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Natur- und Umweltschutz (nach 1945)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

(Weitergeleitet von Natur- und Umweltschutz (nach 1945))
Otto Kraus, bayerischer Landesnaturschutzbeauftragter, um 1958. (Umweltzentrum Schloss Wiesenfelden)
Hubert Weinzierl, Bernhard Grzimek und Max Streibl, 1972. (Foto: H. Weinzierl)
Naturschutzplakat des Bund Naturschutz in Bayern (1966), aus: Blätter für Naturschutz 1-2/66, 32. (Bund Naturschutz)
Flugblatt für die Errichtung des Nationalparks Bayerischer Wald (1966), aus: Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Nationalpark Bayerischer Wald. Eine Landschaft wird Nationalpark. Grafenau 1993, 103, Holzschnitt von Heinz Theuerjahr. (H. G. Theuerjahr)
Anti-AKW-Demonstration gegen das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld. (Schweinfurter Tagblatt vom 17.3.1975)
Karikatur "In wachsender Bedrängnis" von Herbert Kolfhaus (Archiv für Christlich-Soziale Politik der Hanns-Seidel-Stiftung)
Atomanlagen in der Bundesrepublik (Stand:1981). (Illustration: Harald Juch)

von Ute Hasenöhrl

Der Wiederaufbau des Naturschutzes nach Kriegsende 1945 war von starken Kontinuitäten geprägt. Eine Entnazifizierung erfolgte kaum, das Reichsnaturschutzgesetz von 1935 blieb bis zur Novellierung 1973 als Bayerisches Naturschutzgesetz in Kraft. Obgleich Natur- und Landschaftsschutz 1946 in der bayerischen Verfassung verankert wurden (der Umweltschutz folgte 1984), war die Erfolgsbilanz in Umweltbelangen oft gering. Seit Ende der 1960er Jahre zog das Thema dann immer mehr Aufmerksamkeit auf sich: 1970 wurde im Bayerischen Wald der erste deutsche Nationalpark eingerichtet und mit dem Bayerischen Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen das erste Umweltministerium im europäischen Raum geschaffen. Die 1970er Jahre waren vor allem von Anti-Atomkraftprotesten geprägt, die Ende des Jahrzehnts in die Formierung Grüner Parteien mündeten. Die 1980er Jahre prägten Themen wie das Waldsterben sowie die Proteste gegen den Rhein-Main-Donau-Kanal und die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf. Seit den 1990er Jahren rückten mehr und mehr überregionale Themen wie Klimaschutz mit in den Blick.

Neukonstituierung des Naturschutzes

Der Wiederaufbau des bayerischen Naturschutzes ging nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zügig vonstatten und war von starken organisatorischen, personellen und weltanschaulichen Kontinuitäten geprägt. So blieb das Reichsnaturschutzgesetz (RNG) von 1935 als Landesgesetz in Kraft (BayNatSchG) und damit die organisatorische Dreiteilung in behördlichen, amtlichen und privaten Naturschutz. Die Naturschutzvereine waren im September 1945 (wie alle zivilgesellschaftlichen Assoziationen) vom Alliierten Kontrollrat aufgelöst worden und mussten nach der Entnazifizierung neu lizenziert werden.

Der "Bund Naturschutz in Bayern" (BN) wurde am 13. November 1946 erneut gegründet, sein Vereinsleben setzte 1947/1948 wieder voll ein. Die erste Ortsgruppe des "Touristenverein Die Naturfreunde", der 1933 als Teil der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung von den Nationalsozialisten verboten worden war, konnte bereits im Oktober 1945 neu errichtet werden. Jedoch dauerte der Wiederaufbau der zerstörten Vereinsinfrastruktur bis Anfang der 1950er Jahre. Die Neulizenzierung des "Deutschen Alpenvereins" erfolgte erst am 22. Oktober 1950. Er war seit den 1920er Jahren deutlich antisemitisch gewesen und hatte während des "Dritten Reichs" besonders aktiv mit den Nationalsozialisten zusammengearbeitet (z. B. im Rahmen militärsportlicher Übungen).

