Bier
Aus Historisches Lexikon Bayerns
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Im Gebiet des heutigen Bayern wurde spätestens seit der Zeit der keltischen Hallstattkultur (750 bis 450 v. Chr.) aus gemälztem Getreide durch Fermentation mithilfe von Hefen Bier hergestellt. Im Laufe des Mittelalters verbreitete sich zunehmend die Beigabe von Hopfen, die dazu beitrug, das Bier länger haltbar zu machen. Seit dem 14. Jahrhundert wurde Gerste zum bevorzugt verwendeten Getreide. Im 12. Jahrhundert etablierten sich an Höfen, in größeren Städten und Klöstern professionelle Braumeister und Schankwirtschaften. Das später so bezeichnete Reinheitsgebot legte 1516 die Fundamente für eine über die folgenden Jahrhunderte umfassend ausgestaltete landesweite obrigkeitliche Regulierung von Herstellung, Preis und Qualitätssicherung des bayerischen Bieres, das in der Folge Wein als Volksgetränk ablöste. Ab dem 16. Jahrhundert setzte sich die ursprünglich in Franken und der Oberpfalz entwickelte "kalte" Gärung sukzessive allgemein durch. Sie führte zu einer entscheidenden Verbesserung der Bierqualität und erlaubte es Brauereien, die über eisgekühlte Felsenkeller verfügten, ganzjährig Braunbier aus Gerstenmalz zu brauen. "Weißes" Weizenbier war in Bayern von wenigen Ausnahmen abgesehen verboten. 1607 sicherte sich Herzog Maximilian I. selbst das lukrative Weißbiermonopol, das bis zur Eingliederung der Pfalz, Frankens und Schwabens mit ihren unterschiedlichen Brautraditionen beim Landesherrn verblieb. Im 19. Jahrhundert vollzog sich die Industrialisierung des Brauwesens in Mitteleuropa, wobei die Münchner Brauereien eine Vorreiterrolle einnahmen. Gleichzeitig trieben diese die Begründung einer eigenen Brauwissenschaft und die Akademisierung der Ausbildung voran. Zudem entstand in Franken eine exportorientierte Brauindustrie. Im letzten Viertel des Jahrhunderts führte zunehmender Wettbewerbsdruck bei den bayerischen Brauern zu einer Erweiterung ihrer Produktpalette und zur Umwandlung zahlreicher Brauereien in Aktiengesellschaften. Der Erste Weltkrieg und die Wirtschaftskrise der frühen 1920er Jahre brachten eine Konsolidierung der Brauereilandschaft durch Konkurs oder Fusion mit sich. Nach dem erneuten Einschnitt des Zweiten Weltkriegs erlebte der deutsche Biermarkt dann einen Aufschwung, der bis zur Wiedervereinigung anhielt. In den 1990er Jahren wurde unerachtet neuer Entwicklungen das Reinheitsgebot gegen eine EU-weite Vereinheitlichung der Herstellungsrichtlinien verteidigt.
Definition
Bier ist ein alkoholisches Getränk, dessen fermentierbare (vergärbare) Zucker enzymatisch aus Stärke abgebaut werden. Diese Stärke kommt heute vorwiegend von Getreidesamen. Die Fermentation erfolgt hauptsächlich durch den Einsatz von Hefen. Die Bierherstellung unterscheidet sich von anderen vergorenen Fermentationen dadurch, dass die für den Gärprozess notwendigen Zucker erst durch einen enzymatischen Prozess, das Maischen, erzeugt werden und nicht wie z. B. bei der Weinherstellung schon im Fruchtsaft enthalten sind. Grundsätzlich gibt es entweder ober- oder untergärige Biere, für die unterschiedliche Hefen verwendet werden: Obergärige Hefen sind aromaintensiver und reichern sich im Gärgefäß oben an, während untergärige Hefen eher einzeln vorzufinden sind und sich am Boden des Gärgefäßes ansammeln.
Bier war in der Geschichte in erster Linie ein Nahrungsmittel, das durch den Mälzungsprozess (bei dem Getreide zum Keimen gebracht wird), die Würzeherstellung und die Fermentation Zucker und Vitamine enthielt. Die ersten fermentierten Getränke basierten auf einer Mischung vergärbarer Produkte einschließlich Früchten, gemälztem Getreide und Honig. Während im Nahen Osten schon im 4. Jahrtausend v. Chr. eine unterschiedliche Entwicklung von Brauen/Backen einerseits und Vinifizierung andererseits einsetzte, hat die Differenzierung von Bier, Met und Wein in Nord- und Mitteleuropa wohl erst in der Eisenzeit (850 v. Chr. bis Chr. Geb.) stattgefunden.
Bier im Altertum
Die ersten Hinweise auf Bierherstellung im Gebiet des heutigen Bayern geben Funde aus der keltischen Hallstattkultur (750 bis 450 v. Chr.). In römischer Zeit umfasste das heutige Bayern Grenzprovinzen des römischen Reiches (Raetia, Noricum) und die unbesetzte Germania magna. Trotz der kulturellen Unterschiede wurden Biere im Altertum nördlich des Limes konsumiert. Die germanischen Biere beruhten wohl auf keltischen Technologien. Im römischen Herrschaftsgebiet unterschied man drei Biertypen: die keltisch/europäischen "cer(e)visia" und "camum/kamum" sowie das ägyptische "zythos". Während aus dem englischen Legionslager Vindolanda in der heutigen Grafschaft Northumberland sowie aus dem Rhein-Mosel-Gebiet zahlreiche Beweise für eine lokale Produktion und einen gut organisierten Handel mit Bier vorliegen, ist noch nicht abschließend geklärt, ob auch im Legionslager Castra Regina (Regensburg) Bier gebraut wurde – es wäre die älteste nachgewiesene Braustätte im heutigen Bayern.
