Staatsministerium des Innern (Weimarer Republik und NS-Zeit)
Aus Historisches Lexikon Bayerns
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1806 gegründetes Ministerium, zu dessen Kernkompetenzen trotz erheblichen Wandels im Laufe der Zeit die innere Verwaltung, die Polizei sowie das Bauwesen gehören. Durch die Gründung der Ministerien für Soziale Fürsorge und für Landwirtschaft gingen dem Innenressort nach 1918 erheblich Kompetenzen verloren, das Personal selber wurde jedoch trotz der Revolution nicht ausgetauscht. 1918-1920 stellte die SPD die Innenminister, von 1921 bis 1933 führten dann BVP-Politiker das Ministerium, die den aufkommenden Nationalsozialismus massiv bekämpften. Innenminister Adolf Wagner (NSDAP, 1890-1944) gelang es nach 1933, die Zuständigkeit seines Ressorts erheblich auszuweiten. Auch die Nationalsozialisten übernahmen die bisherigen Beamten, konnten die Behörde aber rasch mit loyalen Parteimitgliedern infiltrieren. In die Verantwortung des Ministeriums fielen in der NS-Zeit unter anderem die Massentötungen von psychisch Kranken und Behinderten.
Die Entwicklung des Staatsministeriums des Innern seit der Errichtung 1806
Im Jahr der Erhebung Bayerns zum Königreich (1806) errichtete Bayerns Staatsreformer Maximilian Graf von Montgelas (1759-1838) erstmals ein Departement für die inneren Angelegenheiten. Es umfasste neben typischen Aufgaben der inneren Verwaltung im Bereich des Gemeinde- und Stiftungswesens, der Medizinalaufsicht und der Armenfürsorge zunächst vor allem die Aufgaben des zu diesem Zeitpunkt aufgehobenen Departements für die geistlichen Angelegenheiten (Staatskirchenrecht, Aufsicht über Schul- und Bildungswesen). Hinzu kam die Förderung von Landwirtschaft, Gewerbe, Handel und Verkehr. Noch unter Montgelas kam das Polizeiwesen, 1830 die als Sektion des Ministeriums geltende Oberste Baubehörde hinzu. Damit umfasste die Behörde, die seit 1817 Ministerium des Innern hieß, neben anderen bereits jene zentralen Geschäftsbereiche, die bis weit in das 20. Jahrhundert hinein bestimmend blieben: Innere Staatsverwaltung, Fürsorge und Medizin, Polizei- und Bauwesen.
Administratives Grundgerüst der dem Innenministerium unterstehenden Ämter der inneren Verwaltung waren die Regierungen als Mittelbehörden sowie die 1862 errichteten Bezirksämter und die Magistrate der unmittelbaren (kreisfreien) Städte. Die Zuordnung der Geschäftsbereiche zu den Ministerien änderte sich öfters, so wurden die Zuständigkeiten für Handel, Landwirtschaft, Gewerbe, Verkehr und Bau zwischen 1848 und 1871 dem Handelsministerium übertragen, 1847 gingen die Kirchen- und Schulangelegenheiten an das neu gegründete Kultusministerium, 1871 der Verkehr zunächst an das Außen-, später an das Verkehrsministerium, dem von 1917 bis 1920 auch die Straßen- und Wasserbauverwaltung unterstand. Der Erste Weltkrieg hatte ab 1915 die Gründung einer Reihe von dem Innenministerium unterstehenden Sonderbehörden zur Folge (sogenannte Landesstellen), die für die Bewirtschaftung bestimmter Versorgungsgüter oder Warenbranchen zuständig waren und ihre Tätigkeit auch in den ersten Jahren der Republik fortsetzten, wenngleich sie nach Kriegsende - ebenso wie die Landwirtschaftsverwaltung - dem neugegründeten Ministerium für Landwirtschaft zugeordnet wurden.
