Ulm, Reichsstadt
Aus Historisches Lexikon Bayerns
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Aus einer seit der Karolingerzeit bedeutenden Königspfalz erwachsene Reichsstadt an der Donau. Im Verlauf des 14. Jahrhunderts sicherte sie sich durch den Erwerb aller königlichen Rechte reichsstädtische Unabhängigkeit und Selbstverwaltung. Vom letzten Drittel des 14. bis ins 16. Jahrhundert baute sie ein weit ausgedehntes Landterritorium auf. Im Spätmittelalter blühte in Ulm das Textilgewerbe (Barchent) mit europaweitem Export. Gründerin des Schwäbischen Städtebundes (1376), wurde Ulm bevorzugter Tagungsort des Schwäbischen Bundes (1488-1533/34) und spielte auch im Schwäbischen Reichskreis als Vorsitzende der Städtebank und Versammlungsort der Kreistage eine führende Rolle. 1802 zu Bayern gekommen, verlor die Stadt mit dem Übergang an Württemberg 1810 an zentraler Bedeutung, blieb aber die zweitgrößte Stadt im Königreich und wurde Behördensitz.
Zur frühen Stadtentwicklung
Auf eine ins 5. Jahrhundert zurückreichende Siedlungskontinuität deuten ein ausgedehntes alemannisches Gräberfeld unmittelbar nordwestlich der späteren Reichsstadt und im heutigen Stadtgebiet ergrabene Besiedlungen der Merowingerzeit hin. Ins 7./8. Jahrhundert zu datieren ist auch die Gründung der außerhalb gelegenen Pfarrkirche ("ennet felds") mit ausgedehntem Sprengel. Als Herrschaftsmittelpunkt bezeugt ist die Ulmer Pfalz auf dem Weinhof mit einem 854 abgehaltenen Hoftag König Ludwigs des Deutschen (reg. 843-876), in dessen Folge Ulm zum bedeutendsten Pfalzort der Karolinger in Alemannien aufstieg. Erst unter den sächsischen Kaisern rückte dann Augsburg in den Mittelpunkt. Schon die nachfolgenden Salier lassen sich aber wieder häufig in Ulm nachweisen, und vor allem 1077 wurde die Ulmer Pfalz unter dem von Canossa zurückkehrenden und seine Machtposition demonstrierenden König Heinrich IV. (reg. 1056-1106, als Kaiser ab 1084) zum Ort reichspolitischer Entscheidungen. In diesem Zusammenhang werden chronikalisch erstmals auch Ulmer Bürger erwähnt.
Die seit 1098 unbestritten als Herzöge von Schwaben anerkannten Staufer wählten Ulm zu ihrem Stützpunkt. Ulm wurde daher auch in die Kämpfe der Staufer um die salische Erbfolge einbezogen und 1131 (Siedlung) und 1134 (Pfalz) durch den Welfenherzog Heinrich den Stolzen (reg. als Herzog von Bayern 1126-1138) eingeäschert. Nach der Wahl Konrads III. (reg. 1138-1152) zum König erlebte Ulm dann unter den Staufern eine Blütezeit. Spätestens zum Hoftag Friedrich Barbarossas (reg. 1152-1190, Kaiser ab 1155) 1152 war die Pfalz wieder aufgebaut, und noch vor Mitte des 13. Jahrhunderts war mit Wall, Graben und teilweise erhaltener Mauer der Befestigungsring um die entstehende Stadt vollendet. Innerhalb der Mauer fanden das 1229 gegründete Franziskanerkloster und eine "Sammlung" von Terziarinnen (vor 1284) noch Platz, während andere klösterliche Niederlassungen sich ringförmig außerhalb ansiedelten: Augustinerchorherrenstift (1183), Deutschordenskommende (1216/1221), Klarissenkloster (1237, 1258 nach Söflingen verlegt, 1775 reichsunmittelbar), Dominikanerkloster (1281), Heiliggeistspital (um 1240), Leprosenhaus (1246).
