• Versionsgeschichte

Bündnis 90/Die Grünen in Bayern

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Version vom 14. Juni 2023, 14:52 Uhr von imported>Rittenauerd
Im dritten Anlauf schafften Die Grünen, vermutlich mit dem Rückenwind der Atomkatastrophe von Tschernobyl im Mai 1986, im September 1986 mit 7,5 % der Stimmen den Einzug in den Landtag. Das Bild zeigt die Landtagsfraktion der Partei auf ihrem Zug durch das Tal in München ins Parlament. Im Vordergrund der spätere Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag Christian Magerl (geb. 1955). (Foto: Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag)
Kurz vor dem Einzug ins Maximilianeum posieren die Mitglieder der ersten Landtagsfraktion der Grünen vor dem Parlamentsgebäude mit ihren Kindern (v.l.): Christine Scheel (geb. Schäfer, geb. 1956), Margarete Bause (geb. 1959), Ulrike Wax-Wörner (geb. 1945), Christian Magerl (geb. 1955), Ruth Paulig (geb. 1949), Raimund Kamm (geb. 1952), Ingrid Psimmas (1945-2009). (Foto: Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag)
Erste Plenarsitzung der 11. Legislaturperiode. Margarete Bause am Rednerpult. (Foto: Interfoto)
Verkehrspolitische Aktion der GRÜNEN Bayern auf dem Königsplatz, 14. März 1992 (Foto: Interfoto)
Wahlplakat für die Landtagswahl 1986: "Zum Landtag. Jede zweite grüne Abgeordnete wird ein Mann sein". (Foto: Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Bayern)
Wahlplakat für die Landtagswahl 1986: "Rettet die Alpen! Erhaltet den Bergwald!" Der Wahlslogan aus dem Jahr 1985 macht auf die Bedrohung der Wälder im Allgemeinen und - speziell in Bayern - des Bergwalds im Besonderen durch den sauren Regen aufmerksam. (Foto: Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Bayern)
Wahlplakat für die Landtagswahl 1986: "Nie wieder CäSiUm" Der Slogan aus dem Jahr 1986 nimmt in seinem Wortspiel Bezug auf die Gefahren, die von der Atomkraft ausgehen. Mit dem GAU im ukrainischen Tschernobyl im Mai 1986 gewannen diese Mahnungen große Aktualität. (Foto: Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Bayern)
Wahlplakat für die Landtagswahl 1998: "Beckstein würde auch Jesus abschieben. Auf die Grünen kommt es an." Mit diesem Slogan aus dem Lantagswahlkampf 1998 attackierten Die Grünen die bayerische Politik gegenüber straffällig gewordenen Ausländern, die mit dem damaligen Innenminister Günther Beckstein (CSU, geb. 1943) personifiziert wurde. (Foto: Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Bayern)
Wahlplakat für die Bundestagswahl 1983: "Die Grünen in den Bundestag". Erstmals in der Geschichte des Deutschen Bundestags konnten Die Grünen mit 5,6 % der Stimmen in das deutsche Parlament einziehen. Die bayerischen Grünen stellten 4 von insgesamt 27 Abgeordneten. (Foto: Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Bayern)
Wahlplakat zur Landtagswahl 2003: "Bayern schmeckt Bio". Sepp Daxenberger (1962-2010), Bio-Landwirt aus dem oberbayerischen Waging, war einer der prägendsten und zudem populärsten Politiker der Grünen in Bayern. (Foto: imago)

von Alf Mintzel

Die Partei "Die Grünen" wurde auf Bundesebene 1980 gegründet. Schon seit 1977 waren jedoch verschiedene grüne Listen bei Kommunalwahlen angetreten. In Bayern bildeten bei der Landtagswahl 1978 die "Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher" (AUD), die "Grüne Aktion Zukunft" (GAZ) und die "Grüne Liste Bayerns" ein Wahlbündnis, das sich erstmals den Namen "Die Grünen" gab. Der Landesverband der bayerischen Grünen wurde offiziell am 7. Oktober 1979 gegründet. "Die Grünen" entstanden aus neuen sozialen Strömungen, v. a. aus der Friedens-, Umwelt- Frauen- und Bürgerrechtsbewegung. Sie nahmen seit 1978 an allen allgemeinen Wahlen teil. 1993 schlossen sich "Die Grünen" mit "Bündnis 90" (1990 in der DDR entstanden) zur Bundespartei "Bündnis 90/Die Grünen" zusammen. Die Partei versteht sich als "ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei". Erstmals zogen die Grünen 1986 in den Bayerischen Landtag ein und sind seitdem durchgängig dort vertreten. Aufgrund der Stärke der CSU und der konservativen Einstellung großer Teile der bayerischen Wählerschaft hatten "Die Grünen" in Bayern anfangs einen schweren Stand, konnten sich jedoch bald im bayerischen Parteiensystem fest etablieren. Inhaltliche Schwerpunkte ihrer Arbeit bilden der Natur- und Umweltschutz, eine ökologische Energiepolitik, die Gleichstellung von Frau und Mann, eine liberale Rechtspolitik im Bereich der Bürger- und Menschenrechte sowie die Sozial- und die Bildungspolitik. 2013 zählte die Partei in Bayern 8.520 Mitglieder. Besonders stark sind "Die Grünen" im Regierungsbezirk Oberbayern vertreten. Auf kommunaler Ebene stellten "Die Grünen" von 1996 bis 2013 15 Bürgermeister. Eine Regierungsbeteiligung konnten sie bisher (Stand: 2014) in Bayern noch nicht erreichen.

Parteiwerdung und Entwicklung zur ökologisch-sozialen Reformpartei

Bündnis 90/Die Grünen, im Folgenden auch die Grünen genannt, gingen in ihrem Parteiwerdungsprozess von Mitte der 1970er bis Anfang der 1990er Jahre aus verschiedenen Strömungen neuer sozialer Bewegungen hervor, vor allem aus der Friedens-, Umwelt-, Frauen- und Bürgerrechtsbewegung - so auch in Bayern. Zwei gemeinsame Kernthemen dieser Gruppierungen und parteilichen Formierungen, die von rechts bis links ein breites politisches Spektrum abdeckten, bildeten der Naturschutz, der Umweltschutz und die Gegnerschaft zur atomaren Energiegewinnung. Darin trafen sich ökologisch-wertkonservative "bürgerliche" Kräfte (Herbert Gruhl [CDU, GAZ/Die Grünen, ÖDP, 1921-1993], Carl Amery [GVP, SPD, Die Grünen, eigtl. Christian Anton Mayer, 1922-2005] u. a.) und linksradikale, aus der "Außerparlamentarischen Opposition" (APO) kommende Gruppen.

In Bayern bildeten bei der Landtagswahl 1978 die von August Haußleiter (1905-1989) geführte "Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher" (AUD), die von Herbert Gruhl gegründete "Grüne Aktion Zukunft" (GAZ) und die von ehemaligen CSU-Mitgliedern gegründete "Grüne Liste Bayerns" ein Wahlbündnis, das sich erstmals den Namen "Die Grünen" gab. Dieses Zweckbündnis kam landesweit nur auf 1,8 % der gültigen Stimmen und scheiterte somit an der Fünf-Prozent-Klausel. Der Landesverband der bayerischen Grünen wurde offiziell am 7. Oktober 1979 gegründet. Die Delegierten wählten auf der Gründungsversammlung die Doppelspitze Halo Saibold (Bündnis 90/Die Grünen, eigtl. Hannelore Saibold, geb. 1943) und Klaus Resch (geb. 1938) als erste gleichberechtigte Landesvorsitzende. Der Landesverband nahm an der weiteren Formierung der verschiedenen grünalternativen Gruppierungen, Aktionsbündnisse und Parteibildungen zu einer Bundespartei teil. Unterschiedliche politische Ziel- und Schwerpunktsetzungen führten in den 1970er und 1980er Jahren zu heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen, Abspaltungen und Austritten (prominente Beispiele: August Haußleiter, Herbert Gruhl, Carl Amery).