Die Entwicklung des Ministeriums in der Weimarer Republik
Als Folge der Revolution war dem Ministerium 1918 der Geschäftsbereich für die Fürsorge entzogen worden, der in das neu errichtete Staatsministerium für Soziale Fürsorge eingegliedert wurde. 1919 kam es infolge der Gründung des Staatsministeriums für Handel, Industrie und Gewerbe zu einem weiteren Aufgabenverlust. Wegen der Aufhebung der dem Königreich Bayern zugestandenen Reservatrechte auf dem Gebiet des Eisenbahn- und Postwesens durch die Weimarer Reichsverfassung wurde das 1903 errichtete Staatsministerium für Verkehrsangelegenheiten überflüssig. Nach seiner Auflösung am 7.August 1920 ging eine Reihe von Aufgaben im Bereich der Verkehrsaufsicht und des Straßen-, Wasserstraßen- und Brückenbaus auf das Innenministerium über
Im Hinblick auf die Personalstruktur des Ministeriums brachte der neue Volksstaat Bayern keine nennenswerten Veränderungen gegenüber der Monarchie. Die personelle Kontinuität war ungebrochen, im Verlauf der 1920er Jahre ließ sich sogar eine gewisse Tendenz zur personellen Verkrustung ausmachen. Starker Verwaltungsmann im Innenministerium war in der zweiten Hälfte der Republik Staatsrat Dr. Ottmar Kollmann (1886-1969), der auch als Stellvertreter des Staatsministers amtierte und die Dienstaufsicht über die Beamtenschaft innehatte. In die neunjährige Amtszeit (1924-1933) von Innenminister Karl Stützel (BVP, 1872-1944) fielen einige bedeutende Maßnahmen, so der Ausbau der regionalen Selbstverwaltung, eine Reform des Polizeiwesens sowie umfassende Planungen zur Sicherung der Energieversorgung und zum Ausbau des bayerischen Staatsstraßennetzes.
Gegen Ende der 1920er Jahre standen in Folge des staatlichen Sparzwangs Maßnahmen der Verwaltungsvereinfachung im Vordergrund. So kam es zur Auflösung einer Reihe von Bezirksämtern und der Zusammenlegung von Regierungen. Zu den letzten Maßnahmen unter Minister Karl Stützel gehörte im Februar 1932 die Aufhebung der Obersten Baubehörde als eigenständiger Institution, sie wurde als Ministerialbauabteilung in das Innenministerium integriert (bis 1948). Zugleich kam auch die Zuständigkeit für Landwirtschaft nach der Aufhebung des Ministeriums für Landwirtschaft und Arbeit vorübergehend wieder in das Innenressort, bevor sie im Folgejahr an das Wirtschaftsministerium abgegeben werden musste.
Die Innenminister der Weimarer Republik
Der Übergang von der Monarchie zur Republik bedeutete für die Innere Verwaltung keinen fundamentalen Bruch, auch wenn mit den jeweils für kurze Zeit amtierenden Ministern Erhard Auer (1874-1945), Martin Segitz (1853-1927) und Fritz Endres (1877-1963) vom November 1918 bis März 1920 nun erstmals Sozialdemokraten an der Spitze des Ministeriums standen. Mit dem Mehrheitssozialdemokraten Auer stand dem Ministerium ein Mann vor, der sich von Anfang an in starkem Gegensatz zu Ministerpräsident Kurt Eisner (1867-1919) befand und durch seine Unterstützung bei der Bildung einer Münchener Bürgerwehr (sog. Bürgerwehraffäre) fast ein Auseinanderbrechen der Regierung verursachte. Das Ende der relativ kurzen Phase sozialdemokratisch geführter Kabinette 1920 brachte eine größere personelle Kontinuität im Ministeramt. Zunächst führte Ministerpräsident Gustav von Kahr (BVP, 1862-1934) auch das Innenministerium, bis er 1921 durch Franz Schweyer (BVP, 1868-1935) abgelöst wurde. Nach dessen Abgang im Mai 1924 berief Ministerpräsident Heinrich Held (BVP, 1868-1938) Karl Stützel zu seinem Nachfolger. Dieser übte das Amt bis zu seinem Sturz durch die Nationalsozialisten am 9. März 1933 aus. Sowohl Schweyer als auch Stützel waren entschiedene Gegner der Nationalsozialisten. Schweyer hatte Mitte der 1920er Jahre vergeblich versucht, Hitler aus Bayern ausweisen zu lassen. Stützel operierte seit 1930 mit einschneidenden polizeilichen Maßnahmen auf die aggressive Propaganda- und Werbetätigkeit der Nationalsozialisten (vgl. Uniformverbot).