Bierherstellung und -konsum im Mittelalter
Im Volksrecht der Bayern, der Lex Baiwariorum (entstanden im 6.-8. Jahrhundert), findet sich ein Passus zu Abgaben, die kirchliche Hörige an den Bischof zu leisten hatten (I, 13). Dieser Paragraph ähnelt stark einer entsprechenden Bestimmung der Lex Alamannorum (entstanden im 8. Jahrhundert), nur zinsten die alemannischen Hörigen u. a. Bier, während die bayerischen zu Arbeiten im Weinberg verpflichtet waren. Der Weinbau mag in der Tat im bayerischen Herzogtum eine bedeutende Rolle gespielt haben. Es fehlt aber spätestens im karolingischen Bayern nicht an Zeugnissen für Bierherstellung. So verzeichnen verschiedene Quellen des frühen 9. Jahrhunderts Bierlieferungen unter den Abgaben. Auch das Güterverzeichnis eines Herrenhofs bei Bergkirchen (Lkr. Dachau) listet um das Jahr 840 Bierabgaben von Hörigen auf sowie im Hof selbst Kessel, eine Kufe und drei Gefäße, die ausdrücklich für Bier bestimmt waren. Bei der Inventarisierung des Klosterhofs auf der Insel Wörth im Staffelsee zu Anfang des 9. Jahrhunderts fanden Beauftragte Karls des Großen (reg. 768-814, ab 800 als Kaiser) u. a. einen Bestand an 12 Scheffeln (ca. 10 Hektoliter) Malz. Sie vermerkten auch, dass die Frauen der 19 Hörigen verpflichtet waren, Malz zu machen. Das Mälzen galt als schwere, schmutzige und vor allem langwierige Arbeit, während das "Kochen" des Biers weniger Zeit in Anspruch nahm. Die Vorprodukte des Bieres – Getreide und Malz – sind aufgrund ihres geringen Wasseranteils sehr gut lagerfähig und können sogar über Jahre hinweg auf Vorrat gehalten werden. Dadurch konnte Bier praktisch täglich gebraut werden. Wesentlich schlechter war die Vorratshaltung von gebrautem Bier, das kaum über längere Zeit gelagert werden konnte und deshalb vor allem für den zeitnahen Konsum gebraut wurde. Die geringe Haltbarkeit des Bieres erklärt auch, warum sich Bierabgaben meist in unmittelbarer Nähe eines Klosters, einer Stadt oder eines großen Herrensitzes finden, weil hier ein regelmäßiger und bedeutsamer Bierkonsum bestand. Dass es sich dabei um große Mengen handeln konnte, zeigt das Beispiel Passau, wohin im 13. Jahrhundert jährlich über 10.000 hl Bier geliefert wurden.
Bier wurde im Mittelalter aus allen Getreidearten, vor allem aber aus Hafer hergestellt. Es gab mindestens zwei verschiedene Güteklassen. So verzeichnet das Güterinventar der Grafen von Neuburg-Falkenstein (sog. Falkensteiner Codex) aus dem 12. Jahrhundert, dass die Hörigen von Audorf (heute Gde. Oberaudorf, Lkr. Rosenheim) ihrem Herren jährlich von 10 Scheffeln Hafer "bestes" Bier brauen mussten. Die besseren Biersorten waren mit Met gemischt oder mit Honig versetzt. In bienenreichen Waldgegenden wie in Weißenstadt (Lkr. Wunsiedel im Fichtelgebirge) wurde auch Bier aus Hafermalz und Honig hergestellt. In seltenen Fällen wurden dem Bier auch Gewürze zugegeben, im 16./17. Jahrhundert sind z.B. Kümmel, Lorbeer, Wacholder oder Salz nachweisbar. Seit dem 14. Jahrhundert wurde bevorzugt Gerste für das Bierbrauen benutzt.
Hafer (Avena sativa). Abb. aus: Prof. Dr. Otto Wilhelm Thomé: Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz. (Gemeinfrei via Wikimedia Commons)
Hopfen (Humulus lupulus). Abb. aus: Prof. Dr. Otto Wilhelm Thomé: Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz. (Gemeinfrei via Wikimedia Commons)
Gagel (Myrica gale). Abb. aus: Prof. Dr. Otto Wilhelm Thomé: Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz. (Gemeinfrei via Wikimedia Commons)
Während die Zugabe von Kräutern in der Antike unüblich war, liegen seit dem 9. Jahrhundert gesicherte Angaben über den Gebrauch von Hopfen und Gagel (Myrica gale) bei der Bierherstellung vor. Besonders das Bistum Freising trug viel zur Verbreitung des Hopfens bei. Schon im 9. Jahrhundert belegen Freisinger Quellen Hopfengärten. Der Hopfen diente nicht nur zur Bierherstellung, sondern auch zur Konservierung von z. B. Wein, Met, Käse und Hefe. Langfristig gewinnt er seine Bedeutung als Bestandteil des Lagerbiers. Dabei handelt es sich um ein Bier, bei dem die Würze noch relativ viele nur langsam zu vergärende Bestandteile enthält, so dass nach der Hauptgärung und der Abfüllung in Fässer beim Lagern noch eine langsame Nachgärung weiterläuft. Diese macht zusammen mit hohen Hopfengaben das Getränk lange haltbar. So stellte eine Visitation des Klosters Niederschönenfeld (Lkr. Donau-Ries) im April des Jahres 1324 fest, dass die Biervorräte des Brauers über den Sommer bis Ende November reichten.