Entnazifizierung und Umgang mit der NS-Vergangenheit

Ähnlich wie in der deutschen Gesellschaft als Ganzes war der Umgang der Naturschützer mit ihrem Verhalten während der NS-Zeit von Verharmlosungen und Verdrängung geprägt. Eine kritische Reflexion der eigenen (Vereins-)Geschichte im "Dritten Reich" setzte zumeist erst in den 1990er Jahren ein. Naturschützer wie Alwin Seifert (1890-1972), die im "Dritten Reich" führende Posten innegehabt hatten, nahmen nach 1945 weiter Spitzenpositionen ein. Meist beschränkte man sich im Rahmen der Entnazifizierung darauf, ideologisch anstößige Äußerungen wie die sog. Arierparagraphen zu streichen oder durch unverfängliche Formulierungen zu ersetzen. Naturschützerische Zentralkonzepte wie "Natur", "Landschaft" oder "Heimat" waren durch ihre Verwendung in der Weltanschauung des Nationalsozialismus offenbar nicht im Urteil der Bevölkerung desavouiert worden. Im Gegenteil erfreuten sie sich aufgrund ihrer romantisch-heimeligen Konnotationen in der frühen Nachkriegszeit sogar besonderer Beliebtheit (vgl. etwa die Blüte des Heimatromans und -films in den 1950er Jahren).

Naturschutz zwischen Wiederaufbau und Wirtschaftswunder

Zu den zentralen Themen des bayerischen Naturschutzes zählten bis Ende der 1960er Jahre neben der Sicherung von Natur- und Landschaftsschutzgebieten vor allem die negativen ästhetischen und ökologischen Folgen von Infrastruktureinrichtungen (Wasserkraftwerke), Wasserbau, Flurbereinigung und Fremdenverkehr (Bergbahnen, Freihaltung von Seeufern), der Gewässer- und Ödlandschutz sowie die wachsende "Zersiedelung der freien Natur". Städtisch-industrielle Problematiken wie Luftverschmutzung, Umweltgifte oder Verkehr spielten hingegen bis in die 1970er Jahre kaum eine Rolle.

Die Erfolgsbilanz der Naturschützer war eher bescheiden: Obgleich Schutz und Pflege von Natur und Landschaft 1946 auf Initiative des SPD-Politikers Wilhelm Hoegner (1887-1980, Bayerischer Ministerpräsident 1945-1946, 1954-1957) in Bayern Verfassungsrang erlangt hatten (Art. 141), wurden sie von Politik, Verwaltung und Bevölkerung bis Ende der 1960er Jahre im Vergleich zum Wirtschaftswachstum oft als zweitrangig eingestuft. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass Spitzenpolitiker wie Hoegner und Alfons Goppel (1905-1991, Bayerischer Ministerpräsident 1962-1978) die Belange des Naturschutzes im Grundsatz durchaus unterstützten. Erfolge vermochten die Naturschützer v. a. dann zu erzielen, wenn es ihnen gelang, vor Ort Interessenkoalitionen mit dem Fremdenverkehr zu schließen (z. B. Verhinderung von Wasserkraftwerken in der Partnachklamm 1946-1949 und am Waginger See 1949-1951 sowie Gründung des Nationalparks Bayerischer Wald 1966-1969). Ansonsten mussten sie sich meist mit Auflagen begnügen.

Gestaltender, bewahrender und ökologischer Naturschutz

Angesichts der Dynamik der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung verloren bewahrende Vorstellungen der Naturdenkmalpflege und des ästhetisch motivierten Landschaftsschutzes im Naturschutz gegenüber gestaltenden Ansätzen in der Nachkriegszeit deutlich an Gewicht. Die Landschaftspflege entwickelte sich so in den 1950er und 1960er Jahren zu seiner Leitdisziplin. Es dominierten anthropozentrische Begründungen, welche das Wohl und Überleben des Menschen von einem gesunden Naturhaushalt abhängig machten und einen harmonischen Ausgleich zwischen Natur und Technik propagierten. Der Schutz der Natur um ihrer selbst willen sollte dagegen erst in den 1970er Jahren im Zuge der Ökologisierung des Naturschutzes wieder an Bedeutung gewinnen.