Die topographische Lage am Schnittpunkt wichtiger Handelsstraßen beim Übergang über die Donau - zunächst durch eine Furt, spätestens seit 1240 über eine Brücke -, vor allem aber die ab hier nach dem Zusammenfluss mit Iller und Blau schiffbare Donau begünstigten ein wohl schon früh vom Textilgewerbe getragenes wirtschaftliches Wachstum. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts begegnen Ulmer Kaufleute in Enns, dem Umschlagplatz für Eisen aus der Steiermark, und im 13. Jahrhundert in Oberitalien und auf den Messen der Champagne.
Auf dem Weg zur Selbstverwaltung: Stadterweiterung, Verfassung und Schwäbischer Städtebund
Als frühestes Verfassungsdokument regelte ein von Rat (hier erstmals erwähnt) und Bürgergemeinde bestätigter Vertrag von 1255 die Rechte des Reichsvogts, des Grafen von Dillingen, und die Aufgaben des Ammanns (Schultheißen). Rudolf von Habsburg (reg. 1273-1291) verlieh 1274 das Recht der Reichsstadt Esslingen an Ulm. Als Zentrum einer Stadtrechtsfamilie strahlte Ulmer Recht seit dem Ende des 13. Jahrhunderts auf eine Reihe schwäbischer Reichsstädte aus, darunter Memmingen, Dinkelsbühl und Kempten.
Mit Bürgermeister und Zünften als Aussteller einer Urkunde von 1292 begegnen die Anfänge städtischer Selbstverwaltung und der Organisation von Handel- und Gewerbetreibenden. Bereits 1308 traten Rat und Bürgerschaft beim Abschluss eines Bündnisses mit Domkapitel und Stadt Augsburg als selbständig handelnde Vertragspartner auf. Nach der Doppelwahl von 1314 favorisierte Ulm als einzige Stadt in Schwaben den Habsburger Friedrich den Schönen (Gegenkönig 1314-1325) und riskierte dafür 1316 eine Belagerung durch Ludwig den Bayern (reg. 1314-1347, als Kaiser ab 1328). Im gleichen Jahr begann man mit der großräumigen Erweiterung der ummauerten Stadtfläche auf das Vierfache (66,5 ha) des bisherigen Umfangs. Nun wurden die bisher ungeschützten vorstädtischen Siedlungen einbezogen.
Innerstädtische Konflikte zwischen Patriziat und den 17 Zünften wurden 1345 durch einen Sühnebrief und die Verfassung des sog. Kleinen Schwörbriefs beigelegt, der den Zünften die Mehrheit im Rat sicherte. Die Bestätigung der städtischen Rechte durch Karl IV. (reg. 1346-1378, als Kaiser ab 1355) 1347, die Anerkennung der Vorrangstellung des Bürgermeisters vor dem königlichen Ammann und die Exemtion der Stadt von Land- und Hofgerichten (1359) bildeten weitere Schritte auf dem Weg zur reichsstädtischen Unabhängigkeit. Um die reichsstädtischen Interessen zu wahren, führte Ulm 1376 die Gründung des Schwäbischen Städtebunds an, dem sich mit Lindau und Memmingen, später auch Kempten, Kaufbeuren, Nördlingen und Dinkelsbühl heute zu Bayern gehörende Reichsstädte anschlossen.
Erweiterung städtischer Rechte und Einflussmöglichkeiten
Der politischen Konsolidierung sollte die äußere, bauliche Geschlossenheit der Stadt entsprechen. Mit Zustimmung des Klosters Reichenau, dem die Pfarrei 1327 inkorporiert worden war, wurde die Pfarrkirche in die Stadt verlegt und am 30. Juni 1377 der Grundstein zum Münster gelegt, für das mit den Baumeisterfamilien Parler (1377-1391), Ensinger (1392-1419, 1446-1477) und Kun (1419-1446) und zuletzt Matthäus Böblinger (um 1450-1505, in Ulm 1477-1494) und dem an St. Ulrich und Afra in Augsburg tätigen Burkhard Engelberg (um 1450-1512, in Ulm 1494-1512) bedeutende Architekten gewonnen werden konnten. Zug um Zug, abschließend mit einem Kaufvertrag von 1446, erwarb Ulm vom Kloster Reichenau alle Rechte an der Pfarrei und verfügte damit neben der politischen Hoheit über weitgehenden kirchlichen Einfluss.
