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Nürnberg, Reichsstadt: Politische und soziale Entwicklung

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Nürnberg und die beiden Reichswälder. Kartographische Darstellung um 1559 von Hans Weigel d.Ä. (gest. vor 1578). Getrennt wird das Waldgebiet durch die Pegnitz, die auch Nürnberg durchfließt. Der Südteil des Forstes trägt den Namen "Lorenzer Reichswald" nach der Stadtpfarrei St. Lorenz, die für Nürnberg südlich der Pegnitz zuständig war. Der Nordteil heißt analog "Sebalder Reichswald" nach der Stadtpfarrei St. Sebald. (Bayerische Staatsbibliothek, Mapp. XI,302 a)

von Michael Diefenbacher

Nürnberg ist erstmals 1050 als Reichsburg inmitten eines großen Reichsgutkomplexes schriftlich bezeugt. Der Aufstieg der Stadt begann im 12. Jahrhundert unter den Staufern. 1219 erhielten die Nürnberger Bürger ein erstes umfassendes Stadtprivileg. Im weiteren Verlauf des 13. Jahrhunderts etablierte sich die städtische Selbstverwaltung, und Nürnberg wurde zu einer nur dem Reichsoberhaupt unterstellten Reichsstadt. Darüber hinaus behielt Nürnberg stets eine besondere Beziehung zum Königtum (z. B. Goldene Bulle, Reichskleinodien). Zwischen 1385 und 1427 wurden die zollerischen Burggrafen aus der Stadt gedrängt. Dank des Bündnisses mit Bayern-München konnte Nürnberg 1505 sein Territorium deutlich erweitern. Zwischen dem ausgehenden 15. und dem beginnenden 16. Jahrhundert erlebte die Nürnberg – begründet auf Handwerk und Handel - eine große Blüte. Gleichzeitig erstarrte die Stadt in einem System von fünf sozial strikt voneinander abgegrenzten Ständen. 1525 wurde in Nürnberg als erster Reichsstadt die Reformation eingeführt. Von den Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs erholte sich die Stadt nur schwer. Gleichzeitig erstarrten Gesellschaft und Rechtsordnung der Reichsstadt, die sich im 17. und 18. Jahrhundert immer stärker verschuldete. Erst in den 1790er Jahren gelangen mit kaiserlicher Hilfe Reformen, die aber bis zur Annexion durch Bayern 1806 keine große Wirkung mehr entfalten konnten.

Anfänge als Reichsburg um 1050

Erste namentliche Erwähnung von "Nŏrenberc" in der sogenannten Sigena-Urkunde, in der Heinrich III. (reg. 1039-1056, ab 1046 Kaiser) die Freilassung der Höringen Sigena urkundlich auf einem Hoftag in Nürnberg am 16.7.1050 bestätigte. Die Urkunde befindet sich heute im Stadtarchiv Nürnberg. (Farbige Abb. und Transkription). Abb. aus: Hugo Barbeck, Alt-Nürnberg. Kulturgeschichtliche Bilder aus Nürnbergs Vergangenheit, Bd. 13: Kaisertage und Bürgerlust, Nürnberg 1901, Blatt 1. (Bayerische Staatsbibliothek, 2 Bavar. 32 v-11/14)

Die Stadt Nürnberg entstand um die Wende zum 11. Jahrhundert in Anlehnung an eine 1050 erstmals erwähnte Reichsburg inmitten eines ausgedehnten Reichsgutkomplexes in Ostfranken und dem bayerischen Nordgau. Die salischen und staufischen Herrscher bevorzugten diesen herausragenden Platz und bauten ihn schrittweise aus. So übertrug Heinrich III. (reg. 1030-1056) vom benachbarten, in karolingische Zeit zurückreichenden Königshof Fürth bald nach 1050 das Marktrecht auf seinen neuen Stützpunkt. Sein Sohn Heinrich IV. (reg. 1056-1084) klammerte wenig später das Reichsgut um Nürnberg aus der zum bayerischen Nordgau gehörenden Grafschaft Hirschberg/Sulzbach aus und bildete daraus einen eigenen Hochgerichts- und Verwaltungsbezirk des Reichs. Dieser umfasste im Wesentlichen die beiden Nürnberger Reichswälder sowie einige Rodungen und Ausbausiedlungen nördlich, östlich und südlich der Stadt, die später zur Alten Landschaft, dem Grundstock des Nürnberger Territoriums, zählen sollten.

