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Deutsche Vaterlandspartei (DVLP), 1917/18

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Schreiben Alfred von Tirpitz' (1849-1930) an Ludwig Thoma (1867-1921) vom 2.10.1917. Tirpitz dankt Thoma für dessen Mitwirkung bei der ersten öffentlichen Parteikundgebung der DVLP in der Berliner Philharmonie am 24.9.1917. (Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek, München)
Franz von Buhl (1867-1921), 1. Vorsitzender des bayerischen Landesverbandes der DVLP. (aus: Franz von Buhl, Reden und Aufsätze 1900-1921. Nach seinem Tode gesammelt. Mit einem Vorwort von Hugo Graf Lerchenfeld-Köfering, München/Berlin 1922)
Max Gruber (1853-1927), 3. Vorsitzender des bayerischen Landesverbandes der DVLP. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv port-006137)

von Sarah Hadry

Die Deutsche Vaterlandspartei (DVLP) war ein Sammelbecken der extremen politischen Rechten am Ende des Kaiserreichs und wies Züge einer protofaschistischen Massenbewegung auf. Die Gründung erfolgte am 2. September 1917 auf Initiative des preußischen Gutsbesitzer-Lobbyisten Wolfgang Kapp (1858-1922); Hauptziel war ein deutscher Siegfrieden mit möglichst weitreichenden Annexionen. Der am 14. September 1917 ins Leben gerufene bayerische Landesverband der DVLP fand seine Mitglieder vor allem im Milieu der sog. Kanzlersturzbewegung. Da die neue Partei nicht nur als preußischer Import, sondern zudem als antikatholisch galt, waren Mitgliederzahlen und Einfluss in Bayern von Anfang an gering. Ideologischer Vordenker der bayerischen DVLP war der Universitätsprofessor und Rassenkundler Max von Gruber (1853-1927). Ebenso prominente wie antisemitische Mitglieder waren Ludwig Thoma (1867-1921), Cosima Wagner (1837-1930) und Houston Stewart Chamberlain (1855-1927). Das Ende der Bayern-DVLP erfolgte vermutlich gemeinsam mit der Selbstauflösung der Gesamtpartei im Dezember 1918.

Die Deutsche Vaterlandspartei (DVLP) im Allgemeinen

Die Gründung der DVLP war eine Reaktion auf die Verabschiedung der Friedensresolution des Deutschen Reichstags vom 19. Juli 1917, bei der sich die Mehrheit der Parteien für einen Verständigungsfrieden und gegen Annexionen ausgesprochen hatte. Als Gründungsdatum wurde symbolträchtig der 2. September (Sedantag) gewählt, Gründungsort war das ostpreußische Königsberg. Als Ersten Vorsitzenden konnte der Generaldirektor der ostpreußischen Landschaft Wolfgang von Kapp (1858-1922) den ehemaligen Großadmiral Alfred von Tirpitz (1849-1930) gewinnen. Kapp selbst wurde Vize; als Ehrenvorsitzender fungierte Johann Albrecht zu Mecklenburg (1857-1920), der seit 1895 Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft war.

Die wesentlichen Ziele der DVLP bestanden darin, einen Kompromissfrieden zu verhindern sowie die Absetzung des Reichskanzlers zugunsten von Tirpitz' und die Abwehr parlamentarischer Reformen zu betreiben. In der schriftlichen Parteipropaganda wurden die außenpolitischen Ziele konkret formuliert: Vorgesehen war die Annexion Belgiens, Luxemburgs, Hollands, der baltischen Ostseeprovinzen, aber auch von Teilen Frankreichs, Polens, der Ukraine und Weißrusslands. Außerdem verlangte die Partei den Aufbau eines deutschen Kolonialreiches in Afrika sowie hohe Kontributionszahlungen durch die Kriegsgegner. Dieses Programm basierte auf der Behauptung, dass der vor dem Krieg gewählte Reichstag mit seinem Friedenskurs nicht die Interessen der Mehrheit des deutschen Volkes vertrete. Die DVLP verstand sich daher auch nicht als klassische Partei, sondern als überparteilicher "Volksbund", dessen kriegstreiberische Haltung zur parteienübergreifenden Massenbewegung reifen sollte.

