• Versionsgeschichte

Gau Franken

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Version vom 26. Juni 2023, 07:10 Uhr von imported>Rittenauerd

von Matthias Klaus Braun

Der Parteigau Franken der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) bestand in den Jahren von 1925 bis 1945. Politisch konzentrierte sich das Gaugebiet trotz des Namens vor allem auf den heutigen Regierungsbezirk Mittelfranken. An der Spitze des Gaus stand durchgängig Julius Streicher (NSDAP, 1885-1946), wobei er nach 1940 entmachtet war und nur noch formal den Titel eines Gauleiters trug. In den Anfangsjahren der NSDAP diente der Gau Franken als organisatorische Basis, damit sich die Partei nach Mittel- und Norddeutschland ausbreiten konnte. Der Gau Franken zeichnete sich durch eine besonders radikale antisemitische Hetze gegen die jüdischen Einwohner aus. Der Raub jüdischen Vermögens wurde nach 1933 in keinem anderen Parteigau skrupelloser durchgeführt. Wichtige Städte innerhalb des Gaus Franken waren Nürnberg als Sitz der Gauleitung und "Stadt der Reichsparteitage" sowie die Universitätsstadt Erlangen, wo der "Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund" 1929 erstmals an einer Universität die Mehrheit in der Studentenvertretung stellte.

Entstehung und Genese der NSDAP-Organisation in Mittelfranken

Von links nach rechts: Rudolf Heß (1894-1987), Adolf Hitler (1889-1945) und Julius Streicher (1885-1946) auf dem Reichsparteitag der NSDAP 1927 in Nürnberg. Fotografie von Heinrich Hoffmann. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-6806)

In den drei fränkischen Regierungsbezirken fand die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und dem Ende der Monarchie strukturell gute Voraussetzungen vor. Die nach 1918 entstandene demokratische Weimarer Republik wurde als Ergebnis des verlorenen Krieges in weiten Bevölkerungskreisen als nationale Schmach abgelehnt. Wirtschaftliche Krisen in der Landwirtschaft und im mittelständischen Bürgertum verfestigten die Skepsis gegenüber der jungen Republik.

Unter diesen Bedingungen war die NSDAP zunächst nur eine von mehreren völkisch-rechtsextremen Gruppen (unter anderem Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund, Deutschsozialistische Partei, Deutsche Werkgemeinschaft), die vor allem in Ober- und Mittelfranken starken Zuspruch erhielten. Die erste Ortsgruppe der NSDAP in Franken gründete sich 1921 in Scheinfeld (Lkr. Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim). Auf Initiative von Julius Streicher (NSDAP, 1885-1946) kamen in den folgenden Jahren zahlreiche Ortsgruppen der NSDAP in Unter-, Mittel- und Oberfranken hinzu. Für die NSDAP war dies der entscheidende Ausbreitungsschub von einer Münchner Hinterzimmerpartei hin zu einer deutschlandweit präsenten Kraft im zersplitterten rechtsextremen Spektrum. Die schnelle Ausbreitung mit Ortsgruppen nördlich der Donau und anschließend über Bayern hinaus machte Franken zur entscheidenden organisatorischen "Brücke" (Hambrecht). Das aus grundsätzlicher Skepsis gegenüber der Republik und Furcht vor angeblichen linken Umsturzversuchen resultierende Wohlwollen staatlicher Stellen, insbesondere des Polizeipräsidiums Nürnberg-Fürth, begünstigte die organisatorische Stabilisierung und Ausbreitung der NSDAP in Nordbayern. Die große Zahl an Parteimitgliedern in den fränkischen Regierungsbezirken und das dichte Netz der Ortsgruppen stützten zudem Adolf Hitlers (NSDAP, 1889-1945) alleinigen Führungsanspruch innerhalb der NSDAP gegenüber norddeutschen Konkurrenten in den Jahren 1925/26. Hierfür hatte Julius Streicher gesorgt, der seinerseits Hitlers Unterstützung gegen die eigenen Rivalen erhielt.

