Nürnberg, Lorenzkirche
Aus Historisches Lexikon Bayerns
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Die Lorenzkirche, 1235 erstmals urkundlich erwähnt, wurde zwischen 1243 und 1315 zur Pfarrkirche der staufischen Siedlung südlich der Pegnitz erhoben. Sie war damit nach St. Sebald nördlich des Flusses Nürnbergs zweite Pfarrkirche, die mit ihrer älteren Schwester stets in Konkurrenz stehen sollte, ihr in den wichtigsten Bauphasen nachfolgte und sie an Größe und Prachtentfaltung möglichst zu übertreffen suchte. Der ältere basilikale Westteil der heutigen Kirche dürfte nach 1250 wohl aus Anlass der Erhebung zur Pfarrei begonnen worden sein. In den 1390er Jahren wurden die Seitenschiffe durch Hinausrücken der Außenwände zwischen die Stirnseiten der Strebepfeiler um Einsatzkapellen erweitert. Gegen 1400 ist mit der Fertigstellung des Südturms die Vollendung anzunehmen. 1439–77 entstand als Ersatz des bisherigen einschiffigen Chors ein spätgotischer Hallenchor nach Plänen von Konrad Heinzelmann. Die Ausstattung großteils namhafter Künstler wurde überwiegend von der Nürnberger Bürgerschaft gestiftet. Bis zur Annexion der Reichsstadt durch das Königreich Bayern 1806 erfolgten nur geringfügige Eingriffe an Bauwerk und Ausstattung. Im 19. Jahrhundert wurde vereinzelt Inventar ersetzt und Inneres wie Äußeres von nachträglichen An- und Einbauten befreit. Erst 1902–39 erfolgte die erste durchgreifende Instandsetzung des Baukörpers. Nach Kriegszerstörungen 1943/45 wurde die Kirche bis in die 1960er Jahre hinein streng rekonstruierend wieder aufgebaut. Die reiche und hochbedeutende Ausstattung kehrte nach ihrer Bergung fast vollständig zurück.
Romanische Kapelle als Vorgängerbau
Wohl spätestens mit der Gründung einer planmäßigen Siedlung südlich der Pegnitz, der Keimzelle der Lorenzer Altstadt, ab 1138 durch den Stauferkönig Konrad III. (reg. 1138-1152) dürfte eine erste Kapelle errichtet worden sein. Sie unterstand zunächst als Filiale der Pfarrkirche St. Michael zu Fürth. Am 4. Juli 1235 wurde sie als "capella sancti laurentii" erstmals urkundlich erwähnt. 1929 konnten am Ostende des nördlichen Seitenschiffs Fundamente freigelegt werden, die dieser Kapelle zuzuordnen sind: eine leicht hufeisenförmige Apsis (Altarnische am Chorende) unter der Chorschwelle und etwas weiter westlich Pfeilerfundamente sowie ein Streifenfundament mit einem Portalsockel. Die Dimension des Baus ist mit den wenigen Anhaltspunkten kaum sicher zu rekonstruieren, wird jedoch bescheiden gewesen sein. Erhalten geblieben sind neben den Fundamenten zahlreiche Abbruchsteine meist mit Rundbogenfries, die später insbesondere an den östlichen Obergadenwänden der Basilika zu den Dachräumen der Seitenschiffe hin wiederverwendet wurden.
Errichtung der hochgotischen Basilika
Nach 1250 dürfte mit dem Bau einer hochgotischen Basilika, dem Westteil der heutigen Kirche, begonnen worden sein. Anlass war wohl die rasante Stadtentwicklung und die damit verbundene Erhebung der Kapelle zur Pfarrkirche zwischen 1243 und 1315. Älterer Überlieferung zufolge geschah dies mit dem Fundament für den Nordturm, das in die nach Westen verlängerte Mittelachse der Kapelle gesetzt wurde. In der Folge entstand wahrscheinlich vornehmlich von West nach Ost eine neunjochige (neun aufeinanderfolgende Gewölbeabschnitte) dreischiffige Basilika mit westlicher Doppelturmfront und einem einschiffigen Chor zu einem weiteren Joch samt 5/8-Schluss (Chorende aus fünf Seiten eines Achtecks). Die Seitenschiffe endeten nach acht Jochen in halboktogonalen Nebenchorkapellen. Beeinflusst ist der Bau vornehmlich von der asketischen Architektur der Bettelorden. Die Joche sind schmalrechteckig (ihre Tiefe entspricht der halben Mittelschiffbreite), in den Seitenschiffen quadratisch. Lediglich Dienste (Segmente von Säulen an Wänden oder Pfeilern als Fortsetzung einer Gewölberippe), die von den Bündelpfeilern aus über die Arkaden emporsteigen, gliedern die ansonsten völlig geschlossenen Obergadenwände (obere, durch die Hochschifffenster belichtete Wandabschnitte einer Basilika). Die Fenster sind in die Außenwände eingeschnitten, ohne diese aufzulösen. Außen stemmt sich ein karges Strebewerk über den Seitenschiffen dem Schub der Kreuzrippengewölbe entgegen.