Nürnberg in staufischer Zeit - Entstehung der Burggrafschaft

Unter Konrad III. (reg. 1138-1152) setzte dann vor der Mitte des 12. Jahrhunderts der Aufstieg der Stadt ein: Er errichtete die Burggrafschaft mit Gericht und Verwaltung über Nürnberg und das umliegende Reichsgut. Die Burggrafen entstammten zunächst dem österreichischen Hause der Herren von Raab und seit 1190/92 dem schwäbischen Grafengeschlecht der Zollern, das später als Markgrafen von Ansbach und Kulmbach/Bayreuth zu den größten Territorialherren des Raums aufstieg. Ihr Amt als Burggrafen von Nürnberg wurde jedoch nach 1200 bis zum Interregnum auf rein militärische Belange beschränkt, die Verwaltung des Reichsguts und des vor dem Egidienkloster tagenden königlichen Landgerichts oblag einem selbständigen Amtsträger (Butigler), dessen Amt die Burggrafen bis 1282 an sich ziehen konnten. Die Verwaltung der Stadt und das städtische Gericht leitete ein seit 1173/74 belegter Reichsschultheiß.

Der steigende Bedarf des königlichen Hofs und die zunehmende Bedeutung der Stadt zogen verstärkt Handwerk und Handel nach Nürnberg. Beides förderten die Staufer. So erließ Friedrich II. (reg. 1212-1250) 1219 den "Großen Freiheitsbrief", ein erstes umfassendes Stadtprivileg, das die Nürnberger Bürger unter seinen alleinigen Schutz stellte und ihnen münz- und zollpolitische Vorteile garantierte.

Aufstieg zur Reichsstadt - Verbindung zum Königtum - Innere Unruhen

Der "Große Freiheitsbrief" Friedrichs II. vom 8. November 1219, das erste umfassende Nürnberger Stadtprivileg. (Staatsarchiv Nürnberg, Reichsstadt Nürnberg, Kaiserliche Privilegien 1)

Der Weg vom Königsplatz des 11. Jahrhunderts hin zur Reichsstadt des 13. Jahrhunderts war um 1250 in groben Zügen vollendet. Zollerische und wittelsbachische Versuche, die Stadt nach dem Untergang der Staufer dem Reich zu entfremden, konnte Rudolf von Habsburg (reg. 1273-1291) – wenn auch unter erheblichen Zugeständnissen an die Burggrafen aus dem Hause Zollern - vereiteln. Schon im Großen Freiheitsbrief erschien die Nürnberger Bürgerschaft als Rechtsgemeinschaft. Sie ist 1256 erstmals als "universitas civium" bezeugt und führte seit 1236/42 ein eigenes Siegel.

Größte Förderung ließen im 14. Jahrhundert Ludwig der Bayer (reg. 1314-1347; u. a. umfangreiche Zollprivilegien) und Karl IV. (reg. 1347-1378) der Stadt zukommen. Letzterer erhob Nürnberg in seiner Goldenen Bulle 1356 zu dem Platz, an dem jeder neugewählte König seinen ersten Reichstag abzuhalten habe. Somit wurde Nürnberg neben dem Wahlort Frankfurt am Main und dem Krönungsort Aachen die dritte reichsrechtlich dem Königtum verbundene Stadt. Die Verbindung zu Königtum und Reich wurde verstärkt, als König Sigismund (reg. 1411-1437) 1423 Nürnberg die Reichskleinodien für ewige Zeiten zur Aufbewahrung anvertraute. Sie verblieben in Nürnberg, bis sie 1796 vor den anrückenden französischen Truppen über Regensburg nach Wien geflüchtet wurden, wo sie eine neue Heimat fanden.

Unter Karl IV. begehrten 1348/49 im sogenannten Handwerkeraufstand Ratsmitglieder, unterstützt durch Handwerker und Kaufleute, gegen den alten Rat auf. Der Aufruhr hatte vor allem politische Gründe, weil der Aufruhrrat sich in der Auseinandersetzung zwischen Kaiser Ludwigs Erben und Karl IV. auf die wittelsbachische Seite gegen den alten Rat stellte, der Karl IV. unterstützte. Ergebnis des Handwerkeraufstands war ein dauerhaftes Verbot jeglicher handwerklicher Selbstorganisationen, wie sie in den Zunftverfassungen anderer Reichsstädte gang und gäbe waren.

