Kabinett Hoffmann I, 1919
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Das sozialistische Minderheitskabinett von SPD, USPD und Bauernbund des pfälzischen SPD-Politikers Johannes Hoffmann (1867-1930) amtierte vom 17. März bis 31. Mai 1919. Hervorgegangen aus einem Kompromiss zwischen Anhängern des Rätesystems und den Vertretern der politischen Parteien, der auf Dauer nicht tragen konnte, entschied es sich für die parlamentarische Demokratie. Die deshalb ausgerufene Räterepublik bekämpfte es mit Reichshilfe militärisch. Die Vernichtung der Rätemacht entzog auch der von München nach Bamberg geflüchteten Regierung die politische Grundlage, die in einem zweiten Kabinett Hoffmann durch den Einbezug bürgerlicher Parteien verbreitert werden sollte.
Politische Rahmenbedingungen
Die Ermordung Kurt Eisners (1867-1919) am 21. Februar 1919 radikalisierte die Rätebewegung und sicherte ihr eine zentrale Rolle im Fortgang der Ereignisse. Im Kongress der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte, der vom 28. Februar bis 8. März 1919 als "Provisorischer Nationalrat" tagte, fand sich weder für die Ausrufung einer Räterepublik noch für den erneuten Zusammentritt des gesprengten Landtags eine Mehrheit. Obwohl das nach Eisners Tod verbliebene Rumpfkabinett formell nicht zurückgetreten war, versuchte der Rätekongress daher am 1. März ein neues Ministerium (= Staatsregierung) unter der Leitung des SPD-Politikers Martin Segitz (1853-1927) zu bilden, das jedoch nie ins Leben trat (so genannten Kabinett Segitz).
In dieser festgefahrenen Situation begannen Parteienvertreter mit der Suche nach einer Kompromisslösung zwischen Anhängern des Rätegedankens und denen der parlamentarischen Demokratie, ausgelöst von bayerischen Abgeordneten der Nationalversammlung in Weimar. Von Beginn an galt die klare Devise der Reichsregierung, der führenden bayerischen Mehrheitssozialdemokraten und der bürgerlichen Parteien (BVP, DDP, Mittelpartei), dass nur eine parlamentarisch eingesetzte Regierung die erforderliche Legitimierung haben könne. Der Zwiespalt schien somit unlösbar: Ein vom Rätekongress eingesetztes Ministerium besaß weder nach innen noch nach außen die erforderliche Legitimierung, um eine kraftvolle Politik betreiben zu können. Die Einberufung des Landtags und die Einsetzung einer parlamentarischen Regierung mussten dagegen als gegenrevolutionärer Akt gedeutet und mit der Ausrufung der Räterepublik in München beantwortet werden.
Schon früh zeichnete sich folgender Kompromiss ab: die Festlegung eines Regierungsprogramms und einer Ministerliste in Abstimmung zwischen Parteienvertretern und Rätekongress, aber die Legitimierung durch den einzig zu diesem Zweck zu einer kurzen Tagung zusammentretenden Landtags, der das Ministerium durch eine Notverfassung und weitgehende legislative Vollmachten arbeitsfähig machen sollte. Dieser Kompromiss schloss von Seiten des Rätekongresses aus, dass Vertreter der bürgerlichen Parteien an einer Koalition beteiligt werden könnten. Dadurch war schon frühzeitig entschieden, dass nur eine sozialistische Minderheitsregierung unter Einschluss des Bauernbundes in Frage kam.
Verhandlungen zur Regierungsbildung
Die Verhandlungen zur Regierungsbildung in Nürnberg, Bamberg und München, an denen wegen der erforderlichen parlamentarischen Zustimmung teilweise auch bürgerliche Parteivertreter beteiligt waren, dauerten vom 2. bis 8. März 1919. Inhaltliche Eckpunkte waren die Schaffung einer Propagandastelle für "Volksaufklärung", der Ersatz des Heeres durch eine Arbeiterwehr, politische Mitwirkungsrechte der Räte in den verschiedenen politischen Vertretungen, die Schaffung eines Landwirtschafts- und eines Handelsministeriums, die Freilassung von bürgerlichen Geiseln und die Aufhebung der Pressezensur des Zentralrates, schließlich der Parteienproporz.