Die Abspaltungen und Austritte hatten allerdings auch einen entschärfenden Effekt. Als sich nach der Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten in der neuen Bundesrepublik die westdeutschen Grünen und das "Bündnis 90", das 1990 in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) von verschiedenen Gruppen der Bürgerrechtsbewegung geschlossen worden war, 1993 zur neuen Bundespartei "Bündnis 90/Die Grünen" vereinigten, nahmen auch die Grünen in Bayern den neuen Parteinamen an. "Bündnis 90/Die Grünen" bezeichnen mit den programmatischen Schlüsselbegriffen "ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei" ihr politisches Selbstverständnis. Die organisationspolitische und programmatische Integration der "bayerischen" Grünen in den Bundesverband verlief relativ reibungslos; es gab keine bayerischen Sonderkonditionen. Auf Verlautbarungen, Briefköpfen und Visitenkarten nannten sich ihre Fraktionsmitglieder "Die Grünen im Bayerischen Landtag".

Die Grünen hatten anfangs in Bayern aufgrund der verfestigten Asymmetrie der Parteienkonkurrenz und betont konservativen Einstellung eines großen Teils der Bürger- und Wählerschaft einen besonders schweren Stand. Sie waren mit einem stark ausgeprägten, integrationsfähigen und bindemittelfesten bayerischen Konservatismus konfrontiert, der "das schöne Bayern" (Herbert Riehl-Heyse [1940-2003]) auch in einem ökologischen Sinn vertrat. "Landschaft" und "Landschaftspflege" waren (und sind immer noch) Kristallisationspunkte für verschiedene, auch gegensätzliche politische Philosophien. Die bayerische "Landschaft"/"Umwelt" hat starke Symbolkraft für konservativ wie für progressiv orientierte Menschen. Bayerische Landschaften und Umwelten stehen für Geborgenheit im bekannten Alten, aber auch für konkrete Utopie, romantischen Rückzug und nachhaltige Ökologie. So kommt es, dass in Bayern mindestens drei ökologische Richtungen miteinander konkurrieren: die der CSU (Stichwörter: "bäuerliche Landschaftspflege", schutzbedürftige "Heimat"), die der stark katholisch geprägten Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp) (sogenannte christliche Grüne: "Bewahrung der Schöpfung"), und die der Grünen ("Erhaltung der ökologischen Vielfalt", "Schutz der Natur"). Seit geraumer Zeit beanspruchen alle im Parlament vertretenen Parteien, ökologisch ausgerichtet zu sein - wohl auch ein Nebeneffekt der Gründung und Etablierung der Grünen. Mit solchen Markierungen von Rahmenbedingungen, mit Kontext- und Konstellationsanalysen werden im Folgenden der Rolle der Grünen im bayerischen Parteiensystem Rechnung getragen und Wechselwirkungen aufgezeigt.

Die bayerischen Grünen wurden bei den besonderen politisch-kulturellen Verhältnissen Bayerns zu einer strukturellen Konkurrenzpartei der SPD, die in Bayern in einer seit Jahrzehnten währenden Oppositionsrolle zu einer regionalen und städtegebietlichen Schwerpunkt-Partei geworden war und ihren volksparteilichen Charakter weitgehend verloren hatte. Die Grünen gewannen charakteristischerweise überall dort an Boden, wo auch die SPD ihre Basen und Rekrutierungsfelder hatte. Sie schwächten hierdurch die ohnehin schwache sozialdemokratische Oppositionspartei. Mitte der 1970er Jahre, also kurze Zeit vor Bildung des Wahlbündnisses "Die Grünen", hatte sich die bayerische Sozialdemokratie bemüht, ihr bayerisches Eigenprofil zu schärfen. Unter dem Slogan "Das andere Bayern" hatte sie ein Gegenforum ins Leben gerufen, das so etwas wie eine innerbayerische "Gegenkultur" kreieren sollte. Es waren aber dann die Grünen, die verschiedene oppositionelle Strömungen in der grünen "Antipartei-Partei" verbanden und hierdurch die sozialdemokratischen Bemühungen konterkarierten.

Die Grünen bildeten unterhalb der CSU-Hegemonialkultur quasi eine neue Art "Gegenkultur" gegen die etablierten politischen Kräfte und herrschenden Verhältnisse. Sie trugen ihre ökologischen "Anstöße" seit 1986 in das Parlament hinein, wo sie zunächst als unbequeme und lästige "Neulinge" diskriminiert wurden. So lud zum Beispiel der damalige Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU, 1915-1988, Ministerpräsident 1978-1988) Parlamentarier der Grünen nicht zu Staatsempfängen ein. Die Grünen sahen sich in den 1990er Jahren und später angesichts der Heimatverbundenheit weiter Bevölkerungskreise ebenfalls herausgefordert, sich mit den mentalen Inhalten des Heimatbegriffes auseinanderzusetzen. Auf eigens hierfür organisierten Veranstaltungsreihen, die von dem damaligen Fraktionsvorsitzenden im Bayerischen Landtag, Sepp Dürr (Bündnis 90/Die Grünen, geb. 1953), unter dem Motto "Hier sind wir daheim" initiiert worden waren, versuchten sie, "einen weltoffenen Heimatbegriff" zu entwickeln (Dieter Janecek [Bündnis 90/Die Grünen, geb. 1976], SZ, 17.9.2010). Der Parteienforscher Joachim Raschke (geb. 1938), ein Experte der Parteigeschichte der Grünen, fasste 1993 seine Beobachtungen im Blick auf die bayerischen Grünen wie folgt zusammen: Sie seien "reformorientiert", zeigten "keinen ideologisch vertieften Radikalismus", seien "anti-radikal", hätten eine "spezifisch bayerische Theorieabneigung", seien "trotz aller Streitigkeiten von einer Harmoniesehnsucht beseelt" und "mehr landsmannschaftlich" orientiert. Diese Charakterisierungen mögen wohl in der Tendenz zutreffen, müssten aber im Einzelnen untersucht und belegt werden.

Der Landesverband Bayern der Grünen wird heute allgemein als "realpolitisch" eingeschätzt, das heißt, in seiner politischen Programmatik gilt er als reformerisch und in seiner politischen Praxis als pragmatisch ausgerichtet. Er hat den Charakter einer "ökologisch-sozialen Reformpartei" angenommen. Die Grünen haben sich im Parteiensystem Bayerns fest etabliert und werden mehr als die SPD als Oppositionspartei wahrgenommen. Kein geringerer parteipolitischer Gegner als Edmund Stoiber (CSU, geb. 1943, Ministerpräsident 1993-2007) bestätigte 2004 den Grünen: "Sie sind in manchen Bereichen pragmatischer, offener geworden, sie haben Führungsleute, die nicht mehr ideologisch argumentieren und ihre bürgerliche Herkunft nicht verleugnen" (FAZ, 24.9.2005). Er schloss eine schwarz-grüne Koalition nicht einmal mehr für Bayern aus, falls es landespolitische Entwicklungen erforderlich machten. Die gemeinsamen politischen Schnittmengen blieben aber viel zu klein und der Erfolg der CSU viel zu groß, um die Bildung einer schwarz-grünen Koalition im Landesparlament möglich werden zu lassen. In ihren Partei-, Wahlkampf- und Aktionsprogrammen haben sich die bayerischen Grünen im bundesweiten politisch-programmatischen Rahmen und mit zeitlichen Schwerpunktverlagerungen von den Kernthemen hin zu weiteren Politikfeldern (wie Bildungspolitik, Sozialpolitik) hauptsächlich auf sechs Schwerpunkte bzw. Politikfelder konzentriert, die heute ihr Profil ausmachen. Es sind:

  1. der Natur- und Umweltschutz einschließlich einer umweltschonenden Landwirtschaft
  2. die ökologische Energiepolitik (Stichwörter: Atomausstieg und nachhaltige Energiewende, Klimaschutz)
  3. die Gleichstellung von Frau und Mann (Stichwörter: Frauen- und Geschlechterpolitik/ Frauenstatut)
  4. im Bereich der Bürger- und Menschenrechte (vor allem in Konkurrenz zur FDP) eine liberale Rechtspolitik (Stichwörter: integrationsfreundliches Staatsbürgerschaftsrecht, individuelles Grundrecht auf Asyl, Datenschutz)
  5. die Sozialpolitik (Stichwort: Verteilungsgerechtigkeit)
  6. die Bildungspolitik (Stichwörter: individuelle Förderung, flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen, keine Studienbeiträge)

Sie wollen Potenziale des ökonomischen Strukturwandels ermitteln und dem "High-Tech-Modernisierungsprogramm" der Bayerischen Staatsregierung ein "ökologisches Modernisierungsprogramm für die Regionen" entgegensetzen. Trotz zeitweilig schwerer innerparteilicher Auseinandersetzungen über politische Grundsatzfragen (zum Beispiel Trennung von Parteiamt und Mandat, Rotationsprinzip) und über Einzelthemen ihrer ökologischen Agenda ist ihre streitbereite basisdemokratische Diskussions- und Debattenkultur auf Konsens und Ausgleich bedacht. In ihrem politischen Diskussionsstil kommen regionalbayerische (Franken, Schwaben, Altbayern) Akzente zum Ausdruck. Als Beispiele werden hierfür der verstorbene Joseph "Sepp" Daxenberger (Bündnis 90/Die Grünen, 1962-2010) und neuerdings Anton "Toni" Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen, geb. 1970) genannt.