Obwohl die DVLP vorgab, keine innenpolitischen Interessen zu verfolgen und sich sofort nach Kriegsende auflösen zu wollen, boykottierte sie doch die von den Mehrheitsparteien geforderte parlamentarische Reform des preußischen Dreiklassenwahlrechts. Die Partei agierte damit im Sinne nationalkonservativer großagrarischer und industrieller Interessen. Dass bei den Überlegungen zur Namensgebung u. a. auch "Bismarck-Partei" im Gespräch war, ist bezeichnend. Zwar war die DVLP formal weder in Regierung noch Parlament vertreten, jedoch besaßen zahlreiche ihrer Mitglieder Abgeordnetenmandate für Reichstag und Landtage. Da hohe Beamte und Militärs, die der Partei nahestanden, die DVLP amtlich förderten und teilweise auch Untergebene zum Partei-Eintritt drängten, lösten sozialdemokratische Abgeordnete bereits im Oktober 1917 – und damit relativ bald nach der Gründung - eine Debatte im Reichstag aus, als deren Ergebnis die Mehrheit der Parteien die DVLP und deren Methoden akzeptierte (Ullrich, Deutsche Vaterlandspartei, 180-187).

Die DVLP zog in erster Linie Mitglieder aus den konservativ-nationalistischen Lagern Nord- und Ostdeutschlands sowie aus der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie an, konnte aber jenseits dieser Regionen keine starke Anhängerschaft gewinnen. Insbesondere die Arbeiterschaft, der Mittelstand, Freiberufler sowie das gesamte katholische Deutschland blieben ihr weitgehend verschlossen. Die DVLP wurde daher als "typischer Honoratiorenverband des Spätwilhelminismus" mit evangelisch geprägtem sowie besitz- und bildungsbürgerlichem Hintergrund bezeichnet. Entsprechend waren die Berufsgruppen der Beamten, Lehrer und Pfarrer besonders stark vertreten (Hagenlücke, Deutsche Vaterlandspartei, 263). Im September 1918 hatte die Partei deutschlandweit etwa 445.000 Mitglieder, darunter circa ein Drittel Frauen.

Angesichts der militärischen Entwicklung wurde ein Siegfrieden immer unrealistischer, und auch Tirpitz' Kanzlerambitionen blieben ohne Erfolg. Der Beschluss zur Selbstauflösung erfolgte am 10. Dezember 1918 angesichts der November-Revolution. Parteiführer sowie –vermögen gingen zur Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) über.

Die Ausgangslage in Bayern

Die Gründung des bayerischen Landesverbandes der DVLP kann als Höhepunkt der – bayernweit vor allem in München betriebenen – Agitation der sog. Kanzlersturzbewegung angesehen werden: Seit 1914/15 wurde in der Landeshauptstadt in informellen Zirkeln die Kriegszielfrage heiß diskutiert. Schriftliche Eingaben an die bayerische Regierung forderten neben der Absetzung des Reichskanzlers Annexionen in mehreren Ländern Europas sowie ein deutsches Kolonialreich in Afrika. Eine im Juli 1915 von über tausend "Intellektuellen Deutschlands" versandte Kriegsziel-Denkschrift unterschrieben auch 136 Bayern – unter anderem der pfälzische Reichsrat Franz von Buhl (1867-1921), der 1917 zum Ersten Vorsitzenden der Bayern-DVLP avancierte. 1916 formierte sich ein "Volksausschuss für die rasche Niederwerfung Englands". Diese Organisation stellte nicht nur den ersten Zusammenschluss der Münchner Annexionisten-Szene dar, sondern vereinigte bereits die Mehrheit der späteren Führungspersönlichkeiten der bayerischen DVLP, so zum Beispiel Max von Gruber (1853-1927) und Emil Kraepelin (1856-1926).

Eine "Keimzelle" der Münchner Kanzlersturzbewegung war die Universität, und hier wiederum insbesondere die medizinische Fakultät: Max Ritter von Gruber, seit 1902 Inhaber des pettenkoferschen Lehrstuhls für Hygiene, fungierte 1917/18 als führender Kopf und Dritter Vorsitzender der bayerischen DVLP. Enge Verflechtungen ideologischer und personeller Art bestanden außerdem mit folgenden Gruppierungen bzw. Einrichtungen:

  • dem Alldeutschen Verband
  • der 1907 in München durch Max von Gruber - nach dem gleichnamigen, seit 1905 existierenden Berliner Vorbild - gegründeten "Gesellschaft für Rassenhygiene"
  • der mit dem Ziel der Hebung der Wehrtüchtigkeit ins Leben gerufenen Anti-Alkoholismus-Bewegung, in welcher die Professoren und späteren Parteimitglieder Emil Kraepelin (Psychiater) und Max von Gruber engagiert waren
  • dem Verlag Julius F. Lehmann in München - Lehmann hatte zahlreiche rassenhygienische Schriften in seinem Programm und wurde 1917 Mitglied der DLVP, für welche sein Verlag Propagandamaterial herstellte.

