Anifer Erklärung, 12./13. November 1918
Aus Historisches Lexikon Bayerns
König Ludwig III. (1845-1921, reg. 1912/13-1918), der sich angesichts der Revolution nach Schloss Anif bei Salzburg geflüchtet hatte, entband am 12. November 1918 die bayerischen Beamten, Offiziere und Soldaten vom dem auf ihn geleisteten Treueid. Die Regierung Eisner publizierte diese Erklärung am 13. November 1918 zusammen mit einer Erläuterung, in der sie vom "Thronverzicht" des Königs Kenntnis nahm. Tatsächlich aber haben weder der König noch Kronprinz Rupprecht (1869-1955) jemals auf ihren Thron verzichtet.
Erster vergeblicher Versuch am 10. November 1918
Um nach der Revolution vom 7./8. November 1918 den reibungslosen Übergang von der Monarchie zum Volksstaat Bayern zu sichern, versuchte bereits am 10. November der General und Staatsrat im Kriegsministerium, Max von Speidel (1856-1943), König Ludwig III. (1845-1921, reg. 1912/13-1918) zur Abgabe einer Erklärung zu bewegen, mit der die Offiziere des bayerischen Heers von ihrem Treueid entbunden werden sollten. Zu diesem Zweck fuhr er in Absprache mit Kurt Eisner (1867-1919) und Minister Albert Roßhaupter (1878-1949) gemeinsam mit dem zurückgetretenen Vorsitzenden des Gesamtministeriums, Otto von Dandl (1868-1942), nach Schloss Wildenwart (Lkr. Rosenheim), das Ludwig III. zwischenzeitlich aber schon verlassen hatte.
Eigeninitiative Ludwigs III. am 12. November 1918
Ludwig III. ergriff daraufhin selbst die Initiative und bestellte am 12. November 1918 Dandl zu sich nach Schloss Anif bei Salzburg, das sich im Besitz des bayerischen Reichsrats Ernst Graf von Moy befand. Während Dandl vom König einen Thronverzicht verlangte, fand sich dieser nur bereit, die Beamten, Offiziere und Soldaten von ihrem Eid auf ihn zu entbinden, da er nicht mehr in der Lage sei, die Regierung weiter zu führen.
Publikation am 13. November 1918
Mit dieser "Anifer Erklärung" kehrte Dandl am 13. November 1918 nach München zurück. Die Regierung Eisner veröffentlichte das Dokument noch am selben Tag zusammen mit einer Erläuterung, der zufolge die Regierung vom "Thronverzicht" Ludwigs Kenntnis nahm.
Zur Interpretation als Thronverzicht durch die Regierung Eisner
Der Ablauf der Ereignisse und der Wortlaut der Erklärung schlossen eine Interpretation als Thronverzicht aus. Auch der noch im Felde stehende Kronprinz Rupprecht (1869-1955) verzichtete nicht auf seine Rechte, sondern forderte bereits am 10. November telegrafisch, die Frage der Staatsform durch eine gewählte Nationalversammlung klären zu lassen.
Demgegenüber teilten liberale und auch konservative Zeitgenossen die Auffassung der Regierung Eisner: Von einem Thronverzicht sprachen unter anderem der Verfassungsrechtler Robert Piloty (1863-1926) und die vom Generalsekretariat der Bayerischen Volkspartei herausgegebene Monatsschrift "Politische Zeitfragen". Auch der Münchner Erzbischof Michael von Faulhaber (1869-1952) sprach zumindest am 15. November 1918 von einem Thronverzicht, den er allerdings für einen "unverantwortlichen Mißgriff der alten Regierung" hielt. Die endgültige Entscheidung über die Staatsform wollte er einem Volksentscheid vorbehalten (L. Volk, Akten Kardinal Michael von Faulhabers 1917-1945 I, Mainz 1975, Nr. 20, S. 41).
Andererseits hatte schon in der Ministerratssitzung am 13. November 1918 der protokollierende Ministerialrat im Verkehrsministerium, Josef von Graßmann (1864-1928), vergeblich gegen die von Kurt Eisner vorgenommene Umdeutung als Thronverzicht protestiert. Auch die Presse - z. B. die München-Augsburger Abendzeitung - bemerkte die Diskrepanz zwischen dem Wortlaut der Erklärung und der Interpretation durch die Regierung.
Die Frage der Auslegung war für den weiteren Ablauf der Ereignisse vorerst unerheblich, da die Verwaltung die neue Regierung Kurt Eisners bereits in den Tagen zuvor widerspruchslos anerkannt hatte. Für die monarchistische Bewegung Bayerns war jedoch die Tatsache, dass König Ludwig III. und Kronprinz Rupprecht nicht auf ihre Ansprüche verzichtet hatten, von großer Bedeutung.