Struktur und Geschäftsbereiche des Staatsministeriums des Innern in den ersten Jahren der NS-Herrschaft
Durch das Gesetz zum Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934 waren die Hoheitsrechte der Länder an das Reich übergegangen, das Staatsministerium des Innern wurde zur Reichsmittelbehörde. Zuständigkeitsverluste gingen damit jedoch nicht einher. Staatsminister war seit dem 10./16. März 1933 der Gauleiter von München-Oberbayern, Adolf Wagner (1890-1944), der ab 1936 zugleich auch das Kultusministerium führte. Wagners Ressortführung kann als aggressiver Expansionismus bezeichnet werden; die Aufgabenbereiche des Innenministeriums wurden sukzessive ausgedehnt. Bereits im Zuge der "Machtergreifung" gelang es Wagner, zu Lasten anderer Landesministerien die Kompetenzen der Gesundheitsverwaltung auszudehnen (Gewerbehygiene und Veterinärwesen). Leiter der neuen Gesundheitsabteilung wurde der Nationalsozialist Dr. Walter Schultze (1894-1979). 1936 wurden die Bereiche Kunst und Theater aus dem Kultusministerium herausgelöst und der neugeschaffenen "Obersten Theaterbehörde" (Abteilung IX im Innenministerium) unterstellt. Länger zog sich die Neugestaltung des Polizeiwesens hin, die 1937 mit der Berufung des SS-Obergruppenführers Friedrich Karl Freiherr von Eberstein (1894-1979) zum Ministerialdirektor und Leiter der Wagner unmittelbar unterstellten Polizeiabteilung ihren Abschluss fand.
Doch gingen auch Kompetenzen verloren. 1940 etwa ging das Fischereiwesen an das Landwirtschaftsministerium und auch der Bereich der Kunst fiel 1944 wieder an das Kultusministerium. Im Jahr 1938 verfügte das Ministerium über folgende 9 Abteilungen:
- I: Staatsrecht, Haushalt, Kunst
- II: Beamtenwesen
- III: Gesundheit und Wohlfahrt
- IV: Gemeindewesen
- V: Bau-, Wasser-, Feuerpolizei, Energiewirtschaft
- VI: Polizei im Allgemeinen
- VII: Wehrwesen
- VIII: Bauwesen
- IX: Oberste Theaterbehörde in Bayern
Besonders stark ideologisiert waren die Polizei- und die Medizinalabteilung, die von aktiven Nationalsozialisten geführt wurden. In den Verantwortungsbereich der Medizinalabteilung fielen auch so genannte rassenhygienische Maßnahmen, darunter die Massentötung von psychisch Kranken und Behinderten.
Nationalsozialistische Personalpolitik
Personelle Veränderungen ergaben sich unmittelbar nach der "Machtergreifung" vor allem durch die SA-Kommissare und die persönliche Adjutantur des Ministers, die als Kontrollorgane Parallelorganismen zur herkömmlichen Verwaltungsstruktur bildeten. Eine Normalisierung trat hier erst nach dem so genannten "Röhm-Putsch" 1934 und der damit verbundenen Ausschaltung der SA bzw. durch die sukzessive Integration der Adjutanten in den Ministeriumsbetrieb im Laufe der 1930er Jahre ein. Hingegen hatte das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 keine Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Ministerialbürokratie.
Wagners Personalpolitik zielte auf die sukzessive Herausbildung einer ihm loyal ergebenen Gefolgschaft. Hierzu förderte er neben Altparteigenossen auch Personen, die ihm fachlich nützlich erschienen, wie das frühere BVP-Mitglied Dr. Theodor Viernstein (1878-1949), einen Vorkämpfer der Rassenhygiene, der 1933 zum Ministerialrat ernannt wurde. Zentrale Führungsfiguren, auf die Wagner, der selbst einen eher rhapsodischen Arbeitsstil pflegte, sich stützen konnte, waren Max Köglmaier (1902-1972, seit 1937 Staatssekretär) und Dr. Christoph Mensens (1895-1948, seit 1937 Amtschef). Die Zahl der Beamten war allein im höheren Dienst bis 1938 auf ca. 60 angewachsen - der Ausbruch des Weltkriegs führte infolge der Einberufungen aber wieder zu einem spürbaren Ausdünnen der Belegschaft.
Das Staatsministerium des Innern im Zweiten Weltkrieg
Nach Kriegsausbruch wurde Staatminister Wagner im September 1939 zum Reichsverteidigungskommissar für die Wehrkreise VII und XIII (Bayern ohne die Pfalz) ernannt. Seine Machtbasis in diesem Amt bildete vor allem die Struktur der Mittel- und Unterbehörden der bayerischen Innenverwaltung, die Dienststelle für den Wehrkreis VII (Bayern Süd) war direkt im Innenministerium angesiedelt. Im Dezember wurde eine eigene Abteilung "Bevollmächtigter für den Nahverkehr" errichtet. Ihre Aufgaben lagen im Bereich der Sicherstellung des Verkehrs von kriegswichtigen Gütern und Personen sowie der Bewirtschaftung von Verkehrsmitteln.