Zugleich griff die Stadt über ihre Mauern hinaus. Patrizier, Kaufleute und die Spitäler hatten - ein Beleg für die prosperierende Wirtschaft - im näheren und weiteren Umland, u. a. in der Grafschaft Kirchberg, vor allem auch in der Markgrafschaft Burgau, Grundbesitz und Herrschaftsrechte erworben. Diesem Vorbild folgte die Reichsstadt. 1377, zeitgleich mit dem Beginn der Bauarbeiten an dem weithin von der Bürgerschaft finanzierten Münster ("Bürgerkirche"), wurde die Stadt Langenau erworben und nachfolgend, mit Unterstützung jüdischer Kreditgeber, 1383-1385 die gesamte Herrschaft Werdenberg-Albeck östlich Ulms. 1396 gelang auch der Kauf der sich über die Alb bis weit ins Filstal nach Süßen erstreckenden Grafschaft Helfenstein mit allen Hoheitsrechten. Noch vor Nürnberg, dessen Territorium später (Erwerbungen von 1427 und 1504) das Ulmer Gebiet an Ausdehnung übertreffen sollte, verfügte die Reichsstadt an der Donau damit über einen ausgedehnten Herrschaftsbereich, der durch den Erwerb Leipheims 1453 und der wegen ihres Holzreichtums wichtigen Herrschaft Wain 1571 abgerundet wurde (insgesamt ca. 830 qkm). Die Herrschaft Wain, eine Exklave des Ulmer Territoriums, musste allerdings 1773 zur Sanierung der reichsstädtischen Finanzen an den Memminger Patrizier Benedikt von Hermann (gest. 1842) verkauft werden. Gegliedert war das mehr als 100 Städte, Dörfer und Weiler umfassende Terriorium in eine Untere Herrschaft mit dem Oberamt Geislingen und eine Obere Herrschaft mit den Oberämtern Langenau, Albeck und Leipheim, denen jeweils einzelne Ämter nachgeordnet waren. Die zentrale Verwaltung oblag dem reichsstädtischen Herrschaftspflegamt in Ulm. Parallel zum Aufbau eines Territoriums konnte Ulm durch die Aufnahme auswärtiger Adeliger und Klöster als Pfahl- oder Paktbürger ins reichsstädtische Bürger- und Schutzrecht seine Einflussmöglichkeiten ausweiten (u. a. Augustinerchorherrenstift Wettenhausen, Benediktinerkloster Elchingen, Zisterzienserabtei Kaisheim sowie die Prämonstratenserchorherrenstifte Roggenburg und Ursberg).
Zunftverfassung, wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit im Spätmittelalter
Erneut aufgetretene ständische Zwistigkeiten wurden durch den Großen Schwörbrief von 1397 überwunden, der noch bestehende Vorrechte der Patrizier aufhob und die Dominanz der Zünfte im Rat verstärkte (Zunftverfassung). Beim jährlichen Schwörtag auf dem Weinhof, dem Platz der im 14. Jahrhundert abgebrannten Königspfalz, bestätigten der neu gewählte Bürgermeister und Rat sowie die gesamte Bürgerschaft mit einem feierlichen Eid die Einhaltung der Verfassung des Schwörbriefs. Der durch diesen vertraglich zwischen den Ständen vereinbarte Frieden in der Stadt bildete die Voraussetzung für eine wirtschaftliche Blütezeit. Ulmer Barchent wurde zu einem bis nach Spanien und über Köln nach England exportierten Markenartikel. Als "fremdes Gewirk" war seine Herstellung nicht zunftgebunden. Auch Weber aus dem Umland (Gäuweber), mit denen sich Konjunkturschwankungen auffangen ließen, konnten daher für die streng auf Qualität achtende Ulmer Barchentschau arbeiten, der 1517-1555 Konkurrenz im fuggerschen Weißenhorn erwuchs. Da auch der Fernhandel die Zugehörigkeit zu einer Zunft voraussetzte, blieben die Patrizier vom aktiven Geschäftsleben ausgeschlossen.