Große Ähnlichkeiten in Architektursprache und Größe bestehen vor allem zum gegen 1240 begonnenen Langhaus des Freiburger Münsters. Zuverlässige Datierungen sind nur wenige möglich. Nicht mehr in situ erhaltene Zerrbalken des mittelalterlichen Dachstuhls auf dem Mittelschiff deuten auf eine Aufrichtung des Stuhls in den 1320er Jahren hin. Das Tympanon (Bogenfeld) des Hauptportals ist wahrscheinlich in zwei Phasen entstanden und stilistisch in die 1340er Jahre zu datieren (Suckale). Das darüberliegende Allianzwappen Kaiser Karls IV. (reg. 1346-1378 als röm.-dt. König, Kaiser ab 1355) und seiner dritten Frau Anna von Schweidnitz (gest. 1362, Heirat 1353) wurde hingegen wohl erst nachträglich in die Fassadenwand eingesetzt. Bereits in den 1390er Jahren (Inschrift von 1391 an der Außenwand hinter dem Ölbergdach) begann die Erweiterung des Langhauses, indem die Außenwand auf den Innenseiten der Strebepfeiler durchbrochen und zwischen den Außenkanten neu aufgeführt wurde. Dadurch entstanden Einsatzkapellen, in denen den vordersten Familien der Stadt Raum für Stiftungen zur Verfügung stand.
Neubau des Chores 1439-1477
1439 (Grundsteinlegung am 28. Oktober) begann die Errichtung des spätgotischen Hallenchors. Anlass dazu gaben wohl mehrere Gründe. Seit 1424 wurden die Reichskleinodien dauerhaft in Nürnberg aufbewahrt und lösten bei ihrer alljährlichen Zur-Schau-Stellung einen starken Zustrom von Pilgern in die Stadt aus. Vor allem aber wurden seit 1316 Reliquien des Herriedener Abts und Beichtvaters Karls des Großen (reg. 768-814 als König des Frankenreichs, Kaiser ab 800), Deocarus, in St. Lorenz aufbewahrt. Um diese wollte man einen vergleichbaren Kult etablieren wie zu den Gebeinen Sebalds in der älteren Pfarrkirche St. Sebald. Dort hatte man 1361–79 einen hochgotischen Hallenchor als standesgemäßes architektonisches "Gehäuse" errichtet. Dieses Projekt galt es nun zu übertreffen. Der Entwurf wird dem ersten Werkmeister des Projekts, Konrad Heinzelmann (gest. 1454), zugeschrieben. Die Bauarbeiten begannen am polygonalen Schluss. Heinzelmann brach ihn in sieben Seiten eines Vierzehnecks und unterteilte die Umfassungswand in zwei etwa gleich hohe Geschosse. Im unteren Geschoss setzte er die Wand zwischen die Außenkanten der Strebepfeiler, oben zog er sie nahezu ganz ein. Er verarbeitete damit Bauideen des Heilig-Kreuz-Münsters zu Schwäbisch-Gmünd (Baden-Württemberg). Das dortige horizontale Gesimsband im Inneren zwischen beiden Geschossen erweiterte er zu einer den ganzen Chor umlaufenden Maßwerkgalerie (Laufgang mit in spätgotischen Formen durchbrochener Brüstung). Bis zu Heinzelmanns Tod 1455 dürften die um den alten Chor herumgeführten Mauern etwa Obergadenhöhe erreicht haben. Neben dem Polygon müssen auch bereits die unteren Wandfelder des Chorhalses fertiggestellt gewesen sein, denn 1456 wurden hier erste Verglasungen eingesetzt (Hirschvogel- und Paumgartner-Fenster). Am Chorhals kam es zu einem Planwechsel, indem die Wände des Obergadens nicht mehr eingezogen, sondern bis zur Traufe (Dachansatz) in der Flucht (vertikale Ebene) der unteren Zone hochgezogen wurden. Außerdem verzichtete man zugunsten tieferer Travéen (Gewölbeabschnitte) auf ein Joch. Heinzelmanns Nachfolger Conrad Roriczer, dessen Vetter Hans Paur (gest. 1515) sowie zuletzt Roriczers Sohn Mathes führten den Bau bis 1466 fort, brachen den alten Chor ab und vollendeten Außenmauerwerk samt der Fassaden von Sakristei und Brautportal. Nach der Entlassung Mathes Roriczers 1466 stellte der Nürnberger Stadtbaumeister Jakob Grimm den Bau fertig. Er ließ den Dachstuhl (1469–71) aufrichten und zog die Gewölbe ein, deren Anfänger zumindest im Umgang bereits festgelegt gewesen sein dürften. Nachdem schon im Frühjahr 1472 die Altäre geweiht worden waren, erfolgte die Weihe des vollendeten Neubaus zu Ostern 1477.