Mitte des 13. Jahrhundert war der Hopfenbau schon so alltäglich, dass der Prediger Berthold von Regensburg (gest. 1272) Hopfen und Hopfengärten in seinen Gleichnissen anführen konnte. Die Darstellung von Hopfen in den Kapitellen zahlreicher gotischer Kathedralen (etwa in den Münstern von Basel und Freiburg im Breisgau oder den Domen in Magdeburg, Mainz und Naumburg) – auch in Regionen, wo gehopftes Bier keine Rolle spielte – weist auf eine symbolhafte Bedeutung des Hopfens als Nutz- und Heilpflanze oder auch im Sinne der Verkündung bitterer Wahrheiten hin (Hopfen enthält Bitterstoffe). Nördlich der Donau förderte Kaiser Karl IV. (reg. 1346-1378 als röm.-dt. König, Kaiser ab 1355, ab 1347 König von Böhmen), den Hopfenbau, sowohl in seinem Königreich Böhmen wie auch im Nürnberger Umland. Bereits Mitte des 14. Jahrhunderts beschäftigte die Reichsstadt Nürnberg zwei Hopfenmesser für den Hopfenmarkt, wo schon nach Provenienz und Qualität unterschieden wurde. Die aufblühende Eichstätter Hopfenproduktion versorgte bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts den Münchner Markt. Später wurde böhmischer Hopfen aus Saaz (Zatec, Tschechien) und Klattau (Klatovy, Tschechien) bevorzugt.
Braustätten und Braurechte
Das Aufkommen des Lagerbiers hing eng mit dem Wiederaufleben der Geldwirtschaft und dem Handel sowie der Urbanisierung zusammen. Bier wurde nach und nach zur Ware. Das zeigt sich z. B. an der allmählichen Umwandlung der Bier- in Geldabgaben. Nach Wiederaufnahme seiner Münzprägung im 12. Jahrhundert bestimmte z. B. der Passauer Bischof, dass Bierabgaben nach seinem jeweiligen Ermessen entweder in Form von Bier oder eines von ihm festgesetzten Geldbetrags zu tätigen seien. Als der Niederaltaicher Vogtpfennig 1210 in eine Geldleistung von 20 Talenten umgewandelt wurde, war darin ein "Pierpfennig" von einem Talent enthalten.
Das weiterhin benötigte Bier stellten jetzt professionelle Hof- oder Klosterbraumeister (praxator, tabernarius) in speziellen Braustätten her. Der Passauer Domherr Konrad von Megenberg (1309-1374) zählt in seiner "Ökonomik" den Bier- zusammen mit dem Metbrauer zu den untergeordneten Hofämtern. Angestellte Brauer sind im 12. Jahrhundert für das Kloster Michelsberg (Bamberg) oder im 13. Jahrhundert für die Klöster Weihenstephan, Niederaltaich (Lkr. Deggendorf) oder Geisenfeld (Lkr. Pfaffenhofen a. d. Ilm) nachgewiesen. Daneben entwickelten sich Tavernen zu Schankwirtschaften, wie die Nennung von "venditor(es) ceruisie" im St. Emmeramer Traditionsbuch oder der "tabernarius" im ältesten Augsburger Stadtrecht andeuten. Spätestens im 13. Jahrhundert hatten sich in größeren Städten Bierämter aus dem hofrechtlichen Bereich gelöst und als gewerbliche Brauer etabliert, so z. B. in Regensburg (1230) oder München) (1280). Diese Brauer waren als Lehensleute des Herzogs (München), in Zünften (Ingolstadt, Augsburg) oder als Vereinigung ohne Autonomie (Ingolstadt, Nürnberg) organisiert. Daneben blieb das bürgerliche Braurecht zur Eigenversorgung in kleineren Orten noch lange bestehen, in der Oberpfalz und in Franken in Form des Kommunbrauwesens bis in das 19. Jahrhundert. Bis heute gibt es vor allem in der Oberpfalz das sog. Zoigl-Bier, das privat-gemeinschaftlich gebraut wird.
Regulierung des Brauwesens
Das aufstrebende Brauwesen unterlag bald einer obrigkeitlichen Regulierung. Brauordnungen wie die in Nürnberg 1302/05 oder die der Teilherzogtümer Bayern-München (1487) oder Bayern-Landshut (1493) waren an die jeweiligen Produktionsbedingungen angepasst. Bei der Neuordnung des wiedervereinigten Bayern wurde in die 1516 zu Ingolstadt verabschiedete Landesordnung eine Bestimmung zum Bierbrauen aufgenommen, die erstmals für ein großes Territorium rechtsverbindlich Rahmenbedingungen für die Bierherstellung festlegte. Dieser erstmals 1909 als "Reinheitsgebot" bezeichnete Passus legte die Fundamente für eine über die folgenden Jahrhunderte umfassend ausgestaltete Regulierung des Brauwesens, die vor allem auf Schonung der Getreideressourcen, Steueroptimierung und Verbraucherschutz ausgerichtet war. Das Reinheitsgebot trug dazu bei, dass über lange Zeit ein Ausgleich zwischen dem Profitstreben der Brauer, den Steuerbegehrlichkeiten der Obrigkeit und dem Recht der Biertrinker auf ein gesundes und bezahlbares Nahrungsmittel mehr oder minder gut erreicht wurde. Vor allem bewirkte die darauf aufbauende Ausgestaltung durch die herzogliche Verwaltung in den nächsten zwei Jahrhunderten eine weitgehende Normierung des Biers.