Der Faktor Julius Streicher in der NSDAP vor 1933

Karl Holz (links im Auto, 1895-1945) und Julius Streicher (rechts im Auto) bei der Haftentlassung Streichers am 08.12.1926. Fotografie von Heinrich Hoffmann. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-6991)

Entscheidend für die Ausbreitung der NSDAP in Nordbayern war der Parteieintritt von Streicher im Oktober 1922. Er war zuvor als antisemitischer Publizist und Zeitungsherausgeber in Nürnberg aktiv gewesen und gewann hierdurch im völkisch-rechtsextremen Spektrum an Popularität. Streicher vollzog den Übertritt aus der Splitterpartei Deutsche Werkgemeinschaft in die NSDAP zusammen mit rund 2.000 seiner Anhänger und unterstellte sich öffentlich dem Führungsanspruch von Hitler. Hiermit begann das Sonderverhältnis beider zueinander. Es verfestigte sich weiter durch Streichers Mitwirken am Hitler-Ludendorff-Putsch 1923. Im Anschluss daran erhielt er bis zu seiner eigenen Verhaftung im Januar 1924 in Vertretung des bereits festgenommenen Hitler die Vollmacht zur politischen Leitung der NS-Bewegung in ganz Nordbayern.

Hitlers Wohlwollen schützte Streicher trotz einer Vielzahl von strafrechtlichen und sittlichen Verfehlungen in den kommenden Jahren vor einer Absetzung, obwohl sein Verhalten zu einer Reihe schwerer Krisen mit Parteiausschlüssen, -austritten und -abspaltungen führte. Dabei konnte sich Streicher auf eine äußerst loyale Gefolgschaft besonders in der Gauhauptstadt Nürnberg verlassen. Einige dieser Anhänger – Fritz Fink (NSDAP, 1897–1988), Georg Gradl (NSDAP, 1884–1950), Karl Holz (NSDAP, 1895–1945, stellv. Gauleiter von Franken 1934–1944, Gauleiter von Franken 1944-1945), Hanns König (NSDAP, 1904–1939), Philipp Wurzbacher (NSDAP, 1898–1984) – nahmen über fast zwei Jahrzehnte Schlüsselpositionen in der Gauleitung ein. Damit war anders als in vielen anderen Gauen der NSDAP im Gau Franken ein hohes Maß an personeller Kontinuität an der Führungsspitze gegeben. Als weiteres Indiz für die hohe personelle Kontinuität weist der Gau Franken in der Parteistatistik 1935 unter seinen Mitgliedern deutschlandweit den prozentual höchsten Anteil an Trägern des "Goldenen Parteiabzeichens" der NSDAP auf, also Mitgliedern mit einer Parteizugehörigkeit vor dem 1. Oktober 1928.

Vor allem drei Aspekte unterschieden den Gau Franken von anderen Parteigauen:

  • "Frankenführer": Analog zur Titulierung Hitlers als "Führer" der NSDAP erhielt Streicher von seinen Anhängern die informelle Bezeichnung des "Frankenführers". Daraus folgte der Anspruch im Gau Franken, durchaus unabhängig von der Münchner Reichsleitung der NSDAP zu agieren.
  • "Der Stürmer": Bis zur Gründung der "Fränkischen Tageszeitung" 1933 existierte im Gau Franken keine eigene Parteizeitung. Stattdessen erschien seit April 1923 die Zeitschrift "Der Stürmer". Diese brachte zwar auch Meldungen aus der Partei, war aber vorrangig Streichers persönliche Veröffentlichungsplattform. Hetze und Verleumdungen politischer Gegner inner- und außerhalb der NSDAP sowie insbesondere ein radikaler Antisemitismus gegen alles Jüdische zeichneten die Zeitschrift aus. Die Verbreitung des "Stürmer" erfolgte weit über den Erscheinungsort Nürnberg hinaus.
  • "Frankentag": Am Hesselberg (Lkr. Ansbach) hielt der Gau Franken seit 1928 regelmäßig eine Massenveranstaltung ab. Während in Nürnberg 1927 und 1929 Reichsparteitage der NSDAP stattfanden, wo sich die Gesamtpartei präsentierte und vor allem Hitler als deren "Führer" gehuldigt wurde, waren die Parteitreffen am Hesselberg auf Streicher ausgerichtet. Von 1933 bis 1939 trug die Versammlung den Namen "Frankentag", obwohl der Parteigau politisch auf Mittelfranken beschränkt blieb.