Organisationsstruktur und Führungspersonal

Nach anfänglichen Schwierigkeiten im Organisationsaufbau sind die Grünen inzwischen in Anlehnung an die politische Organisation Bayerns vierstufig von der Orts- über die Kreis- und (Regierungs-)Bezirksebene bis zur Landesebene durchorganisiert, wenngleich mit organisationsstrukturellen Mängeln. Sie waren auch nach eigener Einschätzung landesweit nur beschränkt kampagnenfähig. Die CSU ist ihnen darin haushoch überlegen. Die ehemaligen Landesvorsitzenden Ruth Paulig (Bündnis 90/Die Grünen, geb. 1949) und Bernd Schreyer wiesen parteiintern wiederholt darauf hin, "auf welch wackeligem Fundament grüne Politik in Bayern steht." Sie beklagten "unzureichende finanzielle Ausstattung der Landesgeschäftsstelle und des Landesvorstandes, teilweise schwerfällige und ineffiziente Strukturen sowie ein politisches Profil, das an einigen Unschärfen leidet" (Landesversammlung in Erlangen, 20.-22.11.1998).

Mittlerweile wurden die Landesgeschäftsstelle und der Landesvorstand wesentlich besser ausgestattet und auch hierdurch die Kampagnenfähigkeit beträchtlich erhöht. An der Parteibasis besteht, wie zum Beispiel das Bürgerbegehren zur dritten Startbahn am Münchner Flughafen gezeigt hat, eine beachtliche Bereitschaft, eine Kampagne zu organisieren und zu führen. Das früher vom Parteistatut festgeschriebene eherne Prinzip der Trennung von Parteiamt und parlamentarischem Mandat wurde inzwischen gelockert und die einstmals große Fluktuation von Amt und Mandat verringert. Dennoch blieben diese Prinzipien und die Rotation der Mandatsträger intern unter Gesichtspunkten politischer Effizienz umstritten. Die Partei hat sechs Bezirksverbände, die den sechs Regierungsbezirken Niederbayern, Oberpfalz, Oberfranken, Unterfranken, Mittelfranken und Schwaben entsprechen. In Oberbayern werden die formalen Aufgaben der Kreisverbände von der Landesgeschäftsstelle wahrgenommen. Die Landkreise werden von 90 grünen Kreisverbänden (2013) abgedeckt. Der Landesvorstand setzt sich aus vier Mitgliedern zusammen (zwei Vorsitzende, Schatzmeister, Beisitzer). Die zwei Vorsitzenden-Positionen werden gemäß dem "Frauenstatut" paritätisch von einer Frau und einem Mann, die Schatzmeister-Position und die Besitzer-Position je nach Wahlausgang von einer Frau oder einem Mann besetzt. Der Landesvorstand wird von einem zwölfköpfigen Parteirat kontrolliert. In den Wahlen zur Parteiführung kam mit der Zeit eine beachtliche Kontinuität vor allem bei der Wahl der Sprecherinnen zum Ausdruck. Margarete Bause (Bündnis 90/Die Grünen, geb. 1959) hatte dieses Amt von 1998 bis 2003 inne, Theresa Schopper (geb. 1961) von 2003 bis 2013. Schopper war auf der Landesdelegiertenkonferenz 2011 mit knapp 83 % der Stimmen zum fünften Mal in Folge gewählt worden. Das 1986 im Rahmen der grünen Frauen- und Geschlechterpolitik eingeführte "Frauenstatut" ist Bestandteil der Parteisatzung (§ 1) und gilt für alle Wahlen und Versammlungen. Mindestens die Hälfte aller Ämter und Mandate stehen Frauen zu. Mit dem "Frauenstatut" wollen die Grünen der strukturellen Benachteiligung der Frauen entgegenwirken. Es ist ein Alleinstellungsmerkmal der Grünen; keine andere Partei hat bisher solche Regelungen eingeführt. Auf der Landesebene fungieren thematisch auf Politikfelder ausgerichtete Landesarbeitskreise. Parteiintern wird 2014/15 eine Organisationsreform vorbereitet, um organisationsstrukturelle und personalverschleißende Mängel zu beheben.

Führungspersonal
Jahr Landesvorsitzende (Sprecherin) Landesvorsitzender (Sprecher)
1979 Halo Saibold (geb. 1943) Klaus Resch (geb. 1938)
1980 - Jörg Westerhoff, Eberhard Bueb (geb. 1938), Manfred Quichert
1982 Jutta Damm Horst Schmidt, Rolf Gajewski
1983 Elisabeth Sellmann Ekkehart Rotter
1985 Claudia Solana Ekkehart Rotter
1986 Ulrike Windsperger (geb. 1949), Martin Kaltenhauser, später abgelöst durch Heinz Gruber
1987 Heidi Meinzolt-Depner Eberhard Bueb
1989 Heidi Meinzolt-Depner Mike Pfeffer
1991 Margarete Bause (geb. 1959) Gerald Häfner (geb. 1956)
1993 Barbara Hoffmann Gerald Häfner
1995 Barbara Hoffmann Kurt Haymann (geb. 1955)
1997 Ruth Paulig (geb. 1949) Bernd Schreyer
1998 Margarete Bause Jerzy Montag (geb. 1947)
2002 Margarete Bause Joseph "Sepp" Daxenberger (1962-2010)
11/2003-10/2008 Theresa Schopper (geb. 1961) Joseph "Sepp" Daxenberger
10/2008-11/2013 Theresa Schopper Dieter Janecek (geb. 1976)
2013 Sigrid "Sigi" Hagl (geb. 1967) Dieter Janecek
2014 Sigrid "Sigi" Hagl bis Oktober 2014 Dieter Janecek , seit Oktober 2014 Eike Hallitzky (geb. 1959)
Parteiprogramme und Landtagswahlprogramme
Jahr Parteiprogramm Landtagswahlprogramm
1986 Parteiprogramm
1990 ...und in Bayern rührt sich was! Programm zur Landtagswahl 1990
1994 Landtagswahlprogramm '94: Nur mit den Grünen WECHSEL IN BAYERN
1998 Landtagswahlprogramm '98: "Ein Zukunftsplan für Bayern"
2003 Programm für die Landtagswahl in Bayern am 21.9.2003
2008 Unser Wahlprogramm 2008-2013
2013 Landtagswahlprogramm: "Bayern ist reif. Und Du?"

Teilnahme an Wahlen und Wahlergebnisse

Landtagswahlen

Die Grünen nahmen seit 1978 an allen allgemeinen Wahlen teil. Sie entsenden seit den 1980er Jahren auf alle politischen Organisationsebenen von der politischen Gemeinde bis zum Europaparlament Mandatsträger. Nachdem ein Wahlbündnis grüner Organisationen in der Landtagswahl 1978 mit nur 1,8 % der Stimmen gescheitert war, traten die Grünen zur Landtagswahl 1982, nun als neu gegründete Partei Bündnis 90/Die Grünen, zum zweiten Mal an. Ihre Spitzenkandidatin war die aus Günzburg stammende Petra Kelly (Bündnis 90/Die Grünen, eigtl. Petra Karin Lehmann, 1947-1992), eine charismatische Persönlichkeit, die zu einer Symbolfigur der ökologischen und pazifistischen Bewegung wurde. Aber auch beim zweiten Anlauf scheiterten die Bündnisgrünen 1982 mit nur 4,6 % an der Fünf-Prozent-Hürde. Es war wohl die Tschernobyl-Katastrophe vom Mai 1986, die ihnen in der Landtagswahl 1986 die entscheidende Schubkraft verlieh. Sie gewannen 7,5 % der Stimmen und zogen mit 15 Abgeordneten zum ersten Mal in den bayerischen Landtag ein. Seither konnten die Grünen in jeder Landtagswahl die Fünf-Prozent-Hürde nehmen, obschon sie "Zitterpartien" durchstehen mussten. Die Verluste in der Landtagswahl 1998 wurden auch darauf zurückgeführt, dass in Bayern der Umweltschutz, wie Umfragen der "Forschungsgruppe Wahlen e. V." ergeben hatten, nur noch für acht Prozent der Befragten zu den wichtigsten Problemen im Freistaat zählten. Die Grünen erlitten Einbußen, obwohl ihnen im Vergleich mit den anderen Parteien die größte Umweltkompetenz zugeschrieben worden war. Die Grünen wurde auf Landesebene 1986 neben der CSU und der SPD zur drittstärksten parlamentarischen Kraft und blieben dies bis 2008.

