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Würzburg, Hochstift: Territorium und Struktur

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Territorium des Hochstifts Würzburg um 1500 (aus: Ziegler, Würzburg, 98)
Ämter des Hochstifts Würzburg im Spätmittelalter. (aus: Sprandel, Die territorialen Ämter, nach 48)
Die Lehenburgen des Hochstifts Würzburg im späten Mittelalter. (aus: Sprandel, Die territorialen Ämter, 49)
"Güldene Freiheit", Urkunde Friedrichs I. von 1168 mit der Übertragung der Herzogswürde an Bischof Herold von Würzburg. (Staatsarchiv Würzburg, Würzburg Domkapitel Urkunden 1168 Juli 10/II, Zweitausfertigung mit Goldbulle)

von Rainer Leng

Das Hochstift Würzburg nahm im Deutschen Reich in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung ein. Es zählte zu den bedeutenden geistlichen Territorien des Reichs, gelegen an der Schnittstelle zwischen den großen Herzogtümern des Reiches im Norden und Süden. Seit der Übertragung der Herzogswürde für die Diözese 1168 lag die geistliche und weltliche Gewalt in der Hand des Bischofs. Durch die starke territoriale Zersplitterung Frankens gelang der Aufbau eines geographisch und rechtlich homogenen Territoriums nie. Der Hochstiftsbesitz umfasste in unterschiedlicher herrschaftlicher Durchdringung etwa ein Drittel des Diözesangebiets.

Grundausstattung

Die Anfänge des Hochstiftsbesitzes lassen sich in der mit der Bistumsgründung 742 erfolgten Dotation durch den fränkischen Hausmeier Karlmann (gest. 754) erkennen. Neben dem Marienkloster in Karlburg erhielt die Neugründung 25 Kirchen. Diese konzentrierten sich zwar um Würzburg, deckten insgesamt aber ein Gebiet ab, das im Süden und Westen in den Neckar- und Wormsgau, im Norden und Osten in den Volkfeld-, Grabfeld-, Saale- und Westergau reichten (Originaldiplom verloren, Bestätigung durch Ludwig den Frommen [reg. 814-840] 822). Außerdem fielen der Würzburger Kirche der zehnte Teil des Slaventributs von der Jagst bis in das fränkisch-thüringische Grenzgebiet sowie der Zehnt von den Erträgen von insgesamt 26 königlichen Fiskalgütern zu, die sich von Heilbronn bis Hammelburg und Salz (Lkr. Rhön-Grabfeld) erstreckten (Original verloren, Bestätigung durch König Arnolf [reg. 887-899] MGH DDArn 69).

Erheblich bereichert wurde der Besitz durch eine private Schenkung einer Amalbirg im Jahr 800 mit Besitz in zahlreichen Orten im Tauber- sowie vor allem im Grabfeldgau (UB St. Stephan 1, Nr. 1). Später wurde damit das um 1014 gegründete Kanonikerstift St. Stephan ausgestattet.

Abgesehen von kleineren Schenkungen aus Königsgut sowie privaten Schenkungen darf mit einem kontinuierlichen Anwachsen des Hochstiftsbesitzes gerechnet werden. Da jedoch Traditionsnotizen nur vereinzelt vorliegen, bleiben Umfang und Ausdehnung im Frühmittelalter weitgehend im Dunkeln.

Hochmittelalter

Die markantesten Änderungen der Rahmenbedingungen für die territoriale Entwicklung des Hochstifts ergaben sich in der ausgehenden Ottonenzeit. Nach dem Ende des Herzogtums Franken 939 öffnete sich dem Hochstift zwar ein weites Feld, das aber gleichzeitig durch den Ausbau Frankens zur Königslandschaft beschränkt wurde. Mit der Schweinfurter Fehde 1002 wurden die älteren Babenberger als Widerpart der Würzburger Bischöfe bei der Erweiterung des Hochstifts nach Nordosten hin eliminiert, doch brachte die Gründung des Bistums Bamberg 1007 durch Heinrich II. (reg. 1002-1024) mit einem Teil des Würzburger Diözesansprengels und großen Zehntanteilen des Hochstifts einen merklichen Rückschlag.