Vom Wirtschaftswachstum getragen, konnte sich ein reges kulturelles Leben entfalten. Maler, Bildhauer und Bildschnitzer, die in Bau und Ausstattung des Münsters einen wichtigen Auftraggeber fanden, arbeiteten wie Hans Acker (um 1385-1461), Hans Multscher (1400-1467), Michel (1440-1522, in Ulm nachweisbar 1469-1522) und Gregor Erhart (um 1470-1540), Jörg Syrlin der Ältere (geb. um 1425, in Ulm nachweisbar 1449-1491) und Jörg Syrlin der Jüngere (in Ulm als Meister nachweisbar 1480/81-1522), Niklaus Weckmann (geb. 1450/55-nach 1527, in Ulm nachweisbar seit 1481), Hans Schüchlin (in Ulm nachweisbar 1468-1505), Bartholomäus Zeitblom (um 1455-um 1520, seit 1482 in Ulm), Jörg Stocker (in Ulm nachweisbar 1481-1523), Martin Schaffner (1477/78-1549) und Daniel Mauch (1477-1540) in großen Werkstätten zugleich für einen weit reichenden Export und schufen die Kunst der Ulmer Schule, die Spätgotik und beginnende Renaissance verband. Mit aufwendig illustrierten Drucken erlebte Ulm seit 1473 in der Offizin des von Augsburg an die Donau gekommenen Johann Zainer (in Ulm nachweisbar 1472-1492, Johann Zainer d. J. in Ulm nachweisbar 1496-1541), dann durch Conrad Dinckmut (in Ulm nachweisbar 1476-1499), Lienhart Holl (in Ulm seit 1478, als Drucker 1482-1484 nachweisbar, gest. nach 1492) und Johannes Reger (geb. 1454, in Ulm nachweisbar 1486-1499) eine Blütezeit des Frühdrucks. Trotz der Unterstützung durch den Humanisten und Stadtarzt Dr. Heinrich Steinhöwel (ca. 1412-ca. 1480) und die Ulmer Dominikaner gerieten die Drucker wegen der kostspieligen Ausstattung ihrer Werke in finanzielle Schwierigkeiten und beschränkten sich seit dem Ende des 15. Jahrhunderts zunehmend auf Alltagsliteratur, während der Augsburger Buchdruck um die Wende zum 16. Jahrhundert einem neuen Höhepunkt zusteuerte.
Die Einführung der Reformation, Schmalkaldischer Bund und Aufhebung der Zunftverfassung
Der reformatorischen Lehre öffnete sich zuerst die Bürgerschaft, die 1524 gegenüber dem zögernden Rat die Berufung eines evangelischen Prädikanten durchsetzte. 1529 gehörte Ulm zu jenen Reichsständen, die auf dem Reichstag in Speyer gegen das Verbot religiöser Neuerungen protestierten. Als Folge einer Bürgerabstimmung vom 3. November 1530 entschied sich Ulm für die Einführung der neuen Lehre. Zur politischen Absicherung trat Ulm bereits im Januar 1531 dem Schmalkaldischen Bund bei und vertrat bei den Bündnisverhandlungen neben Isny und Biberach auch die Reichsstädte Memmingen, Lindau und Kempten. Den Schmalkaldischen Krieg (1546/47) nutzte Ulm 1546 zur Besitznahme der Klöster Söflingen, Ochsenhausen, Roggenburg, Ursberg und Elchingen, musste diese aber nach Unterwerfung unter den Kaiser wieder zurückgeben.
Einschneidende Folge der Niederlage der Schmalkaldener war 1548 die Aufhebung der Ulmer Zunftverfassung durch Kaiser Karl V. (1500-1558, reg. 1519-1556), der 1552 für 17 Ulmer Patrizierfamilien, darunter die Baldinger, Besserer, Ehinger, Krafft, Neithart, Roth, Schad und Schermar, den erblichen Adel bestätigte. Erst 1558 konnte ein neuer, bis zum Ende der Reichsstadtzeit fortbestehender Schwörbrief verabschiedet werden, der eindeutig den Primat der Patrizier im Stadtregiment festlegte.
Der Augsburger Religionsfriede von 1555 wies Ulm als evangelische Reichsstadt aus. Lediglich das bereits 1549 restituierte Augustinerchorherrenstift St. Michael zu den Wengen und die reichsunmittelbare Deutschordenskommende konnten sich - freilich unter obrigkeitlicher Überwachung - als katholische Institutionen behaupten.