Entwicklung der NSDAP bzw. der Gaustruktur in Franken bis 1933

Gebiet des Gaus Franken (rot markiert). Abb. aus: Adressenwerk der Dienststellen der NSDAP mit den angeschlossenen Verbänden, des Staates, der Reichsregierung und Behörden und der Berufsorganisationen in Kultur, Reichsnährstand, gewerbliche Wirtschaft, Berlin 1937. (Bayerische Staatsbibliothek, 4 Z 38.81-1, Bearbeitung: Sonja Schweiger)

Ein eigenständiger Gau Franken entstand erst mit der Neugründung der NSDAP im Februar 1925. Zuvor waren alle bayerischen Ortsgruppen der NSDAP im Gau Bayern zusammengefasst gewesen. Streicher war am 2. April 1925 zum Gauleiter für alle drei fränkischen Regierungsbezirke ernannt worden. In den folgenden Jahren versuchte die Streicher unterstehende Geschäftsstelle der "Gauleitung Nordbayern" Einfluss nicht nur in Franken, sondern auch in der Oberpfalz und sogar der linksrheinischen Pfalz auszuüben. Eine nachhaltige Ausrichtung auf Streichers Machtzentrum Nürnberg gelang jedoch nicht. Letztlich blieb aus dieser Anfangsphase nur die hochtrabende Bezeichnung seiner Anhänger für ihn als "Frankenführer".

Rückläufige Mitgliederzahlen und innerparteilicher Streit führten im Februar 1928 zu einer strafferen Bindung an die Parteizentrale in München. Im Oktober 1928 folgte die Neugliederung des bestehenden Gaus Bayern in vier Untergaue. Streicher war fortan nur noch für den Untergau Nürnberg-Fürth verantwortlich. Den Untergau Mittelfranken-West leitete Wilhelm Grimm (NSDAP, 1889–1944, Gauleiter für Mittelfranken 1928–1929, stellv. Gauleiter von Franken 1929–1933). Am 1. März 1929 wurden beide Untergaue zum neuen Gau Mittelfranken zusammengelegt. Das gesamte Gebiet unterteilte sich nochmals in sieben Unterbezirke.

Dauerhaft eigenständige Gaustrukturen entwickelten sich dagegen in Unter- und Oberfranken. Versuche Streichers, vor allem in den Jahren 1932/33 zumindest den Parteigau Unterfranken mit seinem eigenen zu vereinigen, kamen über den Austausch von Denkschriften mit der Parteiführung nicht hinaus. Ab dem 21. April 1933 firmierte der bisherige Gau Mittelfranken mit Verfügung Hitlers als "Gau Franken". Am territorialen Zuschnitt änderte sich nichts. Streichers Gau blieb auf Mittelfranken beschränkt. Die neue Bezeichnung war kein Ausdruck der tatsächlichen Machtfülle, sondern kaschierte Streichers Einflussverlust innerhalb der NSDAP nach 1933 mittels des verallgemeinernden Namens.

Neben der Gaustruktur für die Parteiorganisation bestand bereits seit 1923 eine eigenständige Gruppe Franken der Sturmabteilung (SA). Diese umfasste geographisch alle drei fränkischen Regierungsbezirke. Die Unabhängigkeit der SA, die der Obersten SA-Führung in München unterstand, führte mehrfach zu schweren Krisen mit der Gauleitung. Die sogenannte Stegmann-Revolte der fränkischen SA führte um die Jahreswende 1932/33 beinahe zur Absetzung Streichers und seiner Gefolgschaft.

Nicht zuletzt wegen fortgesetzter Streitigkeiten um die Person Streichers blieben die Parteistrukturen außerhalb der Städte bis mindestens 1929 ungefestigt. Der Wechsel ganzer Ortsgruppen von der NSDAP in andere völkisch-nationalistische Verbände wie den "Bund Oberland" oder die paramilitärische "Reichsflagge" war keine Seltenheit – genauso wenig wie andersherum. Feste organisatorische Strukturen wies der Gau Franken vor allem in Städten wie Nürnberg, Fürth, Ansbach, Gunzenhausen (Lkr. Weißenburg-Gunzenhausen) oder Rothenburg ob der Tauber (Lkr. Ansbach) auf.