Naturschutz und Staat

Eines der wesentlichen Kennzeichen des Naturschutzes der frühen Bundesrepublik bildete seine enge Anlehnung an den Staat. Personelle Verflechtungen zwischen Naturschutzvereinen und Staatsverwaltung führten zu einer Bevorzugung konsensualer Handlungsstrategien. Von einigen fundamentalen Konflikten abgesehen, konzentrierten sich die Aktivitäten daher auf Behördenschreiben, Gutachten, Resolutionen und Gespräche mit den Entscheidungsträgern. Ausnahmen von dieser Konsensstrategie bildeten etwa die Konflikte um die Überleitung des Rißbachs in den Walchensee (1947-1949), den Lechausbau (1954-1963), die Errichtung der Hochgratbahn (1958-1960) sowie den Protonenbeschleuniger im Ebersberger Forst (1965/1966). Eine systematisch öffentlichkeits- und aktionsbetonte Vorgehensweise adaptierte man dagegen erst seit den 1970er Jahren unter dem Eindruck der Neuen Sozialen Bewegungen.

Otto Kraus und die Bayerische Landesstelle für Naturschutz

Die Naturschutzbeauftragten hatten in dieser staatsnahen Phase eine Schlüsselposition inne. Die rund 185 bayerischen Naturschutzstellen, die seit 1936 auf Grundlage des Reichsnaturschutzgesetzes zur fachlichen Beratung der Kreis-, Bezirks- und Landesbehörden eingerichtet worden waren, erfüllten in den 1940er bis 1960er Jahren eine Scharnierfunktion zwischen Zivilgesellschaft und Staat. Die meist ehrenamtlichen Posten wurden häufig mit Mitgliedern der Naturschutzvereine besetzt. Der Verbandsnaturschutz glich damit die personelle und finanzielle Unterversorgung der Naturschutzstellen aus und erhielt seinerseits eine Stimme in der Staatsverwaltung.

Eine zentrale Stelle im Informationsnetzwerk der Naturschützer nahm Otto Kraus (1905-1984) ein, 1949-1967 Leiter der Bayerischen Landesstelle für Naturschutz (LfN). Er initiierte und koordinierte in vielen Konflikten die Aktivitäten der Naturschützer. Die zentrale Rolle der Bayerischen Landesstelle für Naturschutz unter Kraus bildete ein besonderes Kennzeichen des bayerischen Naturschutzes der 1950er und 1960er Jahre. Unter seinem Nachfolger, Johann Mang (1897-1971), verlor sie diese Schlüsselfunktion. Die Bayerischen Landesstelle für Naturschutz wurde 1973 in das Landesamt für Umweltschutz eingegliedert. Parallel dazu wurden mit der Novellierung des BayNatSchG die ehrenamtlichen Posten der Naturschutzbeauftragten in hauptamtliche Tätigkeiten umgewandelt. Die Naturschutzverbände wurden nun im Rahmen der Naturschutzbeiräte eingebunden.

Der Nationalpark Bayerischer Wald

Die Kampagne zur Gründung des Nationalparks Bayerischer Wald 1966-1969 markiert einen ersten Wendepunkt in der Nachkriegsgeschichte des bayerischen Naturschutzes. Erstmals wurde die Öffentlichkeit systematisch mit Medienberichten, Unterschriftensammlungen und Patenschaftsaktionen mobilisiert. Die Wegbereiter der Kampagne, Hubert Weinzierl (geb. 1935) und Bernhardt Grzimek (1909-1987), appellierten an die Tierliebe der Bürger und die Fremdenverkehrsinteressen im Bayerischen Wald. Der Nationalparkgedanke, die Natur möglichst sich selbst zu überlassen, sollte dagegen erst in der Diskussion um den Alpenpark Berchtesgaden 1970-1978 an Bedeutung gewinnen. Die positive öffentliche Resonanz auf den geplanten Nationalpark Bayerischer Wald demonstrierte die wachsende Mobilisierungskraft von Naturschutzthemen. Das Vorhaben war zwar auf starken Widerstand der Forstverwaltung, Jagd- und Naturparklobby gestoßen, die einen geringeren Schutzstatus des Gebiets in Form eines Naturparks zur Verwirklichung ihrer Eigeninteressen bevorzugt hätten. Angesichts der breiten öffentlichen Zustimmung sprach sich der Bayerische Landtag jedoch am 11. Juni 1969 für das Projekt aus.