Die Gründung des bayerischen Landesverbandes der DVLP

Als Gründungsdatum des bayerischen Landesverbandes galt bislang der 2. Oktober 1917, da an diesem Tag ein Aufruf zum Parteibeitritt und zur Gründung von Ortsgruppen veröffentlicht wurde. Tatsächlich erfolgte die Gründung jedoch bereits am 14. September 1917 (Bericht der Münchner Polizeidirektion vom 24. Januar 1918, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, MInn, 73625). Da mit Franz von Buhl, Robert Einhauser (1871-1931) und Max von Gruber die Vorstandschaft zum Zeitpunkt des Aufrufes vom 2. Oktober bereits feststand, ist anzunehmen, dass deren Ernennung durch die Berliner Hauptleitung der Partei erfolgt war.

Der Gründungsaufruf wurde noch in der Abgeordnetenkammer durch Friedrich Beckh (1843-1927), Fraktionsvorsitzender der Freien Vereinigung, und den Zentrumsabgeordneten Karl Scharnagl (1881-1963) unterschrieben. Abgeordnete der liberalen Parteien unterschrieben den Aufruf nicht, jedoch traten Vertreter dieser Gruppierungen der Partei später bei. Zu den knapp 140 Unterzeichnern gehörten 40 Professoren und Lehrer, 27 Unternehmer, 20 Freiberufler (u. a. Ärzte und Anwälte), 18 höhere Beamte, 16 Angehörige des Hochadels, zehn Geistliche sowie fünf Militärangehörige.

Der Gründungsaufruf forderte die Bevölkerung Bayerns dazu auf, wie im August 1914 zu innerer Geschlossenheit zu finden, um gemeinsam für einen Sieg und gegen einen "Hungerfrieden" zu wirken. Das darüber hinaus in Reden und Flugschriften formulierte politische Programm deckte sich mit den Forderungen des Reichsverbandes der DVLP.

Der Gründung des Landesverbandes folgte am 30. Oktober die Errichtung einer Münchner Ortsgruppe. Am 19. Januar 1918 formierte sich zudem eine studentische DVLP-Vereinigung (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, MInn, 73625/Polizeibericht vom 24. Januar 1918).