Nach der Niederschlagung des Aufruhrs duldete Karl IV. 1349 im Zuge der großen Pestepidemie, die jedoch Nürnberg verschont hatte, die Zerstörung des Nürnberger Judenviertels, nach dem sogenannten Rintfleischpogrom von 1298 der zweite große Judenpogrom in Nürnberg. 562 Juden wurden verbrannt. Das jüdische Viertel musste dem heutigen Haupt- und Obstmarkt weichen, auf den Grundmauern der Synagoge ließ Karl IV. die Frauenkirche errichten. Kurze Zeit später siedelten sich wieder Juden in der Reichsstadt an, bis sie mit königlichem Privileg 1499 endgültig der Stadt verwiesen wurden. Erst ab 1850 wurden wieder Bürger mosaischen Glaubens in Nürnberg heimisch.

Auseinandersetzungen mit den Hohenzollern

Macht und Ansehen der fränkischen Metropole waren nun derart gefestigt, dass Rat und Bürgerschaft eine Bereinigung der wachsenden Spannungen mit den Zollern anstreben konnten. Die inzwischen in den Reichsfürstenrang erhobenen Burggrafen wurden zwischen 1385 und 1427 schrittweise aus der Stadt und teilweise auch aus der näheren Umgebung der Reichsstadt verdrängt. Es gelang aber dem Rat 1427 beim Kauf der Burggrafenburg und der Reichswälder nicht, sämtliche Hoheitsrechte - wie die Blutgerichtsbarkeit, die hohe Jagd und das Geleit außerhalb der Stadt - von den Zollern zu erwerben. Daher blieben bis zum Ende der Nürnberger Reichsfreiheit noch genügend Anlässe zu schwersten Streitigkeiten gerichtlicher, aber auch kriegerischer Art zwischen beiden Nachbarn bestehen, so schon 1449/50 im Ersten Markgrafenkrieg.

Bündnis mit Bayern-München, territoriale Gewinne 1505

Stadtansicht von Nürnberg, 1502. (aus: Conrad Celtis, Quatuor libri Amorum secundum quatuor latera-Germaniae, Nürnberg 1502)

Aus der Feindschaft mit den Zollern entsprang um die Mitte des 15. Jahrhunderts ein Bündnis mit den wittelsbachischen Herzögen von Bayern-München. Im Landshuter Erbfolgekrieg 1504/05 eroberte die Reichsstadt daher die zu Bayern-Landshut bzw. der Kurpfalz gehörigen Städte und Ämter Altdorf, Lauf, Hersbruck, Hohenstein, Reicheneck und Velden. Der Kölner Friede bestätigte diesen Gebietsgewinn. Der Rat gewann damit östlich der Stadt das mit ca. 1.200 qkm größte von einer Reichsstadt beherrschte Landterritorium.

Kulturelle und wirtschaftliche Blüte im 15. und 16. Jahrhundert

Das Grab des Stadtheiligen St. Sebald. Den silberne Reliquienschrein aus dem 14. Jahrhundert umgibt die bronzene Hülle Peter Vischers von 1519. Abb. aus: Alt-Nürnberg und das malerische Frankenland, Berlin ca. 1912, 27. (Bayerische Staatsbibliothek, 4 Germ.g. 253 f-5)

Mit der Verdrängung der Burggrafen aus der Stadt begann Nürnbergs große Blütezeit. Voraussetzung für Freiheit und kulturelle Blüte war der wirtschaftliche Reichtum, der auf zwei Säulen ruhte: dem Fernhandel des Nürnberger Patriziats bzw. seiner Großkaufleute und dem Gewerbefleiß und der Geschicklichkeit seiner Handwerker.

Bezeichnend für das Selbstverständnis der Stadt und seiner führenden Bürger war das Streben nach "Stadtheiligen". Auf energisches Betreiben des Rates wurde Sebald 1425 durch Papst Martin V. (reg. 1417-1431) heilig gesprochen. Der 1397 in der Sebalduskirche aufgestellte silberne Reliquienschrein mit den Gebeinen des Heiligen erhielt noch 1519 eine bronze Hülle von Peter Vischer (um 1460-1529). Ähnliches versuchte man mit Deocarus, dem ersten Abt des Benediktinerklosters Herrieden (798-832), dessen Gebeine König Ludwig der Bayer 1316 nach Nürnberg überführen liess. In Anlehnung an den Sebalduskult kultivierte der Rat die Deocarusverehrung in der Lorenzkirche, der zweiten Hauptkirche der Stadt.