Die Ergebnisse der Landtagswahl 2008 veränderten dann die Kräfteverhältnisse in doppelter Hinsicht: Die FDP, die in drei Legislaturperioden in Folge (1994/98; 1998/2003; 2003/2008) nicht mehr im Landtag vertreten gewesen war, konnte 2008 mit einem Überraschungsergebnis von 8,0 % 16 Abgeordnete in den Landtag entsenden. Vom dritten Platz wurde Bündnis 90/Die Grünen jedoch von den Freien Wählern (FW) verdrängt, die 2008 zum ersten Mal bei einer Landtagswahl angetreten waren. Die FW errangen mit einem Schlag 10,2 % und konnten mit 21 Abgeordneten in den Landtag einziehen. Bündnis 90/Die Grünen mussten folglich in der 16. Legislaturperiode im Rahmen einer parlamentarischen Fünf-Parteien-Konstellation agieren. Obschon vor der Landtagswahl 2013 den Grünen in Umfragen bis zu 15 und mehr Prozent vorhergesagt worden waren, fielen sie von 9,4 % (2008) auf 8,6 % zurück. Sie büßten ein Mandat ein und konnten nur noch 18 Abgeordnete entsenden. Die FW konnten 2013 mit 9,0 % 19 Sitze erringen und mit ihnen im Landesparlament neben CSU und SPD ihren dritten Platz behaupten. Die FDP verfehlte mit 3,3 % die Fünf-Prozent-Hürde und trat als parlamentarischer Konkurrent ab. Der Ausgang der Landtagswahl 2013 machte die vorher gehegten Erwartungen und arithmetischen Kalküle der Grünen, aber auch die der anderen Kleinparteien zunichte. Die bayerischen Bündnisgrünen gaben zu, ihre selbst gesteckten Ziele (insbesondere deutlicher Mandatszuwachs, Verhinderung einer CSU-Mehrheit) nicht erreicht zu haben. Ihre landespolitischen Zielsetzungen seien von bundespolitischen Streitfragen überlagert worden (Pädophilie-Vorwurf u. a. gegen Jürgen Trittin [Bündnis 90/Die Grünen, geb. 1954], grünes Steuerkonzept, "Veggie-Day"). Ihre schlechten Ergebnisse in Oberbayern schrieben die Grünen dem Tod ihres ehemaligen oberbayerischen "Stimmenkönigs" Sepp Daxenberger zu.

Ergebnisse bei Landtagswahlen
Landtagswahl Ergebnis Mandate
1986 7,5 % 15/204
1990 6,4 % 12/204
1994 6,1 % 14/204
1998 5,7 % 14/204
2003 7,7 % 15/180
2008 9,4 % 19/187
2013 8,6 % 18/180

In den bisher sieben Wahlperioden gelang es einzelnen Landtagsabgeordneten der Grünen, sich landespolitisch zu profilieren und dadurch in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu erregen. Genannt seien zum Beispiel Christine Scheel (Bündnis 90/Die Grünen, geb. 1956), die erste Fraktionsvorsitzende (11. WP, 1986-1990), in ihrer Rolle als finanzpolitische Sprecherin, Eike Hallitzky (Bündnis 90/Die Grünen, geb. 1959), der finanzpolitische Sprecher seiner Fraktion in den Jahren von 2003 bis 2013 und 2008 bis 2013, als Mitglied der sog. Landesbank-Kommission (Untersuchungsausschuss Bayerische Landesbank), Margarete Bause, die langjährige Fraktionsvorsitzende (seit 2003), und Sepp Dürr, der vor allem in kulturpolitischen Bereichen wirkte (siehe "Hier sind wir Daheim" und "weltoffener Heimatbegriff"). Der verstorbene Sepp Daxenberger machte als urbayerisch-charismatischer Landwirt für die Grünen ländliche Bereiche zugänglich. Zu nennen wäre auch Emma Kellner (geb. 1953) in ihrer Rolle als Haushaltspolitikerin und das bürgerrechtliche Engagement von Christine Stahl (geb. 1957). Führungskräfte der Grünen rekrutierten sich auffallend auch aus Kreisen der Biobauern.

Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag
Wahlperiode (WP) Vorsitzende Vorsitzender
11. WP (1986-1990) Margarete Bause, Ulrike Wax-Wörner (1986-87), Eleonore Romberg, Ruth Paulig, Christine Scheel (1987-89), Margarete Bause (1989-90) Hartmut Bäumer (geb. 1948) (1986-87), Hartmut Bäumer, Christian Magerl (1989-1990)
Margarete Bause
12. WP (1990-1994) Christine Scheel, Ruth Paulig (1990-92), Tessy Lödermann (geb. 1956) (1992-1993), Ruth Paulig (1993-1994) Manfred Fleischer (geb. 1954)
13. WP (1994-1998) Elisabeth Köhler, Tessy Lödermann (1994-96), Elisabeth Köhler, Petra Münzel (1996-1998) Manfred Fleischer (1994-1997)
14. WP (1998-2003) Ruth Paulig, Emma Kellner (geb. 1953), Elisabeth Köhler (1998-2000), Christine Stahl (2000-2003) Sepp Dürr (2000-2003)
15. WP (2003-2008) Margarete Bause Sepp Dürr
16. WP (2008-2013) Margarete Bause (2008-2013) Joseph "Sepp" Daxenberger (2008-2010)
Thomas Mütze (geb. 1966) (2010-2011)
Martin Runge (geb. 1958) (2011-2013)
17. WP (seit 2013) Margarete Bause Ludwig Hartmann (geb. 1978)

Anmerkung: Zur Hälfte jeder Legislaturperiode wählen die grünen Abgeordneten im Unterschied zu den anderen im bayerischen Landtag vertretenen Parteien einen neuen Fraktionsvorstand. Sepp Daxenberger war 2010 wegen seiner Krebserkrankung zurückgetreten.

Bundestagswahlen

Auch in den Bundestagswahlen waren die bayerischen Grünen seit 1983, abgesehen von der Bundestagswahl 1990, recht erfolgreich. In den auf die Wahl von 1990 folgenden vier Bundestagswahlen (1994, 1998, 2003 und 2008) konnte Bündnis 90/Die Grünen in Bayern jedes Mal einen leichten Zuwachs verzeichnen: +1,7 (1994), +0,1 (1998), +1,2 (2002), +0,3 (2005) Prozentpunkte. In der Bundestagswahl 2009 erzielten sie mit 10,8 % der Stimmen zum ersten Mal ein zweistelliges Ergebnis, was ihnen zunächst auch einen landespolitischen Auftrieb verschaffte. Entgegen den Erwartungen brachte dann die Bundestagswahl 2013 für Bündnis 90/Die Grünen wie in allen anderen Ländern auch in Bayern ein rückläufiges Ergebnis. Die Pädophilie-Vorwürfe gegen prominente Spitzenpolitiker der Grünen (Jürgen Trittin, Daniel Cohn-Bendit [Bündnis 90/Die Grünen, geb. 1945]) und die Debatte über das ökologische Steuerreform-Konzept hatte Bündnis 90/Die Grünen kurz vor der Wahl in die Defensive gebracht.