Die Vorsitzenden des bayerischen Landesverbandes der DVLP
Name Lebensdaten Beruf Partei-Funktion Bemerkung
Franz von Buhl 1867-1921 Weingutsbesitzer, bayerischer Reichsrat Erster Vorsitzender seit 1907 Mitglied des bayerischen Landtags, seit 1912 der Kammer der Reichsräte; anfangs nationalliberal, später der Deutschen Volkspartei angehörend; Präsident des Deutschen Weinbauernverbandes
Robert Einhauser 1871-1931 Jurist, Bezirksamtsassessor und Bezirksamtmann in Laufen Zweiter Vorsitzender 1905-1918 Landtagsabgeordneter des Zentrums
Max von Gruber 1853-1927 Professor für Hygiene in München Dritter Vorsitzender gründete 1907 die "Gesellschaft für Rassenhygiene"; 1924-1927 Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Prominente Unterzeichner des Gründungsaufrufs vom 2. Oktober 1917
Name Lebensdaten Beruf Bemerkung
Karl von Amira 1848-1930 Jurist; Universitätsprofessor in München Begründer der Rechtsarchäologie; ab 1892 korrespondierendes, 1901 ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Otto Crusius 1857-1918 Altphilologe; Universitätsprofessor in München 1915-1918 Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Fritz Gerlich 1883-1934 Kreisarchivassessor in München seit 1920 Chefredakteur der Münchener Neuesten Nachrichten; 1932/33 Mitherausgeber der NSDAP-kritischen Wochenschrift "Der Gerade Weg"
Otto Gertung 1871-1929 Vorstandsmitglied der M.A.N-Werke Nürnberg
Joseph Hofmiller 1872-1933 Gymnasiallehrer in München Schriftsteller und Essayist; Mitbegründer und -herausgeber der Süddeutschen Monatshefte
Karl Alexander von Müller 1882-1964 Historiker; Universitätsprofessor in München 1936-1944 Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Emil Kraepelin 1856-1926 Psychiater; Universitätsprofessor in München Begründer der Psychopathologie; gründete 1917 die "Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie"
Georg Pfeilschifter 1870-1936 Theologe und Kirchenhistoriker; Universitätsprofessor in München 1923-1927 Präsident der "Akademie zur Wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums/Deutsche Akademie"
Alfred Ploetz 1860-1940 Mediziner in Herrsching am Ammersee Mitbegründer der Rassenhygiene/Eugenik in Deutschland; Vorsitzender der 1905 gegründeten "Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene"
Josef Pschorr geb. 1867 Brauereibesitzer
Karl Scharnagl 1881-1963 Bäckermeister; Politiker seit 1911 Landtagsabgeordneter der Zentrumspartei; seit 1918 Mitglied der Bayerischen Volkspartei; 1926-1933 sowie 1945-1948 Oberbürgermeister von München; Gründungsmitglied der Christlich-Sozialen Union (CSU)
Ludwig Thoma 1867-1921 Schriftsteller und Jurist
Alexander Wacker 1846-1922 Industrieller; Elektrotechniker Gründer der Wacker-Chemie
Mitglieder des engeren Ausschusses des bayerischen Landesvereins der DVLP (1917)
Name Lebensdaten Beruf Bemerkung
Wilhelm Rohrer Oberlandesgerichtsrat
Karl Riedt Rentner, Tutzing
Wilhelm Seitz 1856-1934 Gründungsmitglied der Münchner Filiale der Dresdner Bank
Ludwig Stindt Oberinspektor
Karl Scharnagl 1881-1963 Bäckermeister seit 1911 Landtagsabgeordneter der Zentrumspartei; seit 1918 Mitglied der Bayerischen Volkspartei; 1926-1933 sowie 1945-1948 Oberbürgermeister von München; Gründungsmitglied der CSU
Friedrich Prinz von Löwenstein-Wertheim-Freudenberg
Luitpold Weilnböck 1865-1944 Landwirtschaftsbeamter Reichstagsabgeordneter der Deutschnationalen Volkspartei
Otto Gertung 1871-1929 Vorstandsmitglied der MAN-Werke Nürnberg
Emil Kraepelin 1856-1926 Psychiater 1903-1922 Professor an der Ludwig-Maximilians Universität München; gründete 1917 die "Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie"
Kaspar Graf Preysing 1880-1918 Mitglied der Reichsratskammer
Dr. Rehm Hofrat
Richard Graf Du Moulin Eckart 1864-1938 Historiker Vorsitzender des Bayerischen Gauverbandes des Alldeutschen Verbandes
Fritz Gerlich 1883-1934 Archiv-Assessor ab 1920 Chefredakteur der Münchener Neuesten Nachrichten; 1932/33 Mitherausgeber der NSDAP-kritischen Wochenschrift Der Gerade Weg
Robert Einhauser 1871-1931 Jurist Landtagsabgeordneter; Bezirksamtmann in Laufen

Reaktionen der Öffentlichkeit

Bereits die Gründung der Reichs-DVLP war durch weite Teile der Presse und Intellektuelle wie Max Weber (1864-1920), Hans Delbrück (1848-1929) und Friedrich Meinecke (1862-1954) ablehnend aufgenommen worden. In Bayern übten die sozialdemokratische Münchener Post und die regierungstreuen Münchener Neuesten Nachrichten von Anfang an Kritik an der DVLP (Münchener Post vom 11. September 1917; Münchener Neueste Nachrichten vom 1. und 20. September 1917).

Auch auf politischer Ebene stieß die neue Partei auf wenig Gegenliebe: Da die bayerische Regierung bereits mit der sog. Kanzlersturzbewegung negative Erfahrungen gemacht hatte, war sie auch der DVLP gegenüber ablehnend eingestellt. Der bayerische Gesandte in Berlin, Hugo Graf von Lerchenfeld (1871-1944), beurteilte die Parteiführer als Vertreter der alldeutschen Anliegen, weshalb er der Regierung Distanz empfahl. Der Zentrumspolitiker Heinrich Held (1868-1938) und der Bauernbund-Sprecher Georg Eisenberger (1863-1945) bezeichneten die Neugründung in der Abgeordnetenkammer öffentlich als vollständig überflüssig (Zorn, Bayerns Geschichte, 104; Hagenlücke, Deutsche Vaterlandspartei, 240). Im Oktober 1917 kam es zu mehreren Debatten in der bayerischen Abgeordnetenkammer, die bezeugen, dass die Mehrheit der großen Parteien der DVLP ablehnend gegenüberstand (Albrecht, Landtag, 289-291). Hierzu gehörte besonders das Zentrum, obwohl dessen Landtagsabgeordneter Robert Einhauser als Zweiter Vorsitzender des bayerischen Landesverbandes der DVLP fungierte. Nachdem die Zentrumsleitungen des Landes Württemberg und des bayerischen Schwaben ihren Mitgliedern bereits frühzeitig ausdrücklich von einem Beitritt in die DVLP abgeraten hatten, erließ am 12. Oktober 1917 auch der Reichsausschuss des Zentrums eine solche Empfehlung.