Die spätestens zur Reformationszeit zementierte Sozial- und Rechtsordnung (1521 schottete sich mit dem Erlass des sog. Tanzstatuts das Patriziat von der übrigen Stadtbevölkerung ab) sowie ein Wohlstand, basierend auf zunehmendem Handelsvolumen und wachsendem Gewerbe, bildeten die Grundlagen für eine Blüte kulturellen Lebens, welche die Zeit vom 1. Viertel des 15. Jahrhunderts bis um 1630 umfasste.

Nürnberg exportierte neben Waren auch Handwerkskultur. Für die Bedeutung seiner Handwerker-Künstler stehen Namen wie Albrecht Dürer (1471-1528), Veit Stoß (um 1447-1533), Peter Vischer und Adam Kraft (um 1460-1508/09). Humanismus und Renaissance prägten diese große Zeit: Konrad Celtis (1459-1508) wurde in Nürnberg von Kaiser Friedrich III. (reg. 1440-1493) zum Dichter gekrönt, hier überarbeitete der Patriziersohn Melchior Pfinzing (1481-1535) Kaiser Maximilians (reg. 1486/93-1519) autobiographisches Epos "Teuerdank". Johannes Regiomontanus (1436-1476) errechnete in Nürnberg mit Nürnberger Instrumenten die Bewegungen der Sterne; der Patrizier Martin Behaim (1459-1506) - Auftraggeber des ersten erhaltenen Erdglobus - machte Regiomontans Erkenntnisse für die portugiesische Seefahrt nutzbar. Der Arzt Hartmann Schedel (1440-1514) versuchte mit seiner Weltchronik 1493, einen zusammenfassenden Überblick über die Weltgeschichte zu geben. Willibald Pirckheimers (1470-1530) Briefwechsel mit den Gelehrten der damaligen christlichen Welt dokumentiert noch heute die zentrale Stellung Nürnbergs im Geistesleben des 15./16. Jahrhunderts.

Reformation 1525

Die barocke Kirche von St. Egidien und das Gymnasium. Kupferstich von Johann Adam Delsenbach (1687-1765). (Bayerische Staatsbibliothek, Porträt- und Ansichtensammlung)

Im Jahre 1525 führte Nürnberg als erste Reichsstadt die Reformation ein. Im Zuge der kirchlichen Neuerung wurden die Nürnberger Klöster aufgehoben. Im ehemaligen Schottenkloster St. Egidien entstand auf Anregung Philipp Melanchthons (1497-1560) das erste Nürnberger Gymnasium, die übrigen Klosteranlagen wurden reichsstädtischen Ämtern bzw. karitativen Einrichtungen übertragen. Allein die reichsunmittelbare Deutschordenskommende hat die Reformation überstanden, aber unter Preisgabe der ehemaligen Kommendenkirche St. Jakob. Die Reformation wurde selbstverständlich auch auf das Nürnberger Landgebiet ausgedehnt. Auch die dortigen Klöster wurden säkularisiert.

Selbst das gespannte Verhältnis zum markgräflichen Rivalen wurde durch die Reformation vorübergehend gelindert: Eine Zusammenarbeit auf den Reformationsreichstagen zu Speyer und Augsburg 1529 und 1530 gipfelte in der gemeinsamen Nürnberg-Brandenburgischen Kirchenordnung des Jahres 1533. Aber schon 20 Jahre später brach der alte Konflikt mit neuer Vehemenz im Zweiten Markgrafenkrieg 1552-1554 über das reichsstädtische Territorium herein.

