Brauereien (19. Jahrhundert)
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Die Brauereien, die im heutigen Bayern um 1800 bestanden, waren aus der Brautätigkeit von Kirche, Adel und Bürgertum seit dem Mittelalter hervorgegangen. Säkularisation und Mediatisierung (1802-1806) wälzten diese Besitzstruktur erheblich um. Liberale Reformen in Bayern seit Beginn des 19. Jahrhunderts begünstigten allmählich Investitionen und Innovationen im Brauwesen. Bahnbrechende technische Neuerungen waren entscheidend dafür, dass das bayerische Bier deutschland- und dann weltweit beliebt wurde: Etwa seit 1840 wurden die hellen und dunklen bayerischen Lagerbiere zum Exportschlager. 1913 war ein Höhepunkt erreicht: In diesem Jahr stammte laut Statistik weltweit jedes zehnte getrunkene Bier aus Bayern (Bierausstoß Bayerns im Sudjahr 1912/13: 19,3 Mio. hl, Bierabsatz 2019: 23,8 Mio. hl). Der Erste Weltkrieg (1914-1918) verursachte ein massives "Brauereisterben".
Die bayerische Brauereilandschaft am Ende des Ancien Régime
Kurz vor 1800 bestand in den Territorien des heutigen Bayern eine differenzierte Brauereistruktur, die aus der Brautätigkeit der Stände seit dem Mittelalter hervorgegangen war. Die weltlichen und geistlichen Fürsten betrieben eigene, privilegierte (Hof-)Brauhäuser. Genannt sei hier das System der kurfürstlich bayerischen Sudstätten für das mit untergäriger Hefe hergestellte Braun- und das obergärige Weißbier. Letztere Braustätten (u. a. in München, Vilshofen, Traunstein und Kelheim) genossen in Ober- und Niederbayern ein Monopol und waren lange ein Hauptpfeiler des kurbayerischen Staatshaushalts, bis das Weißbier in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunehmend unbeliebter wurde. Auch die Bischöfe von Freising, Passau, Bamberg und Würzburg oder der Fürstabt von Kempten erwirtschafteten mit ihren Hofbräuhäusern wertvolle Einnahmen. Die Reichsstadt Nürnberg betrieb ein privilegiertes Weizenbrauhaus (1672–1806).
Zahlreich waren ferner die Brauereien kirchlicher Spitäler und vor allem der Klöster, die seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) eine Blütezeit erlebten. Ausgestattet mit landesherrlichen Schankkonzessionen, verdienten die Gemeinschaften mehr und mehr Geld mit dem Bierverkauf. Braugetreide, Hopfen und Brennholz kamen meist aus der eigenen Land- und Forstwirtschaft. Hiervon profitierten vor allem grundbesitzende Prälatenklöster wie Niederaltaich (Lkr. Deggendorf), Weihenstephan (Lkr. Freising), Tegernsee (Lkr. Miesbach), Ebrach (Lkr. Bamberg) oder Roggenburg (Lkr. Neu-Ulm). Das niederbayerische Kloster Aldersbach (Lkr. Passau) besaß um 1800 mit einem Jahresausstoß von 3.400 Hektolitern (hl) geradezu eine Großbrauerei. Aber auch Bettelordenklöster wie die Franziskaner auf dem Kreuzberg in der Rhön (Lkr. Rhön-Grabfeld) oder das Münchner Paulanerkloster zu Neudeck ob der Au erlangten im Lauf des 18. Jahrhunderts über ihren Eigenbedarf hinausgehende Schankgenehmigungen.
Der reichsfreie Adel, etwa die schwäbischen Grafen von Oettingen-Wallerstein, aber auch der landsässige Adel der Fürstentümer des heutigen Bayern gründete seine Schloss- und Gutsbrauereien hauptsächlich im 16. und 17. Jahrhundert. Zahlreich waren die ländlichen Brauhäuser gerade in den Hofmarken, den adligen Herrschaftsbezirken Altbayerns. Das belegt etwa die von Kurfürst Maximilian I. (1573-1651, Herzog ab 1597, Kurfürst ab 1623) erlassene, später fortgeschriebene Brauhauskonzessionsmatrikel von 1640. Exemplarisch genannt seien die Sudstätten der Grafen Preysing bzw. Grafen Arco im niederbayerischen Moos (Lkr. Deggendorf), der Grafen von Maxlrain nahe Bad Aibling (Lkr. Rosenheim) und der Grafen von Haimhausen (Lkr. Dachau). Trotz landesherrlicher Versuche, die adligen Braunbier-Brauereien zahlenmäßig zu begrenzen, waren diese gerade im 18. Jahrhundert so erfolgreich, dass die kurfürstliche Verwaltung sie maßgeblich für den Niedergang des Weißbiermonopols verantwortlich machte.
