Nürnberger Patrizier
Aus Historisches Lexikon Bayerns
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Die politische und gesellschaftliche Führungsschicht der Stadt Nürnberg, seit dem 16. Jahrhundert Patriziat genannt, geht auf die hochmittelalterlichen Ministerialen (Dienstadel) zurück. Sie kamen im Zuge der staufischen Politik nach Nürnberg, wo sie im Spätmittelalter politisch und wirtschaftlich führend waren. Während im Mittelalter noch zahlreichen Familien der Aufstieg gelang, schloss sich ab 1521 das aus 42 Familien bestehende Patriziat standespolitisch ab. Bis zum Ende der Reichsstadt behielt das Patriziat seine politische Führungsrolle in Nürnberg bei. Es zog sich aber aus kaufmännischen Aktivitäten zurück und näherte sich dem Adel an. Im 18. Jahrhundert erreichten die Nürnberger Patrizier die Gleichstellung mit der fränkischen Reichsritterschaft.
Begriffsbestimmung
Die zum Nürnberger Patriziat gehörenden Familien dominierten die Reichsstadt seit dem 13. Jahrhundert bis zum Übergang an Bayern politisch und gesellschaftlich. Bis zum 16. Jahrhundert waren sie auch wirtschaftlich führend. Die Zugehörigkeit zu dieser Schicht definierte sich durch die Mitgliedschaft im politisch alles bestimmenden Kleineren Rat der Reichsstadt. Der Begriff "Patriziat" wurde erst im Humanismus geprägt.
Ursprünge im Adel
Die Familien entstammten zum Teil der Ministerialität des Hochmittelalters. Die Ahnherren kamen im Zuge staufischer Städtepolitik oder infolge des Zusammenbruchs der staufischen Reichslandpolitik nach Nürnberg. Sie konnten dort führende Positionen besetzen (so die Muffel, Pfinzing, Holzschuher, Haller, Groß, Ebner). Zunächst gab es keine Unterschiede zwischen Stadt- und Landadel (belegt u. a. durch das Konnubium). Seit etwa der Mitte des 14. Jahrhundert führten wirtschaftliche Aktivitäten, Fernhandel, Montanunternehmen und Finanzgeschäfte der Nürnberger Patrizier dazu, dass sich Stadt- und Landadel zunehmend voneinander entfernten. Dennoch blieben die Nürnberger Geschlechter lehensfähig und führten ritterliche Wappen. Für die vom Landadel bestrittene Stifts- und Turnierfähigkeit schuf man sich innerhalb des eigenen Herrschaftsbereichs Ersatz (Gesellenstechen, eigene Standesklöster) und ließ sich ferner die Adelsqualitäten durch kaiserliche Adels- und Wappenprivilegien bestätigen.
Ergänzungen der Patrizierschicht im Spätmittelalter
Da im Spätmittelalter viele stadtadelige Familien ausstarben, war man gezwungen, neue Familien aus der dem Umfeld der bislang ratsfähigen Geschlechter aufzunehmen. So fanden im 15. Jahrhundert 22 neue Familien den Aufstieg ins Nürnberger Patriziat (z. B. die Kreß, Rieter, Harsdörffer). Nur eine Familie aus dem Handwerk, die Fütterer, schafften über Verlagswesen und Finanzgeschäfte die Aufnahme in den patrizischen Kleineren Rat der Reichsstadt. Vielfach erfolgte die Kooptation von Geschlechtern, die aus oberdeutschen Städten zugezogen waren (die Welser aus Augsburg, die Ehinger aus Ulm, die Imhoff und Paumgartner aus Lauingen). Eine wichtige Voraussetzung für die Erlangung der Ratsfähigkeit bot diesen neuen Geschlechtern das Konnubium mit den alten Patrizierfamilien.
Das Tanzstatut von 1521: Beschränkung auf wenige Familien
Mit dem Erlass des sog. Tanzstatuts von 1521 wurde der Kreis der ratsfähigen Familien endgültig festgeschrieben und das Patriziat von wenigen Familien (je nach Zählweise 37 bis 42) schloss sich kastenartig ab. Das Geblütsprinzip der "genießenden Familie" bestimmte fortan die Nürnberger Gesellschaft und Politik, denn allein diese Familien waren ratsfähig. Nur die Schlüsselfelder wurden 1536 noch kooptiert und den Oelhafen und Scheurl die Gerichtsfähigkeit zuerkannt. Erst im 18. Jahrhundert mussten zunächst sechs und dann nochmals drei Familien kooptiert werden (1729: Gugel, Oelhafen, Peßler, Scheurl, Thill und Waldstromer; 1788: Peller, Praun und Woelckern), da infolge Aussterbens nicht mehr alle Ämter und Deputationen in der reichsstädtischen Verwaltung aus dem Patriziat heraus besetzt werden konnten.
