• Versionsgeschichte

Landwirtschaft (19./20. Jahrhundert)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Arbeiten auf einem landwirtschaftlichen Mustergut in Eresing (Lkr. Landsberg a.Lech). Drei Personen (ein Knecht, eine Magd und ein Kind) beim Säubern der Milchkannen, 1940. Die Bildästhetik bäuerlicher Idylle beschwört unterschwellig den Mythos der sog. "Volksgemeinschaft" der NS-Zeit. Foto von Erika Groth-Schmachtenberger. (Haus der Bayerischen Geschichte)

von Alois Seidl (†)

Das Bild des Landwirtes prägte im 19. Jahrhundert das Bayernbild stark. Nach wie vor hat die Agrarwirtschaft in Bayern eine enorme Bedeutung und trotz eines auch hier stattfindenden Wandels ist Bayern als Agrarland Deutschlands größter Nahrungsmittelproduzent. Die starken Veränderungen des 19. und 20. Jahrhunderts betrafen auch und insbesondere die Landwirtschaft. Die politischen und wirtschaftlichen Krisen, die technischen und gesellschaftlichen Revolutionen beider Jahrhunderte veränderten die Landwirtschaft insgesamt. Am augenscheinlichsten wird das in der Verwendung von Maschinen dort, wo einst Mensch und Tier zusammenwirken mussten, und am Wandel von der Agrar- zur Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft. Bei vielen dieser Veränderungen standen die bayerischen Landwirte an der Spitze - so bei der Verwendung von Dampfpflügen oder der Einführung von Maschinenringen - und waren damit auch Motor ihres eigenen Fortschritts.

Die Zeit der Reformen (1798-1848)

Die Agrarreformen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, meist zusammengefasst unter dem Begriff Bauernbefreiung, führten zu einer grundlegenden Umgestaltung der bisherigen durch die Grundherrschaft geprägten Agrarverfassung. Vornehmlich ging es dabei um die Bauernbefreiung im engeren Sinne, also um die Herstellung der persönlichen Freiheit durch das Lösen persönlicher Bindungen, insbesondere der Leibeigenschaft (Leibeigenschaft in Altbayern, Leibeigenschaft in Franken, Leibeigenschaft in Schwaben), und die "Freiheit des Eigentums", also die Grundentlastung. Die Leibeigenschaft, die in Bayern ohnehin keine Bedeutung mehr hatte, wurde mit Inkrafttreten der ersten bayerischen Verfassung 1808 entschädigungslos aufgehoben. Bei der Grundentlastung ging es letztlich um die freie Verfügung des Bauern über den von ihm bewirtschafteten Grund und Boden.

Den Auftakt bildete die mit der Mediatisierung der Fürstbistümer und der Säkularisation der ständischen Klöster verbundene Auflösung der kirchlichen Grundherrschaft unter Kurfürst Max IV. Joseph (reg. 1799-1825, ab 1806 König) und seinem Ersten Minister Maximilian Graf von Montgelas (1759-1838) 1802/03. Die endgültige Lösung der verbliebenen grund- und gerichtsherrschaftlichen Bindungen brachte das "Gesetz über die Aufhebung der standes- und gutsherrlichen Gerichtsbarkeit, dann die Aufhebung, Fixierung und Ablösung von Grundlasten" vom 4. Juni 1848 unter König Max II. (1811-1864, reg. ab 1848). In der Pfalz wurden die feudalrechtlichen Bindungen in der Zeit der französischen Besatzung mit Erlass vom 26. März 1798 aufgehoben. Diese einer Bauernbefreiung gleichkommenden Errungenschaften wurden später auch von der bayerischen Regierung nicht mehr angetastet. Weitere wichtige Voraussetzungen für die Verfügbarkeit des erlangten Eigentums waren die schrittweise Aufhebung der Gebundenheit der Güter, die Hofteilungen ermöglichte, und die Einrichtung des Grundsteuerkatasters von 1808 bis 1866 (Urkataster). Für den bayerischen Reformstaat unter Montgelas wurde die verwaltungsmäßige Einflussnahme auf die Landwirtschaft unter fiskalischen, gesellschaftlichen und landeskulturellen Gesichtspunkten gesehen. So wurde die Betreuung der Agrikultur zunächst dem Finanzministerium zugeordnet. Bei der 1799 bis 1808 bestehenden Generallandesdirektion wurde überdies eine Deputation für Landeskulturwesen eingerichtet, an deren Spitze Joseph von Hazzi (1768-1845) berufen wurde. Auf der Ministerialebene wurde die Landwirtschaft dann von 1806 bis 1848 vom Staatsministerium des Innern betreut.

Einstieg in die wirtschaftliche und gesellschaftliche Mündigkeit

Die Reformmaßnahmen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bewirkten, dass sich allmählich eine unternehmerisch handelnde Bauernschaft entwickeln konnte. Sie waren auch Voraussetzung dafür, dass der Bauernstand, der um die Jahrhundertmitte noch rund zwei Drittel (1840: 65,7 %) der Bevölkerung umfasste, als staatstragendes gesellschaftliches Fundament fungieren konnte und auch so gesehen wurde. So wie die Bauern mehr und mehr mündig wurden, wuchs auch das Bedürfnis einer eigenen Interessenvertretung. Der 1810 gegründete "Landwirthschaftliche Verein in Baiern", in dem allerdings am Anfang kaum praktizierende Landwirte vertreten waren, entwickelte sich allmählich zu einer solchen. Als Erbsitte hatte sich schon zur Zeit der Grundherrschaft die Hofübergabe an die nächsten Angehörigen durchgesetzt. Dabei herrschte in Altbayern die geschlossene (Anerbensitte), in Franken und in der Pfalz die geteilte Übergabe (Realteilung) vor. Dementsprechend lagen auch die agrarstrukturellen Verhältnisse in Altbayern günstiger als in Franken und in der Pfalz. Insgesamt waren sie gekennzeichnet durch ein Nebeneinander von Haupt-und Nebenerwerbsbetrieben, wobei die letztgenannte Kategorie bei weitem überwog. Sie repräsentierte gegenüber der bäuerlichen Bevölkerung, die ganz oder weitgehend von der eigenen Scholle lebte, die unter- und nebenbäuerliche Schicht. Dieser zuzurechnen ist die Gruppe der Inleute, meist Tagwerker oder Landhandwerker, die auf einem Hof zur Miete wohnten, und des Gesindes, die weder über Haus- noch Grundbesitz verfügte.