Die meisten, dafür aber im Durchschnitt eher kleinen Brauereien standen in den Städten und Märkten. Bedeutend war hierbei das in Ostbayern, Mittel- und Oberfranken verbreitete Kommunbrauwesen, bei dem eine Vielzahl berechtigter Bürger ein gemeinsames Brauhaus nutzte. In einigen Gemeinden der nördlichen Oberpfalz wird es heute noch praktiziert und der dort gebraute und ausgeschenkte echte "Zoigl vom Kommunbrauer" erfreut sich großer Beliebtheit. Abgesehen von solchen Sonderformen waren die bürgerlichen Brauer seit dem Spätmittelalter jedoch gewöhnlich in Zünften organisiert. Das Zunftwesen wollte jedem Mitglied sein Auskommen sichern und bot soziale Sicherheit, hemmte aber durch Zwangsmitgliedschaft und starre Vorschriften den Wettbewerb und die unternehmerische Initiative.
Besonders deutlich wird dies am sog. Märzenbierlos, das etwa in München, Landau a. d. Isar oder Straubing üblich war. Das untergärige Braunbier, das wegen der notwendigen niedrigen Gärtemperaturen (4 bis 9 °C) im Sommer nicht produziert werden durfte, wurde im März und April auf Vorrat gebraut. Beim Ausschank dieses Märzen- oder Sommerbieres während des Sudverbots zwischen Georgs- (23. April) und Michaelstag (29. September) mussten sich die Brauherren gemäß einer ausgelosten Reihenfolge abwechseln. Die Nachfrage der Konsumenten spielte dabei keine Rolle. Ferner war jedes der obrigkeitlich verliehenen Braurechte an die notwendigen Produktionsanlagen und damit an ein bestimmtes Haus gebunden ("radiziert"). Durch all die Regulierungen war die Zahl der bürgerlichen Brauereien in den Städten, meist bereits im Lauf des 17. Jahrhunderts, auf einen bestimmten Stand eingefroren. Für München wird für die Zeit um 1800 die Zahl 52 genannt.
Säkularisation und Mediatisierung
Entsprechend der starken herrschaftlichen Prägung des Brauwesens wälzten die Säkularisation der Klöster und geistlichen Herrschaften sowie die Mediatisierung der weltlichen Territorien ab 1802 die bayerische Brauereistruktur um. Die Sudstätten der Klöster und die Eigenbetriebe der Reichsstädte fielen an den Staat, der die allermeisten an Privatpersonen weiterveräußerte. Viele Betriebe wurden später stillgelegt, worüber die folgenden Gegenbeispiele nicht hinwegtäuschen dürfen: So gelangten die vormalige Klosterbrauerei Aldersbach 1811 in den Besitz der Freiherren von Aretin, das Nürnberger Weizenbrauhaus 1855 an die Freiherren Tucher von Simmelsdorf (zuvor war es als Königliches Bräuhaus vom Staat geführt worden), das Brauhaus in Ellingen (Lkr. Weißenburg-Gunzenhausen) 1815 zusammen mit weiterem ehemaligem Besitz des Deutschen Ordens als Teil eines Thronlehens an den königlichen Feldmarschall Carl Philipp Fürst von Wrede (1767–1838) oder die vormalige Brauerei des Münchner Augustinerklosters 1829 an die Familie Wagner. Nur wenige Klosterbrauereien wurden gerettet und bestanden als solche fort: Die als sog. Aussterbeklöster vorgesehenen franziskanischen Niederlassungen auf dem Kreuzberg (Lkr. Rhön-Grabfeld) sowie in Reutberg (Lkr. Bad Tölz-Wolfratshausen) wurden 1826 bzw. 1835 von König Ludwig I. (1786–1868, König 1825–1848) neu bestätigt, so dass die Brauereien den Betrieb fortsetzen konnten. Andere Sudstätten kamen bei der Neubesiedlung von Ordensniederlassungen im Lauf des 19. Jahrhunderts wieder in geistlichen Besitz, so geschehen 1838 in Scheyern (Lkr. Pfaffenhofen a.d.Ilm), 1842 in Weltenburg (Lkr. Kelheim), 1850 in Andechs (Lkr. Starnberg), 1881 in Mallersdorf (Lkr. Straubing-Bogen), 1893 in Ursberg (Lkr. Günzburg) und 1900 in Ettal (Lkr. Garmisch-Partenkirchen).