Der Bierpreis für das Herzogtum Bayern wurde schon gemäß der Landesordnung von 1516 zentral festgesetzt und beruhte ab 1753 auf den Rohstoffpreisen und einem Probesud im Münchner Hofbräuhaus. Dadurch und durch genaue Vorgaben von Rohstoffeinsatz, Ausbeuten (Gewinn und Verlust von Rohstoffeinsatz und gewonnenem Bier) und Brauprozess wurde erreicht, dass das aus gut abgedarrtem (nach dem Keimen getrocknetem) Gerstenmalz und Hopfen gesottene Braunbier in Bayern recht einheitlich hergestellt wurde. Deutliche Qualitätsunterschiede, die auch weiterhin auftraten, beruhten auf der Qualität der Rohstoffe und den Gegebenheiten zur Lagerung des fertigen Bieres.
Vier weitere Besonderheiten trugen dazu bei, dass Bier in Bayern im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts den Wein als Volksgetränk ablöste:
1. Das Bierbrauen wurde in Altbayern (wie auch in in Böhmen) seit 1517 anders als in vielen anderen Territorien der Ritterschaft, den Prälaten und Klöstern sowie den Bürgern gleichermaßen zugestanden. Ein Dekret von 1675 untersagte allerdings Adel und Geistlichkeit, städtische bürgerliche Brauhäuser an sich zu bringen. Im Jahre 1580 bestanden in den vier altbayerischen Rentämtern 321 Braustätten, von denen 198 bürgerlich, 105 adelig und 18 Klosterbrauereien waren. In Franken sorgte dagegen die Vielzahl an reichsunmittelbaren Herrschaften, die ihre Brau- und Schankrechte rigoros nutzten, dafür, dass selbst Städte, die durch ihre Bannmeile vor unmittelbarer Konkurrenz geschützt waren, im Brauwesen keine dominierende Stellung erreichten.
2. Es wurde ausnahmslos eine regelmäßige amtliche Überprüfung der Qualität von Würze und Bier landesweit festgeschrieben und vorsätzliche Verfälschung sanktioniert (Landgebot von 1530).
3. Für jeden, der Bier herstellen wollte, wurde eine mehrjährige Brauerlehre verpflichtend. Selbst Käufer eines Brauhauses (Realgerechtigkeit) durften dort nur selber brauen, wenn sie eine zweijährige Brauerlehre absolviert hatten.
4. Durch das Reinheitsgebot und darauf aufbauende Regulative wurde die Bierherstellung gewissermaßen "normiert". Bier durfte nur aus Gerste (bzw. Gerstenmalz), Wasser, Hopfen und als Lagerbier hergestellt werden. Ein generelles Sommerbrauverbot (seit 1553) sowie die sukzessive Durchsetzung der "kalten" Gärung trugen entscheidend zur Qualitätssicherung bei.
Kalte Gärführung und Lagerung des Bieres
Bei der sog. kalten Gärführung (Kontrolle der Geschwindigkeit von Haupt- und Nachgärung durch Kälte) setzten sich die Hefen (Zeug, Stellhefe) am Boden des Gärgefäßes oder Fasses ab und wurden von dort für weitere Gärungen hergenommen. Es handelte sich dabei aber nicht um Untergärung im modernen Sinn, da vor der Isolierung reiner Linien durch Christian Hansen (1843-1916) im Jahr 1883 immer Gemische aus obergärigen, untergärigen und wilden Hefen (Zeug, Stellhefen) sowie Milchsäurebakterien vorlagen. Noch Ende des 19. Jahrhunderts beschrieben zahlreiche Lehrbücher, wie man aus obergärigen Hefen (in Wirklichkeit eine Mischung) durch wiederholte kalte Führung "untergäriges" Zeug gewinnen kann.
Die kalte Gärführung wurde wohl ursprünglich in Franken und der Oberpfalz entwickelt. Christoph Kobrer, der 1581 nach älteren Vorlagen die erste Beschreibung der bayerischen Brauverfahren kompilierte, stellte noch die "truckne oder kalte gyer" (Gärung) bei der Herstellung der starken oberpfälzischen Biere der warmen Gärung für die schwächeren obergärigen altbayerischen Winterbiere gegenüber. Die Untergärung war im 16. Jahrhundert allgemein bekannt, galt aber gemeinhin als nachteilig. Dass sie in Bayern zu einer entscheidenden Verbesserung der Bierqualität führte, lag vor allem an ihrer Kombination mit speziellen Gär- und Lagerkellern. Schon im Jahre 1380 hatte der Nürnberger Rat verordnet, dass jeder, der Wein oder Bier ausschenken wolle, über einen Felsenkeller verfügen müsse. Für das 15. und 16. Jahrhundert sind zahlreiche Beispiele für Felsenkeller belegt. Nachdem die Münchner Brauer ab der Mitte des 18. Jahrhunderts begonnen hatten, Keller an den Isarhochufern anzulegen, gingen dort die Klagen über schlechtes Sommerbier ebenso zurück wie der Bierimport aus Tölz, wo schon länger eisgekühlte Felsenkeller genutzt wurden. 1807 durften in Bayern 81 Brauereien, die über eisgekühlte Felsenkeller verfügten, mit landesherrlicher Genehmigung ganzjährig Braunbier brauen.