Vergleichende Bewertung
Von den 22 Monarchen Deutschlands verzichteten 17, darunter auch Kaiser Wilhelm II. (1859-1941, reg. 1888-1918), auf ihren Thron und dankten damit formell ab. Eine Reihe von ihnen (14) entsagte auch für ihre Familie allen Ansprüchen auf den Thron. Teilweise gaben zusätzlich die Thronanwärter derartige Erklärungen ab.
Nur in fünf deutschen Staaten lehnten die regierenden Fürsten den förmlichen Thronverzicht ab. Neben Bayern handelte sich um das Königreich Sachsen, das Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha, das Fürstentum Waldeck-Pyrmont und das Großherzogtum Hessen. Dennoch verlief auch in diesen Fällen der Übergang von der Monarchie zur Republik weitgehend konfliktarm - so kehrten Kronprinz Rupprecht und sein Onkel Leopold (1846-1930) noch unter Kurt Eisner nach Bayern zurück.
Österreich dagegen, wo Kaiser Karl I. von Österreich (1887-1922, reg. 1916-1918) ebenfalls eine Abdankung ablehnte, wies auf der Grundlage des Habsburger-Gesetzes vom 3. April 1919 alle Mitglieder der abgesetzten Herrscherfamilie aus, die nicht auf ihre Rechte verzichten wollten (gültig bis 1996).
Zur Überlieferung der Anifer Erklärung
Das Originaldokument ist heute verschollen. Laut Bericht des bayerischen Monarchisten Erwein von Aretin (1887-1952) hatte der damalige Innenminister Erhard Auer (SPD, 1874-1945) aus Misstrauen gegenüber Eisner die Erklärung Ludwigs bei sich behalten. Bei der Verwüstung seiner Wohnung während des Hitlerputsches ging das Original verloren.
Im Bestand "Außenministerium" des Bayerischen Hauptstaatsarchivs (MA 980) befindet sich lediglich eine maschinenschriftliche Abschrift mit der von Kurt Eisner handschriftlich ergänzten Interpretation als Thronverzicht. Ein vom Flügeladjutanten des Königs, Ludwig Graf von Holnstein aus Bayern (1873-1950), verfasster Entwurf der Anifer Erklärung ist bei Martin Irl im Holnstein-Archiv, Schwarzenfeld überliefert. Im Wortlaut bekannt ist die Erklärung ferner durch die Veröffentlichung in verschiedenen Tageszeitungen und der Bayerischen Staatszeitung.
Literatur
- Alfons Beckenbauer, Ludwig III. von Bayern 1845-1921. Ein König auf der Suche nach seinem Volke, Regensburg 1987, 270-271.
- Franz J. Bauer, Die Regierung Eisner 1918/19. Ministerratsprotokolle und Dokumente (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien I 10), Düsseldorf 1987, L-LII.
- Martin Irl, Bewährte Nachbarschaft. Thomas Mann und Graf von Holnstein im Münchener Herzogspark, in: Dirk Heißerer (Hg.), Thomas in München III (Thomas-Mann-Schriftenreihe 6), München 2005, 147-175, hier 153 [Schilderung der Flucht des Königs nach Anif und der dortigen Vorgänge am 13. November 1918].
- Ulrike Leutheusser (Hg.), König Ludwig III. und das Ende der Monarchie in Bayern, München 2014.
- Lothar Machtan, Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen, Berlin 2008 [betont monarchiekritische Darstellung].
- Stefan März, Ludwig III. Bayerns letzter König, Regensburg 2015.
- Johannes Graf Moy, König Ludwig III. von Bayern und Schloß Anif, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 124 (1984), 467-476.
- Helmut Neuhaus, Das Ende der Monarchien in Deutschland 1918, in: Historisches Jahrbuch 111 (1991), 102-136.
Quellen
- Franz J. Bauer, Die Regierung Eisner 1918/19. Ministerratsprotokolle und Dokumente (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien I 10), Düsseldorf 1987, Dokument 7 (Protest Rupprechts), Dokument 11 (Erklärung Ludwigs III.).
- Karl Buchheim/Karl Otmar von Aretin (Hg.), Erwein von Aretin, Krone und Ketten. Erinnerungen eines bayerischen Edelmannes, München 1955, 216 (Bericht über den Verbleib des Originaldokuments der Anifer Erklärung).
Weiterführende Recherche
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Thronverzicht Ludwigs III. Ende der Monarchie
Empfohlene Zitierweise
Florian Sepp, Anifer Erklärung, 12./13. November 1918, publiziert am 11.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Anifer_Erklärung,_12./13._November_1918> (4.11.2024)