Industrie- und Handelskammern (IHK)
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Die in ihrer Mehrheit zwischen 1843 und 1844 gegründeten neun bayerischen Industrie- und Handelskammern haben den Auftrag, das Gesamtinteresse aller in ihrem jeweiligen Bezirk ansässigen Gewerbetreibenden (mit Ausnahme des Handwerks) in Selbstverwaltung wahrzunehmen. Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, denen der Staat hoheitliche Aufgaben übertragen hat: Sie wirken bei der Berufsbildung mit und sind für das Prüfungswesen zuständig. Als Dienstleister beraten sie Mitgliedsfirmen und Existenzgründer in Themen wie Aus- und Weiterbildung, Recht und Steuern, Innovation, Export und Unternehmensnachfolge.
Einführung
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden in den damals französisch besetzten Gebieten links des Rheins die ersten deutschen Handelskammern, wie z. B. 1802 in Mainz. 1825 beantragte die bayerische Ständeversammlung erstmals die Einrichtung von Gesamtvertretungen der gewerblichen Wirtschaft einer Region. Auf Drängen des bayerischen Kabinettschefs und Innenministers Karl von Abel (1788-1859, Innenminister 1837-1847) erließ König Ludwig I. (1786-1868, König 1825-1848) 1842 eine Verordnung, die zur Rechtsgrundlage für den Aufbau der bayerischen Kammerorganisation wurde. Sie war die erste im Deutschen Bund, die landesweit auf eine Bezirksgliederung nach französischem Modell und auf eine gleichartige Organisation abzielte. Im Vordergrund des Aufgabenspektrums stand die Beratung der Regierung. Die Mitglieder dieser Kammer kamen aus dem Handels-, Fabrikanten und Gewerbestand und wurden vom König zunächst auf zwei Jahre berufen. 1843 fand die offizielle Eröffnung der Münchner Handelskammer statt; erster Präsident wurde der Industriepionier und Lokomotivfabrikant Joseph Anton von Maffei (1790-1870). Die Städte Bayreuth, Nürnberg, Regensburg und Würzburg folgten im gleichen Jahr. 1844 nahm die Kammer Augsburg ihre Arbeit auf, 1848 die Kammer Passau. In den 1850er Jahren festigte sich der organisatorische Aufbau der Handelskammern. In ihren Jahresberichten legten sie Lageberichte ihres Bezirks vor und machten umfangreiche Verbesserungsvorschläge.
1868 erließ König Ludwig II. (1845-1886, König seit 1864) eine Verordnung, die wichtige Neuerungen für die Kammern brachte: die dauerhafte Einrichtung mit einem fachwissenschaftlich gebildeten Sekretär, die direkte Wahl der Kammerrepräsentanten und die Beitragserhebung bei den Wahlberechtigten am jeweiligen Kammersitz. Von der Reichsgründung 1871 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 standen vier Themenbereiche im Mittelpunkt der Kammertätigkeit:
- die Folgen der inneren Reichseinheit wie die Vereinheitlichung des Währungswesens sowie der Maße und Gewichte
- der Ausbau des Eisenbahnnetzes
- die Einführung einer verbindlichen Einheitszeit
- die soziale Frage und die damit verbundenen gesetzlichen Regelungen wie Kranken- und Unfallversicherung
Ein wichtiges Tätigkeitsfeld war darüber hinaus die Handelspolitik. Außerdem widmeten sich die Kammern den Aufgaben des eigenen Bezirks wie z. B. der Einführung der Telephonie. 1896 erhielt das Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha eine eigene Kammer in Coburg. Der Staatsvertrag von 1920 über die Vereinigung Coburgs mit Bayern schrieb das Bestehen einer eigenständigen Handelskammer ausdrücklich fest.
Wandel und neue Aufgaben
Mit der Verordnung von 1908 wurden in Bayern als letztem deutschen Staat die dem Handwerk angehörenden Gewerbetreibenden aus den Kammern ausgegliedert. Sie fanden in den Handwerkskammern ihre eigene Vertretung. Die Handelskammern empfingen die Rechte einer juristischen Person und führten ein Siegel mit dem Herzschild des bayerischen Staatswappens. Sie konnten von da an dem Handelsverkehr dienende Bescheinigungen und Zeugnisse ausstellen. Darüber hinaus durften sie Einrichtungen für die technische und geschäftliche Ausbildung von Gehilfen und Lehrlingen gründen und unterhalten. Damit waren die Weichen für das spätere Tätigkeitsfeld der Berufsausbildung gestellt. Auf der Grundlage dieser Verordnung trat 1909 erstmals der Bayerische Handelskammertag als Gemeinschaftseinrichtung der bayerischen Kammern zusammen.
Gleichschaltung und Auflösung
Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich die berufliche Ausbildung und das damit verbundene Prüfungswesen mehr und mehr zu einem wichtigen Aufgabenbereich der unternehmerischen Selbstverwaltung. 1927 nahm die Kammer Nürnberg die erste Facharbeiterprüfung ab. Die Kammer München richtete als erste Kammer in Süddeutschland 1928 die Kaufmannsgehilfenprüfung ein. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurden die Kammern gleichgeschaltet. Seit 1934 unterstanden sie der Aufsicht des Reichswirtschaftsministers, der die Kammerpräsidenten ernannte. Anstelle der gewählten Vollversammlung trat ein vom Präsidenten berufener Beirat, der lediglich beratende Funktion hatte. 1937 wurde die Beitragszahlung der sog. Kleingewerbetreibenden - also der nicht im Handelsregister eingetragenen kleinen selbständigen Unternehmer - und die Erhebung der Kammerbeiträge nach dem Maßstab der Gewerbesteuer zur Pflicht.