Liberale Reformen
Mit den liberalen Reformen Kurfürst Maximilians IV. Joseph (1756–1825, Kurfürst 1799–1806, König 1806–1825) und seines wichtigsten Ministers, Maximilian Joseph Grafen von Montgelas (1759–1838, Minister 1799–1817), begann die allmähliche Entfesselung des bayerischen Brauwesens von staatlicher Regulierung und Wettbewerbshindernissen. Bereits Max‘ Vorgänger Kurfürst Karl Theodor (1725–1799, Kurfürst 1777–1799) hatte 1798 das Weißbiermonopol aufgehoben, was sich angesichts der eher nachrangigen Bedeutung des obergärigen Weißbiers im 19. Jahrhundert zunächst nicht durchschlagend auswirkte. Revolutionär war hingegen, dass mit Wirkung zum 29. September 1800 die Märzenbierlose und der Bierzwang fielen, gemäß dem viele Wirte bisher nur das Bier einer bestimmten Brauerei, häufig der der örtlichen Herrschaft, ausschenken durften. 1812 wurde der schon länger betriebene Ausschank der Brauereien auf ihren Sommerbier-Lagerkellern legalisiert, was als offizielle Geburtsstunde des Biergartens gilt. Das Zunftwesen wurde in der bisherigen Form aufgehoben und durch staatliche Konzessionierungen sowie Gewerbevereine, die Vorläufer der Innungen, ersetzt.
Langsam durften die Betriebe auch wachsen: So genehmigte die Münchner Stadtverwaltung den Pionierunternehmern Joseph Pschorr (1770–1841) 1814 und Gabriel Sedlmayr d. Ä. (1772–1839) 1826 jeweils eine zweite Sudpfanne. Später expandierten die Unternehmen durch Zukauf verwaister Braurechte. 1862 gab eine neue bayerische Gewerbeordnung die Betriebsgröße endgültig frei. Ähnlich lang war der Markt noch staatlich geregelt: Das "Biersatzregulativ" von 1811 setzte fest, wie viel eine Maß (1,069 Liter) höchstens kosten durfte. Erst seit 1865 konnte sich der Bierpreis frei bilden. Zugleich fiel aufgrund besserer Kühlmöglichkeiten das seit über dreihundert Jahren geltende Sommersudverbot. Mit der 1868 in Bayern eingeführten Gewerbefreiheit stand es schließlich jedermann ohne staatliche Konzession frei, eine Brauerei zu gründen.
Technische Innovationen
Bahnbrechende technische Neuerungen waren entscheidend dafür, dass das bayerische Bier im Lauf des 19. Jahrhunderts deutschland- und dann weltweit beliebt wurde. Bereits kurz nach 1800 begannen Münchner Brauereien, indirekt beheizte Heißluft-Malzdarren einzusetzen, die den bis dahin unvermeidlichen Rauchgeschmack – später dann ein Qualitätsmerkmal des Bamberger Rauchbiers – aus dem Bier eliminierten. Als besonders wichtiges Vorbild erwies sich das Brauwesen in Großbritannien. Hier gab es schon Ende des 18. Jahrhunderts Großbetriebe, die statt mit Holz mit der energiereicheren Kohle heizten und Dampfkraft einsetzten. In den Jahren 1833/34 unternahm Gabriel Sedlmayr d. J. (1811–1891), Spatenbräu-Erbe aus München, mit Georg Lederer (1811–1852) aus Nürnberg und dem Wiener Anton Dreher sen. (1810–1863) eine Fortbildungsreise nach Großbritannien. Sie gewannen dort – teilweise durch Industriespionage – revolutionäres Know-how für den Mälz-, Sud- und Gärprozess.