Auch institutionell traten nun Veränderungen ein: Seit dem Wiener Konkordat 1448 war das Patronatsrecht zwischen dem Papst und dem Bamberger Bischof geteilt. 1474 übertrug Papst Sixtus IV. (reg. 1471-1484) dem Nürnberger Rat das Präsentationsrecht in den päpstlichen Monaten und erhob 1477 den jeweiligen Pfarrer in den Rang eines Propstes. Dieser stand je einem Prediger und Schaffer, sechs Kaplänen, zwei Kornschreibern, 16 Vikariern, je einem Schulmeister, Kantor und Kirchenmeister sowie mehreren Mesnern vor. Schon vor der Reformation hatte der Rat damit die weitgehende Kirchenhoheit errungen.
Zwischen Chorweihe und Reformation – die Zeit der bedeutendsten Stiftungen
Bereits während der Errichtung des Chors nahm die Stiftungstätigkeit regen Aufschwung. Vornehmlich in den 1480er Jahren wurde durch Kaiser, Geistlichkeit und Patriziat die Farbverglasung des Choruntergadens (untere Fensterreihe) gestiftet. 1493 gab Hans IV. Imhoff (gest. 1499) bei Adam Kraft (gest. 1509) das Sakramentshaus in Auftrag, das 1496 fertiggestellt werden konnte. Imhoffs Söhne stifteten 1499 den Rochusaltar. 1510 entstand der Annenaltar, bei dem Hans Süß von Kulmbach (gest. um 1522) als Generalunternehmer fungierte, im Auftrag von Ottilie Mayer. 1517 beauftragte der Vorderste Losunger Anton II. Tucher (gest. 1524) den Bildhauer Veit Stoß (gest. 1533) mit der Herstellung eines "Marienbilds" für den Hallenchor. Schon im Folgejahr wurde der Engelsgruß samt zugehörigem Marienleuchter aufgezogen. Als letzte Baumaßnahme vor der Reformation ergänzte der Nürnberger Stadtbaumeister Hans Beheim d. Ä. 1519 die obere Sakristei um das als Tresor dienende Chörlein im mittleren Fenster der Nordseite und errichtete zur zusätzlichen Erschließung den polygonalen Treppenturm im Chorumgang. Um 1523 entstand durch Gabriel Imhoff (gest. 1578) und Helene Welser ein neues Retabel (Aufsatz) für den Johannesaltar an der Chorschwelle – das erste Renaissancekunstwerk der Kirche.
Zwischen der Reformation und 1806
Im März 1525 wurde auf dem Gebiet der Reichsstadt Nürnberg die Reformation eingeführt. St. Lorenz ist seither evangelisch-lutherisch. Die Stiftungstätigkeit kam damit zwar weitgehend zum Erliegen, doch blieb ein Bildersturm aus. Der wortgewaltige Lorenzer Prediger Andreas Osiander (1498-1552) war der Überzeugung, dass Kunstwerke nicht durch das Volk, sondern allenfalls durch den Rat entfernt werden dürften. Das den Rat bildende traditionsbewusste Patriziat achtete darauf, die Stiftungen der Vorfahren zu bewahren. Osiander, 1549 an die Universität Königsberg berufen, war auch Hauptverfasser der Kirchenordnung von 1533, mit der über die Grenzen der Reichsstadt hinaus auch in der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach die Reformation durchgesetzt wurde. Sie wurde zum Vorbild für viele darauffolgende Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. Das an St. Lorenz tätige Kirchenpersonal veränderte sich mit der Reformation merklich. Neben dem Prediger und acht Kaplänen gab es nun noch einen Organisten, einen Schulmeister, sieben Schuldiener und einen Mesner. Insbesondere entfielen die zuvor 16 Vikarier für zahlreiche Messstiftungen an den verschiedenen Altären.