Die Agrarbildung als Voraussetzung der Reformen

Die Agrarreformen konnten nur greifen, wenn auch die Agrarbildung angehoben wurde. Die Grundlage dafür wurde durch die endgültige Einführung der allgemeinen Schulpflicht 1802 geschaffen. Darauf aufbauend entwickelte sich ein spezifisch landwirtschaftliches Schulwesen. Die erste Gründung dieser Art in Bayern war die Musterlandwirtschaftsschule Weihenstephan, die Anfang 1804 eröffnet wurde. Der geistige Wegbereiter war Max Schönleutner (1778-1831), der Vorkämpfer der rationellen, unternehmerisch ausgerichteten Landwirtschaft in Bayern. Eine Kurzausbildung für künftige landwirtschaftliche Betriebsleiter vermittelten die sog. Winterschulen, wie die 1839 in Bayreuth gegründete Wiesenbauschule. Im Unterrichtsniveau zwischen beiden angesiedelt waren die Ackerbauschulen, die eine umfassende Ausbildung für künftige Hoferben, Verwalter und Baumeister vorsahen. Die erste Schule dieser Art wurde 1842 in Schleißheim (Lkr. München) ins Leben gerufen, wohin zwischenzeitlich auch die zur Landwirtschaftlichen Zentralschule erhobene Musterlandwirtschaftsschule verlegt worden war. Zum verbreitetsten Schultyp entwickelte sich die Winterschule, denn sie kam hinsichtlich Kosten, Unterrichtszeit und Unterrichtsinhalt der Praxis am weitesten entgegen.

Betriebs- und Wirtschaftsformen

Die landwirtschaftliche Betriebsform ist durch das Vorherrschen der alten Dreifelderwirtschaft mit der Folge Wintergetreide, Sommergetreide, Brache gekennzeichnet. Nur langsam verbreitete sich die von der rationellen Landwirtschaft vertretene Fruchtwechselwirtschaft. Deren Hauptkennzeichen waren der jährliche Wechsel von Halm- (Getreide) und Blattfrüchten (z. B. Klee, Kartoffeln, Rüben). Durch die Bestellung des zuvor brach gelegenen Feldes konnte die landwirtschaftlich genutzte Ackerfläche um ein Drittel erweitert werden. Die Hereinnahme des Ackerfutterbaus ermöglichte die ganzjährige Stallhaltung des Viehs. Dadurch konnte folgende Kausalkette in Gang gesetzt werden: mehr und besseres Futter bedeutete mehr Vieh mit höheren Leistungen, bedeutete mehr Stalldung, bedeutete höhere Erträge im Ackerbau, bedeutete höheren Betriebsgewinn. Im Alpen- und Alpenvorland war die bis 20. Jahrhundert betriebene Egartwirtschaft verbreitet mit wechselnder Nutzung der gleichen Fläche als Acker- oder Grünland (Feldgraswirtschaft, Wechselwirtschaft). Wichtige Anbauschwerpunkte waren und blieben Unterfranken für Wein und die Hallertau für Hopfen.

Die Marktverbundenheit der Landwirtschaft war gering. Vermarktet wurden vor allem Getreide, Vieh und Vieherzeugnisse. Als Markteinrichtungen bestanden Schrannen, Vieh- und Viktualienmärkte, deren örtlicher und zeitlicher Betrieb genau geregelt war. Der bedeutendste Marktplatz war die Zentral- und Hauptschranne München.

Die "goldene" Zeit (1849-1913)

Treibhaus für Zierblumen der Staatlichen Lehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau in Weihenstephan (Freising), 1956. Das Glas des Gewächshauses erhöht die Temperatur, schützt aber zugleich vor dem Wetter. Eine Kontrolle des Klimas zur Bewirtschaftung der Pflanzen wird so möglich. Foto von Erika Groth-Schmachtenberger. (Haus der Bayerischen Geschichte)

Die Bürgerrevolution von 1848 hatte die Bauern von den letzten feudalherrschaftlichen Fesseln befreit. Die folgenden Jahrzehnte bis zum Ersten Weltkrieg waren insgesamt gesehen eine Zeit des Aufbruchs und des Aufschwungs, der von Politik, Wissenschaft und Praxis gleichermaßen getragen wurde. König Max II. setzte seinen Ehrgeiz daran, München zu einem Hort der Wissenschaft zu machen, woraus insbesondere auch die Landwirtschaft Nutzen ziehen sollte. 1852 wurde der Chemiker Justus von Liebig (1803-1873) an die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität berufen, wo er seinen Forschungsschwerpunkt auf die Agrikulturchemie legte. Die grundlegende Erkenntnis von Liebigs, dem Carl Sprengel (1787-1859) vorgearbeitet hatte, war, dass die Bodenfruchtbarkeit nur erhalten werden könne, wenn der Boden die Nährstoffe wieder bekomme, die mit den geernteten Pflanzen entzogen würden. Mit dieser Zielsetzung bemühte sich von Liebig um die Entwicklung praktisch verwertbarer Mineraldünger. Neben das Prinzip der Düngung nach Nährstoffentzug stellte von Liebig das Minimumgesetz, wonach der Nährstoff die Höhe des Pflanzenertrages bestimmt, der im Verhältnis zu den übrigen pflanzennotwendigen Nährstoffen im Minimum steht. Während die rationelle Landwirtschaft vor allem auf organische Dünger setzte, betonte von Liebig die Zufuhr anorganischer Nährstoffe in Form der Mineraldünger.