In der Folge konzentrierte sich Bischof Heinrich I. (reg. 995–1018) darauf, das Hochstift in Grenzen, die nun den Raum zwischen Odenwald, Spessart, Rhön und Steigerwald umfassten, neu zu konsolidieren und zu strukturieren. Die zahlreichen Hufen in Thüringen, die Würzburg als Ausgleich erhalten hatte, ließen immerhin noch Entwicklungspotential zu. Dies wurde genutzt, den Hochstiftsbesitz an der Grenze zum Bamberger Einflussgebiet zu verdichten. Durch Tausch, weitere Schenkungen oder Erwerb von Grafschaften und Wildbannbezirken (Germania Sacra Würzburg I, 82ff.) legte Bischof Heinrich I. den Grundstein eines Territoriums, das trotz mangelnder Geschlossenheit und Divergenz mit Diözesangrenzen eine herzogsähnliche Stellung des Bischofs ankündigte.

Reichsdienst und Königsnähe, dazu die herausragende geographische Stellung als Sperrriegel und Durchgangsstation zwischen den bedeutendsten Herzogtümern Süd- und Norddeutschlands führten schließlich dazu, dass Friedrich Barbarossa (reg. 1152-1190) 1168 dem Würzburger Bischof die Herzogswürde (Dukat), allerdings in Beschränkung der herzoglichen Gewalt auf den Umfang des Diözesansprengels, übertrug (sog. "Güldene Freiheit", MGH DDF I, Nr. 546). Damit war eine verdichtete Territorialisierung samt Zurückdrängung vogteilicher Rechte erreicht, die im nördlichen Teil Frankens intensiver ausfiel, während im Süden wegen der starken Stellung der Grafen von Rothenburg-Komburg bzw. deren staufischen Erben der Hochstiftsbesitz nicht arrondiert werden konnte.

Spätmittelalter

In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts konnte ein erster Abschnitt im territorialen Ausbau abgeschlossen werden. Entscheidend war der Erfolg gegen die Stiftsvögte, die Grafen von Henneberg. Zwischen 1219 und 1242 konnten die Bischöfe sie zurückdrängen und die Lehen der um 1219 erloschenen burggräflichen Linie der Henneberger einziehen. Dies ermöglichte dem Hochstift, größere Lücken zwischen den immer noch stark zersplitterten Besitz- und Einnahmetiteln zu schließen. In dieser Zeit gelangen auch Erweiterungen des Territoriums durch Kauf und Heimfall von Lehen, begünstigt durch das Aussterben bedeutender Adelsgeschlechter. Wegen der starken Stellung der Reichsstädte an den südlichen Grenzen des Hochstifts blieben hier die Möglichkeiten jedoch beschränkt.

Große Rückschläge in der Entwicklung des Hochstifts brachten die Verwicklungen der Würzburger Bischöfe in den Kampf Ludwigs des Bayern (reg. 1313/14-1347) mit der Kurie sowie die seit dem 13. Jahrhundert mit zunehmender Härte geführten Auseinandersetzungen mit der Stadt Würzburg. Durch die Schlacht von Bergtheim im Jahr 1400 konnte der Bischof zwar seine unumschränkte Stadtherrschaft und auch die Hoheit über zehn weitere, mit Würzburg verbündete Städte wiederherstellen. Die daraus resultierenden finanziellen Belastungen, der wirtschaftliche Niedergang der Stadt und ständige Auseinandersetzungen mit dem Domkapitel um die Steuerpolitik des Stifts brachten dieses aber an den Rand des Ruins. In Anbetracht einer Schuldenlast von 2,5 Mio. Gulden wurde ernsthaft erwogen, das gesamte Stift dem Deutschen Orden zu inkorporieren.

Konsolidierung und Territorialisierung im ausgehenden 15. Jahrhundert

Erst Bischof Rudolf von Scherenberg (reg. 1466-1495) gelang es, die Hochstiftsfinanzen zu konsolidieren. Er schuf damit zugleich die Voraussetzungen für einen intensivierten Territorialisierungsprozess, da er die seit dem Ende des 13. Jahrhunderts hervorgetretenen Ämter sowie zahlreiche Burgen des Hochstifts aus der fast durchgehenden Verpfändung löste. Im ersten Würzburger Salbuch (StA Würzburg, Würzburger Salbücher 1) von 1470, das alle Rechts- und Einnahmetitel des Hochstifts systematisch erfasste, sind insgesamt 18 Ämter erkennbar, die in der Frühen Neuzeit bis auf über 50 anwuchsen. Zentrale Abführung von Abgaben und Vereinigung der Niedergerichtsbarkeit in den Ämtern schufen zusammen mit dem Ausbau der Zentgerichtsbarkeit die Voraussetzungen für den frühmodernen Territorialstaat.