Die "Entdeckung" des Umweltschutzes um 1970

Die frühen 1970er Jahre gelten als Geburtsstunde von Umweltpolitik und -bewusstsein. Zur "Entdeckung" des Umweltschutzes trugen konkrete Belastungen ebenso bei wie die Höherschätzung immaterieller Werte (Lebensqualität) aufgrund größerem materiellen Wohlstand, höherer Mobilität und mehr Freizeit. Verstärkt wurden diese Tendenzen durch wachstumskritische Medienberichte und Publikationen, beispielsweise des Clubs of Rome (The Limits to Growth, 1972), internationale Initiativen (Europäisches Naturschutzjahr 1970, UN-Conference on the Human Environment 1972), das Vorbild der US-Regierung und die Ölkrise 1973/1974.

Die umweltpolitische Initiative lag in Deutschland bei der sozialliberalen Bundesregierung, v. a. dem Innenministerium unter Hans-Dietrich Genscher (1927-2016). Dessen "Umweltprogramm 1971" suchte die Weichen zu einer ökologischen Präventionspolitik zu stellen, die sich am Verursacher-, Vorsorge- und Kooperationsprinzip orientierte. Umweltpolitik wurde danach definiert als "Gesamtheit aller Maßnahmen, die notwendig sind, um dem Menschen eine Umwelt zu sichern, wie er sie für seine Gesundheit und für ein menschenwürdiges Dasein braucht, um Boden, Luft und Wasser, Pflanzen- und Tierwelt vor nachteiligen Wirkungen menschlicher Eingriffe zu schützen und um Schäden und Nachteile aus menschlichen Eingriffen zu beseitigen." (S. 6) Bis zur Gründung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 1986 blieben die Zuständigkeiten für den Umweltschutz allerdings auf bis zu 13 Bundesressorts aufgesplittert.

Natur- und Umweltschutz weisen damit in ihren Zielsetzungen und Methoden zahlreiche inhaltliche Überschneidungen auf. Beide streben den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen an. Während der Naturschutz aber eher die Bewahrung von Ökosystemen und Landschaften mit ihrem typischen ästhetischen Erscheinungsbild und ihrer Tier- und Pflanzenwelt in den Mittelpunkt rückt, konzentriert sich der Umweltschutz stärker auf die Medien Boden, Wasser und Luft (und heutzutage den Klimaschutz) und versucht, negative Auswirkungen auf den Menschen durch technische Maßnahmen sowie Grenzwerte für schädliche Emissionen zu verhindern. Die Interessen von Natur- und Umweltschutz sind nicht immer kompatibel. So befürwortet der Umweltschutz etwa die Errichtung von Wind- und Wasserkraftwerken (Klimaschutz, regenerative Energien), während der Naturschutz diese aufgrund der damit verbundenen Landschafts- und Ökosystemveränderungen mitunter ablehnt.

Gesetzgebung und neue Institutionen

Auch die Bayerische Staatsregierung war Anfang der 1970er Jahre bemüht, sich an die prestigeträchtige Spitze der Umweltpolitik zu setzen. Zu ihren ersten Aktivitäten gehörte 1970 die Eröffnung des ersten deutschen Nationalparks im Bayerischen Wald. Ferner richtete man im selben Jahr mit dem Bayerischen Ministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen (MLU) das europaweit erste ausschließlich diesem Politikbereich gewidmete Staatsministerium ein. Zu den wichtigsten Projekten von Minister Max Streibl (1932-1998, Staatsminister für Landesentwicklung und Umweltfragen 1970-1977) zählten die Neufassung des BayNatSchG 1973 und das Landesentwicklungsprogramm 1976. Der Teilabschnitt "Erholungslandschaft Alpen" war bereits 1972 per Verordnung in Kraft getreten. Ausdrücklichen Verfassungsrang erlangte der Umweltschutz (ebenso wie der Bodenschutz) 1984.

Trotz fehlender Kompetenzen (z. B. Wasserwirtschaft) und geringer Finanzmittel gelang es dem Bayerischen Ministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen, die Verrechtlichung des Natur- und Umweltschutzes voranzutreiben und ihn durch die Einbindung in verwaltungsrechtliche Verfahren stärker zu institutionalisieren. Bereits 1972 war das Bayerische Landesamt für Umweltschutz (LfU) ins Leben gerufen worden. Es wurde 2005 um die ehemaligen Landesämter für Wasserwirtschaft und Geologie sowie Teile des Landesamts für Arbeitsschutz, Arbeitsmedizin und Sicherheitstechnik stark erweitert. 1976 folgte die Gründung der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege als staatliche Bildungs- und Forschungseinrichtung in Laufen (Lkr. Berchtesgadener Land) sowie 1983 des Bayerischen Naturschutzfonds als einer der ersten und finanzstärksten Ländernaturschutzstiftungen.