Während ihnen das Thermometer, das eine genauere Temperaturführung beim Brauen ermöglichte, bereits geläufig war, lernten sie erst in Großbritannien das von John Richardson (1743–1815) erfundene Saccharometer (auch: Saccharimeter) kennen. Mit ihm konnte man den Extraktgehalt der Bierwürze bestimmen, also den Anteil an gelösten Stoffen, im Wesentlichen Malzzucker. Dieser wird bei der Gärung teilweise in Alkohol und Kohlensäure umgewandelt. Mit dem Saccharometer bekam ein Brauer also den anfänglichen Extraktgehalt (sog. Stammwürze), den Gärprozess und den Alkoholanteil des Biers exakt in den Griff. Erstmals wurde so ein wiederholbarer Brauprozess mit genau kontrollierbarer Bierqualität möglich.
Als ebenso wichtig erwiesen sich verbesserte Kühlmethoden. Im Gegensatz zum obergärigen benötigte das untergärige Bier für seine Gärung und Reifung kühle Keller, die auch für seine Vorratslagerung während der Sommersaison unverzichtbar waren. Mancherorts, so in Bamberg, Forchheim, Schwandorf, Tölz oder Dachau, gab es natürliche, kühle Felsenkeller. Anderswo wurden Keller seit dem 18. Jahrhundert neu gegraben und ausgemauert (z. B. Regensburg, Wasserburg a. Inn, Rosenheim und natürlich die Isar-Hangkante in München). Die steigende Produktion der Brauereien erzwang überall früher oder später den Einsatz von Eis. In München und Nürnberg benutzte man schon etwa seit 1830 Natureis aus Seen und Kanälen und baute Eiskammern an die Gär- und Lagerkeller an. Der Eisbedarf stieg aber nach der Jahrhundertmitte exponentiell, sodass in milden Wintern Gletscher- oder sogar skandinavisches Eis teuer beschafft werden musste. Abhilfe schuf die maschinelle Kühlung. Hier setzte sich im Jahr 1875 – wiederum gefördert von der Münchner Spaten- und der Wiener Dreher-Brauerei – die Ammoniak-Kompressionskältemaschine des Oberfranken Carl von Linde (1842–1934) durch ("Linde-Kältemaschine"), die erstmals 1873 bei Spaten erprobt worden war. Damit erzeugten kapitalkräftige Brauereien zunächst ihr eigenes künstliches Stangeneis. Seit den 1880er Jahren wurden die Gär- und Lagerkeller auch mit separaten Kühlleitungen temperiert. Seit ca. 1890 wurden die Ozeandampfer für den weltweiten Bierexport mit Kältemaschinen ausgestattet, damit die Qualität der Biere während des Transports nicht litt.
Als Antrieb für die Kältemaschinen, aber auch für die Rührwerke und zum Heizen begannen die Brauer hierzulande ab etwa 1840, die Dampfkraft zu nutzen. Vorreiter war der Zacherlbräu in München, die heutige Paulanerbrauerei. Um 1860 waren nahezu alle großen bayerischen Brauereien mit Dampfbetrieb ausgestattet, gegen Ende des Jahrhunderts kam der elektrische Strom auf. Beispiele für Pionierunternehmer, die ihre Betriebe umfassend modernisierten, sind neben Gabriel Sedlmayr d. Ä. und Gabriel Sedlmayr d. J. sowie dem Augustinerbräu von Joseph Wagner (1819–1900) in München auch Theodor von Tucher (1838–1916) in Nürnberg und die Witwe Eva Margaretha Reichel (1824–1885) in Kulmbach.
Die Geburtsstunde des wiedererkennbaren Markenbiers, wie wir es heute kennen, schlug dann endgültig mit der Erfindung der Hefereinzucht. Sie fußte wesentlich auf den Pionierleistungen von Louis Pasteur (1822–1895) und Robert Koch (1843–1910) in der Mikrobiologie, war aber auch mit dem bayerischen Brauwesen verbunden. Im Labor der Carlsberg-Brauerei in Kopenhagen (Dänemark) isolierte Emil Christian Hansen (1842–1909) aus dem für das dortige "bayerische" Bier verwendeten, von Spaten in München bezogenen untergärigen Hefestamm im Jahr 1883 eine einzige Hefezelle. Es gelang ihm, diese in Reinkultur zu vermehren. Nun war es möglich, "wilde" Hefen und Milchsäurebakterien völlig aus dem Bier herauszuhalten. Sein Geschmack und seine Qualität waren von nun an beherrsch- und steuerbar.