Für das Amt des Ministerpräsidenten kam als einziger der bisherige Kultusminister und stellvertretende Ministerpräsident Johannes Hoffmann (1867-1930) in Frage, da er Mehrheitssozialist war, dabei als Vertreter des linken Flügels eingeschätzt wurde, gleichzeitig jedoch strikter Anhänger des Parlamentarismus war. Am 10. März legten die Vertreter der an der Regierungsbildung beteiligten Parteien zusammen mit dem Aktionsausschuss die Ministerliste endgültig fest, die aus vier Mehrheitssozialdemokraten, zwei Unabhängigen Sozialdemokraten und zwei Fachministern bestehen sollte. Letztere waren unstrittig der auch vom Rätekongress vorgesehene parteilose Heinrich v. Frauendorfer (1855-1921) als Verkehrsminister sowie ein vom Bauernbund zu benennender Vertreter als Landwirtschaftsminister. Von den Unabhängigen kamen als Minister in erster Linie Josef Simon (1865-1949) und Hans Unterleitner (1890-1971) in Frage, die zu den wichtigsten Vertretern ihrer Partei gehörten: Ersterer stand als ehemaliger Reichs- und Landtagsabgeordneter sowie in der Gewerkschaftsbewegung an prominenter Stelle, letzterer hatte bereits unter Eisner amtiert. Von den Mehrheitssozialdemokraten war der Würzburger SPD-Vorsitzende Fritz Endres (1877-1963) schon bei den Diskussionen im Rätekongress umstandslos als Justizminister genannt und allseits akzeptiert worden. Der künftige Minister für soziale Angelegenheiten Martin Segitz war einer der profiliertesten Mehrheitssozialdemokraten, der sich als Staatskommissar für Demobilmachung breiten Respekt verschafft hatte und in keiner der in diesen Tagen kursierenden Namenslisten fehlte. Damit stand das Kabinett von vornherein weitgehend fest. Für weitere SPD-Vertreter, die grundsätzlich als ministrabel galten, war unter diesen Voraussetzungen kein Ressort mehr frei.
Wirklich umstritten war nur die Besetzung des Ministeriums für militärische Angelegenheiten. Der vom Rätekongress ausersehene und faktisch amtierende Richard Scheid (1876-1962) kam als USPD-Mitglied nicht in Frage. Schon der Zentralrat hatte dem Rätekongress Ernst Schneppenhorst (1881-1945) vorgeschlagen, der zu den führenden Nürnberger Mehrheitssozialdemokraten gehörte. Obwohl er bei vielen Rätevertretern für einen Vorreiter der Gegenrevolution gehalten wurde, hielt die SPD-Führung starr an ihm fest. Entscheidend dafür waren der starke Rückhalt Schneppenhorsts bei den Nürnberger Soldatenräten und die notwendige Berücksichtigung der Parteihochburg Nürnberg. Für das Finanzministerium konnte dagegen vorläufig keine allseits überzeugende Persönlichkeit gefunden werden, so dass schließlich mit einiger Verspätung ein Staatsbeamter diese Funktion übernehmen musste.
