetzt waren. Bis 1972 beschlossen so über 2.000 Gemeinden die Eingemeindung, um die versprochenen Gelder zu erhalten. Ab dem 27. Januar 1971 war zudem die Bildung von Verwaltungsgemeinschaften möglich. Bis Januar 1976 hatte sich die Zahl der Gemeinden von 7.073 auf 4.045 reduziert.

Ab 1976 erfolgten Eingemeindungen auf dem Verordnungswege, wobei Gemeinden auch gegen ihren Willen unter Zwang eingemeindet werden konnten. Zum Gefühl des Zwanges bei den betroffenen Gemeinden trug zudem bei, dass sie nur formal ein Mitspracherecht über ihr Fortbestehen hatten. Wie bereits bei der Landkreisreform gab es auch bei der Gemeindegebietsreform zwei Anhörungsphasen, die allerdings jeweils sehr kurz gefasst waren (über die Sommerpause und Urlaubszeit vom 1. Juli 1975 bis zum 15. September 1975). Sie dienten lediglich zur Meinungsäußerung der Gemeinden. Ein wirkliches Mitspracherecht hatten die Gemeinden nicht, denn auch ein Veto ihrerseits konnte ihre Auflösung nicht in jedem Fall verhindern.

Insgesamt konnte sich so auch mit Blick auf die Landkreisreform durchaus der Eindruck aufdrängen, dass die gesamte Gebietsreform gehetzt und ohne ausreichende Partizipation der Betroffenen durchgeführt werden sollte. Zum Ende der Amtsphase und der offiziellen Gebietsreform am 1. Mai 1978 zählte Bayern schließlich nur noch 2.052 Gemeinden. Davon waren 25 kreisfreie Städte, 740 kreisangehörige Gemeinden und 1.287 Mitgliedsgemeinden in 393 Verwaltungsgemeinschaften. Damit hatte Bayern im Vergleich mit anderen Ländern der Bundesrepublik die meisten Gemeinden verloren, nämlich 5.021.

In der gesamten Bundesrepublik waren durch die Gebietsreform von 24.282 Gemeinden lediglich 8.409 Gemeinden übrig geblieben, was einer Auflösung von rund 65 % aller Gemeinden entsprach. Relativ gesehen hatte das Saarland die meisten Gemeinden verloren, nämlich 85,6 %, in Bayern waren es 71 %.

In der sog. Nachkorrekturphase ab 1978 nahm der neue Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU, 1915–1988, Ministerpräsident 1978–1988), wie bereits von ihm im Wahlkampf angekündigt, eine Korrektur der Gebietsreform vor, allerdings nur auf Gemeindeebene und auch nur für Mitgliedsgemeinden in Verwaltungsgemeinschaften, die wieder daraus ausscheiden wollten. Da nun eine Veränderung der Kriterien für die Gemeindegebietsreform zugrunde gelegt wurde, nämlich eine Absenkung der Mindesteinwohnerzahl für Einheitsgemeinden auf 2.000 Einwohner, die Leistungskraft der Gemeinden wohlwollender beurteilt und dabei auch der Wille der Gemeinde zur ordentlichen Aufgabenerfüllung beachtet wurde, konnten 202 Gemeinden wieder aus Verwaltungsgemeinschaften entlassen werden.

Die offizielle Nachkorrekturphase wurde mit dem "Gesetz über die Änderung der Zugehörigkeit von Gemeinden zu Verwaltungsgemeinschaften" (GVBl. 1979, 222) vom 10. August 1979 zum 1. Januar 1980 beendet. Durch Gerichtsentscheide veränderte sich die Zahl der Verwaltungsgemeinschaften und ihrer Mitgliedsgemeinden aber weiter, wenn auch nur geringfügig. Zwischen 1978 und 1983 hatte sich die Zahl der Verwaltungsgemeinschaften von 393 auf 345 vermindert, die Zahl der Mitgliedsgemeinden darin von 1.287 auf 1.085.

Protest und Widerstand gegen die Gebietsreform

Aber nicht nur durch Nachkorrekturmaßnahmen, sondern auch auf dem Rechtsweg versuchten die Betroffenen die Reformentscheidungen rückgängig zu machen: Klagen, die sich gegen einzelne Maßnahmen richteten, reichten Gemeinden sowohl beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof (VfGHG) als auch beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) ein. Dazu kamen die vielen unterschiedlichen Proteste und Protestaktionen, die Gemeinden und Kreise, teilweise einzeln, teilweise im Verbund, zu bestimmten Phasen der Gebietsreform mehr oder weniger spektakulär vorbrachten. Als besonders dramatisch inszenierte Protestaktion kann der Widerstand der unterfränkischen Gemeinde Ermershausen gegen ihre Eingemeindung in das benachbarte Maroldsweisach (beide Lkr. Haßberge) gewertet werden. Nach jahrelangen Protesten konnte Ermershausen 1994 wieder die Selbständigkeit erlangen.