Die Aufzählung der Fortschritte soll nicht verhehlen, dass viele kleine und mittlere Betriebe diese Innovationen erst viel später oder gar nicht umsetzen konnten. So blieb etwa das Natureis vielerorts mindestens bis Mitte des 20. Jahrhunderts unverzichtbar. Die neuartigen technischen Anlagen waren so teuer, dass nur finanzstarke Betriebe den Investitionsaufwand stemmen konnten. Deshalb gründeten sich seit den 1860er Jahren vermehrt Brauerei-Aktiengesellschaften. Viele kleinere Firmen verpassten hingegen den technischen Anschluss und konnten nicht mehr mithalten. So ging die Zahl der bayerischen Brauereien zwischen 1875 und 1905 um 14 % von 6.438 auf 5.548 zurück.
Siegeszug des bayerischen Biers
Die typisch bayerischen, hellen und dunklen Lagerbiere hoben sich vor allem durch die kalte Gärung mit untergäriger Hefe von Bieren anderer Regionen ab. Abgesehen von einzelnen Ausnahmen war die Untergärung eine bayerische Besonderheit, die sich wohl seit dem 15. Jahrhundert ausgehend von den Felsenkeller-Regionen in Franken und der Oberpfalz nach Süden ausgebreitet hat.
Etwa seit 1840 wurden die bayerischen Lagerbiere durch eine steigende auswärtige Nachfrage zum Exportschlager. Durch den Deutschen Zollverein (1834) fielen viele innerdeutsche Grenzzölle weg. Mit der Reichseinigung 1871 sanken die Zollhürden noch weiter. 1836 begann zwischen Nürnberg und Fürth, mit zwei Fässern der Nürnberger Lederer-Brauerei zunächst eher symbolisch, der Biertransport per Eisenbahn. Auch wenn dieser bis in die 1870er Jahre hinein noch viele technische Probleme machte, ermöglichte er doch allmählich einen großangelegten industriellen Bierexport, nach 1865 zunehmend mit isolierten, natur- oder stangeneisgekühlten Spezialwagen.
Anfangs waren die Brauereien in Kitzingen, Erlangen, Nürnberg und Kulmbach die wichtigsten Bierexporteure Bayerns. Als legendärer Beginn des großangelegten Kulmbacher Versandgeschäfts gilt eine 1831 vom Brauer Lorenz Sandler nach Leipzig abgesandte Bierfuhre. Erst ab Mitte der 1880er Jahre überflügelten die Münchner Brauereien die fränkischen Städte, denn die wachsende Landeshauptstadt hatte ihr Bier lange Zeit selbst getrunken. Hier und in ganz Deutschland steigerte in der Zeit der Industrialisierung die explodierende Bevölkerungszahl die Biernachfrage: In Bayern lebten 1875 fünf, 1910 schon 6,9 Mio. Menschen. Im Deutschen Reich stieg die Bevölkerung im selben Zeitraum sogar von 42,5 auf 64,9 Mio. Zwischen 1873 und 1913 hat sich der Ausstoß der bayerischen Brauereien nahezu verdoppelt, von etwa 11 auf knapp 20 Mio. hl. Nicht umsonst entstanden in dieser Zeit in München großgastronomische "Bierpaläste" wie der Löwenbräukeller (1883), das neue Hofbräuhaus am Platzl (1897), der Bürgerbräukeller (1885) und der Mathäser-Bräu (1892/1900). Vor allem die letzten beiden wurden später bei der Revolution von 1918/19 und beim Aufstieg bzw. in der Gedenkkultur der Nationalsozialisten zu bedeutsamen politischen Schauplätzen. Vom Bier geprägte Großgastronomie fand sich auch auf dem Gäubodenvolksfest in Straubing und auf der Münchner Wiesn. 1913 wurde dort die bis heute unerreichte größte Festhalle errichtet: Die Pschorr-Bräurosl fasste damals 12.000 Gäste. Im selben Jahr stammte laut Statistik weltweit jedes zehnte getrunkene Bier aus Bayern.