Ferner hatten sich andere "Reizthemen" und Vorschläge der Grünen wie der sogenannte Veggie-Day auch in Bayern negativ ausgewirkt und die Grünen Stimmen gekostet. Aus Bayern kamen prominente Mitglieder der Grünen in den Bundestag: Petra Kelly und Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen, geb. 1955). In den ersten zwei Jahrzehnten ihrer Parteigeschichte stand Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag mit der SPD in der Opposition zur schwarz-gelben Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU, 1930-2017, Bundeskanzler 1982-1998). Nach der Bundestagswahl 1998 wurde diese Koalition von der rot-grünen unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD, geb. 1944, Bundeskanzler 1998-2005) abgelöst. Die bundespolitischen Rückwirkungen auf die landespolitische Situation von Bündnis 90/Die Grünen in Bayern waren jedes Mal gravierend. In der rot-grünen Regierungskoalition, die bis zum Jahre 2005 hielt, erreichten die Grünen unter anderem mit der Ökosteuer (1999) und dem Atomausstiegsgesetz (2002) für sie wichtige Erfolge, die in Form von Zugewinnen bei den bayerischen Landtagswahlen zu Buche schlugen.

Ergebnisse bei den Bundestagswahlen in Bayern
Bundestagswahlen Stimmenanteil Mandate
1983 4,7 % 4
1987 7,7 % 7
1990 4,6 % 0
1994 6,3 % 6
1998 6,4 % 6
2002 7,3 % 7
2005 7,9 % 7
2009 10,8 % 10
2013 8,4 % 9

Kommunalwahlen

Als sich betont basisdemokratisch verstehende und in zahlreichen lokalen single-purpose-Aktionen (Anti-Atomkraft-Bewegung, Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf, Umweltschutz) von unten her entstandene und gewachsene Partei bemühten sich die Grünen, auf kommunaler Ebene Einfluss zu gewinnen und einen breiten Unterbau zu schaffen. Sie beteiligten sich zum ersten Mal 1984 an den bayerischen Kommunalwahlen, errangen auf Anhieb 367 Mandate und wurden zur drittstärksten Partei. Sie konnten sich seither auf kommunalpolitischer Ebene dauerhaft etablieren. Sie erzielten in den Kommunalwahlen seit 1984 folgende Ergebnisse (in Prozent): 1984 3,6; 1990 5,4; 1996 6,9; 2002 5,7; 2008 8,9; 2014 10,9. Geringfügige Abweichungen in den Angaben zu Wahlergebnissen haben parteihistorische Gründe: In manchen Städten (z. B. Bamberg) traten die Grünen bei Kommunalwahlen noch unter "Grün-Alternative Liste" oder ähnlichen Bezeichnungen an. Die amtliche Statistik führt diese Listen als "Grüne und sonstige Listen". Faktisch handelt es sich aber um grüne Listen.

Sieht man von den Kommunalwahlen 2002 ab, in denen die Grünen in allen kommunalen Bereichen Verluste hinnehmen mussten, gewannen sie mit jeder Kommunalwahl zahlreiche Mandate hinzu. 1996 waren es bereits 1.089 Mandate, 2014 mehr als 1.800. Sie überrundeten die ohnehin schwache FDP und erst recht die ödp. Als Indiz ihrer zunehmenden Akzeptanz und Etablierung auf kommunaler Ebene wurden insbesondere ihre Erfolge bei den Bürgermeisterwahlen angesehen. Sepp Daxenberger wurde 1996 in Waging (Lkr. Traunstein) als erster grüner Bürgermeister gewählt. 2008 wurde Benedikt Bisping (geb. 1967) in Lauf (Lkr. Nürnberger Land) erster grüner Bürgermeister einer Kreisstadt. Er beendete mit seiner Wahl eine fast drei Jahrzehnte dauernde Amtszeit der CSU. Die Zahl grüner Bürgermeister ist von 1996 bis 2014 auf insgesamt 14 gestiegen. In den Kommunalwahlen 2014 konnten die Grünen zum ersten Mal in ihrer Geschichte in Stichwahlen zwei Landratspositionen erringen: im Landkreis Miesbach und (über ein Wahlbündnis) im Landkreis Miltenberg. In beiden Fällen zogen die Grünen hohen Nutzen aus besonderen örtlichen Gegebenheiten.

Ergebnisse von Bündnis 90/Die Grünen bei Kommunalwahlen in Bayern
Jahr Stimmenanteil Sitze Stadträte in kreisfr. Städten u. Kreistagen in den Landkreisen Sitze Stadträte in kreisfreien Städten Sitze Kreistage in den Landkreisen Gemeinderäte in den kreisangehörigen Gemeinden Insgesamt
1984 3,6 % 138 30 108 91 367
1990 5,4 % 239 53 186 243 721
1996 6,9 % 343 76 267 403 1.089
2002 5,7 % 274 62 212 326 874
2008 8,2 % 413 99 314 535 1.361
2014 10,9 %

Europawahlen

Die Grünen in Bayern nahmen seit 1979 an allen acht Europawahlen teil, die seit 1979 in der Europäischen Union alle fünf Jahre abgehalten werden. 1979 schlossen sich "Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher", "Grüne Aktion Zukunft" und "Grüne Liste Umwelt" unter der Bezeichnung "Sonstige Politische Vereinigung (SPV)/Die Grünen" zu einem Wahlbündnis zusammen und erhielten 2,9 % der Stimmen. Die Wahlbeteiligung brachte eine Wahlkampfkostenerstattung in Höhe von 4,9 Mio. DM ein. Diese Finanzmittel wurden in den weiteren Aufbau von Bündnis 90/Die Grünen investiert, so dass man von einer indirekten staatlichen Förderung der neuen Parteigründung sprechen kann. Die bayerischen Grünen erzielten in den folgenden Wahlen in Prozent: 1984: 6,8; 1989: 7,8; 1994: 8,7; 1999: 6,1; 2004: 11,7; 2009: 11,5; 2014: 12,1. Aufgrund des Wahlergebnisses von 2009 konnten sie zwei Abgeordnete aus Bayern nach Brüssel und Straßburg entsenden: Barbara Lochbihler (Bündnis 90/Die Grünen, geb. 1959) und Gerald Häfner (Bündnis 90/Die Grünen, geb. 1956). Häfner schied 2014 aus dem Europäischen Parlament aus; Barbara Lochbihler konnte 2014 erneut einziehen. Die Grünen überflügelten in Bayern seit 1984 in allen Europawahlen die FDP und wurden somit auch auf dieser Wahlebene neben CSU und SPD zur drittstärksten Kraft.

Mitgliederentwicklung

Die Zahl ihrer Mitglieder wuchs von anfänglich ca. 1.500 (1979) auf 8.520 (2013) an. Nach ihren ersten Erfolgen in der Kommunalwahl 1984 und in der Landtagswahl 1986 nahm der Zustrom deutlich zu. Innerparteiliche Auseinandersetzungen führten jedoch häufig zu Austritten. Nach einer Bereinigung der Mitgliederkartei zwischen 1988 und 1992 sank die Zahl der Mitglieder zunächst auf 5.998 ab. Seit 1992 stiegen die Zuwächse auf relativ niedrigem Niveau langsam wieder an. In den Monaten nach der Reaktor-Katastrophe in Fukushima und mit der eingeleiteten "Energiewende" 2011 gingen die Mitgliederzahlen sprunghaft von 7.226 (2010) auf 8.105 (2012) an. Während bei den anderen im bayerischen Landtag vertretenen Parteien die Mitgliederzahlen rückläufig waren, hielt der Zulauf zu den Bündnisgrünen in bescheidenem Maße an. Die regionalbayerische Verteilung der Mitglieder weist typische Schwerpunkte auf. Die Münchner Grünen bilden in Bayern den größten Kreisverband mit rund 1.200 Mitgliedern (2011). Parteimitglieder unter 28 Jahren gehören automatisch der Jugendorganisation "Grüne Jugend Bayern" an.

Mitgliederentwicklung von 1979 bis 2014
1979 1.500 2000 6.067
1980 1.880 2001 5.963
1981 2.320 2002 6.095
1983 4.847 2003 6.185
1985 5.999 2004 6.085
1988 ca. 7.200 2005 6.100
1992 5.037 2006 5.998
1993 5.291 2007 6.139
1994 5.555 2008 6.422
1995 6.090 2009 6.693
1996 7.226 2010 7.226
1997 6.544 2011 8.017
1998 6.713 2012 8.105
1999 6.270 2013 8.520
2014 k. A.