Parallel zu den Fortschritten in der Pflanzenernährung wurde auch die Pflanzenzüchtung vorangetrieben. Ein Markstein dieser Entwicklung war 1902 die Gründung der Landessaatzuchtanstalt an der Königlichen Akademie Weihenstephan. Von ihr gingen starke Impulse, vornehmlich für den Weizen- und Gerstenanbau aus. Im gleichen Jahr wurde die Königliche Agrikulturbotanische Anstalt in München als Betreuungsstätte für den Pflanzenschutz eingerichtet und 1912 der auch heute noch bestehende Verband Bayerischer Pflanzenzüchter gegründet.

Fokus Viehwirtschaft

Schafherde in der Brandensteiner Ebene bei Coburg. Abb. aus: Das Bayerland 31 (1919), 243 (Bayerische Staatsbibliothek, 4 Bavar. 198 t-31)

In der landwirtschaftlichen Praxis vollzog sich in dieser Zeit eine betriebsorganisatorische Schwerpunktverlagerung hin zu einer stärkeren Betonung der Viehwirtschaft, insbesondere der Rinderhaltung. Den Weg hierzu sah man in der Einkreuzung hinsichtlich Zug-, Milch- und Fleischleistung stärkerer Zuchttiere. Während die Pferdezucht vor allem staatlich gefördert wurde, spielten in der Rinderzucht private Initiativen eine bedeutende Rolle. Als Vermittler und Züchter hat sich besonders der Gastwirt Max Obermayer (1821-1898) aus Gmund am Tegernsee (Lkr. Miesbach) hervorgetan, der 1837 einen ersten Viehtransport aus dem Schweizer Simmental (Kanton Bern) abwickelte. Die heute in Bayern verbreitetste Rasse, das semmelgelb- bis rotscheckige Fleckvieh, ist durch Einkreuzung von rotscheckigem Simmentaler Vieh in die um Miesbach und Bayreuth verbreiteten Landschläge entstanden. In ähnlicher Weise ist das im Allgäu verbreitete Braunvieh und das in Franken beheimatete Gelbvieh aus Einkreuzungen in die jeweiligen Landschläge hervorgegangen. Um den breiten Züchtungsfortschritt und die Rückführung der Vielzahl der Schläge auf wenige gut zu vermarktende Rassen bemühten sich die Zuchtverbände. Die ältesten derzeit noch bestehenden Verbände sind der Zuchtverband für bayerisches Alpenfleckvieh Miesbach (gegründet 1892) und die Allgäuer Herdebuchgesellschaft (gegründet 1893). Letztere führte als erster Zuchtverband in Deutschland von Anfang an die Milchleistungsprüfung auf freiwilliger Basis ein. Die bayerische Schafhaltung, in der das ab dem 18. Jahrhundert eingeführte Merinoschaf eine wichtige Rolle spielte, war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch sehr bedeutend. Zwei Gründe führten zu ihrem Niedergang: die Einschränkung der grundherrschaftlichen Weiderechte im Zuge der Bauernbefreiung und der Preisverfall der Schafwolle infolge der Konkurrenz der Baumwolle.

Arbeitsweise und Einsatz von Maschinen

Kartoffelernte auf einem Feld nahe München: Mehrere Arbeiterinnen beim Aufsammeln von Kartoffeln; im Hintergrund ein Pferdefuhrwerk. Im Jahr 1952 war die traditionelle Landwirtschaft im Umbruch, hier aber wurde die Ernte noch per Hand eingebracht. Foto von Erika Groth-Schmachtenberger. (Haus der Bayerischen Geschichte)
Hopfenernte bei Wolnzach (Lkr. Pfaffenhofen a.d.Ilm): Eine Frau mit Korb bei der Hopfenernte auf einem Feld, 1940. Motive des Ländlich-Weiblichen dominierten die volkskundliche Fotografie ab Ende der 1930er-Jahre und betonten die kriegswichtige Rolle der Frau an der sog. "Heimatfront". Foto von Erika Groth-Schmachtenberger. (Haus der Bayerischen Geschichte)
Männer bei der Heuernte auf einer Wiese in Oberammergau (Lkr. Garmisch-Partenkirchen). Sie ziehen einen leeren Wrassmannkarren nach oben. Die Momentaufnahme, die 1940 entstand, dokumentiert das alltägliche Leben auf dem Land. Die vermeintlich arglose Kameradschaft der Männer vermittelt die ideologische Prägung des Nationalsozialismus. Foto von Erika Groth-Schmachtenberger. (Haus der Bayerischen Geschichte)

Die Landarbeit stand in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch weitgehend auf der Handarbeitsstufe. Zwar hatte mit der Erfindung der Dampfmaschine das Industriezeitalter längst begonnen, aber diese neue Energiequelle fand in der Landwirtschaft nur langsam Eingang, vor allem beim Drusch und beim Pflügen. Aus Dampflokomobile und Dreschmaschine bestehende Aggregate wurden vor allem von Dreschgenossenschaften, Dampfpflüge überwiegend auf Gütern mit großen regelmäßig geformten ebenen Ackerschlägen verwendet. Die ersten Dampfpflüge wurden um 1890 auf den Thurn-und Taxis'schen Gütern und dem Maffei'schen Gut Freiham bei München eingesetzt. Die übrigen in der Außenwirtschaft verwendeten Maschinen, insbesondere Sä-und Mähmaschinen und Pflüge, waren auf Pferdezug abgestellt. Man kann geradezu von einem Pferdezeitalter sprechen. In der Innenwirtschaft war die Milchzentrifuge zur Entrahmung der Milch ein großer Fortschritt. An ihrer Entwicklung war Alexander Prandtl (1840-1896), Professor an der zwischenzeitlich nach Weihenstephan zurückverlegten Landwirtschaftlichen Zentralschule, führend beteiligt. Prandtl konstruierte eine kontinuierlich arbeitende Zentrifuge, die er 1875 bei der Internationalen Molkereiausstellung in Frankfurt am Main vorstellte. Das ausgestellte Original steht heute im Deutschen Museum in München.