Auch setzten sich zwei überörtliche Protestgruppen gegen die Kreisreform wie gegen die Gemeindereform zur Wehr: Die "Arbeitsgemeinschaft für die Gebietsreform von Landkreisen und kreisfreien Städten" (bekannter unter "Riedenburger Kreis"), in der sich neben engagierten Bürgern auch 60 Landräte zusammengeschlossen hatten, strengte 1971 ein letztlich gescheitertes Volksbegehren gegen Maßnahmen der Kreisreform an. Dieses richtete sich unter anderem gegen das Vorgehen der Regierung, die Kreisreform mit Verordnungen und nicht, wie in anderen Ländern üblich, mit einem Gesetz durchzuführen, wodurch in Bayern der Landtag nicht gehört werden musste. Die "Aktionsgemeinschaft demokratische Gemeindegebietsreform Bayern" (auch "Türkenfelder Kreis"), die am 22. Januar 1976, also nach der Freiwilligkeitsphase der Gemeindegebietsreform, gegründet worden war, versuchte ebenfalls ein Volksbegehren gegen die Gemeindereform in Gang zu bringen, das aber nicht zugelassen wurde.

Weniger öffentlichkeitswirksam, aber nicht weniger stark wehrten sich auch viele andere Mandatsträger und Bürger betroffener Gemeinden und Kreise. Grundsätzlich lag den Protesten die Empörung der Bevölkerung wie auch der politisch Verantwortlichen zugrunde, in zu geringem Maße an der Gebietsreform beteiligt worden zu sein. Gemeinderatsbeschlüsse und Bürgerbefragungen waren, wenn sie den Reformvorstellungen entgegenstanden, teilweise nicht berücksichtigt, der Wille der Betroffenen zu wenig beachtet worden.

Aber die Menschen wehrten sich auch gegen die Gebietsreform, weil sie den Verlust des eigenen demokratischen wie politischen Erfahrungs- und Entfaltungsraumes, der örtlichen Identität, den Verlust an Partizipation und oft auch den Verlust ihres Amtes oder des kommunalen Vermögens befürchteten.

Es gab aber auch lokale Befürworter der Gebietsreform. Dies waren oft vor allem die Gemeinden, die andere Gemeinden aufnehmen sollten und dazu gerne bereit waren. Befürworter der Gebietsreform konnten aber auch Gemeindepolitiker sein, die gerne einem vergrößerten Rat angehören oder auch die Finanzspritzen, die mit der Eingemeindung verbunden waren, nutzen wollten, oder auch örtliche Firmen, die gerne einen größeren und unter Umständen bekannteren Ort im Firmennamen führen wollten.

Ergebnisse der Gebietsreform

Die Gebietsreform stärkte die Verwaltung und die Leistungskraft der neuen Großgemeinden. Deutlich geschwächt wurde jedoch die Selbstverwaltung der Gemeinden, die man den zu Gemeindeteilen herabgesunkenen Dörfern genommen hatte. Für die Bürger der aufgelösten Gemeinden bedeutete die Gebietsreform aber nicht nur eine Verringerung demokratischer Präsenz, sondern auch eine größere Distanz zu den politischen Entscheidungsträgern, die man davor meist persönlich gekannt hatte. Eine größere Bürgernähe, wie es das Ziel der Gebietsreform gewesen war, war nicht erreicht worden. Die Entscheidungsfindung in der Kommunalpolitik erfolgte nun weniger nach dem Prinzip der Kenntnis der Örtlichkeit, sondern vermehrt nach übergeordneten Kriterien, womit sowohl eine Professionalisierung als auch eine Bürokratisierung der lokalen Politik einherging.

Durchgeführt nach vielerlei Ideen zu Verwaltungsvereinfachung und Einteilung der Ortschaften nach einem zentralörtlichen System zweifelhaften Ursprungs, unter dem starken Einfluss vermeintlich moderner Vorstellungen wie Planungsfreudigkeit, Wissenschaftsgläubigkeit und Zukunftsorientierung sowie unter dem Druck, als letztes Land der Bundesrepublik auch eine Gebietsreform auf den Weg zu bringen, schloss Bayern schließlich bis Ende der 1970er Jahre die Gebietsreform ab. Diese Reform schuf größere Verwaltungen, größere Gemeinden und Landkreise, nahm aber auch den Verlust an Partizipation, an ehrenamtlichem Engagement und an überschaubarem Identifikationsraum für viele tausende Bürger in Kauf.

Zahlreiche Dörfer waren von der Gemeinde zum Ortsteil herabgestuft worden. Der verwaltungstechnische Begriff Ortsteil verschleierte, was an eigenständiger Geschichte, als man noch nicht lediglich Teil von etwas war, und an eigenständigem Handeln für die Gegenwart und die Zukunft verloren gegangen war.

In der Folgezeit sollte es nun neben dem jeweiligen individuellen Engagement der Bürger vor allem auf den guten Willen der neuen Gemeinde und auf die Gewichtung des Ortes in Gemeinderat und Bürgerschaft ankommen, welche weitere Entwicklung die ehemalige Gemeinde erfuhr.

Literatur

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Quellen

Weiterführende Recherche

Verwandte Artikel

Gebietsreformen, Gemeindereform, Landkreisreform, Gemeindegebietsreform

Empfohlene Zitierweise

Julia Mattern, Gebietsreform, publiziert am 02.12.2020; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Gebietsreform> (06.10.2024)