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Leprosenhäuser

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Siegeltypar des Leprahauses Beiderwies, Passau. (Foto: Oberhausmuseum Passau)
Christus heilt einen Aussätzigen. (Abb. aus: Geistliche Auslegung des Lebens Jesu Christi, Ulm ca. 1482. (Bayerische Staatsbibliothek, 2 Inc.s.a. 138, fol. 40)

von Ulrich Knefelkamp (†)

Lepra ist eine bakterielle Infektionskrankheit mit langer Inkubationszeit und langer Krankheitsdauer. Da Lepra bis in die 1980er Jahren nicht heilbar war, wurden Erkrankte seit alttestamtarischen Zeiten einer strikten Quarantäne unterworfen (daher auch die Bezeichnung Aussatz). Angesichts zunehmender Erkrankungen seit dem 11. Jahrhundert schrieb das Dritte Laterankonzil 1179 die lebenslange Versorgung der Kranken in eigenen Spitälern vor. Im Raum des heutigen Bayern lassen sich zwischen 1088 (Würzburg) und dem 18. Jahrhundert über 220 derartige Leprosen- oder Sondersiechenhäuser in rund 190 Orten nachweisen, davon die meisten in Franken. Seit dem 14. Jahrhundert verschwand die Krankheit in Mitteleuropa weitgehend; die Leprosenhäuser dienten seitdem anderen Zwecken.

Lepra - die Krankheit

Lepra ist eine der ältesten überlieferten Krankheiten. Sie hat sich wohl von Afrika nach Europa ausgebreitet. Die Krankheit ist wenig ansteckend und wird nur durch häufigen, direkten Kontakt in mangelhaften hygienischen Verhältnissen übertragen. Durch Knoten und Flecken wird die Haut bis zur Entstellung ("Löwengesicht") des Patienten verändert: Der langen Inkubationszeit von bis zu 30/40 Jahren entspricht auch eine ebenso lange Lebenszeit mit der Krankheit. Zum Tode führen entweder die Krankheit selber, die durch sie hervorgerufene Schwäche oder andere Krankheiten.

1873 wurde der Erreger, das Bakterium Mycobacterium leprae, von dem norwegischen Arzt Gerhard Armauer Hansen (1841-1912) entdeckt. Seit den 1980er Jahren gilt die Krankheit als heilbar. Heute ist sie noch auf dem Indischen Halbkontinent und in Afrika weit verbreitet.

Die Aussetzung aus der Gesellschaft

Fraglich ist, ob es sich bei den frühesten Nennungen schon um Lepra handelte oder um Hautkrankheiten überhaupt. In der Bibel, Levitikus 13, wird die Krankheit als Aussatz beschrieben. Der Priester soll den Ausschlag auf der Haut untersuchen und das Urteil fällen. Die unreine Person soll allein wohnen und außerhalb des Lagers sein. Die Lepra wurde als Strafe Gottes angesehen und war in der christlich geprägten Gesellschaft Europas im Frühmittelalter negativ besetzt. Das langobardische Stammesrecht, das "Edictus Rotharii" des Königs Rothari (reg. 636-652), verordnet in c. 176, Leprakranke aus ihren Häusern zu weisen und juristisch als Tote zu behandeln. Die Synode von Compiègne (Départment Oise, Frankreich) beschloss 757 die Auflösung der Ehe mit Leprösen und die Möglichkeit der Wiederverheiratung der gesunden Partner. Mit der Erhebung der Ehe zum Sakrament bestand die katholische Kirche etwa seit dem Decretum Gratiani (1140) auf der Unauflösbarkeit der Ehe, auch bei Leprösen.

Wegen der Angst vor Ansteckung mussten sich die Leprakranken von Wohnorten fernhalten. Damit die Gesunden nicht mit ihnen in Kontakt kamen, mussten die Kranken z. B. in karolingischer Zeit ein Horn blasen ("Hornbrüder"). Später kam die hölzerne Klapper in Gebrauch. Auch die Tracht - ein langer grauer oder schwarzer Mantel mit scharlachrotem/schwarzem Hut oder Tuch - war vorgeschrieben. Es gab regionale Unterschiede. Wenn die Krankheit die Gliedmaßen betroffen hatte, konnten sich viele nur noch mit Krücken (Schemeln) fortbewegen.