Das nördliche und östliche Deutschland, wo man bisher hauptsächlich obergärig gebraut hatte, blieb auf Dauer der wichtigste außerbayerische Biermarkt. Erst dahinter folgten das europäische Ausland (bedeutsam die Nachbarländer Belgien, Frankreich und Schweiz) und schließlich der Versand nach Übersee (vor allem Nordamerika, dahinter Asien und Afrika). Als entscheidend erwies sich der internationale Export aber für Prestige und Tourismus: Er begründete die weltweite Bekanntheit der gelebten, aber auch gern vermarkteten bayerischen Lebensart. Die geläufige Kombination aus Bier, Tracht, Blasmusik, Festzelt und Gemütlichkeit ist in dieser Form eine Schöpfung des späten 19. Jahrhunderts und verdankt ihre Beliebtheit entscheidend den bayerischen Großbrauereien, nicht zuletzt Löwenbräu aus München. Sie erwiesen sich als Meister der Werbung nach amerikanischem Vorbild. Ihre ab ca. 1880 geschaffenen Marken, z. B. das Spaten-Logo von Otto Hupp (1859–1949), sind frühe Formen des Corporate Design. Die Brauereien waren mit entsprechenden Präsentationen auf den Weltausstellungen vertreten und sammelten dort Medaillen: Genannt seien nur die Ausstellungen in Chicago (USA) 1893, Paris (Frankreich) 1900, Brüssel (Belgien) 1910 und Turin (Italien) 1911. Auch die "Bierpaläste" erwiesen sich als Exportschlager. Münchner, Nürnberger und Kulmbacher Brauereien betrieben Ausschänke in Berlin, Frankfurt (Hessen), Breslau (Wrocław/Polen) und zahlreichen anderen deutschen Städten, europaweit besonders in Paris (Frankreich) und London (Großbritannien). 1898 entstand am Broadway in New York (USA) das erste amerikanische Hofbräuhaus, 1910 feierte man auf Initiative bayerischer Einwanderer das erste brasilianische Oktoberfest in Porto Alegre (Brasilien).
Neben dem Getränk selbst wurde auch Know-how exportiert, denn das lukrative bayerische Bier forderte Nachahmer heraus, etwa in Berlin, Schlesien, Sachsen, Westfalen und – am folgenreichsten – im böhmischen Pilsen (Plzeň/Tschechien). Dort kreierte der Vilshofener Brauermeister Joseph Groll (1813–1887) im Jahr 1842 ein neues helles Bier "auf bairische Art". Die untergärige Hefe dafür hatte Groll aus seiner Heimat mitgebracht, während Malz, Hopfen und Wasser aus der Region kamen. Die Biere nach Pilsner Art – heute die weltweit beliebtesten – haben bayerische Wurzeln. Ebenso das Dortmunder Lagerbier: 1846 führte Wilhelm Overbeck (1798–1882) dort mit einer "bayerischen Bierbrauerei" die untergärige Brauart ein. Noch bis um 1870 wurde dort Münchner Hefe verwendet.
Von den 1890er bis in die 1920er Jahre mussten sich die bayerischen Brauer sogar vermehrt gegen eine Art Produktpiraterie wehren, als nämlich "Münchner" und "Kulmbacher" Biere auch in Dresden (Sachsen), Flensburg (Schleswig-Holstein), Neapel (Italien), Istanbul (Türkei) oder Punta Arenas (Chile) produziert wurden. Dem Schicksal des Pils, das sich tatsächlich zu einer herkunftsunabhängigen Sorte entwickelte, konnten die bayerischen Biere jedoch entgehen.