Die Grünen rekrutieren über die Teilorganisation "Grüne Jugend Bayern" Nachwuchs. Die Jugendorganisation hat ca. 1.100 Mitglieder (2011) und versteht sich als ökologisch, sozial, globalisierungskritisch, basisdemokratisch, emanzipiert, antirassistisch, international und gewaltfrei.

Soziokulturelle Merkmale und Milieurepräsentation

Zu den sozialstrukturellen Merkmalen von Mitgliedern, Mandatsträgern, Parteiamtsträgern und Sympathisanten lässt sich laut den Sozialforschern des Heidelberger Sinus-Instituts generell sagen: Das klassische bürgerliche Lager und das Lager der industriellen Arbeitnehmerschaft mit ihren jeweiligen Parteibindungen lösten sich in den letzten dreißig Jahren im Zuge von Ausdifferenzierungen in den Mittelschichten und in der Oberschicht in unterschiedliche "Milieus" auf. Neben den Milieus der "bürgerlichen Mitte" und den "Konservativ-Etablierten" entwickelten sich weitere "Milieus", das "Sozialökologische", das "Liberal-Intellektuelle", das der "Performer" und der "Expeditiven" (mit hoher Affinität zur FDP) und der "Adaptiv-Pragmatischen". Das hatte Konsequenzen für das Parteiensystem. Die altetablierten Volksparteien verloren an Bindungskraft. Die Grünen waren und sind als neue Partei nicht zuletzt auch eine Folgewirkung dieser Ausdifferenzierungen. Ihre Anhänger und ihr Personal kommen vor allem aus dem sozioökologischen und liberal-intellektuellen Milieu. Ersteres bilden zu Wohlstand gekommene ehemalige Alternative, die konsumkritisch und idealistisch "grün" orientiert sind. Letzteres setzt sich aus aufgeklärten Bildungsbürgern mit liberaler Grundhaltung, postmaterialistischen Orientierung und Wunsch nach betonter Selbstbestimmung zusammen. Entsprechend dieser Milieurepräsentationen finden wir folgende sozialstrukturelle Merkmale vor:

  1. Die Grünen rekrutieren sich vor allem aus jüngeren Altersgruppen, wobei sich allerdings mit dem historischen Altern der Partei und ihrer Anhänger allmählich auch die Altersstruktur nach oben verschoben hat.
  2. Sie kommen in hohem Maße aus dem Dienstleistungssektor und dem quartären Bereich (Kommunikation und Information).
  3. Sie repräsentieren vor allem Dienstleistungsberufe, insbesondere Beamte und Angestellte sowie Selbständige.
  4. Sie setzen sich zu einem beträchtlichen Teil aus der sozialstatistischen Kategorie der Nichterwerbstätigen zusammen, wobei Schüler und Studierende stark überrepräsentiert sind.
  5. Sie rekrutieren sich zu einem hohen Anteil aus jüngeren Altersgruppen mit hohen Bildungsabschlüssen (Abitur, Hochschulabschlüsse).
  6. Sie erhalten vor allem Zulauf in urbanen Gebieten, in Mittel- und Großstädten; in den Universitätsstädten treffen sie auf für sie besonders günstige Strukturen.
  7. Sie weisen ein typisches Stadt-Land-Gefälle auf (wobei Landrats- und Bürgermeisterwahlen zeigen, dass die Grünen auch Chancen in ländlichen Bereichen haben).
  8. Der Frauenanteil liegt bei ihnen deutlich höher als bei den etablierten Altparteien.
  9. Sehr schwach sind bei den Grünen traditionell Arbeitslose, Arbeiter und Rentner vertreten.

Räumliche Schwerpunkte

Diese sozialstrukturellen Merkmale mit ihren typischen Unter- und Überrepräsentationen korrelieren mit den räumlichen Schwerpunkten ihrer organisatorischen und politischen Präsenz: Die Grünen sind überall dort organisatorisch und politisch rührig, wo die Begleit- und Folgeprobleme der Spätindustrialisierung (Zersiedlung von Landschaftsräumen, Verschmutzung von Luft und Gewässern durch Industrieansiedlungen, Straßenbau) und des raschen Übergangs zur Dienstleistungsgesellschaft am deutlichsten hervortreten, in den Ballungsräumen und Dienstleistungszentren der Metropolregionen München/Augsburg, Nürnberg/Fürth/Erlangen, in Aschaffenburg und Neu-Ulm, in zentralen Orten mit besonderen Dienstleistungsfunktionen (Krankenhäuser und andere Versorgungseinrichtungen, Fachhochschulen) und in Schwerpunktgebieten mit spezieller Umweltbelastung (Autobahnbau, Atomkraftgewinnung/Entsorgung, Flughafenbau und -ausbau). Besonders stark präsent sind sie im "Speckgürtel" um München (Lkr. Freising, Lkr. Starnberg, Lkr. Fürstenfeldbruck). Diese Schwerpunkte spiegeln sich auch in der räumlichen/regionalen Verteilung ihrer Mitglieder wider. Die Kreisverbände im Regierungsbezirk Oberbayern zählen die meisten Mitglieder, gefolgt von den Bezirksverbänden Mittelfranken und Schwaben.

Sozialprofil der Landtagsabgeordneten

Diese sozialstrukturellen Charakteristika schlagen sich auch im sozialstrukturellen Profil der Landtagsabgeordneten der Grünen nieder. Die folgenden statistischen Angaben geben zwar die Verhältnisse in der 16. Legislaturperiode (2008-2013) wieder, dürfen aber als durchgängige Merkmale angesehen werden. In ihrem Sozialprofil erweisen sich die Grünen im Vergleich mit den anderen Fraktionen nicht nur als die relativ "jüngste" und "weiblichste" Fraktion, sondern auch als die mit den höchsten Bildungsabschlüssen. Über 90 % ihrer Abgeordneten haben einen Hochschulabschluss (2010: 94,7 %). Der Anteil der Ledigen (2010: 15,8 %) ist deutlich höher als bei den anderen Landtagsfraktionen, der Anteil der Verheirateten (2010: 63,2 %) deutlich geringer. Die meisten Grünen weigern sich, ihre Konfessionszugehörigkeit anzugeben.

Der Anteil der nominellen Katholiken dürfte aber in Bayern im Unterschied zu den Verhältnissen auf Bundesebene (22 % katholisch, 35 % evangelisch, 41 % konfessionslos, 3 % andere) höher sein als der der Evangelischen. Viele Grüne sehen das religiöse Bekenntnis als eine Privatangelegenheit an, was auf ihr kritisches Verständnis des Staat-Kirche-Verhältnisses hinweist. Ihre kirchenpolitischen Grundsatzerklärungen (Trennung von Staat und Kirche, Ablösung des Konkordats) und Vorstöße (in den Kopftuch- und Kruzifix-Debatten) speisen sich aus diesen innerparteilichen konfessionellen Spannungsfeldern zwischen laizistischen und kirchennahen Positionen. Ihre Gegner, die hauptsächlich im konservativen Milieukatholizismus zu finden sind, werfen den Grünen deshalb vor, sie seien kirchenfern und antikirchlich eingestellt. Führende Persönlichkeiten der Grünen sind jedoch in kirchlichen Einrichtungen engagiert (Christine Scheel, Theresa Schopper, Ulrike Gote [Bündnis 90/Die Grünen, geb. 1965]). Von den 19 Landtagsabgeordneten der Grünen machen elf keine Angaben zu ihrer Konfessionszugehörigkeit, drei bezeichnen sich als evangelisch, fünf als katholisch (2010). Die vergleichsweise größere Kirchenferne der Bündnisgrünen drückt sich auch darin aus, dass das Engagement ihrer Mitglieder in kirchlichen bzw. religiösen Verbänden und Vereinen deutlich geringer ist als etwa das von Mitgliedern der CSU oder der ödp.