Die starke territoriale Zersplitterung, mit der Würzburg einen Sonderfall unter den geistlichen Territorien darstellte, konnte nie beseitigt werden. So besaß das Hochstift, erkennbar an den mittlerweile in einer Datenbank erfassten Lehenbüchern, Salbüchern und Urbaren, gegen Ende des 15. Jahrhunderts Besitz-, Rechts- und Einnahmetitel in über 2.000 Orten. Sie reichen im Westen bis in den Spessart und somit an Mainzer Diözesangebiet heran, wurden im Nordosten und Südosten durch Brandenburg-Ansbach-Kulmbach begrenzt und überragen im Süden und Norden weit den Diözesansprengel mit Fernbesitz im Allgäu und um Minden (Nordrhein-Westfalen).

Das Territorium in der Frühen Neuzeit

Im Laufe des 16. Jahrhunderts fand die territoriale Entwicklung ihren Abschluss. Abgesehen von Fern- und Streubesitz erstreckte sich das Hochstift von Würzburg ca. 25 km nach Süden, wo der Deutsche Orden, die Grafschaft Hohenlohe und das Territorium der Reichsstadt Rothenburg weit in Diözesangebiet hineinragten und einen weiteren Ausbau nicht zuließen. Im Westen begrenzte die vollständig auf Diözesangebiet liegende Grafschaft Wertheim die Expansionsbemühungen; nur in geringem Umfang ragte hier Hochstiftsbesitz auf Mainzer Diözesangebiet. Der Metropolit setzte einer weiteren Ausdehnung ebenfalls Widerstand entgegen. Im Nordwesten lagen die Territorien der zwar reichspolitisch nicht mehr aktiven, aber den Raum sicher erfassenden Stifte Fulda und Hersfeld. Ca. 30 km nordöstlich des Bischofsitzes bildete das Territorium der Reichsstadt Schweinfurt einen im Spätmittelalter schwer zu umgehenden Sperrriegel. 1542 gelang jedoch mit dem Tausch des Henneberger Amtes Meiningen gegen Mainberg bei Schweinfurt sowie durch weiteren Erwerb nach dem Aussterben der Henneberger 1586 zusammen mit thüringischem Hufenbesitz aus den Ausgleichsverhandlungen im Zusammenhang mit der Bamberger Bistumsgründung 1007 ein deutlicher Gebietszuwachs bis an die nördlichen Diözesangrenzen. Das Hochstift stieß dort in einer Entfernung von über 100 km vom Bischofssitz auf die benachbarten ernestinischen Wettiner. Im Nordosten ragte dagegen Bamberger und sächsischer Besitz weit in das Diözesangebiet hinein.

Während Aussagen zu Bevölkerungszahlen im Mittelalter kaum möglich sind, liefern die seit Lorenz Fries (1489-1550) in größeren Abständen volkszählungsartig erhobenen Zusammenstellungen von Rechtstiteln und Untertanen zuverlässigere Zahlen. So umfasste das Hochstift um 1600 29 Städte, 54 Ämter, 575 Dörfer, 59 Einzelhöfe und Mühlen mit insgesamt 135.360 unmittelbaren Untertanen. Eine Erhebung aus dem Jahr 1704 bezifferte die Zahl der unmittelbaren und mittelbaren Untertanen der Klöster und Stifte 170.100. In den letzten 50 Jahren vor der Säkularisation schwanken die Einwohnerzahlen zwischen ca. 250.000 und 280.000 (zum Vergleich: Großherzogtum Würzburg im Jahr 1812 353.775 Einwohner). Die Fläche des Hochstifts wird 1802 auf 5.290 qkm taxiert. Der Residenzort Würzburg mit höchstens 8.000 Einwohnern am Ende des Mittelalters bildete das mit großem Abstand einzige größere städtische Zentrum. Eine Konzentration von Klein- und Minderstädten, begünstigt durch Handelswege und lukrativen Weinanbau, befindet sich im Bereich des östlichen Maindreiecks.