"Weiße Biere" / Weizenbier
Die Gesetzgebung der bayerischen Herzöge bewirkte, dass innerhalb ihrer Lande das Braunbier dominierte, für das die Verwendung von Gerstenmalz, Hopfen und die Untergärung festgelegt wurde. Außerhalb des herzoglichen Herrschaftsbereichs, so z. B. in Franken, in Schwaben und auch in den pfälzischen Territorien der Oberpfalz wurden hingegen weiterhin auch "weiße", d. h. obergärige Gersten- und Weizenbiere, hergestellt. Um den Import der sehr beliebten "weißen" Biere zu begrenzen, bemühten sich die Herzöge, zumindest in benachbarten Gebieten das "Reinheitsgebot" durchzusetzen. Im Herzogtum Bayern war die Herstellung weißer Gerstenbiere auf nur ganz wenige, auf älteren Privilegien beruhende Fälle begrenzt. Eine weitere gewichtige Ausnahme war das Weißbierbrauwesen der Herzöge selbst. Weizenbier war eigentlich nach dem Generalmandat von 1567 in Bayern in doppelter Hinsicht verboten: Einmal, um den Verbrauch des wertvollen Brotgetreides einzuschränken und zweitens, weil Weizenbier nicht als Nahrungs-, sondern als Genussmittel galt.
Auch hier gab es aber einige wenige Ausnahmen, so für die Herren von Degenberg. Um sich der Einfuhr des süffigen und beliebten böhmischen Weizenbiers zu erwehren, war ihnen seit 1548 gestattet, zwischen Donau und Bayerischem Wald Weizenbier herzustellen und zu verkaufen. Als die Degenberger im Jahre 1602 ausstarben, kamen ihre Güter einschließlich des Weißbierprivilegs teils durch Kauf teils durch Erbschaftsverträge an Herzog Maximilian von Bayern (reg. 1597-1651, ab 1623 Kurfürst). Dieser sicherte sich durch Abkommen mit den Landständen und legislative Maßnahmen das Monopol auf Weizenbier und errichtete eine Reihe von Weißbierbrauereien, deren bekannteste das Münchner und das Kelheimer weiße Brauhaus waren.
Die "Braugefälle", d. h. die Erträge der herzoglichen Braunbierhäuser, aber vor allem die Einkünfte aus dem Weißbiermonopol lieferten im 17. und 18. Jahrhundert einen ansehnlichen Beitrag zum bayerischen Staatshaushalt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ging die Nachfrage nach Weizenbier allerdings drastisch zurück (teils weil sich der Publikumsgeschmack änderte, teils weil wegen der Finanznot des Staates die Infrastruktur der Weißbierbrauereien verfiel) und 1798 wurden außer den Münchnern alle kurfürstlichen Brauhäuser verpachtet oder geschlossen.
Durch die Eingliederung von Franken und Schwaben – wo die Herstellung von "weißen" Gersten- und Weizenbieren legal und verbreitet war – in das neue Königreich Bayern stieg die Zahl der Weißbierbrauereien. Im Jahr 1808 standen 480 Weißbierbrauereien, von denen aber nur 27 ausschließlich Weizenbier brauten, 4.265 Braunbierbrauereien gegenüber. Die damaligen Weizenbiere fielen wegen unterschiedlicher Brautraditionen sehr verschieden aus. Meist wurden Mischungen aus Gersten- und Weizenmalz verwendet, aber auch Hafermalz kam als Zusatz in Frage. Lediglich in Kelheim wurde traditionell reines Weizenmalz verbraut. Das Weizenbierregal war allerdings auch im neuen Königreich beim Landesherrn verblieben, daher konnten Ausnahmen nur von diesem genehmigt werden. So wurde in München das bisher auf dem Hofbräuhaus liegende Recht im Jahre 1872 dem bisherigen Pächter des weißen Hofbräuhauses, Georg Schneider (1817-1890), auf seine neu erworbene Braustätte im Tal übertragen. Weizenbiere blieben in Bayern bis Mitte des 20. Jahrhunderts als Konsumgüter präsent, obwohl sie keine große Rolle mehr spielten. Bieranalysen des 19. Jahrhunderts schlossen regelmäßig Weizenbiere mit ein, genauso wie Spezialitäten wie Flaschenbier oder Weizenbock. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte das Weizenbier eine große Renaissance. In Südbayern ist es heute (2020) der beliebteste Biertyp.
Industrialisierung des Brauwesens im 19. Jahrhundert
Die Eingliederung Pfälzer, Schwäbischer und Fränkischer Territorien mit ihren von der altbayerischen abweichenden Brautraditionen machte eine Modifizierung der rechtlichen Rahmenbedingungen nötig. Mit der Malzaufschlagsverordnung (1806–1818) und dem Regulativ von 1811 wurde ein normativer Rahmen geschaffen. Innerhalb dessen vollzog sich zwischen 1820 und 1870 der Übergang vom handwerklichen zum industriellen Bierbrauen. Treibende Kraft war die Münchner Brauszene, wo schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts der hohe Bierbedarf der Hauptstadt Brauereien mit hohem Ausstoß begünstigt hatte. Lag 1807 die durchschnittliche Jahresproduktion aller bayerischen Brauereien bei 786 hl/a (Hektoliter pro Jahr), so kamen allein die Münchner Brauereien bereits auf 5.908 hl/a. Hier wurden durch eine besonders rege Zusammenarbeit zwischen Praktikern und Akademikern die wissenschaftlichen und technischen Grundlagen für eine mechanisierte, arbeitsteilige und standardisierte Lagerbierherstellung in industriellem Maßstab erarbeitet. Erfahrungen aus Großbritannien, wo die Industrialisierung des Brauwesens schon Mitte des 18. Jahrhunderts begonnen hatte, brachten wichtige Impulse, konnten praktisch aber nur begrenzt genutzt werden, da sich das bayerische Brauverfahren fundamental vom englischen unterschied. So kamen zwar Dampfmaschinen (1840/46) und englische Messinstrumente zum Einsatz. Zunehmend waren aber zahlreiche Mälzereieinrichtungen, Brauereimaschinen und Verfahrenstechnik innovative Eigenentwicklungen.