Zu bedeutenden baulichen Änderungen kam es bis ins 19. Jahrhundert hinein nicht mehr. 1649 wurde im südlichen Chorumgang das Renaissancegrabmal für die zehn Jahre zuvor hier bestattete Markgräfin Sophie von Brandenburg (1563-1639) aufgerichtet, geschaffen vom niederdeutschen Bildhauer Jürgen Tribbe (1604-1665). Das bis heute unerforschte ursprüngliche Hauptaltarretabel ersetzte man 1663 durch das des bisherigen Sebalder Hauptaltars. 1724 musste dieses wiederum einem Barockretabel weichen.
Das 19. Jahrhundert
Nach Jahrhunderten des wirtschaftlichen und politischen Niedergangs wurde die Reichsstadt Nürnberg am 15. September 1806 dem neugegründeten Königreich Bayern eingegliedert. Infolge der finanziellen Misere von Stadt und Staat kam es bald zu schweren Eingriffen in Kunstbestand und Bauwerk. Der Schrein des hl. Deocarus, zwei Taufbecken, die Messingapplikationen von über 40 Grabplatten, die Dacheinblechung des Ölberggehäuses, ein Löschwasserkessel, ja selbst die Dachrinnen wurden ab 1811 zum Metallwert verkauft und eingeschmolzen. Die meisten Altäre beraubte man ihrer Flügel (Tafelmalerei), die nach der Auftrennung zur musealen Präsentation ebenso wie der Engelsgruß einer königlichen Gemäldegalerie auf der Kaiserburg eingegliedert wurden. Um die Kosten für eine Restaurierung des schadhaften Maßwerkkranzes der Rose zu sparen, schlug man den freihängenden Teil 1816 ersatzlos ab. Das geistliche Personal hatte man schon 1810 auf einen Stadtpfarrer und zwei Diakone reduziert.
Erst mit der Wiedererlangung der kommunalen Selbstständigkeit 1818 besserten sich die Verhältnisse. So wurde der Engelsgruß, der nach seiner Rückkehr 1817 abgestürzt und zerschellt war, wiederhergestellt. 1836–41 erfolgte eine Restaurierung unter der Leitung von Carl Alexander Heideloff (1789-1865), bei der u. a. Hauptaltaraufsatz und Kanzel neu gefertigt wurden. 1861–66 rekonstruierte man den Maßwerkkranz der Rose. Währenddessen brannte 1865 der hölzerne Helm (Turmspitze) des Nordturms nach Blitzschlag ab und wurde unter teilweiser Wiederverwendung von Schindeln und der Helmzier detailgetreu rekonstruiert. Infolge der massiv angestiegenen Luftbelastungen vor allem durch Schwefelsäure verschlechterte sich der Zustand von Baukörper und Verglasung am Ende des 19. Jahrhunderts dramatisch.
Die Restaurierung unter Josef Schmitz und Otto Schulz
1902/03 wurde eine umfassende Restaurierung in Angriff genommen. Der Schwerpunkt galt der Wiederherstellung der Bauplastik sowie der Behebung statischer Schäden. Unter den Architekten Josef Schmitz (1860-1936) und Otto Schulz (1877-1943) wurden bis 1939 fast alle Außenpartien der Kirche instandgesetzt, zunächst am basilikalen Westteil der Kirche, ab 1915 am Hallenchor. Den gewandelten Grundsätzen der Denkmalpflege ab 1900 entsprechend erfolgten Rekonstruktionen streng auf der Grundlage von Baubefunden. Erst ab den 1920er Jahren begann auch die kontinuierliche Restaurierung einzelner Ausstattungsobjekte, meist durch das Germanische Nationalmuseum. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhinderte 1939 die Beendigung der Restaurierung kurz vor ihrem Abschluss. Nahezu die gesamte bewegliche Ausstattung, neugotische Objekte ausgenommen, wurde an verschiedenen Bergeorten in Sicherheit gebracht. Ortsfeste Kunstwerke wie Sakramentshaus oder Hauptportal schützte man durch Ummauerungen aus Backstein oder Beton.