Zwar hatten beim Gründungsaufruf mit dem Regensburger Domdekan Franz Xaver Kiefl (1869-1928) und dem Münchner Stiftspropst Josef von Hecher (1845-1919) auch zwei katholische Geistliche unterschrieben, insgesamt fand die DVLP aber bei der katholischen Kirche keinen Rückhalt und konnte bezeichnenderweise auch keinen der bayerischen Bischöfe als Mitglied gewinnen. Der päpstliche Nuntius in München, Eugenio Pacelli (1876-1958), unternahm von Juli bis September 1917 im Auftrag Benedikts XV. (1854-1922, Papst ab 1914) – erfolglose – Schritte zur Friedensvermittlung. Die DLVP verfolgte also mit ihren Bestrebungen nach einem Siegfrieden andere Ziele als die katholische Kirche. Über die Haltung speziell des bayerischen Protestantismus zur DVLP ist der Forschung bislang nichts zu entnehmen, jedoch gilt die Gesamtpartei und deren Führungsgremium als ausgesprochen lutherisch geprägt.

Als parteinah gilt außerdem, zumindest auf Reichsebene, der "Bund deutscher Landwirte". Ob der fränkisch-protestantisch geprägte Bund der Landwirte in Bayern die Gründung der bayerischen DVLP begrüßte und besondere Beziehungen zu ihr unterhielt, wäre noch zu klären.

Ludwig Thoma, Bürger und Bauer und Vaterlandspartei. Aus der Rede, gehalten bei der Versammlung der DVLP am 12. Mai 1918 in Holzkirchen. (aus: Miesbacher Anzeiger, Nr. 117 vom 19. Mai 1918, 4)
Mitteilungen der Deutschen Vaterlandspartei - Titelblatt der Ausgabe Nr. 6 vom 20. Februar 1918.
Mitteilungen der Deutschen Vaterlandspartei - Titelblatt der Ausgabe Nr. 26 vom 17. August 1918.

Propaganda-Tätigkeit Ludwig Thomas

Als populäres Zugpferd konnte Ludwig Thoma (1867-1921) gewonnen werden: Der Schriftsteller setzte sich bereits vor der Gründung des bayerischen Landesverbandes für die Partei ein, indem er gemeinsam mit Tirpitz bei der ersten öffentlichen Veranstaltung der DVLP am 24. September 1917 in Berlin auftrat. In der Folgezeit besuchten Thoma und Tirpitz noch weitere Veranstaltungen in verschiedenen bayerischen und norddeutschen Städten. Am 28. September 1917 verteidigte der Schriftsteller in der München-Augsburger Abendzeitung die Ziele der Partei gegen Angriffe von Seiten der Sozialdemokratie und der linksliberalen Parteien; auch wurden mehrere seiner Parteireden in Zeitungen publiziert (siehe Quellenverzeichnis). Trotz des hohen Bekanntheitsgrades des Volksschriftstellers konnte die Partei aber gerade auf dem flachen Land keine Erfolge verbuchen.

Parteinahe Medien

Zum süddeutschen Sprachrohr der Partei entwickelte sich die München-Augsburger Abendzeitung. Auch die Süddeutschen Monatshefte standen der DVLP nahe: Im Januar und Februar 1918 veröffentlichten Karl Alexander von Müller (1882-1964) und Ludwig Thoma kriegstreiberische Aufrufe "An die deutschen Arbeiter", während Tirpitz sich über "Deutschland und die belgische Frage" auslassen durfte. Ebenso scheint die katholische Wochenschrift Allgemeine Rundschau mit der neuen Partei sympathisiert zu haben: Chefredakteur Ferdinand Abel empfahl im Leitartikel vom 13. Oktober 1917 den bürgerlichen Parteien und insbesondere dem Zentrum eine Zusammenarbeit mit der DVLP. Abel betonte, dass "die bayerische Gruppe ein anderes Gesicht als das ostpreußische Gründungsgebilde" habe; zudem müsse berücksichtigt werden, dass "hervorragende Vertreter des bayerischen katholischen Adels, der Geistlichkeit und der Zentrumspartei bei dem Aufruf unterzeichnet haben" (Allgemeine Rundschau. Wochenschrift für Politik und Kultur, Nr. 41 vom 13. Oktober 1917, 682). Am 20. Oktober desselben Jahres veröffentlichte das Blatt außerdem einen speziell an die Mitglieder der Zentrumspartei gerichteten Werbeaufruf.