Die Stiftung der Leprosorien

Als im späten 11.und im 12./13. Jahrhundert die Zahl der Leprakranken in Folge der Kreuzzüge enorm zunahm, ergriff die Gesellschaft neue Maßnahmen. Einzelne Leprahäuser gab es schon; in der Regel lagerten die Kranken vor den Städten als Feldsieche, nun wollte man diese Randgruppe in festen Häusern der Kontrolle unterwerfen. Das Dritte Laterankonzil bestimmte 1179, dass die Leprakranken in Leprosorien mit Kirchen und Friedhof von Geistlichen betreut werden sollten.

Diese Leprosorien (Sondersiechenhäuser, Siechenhäuser, Siechköbel, Gutleuthäuser) wurden an den wichtigen Ausfallstraßen der Städte errichtet, um möglichst viel Almosen zu erhalten. Gut erkennbar ist das in Nürnberg. Die Siechköbel St. Johannis (1234) Richtung Frankfurt, St. Jobst (1308) Richtung Prag, St. Leonhard (1317) Richtung Augsburg und St. Peter und Paul (1344) Richtung Regensburg lagen an den Ausfallstraßen, das Sondersiechenhaus wurde 1446-48 in der Stadt eingerichtet. Schon 1528 diente es als Weinlager infolge des massiven Rückgangs der Krankheit. Diese Nutzungsänderung ist eine typische Entwicklung.

Almosensammelbüchse, St. Antonius, Bamberg. (Historisches Museum Bamberg, Inv. Nr. Pl 1/103)

Entsprechend der christlichen Almosenlehre, insbesondere mit dem Gleichnis vom armen Lazarus als Beispiel, stifteten reiche Adelige und seit dem 13. Jahrhundert vor allem Bürger eine solche Einrichtung für ihr Seelenheil. Durch weitere Zustiftungen in Form von Naturalien, Äckern, Feldern und Dörfern war die Versorgung der Kranken gewährleistet.

Die Lepraschau und ihre Folgen

Eingewiesen in das Leprosorium wurden die Personen, die bei einer städtischen Lepraschau als "sondersiech" erkannt worden waren. Auch in Süddeutschland nahm ein von der Stadt bestellter Wundarzt (Scherer, Barbier) die Untersuchung vor. Er untersuchte den Urin und die Haut auf typische Leprazeichen. Da die Krankheit im Frühstadium schwer erkennbar ist, waren Fehldiagnosen möglich. Manchmal waren sie auch erwünscht, denn die Erben wollten einen vermeintlich Erkrankten loswerden. Der Wundarzt wurde in dem Fall bestochen. Die als aussätzig erklärte Person wurde nämlich aus der Gesellschaft ausgeschlossen und verlor ihre stadtbürgerlichen Rechte. Andererseits gab es auch als Leprakranke getarnte Bettler, die versuchten, einen Leprabrief zu erhalten, um ins Lepraspital zu kommen, wo sie versorgt wurden.

Leben im Leprosorium

Leprosenhäuser waren städtische Einrichtungen und sind als Sonderform des Spitals zu sehen. Strenge Hausordnungen regelten das Zusammenleben dieser unterschiedlichen Menschen, die zumeist zwangsweise ins Leprosorium gebracht wurden. Die Eigenständigkeit des Hauses zeigen die erhaltenen eigenen Siegel und die Tatsache, dass der städtische Pfleger des Leprosenhauses über die Verstöße Gericht hielt. Diese reichten von aggressiven Beschimpfungen und Handlungen bis zu sexuellen Übergriffen. Außerhalb des Hauses ging es um Bettelverstöße.

Die Aussätzigen durften an bestimmten Tagen und Zeiten an vorgesehenen Plätzen in der Stadt sammeln, meist vor den Kirchen. Oft gab es einmal im Jahr eine Sonderspeisung. In Nürnberg fand sie an drei Tagen in der Karwoche statt, wo bis zu 5.000 Lepröse zusammenkamen. Ansonsten sorgten die Leprakranken für sich selbst. Die Kräftigeren unter ihnen waren im Leprahaus aktiv. Sie kümmerten sich als Handwerker um die Belange des Hauses oder bewirtschafteten die angelegten Äcker. Manche Frauen pflegten die schwer Erkrankten. Die Lebensdauer im Spital konnte von drei bis 30 Jahren reichen. In einigen Häusern kam wöchentlich ein Bader, um die Kranken mit Salben zu versorgen und sie zu baden. Eine darüber hinausgehende Therapie fand nicht statt.