Nach Fukushima: Hoffen auf "eine Zeitenwende für die Grünen"

Durch ihr institutionelles Lernen (Erfahrungen mit dem Regelwerk des politischen/parlamentarischen Systems) und durch politische Einstellungsveränderungen in der Bevölkerung verloren die Grünen allmählich ihren "Bürgerschreck-Charakter". Die Akzeptanz nahm in der Bevölkerung allgemein zu. Die steigenden Akzeptanzwerte, der anhaltende Zuwachs an Mitgliedern, der Ausgang der Landtagswahl 2011 in Baden-Württemberg und die dortige Regierung unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen, geb. 1948, in der jüngsten deutschen Geschichte erster Ministerpräsident aus den Reihen der Grünen) stärkten auch in Bayern das grüne Selbstbewusstsein. Nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima und ihren politischen Auswirkungen (Ausstieg aus der Atomenergie-Politik, stärkere Hinwendung zu den erneuerbaren Energien) sprachen führende Politiker der bayerischen Grünen von "einer Zeitenwende für die Grünen". Es sei ein "Kulturbruch" in Gange gekommen, der auch Bayern erfasse (Dieter Janecek SZ, 11.4.2011). Bestärkt wurden sie in dieser Sicht von prominenten Sozialwissenschaftlern wie Ulrich Beck (geb. 1944), der diagnostizierte, dass sich hinter der Energiewende "ein erdrutschartiger Wandel der geistig-politischen Landschaft" verberge. (SZ, 18.7.2011) Die Bündnisgrünen erhofften sich von der Landtagswahl 2013 im Aufwind steigender Sympathiewerte einen deutlichen Zugewinn an Prozentpunkten und Mandaten.

Im Wahljahr 2013 hielten die Grünen sogar eine landespolitische Parteienkonstellation für möglich, die geeignet war, die CSU aus der Landesregierung zu verdrängen. Erinnert wurde dabei an die Bildung der sog. Viererkoalition im Jahre 1954. So war es erklärte Absicht führender grüner Landespolitiker, allerdings unter ganz anderen landespolitischen Verhältnissen, erneut "eine Mehrheit jenseits der CSU" (Dieter Janecek, 11.4.2011) herbeizuführen. Der seit 1974 gewachsene und zugunsten der CSU stark verfestigte "politische Markt Bayerns" machte es aber fraglich, ob ein (rechnerisch) angestrebter "Anti-CSU-Block" die CSU-geführte Staatsregierung hätte aus dem Amt drängen können. Die Grünen hatten überdies mit dem Tod ihres Landesvorsitzenden Sepp Daxenberger eine charismatische Führungspersönlichkeit verloren, die in Bayern möglicherweise einen "Kretschmann-Effekt" hätte hervorrufen können.

Keine rot-grüne Koalition in der Opposition

Den Grünen und der SPD gelang es bisher aufgrund ihrer spezifischen innerbayerischen Konkurrenzsituation nicht, im Landesparlament über eine punktuelle Zusammenarbeit hinaus eine strategische "Koalition in der Opposition" zu bilden. Die strukturelle und thematische Konkurrenz war für eine wirkungsvolle Kooperation in der gemeinsamen Oppositionsrolle hinderlich. Nur in der Landeshauptstadt München gelang es 1990, im Stadtrat eine rot-grüne Koalition zu bilden. Die Grünen machten seit ihrem Eintritt in den Landtag von parlamentarischen Kontrollmitteln (Untersuchungsausschüsse, aktuelle Stunden, Interpellationen, mündliche und schriftliche Anfragen) regen Gebrauch. Mit deren Kontrollaktivität erwuchs der SPD im Maximilianeum eine grüne "Konkurrenz-Opposition".

Die SPD-Fraktion, die durch ihre dauerhafte Oppositionsrolle an parlamentarischer Kontrolldynamik eingebüßt hatte, sah sich durch den neuen Konkurrenzdruck seitens der Öko-Partei veranlasst, im Bayerischen Landtag ihre Kontrollfunktion gegenüber der von der CSU geführten Landesregierung wieder nachdrücklicher wahrzunehmen. Es kam aber zu keiner von den Grünen und den Sozialdemokraten gemeinsam verfolgten Oppositionsstrategie gegen die CSU. Die ehemalige Fraktionsvorsitzende Ruth Paulig erklärte hierzu in einem Presseinterview klar und entschieden: "Wir werden uns natürlich immer wieder mit der SPD treffen müssen, um abzusprechen, wie Grüne und Sozialdemokraten die Bonner Reformvorhaben in Bayern umsetzen und Stoiber am besten Paroli bieten können. Es wird enge Kontakte geben - aber nicht in Form einer institutionalisierten rot-grünen Oppositionspolitik. Dazu haben wir ein zu unterschiedliches politisches Profil und dazu sind wir zu selbstbewusst" (SZ,13.10.1998). Die Grünen sehen sich nach wie vor als harter Kern in der Opposition zur CSU. Eine schwarz-grüne Koalition war und ist im Freistaat im Gegensatz zu anderen Ländern wenig wahrscheinlich.

Rot-grüne Stadtratskoalition in München

Was der CSU auf gesamtbayerischer Ebene gelungen war, nämlich in der öffentlichen Wahrnehmung eine mentale Identität von CSU und Bayern herzustellen, hatte die SPD mit gewisser Einschränkung unter den besonderen politisch-historischen, gesellschaftlich-politischen und standortspezifischen Rahmenbedingungen der Landeshauptstadt und Metropole in München erreicht. Sie galt dort als "geborene" Mehrheitspartei. Allerdings musste die SPD gerade auch dort erfahren, dass diese günstigen Rahmenbedingungen seit 1986 und besonders in den Stadtratswahlen 2008 (Grüne 13,0 %) und 2014 (Grüne 16,6 %) in zunehmendem Maße den Grünen zugute kamen.

Das älteste städtische rot-grüne Koalitionsbündnis, das 24 Jahre lang durchgehend hielt, wurde charakteristischerweise 1990 in München geschlossen. Ein noch ältere, aber instabile rot-grüne Stadtratsfraktion gab es in Nürnberg (1984-1990). Die Münchner SPD hatte nach ihrem Sieg in der Stadtratswahl 1990 die Wahl zwischen einem Bündnis mit der CSU oder den Grünen. Die Koalitionsgespräche mit der CSU scheiterten an für München zentralen Fragen des Kaufs von Wohnungen der Neuen Heimat und an Fragen der Mietsteigerungen. Der Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD, geb. 1928, Oberbürgermeister 1972-1978 und 1984-1993) und die SPD schlossen daraufhin erstmals eine Koalition mit den Grünen. Beide Parteien setzten dann in den drei folgenden Kommunalwahlen (1996, 2002, 2008) unter dem SPD-Oberbürgermeister Christian Ude (SPD, geb. 1947, Oberbürgermeister 1993-2014) ihr Koalitionsbündnis fort, wobei in den letzten Jahren im schwieriger werdenden Koalitionsbündnis der Oberbürgermeister eine feste Klammer bildete.

Der Kreisverband München der Grünen und seine Mandatare verstanden sich als Partei, "die versucht, Multikulturalität umzusetzen und damit die ganze komplexe Struktur einer Großstadt aufzugreifen" (Siegfried Benker [geb. 1957], Fraktionsvorsitzender im Münchner Stadtrat, SZ, 12.8.2011). Von 1996 bis 2014 wurde die "Rosa Liste München" (genaue Bezeichnung: schwul-lesbische WählerInneninitiative Rosa Liste München e. V.), die in den Stadtratswahlen jeweils ein Mandat gewonnen und sich mit den Grünen verbündet hatte, an der Koalition beteiligt.

Die 24-jährige Ära der rot-grünen(-rosa) Koalition endete abrupt nach der Stadtratswahl 2014. Mit ihrem schlechten Wahlergebnis verlor die SPD ihren Nimbus als "geborene" erste Kraft im Stadtrat, was nicht zuletzt auf das Erstarken der grünen Konkurrenz zurückzuführen war. Im neuen Stadtrat hatte es weder für die Fortführung der rot-grünen Koalition, noch für ein schwarz-grünes Bündnis gereicht. Nach langwierigen Verhandlungen war es zur Bildung der großen Koalition von CSU und SPD unter Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD, geb. 1958, Oberbürgermeister seit 2014) gekommen. Die grüne Stadtratsfraktion wurde in die Opposition geschickt und verlor somit die Position des dritten Bürgermeisters und die Positionen zweier Referenten. Das Ende der rot-grünen Ära in München hatte auch Auswirkungen auf die Oppositionsstrategie der Grünen im Landtag: So wurde das angestrebte Modell einer "Mehrheit jenseits der CSU" ebenso obsolet wie das einer rot-grünen "Koalition in der Opposition" gegenüber der CSU.