Schwäbischer Bund, Schwäbischer Reichskreis und Dreißigjähriger Krieg
Konfessionelle Unterschiede dürften mit ein Grund dafür gewesen sein, dass der 1488 gegründete, 1533/34 auslaufende Schwäbische Bund nicht mehr erneuert wurde. In der Tradition der Städtebündnisse war Ulm bevorzugter Ort der Bundestage gewesen, hatte 1488-1500 den Bundeshauptmann für die Städte gestellt und 1519 als Operationsbasis für das Bundesheer im Krieg gegen Herzog Ulrich von Württemberg (1487-1550, reg. 1503-1519, 1534-1550) und im Bauernkrieg von 1525 gedient. Diese zentrale Funktion übernahm Ulm auch in dem nach Auslaufen des Schwäbischen Bundes an Bedeutung gewinnenden Schwäbischen Reichskreis. In langen Verhandlungen mit Augsburg behauptete sich Ulm als Direktor der Städtebank. Im Ulmer Rathaus fanden die regelmäßigen Kreistage statt, hier wurde die Kasse des Reichskreises geführt, im Ulmer Zeughaus stand die Kreisartillerie und in Ulm wurden die Kreistruppen vor der Einschiffung zum Entsatz von Wien 1683 und in den Türkenkriegen gemustert.
Zur Sicherung der Stadt legte 1617-1622 der niederländische Ingenieurkapitän Jan van Valckenburg (1575-1625) eine Bastionärbefestigung vor die mittelalterliche Stadtmauer, die das mit Schweden verbündete Ulm im Dreißigjährigen Krieg zur uneinnehmbaren Festung werden ließ. Noch während des Krieges wurde 1622 ein Gymnasium academicum gegründet und 1641 durch Stadtbaumeister Josef Furttenbach (1591-1667) ein von Wandertruppen bespieltes Stadttheater mit 1.000 Plätzen eingerichtet. Von den Kriegsfolgen, die vor allem das Landterritorium heimsuchten, dessen Bevölkerung sich mehrfach hinter die schützenden Mauern der Reichsstadt flüchtete, konnte sich Ulm noch einmal erholen, auch wenn die um 1600 auf ca. 21.000 geschätzte Einwohnerzahl nicht wieder ganz erreicht wurde.
Wirtschaftlicher Niedergang in der Spätphase der Reichsstadt
Nachhaltig getroffen wurde Ulm von der handstreichartigen Eroberung durch bayerische Truppen im Spanischen Erbfolgekrieg 1702, die beträchtliches Aufsehen im Reich erregte. Ihr folgte bis zur Schlacht bei Höchstädt 1704 eine drückende bayerisch-französische Besatzung. Absatzschwierigkeiten in dem anstelle des Barchents getretenen Leinwandhandel und die Auswirkungen der europäischen Kriege des 18. Jahrhunderts ließen den Schuldenstand weiter ansteigen. Erfolg versprechende Ansätze zu einer Neuorientierung zeigten sich in der Spätphase der Reichsstadt, z. B. mit der seit 1768 erfolgenden Gründung von Tabakmanufakturen (Seipel, Wechsler und Bürglen), die vor allem nach Bayern und in die Schweiz exportierten. Mit den Ulm als Ausgangspunkt wählenden Auswanderungswellen in die Donauländer erlebte die Schifffahrt im 18. Jahrhundert zumindest zeitweise einen konjunkturellen Aufschwung.
Angliederung der Reichsstadt an Bayern und Württemberg
Bürgerproteste gegen Steuererhöhungen führten ab 1778 zu einer Reihe von Klagen vor dem Reichshofrat gegen das oligarchische Stadtregiment. Der Einmarsch bayerischer Truppen in die Reichsstadt (3. September 1802), in der noch am 16. August 1802 ein letzter Städtekongress des Schwäbischen Reichskreises stattgefunden hatte, ließ bisherige Gravamina gegenstandslos werden. Immerhin anerkannte die bayerische Besitznahmekommission, dass Ulm "in Anbetracht seines weitschichtigen Gebiets und seiner ansehnlichen Einkünfte" trotz aller Schulden noch immer verdiene, "unter die wichtigeren Gegenstände der Entschädigungen für das höchste Kurhaus Bayern gezählt zu werden".