Stellung des Patriziats in der Nürnberger Gesellschaft
Bis zum Erlass des Tanzstatuts 1521 war in Nürnberg die Bildung einer hierarchisch in fünf Stände gegliederten Gesellschaft abgeschlossen. Die sozialen Abgrenzungen waren durch Titel, Kleidung und Lebensaufwand exakt definiert und beispielsweise in Kleiderordnungen obrigkeitlich geregelt, die Übergänge auf Reichtum und Wirtschaftskraft aber fließend. Als erster Stand hatte sich die oligarchische Gruppe des Patriziats etabliert, 42 Familien, die als einzige ratsfähig waren und die alleinige Macht in der Reichsstadt und ihrem Landgebiet ausübten. Den zweiten Stand, ahistorisch auch als Ehrbarkeit, modern als Großbürgertum bezeichnet, bildeten die Großkaufleute und die bedeutenden Juristenfamilien, die im Größeren Rat vertreten waren. Die übrigen Kauf- und Handelsleute des Größeren Rats sowie die acht Handwerksherren des Kleineren Rats machten den dritten Stand aus. Die Kleinhändler und Handwerker des Größeren Rats zählten zum vierten Stand. Hierzu war z. B. auch der Handwerker Albrecht Dürer (1471-1528) zu rechnen. Alle übrigen Bürger der Stadt bildeten den fünften Stand. Dem ersten bis vierten Stand gehörten von etwa 50.000 Einwohnern Nürnbergs im 16. Jahrhundert nur etwa 400-450 Personen an.
Streben nach Anschluss an den Adel
Je weiter die Feudalisierung des Nürnberger Patriziats seit dem 16. Jahrhundert voranschritt, desto stärker nahmen die ratsfähigen Familien Abstand vom wirtschaftlichen Leben ihres Stadtstaats, ein Vorgang, der im 16. Jahrhundert nicht auf Nürnberg beschränkt blieb, sondern auch in anderen Städten, wenn auch in weniger drastischen Formen sichtbar wurde. Dem umliegenden Landadel nacheifernd, erwarben die ratsfähigen Familien Güter auf dem Land und pflegten einen adelsgleichen Lebensstil. Im Laufe des 17. Jahrhunderts zogen sich die Nürnberger Patrizier vollends ins adelige Landleben zurück. Ihre Söhne nahmen fremde Hof- und Kriegsdienste an, andere wandten sich unter Aufgabe ihres Bürgerrechts der fränkischen Reichsritterschaft zu. Immerhin besaßen 39 Patrizierfamilien im 17. Jahrhundert die Eigenherrschaft über rund 3.000 bäuerliche Hintersassen.
Rangstreitigkeiten und -erhöhungen mit der Reichsritterschaft
Dem demonstrativen Streben nach Gleichrangigkeit und Ebenbürtigkeit des Nürnberger Stadtadels mit dem fränkischen Ritteradel, das 1654 in einem Streit um die Titulatur und Anrede eskalierte, trug Kaiser Leopold (reg. 1658-1705) 1696/97 auf Ansuchen der Nürnberger in zwei umfassenden Privilegien Rechnung. Das erste bestätigte das Nürnberger Patriziat formell als adelige Korporation und billigte ihm das Recht zu, weitere Familien zu kooptieren. Sie sollten als Neunobilitierte gerichtsfähig werden, aber keinen Anspruch auf Sitz und Stimme im Rat haben. Das zweite Diplom bestätigte den alten Adel der Nürnberger Geschlechter und gestand dem Rat korporativ den Titel "Edel" zu, was die Nürnberger jedoch weiterhin als Rangminderung gegenüber der freien Reichsritterschaft ansahen. Ein weiteres Privileg Kaiser Karls VI. (reg. 1711-1740) erhob 1721 die drei Obersten Hauptleute der Reichsstadt, die eigentliche Exekutive im Nürnberger Kleineren Rat, in den Rang von kaiserlichen Wirklichen Geheimen Räten und stellte sie damit in Rang und Titel den Ritterhauptleuten der Reichsritterschaft gleich.