Beziehungen zu den Nachbarn

Zu den meisten Nachbarn unterhielt das Hochstift einvernehmliche Beziehungen. Lediglich das Verhältnis zum südöstlich liegenden Fürstentum Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Kulmbach, einer spätmittelalterlichen Schöpfung mit starkem Einbezug in die Reichspolitik, war durch scharfe Konkurrenz im Ringen um die Vormachtstellung in Franken geprägt. Höhepunkte der Auseinandersetzungen um die territoriale Vorherrschaft in Franken, die sich an dem Anspruch auf das Herzogtum Franken und das damit verbundene kaiserliche Landgericht entzündeten, waren der erste Markgrafenkrieg (1449/50) unter Albrecht Achilles von Brandenburg-Ansbach (reg. 1440-1468) und der zweite Markgrafenkrieg (1552-1555) unter Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach (reg. 1541-1554). Eine Konzentration von Lehensburgen sollte seit dem Spätmittelalter das Hochstift nach Nordosten hin abschotten. Mehrfach kam es dennoch zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Obwohl das Diözesangebiet hier fast bis an das Territorium der Reichsstadt Nürnberg heran- bzw. bis über den Sitz der markgräflichen Residenz Ansbach hinausreichte, gelang doch eine Ausdehnung von weltlichem Besitz nicht über den Ochsenfurter Gau hinaus.

Trotz existenzbedrohender Rückschläge im Bauernkrieg, der in Franken mit besonderer Härte geführt wurde, im Zweiten Markgrafenkrieg 1553 sowie in den Grumbachschen Händeln 1583 und im Dreißigjährigen Krieg blieb der Umfang des Hochstifts bis zum Ende des alten Reiches weitgehend stabil. Die Reformation brachte mit dem Übertritt zahlreicher territorialer Konkurrenten in das protestantische Lager eine vielfältige Verschärfung der territorialen Konflikte in großen Teilen des Hochstifts. Markante Verluste erlitt das Hochstift dabei nicht. Die weitere territoriale Arrondierung wurde jedoch weiter erschwert, da zahlreiche Kontrahenten die Lösung aus der geistlichen Herrschaft des Bistums auch als Chance zur Lockerung politischer Bindungen sahen. Geschlossenheit konnte so noch schwerer erreicht werden. Rechts- und Herrschaftstitel blieben heterogen. Auch territoriale Enklaven etwa der Reichsritterschaft konnten nie völlig beseitigt werden.

Unter den konkurrierenden Adelsherrschaften sind insbesondere drei Grafengeschlechter zu nennen, die im 16. und 17. Jahrhundert in den Reichsfürstenstand aufstiegen. Die Grafen von Hohenlohe beschränkten den Territorialausbau des Hochstifts im heutigen württembergisch-Franken mit weiterem Besitz im westlichen Mittelfranken. Die Grafen von Schwarzenberg mit ihrem fränkischen Stammsitz und Besitz in Scheinfeld, Seinsheim, Marktbreit und Erlach erschwerten die Expansion nach Osten, die Grafen von Löwenstein-Wertheim verhinderten insbesondere eine Expansion des Hochstifts in Richtung Odenwald. Die Grafen von Castell trugen ihre Grafschaft zwar 1457 dem Hochstift als Lehen auf, bauten aber dennoch bis zum Ende des alten Reiches eine Herrschaft mit vier Ämtern und ca. 10.000 Untertanen in 30 Orten im Südosten des Hochstiftsgebiets auf. Neben Dernbach und den Grafen von Schönborn, die als Fürstbischöfe einen unmittelbaren Einfluss auf die Hochstiftsgeschichte nahmen, sind am westlichen Rand des Territoriums auch die Grafen von Rieneck zu erwähnen. Nach ihrem Aussterben 1559 fiel deren Allod- und Lehnsbesitz bis auf wenige würzburgische Enklaven an das Erzstift Mainz.

Innere Struktur

Der inhomogenen äußeren Gestalt des Hochstifts entsprach eine ebenso heterogene innere Struktur. Eine territorienbildende Agglomeration von Rechten zu einer gleichförmigen Landesherrschaft gelang nur in Ansätzen. Vogteirecht, Grundherrschaft verschiedener Ausprägung, Lehen- und Eigengerichtsbarkeit, Sonderrechtsverleihungen für Märkte und Städte und der im Diözesansprengel außerhalb des Hochstiftsgebiets kaum zu verwirklichende Dukat des Würzburger Bischofs ließen einen einheitlichen herrschaftlichen Zugriff auf Land und Leute nicht zu. Die ab dem ausgehenden 15. Jahrhundert zahlreicher werdenden Landesordnungen der Fürstbischöfe erlangten nie unumschränkte Gültigkeit. Auch fehlte es oft an Kontrollmöglichkeiten. Die Versuche, die herrschaftlichen Lebensbereiche sämtlicher Untertanen mit konfessionell und sozial disziplinierenden Ordnungen zu durchdringen, sind jedoch ab der Gegenreformation überdeutlich erkennbar.