Als Sitz des Generallandeskommissariats für Schwaben und des Oberjustizgerichts als "höchster Instanz" für die "schwäbischen Entschädigungslande" behielt Ulm auch in bayerischer Zeit seine zentrale Bedeutung, die es durch die Grenzziehung an der Donau und die Eingliederung in das Königreich Württemberg 1810 verlor. Erst das bayerisch-württembergische Zollabkommen von 1828 erleichterte den Zugang zu den rechts der Donau gelegenen Teilen des einstigen Ulmer Territoriums und die Wiederanknüpfung an die traditionellen Wirtschaftsbeziehungen zum bayerischen Umland.
Zur Quellen- und Forschungslage
Die früheste, historische Überlieferung und zeitgenössische Darstellung miteinander verbindende Stadtbeschreibung Ulms bietet der "Tractatus de civitate Ulmensi" (um 1488) des Ulmer Dominikanermönchs Felix Fabri (1441/42-1502, in Ulm 1465 und 1474-1502). Ihm nachfolgend widmet sich eine Vielzahl seit dem 16. Jahrhundert überlieferter Chroniken von Zunftmeistern, Geistlichen und Juristen der Geschichte und zeitgenössischen Ereignissen der Reichsstadt. Beispielhaft genannt seien die Chroniken des Zunftmeisters der Schuhmacher Sebastian Fischer (geb. 1513), des Ratsherrn und Stadtbaumeisters Josef Furttenbach (1591-1667), des Kaufmanns und Ratsherrn Veit Marchtaler d. J. (1612-1676) und des Professors am Gymnasium academicum David Stölzlin (1670-1743). Zu reichsstädtischen historischen Themen publizierten dann vor allem der Konrektor am Gymnasium und Stadtbibliothekar Georg Veesenmeyer (1760-1833), Pfarrer Albrecht Weyermann (1763-1832) und der Pfarrer und spätere württembergische Prälat Johann Christoph von Schmid (1756-1827), dem auch die Sicherung nach der Mediatisierung teilweise verschleuderter Archivalien mit zu verdanken ist.
Neue Ansätze zur Erforschung der Stadtgeschichte unternahm der 1841 gegründete Verein für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben mit der von ihm herausgegebenen Zeitschrift "Ulm und Oberschwaben" (1843 ff.) und dem von ihm initiierten Ulmer Urkundenbuch für die Jahre 854-1378. Die Edition des 1376 angelegten und bis 1445 fortgeführten frühesten "Gesatzbuches" der Reichsstadt ("Rotes Buch") wird ergänzt durch ein 5244 "Policeyordnungen" der Reichsstadtzeit nachweisendes Repertorium (2007), das Aufschluss über die Regelung des Alltagslebens bietet. Über die reichhaltigen Bestände des Stadtarchivs informiert eine kommentierte Bestandsübersicht (2002). Den Fortgang der Forschung begleitet die seit 1955 vom Stadtarchiv herausgegebene Monographienreihe der "Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm". Erweitert wird diese durch die 1979 begründete "Reihe Dokumentation", die vor allem im Rahmen von Ausstellungen erarbeitete Darstellungen und Quellen veröffentlicht. Themen zum Buchdruck und zur Bibliotheksgeschichte widmen sich die "Veröffentlichungen der Stadtbibliothek Ulm" (1981 ff.). Eine umfassende Stadtgeschichte ist 1977 erschienen.
Dokumente
Literatur
- Peter Amelung, Der Frühdruck im deutschen Südwesten 1473-1500. 1. Band: Ulm, Stuttgart 1979.
- Gerold Neusser, Das Territorium der Reichsstadt Ulm im 18. Jahrhundert. Verwaltungsgeschichtliche Forschungen (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 4), Ulm 1964.
- Volker Pfeifer, Die Geschichtsschreibung der Reichsstadt Ulm von der Reformation bis zum Ende des Alten Reiches (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 17), Ulm/Stuttgart 1981.