Aktivitäten und Tumulte

Die Aktivitäten der Partei in Bayern sind schwer zu greifen. Auf öffentlichen Parteikundgebungen, wie sie zum Beispiel am 10. November 1917 in der Münchner Tonhalle sowie im Münchner Löwenbräukeller stattfanden, wurden außenpolitische Maximalforderungen gepredigt und es wurde für Mitgliedschaften geworben. Ob der bayerische Landesverband oder einige seiner Ortsgruppen ebenso wie zum Beispiel der rheinische Landesverband im Oktober 1917 Feierlichkeiten aus Anlass des 400-jährigen Jubiläums der Reformation abhielt (Weißbecker, Deutsche Vaterlandspartei, 396), ist unbekannt.

Der zeitgenössischen Presse ist zu entnehmen, dass diese Versammlungen nicht selten zu Tumulten gerieten, da die offenbar stets zahlreich vertretenen Veteranen und Kriegsversehrten gegen die Annexionstiraden lautstarke Proteste erhoben (vgl. z. B. Münchener Post vom 11. Januar 1918, 5). Zum reichsweiten Programm der Partei gehörte die Abhaltung von Reichsgründungsgedenkfeiern. Eine solche fand am 21. Januar 1918 auch im Münchner Hotel Wagner statt; Festredner war Karl Alexander von Müller. Als nach ihm der als fanatischer Annexionist geltende Max von Gruber auftrat, musste die Versammlung infolge heftiger Protestszenen anwesender Veteranen abgebrochen werden (Münchener Post vom 22. Januar 1918, 5). Gruber strengte daraufhin eine Beschwerde wegen angeblich unzureichender Polizeipräsenz an – diese wurde am 2. März 1918 durch die Regierung von Oberbayern abgewiesen (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, MInn, 73625).

Im Kontext der Januarstreiks von 1918, bei welchen sich der Unmut der Arbeiterschaft gegen eine weitere Verlängerung des als verloren erkannten Krieges entlud, wurde die als kriegstreiberisch geltende DVLP von Seiten der Streikenden offen angefeindet. In diesem Zusammenhang kam es zu Tumulten und Zusammenstößen unter anderem in Berlin, Leipzig und München. Das bayerische Innenministerium ließ daher die Möglichkeit prüfen, solche – die streikenden Arbeiter zusätzlich provozierenden – Versammlungen zu verhindern (Hagenlücke, Deutsche Vaterlandspartei, 242).

Organisation

Die DVLP hatte eine zentrale Hauptleitung mit Sitz in Berlin und war auf mittlerer und unterer Ebene in Landes-, Kreis- und Ortsvereine gegliedert. Die Berliner Hauptgeschäftsstelle der DVLP beschäftigte Ende 1917 beinahe 150 Mitglieder. Die Landes-, Kreis- und Ortsvereine waren laut Satzung nach Bedarf zu errichten. Die Ortsvereine konnten nur über die Landesvereine mit dem Parteivorstand verkehren. Kreisvereine waren nur im Bedarfsfall zwischenzuschalten; sie hatten keine Mitglieder und dienten den Landesvereinen lediglich als Verwaltungsorgane. Im Juli 1918 gab es deutschlandweit 32 Landesvereine, 237 Kreisvereine und 2.536 Ortsvereine (Ullrich, Deutsche Vaterlandspartei, 89-96; Weißbecker, Deutsche Vaterlandspartei, 397; Etue, 74-77). Inwieweit die Bayern-DVLP, die ihre Geschäftsstelle in der Neuhauserstr. 10 in München hatte, in Kreis- und Ortsvereine untergliedert war, ist bisher noch kaum bekannt.

Im Februar 1918 hatte der bayerische Landesverband, der einer der kleinsten des ganzen Reiches war, lediglich 3.478 Mitglieder. Davon entfielen über 1.000 auf die Ortsgruppe München und rund 600 auf Nürnberg (Hagenlücke, Deutsche Vaterlandspartei, 243). Die Ausbreitung auf die ländlichen Regionen war demnach völlig misslungen. Bekannt ist weiterhin die Existenz einer Ortsgruppe in Neustadt (Rheinpfalz), welche aber außer einer Kundgebung am Tage ihrer Gründung (21. April 1918) nicht öffentlich in Erscheinung trat. Da die Unterzeichner des Gründungsaufrufes vom 2. Oktober 1917 zwar mehrheitlich aus München, darüber hinaus aber auch aus Ingolstadt, Augsburg, Kempten, Regensburg, Nürnberg, Fürth, Erlangen, Bamberg, Würzburg, Stadtsteinach und Hof stammten, ist wohl von einer Gründung von Ortsgruppen in einigen dieser Städte auszugehen.