Die Anzahl der Leprosorien in Bayern

Karte der Verbreitung der Leprosorien in Bayern. (Gesellschaft für Leprakunde e. V./Jürgen Belker-van den Heuvel)

Wegen der unterschiedlichen Bezeichnungen und des Wegfalls oder der Fremdnutzung der Leprosorien ist es schwer, die genaue Anzahl der Leprosorien auf dem Gebiet des heutigen Bayern zu ermitteln. 1995 wurde eine im Vergleich zu anderen Gebieten beeindruckende Zahl von 220 Leprosorien in 190 Orten ermittelt und auf einer Karte dargestellt (vgl. "Die Klapper" 3 [1995]). Zusammenhänge mit der regional unterschiedlichen Städtedichte sind dabei unverkennbar. Die größte Streuung war demnach in Franken, die höchste Anzahl im 14. und 15. Jahrhundert. Die größeren Städte Nürnberg (6), Würzburg (5) und Regensburg (4) lagen an der Spitze; Passau (4), das große Augsburg (3) und das kleinere Bamberg (3) folgten. In vielen kleinen Orten war nur ein Leprosorium gestiftet worden. Das älteste wurde 1088 in Würzburg ermittelt, die letzten existierten noch im 17. bzw. vereinzelt bis ins 18. Jahrhundert.

Der Rückgang der Lepra

Als große Zäsur in der Verbreitung der Lepra, nachdem sie im 12./13. und 14. Jahrhundert in der Zeit der Kreuzzüge und des Städtewachstums wie eine Epidemie auftrat, gilt die Pest von 1348-1352. Hier wurden auch in Bayern Lepröse als Pestverbreiter verfolgt. Gleichzeitig wurden sie als immun geschwächte Menschen auch durch die Pest, die von da an in Schüben immer wieder kam, getötet. So sank die Zahl der Leprakranken im 15. Jahrhundert. Leprahäuser wurden teilweise zu Pestspitälern oder zweckentfremdet wie in Nürnberg 1528 als Weinstadel.

Im späteren 16. und im 17. Jahrhundert fanden kaum noch Leprakranke Erwähnung. Dies wird zum großen Teil auf die Verbesserung der hygienischen Verhältnisse zurückgeführt, so durch Straßenbau, Steinhäuser, bessere Wohnverhältnisse und Wasserversorgung wie auch z. B. durch die Erfindung des Schnupftuches. Aber auch im 16./17. Jahrhundert wurden regional noch Leprahäuser gegründet wie in Vilsbiburg (Lkr. Landshut) im Jahr 1571.

Im heutigen Bayern wurden viele Leprosorien relativ spät im 15. Jahrhundert gegründet. Es waren in der Regel ziemlich kleine Einrichtungen (10 Personen). Außerdem gab es schon im 15. Jahrhundert eine Veränderung. Nun kauften sich auch zunehmend kranke und gesunde ältere Pfründner gegen Zahlung einer Leibrente in die Leprahäuser ein. Da die Stiftungstätigkeit in derselben Zeit nachließ, mussten die Institutionen nun durch die Pfründner am Leben erhalten werden. Von großer Bedeutung ist heute der Siechhof in Eichstätt. Dort kann man im noch erhaltenen Siechhof sehen, wie man in einem solchen Leprosorium lebte, das 1307 zum ersten Mal erwähnt wird.