- Max Schefold/Hellmut Pflüger, Ulm. Das Bild der Stadt in alten Ansichten (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 7), Weißenhorn 1967.
- Hans Eugen Specker, Das Gymnasium academicum in seiner Bedeutung für die Reichsstadt Ulm, in: Erich Maschke/Jürgen Sydow (Hg.), Stadt und Universität in der frühen Neuzeit (Stadt in der Geschichte 3), Sigmaringen 1977, 142-160.
- Hans Eugen Specker/Gebhard Weig (Hg.), Die Einführung der Reformation in Ulm. Geschichte eines Bürgerentscheids (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm. Reihe Dokumentation 2), Ulm/Stuttgart 1981.
- Hans Eugen Specker, Die Reichsstadt Ulm als Tagungsort des Schwäbischen Reichskreises, in: Wolfgang Wüst (Hg.), Reichskreis und Territorium. Die Herrschaft über der Herrschaft? Supraterritoriale Tendenzen in Politik, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Vergleich süddeutscher Reichskreise. Tagung der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft in Irsee vom 5. bis 7. März 1998, Stuttgart 2000, 170-196.
- Hans Eugen Specker (Hg.), Die Ulmer Bürgerschaft auf dem Weg zur Demokratie. Zum 600. Jahrestag des Großen Schwörbriefs (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm. Reihe Dokumentation 10), Ulm/Stuttgart 1997.
- Hans Eugen Specker/Reinhard Wortmann (Hg.). 600 Jahre Ulmer Münster. Festschrift (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 19), Ulm/Stuttgart 2. Auflage 1984.
- Hans Eugen Specker/Hermann Tüchle (Hg.), Kirchen und Klöster in Ulm. Ein Beitrag zum katholischen Leben in Ulm und Neu-Ulm von den Anfängen bis zur Gegenwart, Ulm 1979.
- Hans Eugen Specker, Ulm, in: Wolfgang Behringer/Bernd Roeck (Hg.), Das Bild der Stadt in der Neuzeit 1400-1800, München 1999, 392-396, 483f.
- Hans Eugen Specker, Ulm, in: Meinrad Schaab u. a. (Hg.), Handbuch der baden-württembergischen Geschichte. 2. Band, Stuttgart 1995, 731-741.
- Hans Eugen Specker, Ulm a. d. Donau (Große Kunstführer 119), München/Zürich 1985.
- Hans Eugen Specker (Bearb.), Ulm. Deutscher Städteatlas, Lieferung III (Nr. 9), Altenbeken 1984.
- Hans Eugen Specker, Ulm. Stadtgeschichte, Ulm 1977.
- Irene Specker, Bibliographie [zur Geschichte Ulms], in: Der Stadtkreis Ulm. Amtliche Kreisbeschreibung, Ulm 1977, 859-890.
Quellen
- Bruder Felix Fabris Abhandlung von der Stadt Ulm. Nach der Ausgabe des litterarischen Vereins in Stuttgart verdeutscht von K[onrad] D[ietrich] Hassler, Ulm 1909.
- Felix Fabri, Tractatus de civitate ulmensi, de eius origine, ordine, regimine, de civibus eius et statu (Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart CLXXXVI), Tübingen 1889.
- Susanne Kremmer/Hans Eugen Specker (Hg.), Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit: Reichsstadt Ulm (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte 218), Frankfurt am Main 2007.
- Carl Mollwo (Hg.), Das rote Buch der Stadt Ulm (Württembergische Geschichtsquellen 8), Stuttgart 1905.
- Hans Eugen Specker (Hg.). Die Bestände des Stadtarchivs Ulm. Kommentierte Gesamtübersicht (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm. Reihe Dokumentation 10), Ulm/Stuttgart 2002.
- Gerd Zillhardt, Der Dreißigjährige Krieg in zeitgenössischer Darstellung. Hans Heberles "Zeytregister" (1618-1672). Aufzeichnungen aus dem Ulmer Territorium (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 13), Ulm/Stuttgart 1975.
Weiterführende Recherche
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Empfohlene Zitierweise
Hans Eugen Specker, Ulm, Reichsstadt, publiziert am 10.08.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Ulm,_Reichsstadt> (7.10.2024)