Auflösung

Im Winter 1917/18 hatte der bayerische "Preußenhass" infolge der schlechten Ernährungslage und hoher Verluste unter den bayerischen Truppen einen Höhepunkt erreicht. Da die DVLP in Süddeutschland im Ruche eines ostpreußischen Interessenverbands stand, war der bayerische Landesverband der Partei also von Beginn an auf denkbar schlechte Voraussetzungen getroffen. Nach den Unruhen im Kontext der Januarstreiks von 1918, als deren Mitverursacher die DVLP angesehen wurde, zog sich die Annexionistenpartei offenbar aus der Öffentlichkeit zurück. Während Hagenlücke davon ausgeht, dass die Tätigkeit des bayerischen Landesverbandes nach dem März 1918 mehr oder weniger versandete, berichtet Zorn davon, dass noch im August oder September 1918 eine – allerdings durch Gegner vorzeitig gesprengte – Parteiversammlung stattfand (Hagenlücke, Deutsche Vaterlandspartei, 243; Zorn, Bayerns Geschichte, 115). Das formale Ende des bayerischen Landesverbandes dürfte wohl spätestens im Zuge der am 10. Dezember 1918 beschlossenen Selbstauflösung der Gesamtpartei erfolgt sein.

Bewertung

Die bayerische DVLP gilt in der Forschung als "isolierte Erscheinung im Leben der Monarchie" und "kleine Ansammlung radikaler Intellektueller" ohne jede Breitenwirkung (Hagenlücke, Deutsche Vaterlandspartei, 244.) Es sollte jedoch nicht übersehen werden, dass sich wichtige Vordenker und Führer – darunter nicht zuletzt zahlreiche Professoren und Lehrer - der nationalradikalen Rechten Bayerns hier früh zu einem Netzwerk zusammengefunden haben, dessen Bedeutung beim derzeitigen Forschungsstand noch nicht ermessen werden kann.

Dokumente

Literatur

  • Willy Albrecht, Landtag und Regierung in Bayern am Vorabend der Revolution von 1918. Studien zur gesellschaftlichen und staatlichen Entwicklung Deutschlands von 1912-1918 (Beiträge zu einer historischen Strukturanalyse Bayerns im Industriezeitalter 2), Berlin 1968, 286-291.
  • Karl Ludwig Ay, Volksstimmung und Volksmeinung als Voraussetzung der Münchener Revolution von 1918, in: Karl Bosl (Hg.), Bayern im Umbruch. Die Revolution von 1918, ihre Voraussetzungen, ihr Verlauf und ihre Folgen, München 1969, 345-386 (359, 377).
  • Peter Emil Becker, Zur Geschichte der Rassenhygiene. Wege ins Dritte Reich, Stuttgart/New York 1988.
  • Steffen Bruendel, Volksgemeinschaft oder Volksstaat. Die "Ideen von 1914" und die Neuordnung Deutschlands im Ersten Weltkrieg, Berlin 2003 [v. a. 149-153, 198-203; jedoch keine bayernspezifischen Angaben].
  • Georg Edward Etue, The German Fatherland Party, 1917-1918, o.O. [Diss. masch. University of California] 1959 [ohne Bayernbezug, aber interessant wegen der internationalen Perspektive].
  • Heinz Hagenlücke, Deutsche Vaterlandspartei. Die nationale Rechte am Ende des Kaiserreiches (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 108), Düsseldorf 1997.
  • Heinz Hagenlücke, Wie tot war die Vaterlandspartei 1919 wirklich?, in: Jost Dülffer/Gerd Krumeich (Hg.), Der verlorene Frieden. Politik und Kriegskultur nach 1918 (Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte N.F. 15), Essen 2002, 261-271.
  • Fridolf Kudlien, Max von Gruber und die frühe Hitlerbewegung, in: Medizinhistorisches Journal 17 (1982), 373-389 (375).
  • Raffael Scheck, Alfred von Tirpitz and German Right-Wing Politics, 1914-1930 (Studies in Central European Histories), New Jersey 1998 (Vaterlandspartei: 65-81; jedoch kaum Informationen zu Bayern).
  • Dirk Stegmann, Die Erben Bismarcks. Parteien und Verbände in der Spätphase des Wilhelminischen Deutschlands. Sammlungspolitik 1897-1918. [zur DVLP: 497-519; jedoch keine bayernspezifischen Angaben]
  • Robert Ullrich, Die Deutsche Vaterlandspartei 1917/18. Zur Entstehung, Rolle und Funktion einer extrem reaktionären Partei des deutschen Imperialismus und zu ihrem Platz im bürgerlichen Parteiensystem, Diss. masch. Jena 1971.
  • Hans-Ulrich Wehler, "Wilhelminischer Honoratiorenklüngel oder protofaschistische Massenbewegung: Die 'Deutsche Vaterlandspartei' von 1917/18, in: Ders., Politik in der Geschichte. Essays (Beck'sche Reihe 1240), München 1998, 172-177.
  • Manfred Weißbecker, Deutsche Vaterlandspartei, in: Dieter Fricke u. a. (Hg.), Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland (1789-1945). 2. Band, Leipzig 1984, 291-403.
  • Karl Wortmann, Geschichte der Deutschen Vaterlands-Partei 1917-1918, Halle 1926.
  • Wolfgang Zorn, Bayerns Geschichte im 20. Jahrhundert. Von der Monarchie zum Bundesland, München 1986.