Bürgerinitiativen als neue Akteure

Die frühen 1970er Jahre waren von einer Gestaltungseuphorie geprägt, die sich u. a. in der Formierung von Bürgerinitiativen niederschlug. Aufgrund ihres informellen und oft kurzlebigen Charakters schwanken die Angaben zur Zahl der Umweltinitiativen in Bayern (1972/1973: 30-160, 1979: 158-178). Davon entfielen circa 40 % auf die Region München. Ihre Mitglieder entstammten oft den "neuen" Mittelschichten – junge Menschen zwischen 20 und 35 Jahren mit einem postmaterialistischen Wertesystem. Häufig als thematische Ein-Punkt-Organisationen angelegt, gehörten zu den zentralen Themen dieser Neuen Sozialen Bewegungen beispielsweise Protest gegen Infrastrukturprojekte, Luft- und Gewässerverschmutzung sowie die Atomkraft. In ihrer Handlungsstrategie bevorzugten sie ein öffentlichkeits- und aktionsbetontes Vorgehen. Der Natur- und Umweltschutz wandelte sich damit in den frühen 1970er Jahren von einem Anliegen vorwiegend konservativer Kreise zu einem Kerngedanken auch der Neuen Linken.

Der Bund Naturschutz in Bayern

Trotz der Konkurrenz der Neuen Sozialen Bewegungen gelang es dem "Bund Naturschutz in Bayern", seine Position als wichtigste bayerische Naturschutz- (und bald auch Umwelt-) Vereinigung auszubauen. Unter Hubert Weinzierl, Vereinsvorsitzender 1969-2002, vollzog der "Bund Naturschutz in Bayern" eine umfassende Modernisierung. Der ehedem so staatsnahe Honoratiorenverein öffnete sich gegenüber den Bürgerinitiativen, distanzierte sich von Politik und Verwaltung, griff zu einer offensiven Öffentlichkeitsarbeit und baute sein Kreisgruppennetz aus. Seine Mitgliedschaft, die in der Nachkriegszeit von 27.755 (1943) auf 17.415 (1951) zurückgegangen war und unter dem staatsloyalen Vorsitzenden Johann Mang (1963-1969) stagniert hatte, stieg infolgedessen bis 1979 auf über 32.000 Personen. Auch in der Umweltbewegung der Bundesrepublik gelang es dem "Bund Naturschutz in Bayern", eine führende Stellung einzunehmen – etwa als Landesverband des BUND, an dessen Gründung 1975 Weinzierl maßgeblichen Anteil hatte. Durch das öffentlichkeitswirksame Engagement gegen Waldsterben, Rhein-Main-Donau-Kanal und die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf (Lkr. Schwandorf) vermochte der "Bund Naturschutz in Bayern" seine Position als "Grünes Gewissen Bayerns" in den 1980er Jahren zu festigen. Dem Verein gehörten um 2010 über 170.000 Mitglieder an, die in 76 Kreis- und 668 Ortsgruppen organisiert waren.