Kulturelle Spätblüte um 1600

Die im Nürnberger Territorium gelegene Landstadt Altdorf war in der Frühen Neuzeit Sitz einer Universität. Kupferstich von 1714 von Johann Georg Puschner (1680-1749) (Bayerische Staatsbibliothek, Porträt- und Ansichtensammlung)

Der kulturellen und wirtschaftlichen Blüte in der fränkischen Metropole taten die erneuten Streitigkeiten mit dem benachbarten Markgrafen jedoch kaum Abbruch. In Altdorf gründete die Stadt 1575 eine Akademie, die 1622/23 zur Universität erhoben wurde. Im späten 16. und der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts erlebte die Reichsstadt eine kulturelle Spätblüte, die vor allem vom Goldschmiede-, Elfenbeindrechsler- und Glasschneiderhandwerk getragen wurde. Eine führende Stellung behauptete Nürnberg weiterhin im Bereich der Buchillustration (Jost Ammann, 1539-1591), der Literatur (Meistersinger, Pegnesischer Blumenorden) und der Musik (Johann Pachelbel, 1653-1706).

Bevölkerungszahl und Sozialstruktur

In Nürnberg sind uns im Gegensatz zu vergleichbaren Städten keine exakten Bevölkerungszahlen überliefert. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts kann man anhand von Fronlisten bzw. Lebensmittelzuteilungen von einer Bevölkerungszahl von über 20.000 Einwohnern ausgehen. Das Nürnberger Reichssteuerregister der Lorenzer Stadthälfte von 1497 lässt auf mindestens 28.000 Menschen innerhalb der Stadtmauern und auf mindestens 54.000 Menschen im damals noch eher kleinen Landgebiet der Reichsstadt schließen. Für die Zeit um 1525 liegen Schätzungen um 30.000 bis 40.000 Einwohner vor, anhand des Getreideverbrauchs in den 1560er Jahren wird von 40.000 bis 50.000 Einwohnern ausgegangen und nach einer Bevölkerungszählung des Nürnberger Rats von 1627 lebten damals 39.128 Einwohner in Nürnberg. Nürnberg war also damals nach Köln die bevölkerungsreichste Stadt des Reichs.

Nach der endgültigen Etablierung des Patriziats als oligarchischer, wenige Familien umfassender, stadtadeliger Stand im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts sehen wir in Nürnberg eine hierarchisch aufgebaute Fünfständegesellschaft, deren soziale Abgrenzungen durch Titel, Kleidung und Lebensaufwand exakt definiert, deren Übergänge bezüglich Reichtum und Wirtschaftskraft aber fließend waren. Den ersten Stand bildeten die ratsfähigen Geschlechter, das Patriziat, den zweiten Stand die Großkaufleute des Größeren Rats sowie die bedeutenden Juristenfamilien. Als dritter Stand folgten dann die übrigen Kauf- und Handelsleute des Größeren Rats sowie die acht Ratsherren aus dem Handwerkerstand. Der vierte Stand umfaßte die Kleinhändler und Handwerker des Größeren Rats und schließlich der fünfte Stand alle übrigen Bürger der Stadt.

Nürnberg als internationales Handelszentrum bis 1630

Johann D. Köhler, Geometrischer Grund-Riss, des H. Römischen Reichs Freÿen Stadt Nurnberg 1719. (bavarikon) (Bayerische Staatsbibliothek, 2 Mapp. 93)

Diese Spätblüte um 1600 ist aber zugleich durch das Ausscheiden des Patriziats aus dem reichsstädtischen Handel gekennzeichnet. An die Stelle des Patriziats traten bürgerliche Kaufleute und zunehmend Nichtnürnberger - insbesondere Niederländer und Italiener. Ihr wirtschaftlicher Erfolg und damit die internationale Bedeutung Nürnbergs und der vom Nürnberger Handwerk produzierten Waren lassen sich bis in die 1630er belegen. Die Kaufmannschaft organisierte sich mit Zustimmung des Rats 1560/66 im Handelsvorstand. Auf dessen Drängen richtete der Rat 1621 einen Banco Publico ein, eine Wechsel- und Girobank mit Bankzwang für alle Geschäftsanfälle über 200 Gulden.

Wirtschaftlicher Abstieg im Dreißigjährigen Krieg und im Merkantilismus

Der Dreißigjährige Krieg traf die Reichsstadt in seinem zweiten Jahrzehnt mit voller Wucht. Schwedische Einquartierungen und wiederholte kaiserliche Angriffe, verstärkt durch immer wiederkehrende Pestwellen, verwüsteten das Landgebiet und dezimierten die dortige Bevölkerung. Zwischen 1632 und 1635 fielen in Nürnberg allein 25.000 Menschen Krieg und Seuchen zum Opfer.