Im Zuge der nationalsozialistischen Umgestaltung der Wirtschaft wurde 1934 für das rechtsrheinische Bayern die "Wirtschaftskammer Bayern" geschaffen. Sie sollte die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern und die Fachgruppen, in denen die wirtschaftspolitischen Verbände aufgegangen waren, organisch verbinden. Die Eigenständigkeit der einzelnen Kammern blieb davon unberührt. Wesentlich einschneidender waren die Veränderungen im Zuge der Verordnung vom 20. April 1942, die in Bayern erst 1943 umgesetzt wurde. Soweit die Kammern nicht aufgelöst wurden, sollten sie in die neue Organisationsform der Gauwirtschaftskammern eingegliedert werden, wiederum zusammen mit den Handwerkskammern und den bezirklichen Gliederungen der Fachgruppen. In Bayern bildeten sich fünf Gauwirtschaftskammern: die "Gauwirtschaftskammer Bayreuth", bestehend aus den ehemaligen Kammerbezirken Bayreuth, Coburg, Passau und Regensburg, die "Gauwirtschaftskammer Franken" als Nachfolgerin der ehemaligen Kammer Nürnberg, die neu eingerichtete "Gauwirtschaftskammer Mainfranken" für Würzburg, die "Gauwirtschaftskammer München-Oberbayern" und die "Gauwirtschaftskammer Augsburg".
Neuanfang 1945
Nach dem Zusammenbruch 1945 löste eine Direktive der US-Militärregierung vom 1./14. August die Gauwirtschaftskammern auf. Wenige Monate später ließ das bayerische Wirtschaftsministerium in seiner Anordnung vom 25. Oktober 1945 sechs bayerische Industrie- und Handelskammern (IHK) in München, Augsburg, Regensburg, Nürnberg, Bayreuth und Würzburg zu, allerdings auf der Rechtsgrundlage der freiwilligen Mitgliedschaft von Unternehmen und nur in beratender Funktion. Ihr Kammerbezirk entsprach dabei dem jeweiligen Regierungsbezirk. Bis zum Jahresende 1945 gab es zehn bayerische Industrie- und Handelskammern. Durch Ministerratsbeschluss vom 27. November 1946 entstand die IHK Aschaffenburg mit der Zuständigkeit für die kreisfreie Stadt Aschaffenburg und die Landkreise Aschaffenburg und Miltenberg. Durch Verfügung der Militärregierung der französischen Besatzungszone vom 15. Mai 1946 wurde die IHK Lindau errichtet, die 2004 mit der IHK Augsburg und Schwaben fusionierte. Bereits im Juni 1945 hatte sich die IHK zu Coburg durch eine Verordnung der US-Militärregierung wieder konstituiert. Die Kammer Passau hatte als Zweigstelle zur Gauwirtschaftskammer Bayreuth gehört. Am 17. November 1945 ließ das Bayerische Wirtschaftsministerium die IHK für Niederbayern zu, unter dem Vorbehalt einer später dann auch erteilten Genehmigung der US-Militärregierung.
Am 18. Dezember 1956 trat das Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (IHKG) in Kraft, das bundeseinheitliche Rechtsgrundsätze schuf. Es konstituierte die IHKs als Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Pflichtmitgliedschaft der Unternehmen ihres Bezirks. Da sich die politischen Parteien im Vorfeld nicht über eine paritätische Besetzung aus Unternehmern und Arbeitnehmern bei den neu zu bildenden IHKs einigen konnten, wurde das Gesetz bis zur endgültigen Klärung als "vorläufig" bezeichnet.
Obwohl die Bemühungen um die überbetriebliche Mitbestimmung in den 1960er Jahren endgültig scheiterten, trägt das IHK-Gesetz bis heute (2013) diesen Zusatz. Nach dem IHKG haben die IHKs als Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft den Auftrag, das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft ihres Bezirks gegenüber Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit zu vertreten. Im Interesse der Unternehmen übernehmen sie Aufgaben vom Staat wie z. B. die Abnahme von Prüfungen in der Berufsausbildung, die Bestellung von Sachverständigen oder das Ausstellen von Ursprungszeugnissen. Sie achten auf Einhaltung der Regeln im Wirtschaftsleben und sind dem Leitbild des ehrbaren Kaufmanns mit verantwortlichem Handeln und nachhaltigem Wirtschaften verpflichtet.
Literatur
- Rainer Fuchs, Die Bayerischen Industrie- und Handelskammern im Wiederaufbau 1945 bis 1948. Zwischen amerikanischem Demokratisierungswillen und eigener Selbstverwaltungstradition (Miscellanea Bavarica Monacensia 142), München 1988.
- Dieter Schäfer, Die Begründung der Handelskammern in Bayern, in: Rainer A. Müller/Michael Henker (Hg.), Aufbruch ins Industriezeitalter. 2. Band: Aufsätze zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns 1750-1850, München 1985, 269-279.
- Martin Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft. Recht und Geschichte der Selbstverwaltung in den Industrie- und Handelskammern, Handwerksinnungen, Kreishandwerkerschaften, Handwerkskammern und Landwirtschaftskammern, Tübingen 2010.
- Harald Winkel, Wirtschaft im Aufbruch. Der Wirtschaftsraum München-Oberbayern und seine Industrie- und Handelskammer im Wandel der Zeit, München 1990.
Weiterführende Recherche
Externe Links
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Empfohlene Zitierweise
Eva Moser, Industrie- und Handelskammern (IHK), publiziert am 09.09.2013; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Industrie-_und_Handelskammern_(IHK) (5.12.2024)