Ein Hindernis für dauerhafte Strukturen im gesamten Gaugebiet war die chronische Finanzknappheit des Parteiapparates. Rückstände bei den Beitragszahlungen wirkten sich besonders massiv aus, zumal andere Einnahmequellen, wie beispielsweise Verkaufserlöse einer eigenen Parteizeitung zugunsten von Streichers Zeitschrift "Der Stürmer", nicht gegeben waren. Die Vielzahl an Wahlkämpfen gegen Ende der Weimarer Republik belastete einzelne Ortsgruppen durch den Ankauf von Plakaten und Flugblättern zusätzlich. Die hohe Zahl an Versammlungen im gesamten Gaugebiet mit Streicher und weiteren prominenten Nationalsozialisten als Publikumsmagnet dienten neben der politischen Werbung dazu, durch Eintrittsgelder die Parteikasse aufzufüllen. Die verstärkte Wahlpropaganda führte in der Endphase der Weimarer Republik zu einem starken Anstieg an Parteieintritten. Zählte die NSDAP im Gau Mittelfranken im Mai 1929 noch gut 2.700 Mitglieder, waren es im November 1932 bereits 13.347. Mit dem Personenzuwachs ging eine starke Verjüngung einher. Jeder Zweite, der zwischen 1930 und 1933 in die mittelfränkische NSDAP eintrat, war unter 30 Jahre alt. Die Neumitglieder entstammten vor allem der Arbeiterschaft und der Landwirtschaft, während die Zahl der Angehörigen des Mittelstands unter dem Durchschnitt der Gesamtpartei blieb. Bemerkenswert war im Gau Franken der vergleichsweise hohe Anteil an Lehrern. Mit dem Mitgliederwachstum der NSDAP in ganz Deutschland im Zuge der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen der Weltwirtschaftskrise nach 1929 relativierte sich die Rolle des Gaus Franken innerhalb der Partei.

Gültige Wählerstimmen der NSDAP bei den Reichstagswahlen 1928–1933
Reichstagswahl Mittelfranken Deutsches Reich Anteil der mittelfränkischen Stimmen am Gesamtergebnis in %
20.5.1928 48.015 810.127 5,92
14.9.1930 135.341 6.379.672 2,12
31.7.1932 290.829 13.745.680 2,12
6.11.1932 252.786 11.737.021 2,15
5.3.1933 338.199 17.277.180 1,96

Gauapparat, Organisation, Gliederung nach der "Machtergreifung"

Besichtigung des fertiggebauten Gauhauses in Nürnberg durch Oberbürgermeister Willy Liebel (1897-1945), Julius Streicher (1897-1946), Martin Bormann (1900-1945), Adolf Hitler (1889-1945), Franz Ruff (Architekt, 1906-1979) am 5.3.1937. Fotografie von Heinrich Hoffmann. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-15008)

Ihren Sitz hatte die Gauleitung Franken in Nürnberg am Schlageterplatz (heute Willy-Brandt-Platz). Seit 1930 hatte die Gauverwaltung hier mehrere Grundstücke erworben, von denen einige während der NS-Herrschaft ihren jüdischen Voreigentümern durch die Stadt Nürnberg unter Zwang abgepresst wurden. Diese Immobilien schenkte die Stadt danach, beispielsweise an Streichers Geburtstag 1938, der Gauleitung. Ab 1931 entstanden nach Plänen von Paul Ludwig Troost (NSDAP, 1878–1934) das "Hitlerhaus" und ab 1935 das heute noch erhaltene "Gauhaus Franken" durch Franz Ruff (NSDAP, 1906-1979). Gleichfalls als Geschenk durch die Stadt Nürnberg erhielt Streicher 1935 das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Cramer-Klett-Palais als repräsentativen Wohnsitz des Gauleiters von Franken.