Verwüstung, Bevölkerungsschwund und die Lähmung des Handels durch das Jahrzehnte andauernde Kriegsgeschehen ließen Nürnbergs wirtschaftliche Kraft schwinden. Der beginnende Merkantilismus untergrub die Grundlage der Nürnberger Wirtschaft und verhinderte so einen Aufschwung, wie er nach den Markgrafenkriegen noch erfolgt war. Das Kriegsende sah die Stadt ein letztes Mal in ihrer alten Rolle als eines der politischen Zentren des Reichs. 1649/50 beriet und beschloss ein Diplomatenkongress begleitet von glanzvollen Festen den Vollzug der westfälischen Friedensbestimmungen.

Doch auch nach dem großen Krieg erlebten Architektur und Kultur eine Spätblüte: Weltlicher Barock hielt in den großen patrizischen und bürgerlichen Gartenanlagen vor den Stadtmauern Einzug, und die evangelische Reichsstadt leistete mit dem Neubau der durch Brand zerstörten Egidienkirche anfangs des 18. Jahrhunderts einen bedeutenden Beitrag zur barocken Sakralarchitektur Mittelfrankens.

Erstarrung und Niedergang im 17. und 18. Jahrhundert

Ansicht der Stadt Nürnberg Anfang des 18. Jahrhunderts. (Bayerische Staatsbibliothek, 2 Mapp. 7,1-55)
Ansicht der Stadt Nürnberg. Blick aus dem ehemaligen Gefängnis. Aquarell von Christian Ludwig Kaulitz (1693–1744), um 1740. Abb. aus: Hugo Barbeck, Alt-Nürnberg. Kulturgeschichtliche Bilder aus Nürnbergs Vergangenheit, Bd. 12: Von Thor zu Thor, Nürnberg 1900, Blatt 4 u. 5. (Bayerische Staatsbibliothek, 2 Bavar. 32 v-11/14)

Zur gleichen Zeit jedoch erstarrten Gesellschaftsleben und Rechtsordnung der Reichsstadt vollends. Das Patriziat wurde von Kaiser Leopold I. (reg. 1658-1705) 1696 zu einer geschlossenen Adelskorporation erhoben. Die Kaufmannschaft opponierte zunehmend gegen die Wirtschafts- und Finanzpolitik der patrizischen Geschlechter und führte gegen den Rat Dauerprozesse vor dem Reichshofrat wegen der städtischen Steuerpraxis, jedoch ohne nennenswerte Ergebnisse.

Erst die desolate Lage der reichsstädtischen Finanzen erzwang Reformen. 1794 erhielt die Stadt im "Grundvertrag" eine neue Verfassung: Nun bekamen erstmals seit Bestehen der Nürnberger Ratsverfassung die Kaufleute und Handwerker ein politisches Mitspracherecht. 1797 setzte Kaiser Franz II. (reg. 1792-1806) eine Subdelegation zur zeitgemäßen Umgestaltung der Nürnberger Verwaltung und Finanzen ein. Diese Reformbemühungen kamen jedoch zu spät.

Annexion durch Bayern 1806

Nachdem Bayern das Fürstentum Ansbach von Preußen übernommen hatte, ließ sein erster König Max I. Joseph (reg. 1806-1825), gestützt auf die Rheinbundakte im September 1806 die Reichsstadt okkupieren, die noch vier Jahre zuvor der Mediatisierung durch den Reichsdeputationshauptschluss entgangen war.

Literatur

  • Gerhard Pfeiffer (Hg.), Nürnberg – Geschichte einer europäischen Stadt, Nürnberg 1971.
  • Michael Diefenbacher/Rudolf Endres, Stadtlexikon Nürnberg, Nürnberg 2. Auflage 2000 (auch online).
  • Martin Schieber, Nürnberg - Eine illustrierte Geschichte der Stadt, München 2000 (populärwissenschaftliche Überblicksdarstellung).
  • Nürnberger Forschungen, seit 1941.
  • Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte, seit 1970.
  • Quellen und Forschungen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg (QNG), seit 1959.

Quellen

  • Einschlägig sind die Bestände des Stadtarchivs Nürnberg und des Staatsarchivs Nürnberg.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Michael Diefenbacher, Nürnberg, Reichsstadt: Politische und soziale Entwicklung, publiziert am 09.03.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Nürnberg,_Reichsstadt:_Politische_und_soziale_Entwicklung> (19.03.2024)