Ab Juni 1942 führte der bisherige Gauleiter von Westfalen-Süd, Paul Giesler (1895-1945, Bruder des Architekten Hermann Giesler), die Amtsgeschäfte für den erkrankten Adolf Wagner. Die Spitzenbeamten des Ministeriums wurden im Sinne einer stark personalistisch orientierten Führungspolitik teilweise ausgetauscht. Ein eigenständiges politisches Profil entwickelte Giesler nicht mehr: Pläne für weit reichende Verwaltungsreformen (z. B. Aufgehen aller Ministerien in einem Gesamtministerium) wurden nicht mehr umgesetzt. Änderungen der Verwaltungsgliederung entsprachen Konzepten, die auf Wagner zurückgingen (Umgliederung der Abteilung "Arbeit und Fürsorge" aus dem Wirtschaftsministerium in das Innenministerium 1943), oder waren den Zeitumständen geschuldet (Einrichtung des Sachgebiets "Totaler Krieg" 1944). Zudem brachte die Kriegszeit die teilweise Verlagerung von ministeriellen Zuständigkeiten in den nordbayerischen Gebieten (Wehrkreis XIII) auf den Regierungspräsidenten von Mittel- und Oberfranken.
Eine ordentliche Verwaltungsführung scheint in den letzten Monaten der NS-Herrschaft nur noch bedingt möglich gewesen zu sein, das Ministeriumsgebäude an der Theatinerstraße in München wurde am 7. Januar 1945 durch Bomben zerstört, mit ihm der Großteil der Verwaltungsakten.
Staatsminister | Partei | Lebensdaten | Amtszeit als Staatsminister | Bemerkungen |
---|---|---|---|---|
Erhard Auer | SPD | 1874-1945 | 8. November 1918 - 21. Februar 1919 | |
Martin Segitz | SPD | 1853-1927 | 18. März 1919 - 31. Mai 1919 | |
Fritz Endres | SPD | 1877-1963 | 31. Mai 1919 - 14. März 1920 | |
Gustav von Kahr | BVP | 1862-1934 | 16. März 1920 - 11. September 1921 | |
Franz Schweyer | BVP | 1868-1935 | 21. September 1921 - 5. Mai 1924 | |
Karl Stützel | BVP | 1872-1944 | 28. Juni 1924 - 15. März 1933 | 20. August 1930 - 15. März 1933 geschäftsführend |
Adolf Wagner | NSDAP | 1890-1944 | 16. März 1933 - 12. April 1944 | Ab dem 10. März Staatskommissar, 16. März - 12. April 1933 kommissarischer Minister. |
Paul Giesler | NSDAP | 1895-1945 | 21. April 1944 - 28. April 1945 | seit 23. Juni 1942 bereits geschäftsführend |
Literatur
- Thomas Forstner, Die Beamten des bayerischen Innenministeriums im Dritten Reich. Loyale Gefolgsleute oder kritische Staatsdiener? (Forschungen zur Regional- und Landesgeschichte 8), Sankt Ottilien 2002.
- Thomas Fürst, Karl Stützel. Ein Lebensweg in Umbrüchen. Vom Königlichen Beamten zum Bayerischen Innenminister der Weimarer Zeit (1924 - 1933). (Mainzer Studien zur Neueren Geschichte 19), Frankfurt am Main 2007.
- Peter Claus Hartmann, Die bayerischen Innenminister Franz Schweyer und Karl Stützel und ihre Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus, in: Matthias Stickler (Hg.), Portraits zur Geschichte des deutschen Widerstands (Historische Studien der Universität Würzburg 6), Rahden in Westfalen 2005, 41-55.
- Gerhard Hetzer, Personal und Verwaltungsbereiche des Innenministeriums, in: Hermann Rumschöttel/ Walter Ziegler (Hg.), Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933-1945 (Beihefte der Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte B 21), München 2004, 171-195.
- Peter Koch, 200 Jahre Bayerisches Staatsministerium des Innern. Eine Behörde für Bayern. Festschrift zum 200-jährigen Bestehen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, München 2006 (einzige Gesamtdarstellung, allerdings nicht immer zuverlässig).
- Karl Schwend, Bayern zwischen Monarchie und Diktatur. Beiträge zur bayerischen Frage in der Zeit von 1918 bis 1933, München 1954.
Weiterführende Recherche
Externe Links
Verwandte Artikel
- Kriegs- und Zwangswirtschaftsstellen, 1915-1924
- Regierungsbezirke
- Staatsministerium des Innern (nach 1945)
- Wasserkraftwerke
Innenminister, Innenministerium
Empfohlene Zitierweise
Thomas Forstner, Staatsministerium des Innern (Weimarer Republik und NS-Zeit), publiziert am 22.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Staatsministerium_des_Innern_(Weimarer_Republik_und_NS-Zeit) (4.12.2024)