Diese drei Privilegien erhoben das Nürnberger Patriziat standesmäßig über die Führungsschichten aller anderen Reichsstädte und etablierten es bei allen auch weiterhin bestehenden Differenzen quasi als eigenständigen fränkischen Ritterkanton. Nur einem Patrizier aus Nürnberg gestand man fortan zu, sofern er ein Rittergut besaß, den Sitz im Rat der Reichsstadt mit der Mitgliedschaft in der Reichsritterschaft zu verbinden. Wollte ein Nürnberger Ratsherr aber zusätzlich ein Amt in einem Ritterkanton übernehmen, musste er sein Bürgerrecht aufgeben.
Schicksal nach 1806
Während die Nobiles Norimbergenses ihre Gleichrangigkeit und Ebenbürtigkeit mit der freien Reichsritterschaft mühsam erkämpfen mussten, waren sie im Verwaltungs-, Hof- und Militärdienst beim Kaiser und bei anderen Reichsfürsten dem Ritteradel längst gleichgestellt. Diese Gleichrangigkeit erkannte auch das Königreich Bayern an, indem es von den 25 beim Übergang an Bayern noch blühenden patrizischen Geschlechtern die alten Familien in der bayerischen Adelsmatrikel bei der Freiherrenklasse immatrikulierte, während die erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts kooptierten Familien sich zunächst mit der Klasse der einfachen Adeligen zufrieden geben mussten.
Familie | Bemerkung | Illustration |
---|---|---|
Behaim | ||
Derrer | ||
Ebner | ||
Fürer | ||
Fütterer | ||
Geuder | ||
Groland | ||
Groß | ||
Grundherr | ||
Haller | ||
Harsdörffer | ||
Hegner | ||
Hirschvogel | ||
Holzschuher | ||
Imhoff | ||
Koler | ||
Kreß | ||
Löffelholz | ||
Meichsner | ||
Mendel | ||
Muffel | ||
Nützel | ||
Paumgartner | ||
Pfinzing | ||
Pirckheimer | ||
Pömer | ||
Prünsterer | ||
Rehlinger | ||
Reich | ||
Rieter | ||
Rummel | ||
Schopper | ||
Schürstab | ||
Stromer | ||
Tetzel | ||
Topler | ||
Tucher | ||
Volckamer | ||
Welser | ||
Wolff | ||
Zingel | ||
Zolner | ||
Gugel | Nach 1521 kooptierte Familien | |
Oelhafen | Nach 1521 kooptierte Familien | |
Peller | Nach 1521 kooptierte Familien | |
Peßler | Nach 1521 kooptierte Familien | |
Praun | Nach 1521 kooptierte Familien | |
Scheurl | Nach 1521 kooptierte Familien | |
Schlüsselfelder | Nach 1521 kooptierte Familien | |
Thill | Nach 1521 kooptierte Familien | |
Waldstromer | Nach 1521 kooptierte Familien | |
Woelckern | Nach 1521 kooptierte Familien | |
Die Aufstellung folgt dem Exkurs "Der Tanz auf dem Nürnberger Rathaus, insbesondere das Tanzstatut des Jahres 1521" in: Aign, Die Ketzel, 100-118. |
Literatur
- Michael Diefenbacher, Stadt und Adel - Das Beispiel Nürnberg, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 141 (1993), 51-69.
- Michael Diefenbacher/Rudolf Endres (Hg.), Stadtlexikon Nürnberg, Nürnberg 2. Auflage 2000.
- Rudolf Endres, Adel und Patriziat in Oberdeutschland, in: Winfried Schulze (Hg.), Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität (Schriften des Historischen Kollegs München, Kolloquien 12), München 1988, 221-218.
- Peter Fleischmann, Rat und Patriziat in Nürnberg. Die Herrschaft der Ratsgeschlechter in der Reichsstadt Nürnberg vom 13. bis zum 18. Jahrhundert. 3 Bände (Nürnberger Forschungen 31), Nürnberg 2008.
Quellen
- Zum Tanzstatut:
- Theodor Aign, Die Ketzel. Ein Nürnberger Handelsherren- und Jerusalempilgergeschlecht (Freie Schriftenfolge der Gesellschaft für Familienforschung in Franken 12), Neustadt/Aisch 1961.
- Peter Fleischmann, Rat und Patriziat, Band 1, 222, Anm. 1.
Weiterführende Recherche
Externe Links
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Patriziat
Empfohlene Zitierweise
Michael Diefenbacher, Nürnberger Patrizier, publiziert am 09.03.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Nürnberger_Patrizier> (12.12.2024)