Raiffeisen und die Finanzierung der Landwirtschaft

Mit dem zunehmenden Bedarf an zuzukaufenden Produktionsmitteln, beispielsweise Mineraldünger und Maschinen, wuchs der Geld-und Kreditbedarf der Landwirtschaft. Bei den benötigten Fremdmitteln war sowohl der kurzfristige als auch der langfristige Bedarf durch Personal- und Realkredite zu befriedigen. Zwar war 1834 die Bayerische Hypotheken-und Wechselbank gegründet worden und auch die Sparkassen vergaben Realkredite; eine Lücke bestand aber hinsichtlich des Personalkredits. Auf ihn waren vor allem die kleinen und mittleren Betriebe angewiesen, die nicht die notwendigen grundpfandrechtlichen Sicherheiten bieten konnten. Hier sprang Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888) in die Bresche. Die Hungersnot von 1847/48 brachte ihn auf die Idee von Selbsthilfeeinrichtungen, die sich in Form von Darlehenskassenvereinen zu genossenschaftlichen Krediteinrichtungen entwickelten (vgl. Volksbanken und Raiffeisenbanken). Bedeutende bayerische Vertreter der Genossenschaftsidee waren Karl Fraas (1810-1875), Professor für Landwirtschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, mit seiner 1866 erschienenen Schrift "Die Ackerbaukrisen und ihre Heilmittel" und Georg Heim (1865-1938), der 1894 die Fichtelgebirgsgenossenschaft gründete, die vor allem Saathafer vertrieb. Eine weitere wichtige genossenschaftliche Gründung war die 1907 eingerichtete "Zentralstelle für Viehverwertung in Bayern", aus der die Süddeutsche Viehverwertung GmbH und schließlich die Südfleisch GmbH hervorgingen. Weit verbreitet auf der Erzeugerebene waren neben den Dreschgenossenschaften die Milch- und Molkereigenossenschaften.

Staatlicher Protektionismus und politische Partizipation

Vorteilhaft für die bayerische Landwirtschaft, wenn auch deren Schwergewicht auf der Veredlungswirtschaft lag, waren die 1879 im Deutschen Reich eingeführten Getreideeinfuhrzölle. Der Gedanke des Bauernschutzes, der sich in den Bismarck'schen Getreidezöllen manifestierte und der auch von den politischen Standesvertretungen eingebracht wurde, gründete u. a. in Befürchtungen, dass die Landwirtschaft unter der zunehmenden Industrialisierung Deutschlands leiden könnte. Bestätigt wurde dies durch eine aus Exportrücksichten vorübergehende Rückführung der Getreidezölle unter Otto von Bismarcks (1815-1898) Nachfolger Leo von Caprivi (1831-1899). In der berufsständischen Vertretung traten neben den stark staatlich beeinflussten Landwirtschaftlichen Verein zunehmend politische Bewegungen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in dem letztgenannten Bereich folgende Dreigliederung: Bayerischer Bauernbund (Ausgangspunkt und Kernbereich Niederbayern), Bund der Landwirte in Bayern (Bayerischer Zweig des 1893 auf Reichsebene gegründeten Bundes der Landwirte, Schwerpunkt Franken), Bayerischer Bauernverein (Landesverband der bayerischen christlichen Bauernvereine). Die oberste verwaltungsmäßige Anbindung der Landwirtschaft lag von 1848 bis 1919 wieder beim Staatsministerium des Innern.

Kriegs- und Zwischenkriegszeit (1914-1945)

Die beiden Weltkriege stellten die bayerische Landwirtschaft vor schwerste Herausforderungen. Während des Ersten Weltkriegs war die ernährungswirtschaftliche Planlosigkeit offenbar geworden. Der sog. Schweinemord von 1914/15 hatte dies ebenso aufscheinen lassen wie der berüchtigte Kohlrübenwinter von 1916/17. Der Nahrungskonkurrenz von Mensch und Schwein bewusst, mussten auf behördliche Anordnung Hunderttausende von Schweinen geschlachtet werden. Bei unzulänglichen Konservierungsmethoden führte dies zu einer kurzfristigen Überversorgung, jedoch langfristigen Verknappung an Fleisch und Fett. Hinzu kam, dass 1916 infolge des Befalls mit Kraut- und Knollenfäule (Phytophthora infestans) nur eine sehr schlechte Kartoffelernte eingebracht werden konnte. So musste auf Kohlrüben (süddeutsch: Dotschen) als letzte und minderwertige Nahrung zurückgegriffen werden. Dabei hatte man gerade auf die Kartoffel als wichtiges und hochwertiges Grundnahrungsmittel gesetzt. Arbeitskräfte, Zugkräfte und Mineraldünger, ausgenommen Kali, wurden während des Krieges immer knapper. Die Bodenerträge gingen dementsprechend um etwa 25 % zurück. Die Kriegsernährungswirtschaft im Zweiten Weltkrieg war ebenfalls gekennzeichnet durch zunehmenden Mangel an Betriebsmitteln, insbesondere mineralischen Stickstoffdüngern und Kraftstoffen, und Arbeitskräften auf den Höfen. Hinzu kam eine mit Ablieferungspflicht verbundene strenge Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Erzeugung. Ab 1943 mussten zunehmend Flüssigkraftstoff-Schlepper auf Holzgasbetrieb umgestellt werden. Trotz dieser Hemmnisse lag der Ertragsabfall vergleichsweise geringer als im Ersten Weltkrieg.