Die Gauleitung spiegelte in ihrer Aufteilung die Parteigliederung der NSDAP wider. Dennoch wies der Gau Franken unter den fünf Parteigauen in Bayern die geringste Organisationsdichte auf. 1936 waren 294 Ortsgruppen in 18 Kreisen zusammengefasst (z. B. zählte der Gau Schwaben 584 Ortsgruppen und 21 Kreise). Eine Ursache hierfür lag in der direkten Führungsweise Streichers, die einer allzu starken Bürokratisierung der Gaustruktur mit Zwischeninstanzen entgegenstand.

Personalbesetzungen und Weisungsbefugnisse innerhalb des regionalen Parteiapparates oder auch gegenüber staatlichen und kommunalen Stellen waren im Wesentlichen abhängig von der persönlichen Nähe zu Streicher. Exemplarisch hierfür ist der Aufstieg von Streichers früherem Fahrer Hanns König. Formal war er lediglich dessen Adjutant und Stabsleiter, galt aber laut einem parteiinternen Untersuchungsbericht bis zu seinem Freitod im Februar 1939 wegen seiner Eskapaden und Willkürakte "als der böse Geist in Franken" mit großer Machtbefugnis. Letztlich führte dieses Patronage- und Cliquensystem zu Streichers Absetzung als Gauleiter. Eine Vielzahl an Skandalen, darunter die Selbstbereicherung Streichers und seiner Gefolgsleute an "arisiertem" Vermögen zu Lasten des NS-Staates, ließ die Reichsleitung der NSDAP in den Gau Franken eingreifen. Ein geheim tagendes Parteigericht setzte Streicher im Februar 1940 ab.

Der Gau Franken nach der Entmachtung Streichers während des Zweiten Weltkriegs

Auf Grund seiner angeblichen Verdienste durfte Streicher den Titel als Gauleiter ebenso behalten wie seine Privatzeitschrift "Der Stürmer". Er musste sich jedoch dauerhaft aus Nürnberg zurückziehen. Die Führung der Gauleitung übernahm von 1940 bis 1942 vorübergehend der Kreisleiter für das Stadtgebiet Nürnberg, Hans Zimmermann (NSDAP, 1906–1984).

Im April 1942 beauftragte Hitler den bisherigen stellvertretenden Gauleiter Karl Holz mit der Führung des Gaus Franken. Seit November 1942 erhielt Holz zusätzlich die Befugnisse eines Reichsverteidigungskommissars. Dieses mit Kriegsbeginn 1939 eingeführte neue staatliche Amt zur Bündelung der zivilen Befugnisse für militärische Zwecke war für den Wehrkreis XIII bislang in Personalunion durch den Reichsverteidigungskommissar im südlich angrenzenden Wehrkreis VII ausgeübt worden, dem Gauleiter von München und Oberbayern. Ein größeres Eingreifen des oberbayerischen Gauleiters in die mittelfränkischen Verhältnisse in dieser Funktion ist aber zwischen 1939 und 1942 nicht erkennbar.

Im November 1944 erhielt Holz schließlich formal den Titel eines Gauleiters. Das führte zu dem Kuriosum, dass im Gau Franken mit Streicher und Holz bis Kriegsende zwei Personen gleichzeitig diese Parteibezeichnung tragen durften. Mit der Einnahme der Gauhauptstadt Nürnberg am 20. April 1945 durch die US-Armee und dem Tod von Gauleiter Holz bei den letzten Kämpfen um das dortige Polizeipräsidium am selben Tag hörte der Parteigau Franken der NSDAP auf zu existieren.

Besonderheiten und Spezifika des Gaus Franken

Nach 1933 gehörte Streicher zu den wenigen Gauleitern der NSDAP, die ohne ein offizielles Staatsamt blieben. Die im April 1934 vom bayerischen Ministerrat für sie eingeführte Funktion "als politische Beauftragte der Staatsregierung mit der Politischen Leitung der Kreisregierungen" erschöpfte sich im Recht, an den Kabinettssitzungen der Staatsregierung teilzunehmen. Der jeweilige Regierungspräsident war in seiner Amtsführung ohnehin auf ein gutes Auskommen mit dem Gauleiter angewiesen. Als der Reichsinnenminister darauf drang, keine Sonderstellung entstehen zu lassen und die Gauleiter stattdessen in die etablierten Strukturen des Staatsaufbaus einzugliedern, lehnte Streicher eine solche administrative Einhegung ab. Im Juni 1934 verzichtete er offiziell auf eine staatliche Funktion. Zu seiner lange unangefochtenen Position im Gau Franken trugen keine Regierungsvollmachten bei, sondern die persönliche Nähe zu Hitler. Damit galt Streicher trotz einer immer länger werdenden Liste an Verfehlungen bis 1940 als politisch unantastbar.