Zwischenzeitlich hatte St. Lorenz als größte und kunsthistorisch sowie reformationsgeschichtlich bedeutendste evangelische Kirche Bayerns auch eine besondere Würdigung kirchlicherseits erfahren: Für das neugeschaffene Amt des Landesbischofs erwählte der erste Amtsinhaber, Hans Meiser (1881-1956), 1933 die Lorenzkirche zum Ort seiner Amtseinführung. Seither finden alle Amtseinführungen der Landesbischöfe der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern hier statt und machen St. Lorenz vor der Münchner Matthäuskirche als wichtigstem Predigtort zur evangelischen Bischofskirche Bayerns.
Kriegszerstörung und Wiederaufbau
Am 11. August 1943 erlitt die Kirche die ersten schweren Kriegsschäden durch eine Luftmine. Nach der provisorischen Wiederherstellung bis zum Frühjahr 1944 kam es erst zwischen Januar und April 1945 zu weiteren Zerstörungen. Gegen Kriegsende waren nahezu alle Dachwerke vernichtet, die Gewölbe eingestürzt, und auch im aufgehenden Mauerwerk zeigten sich Fehlstellen und Splitterschäden. Noch im Sommer 1945 begann unter dem Architekten Julius Lincke (1900-1991) der Wiederaufbau, der als strenge Rekonstruktion durchgeführt werden sollte. Zunächst konzentrierte man sich auf das basilikale Langhaus. Im Sommer 1946 erhielt das Mittelschiff wieder ein Dachwerk. Bis 1949 waren alle Gewölbe wiederhergestellt, wo möglich unter Wiederverwendung alten Materials wie Rippen und Schlusssteinen. Nach der Weihe zum Erntedankfest konzentrierte man sich auf den Chor. Hier musste die Gewölberuine zunächst vermessen und abgetragen werden, bevor sie wiederhergestellt werden konnte. Finanziell unterstützt wurden die Arbeiten hier vom New Yorker Kaufmann Rush Kress (1877-1963), der sich als Nachfahre der gleichnamigen Patrizierfamilie sah und über eine Stiftung seines Bruders Samuel (1863-1955) gut eine halbe Mio. Mark zum Wiederaufbau beisteuerte. Die Ausstattung kehrte bis zur Weihe am 15. August 1952 nach und nach zurück. Der ab 1956 vom Architekten Georg Stolz (1928-2011) geleitete Wiederaufbau dauerte jedoch noch an und ging in den 1960er Jahren nahtlos in einen kontinuierlichen Bauunterhalt über. Seither werden nahezu ununterbrochen Instandsetzungen an wechselnden Bauteilen und Ausstattungsobjekten vorgenommen.
Baugestalt und Raumwirkung
Die Baugeschichte, die sich in zwei entscheidende Phasen gliedert, ist signifikant am Außenbau ablesbar. Deutlich fallen die Baumassen vom basilikalen Westbau mit seinen schlanken Türmen und dem voluminöseren Hallenchor auseinander. Trotz gleicher Gewölbehöhen in den Mittelschiffen von Langhaus und Chor sind die Unterschiede auch im Inneren deutlich wahrnehmbar. Vom archaisch und stark vertikal gegliederten Langhaus zum Hallenchor mit seiner ausgeglichenen Balance zwischen Horizontale und Vertikale und erheblich größeren Travéentiefen findet ein überraschendes und großes Crescendo (eine Steigerung) der Raumentfaltung statt (Dehio). Während im Langhausobergaden die schmalen, dreibahnigen Fenster in die flächigen Außenwände eingeschnitten erscheinen, ist der Hallenchor nahezu vollständig in sein gliederndes Gerüst aufgelöst und die Fenster in sechs Bahnen haben die maximal mögliche Fläche eingenommen. Unabdingbar für den Raumeindruck ist jedoch auch die Ausstattung mit einigen Werken von internationalem Rang. Kaum eine zweite Kirche in Deutschland erscheint angesichts der schier unüberschaubaren Fülle spätgotischer Malerei und Plastik derart unberührt von späteren Veränderungen, nirgendwo sei der Hauch des Mittelalters kräftiger zu spüren als in St. Lorenz (Gerstenberg).