Liquiditätsengpässe und Agrarkrise

Ein wesentlicher Einschnitt in die agrarwirtschaftliche Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg war die Währungsreform 1923. Damit wurde die als Kriegsfolge auftretende Inflation beendet. Dies hatte einerseits zur Folge, dass Vorkriegsschulden weitgehend abgebaut werden konnten; selbst die letzten aus der Grundentlastung von 1848 herrührenden Zinszahlungen liefen aus. Andererseits war die Liquidität der Betriebe äußerst schwach, was zusammen mit der hohen Steuerbelastung zu einer raschen Neuverschuldung führte. Vor allem Großbetriebe, deren Liquidität durch Fremdlohnzahlungen zusätzlich beansprucht war, waren davon betroffen. Die kritische Entwicklung erreichte Anfang der 1930er Jahre ihren Höhepunkt. Im Schatten der Weltwirtschaftskrise entstand eine Agrarkrise, die zunächst vor allem eine Preiskrise für Getreide war. Doch dann weitete sich diese auch auf die Veredlungswirtschaft aus, was insbesondere die bayerischen Bauern traf. Am ungünstigsten entwickelten sich die Rindfleischpreise. Dies lag nicht wie beim Getreide an der Überproduktion, sondern an der infolge der hohen Arbeitslosigkeit gesunkenen Kaufkraft der nichtlandwirtschaftlichen Bevölkerung. Um die Probleme auf dem Milch-und Buttermarkt in den Griff zu bekommen, wurde das Reichsmilchgesetz vom 21. Juli 1930 erlassen. Darin waren Zusammenschlüsse der Erzeuger sowie der Be- und Verarbeiter der Milch zur Regelung der Verwertung und des Absatzes sowie die Bildung geschlossener Milchwirtschaftsgebiete vorgesehen. Diese organisatorischen Maßnahmen, wie auch die Erhöhung der Zölle auf Rindfleisch und Butter, konnten den Preissturz, der nun auch die Veredlungswirtschaft voll erfasste, nicht mehr aufhalten.

Staatliche Neuorganisation und neue Entwicklungsimpulse

In der angespannten Ernährungslage nach dem Ersten Weltkrieg lag es nahe, die Nahrungsmittelerzeugung straffer zu organisieren. So wurde mit dem 1. April 1919 das Bayerische Staatsministerium für Landwirtschaft und Forsten, ein Jahr später die Bayerische Landesbauernkammer als Selbstverwaltungskörperschaft des öffentlichen Rechts gegründet. Dem neuen Ministerium wurden auch Pflegeaufgaben (Betriebsberatung, Fachschulwesen, Berufsausbildung) übertragen, während die Bauernkammer die offizielle Interessenvertretung gegenüber anderen Wirtschaftsbereichen und kommunalen wie staatlichen Behörden übernahm. Mit Beginn des Nationalsozialismus wurden alle berufsständischen Organisationen einschließlich der Bauernkammer aufgelöst und in den Reichsnährstand überführt.

Noch vor der nationalsozialistischen Zeit beginnend, tat die bayerische Landwirtschaft einen weiteren großen Entwicklungsschritt nach vorn, vor allem in den Bereichen Futterbau/Veredlungswirtschaft und Landtechnik. Eine führende Rolle in der Weiterentwicklung der Grünlandwirtschaft nahm der 1919 in Straubing gegründete Verein zur Förderung des Grünlandes in Bayern, der eng mit dem Gut Steinach bei Straubing und dessen Eigentümer Carl August von Schmieder (1867-1941) verbunden war (heute: Saatgut Steinach GmbH & Co. KG). 1925 wurde der Siloring Bayern gegründet, der erste Beratungsring dieser Art in Deutschland. Ein Pionier der Silowirtschaft auf Silomaisbasis war der fränkische Maiszüchter Robert Caspersmayer (1867-1934). In der Tierzucht wurde die Leistungsprüfung auch auf Schweine ausgedehnt. Erstmals in Süddeutschland begann der Verband Schwäbischer Schweinezüchter unter seinem damaligen Leiter Ludwig Dürrwaechter (1897-1964) 1925 mit Leistungsprüfungen bei Schweinen. Von großer Bedeutung für die bayerische Tierzucht war die Errichtung der Bayerischen Landesanstalt für Tierzucht in Grub (Lkr. Ebersberg) 1918.

Eine landtechnische Revolution bahnte sich mit dem Einsatz des Brennstoffmotors in der Landwirtschaft an. Eine Pionierleistung erbrachte die Firma Xaver Fendt (1907-1989) in Marktoberdorf (Lkr. Ostallgäu) mit dem Fendt-Dieselross, das 1929 auf den Markt kam. Aus einer Mähmaschine mit Aufbaumotor entwickelt, wurde es die wegweisende Zugmaschine für den bäuerlichen Betrieb. Der zunehmenden Bedeutung der Landtechnik entsprechend wurde 1925 die Bayerische Landesanstalt für landwirtschaftliches Maschinenwesen in Weihenstephan eröffnet. Auf diesen Voraussetzungen aufbauend, strebten die Nationalsozialisten eine völlige ernährungswirtschaftliche Unabhängigkeit vom Ausland, die "Nahrungsfreiheit", an. Mit der straffen Organisation der Ernährungswirtschaft in der Reichsnährstandsorganisation konnte bis Kriegsende eine Mindestversorgung aufrechterhalten werden.

Landesbauernschaft

Neben dem "Reichsnährstandsgesetz" war das "Reichserbhofgesetz" das zweite die nationalsozialistische Agrarpolitik kennzeichnende Gesetz. Das Reichserbhofgesetz war das Kernstück der Blut und Boden-Politik, die in der Errichtung von Erbhöfen umgesetzt wurde. Bis zum Stichtag 1. April 1941 waren 162.557 bayerische Höfe - über die Hälfte der Betriebe über fünf ha landwirtschaftlicher Nutzfläche - in die Erbhöferolle eingetragen. Als Gebietskörperschaften wurden Landesbauernschaften eingerichtet. Die Landesbauernschaft Bayern deckte sich anfänglich mit dem Staatsgebiet ohne Pfalz, die der Landesbauernschaft Pfalz-Saar zugeschlagen wurde. 1938 wurde aus der Landesbauernschaft Bayern eine eigene Landesbauernschaft Bayerische Ostmark abgetrennt, der auch sudetendeutsches Gebiet zugeordnet wurde. An der Spitze der Landesbauernschaft stand der Landesbauernführer. Für Bayern sind vor allem zwei zu nennen: Fritz Schuberth (1897-1977) aus Kulmbach und sein Nachfolger Johann Deininger (1896-1973) aus Burtenbach (Lkr. Günzburg).

Nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" waren in Bayern zwei Probleme vorrangig zu bewältigen: die Ernährungssicherung und die Eingliederung des Flüchtlingsstroms (vgl. Flüchtlingspolitik). Das von der amerikanischen Militärregierung noch im Mai 1945 eingerichtete Amt für Ernährung und Landwirtschaft (ab 3. Oktober 1945 Staatsministerium für Ernährung und Landwirtschaft; ab 18. Juni 1946 Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten) und die mit dem 7. September 1945 wieder errichtete, nunmehr vereinte Standesorganisation, der Bayerische Bauernverband, arbeiteten Hand in Hand, um die Notlage zu bewältigen.

Die Zeit des Wandels (ab 1945)

Die Notlage in der Lebensmittelversorgung erreichte nach dem strengen Winter 1946/47 und dem Trockensommer 1947 einen äußersten Tiefpunkt. Nach den Flüchtlingen kam nun der Strom der Vertriebenen. Bis Ende 1947 waren 1,8 Mio. Menschen aus bisher deutschem Staats-und Siedlungsgebiet ins Land geströmt und verschärften die Versorgungslage, brachten aber auch kulturelle Bereicherung und Nivellierung. Auch in abgelegenen Gebieten verloren Dörfer ihren ländlichen Charakter; Stadt und Land glichen sich an. Über die Förderungsmaßnahmen des Flüchtlingssiedlungsgesetzes vom 10. August 1949 wurde versucht, wenigstens einen geringen Teil vertriebener Landwirte in die heimische Landwirtschaft einzugliedern. Die Frage Agrarstaat oder Industriestaat, die in Deutschland im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts entschieden wurde, stand nun auch für Bayern an. Stand vor dem Krieg die Zahl der Erwerbstätigen in Land- und Forstwirtschaft an der Spitze, so waren es 1950 bereits die Beschäftigten in der Industrie einschließlich des produzierenden Gewerbes. Am Beginn dieser Entwicklung stand die Währungsreform vom 20. Juni 1948. Die Zwangswirtschaft konnte allmählich zurückgenommen und in die Soziale Marktwirtschaft übergeführt werden. Auch die Agrarwirtschaft musste sich der Industrialisierung öffnen, wollte sie (wirtschaftlich) überleben. Zwei Merkmale kennzeichnen diesen Anpassungsprozess: die Technisierung und der Strukturwandel.

Die Volltechnisierung der Landwirtschaft

Bindemäher bei der Ernte, Gut Herrlehof bei Nordendorf (Lkr. Augsburg), 1951. Rationalisierung und Technisierung der Landwirtschaft standen hoch im Kurs, die Dynamik des Strukturwandels spiegelt sich wieder im aufsteigenden Horizont des Bildes. Foto von Erika Groth-Schmachtenberger. (Haus der Bayerischen Geschichte)
Eine Landwirtin mit ihren Gehilfen beim Dreschen von Weizen auf einem Feld in Aiterhofen (Lkr. Straubing-Bogen), 1952. Bilder der Vollmechanisierung prägten die Sicht auf den landwirtschaftlichen Wandel, der die Produktion höherer Stückzahlen bei minimalem Einsatz von Personal notwendig machte. Foto von Erika Groth-Schmachtenberger. (Haus der Bayerischen Geschichte)
Sommerroggenernte mit einem Raupenschlepper der Moorwirtschafts-Außenstelle Mühleck (Lkr. Weilheim-Schongau), 1954. Weite Landschaft und fortschreitende Technik dominieren zunehmend die Bilder Groth-Schmachtenbergers ab den 1950er-Jahren. Foto von Erika Groth-Schmachtenberger. (Haus der Bayerischen Geschichte)
Weizenernte mit Mähdreschern der Marke Claas Typ "Europa" auf einem Feld der Gutsverwaltung Lerchenfeld bei Niedertraubling (Lkr. Regensburg), 1961. Schlepper hatten das Gespannvieh längst ersetzt. Foto von Erika Groth-Schmachtenberger. (Haus der Bayerischen Geschichte)
Winter-Weizen-Zuchtgarten der Gräflich-Törring'schen Gutsverwaltung, Englmannsberg (Gde. Koppenbach, Lkr. Pfaffenhofen a.d.Ilm). Personen: Direktor Niebler aus München, Oberverwalter Maas, 1956. Durch längere Vegetationszeit und Ausnutzung der Winterfeuchtigkeit ist Winterweizen ertragreicher als Sommerweizen. Foto von Erika Groth-Schmachtenberger. (Haus der Bayerischen Geschichte)
Feldarbeit mit einem Grassamen-Mähdrescher der Gutsverwaltung der Saatzuchtwirtschaft in Steinach (Lkr. Straubing-Bogen), 1963. Die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe nahm ab, ihre Größe aber zu. Foto von Erika Groth-Schmachtenberger. (Haus der Bayerischen Geschichte)

Die Technisierung war deswegen notwendig, weil viele landwirtschaftliche Fremd- und Familienarbeitskräfte in andere Wirtschaftsbereiche abwanderten, wo sie ein besseres und geregeltes Auskommen fanden. Der Technisierungsprozess spielte sich im Wesentlichen zwischen 1950 und 1970 ab, ist aber bis heute nicht gänzlich abgeschlossen. Die Technisierung ging in drei Stufen vor sich: Vollmotorisierung, Vollmechanisierung und Vollautomatisierung.

Kennzeichnend für die Vollmotorisierung war der Ersatz des Gespannviehs durch den Schlepper. Das Pferd, Stolz des Vollerwerbsbauern und Verkörperung des Sozialprestiges, verschwand mehr und mehr von der Bildfläche. Aber der Schlepper übernahm nur die Zugarbeit, erst die Vollmechanisierung brachte die Ablösung vielfältiger Handarbeit durch Arbeitsmaschinen, vor allem Mähdrescher und Melkmaschine. Bis in die Gegenwart ist die rechnergestützte Automatisierung im Gang, die in die Präzisionslandwirtschaft einmündet und in Richtung Vollautomatisierung geht.