Die 1850er und frühen 1860er Jahre sahen überall in Mitteleuropa den Übergang vom handwerklichen und nebenbetrieblichen zum professionellen und industriellen Mälzerei- und Brauwesen. Verbunden damit waren in der Regel die Umstellung der Feuerung von Holz auf Kohle und der Ersatz der herkömmlichen hölzernen Gerätschaften durch solche aus Eisen. Eine Folge war die Spezialisierung von Maschinenfabriken auf die Einrichtung von Mälzereien und Brauereien und die Entwicklung einer brauereitypischen Industriearchitektur. Dies zeigte sich auch immer mehr in den Konsumorten, den Kellern, Bierhallen und Bierpalästen. Da die Besonderheit des bayerischen Bieres die kalte Lagerkeller benötigende Untergärung war, lag es nahe, an diesen Stellen das Bier direkt frisch auszuschenken.
Professionalisierung des Brauwesens / Entstehung der Brauwissenschaft
Mit der Professionalisierung und Industrialisierung des Brauwesens in Bayern wurden gleichzeitig die Grundlagen für eine eigene Brauwissenschaft gelegt. Die Entwicklung neuer Analysemethoden und die regelmäßige Veröffentlichung von Bieranalysen gaben den Brauern Vergleichswerte und Hinweise für Verbesserungen an die Hand. Die von Münchner Brauereien 1876 ins Leben gerufene "Wissenschaftliche Station für Brauerei" an der Hochschule Weihenstephan ist zusammen mit dem 1875 von der dänischen Carlsberg-Brauerei gegründeten Institut (Carlsberg Laboratorium) ein frühes Beispiel für akademische Drittmittelforschung. Die Expertise und das hohe Renommee der auch international hochangesehenen bayerischen Brauwissenschaftler waren von entscheidender Bedeutung im Kampf um das Reinheitsgebot. Letzteres stammte noch aus Zeiten, in denen nur Naturstoffe als Bierzusätze denkbar waren. Die im 19. Jahrhundert aufstrebende Chemie konnte aber sehr viel potentere Substanzen extrahieren oder synthetisieren. Diese waren mit herkömmlichen Methoden schwer nachweisbar. Da die Biersteuer in Bayern nach dem Verbrauch von Malz und Hopfen bemessen wurde, war es wichtig, den Einsatz beliebter Ersatzstoffe (Surrogate) für Malz wie Stärkezucker, Sirup, Glycerin oder "Ölzucker" und Hopfen wie Quassia/Bitterholz oder Pikrinsäure zu unterbinden.
In den norddeutschen Ländern des Deutschen Zollvereins und nach 1871 des Deutschen Reichs waren hingegen alle möglichen Surrogate erlaubt. Zudem war z. B. der Zusatz von Salicylsäure als Konservierungsmittel von Exportbier im ganzen übrigen Europa üblich, in Bayern hingegen verboten. Das erbrachte den bayerischen Brauern vorübergehend Nachteile im Exportgeschäft. Dass trotzdem das Reinheitsgebot strikt aufrechterhalten wurde, ist vor allem dem entschiedenen Eintreten der Wissenschaft zu verdanken.
Um 1830 begann die Akademisierung der Ausbildung im Rahmen eines dualen Systems mit Praktika in Münchner Brauereien und Vorlesungen. Schon 1865 wurde in Weihenstephan unter der Leitung von Professor Carl Lintner (1828-1900) ein Ausbildungsgang zum Braumeister eingerichtet. Schüler aus aller Welt verbreiteten Münchner Know-how und mit den überall neu gegründeten industriellen Lagerbierbrauereien versuchten "Bierhallen" und "Bierpaläste" außerhalb Bayerns bayerische Lebensart zu kopieren.
Möglich wurde die Ausbreitung der Lagerbierbrauerei durch die Weitentwicklung des Kellerbaus und den aufstrebenden weltweiten Handel mit Natureis. Schon seit Mitte der 1860iger Jahre hatte sich das Natureisverfahren in Bayern verbreitet, was aber neben hohen Kosten für das Eis – benötigt wurden ca. 1 kg pro Liter erzeugtem Bier und Jahr – auch mikrobielle Kontaminanten mit sich brachte. Noch 1884 wurden deshalb in das deutsche Zollgebiet nahezu 300.000 t Natureis importiert, vor allem aus Norwegen. Die Ammoniakkompressionsmaschine (Kältemaschine) von Carl von Linde (1842-1934), die erstmalig 1873 in der Spatenbrauerei in München erprobt wurde, erlaubte nicht nur eine deutliche Reduktion des Hopfeneinsatzes, sondern beendete auch die Abhängigkeit von der Außentemperatur und dem Natureis.
Fränkische Brauindustrie
Während das rapide Wachstum der Brauindustrie in München und zum Teil in Nürnberg vor allem durch eine steigende lokale Nachfrage angetrieben wurde, entstand in Franken zudem eine exportorientierte Brauindustrie. Dabei konnte an bestehende Traditionen angeknüpft werden. Schon 1577 wurde Bamberger Bier in Frankfurt gehandelt und oberfränkische Biere durch Flößer mainabwärts und bis nach Sachsen exportiert. Der eigentliche Durchbruch kam erst mit der Fertigstellung der Ludwig-Süd-Nord-Bahn und ihrem Anschluss an die Sächsisch-Bayerische Eisenbahn 1851. Zwischen 1844 und 1853 verfünffachte sich der Bierexport der Stadt Kulmbach, während der von Erlangen um das 700-fache anstieg. Bis zur Jahrhundertwende etablierte sich schließlich Kulmbach als Zentrum der nordbayerischen Exportbierbrauerei, von wo jährlich bis zu 700.000 hl. ausgeführt wurden.