Aus der nicht realisierten Einbindung Streichers in den Staatsapparat entwickelte sich im Gau Franken ein polykratisches Machtgeflecht mit Nürnberg als geographischem Zentrum. Für einzelne Exponenten außerhalb der Gauleitung, wie dem Polizeipräsidenten Dr. Benno Martin (NSDAP, 1893–1975, Polizeipräsident für Nürnberg-Fürth 1934–1942, Höherer SS- und Polizeiführer Main 1942–1945) oder dem Nürnberger Oberbürgermeister Willy Liebel (NSDAP, 1897–1945, Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg 1933–1945) entstanden dadurch große Handlungsfreiräume. Im Wechsel von Zusammenwirken und dynamisierender Rivalität von staatlichen Stellen und Kommunalverwaltungen mit der Gauleitung radikalisierten sich vor allem die Diskriminierungsmaßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung. Beispiele hierfür sind die Ausschreitungen in Gunzenhausen am Palmsonntag 1934, der Abriss der Nürnberger Hauptsynagoge am Hans-Sachs-Platz bereits im August 1938 oder die noch bis Februar 1939 von der Gauleitung betriebenen "wilden Arisierungen" in ganz Mittelfranken zugunsten eigener Unterstützer. Deutschlandweit trug Streicher zur Verbreitung des Antisemitismus über seine Zeitschrift "Der Stürmer" bei. Sein Vorsitz im "Zentral-Komitee zur Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykotthetze", das die Richtlinien für den Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 herausgab, blieb eine einmalige Episode einer offiziellen reichsweiten Funktion. Die Ausschreitungen in der Reichspogromnacht am 9./10. November 1938 gingen von den lokalen SA-Verbänden aus, während die Gauleitung Franken hier offenbar passiv blieb.

Als Schauplatz der Reichsparteitage der NSDAP in den Jahren von 1933 bis 1938 nahm der Gau Franken innerhalb der NSDAP eine besondere Rolle ein. An den Veranstaltungstagen selbst kam der Gauleitung jedoch keine herausgehobene Rolle zu. Stattdessen konnten sich die Stadt Nürnberg und ihr Oberbürgermeister Liebel als Gastgeber inszenieren und organisierten im "Zweckverband Reichsparteitag Nürnberg" auch die Errichtung und den Unterhalt des dafür entstehenden Geländes mit seinen Bauten.

Cover "Die Judenfrage im Unterricht" von Fritz Fink, Nürnberg 1937. (Bayerische Staatsbibliothek, 37.2913)

Neben Nürnberg als "Stadt der Reichsparteitage" nahm innerhalb des Gaugebietes auch die Universitätsstadt Erlangen eine für die Geschichte der NSDAP besondere Bedeutung ein. An der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen hatte bei den Wahlen zur Studentenvertretung im Wintersemester 1929/30 der "Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund" (NSDStB) erstmals an einer Hochschule die absolute Mehrheit erreicht. Dass beide Städte jedoch eine entsprechende Rolle im Nationalsozialismus spielten, war aber weniger Streicher oder der Gauleitung geschuldet. Im Falle Nürnbergs waren es verkehrstechnisch-geographische Gründe, bei der Erlanger Studentenschaft kulturell-soziologische. Gemeinsam mit der Professorenschaft zeichnete sich die Mehrheit der Hochschulangehörigen durch eine nationalprotestantische sowie konservativ-monarchische Ausrichtung und eine zunehmende politische Radikalisierung in der Ablehnung der Weimarer Republik aus.