Der Strukturwandel

Die Technisierung und die damit verbundene Anpassung der Wirtschaftsgebäude erforderten erhebliche Finanzmittel und führten auf Dauer zu einer starken Erhöhung des im Betrieb steckenden Besatzkapitals. Die Landwirtschaft wurde so zu einem der kapitalintensivsten Wirtschaftszweige. Die daraus entspringenden Kosten konnten nur aufgefangen werden, wenn immer größere Stückzahlen produziert wurden, um die Stückkosten je erzeugter Einheit, beispielsweise je Dezitonne Weizen oder je Liter Milch, nicht so hoch werden zu lassen, dass eine Rendite nicht mehr möglich war. Die Landwirtschaft suchte die Stückzahlenerhöhung auf verschiedenen Wegen zu erreichen, die nebeneinander oder gleichzeitig gegangen wurden: Steigerung der Erträge durch Intensivierung, Betriebsvereinfachung und Spezialisierung, Betriebsvergrößerung (Aufstockung). Da die erstgenannten Möglichkeiten weitgehend ausgeschöpft sind, bleibt nur die Aufstockung. Dabei ist die äußere Aufstockung durch Zukauf und Zupacht von Nutzflächen und die innere Aufstockung durch Ausweitung flächenunabhängiger Betriebszweige (z. B. Schweinemast) zu unterscheiden. Die anhaltende Steigerung der Betriebsgrößen, die zu einer ständigen Abnahme der Zahl der Haupterwerbsbetriebe führt, ist Hauptkennzeichen des Strukturwandels in der Landwirtschaft. Die Durchschnittsgröße der Haupterwerbsbetriebe in Bayern liegt derzeit bei knapp 40 ha, die Wachstumsschwelle bei 50 ha, d. h. die Zahl der Betriebe unter 50 ha nimmt ab, die darüber zu. Parallel zur Abnahme der Betriebe verläuft der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten an der Gesamtbeschäftigtenzahl, der gegenwärtig bei 2,9 % liegt.

Eine weitere Möglichkeit, die Betriebskosten zu senken, liegt in der überbetrieblichen Zusammenarbeit. Hier setzt die von Erich Geiersberger (1926-2012) entworfene Idee der Maschinenbank an. Die erste wurde 1958 in Buchhofen (Lkr. Deggendorf) gegründet. Das Ausgangsmodell lebt in den Maschinen- und Betriebshilfsringen weiter. Die moderne Gewannebewirtschaftung, bei der mehrere Betriebe über ihre Betriebsgrenzen hinweg zusammenarbeiten, geht in die gleiche Richtung.

Der "Bayerische Weg"

Ein großer agrarpolitischer Einschnitt in die bayerische Agrarwirtschaft war der Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 1957. In der Konferenz von Stresa (1958) wurde der bäuerliche Familienbetrieb als strukturpolitisches Leitbild herausgestellt. Aufweichungstendenzen stellte sich der bayerische Landwirtschaftsminister Hans Eisenmann (1923-1987, CSU, seit 1969 Landwirtschaftsminister) mit dem "Bayerischen Weg" entgegen, in dem er der Großlandwirtschaft die Partnerschaft der Haupt-und Nebenerwerbsbetriebe gegenüberstellte. Dieser Weg, der sich in dem 1970 beschlossenen "Gesetz zur Förderung der Bayerischen Landwirtschaft" niederschlug, wird nach wie vor verfolgt.

Doch geht unter veränderten volkswirtschaftlichen Bedingungen, gekennzeichnet vor allem durch Agrarüberschüsse, auch der Strukturwandel weiter. Der Strukturwandel in der Nebenerwerbslandwirtschaft verlief ähnlich wie der in der Haupterwerbslandwirtschaft: Die Zahl der Betriebe nahm ab, ihre Größe zu. Das Zahlenverhältnis von Haupt- zu Nebenerwerbsbetrieben in Bayern ist etwa 1:1 (Bayerischer Agrarbericht 2008: 53,6 % Nebenerwerbsbetriebe). Die Grundproblematik, dass sich viele Kleinerzeuger zunehmend einem konzentrierten Handel und Gewerbe gegenübersehen, zeigte sich nach dem Zweiten Weltkrieg in verstärktem Maße. Um die Erzeugerseite zu stärken, wurden die gesetzlichen Grundlagen für die Förderung von Erzeugerringen und Erzeugergemeinschaften geschaffen. Dabei konzentrieren sich erstere auf die Produktionstechnik, letztere auf die Vermarktung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Durch die Einführung von Qualitäts- und Gütesiegeln und die Förderung der regionalen Vermarktung wurde die Wettbewerbsfähigkeit der einheimischen Landwirtschaft gestärkt.

Ökologische und multifunktionale Landwirtschaft

Ein Sonderweg, der sich als Gegenentwurf zu einer mehr und mehr mit industriellen Produktionsmethoden arbeitenden Intensivlandwirtschaft versteht, ist die ökologische Landwirtschaft, die in Bayern rund 5 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche einnimmt. Starke bayerische Initiativen zum Einstieg in die ökologische Landwirtschaft waren der 1979 in Passau gegründete Biokreis e. V. (ursprünglich Biokreis Ostbayern e. V.) und der 1982 in Gräfelfing bei München gegründete Verband Naturland e. V. Ein über die Nahrungsmittelproduktion hinausführendes und das bäuerliche Selbstverständnis wie auch die Wahrnehmung der Landwirtschaft durch die Gesamtgesellschaft stark berührendes Konzept ist die multifunktionale Landwirtschaft. Es besagt, dass diese über die Sicherstellung der Ernährung hinaus weitere wichtige Funktionen in der Gesellschaft übernimmt. Aus dieser Sicht werden sowohl Markt- und Dienstleistungen erbracht, die die Existenzbasis der Betriebe verbreitern, wie auch öffentliche Leistungen, die keinen Marktwert haben. Wichtige Beispiele für die erstgenannte Kategorie sind die Erzeugung nachwachsender Rohstoffe, vor allem Raps und Silomais, für die bioenergetische Verwertung und die Dienstleistung Urlaub auf dem Bauernhof. Eine der wichtigsten öffentlichen Leistungen ist die Erhaltung der Kulturlandschaft, wobei der Alm-(Alp-)wirtschaft in Hinblick auf die Vermeidung von Erosionsschäden und auf die Förderung des Tourismus besondere Bedeutung zukommt. Ursächlich für die Entstehung der multifunktionalen Landwirtschaft waren einerseits steigende Energie- und Rohstoffkosten, andererseits steigende Agrarüberschüsse, die in den 1970er und 1980er Jahren des vorigen Jahrhunderts den Anstoß für eine neue wirtschaftliche und berufsethische Ausrichtung gaben.