Entwicklungen von Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg
Um 1900 überstieg der Bierexport aus dem Zollamtsbezirk München schon deutlich die Millionen Hektoliter Marke und machte mehr als die Hälfte des bayerischen Bierexportes aus. Ursachen dafür waren eine gewisse Sättigung des Heimat-Marktes, Steuervorteile, bessere Haltbarkeit durch Filtration und Pasteurisierung sowie die rasanten Fortschritte bei den Kühltransporten.
Die Entwicklung eigener, regionaltypischer Lagerbiertypen in Europa und ein zunehmender Wettbewerbsdruck im deutschen Brauwesen seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts hatten auch für die bayerischen Brauereien weitgehende Konsequenzen. Die schnell in Mode kommenden hellen Biere aus Dortmund (Nordrhein-Westfalen), Pilsen (Tschechien) und Radeberg (Sachsen) sowie das Berliner Flaschenbier zwangen auch bayerische Brauereien zu einer Erweiterung ihrer Produktpalette. Neben das traditionelle braune Lagerbier traten in der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts "Tafel-" bzw. "Salonbiere" nach englischer Brauart und als Eigenentwicklung das "bayerische Helle". Der besondere Charakter des "Hellen" wird durch das - im Gegensatz zu Kulmbach, Radeberg und Pilsen - harte oberbayerische Brauwasser schlecht abbildbar, das eigentlich besser für die Herstellung dunkler Biere geeignet war. Dies erforderte den Einsatz von enthärtetem Wasser, was durch Abkochen, die Zugabe von Kalkmilch zum Einmaischwasser (den entstehenden Kalk ließ man sedimentieren und verwarf ihn anschließend) und durch die Säuerung der Maische erreicht wurde. Zögerlicher und später als in Norddeutschland begann zudem auch in Bayern der Vertrieb von Flaschenbier. Der Absatz beschränkte sich in der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts nicht nur auf den Export und großstädtische Abnehmer. Auch Landbrauereien wurden durch eine erhöhte Nachfrage bewogen, Flaschenbier anzubieten. Die Entwicklung neuer Flaschentypen und Verschlusstechniken begleitete diesen Prozess. Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg übertraf in Bayern der Absatz von Flaschenbier den von Fassbier. Der weitgehend gesättigte Markt intensivierte den Wettbewerb und die Kundenakquisition, sei es durch Bindung von Wirten und Bierverlegern oder Werbung und Markenpflege.
Der mit allen diesen Entwicklungen verbundene enorme Kapitalbedarf führte dazu, dass zahlreiche Brauereien, oft mit aktiver Beteiligung von Banken, in Aktiengesellschaften umgewandelt wurden. Die Braubank der Gebrüder Arnhold, die auch in Bayern als Mehrheitsaktionär mehrerer Braustätten auftrat, und die Kulmbacher Mälzerei AG vorm. J. Ruckdeschel vereinigten erstmals zahlreiche Marken in einem Konzern.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die strikte Handhabung des Sommerbrauverbots immer mehr aufgeweicht und schließlich 1868 ganz aufgehoben. Mit der Linde'schen Kühltechnik und unter Rentabilitätszwängen gingen auch die bayerischen Großbrauereien zum ganzjährigen Betrieb über. Dadurch wurden aus den bisher nur im Winter benötigten Arbeitern z. B. aus Landwirtschaft oder Baugewerbe ganzjährige Fabrikarbeiter. Die durch eine Stagnation des Bierabsatzes um 1900 verschärften Arbeitsbedingungen beförderten auch im Braugewerbe ernste soziale Konflikte. Sie mündeten in gewerkschaftlicher Organisation, Streiks und Bierboykotten. Die Brauer reagierten auf die Herausforderungen mit der Gründung einer eigenen Interessengemeinschaft, dem deutschen Brauerbund. Somit waren bis 1914 im Prinzip die strukturellen Grundlagen gelegt, die die bayerische Brauindustrie bis in das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts prägen sollten.
Vom Ersten Weltkrieg bis zum 21. Jahrhundert
Die desaströse Versorgungslage im Ersten Weltkrieg brachte auch im Brauwesen Kontingentierung, Dünnbiere und Ersatzstoffe (z. B. Molke, Topinambur, Reis) mit sich. Der Verlust von Kapital und Auslandsmärkten und die schlechte Wirtschaftslage in den 1920er Jahren führten zu einer Konsolidierung der Brauereilandschaft durch Konkurs oder Fusion. Das Pils wurde nördlich der Altmühl zum bevorzugten Biertyp, während sich im Süden das bayerische Helle durchsetzte.
Einen weiteren drastischen Einschnitt bedeutete der Zweite Weltkrieg und besonders die anschließende Zeit bis zur Währungsreform 1948. Nach dem Krieg war nur noch ein Dünnbier mit 2 °Plato erlaubt (reguläre Lagerbiere haben 11° Plato und mehr; °Plato gibt an, wieviel kg Extrakt in wieviel kg Wasser gelöst ist; der Extrakt wiederum besteht zu etwa 80 % aus den vergärbaren Zuckern). Malzsurrogate (z. B. Topinambur) blieben aber in Bayern im Gegensatz zum übrigen Westdeutschland weiterhin verboten. Solche Surrogate fanden bis zur Wiedervereinigung in der DDR Verwendung. Nach der Währungsreform ging es vorrangig um die Versorgung der Bevölkerung mit Kalorien. Entsprechend kamen auch zunehmend stärkere Bockbiere in Mode. Besonders nahrhafte helle und dunkle untergärige Biere oder auch Weizenbockbiere bereicherten die Bierlandschaft ebenso wie Malztrunke und Ammenbiere (kalorienreiche Malzbiere).