Ergebnisse der Stadtratswahlen in München seit 1984 (in Prozent)
Jahr SPD CSU Bündnis 90/Die Grünen FDP Sonstige
1984 (18.3.1984) 41,9 42,4 7,9 5,4 2,4
1990 (18.3.1990) 42,0 30,1 9,5 5,3 13,1
1994 (12.6.1994) 34,4 35,5 10,1 4,2 15,8
1996 (10.3.1996) 37,4 37,9 9,6 3,3 11,8
2002 (3.3.2002) 41,9 36,1 9,6 6,8 8,9
2008 (2.3.2008) 39,8 27,7 13,0 6,8 12,7
2014 (16.3.2014) 30,8 32,5 16,6 3,4 16,7

Quelle: Statistisches Amt München, Die Stadtratswahlen seit 1984.

Petra-Kelly-Stiftung

Die parteinahe Petra-Kelly-Stiftung wurde in Analogie zu anderen parteinahen Stiftungen (CDU: Konrad-Adenauer-Stiftung [KAS]; CSU: Hanns-Seidel-Stiftung [HSS]; SPD: Friedrich-Ebert-Stiftung [FES]; FDP: Thomas-Dehler-Stiftung [TDS]) im Jahr 1997 gegründet. Namensgeberin war die Mitgründerin von Bündnis 90/Die Grünen und charismatische Symbolfigur ökologischer und pazifistischer Politik. Die Petra-Kelly-Stiftung ist eine Landesstiftung. Ihre genaue Bezeichnung lautet: "Petra-Kelly-Stiftung. Bayerisches Bildungswerk für Demokratie und Ökologie in der Heinrich Böll-Stiftung e. V".

Literatur

  • Franz-Josef Brüggemeier u. a. (Hg.), Natur- und Umweltschutz nach 1945. Konzepte, Konflikte, Kompetenzen, (Geschichte des Natur- und Umweltschutzes. 4. Band), Frankfurt am Main 2005.
  • Helmut Fogt, Die Grünen in den Bundesländern. Das regionale Erscheinungsbild der Partei und ihrer Wählerschaft 1979-1988, in: Dieter Oberndörfer/Karl Schmitt (Hg.), Parteien und regionale politische Traditionen in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1991, 251-266.
  • Manfred Güllner, Die Grünen. Höhenflug oder Absturz?, Freiburg 2012.
  • Ute Hasenöhrl, Zivilgesellschaft und Protest. Eine Geschichte der Naturschutz- und Umweltbewegung in Bayern 1945-1980 (Umwelt und Gesellschaft, 2), Göttingen 2011.
  • Gerhard Hirscher, Das Verhältnis von SPD, PDS und Bündnis 90, Die Grünen nach den Landtagswahlen vom 24. März 1996 (Aktuelle Analysen 5), München 1996.
  • Jürgen Hoffmann, Bündnis 90/Die Grünen: Ein schwieriges Bündnis in der Bewährungsprobe. Konrad-Adenauer-Stiftung. Interne Studien Nr. 86/1994, Sankt Augustin 1994.
  • Jürgen Hoffmann, Die doppelte Vereinigung. Vorgeschichte, Verlauf und Auswirkungen des Zusammenschlusses von Grünen und Bündnis 90, Opladen 1998.
  • Stefan Immerfall, Die Grünen in Bayern. Zum politischen und parlamentarischen Selbstverständnis grüner Abgeordneter im bayerischen Landtag, in: Ders. u. a. (Hg.), Parteien in Bayern. Vier Studien (Passauer Papiere zur Sozialwissenschaft 15), Passau 1996, 25-47.
  • Markus Klein/Jürgen W. Falter, Der lange Weg der Grünen. Eine Partei zwischen Protest und Regierung, München 2003.
  • Lilian Klotzsch/Richard Stöss, Die Grünen, in: Richard Stöss (Hg.), Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980. 2. Band: FDP bis WAV, Opladen 1984, 1509-1598.
  • Uwe Kranenpohl, Die "christlichen Grünen". Sozialstruktur und politische Einstellung der Mitglieder der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp), in: Historisch-Politische Mitteilungen 15 (2008), 47-61.
  • Max Lindinger, Kommunalpolitik der Grünen in Bayern 1984 bis 1989. Determinanten, Inhalte, konzeptuelle Bemühungen. Mag. Universität Passau 1990.
  • Markus Mauritz, Natur und Politik. Die Politisierung des Umweltschutzes in Bayern. Eine empirische Untersuchung, Neutraubling 1995.
  • Silke Mende, "Nicht rechts, nicht links, sondern vorn". Eine Geschichte der Gründungsgrünen (Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit 33), München 2011.
  • Alf Mintzel, Die CSU-Hegemonie in Bayern. Strategie und Erfolg. Gewinner und Verlierer, Passau 1998, 144-154 und 272-277.
  • Alf Mintzel/Barbara Wasner, Landesparlamentarismus in Bayern, in: Siegfried Mielke/Werner Reutter (Hg.), Länderparlamentarismus in Deutschland. Geschichte - Struktur - Funktionen, Wiesbaden 2. ergänzte Auflage 2011, 79-109.
  • Alf Mintzel, Politisch-kulturelle Hegemonie und "Gegenkulturen" in Bayern, in: Walter Landshuter/Edgar Liegel (Hg.), Beunruhigung in der Provinz - Zehn Jahre Scharfrichterhaus, Passau 1987, 79-92.
  • Ferdinand Müller-Rommel/Thomas Poguntke, Die Grünen, in: Alf Mintzel/Heinrich Oberreuter (Hg.), Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2. Auflage 1992, 276-310.
  • Ruth Paulig/Bernd Schreyer, Stoibers Dilemma. Ein Steilpaß für die Bundestagswahl sollte das Ergebnis der bayerischen Landtagswahl werden. Die Wahlergebnisse verändern die politische Lage in Bayern, in: Schrägstrich. Mitgliederzeitschrift des Bundesverbandes Bündnis 90/Die Grünen, 10/98, 24.
  • Ruth Paulig/Bernd Schreyer, Mut zur Veränderung. Das Fundament der politischen Arbeit festigen, in: "Basisbrief". Mitgliederzeitschrift Bündnis 90/Die Grünen, Landesverband Bayern.
  • Uwe Pfenning, Die Grünen und die neuen sozialen Bewegungen. Politische Netzwerke der Grünen - Ein Anwendungsbeispiel in der Praxis der Netzwerkanalyse (Passauer Papier zur Sozialwissenschaft 8), Passau 1992.
  • Joachim Raschke (Hg.), Die Grünen. Wie sie wurden, was sie sind, Köln 1993.
  • Johannes Schwarze, Geschichte, Ideologie und Programmatik der Grünen, München 1999.

Quellen

  • Margarete Bause, Bewerbung für das Amt der Landesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, 26.10.1998 (unveröffentlichtes, internes Skript).
  • Josef Boyer/Helge Heidemeyer (Bearb.), Die Grünen im Bundestag (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. 4. Reihe: Deutschland seit 1945, 14), Düsseldorf 2008.
  • Josef Boyer/Till Kössler (Bearb.), Handbuch zur Statistik der Parlamente und Parteien in den westlichen Besatzungszonen und in der Bundesrepublik Deutschland. SPD, KPD und kleinere Parteien des linken Spektrums sowie DIE GRÜNEN: Mitgliedschaft und Sozialstruktur 1945-1990 (Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 12/4), Düsseldorf 2005, 945-1032.
  • DIE GRÜNEN. Das Bundesprogramm von 1980 in der zweiten überarbeiteten Fassung von 1982
  • Jerzy Montag, Bewerbung als Landesvorsitzender der Bayerischen Grünen, o.J. (1998, unveröffentlichtes, internes Skript).
  • Bernd Schreyer, Ein ehrliches Wort. Eine Analyse ohne Scheuklappen, o. J. (1998, unveröffentlichtes, internes Skript).
  • Vom Bürgerschreck zur Premiumopposition. 25 Jahre Grüne in Bayern, Waging am See 2004.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Verwandte Artikel

Die Grünen

Empfohlene Zitierweise

Alf Mintzel, Bündnis 90/Die Grünen in Bayern, publiziert am 22.09.2014; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bündnis_90/Die_Grünen_in_Bayern> (31.10.2024)