Die Anti-Atomkraft-Bewegung

Das stilbildende Konfliktfeld der 1970er Jahre war die zivile Nutzung der Atomkraft. Die Kontroversen verliefen im Freistaat im Vergleich zu den Standorten Wyhl am Kaiserstuhl (Baden-Württemberg), Brokdorf (Schleswig-Holstein) oder Gorleben (Niedersachsen) zunächst gemäßigt, eskalierten jedoch 1981 bis 1989 im Konflikt um die WAA Wackersdorf. Die bayerischen Atomgegner, oft Natur- und Lebensschützer aus den betroffenen Mittelstädten, konzentrierten ihre Bemühungen zumeist auf Einsprüche und Gerichtsklagen statt auf zivilen Ungehorsam. In den 1970er Jahren zogen die größten Kundgebungen hier lediglich 8.000 (Gundremmingen [Lkr. Günzburg] Juni 1979) bis 10.000 Teilnehmer an (Grafenrheinfeld [Lkr. Schweinfurt] 19. April 1975) – deutlich weniger als bundesweit (z. B. Brokdorf 19. Februar 1977: 50.000, Bonn 14. Oktober 1979: 150.000). Dies lag an der starken regionalen Prägung der bayerischen Anti-AKW-Bewegung und dem – vor Wackersdorf – geringen Demonstrationstourismus (z. B. dort Ostern 1986 über 100.000 Teilnehmer). Angesichts der Pro-Atomkraft-Haltung der bayerischen Staatsregierung konnten die Atomgegner meist nur Verzögerungen der Bauarbeiten erreichen. Auf die 1978 im Standortsicherungsplan genannten Bauplätze verzichtete der bayerische Staat dagegen letztlich ebenso wie 1989 auf die Errichtung der WAA Wackersdorf.

Umweltparteien

Die atomkraftfreundliche Haltung der etablierten Parteien gehörte zu den maßgeblichen Auslösern für die Konstituierung Grüner Listen ab 1977. In Bayern lagen die Wurzeln der Grünen Partei in der rechtskonservativ-populärsozialistischen "Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher" (AUD). Unter August Haußleiter (1905-1989) hatte diese sich in den 1970er Jahren verstärkt ökologischen Fragestellungen zugewandt. Erstmals trat eine grüne Plattform aus "Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher" und "Grüner Aktion Zukunft" zur Landtagswahl 1978 an und erlangte 1,8 % der Zweitstimmen. Der Landesverband Bayern der Grünen Partei Deutschlands wurde am 7. Oktober 1979 ins Leben gerufen (Bundespartei: 13. Januar 1980) und zog 1986 mit 7,5 % der Wählerstimmen in den Landtag ein.

Als wertkonservative Alternative zur Grünen Partei mit den vier programmatischen Säulen "ökologisch", "sozial", "basisdemokratisch" und "gewaltfrei" wurde 1981/1982 die Ökologisch-Demokratische Partei Deutschlands (ÖDP) ins Leben gerufen. Diese kam im Gegensatz zu den Grünen über den Status einer Kleinpartei nicht hinaus.

Natur- und Umweltschutz zwischen Waldsterben und Klimawandel

Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten die Konflikte um den Natur- und Umweltschutz in Bayern in den 1980er Jahren mit den Kontroversen um das Waldsterben, die WAA Wackersdorf und den Rhein-Main-Donau-Kanal. Diese stark emotionalisierten Themen bewirkten einen Mobilisierungsschub. Die Mitgliedschaft des "Bundes Naturschutz in Bayern" stieg bis 1988 auf 76.837 Personen. Neue aktionsorientierte Umweltgruppen wie Robin Wood oder Greenpeace etablierten sich. Ferner polarisierte sich das Verhältnis zwischen "Ökobewegung" und bayerischer Staatsregierung unter CSU-Ministerpräsident Franz Josef Strauß (1915-1988, Bayerischer Ministerpräsident 1978-1988). Seit Anfang der 1990er Jahre wurden auf Landesebene verstärkt Volksbegehren zum Natur- und Umweltschutz eingesetzt (z. B. 1991: Das bessere Müllkonzept, 1997: Gentechnikfrei aus Bayern, 2004: Aus Liebe zum Wald). Hinzu kamen ab 1995 kommunale Bürgerbegehren. Zudem gewannen überregionale Themen nun an Bedeutung, darunter der Schutz des Regenwaldes, die Gentechnik sowie der Klimawandel.

Forschungsstand

Zur Entwicklung des (bundes-)deutschen Natur- und Umweltschutzes in der Nachkriegszeit liegen zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten vor. Die politik- und sozialwissenschaftliche Forschung setzte Anfang der 1980er Jahre im Zuge der Beschäftigung mit den Neuen Sozialen Bewegungen ein (Bürgerinitiativen, Anti-AKW-Bewegung). Sie beschäftigte sich v. a. mit deren Trägergruppen sowie den Bedingungen und Auswirkungen kollektiven Handelns, seit dem "cultural turn" der 1990er Jahre auch mit Diskursen, Symbolen und kollektiven Identitäten. Die umwelthistorische Forschung konzentrierte sich dagegen zunächst auf die Verschmutzungsgeschichte von Luft und Wasser sowie die Frühphase des Natur- und Heimatschutzes im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Der Zeit nach 1945 wandte man sich hier erst seit den späten 1990er Jahren vermehrt zu. Inhaltliche Schwerpunkte lagen auf der staatlichen Umweltpolitik, dem Naturbild der Akteure sowie auf Konflikten um Umweltverschmutzung und Naturzerstörung. Forschungsdesiderate bilden derzeit unter anderem Genderaspekte, die Geschichte der Flurbereinigung, aber auch regional bzw. national vergleichende Studien.