Mit dem Wirtschaftsaufschwung der 1950er Jahre wurde der Konsument markensensibler. Dieser Aufschwung seitens des Biermarktes hielt bis zur deutschen Wiedervereinigung 1990 an – abzulesen am Indikator Bierkonsum pro Kopf (145,9 l/Jahr in Deutschland 1980). Seitdem pendelt er sich um die 100 l pro Jahr ein. In dieser Zeit wurden gerade durch die Weihenstephaner Wissenschaftler neue Verfahren zur Herstellung sehr feiner und stabiler Biere entwickelt, die heute weltweit verwendet werden. Etwa 80 % aller Biere basieren auf diesem hellen, untergärigen Lagerbier, welches Helles, Pils, Export oder einfach Bier genannt wird. Inzwischen ist auch noch eine dritte Phase angebrochen: Die Konsumenten, zunehmend kritischer in Bezug auf Lebensmittel, wollen immer positivere Effekte mit der Nahrungsaufnahme erzielen. Dazu geeignet sind einerseits Biere, die besonders gesundheitsförderliche Substanzen mitführen (z. B. Polyphenole, Vitamine, Ballaststoffe). Andererseits geht es um Biere, die gewisse Substanzen nicht beinhalten, die Menschen mit chronischen Krankheiten vermeiden sollten (z. B. Gluten bei Zöliakie, Zucker bei Diabetes). Eines dieser Biere, das alkoholfreie Bier, hat inzwischen einen beachtenswerten Marktanteil erobert.
Das Reinheitsgebot wurde in den 1990er Jahren noch einmal gegen Bestrebungen der EU erfolgreich verteidigt. Die Herstellung von Lebensmitteln sollte EU-weit vereinheitlicht werden, was in manchen Ländern auf Widerstand stieß. So schuf man den Begriff der traditionellen Lebensmittel, der den Mitgliedsstaaten ermöglicht, ihre im Vergleich zur restlichen EU strengere Auffassung zur Herstellung bestimmter Lebensmittel zu erhalten. Unter diesen Begriff fällt z. B. das Bier in Deutschland oder die Mortadella-Wurst in Italien. Diese Produkte dürfen nach restriktiveren Herstellungsmethoden produziert werden als die Wettbewerbsprodukte gleichen Namens aus dem EU-Ausland. Ein weiterer Trend (vornehmlich aus den USA) sind handwerklich gebraute Kreativbiere (sog. Craftbiere). Ihr Hauptvertreter ist das India Pale Ale, welches obergärig gebraut und sehr stark hopfenbetont ausgebaut ist.
Literatur
- Astrid Assél/Christian Huber, München und das Bier. Auf großer Biertour durch 850 Jahre Braugeschichte, München 2009.
- Wolfgang Behringer, Die Spaten-Brauerei 1397-1997, München 1997.
- Karl Gattinger, Bier und Landesherrschaft. Das Weißbiermonopol der Wittelsbacher unter Maximilian I. von Bayern 1598-1651, München 2007.
- Karin Hackel-Stehr, Das Brauwesen in Bayern. Vom 14. bis 16. Jahrhundert, insbesondere die Entstehung und Entwicklung des Reinheitsgebotes (1516), Berlin 1987.
- Rainer Hofmann (Hg.), Bierkultur. "Rund um's Bier in Franken". Begleitheft zur Sonderausstellung im Fränkische-Schweiz-Museum Tüchersfeld (Ausstellungskataloge des Fränkische-Schweiz-Museums 9), Tüchersfeld 2007.
- Alfons Jehle, Das Bier in Bayern. Kurzgefaßte geschichtliche Darstellung des Entwicklungsganges des bayerischen Brauwesens (Geschichtsbilder aus dem bayerischen Brauwesen 1), München 1948.
- Fred Klinger, Braugewerbe und Braukunst in Bayern, Ingolstadt 1997.
- Franz Freiherr Karaisl von Karais, F., Beiträge zur Geschichte des bürgerlichen Bräuwesens in München bis um 1800 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für die Geschichte und Bibliographie des Brauwesens), Berlin 1940.
- Heinrich Letzing, Untersuchungen zur Geschichte des Brauwesens der bayerischen Herrscher, Ausburg 1998.
- Heinrich Letzing, Die Geschichte des Bierbrauwesens der Wittelsbacher, Augsburg 1995.
- Franz Meußdoerffer/Martin Zarnkow, Das Bier. Eine Geschichte von Hopfen und Malz, München 2014.
- Reinhard Riepertinger u.a. (Hg.), Bier in Bayern. Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2016 (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 65), Augsburg 2016.
- Martin Schieber, Rotes Bier und blaue Zipfel. Zur Geschichte der Ernährung in Nürnberg (Historische Spaziergänge 1), Nürnberg 2004.
- Hans Schlosser, Braurechte, Brauer und Braustätten in München. Zur Rechts- und Sozialgeschichte des spätmittelalterlichen Brauwesens, Ebersbach am Main 1981.
- Birgit Speckle, Streit ums Bier in Bayern. Wertvorstellungen um Reinheit, Gemeinschaft und Tradition (Münchner Beiträge zur Volkskunde 27), Münster 2001.
Weiterführende Recherche
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- Brauereien (19. Jahrhundert)
- Ernährung (Spätmittelalter/Frühe Neuzeit)
- Hopfenanbau
- Reinheitsgebot, 1516
Weißbier
Empfohlene Zitierweise
Martin Zarnkow/Franz Meußdoerffer, Bier, publiziert am 24.04.2020, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bier> (5.12.2024)