Literatur
- Herbert Bauer/Georg Stolz, Engelsgruß und Sakramentshaus in St. Lorenz zu Nürnberg, Königstein im Taunus 1989.
- Georg Dehio u. a. (Hg.), Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Franken. Die Regierungsbezirke Oberfranken, Mittelfranken und Unterfranken, bearb. von Tilmann Breuer, München/Berlin 2., durchges. und erg. Auflage 1999, 698-716.
- Ernst Eichhorn, Das Schicksal der Lorenzer Kunstwerke in Krieg und Frieden, in: Die Wiedererstehung von St. Lorenz. Festschrift zur Wiedererrichtung des Hallenchores von St. Lorenz am Tage St. Laurentii 1952, Nürnberg 1952, 35-43.
- Günther P. Fehring/Anton Ress, Die Stadt Nürnberg (Bayerische Kunstdenkmale X), überarbeitet von Wilhelm Schwemmer, München 2. Auflage 1977, 64-110.
- Veit Funk, Glasfensterkunst in St. Lorenz, Nürnberg: Michael Wolgemut, Peter Hemmel von Andlau, Hans Baldung Grien, Albrecht Dürer, Nürnberg 1995.
- Kurt Gerstenberg, Die St.-Lorenzkirche in Nürnberg, Burg bei Magdeburg 1928.
- Eberhard Holter, Wandmalerei in St. Lorenz. Bestand und Erhaltung, in: Verein zur Erhaltung der Sankt Lorenzkirche in Nürnberg NF 43 (1998), 3-21.
- Vera Ostermayer/Thomas Bachmann, Der Engelsgruß von Veit Stoß in St. Lorenz, Nürnberg 2007.
- Marco Popp, Die Lorenzkirche in Nürnberg. Restaurierungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Regensburg 2014.
- Corine Schleif, Donatio et Memoria. Stifter, Stiftungen und Motivationen anhand von Beispielen aus der Lorenzkirche in Nürnberg, München 1990.
- Dieter Schmidt, Das Nürnberger Glockenbuch. Nürnbergs Glocken in Geschichte und Gegenwart (Nürnberger Forschungen 30), Neustadt an der Aisch 2003, 91-99.
- Georg Stolz, 750 Jahre St. Lorenz Nürnberg – Kirche auf festem Grund, in: Verein zur Erhaltung der St. Lorenzkirche Nürnberg NF 30 (1985), 3-41.
- Georg Stolz, St. Lorenz – Baumeister und ihr Werk, in: Verein zur Erhaltung der St. Lorenzkirche Nürnberg NF 38 (1993), 3-54.
- Robert Suckale, Die Hofkunst Kaiser Ludwigs des Bayern, München 1993, 156-159.
Quellen
- Albert Gümbel, Baurechnungen vom Chorbau von St. Lorenz in Nürnberg 1462-1467, in: Repertorium für Kunstwissenschaft (34) 1911, 27-46, 126-146.
- Albert Gümbel, Das Mesnerpflichtbuch von St. Lorenz in Nürnberg vom Jahre 1493 (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns 8), München 1928.
- Albert Gümbel, Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz unter Leitung Konrad Heinzelmanns, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 32 (1909), 1-30, 132-159.
- Johann Wolfgang Hilpert, Beschreibung der St. Laurenzer Kirche in Nürnberg 1827. Pfarrbeschreibung. Handschriftliches Original im Archiv der Kirchengemeinde. Transkription publiziert: Johann Wolfgang Hilpert, Beschreibung der St.-Laurenzer-Kirche in Nürnberg 1827, bearb. von Georg Stolz (Schriftenreihe des Vereins zur Erhaltung der St.-Lorenzkirche in Nürnberg e. V. 1), Nürnberg 2001.
- Johann Wolfgang Hilpert/Jacob Wilhelm Osterhausen, Pfarrbuch oder allgemeine Beschreibung des gesammten Kirchenwesens in der Königlich Bayerischen Evangelisch-Lutherischen Pfarrey St. Lorenz zu Nürnberg, 1833. [im Landeskirchlichen Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Nürnberg]
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St. Lorenz, Sankt Lorenz
Empfohlene Zitierweise
Marco Popp, Nürnberg, Lorenzkirche, publiziert am 30.11.2017; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Nürnberg,_Lorenzkirche> (7.12.2024)