Neben dem Fürstbischof bestimmten noch weitere Kräfte die innere Struktur des Hochstifts. Der in Franken besonders intensive und von Bischof und Königtum geförderte spätmittelalterliche Ausbau des Städtewesens kam wie auch die Unterwerfung der nach bürgerlicher Autonomie strebenden Bischofsstadt in der Schlacht von Bergtheim (1400) im 15. Jahrhundert der Territorialisierung des Hochstifts zugute. Wie sehr ein in das Hochstift integriertes Städtenetz als wesentliches Element der bischöflichen Politik betrachtet wurde, zeigen die Bemühungen, die unmittelbar vor den Würzburger Toren gelegene Stadt Heidingsfeld zu erwerben. Sie befand sich auf dem Weg zur Reichsfreiheit und konnte erst zu Beginn des 16. Jahrhundert durch größere Pfandsummen de facto unter bischöfliche Regierung gebracht werden, blieb jedoch bis zum Ende des alten Reiches nominell böhmisches Lehen.

Weiterhin prägte der Dualismus Bischof–Domkapitel die Verfassung des Hochstifts. Das Kapitel war im 15. Jahrhundert durch Wahlkapitulationen zu intensiver Mitregierung gelangt. Es besaß innerhalb des Hochstifts umfangreiche Mediatherrschaften, zu denen ganze Städte zählten (z. B. Ochsenfurt). Durch die strenge ständische Abschließung entwickelte es sich zu einer Vertretung des stiftischen Adels. Weiteren Mediatsbesitz steuerten die zahlreichen Klöster und Stifte bei, insbesondere die Stifte Neumünster und Haug sowie das Ritterstift St. Burkhard. Der Immediatsbesitz wird 1802 mit 2 Städten, 162 Dörfern und 41.425 Einwohnern beziffert. Das seit der intensiven Priviligierungen durch die Staufer nach Reichsunmittelbarkeit strebende Kloster Ebrach konnte sein Ausscheiden aus dem Hochstiftsverband erst am Ende des alten Reiches erlangen (um den Preis seiner Säkularisation).

Eine landständische Vertretung entstand dagegen nur in Ansätzen. Nach einigen spätmittelalterlichen Partizipationsversuchen unterschiedlicher Intensität fehlte einer echten ständischen Vertretung zunächst ab dem 16. Jahrhundert der reichsritterschaftliche Stiftsadel, seit 1641 besuchten auch die Städtevertreter die Landtage nicht mehr. So verblieb lediglich die Geistlichkeit, die kein echtes Gegengewicht zum bischöflichen Landesherrn darstellte. Sie übte ihren Einfluss über das Domkapitel aus, das partiell auch adelige Interessen vertrat. Die Güter der weitgehend protestantischen Reichsritterschaft bildeten einen steten Fremdkörper im Hochstiftsterritorium. Ihre Mitglieder standen häufig auch in politischem Gegensatz zum Bischof. Im Laufe des 16. Jahrhunderts schied die Reichsritterschaft aus dem territorialen Aufbau des Hochstifts endgültig aus. Der grundbesitzende Adel und die Grafen blieben dem Hochstift dennoch oft durch Lehnsbeziehungen verbunden. Trotz der zunehmenden Bedeutung des Eigengutes wurde der bischöfliche Lehenhof als Strukturelement des Hochstifts daher nie ganz aufgegeben, auch wenn im 17. und 18. Jahrhundert dem Hochstift durch das Aussterben einiger Familien ein territorialer Ausbau gelang. Soweit katholisch verblieben stand der Stiftsadel auch über die 24 ihm reservierten Domkanonikate in enger Beziehung zum Fürstbischof, der häufig aus diesem Personenkreis stammte.

Säkularisation

Nachdem das Hochstift in Regierung und Verwaltung unter Bischof Franz Ludwig von Erthal (1779-1795) umfassend reformiert wurde und eine kurze Blüte erlebte, kündigte der Beschluss zur Aufhebung der geistlichen Fürstentümer im Frieden von Luneville (9. Februar 1801) das Ende der Hochstiftszeit an. Der letzte Bischof, Georg Karl von Fechenbach (reg. 1795-1802), dankte als weltlicher Herrscher am 28. November 1802 nach der Besetzung des Hochstifts durch bayerische Truppen im Juni 1802 unter General Graf Georg August von Ysenburg (1741-1822) ab. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 wurde der größte Teil des Hochstifts dem Kurfürstentum Bayern einverleibt.