Literatur

  • Ingrid Busse, Der Siechkobel St. Johannis vor Nürnberg (Nürnberger Werkstücke 12), Nürnberg 1974.
  • Dina van Faassen, Lepra und Lepröse im Hochstift Paderborn, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte an der Universität-GH Paderborn 11 (1998), 5-23.
  • Georg Gerneth, Beitrag zur Geschichte der Lepra und Leproserien in der alten Reichsstadt Nürnberg und in Fürth, Diss. Erlangen 1949.
  • Kay Peter Jankrift, Mit Gott und schwarzer Magie. Medizin im Mittelalter, Darmstadt 2005, hier 119-140.
  • Robert Jütte, Obrigkeitliche Armenfürsorge in deutschen Reichsstädten in der frühen Neuzeit. Städtisches Armenwesen in Frankfurt am Main und Köln (Kölner Historische Abhandlungen 31), Köln/Wien 1984.
  • Ulrich Knefelkamp, Merkmale der Kontrolle und Ausgrenzung von Krankheit in der städtischen Gesellschaft, in: Gerhard Bott (Hg.), Visualisierung städtischer Ordnung. Zeichen-Abzeichen-Hoheitszeichen, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums und Bericht aus dem Forschungsinstitut für Realienkunde 1993, 231-239.
  • Ulrich Knefelkamp, Stadt und Spital im späten Mittelalter. Ein struktureller Überblick zu Bürgerspitälern süddeutscher Städte, in: Peter Johanek (Hg.), Städtisches Gesundheits- und Fürsorgewesen vor 1800, Köln u. a. 2000, 19-40.
  • Peter Kolb, Das Spitalwesen, in: Peter Kolb/Ernst-Günter Krenig (Hg.), Unterfränkische Geschichte. 2. Band, Würzburg 1992, 357-373.
  • Alois Mitterwieser, Verzeichnis der in Bayern entstandenen städtischen und märktischen Hospitäler, Leprosenhäuser und verwandten Wohltätigkeitsanstalten, in: Forschungen zur Geschichte Bayerns 14 (1906), 289-314.
  • Christian Müller, Lepra in der Schweiz, Zürich 2007.
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  • Martin Riegel, Krankheit und Krankenpflege in Kitzingen am Main zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit (Beiträge zur deutschen und europäischen Geschichte 29), Hamburg 2002.
  • Erich Saffert, Vom Leprosenhaus zum Leopoldina-Krankenhaus, in: Leopoldina-Krankenhaus der Stadt Schweinfurt, 1981, 129 ff.
  • Antje Schelberg, Leprosen in der mittelalterlichen Gesellschaft, Diss. phil. Göttingen 2001.
  • Andreas Schmauder, Leben in der Isolation: Lepra, Pest und Syphilis, in: Die Macht der Barmherzigkeit. Lebenswelt Spital, Konstanz 2000, 120-142.
  • Richard Toellner (Hg.), Lepra - Gestern und Heute. 15 wissenschaftliche Essays zur Geschichte und Gegenwart einer Menschheitsseuche, Münster 1992.
  • Martin Uhrmacher, Leprosorien in Mittelalter und früher Neuzeit (Geschichtlicher Atlas der Rheinlande. Beiheft 8/5), Köln 2000.
  • Dietrich Walcher, Die armen Siechen an dem Felde. Geschichte der Ravensburger Leprosenhäuser (Heimat Schussental), Ravensburg 1994.
  • Jörg Henning Wolf (Hg.), Aussatz - Lepra - Hansenkrankheit. Ein Menschheitsproblem im Wandel [Ausstellungskatalog]. 2. Teil: Aufsätze (Deutsches Medizinhistorisches Museum. Kataloge), Würzburg 1986.
  • Jörn Henning Wolf, Zur historischen Epidemiologie der Lepra, in: Maladies et société 12e - 18e siècles, Paris 1989, 99-120.
  • Andreas Wübben, Zur Geschichte der Lepra unter besonderer Berücksichtigung des Marburger Raums (Wissenschaft in Dissertationen 731), Marburg 2003.

Quellen

  • Ernst Mummenhoff, Die öffentliche Gesundheits- und Krankenpflege im alten Nürnberg, 1898 (1986), 89f. und 91ff. (ausführliche zitierende Darstellung der Ordnung der Siechköbel Jobst und Peter und Paul)

Weiterführende Recherche

Externe Links

Verwandte Artikel

Siechenhäuser, Sondersiechenhäuser, Lepra, Aussatz, Leprosorium, Siechkobel

Empfohlene Zitierweise

Ulrich Knefelkamp, Leprosenhäuser, publiziert am 05.02.2012; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Leprosenhäuser> (4.10.2024)