Das offensiv als Gütesiegel vermarktete, heute so genannte Reinheitsgebot scheint im 19. Jahrhundert hingegen als Qualitätsmerkmal bayerischen Bieres zunächst hinter der Untergärung und dem Dekoktionsverfahren (Kochung mehrerer Teilmaischen) zurückgestanden zu sein und erst allmählich an Bedeutung gewonnen zu haben. Man sollte sich hüten, in diesem Zusammenhang eine ungebrochene Traditionslinie seit 1516 vorauszusetzen. Erst seit den 1860er Jahren wird die Wahrnehmung dieser Vorschrift als ein Wesenskern bayerischen Bieres fassbar: 1861 beschloss der Landtag ihre Fortgeltung, parallel zum Strafgesetzbuch vom selben Jahr, das Getränkeverfälschung strenger als bisher ahndete. Eine wichtige Rolle spielte auch die Besteuerung des Malzes, gemäß der die Verwendung von Malzersatzstoffen strafbar war. In Kommentaren zum Malzaufschlaggesetz von 1868 ist erstmals davon die Rede, dass u. a. das "Wesen des bayerischen Biers" hierdurch zu schützen sei. Man darf annehmen, dass solche Überlegungen im Lichte des beschriebenen Exportbooms, aber auch wegen noch im späten 19. Jahrhundert zahlreich belegbarer Fälle illegaler Bierklärmittel und Konservierungsstoffe in den Vordergrund rückten. Die früheste derzeit (Stand: 2020) bekannte Verwendung des heute gängigen, werbewirksamen Begriffs "Reinheitsgebot" datiert erst von 1909, in den Jahrzehnten zuvor war vom "Surrogatverbot" (Ersatzstoffverbot) die Rede.
Rückschlag im Ersten Weltkrieg
Der Erste Weltkrieg (1914–1918) stürzte die blühende bayerische Brauwirtschaft abrupt in eine Krise: Arbeitskräfte wurden zum Militär eingezogen, Produktionsmittel beschlagnahmt und Exportmärkte unerreichbar. Vor allem aber wurde das Braugetreide im Lauf des Krieges und darüber hinaus bis 1921 streng rationiert. Wegen Rohstoffmangels stellten vor allem kleinere Brauereien den Betrieb ein - davon konnten manche Großbrauereien durch Aufkäufe und Eingliederungen profitieren und sogar mit besseren Marktpositionen als vor dem Krieg in die Zeit der relativen Stabilität ab Mitte der 1920er Jahre starten. Bayerns Bierausstoß fiel im Kriegsverlauf um fast die Hälfte. Das unattraktive Dünnbier ließ auch den Pro-Kopf-Verbrauch sinken. Das "Brauereisterben" traf das landwirtschaftlich geprägte Königreich, in dem die Zahl der Sudstätten während des Krieges um ca. 8 % zurückging, dennoch weniger stark als den Rest Deutschlands. Nach Kriegsende ging es im Freistaat auch wegen der im Vergleich besseren Malzversorgungslage etwas schneller wieder aufwärts, eine Konsolidierung war allerdings erst nach der Hyperinflation von 1923 möglich, die eine weitere Kaufkraft- und Absatzkrise sowie einen sprunghaften Anstieg des nichtgewerblichen Hausbrauens bewirkte.
Literatur
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Quellen
- Brauhauskonzessionsmatrikel vom 20.12.1640 (Abschrift mit Nachträgen des 18. Jahrhunderts), Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Staatsverwaltung 1853d.
- Das schwarze Buch der Bierreklame. Der Mißbrauch mit fremden Bierherkunftsbezeichnungen, in Beispielen bildlich dargestellt und textlich erläutert, hg. vom Verband bayerischer Versandbrauereien e.V., München 1923.
- Dominikus von Linprun, Unzielsetzlicher Vorschlag zu Verbesserung des Weissen Bier Regals in Baiern [1781]. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, GR Fasz. 175 Nr. 4 (Hofkammer).
- Gabriel Sedlmayr d.J., Notizbuch sowie Briefe an den Vater von der Großbritannienreise 1833/34. Stadtarchiv München, Nachlass Fritz Sedlmayr, Karton F4.
Weiterführende Recherche
Externe Links
- Bayerischer Brauer Bund e. V.
- Bayerischer Brauer Bund: Brauereien und Brauereigasthöfe in Bayern
- Bayerisches Brauereimuseum Kulmbach
- Bayerische Landesbibliothek Online: Bayerisches Brauer-Journal
- Bier- und Oktoberfestmuseum München
- Private Brauereien Bayern e. V.: Übersicht der privaten Brauereien in Bayern
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Empfohlene Zitierweise
Michael Nadler, Brauereien (19. Jahrhundert), publiziert am 09.09.2020; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Brauereien_(19._Jahrhundert) (10.12.2024)