Zur Geschichte des bayerischen Natur- und Umweltschutzes nach 1945 liegen drei übergreifende Titel vor: Während Mauritz (1995) und Bergmeier (2002) die Perspektive der Staatsregierung und der obersten Behörden akzentuieren, rückt Hasenöhrl (2011) die Argumentations- und Handlungspraxis vor allem der zivilgesellschaftlichen Natur- und Umweltschützer in den Vordergrund.

Literatur

  • Monika Bergmeier, Umweltgeschichte der Boomjahre 1949-1973. Das Beispiel Bayern, Münster/New York/München 2002.
  • Karl-Werner Brand, Umweltbewegung, in: Roland Roth/Dieter Rucht (Hg.), Die Sozialen Bewegungen in Deutschland nach 1945. Ein Handbuch, Frankfurt am Main/New York 2008, 219-244.
  • Franz-Josef Brüggemeier/Jens Ivo Engels (Hg.), Natur- und Umweltschutz nach 1945. Konzepte, Konflikte, Kompetenzen, Frankfurt/New York 2005.
  • Sandra Chaney, Nature of the Miracle Years. Conservation in West Germany, 1945-1975, New York/Oxford 2008.
  • Karl Ditt, Ursprünge und Anfänge der Umweltpolitik in der Bundesrepublik während der 1960er und frühen 1970er Jahren, in: Matthias Frese/Julia Paulus/Karl Teppe (Hg.), Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die 1960er Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik (Forschungen zur Regionalgeschichte 44), Paderborn 2003, 305-347.
  • Ute Hasenöhrl, Zivilgesellschaft und Protest. Eine Geschichte der Naturschutz- und Umweltbewegung in Bayern 1945-1980 (Umwelt und Gesellschaft 2), Göttingen 2011.
  • Kai F. Hünemörder, Die Frühgeschichte der globalen Umweltkrise und die Formierung der deutschen Umweltpolitik (1950-1973) (Historische Mitteilungen Beihefte 53), Stuttgart 2004.
  • Bernd Marquardt, Umwelt und Recht in Mitteleuropa. Von den großen Rodungen des Hochmittelalters bis ins 21. Jahrhundert (Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte 51), Zürich u. a. 2003.
  • Markus Mauritz, Natur und Politik. Die Politisierung des Umweltschutzes in Bayern. Eine empirische Untersuchung, Neutraubling 1995.

Quellen

  • Bund Naturschutz in Bayern (Hg.), Blätter für Naturschutz (1945–71), ab 55/2: Blätter für Natur- und Umweltschutz [Ausgabe Bayern] (1971–75), ab 1976: Natur + Umwelt [Ausgabe Bayern] (1976–).
  • Otto Kraus, Zerstörung der Natur. Unser Schicksal von morgen? Der Naturschutz in dem Streit der Interessen. Ausgewählte Abhandlungen und Vorträge, Nürnberg 1966.
  • Johann Mang, Naturschutzrecht in Bayern. Handbuch mit Erläuterungen und Anleitungen zum Vollzug, München 3. Auflage 1969.
  • Redaktion des Atom Express (Hg.), ... und auch nicht anderswo! Die Geschichte der Anti-AKW-Bewegung, Göttingen 1997.
  • Umweltprogramm der deutschen Bundesregierung 1971 (PDF).
  • Hubert Weinzierl, Zwischen Hühnerstall und Reichstag. Erinnerungen, Regensburg 2008.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Umweltschutzbewegung

Empfohlene Zitierweise

Ute Hasenöhrl, Natur- und Umweltschutz (nach 1945), publiziert am 12.09.2011; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Natur-_und_Umweltschutz_(nach_1945)> (7.12.2024)