Quellen

  • Bayerisches Hauptstaatsarchiv, MInn, 73625 [sehr dünner Akt; enthält u. a.: Bericht des bayerischen Gesandten Graf Lerchenfeld über die Aktivitäten der DVLP in Berlin; Propagandamaterial der DVLP; Zeitungsartikel über die DVLP; Berichte der Münchener Polizeidirektion].
  • Allgemeine Rundschau. Wochenschrift für Politik und Kultur 14 (1917), Nr. 41 vom 13. Oktober 1917, 698-699 [Gründungsaufruf des bayerischen Landesvereins der Deutschen Vaterlandspartei vom 2. Oktober 1917].
  • Georg von Below, Das gute Recht der Vaterlandspartei (Schriften der Deutschen Vaterlandspartei 1), Berlin o. J.
  • Georg von Below, Katechismus der deutschen Vaterlandspartei (Schriften der Deutschen Vaterlandspartei 2), Berlin o. J.
  • Konrad Bechtold, Die Deutsche Vaterlandspartei. Ihre Entstehung und Aufgaben, Berlin 1918.
  • Franz von Buhl, Vaterlandspartei. Rede bei der Versammlung in der Philharmonie, Berlin 24. September 1917, in: Ders., Reden und Aufsätze 1900-1921. Nach seinem Tode gesammelt. Mit einem Vorwort von Hugo Graf Lerchenfeld-Köfering, München/Berlin 1922, 128-131.
  • Franz von Buhl, Was will die Deutsche Vaterlandspartei? [Rede bei der Versammlung der Ortsgruppe Neustadt a.d.Hdt. der Deutschen Vaterlandspartei am 21. April 1918], München 1918.
  • Hans Delbrück, Die Deutsche Vaterlandspartei, in: Preussische Jahrbücher 170 (1917), 154-157 [Kritik an der DVLP].
  • Deutsche Ziele. Reden bei der ersten öffentlichen Parteikundgebung. Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg, Großadmiral von Tirpitz, Generallandschaftsdirektor a. D. Kapp u. a., Berlin o. J.
  • Ludwig Thoma, Deutschland wach auf!, in: München-Augsburger Abendzeitung, Nr. 511 vom 28. September 1917, 1.
  • Ludwig Thoma, Ernährungsverhältnisse bei einem schlechten Frieden, in: Kriegshefte der Süddeutschen Monatshefte Oktober 1917 bis März 1918, 360-362.
  • Max Weber, Vaterland und Vaterlandspartei, in: Gesammelte Politische Schriften (Bücherei für Politik und Geschichte des Drei Masken Verlags), München 1921, 266-269 [Kritik an der DVLP].
  • Mitteilungen der Deutschen Vaterlands-Partei: Korrespondenz für die Organisationen und für die Presse, Nr. 1.1917 (1.Dez.) - 39.1918 (16.Nov.), Berlin 1917-1918.

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Empfohlene Zitierweise

Sarah Hadry, Deutsche Vaterlandspartei (DVLP), 1917/18, publiziert am 20.12.2007; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Deutsche_Vaterlandspartei_(DVLP),_1917/18> (3.12.2024)