Der Personenkult um Streicher hob ihn von anderen Gauleitern ab. Das Fehlen von direkter Regierungsverantwortung bedeutete für die NSDAP im Gau Franken, weniger Kompromisse bei administrativen Vorgängen eingehen zu müssen. Stattdessen konzentrierte sich die Gauleitung auf die ideologische Verbreitung und die Radikalisierung des nationalsozialistischen Gedankenguts. Neben dem radikalen Antisemitismus, mit dem der frühere Volksschullehrer Streicher durch Publikationen aus seinem "Stürmer"-Verlag schon Schulkinder indoktrinierte, war das Zurückdrängen des Einflusses der christlichen Kirchen ein weiteres Betätigungsfeld der Gauleitung in den Jahren nach 1933. Der "Kirchenkampf" wurde dabei vor allem gegen die in Mittelfranken maßgebende Evangelisch-Lutherische Landeskirche und ihren Landesbischof D. Hans Meiser (1881–1956, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 1933–1955) geführt. Umsetzen sollten die ideologischen Vorgaben kommunale und staatliche Behörden.

Paradoxerweise stabilisierte die Reduzierung Streichers auf sein Parteiamt die nationalsozialistische Herrschaft in Mittelfranken bis zu deren Ende im April 1945. Prinzipielle Gegner des Nationalsozialismus, wie in Teilen der Nürnberger Arbeiterschaft oder in den konfessionell geprägten Agrargebieten, konnten ebenso problemlos mit den im nationalsozialistischen Sinne ausgerichteten Behörden zusammen- oder hierin mitarbeiten wie die große Zahl an persönlichen Feinden Streichers selbst unter überzeugten Nationalsozialisten. Dessen pathologische Charakterzüge und die Exzesse seiner Gefolgsleute wurden in der Mehrheitsmeinung als spezifischer Teil des regionalen Gauapparates angesehen und nicht als generelles Symptom der nationalsozialistischen Willkürherrschaft. Von einem größeren Widerstand gegen die Gauleitung Franken kann während der gesamten NS-Zeit dennoch keine Rede sein.

Quellen- und Forschungslage

Ein vormals vorhandenes Gauarchiv existiert als geschlossener Bestand nicht mehr. Teile hiervon sind im Staatsarchiv Nürnberg in einem Mischbestand vorhanden. Ergänzt wurde dieser Archivbestand um biographisches Material verschiedener Herkunft zu Julius Streicher. Daneben verwahrt das Stadtarchiv Nürnberg wichtige Bestände wie die Unterlagen der dortigen nationalsozialistischen Stadtratsfraktion in den Jahren 1924 bis 1933 als einem der Hauptbetätigungsorte der damaligen Gauleitung.

Das Fehlen einer geschlossenen Überlieferung erschwert vor allem die Analyse der Gaustrukturen für die Jahre nach 1933. Für den Zeitraum zuvor ist die Beobachtung durch staatliche Organe als Ergänzung hilfreich. Von der Forschung bislang noch weitgehend unbeachtet ist die große Vielfalt an Zeitschriften und Zeitungen nationalsozialistischer Gliederungen und Verbände im Gau Franken. Entsprechende Bestände der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg sowie der kleineren Kommunalarchive in Mittelfranken könnten künftig tiefere struktur- und sozialgeschichtliche Erkenntnisse für den Gau Franken und die Auswirkungen auf den Alltag im NS-Staat liefern. Bis dahin muss die wissenschaftliche Betrachtung schlaglichtartig bleiben. Sie konzentriert sich bislang vor allem auf die Person Streichers sowie die Exzesse von ihm und seinen Gefolgsleuten.

Literatur

Quellen

  • Staatsarchiv Nürnberg, Mischbestand Rep. 503 (fragmentarische Überlieferung der NSDAP-Gauleitung Franken)
  • Stadtarchiv Nürnberg, F 5 Nr. 400 (Hermann Busch: Geschichte der nationalsozialistischen Kommunalpolitik 1925-1933, Masch., 12 Ordner)

Weiterführende Recherche

Verwandte Artikel

Empfohlene Zitierweise

Matthias Klaus Braun, Gau Franken, publiziert am 16.11.2020; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Gau_Franken> (10.11.2024)