Gegenwart der Agrarbildung und -forschung

Eine tragende Säule der Agrarbildung sind nach wie vor die aus den Winterschulen hervorgegangenen Landwirtschaftsschulen. Diese sind den dem Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nachgeordneten, gleichnamigen Ämtern zugeordnet, die neben Unterrichts- auch Beratungs- und Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Neben den Landwirtschaftsschulen bestehen Höhere Landbauschulen in Rotthalmünster (Lkr. Passau), Triesdorf (Ortsteil von Weidenbach, Lkr. Ansbach), Weiden-Almesbach und Bayreuth, eine Fachakademie, Fachrichtung Hauswirtschaft, in Triesdorf und weitere Spezialschulen. Auf der Hochschulebene betreiben das Wissenschaftszentrum Weihenstephan der Technischen Universität München sowie die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf agrarische Lehre und Forschung. Einrichtungen problem- und anwendungsorientierter Forschung sind auch die Landesanstalten, die 2002 zur Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft zusammengefasst wurden.

Literatur

  • Ingolf Bauer/Nina Mat, Bayerns Landwirtschaft seit 1800, Wolnzach 1994.
  • Theresia Bauer, Nationalsozialistische Agrarpolitik und bäuerliches Verhalten im Zweiten Weltkrieg. Eine Regionalstudie zur ländlichen Gesellschaft in Bayern, Frankfurt am Main 1996.
  • Stefan Brakensiek/Rolf Kießling/Werner Troßbach/Clemens Zimmermann (Hg.), Grundzüge der Agrargeschichte, 3 Bde., Köln u. a. 2016.
  • Andreas Eichmüller, "I hab’ nie viel verdient, weil i immer g’schaut hab', daß as Anwesen mitgeht." Arbeiterbauern in Bayern nach 1945, in: Thomas Schlemmer/Hans Woller (Hg.), Bayern im Bund. 2. Band: Gesellschaft im Wandel 1949 bis 1973 (Quellen und Darstellungen 53), München 2002, 179-268.
  • Andreas Eichmüller, Landwirtschaft und bäuerliche Bevölkerung in Bayern. Ökonomischer und sozialer Wandel 1945-1970. Eine vergleichende Untersuchung der Landkreise Erding, Kötzting und Obernburg (Untersuchungen und Quellen zur Zeitgeschichte 4), München 1997.
  • Paul Erker, Ernährungskrise und Nachkriegsgesellschaft. Bauern und Arbeiterschaft in Bayern 1943-1953 (Industrielle Welt 50), Stuttgart 2005.
  • Paul Erker, Revolution des Dorfes? Ländliche Bevölkerung zwischen Flüchtlingszustrom und landwirtschaftlichem Strukturwandel, in: Martin Broszat u.a. (Hg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 26), 3. Auflage München 1990, 367-425.
  • Friederike Hausmann, Die Agrarpolitik der Regierung Montgelas, Frankfurt am Main 1975.
  • Michael Henker (Hg.), Bauern in Bayern. Von der Römerzeit bis zur Gegenwart. Katalog zur Ausstellung im Herzogschloß Straubing, 5. Mai bis 1. November 1992 (Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur 23), München 1992.
  • Carl Kraus, Der Zustand der bayerischen Landwirtschaft vor 100 Jahren im Allgemeinen, in: Darstellungen der Geschichte der Technik der Industrie und Landwirtschaft in Bayern. Festgabe der Königlichen Technischen Hochschule in München zur Jahrhundertfeier der Annahme der Königswürde durch Kurfürst Maximilian IV. Joseph von Bayern, München 1906, 247-261.
  • Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (Hg.), Landwirtschaft - Visionen 2015, Darmstadt 2005.
  • Alois Schlögl (Hg.) Bayerische Agrargeschichte, München 1954.
  • Alois Seidl, Deutsche Agrargeschichte, Frankfurt am Main 2006.
  • Alois Seidl, Die bayerische Landwirtschaft im vergangenen Jahrhundert, in: Alfred Gilch (Hg.), Hundert Jahre Verband der Landwirtschaftsberater im höheren Dienst in Bayern 1897-1997, Wartenberg 1997, 15-42.
  • Alois Seidl/Pankraz Fried/Joachim Ziche, Die Landwirtschaft in: Max Spindler/Alois Schmid (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. 4. Band, 2. Teil, München 2. Auflage 2007, 155-211.
  • Dietmar Stutzer, "... das Erdreich gesegnet mit Garben, Zugvieh und Herden." Eine kleine Geschichte der Nutztiere in Bayern (Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur 36), Augsburg 2007.
  • Dietmar Stutzer, Geschichte des Bauernstandes in Bayern, München 1988.
  • Frank Uekötter, Die Wissensgeschichte der deutschen Landwirtschaft (Umwelt und Gesellschaft), Göttingen 2010.

Quellen

  • Bayerischer Agrarbericht, verschiedene Jahrgänge
  • Bayerisches Gesetz-und Verordnungsblatt
  • Denkschriften des Landwirtschaftlichen Vereins in Bayern
  • Gesetzblatt für das Königreich Bayern
  • Königlich-Baierisches Regierungsblatt
  • Statistisches Jahrbuch für Bayern, verschiedene Jahrgänge

Weiterführende Recherche

Externe Links

Verwandte Artikel

Bauern, Agrarindustrie, Agrarsektor, primärer Sektor

Empfohlene Zitierweise

Alois Seidl, Landwirtschaft (19./20. Jahrhundert), publiziert am 10.07.2012; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Landwirtschaft_(19./20._Jahrhundert)> (19.03.2024)