Nach kurzer Bayerischer Regierung brachte der Friede von Preßburg vom 26. Dezember 1805 dem ehemaligen Hochstift den Übergang an Großherzog Ferdinand III. von Toskana (reg. 1791-1801/1814-1824 als Großherzog von Toskana, 1803-1806 Kurfürst von Salzburg, 1806-1814 Großherzog von Würzburg) im Ausgleich für dessen Verzicht auf den neugebildeten Kurstaat Salzburg. Nach wenigen Jahren, die durch tolerantere Gesetzgebung, Wiedererlangung des Status einer Residenzstadt und französische Impulse im Zuge der Zugehörigkeit Würzburgs zum Rheinbund gekennzeichnet waren, endete 1814 die Toskana-Zeit. Mit dem Wiener Kongress 1815 fiel das Hochstift an Bayern zurück.

Quellen- und Forschungslage

Zuständig für die archivalische Überlieferung zu Fragen des Hochstiftsterritoriums ist das Staatsarchiv Würzburg. Maßgeblich sind insbesondere die Bestände Würzburger Lehenurkunden (ca. 1200) und Würzburger Standbücher (ca. 1200 Bände). Der Zweite Weltkrieg brachte erhebliche Verluste mit sich, betraf jedoch weitere maßgebliche Archivalien, insbesondere die Lehenbücher nicht. Während in Ermangelung älterer Traditionsbücher der Hochstiftsbesitz im Frühmittelalter weitgehend im Dunkeln bleibt, ist seit der Anlage der ersten Lehenbücher zu Beginn des 14. Jahrhunderts ein nahezu durchgängiger Überblick über den Lehnsbesitz möglich. Die zahlreichen spätmittelalterlichen Besitzverzeichnisse des Hochstifts sind in den Verzeichnissen von Bünz/Rödel/Rückert/Schöffler aufgelistet. Einzelne Lehenbücher sind ediert. Die Datenbank zu den Lehenbüchern des Hochstifts Würzburg stellt weiteres Material online zur Verfügung. Seit den Reformen der bischöflichen Kanzlei durch Lorenz Fries und insbesondere der Anlage der "Hohen Registratur" (StA Würzburg, Würzburger Standbücher 1011, 1012, 1014) ist ein konzentrierter Zugriff auf den außerordentlich komplexen Bestand an Besitzungen und Rechten des Hochstiftes möglich. Das bis in das 18. Jahrhundert fortgeführte Verzeichnis aller Besitz- und Rechtstitel des Hochstifts nach Orten in alphabetischer Reihenfolge ist eine vorzügliche Quelle zur Entstehung des frühmodernen Territorialstaates und zu den besonderen Umständen der territorialen Zersplitterung des Hochstifts.

Mit zunehmendem Quellenbestand ist die Forschungslage als gut zu bezeichnen. Bei Besitz und Ämterstruktur ist die Historische Atlasforschung hervorzuheben. In der relativ aktuellen fünfbändigen "Unterfränkischen Geschichte" liefern die einschlägigen Artikel zu Territorium und innerer Verfassung gute Überblicke, obwohl die territoriale Zersplitterung und Inhomogenität des Hochstifts systematische Zugriffe erschwert. Nach einer älteren Fokusierung auf die Gerichtsherrschaft als Schwerpunkt der Territorialisierung ist in jüngerer Zeit eine vermehrte Verbindung territorial- und strukturgeschichtlicher Forschungen mit Fragen um Grundlagen, Herkunft - bzw. generell dem Vorhandensein - einer "fränkischen Identität" zu verzeichnen.

Literatur

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Quellen

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  • Wilhelm Engel, Urkundenregesten zur Geschichte der Städte des Hochstifts Würzburg (1172-1413) (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 12), Würzburg 1956.
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  • Hermann Hoffmann, Das älteste Lehenbuch des Hochstifts Würzburg. 2 Bände (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 25) Würzburg 1973.
  • Hermann Knapp, Die Zenten des Hochstifts Würzburg. 2 Bände, Berlin 1907.
  • Ulrich Wagner/Walter Ziegler (Hg.), Lorenz Fries. Chronik der Bischöfe von Würzburg 742-1495, 6 Bände (Fontes Herbipolenses. Editionen und Studien aus dem Stadtarchiv Würzburg 1-6), Würzburg 1992-2004.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Rainer Leng, Würzburg, Hochstift: Territorium und Struktur, publiziert am 10.03.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Würzburg,_Hochstift:_Territorium_und_Struktur> (20.04.2024)