Die Bestellung des Kabinetts
Nach der Vorbereitung der notwendigen Gesetzentwürfe und Verhandlungen des Ältestenrates trat der Bayerische Landtag am 17. März zu seiner 2. Sitzung zusammen. Nach der Annahme eines vorläufigen Staatsgrundgesetzes für den Freistaat Bayern, dessen Entwurf noch vom Kabinett Eisner verabschiedet worden war, wählte er den Ministerpräsidenten, der dem Landtag am Tag darauf die vereinbarte Ministerliste vorlegte. Dieser erteilte dann der Regierung in Form eines Ermächtigungsgesetzes, eines Übergangsgesetzes und eines Notgesetzes über die Weiterführung des Staatshaushalts sehr weitreichende Vollmachten. Die Minister waren im Einzelnen:
Ministerium | Minister | Partei | Lebensdaten | Bemerkungen |
---|---|---|---|---|
Äußeres sowie Unterricht und Kultus | Johannes Hoffmann | SPD | 1867-1930 | Ministerpräsident |
Justiz | Fritz Endres | SPD | 1877-1963 | |
Inneres | Martin Segitz | SPD | 1853-1927 | |
Finanzen | Karl Neumaier | parteilos | 1873-1947 | 25. März-12. April 1919, dann kommissarisch Staatsrat Sigmund Haller von Hallerstein (SPD, 1861-1936) |
Verkehrsangelegenheiten | Heinrich von Frauendorfer | parteilos | 1855-1921 | |
Soziale Fürsorge | Hans Unterleitner | USPD | 1890-1971 | bis 12. April 1919, dann kommissarisch Hans Gasteiger (SPD, 1876-1965) |
Handel, Industrie und Gewerbe | Josef Simon | USPD | 1865-1949 | bis 7. April 1919, dann kommissarisch Martin Segitz |
Landwirtschaft | Martin Steiner | Bauernbund | 1864-1950 | |
Militärische Angelegenheiten | Ernst Schneppenhorst | SPD | 1881-1945 |
Erste Regierungsmaßnahmen
Mit der ersten Ministerratssitzung am 19. März 1919 setzte ein verzweifelter Wettlauf der Regierung gegen die Zeit ein, um die politisch divergierenden Richtungen zusammenzuhalten und die katastrophale wirtschaftliche Situation zu verbessern. Sofortmaßnahmen zur Nahrungs-, Wohnungs- und Energieträgerbeschaffung sowie zur Organisation von Notstandsarbeiten sollten die soziale Not lindern. Die schnellstmögliche Abhaltung der Gemeinde-, Bezirks- und Kreiswahlen sollte die Demokratisierung des Landes voranbringen. Zugeständnisse an die Räteanhänger waren der Einbezug ihrer Vertreter in die Ministerratssitzungen und die Einrichtung eines Räte-Referates im Innenministerium, vor allem jedoch die Schaffung eines Zentralwirtschaftsamtes als Planungsbehörde für die Durchführung der Sozialisierung von Schlüsselbetrieben. Nur am Rande war eine Beschäftigung mit den Verfassungsverhandlungen auf Reichsebene sowie der Ausarbeitung einer eigenen bayerischen Verfassung möglich.
Der zunehmenden Radikalisierung setzte der Ministerpräsident sein Votum zur Einberufung des Landtags für den 8. April 1919 entgegen. Diese Maßnahme war mitentscheidend für die Ausrufung der Räterepublik am 7. April.
Kampf gegen die Räterepublik und Ende des Kabinetts
Nach der Ausrufung der Räterepublik verließen die USPD-Mitglieder Simon und Unterleitner das Kabinett, das nun seinen Sitz nach Bamberg verlegte und dort erstmals am 12. April tagte. Der Beamtenminister Neumaier, der in München blieb, wurde kommissarisch durch einen SPD-Vertreter ersetzt.
In den folgenden Wochen dominierten der Kampf gegen die Räterepublik und die Aufarbeitung ihrer Folgen die Regierungstätigkeit, die angesichts der militärischen Situation besonders stark von der Reichsregierung beeinflusst wurde. Daneben wurden die wichtigsten im März begonnenen Maßnahmen vom Ministerrat unter Einbezug des seit 15. Mai wieder tagenden Landtags weiter behandelt.
Die gewaltsame Beseitigung der Räteregierung in den ersten Maitagen und der damit verbundene Rechtsruck entzogen der durch den Rückzug der USPD nochmals geschwächten Minderheitsregierung von SPD und Bauernbund jedoch die politische Grundlage. Die Bildung eines neuen Kabinetts unter Einbindung der BVP war unumgänglich. Dass dieses weiterhin von Johannes Hoffmann geführt wurde, demonstrierte nicht nur die mangelnde Bereitschaft der Bayerischen Volkspartei, politische Verantwortung zu übernehmen, sondern auch die Anerkennung, die dem Ministerpräsidenten für seine konsequente Verteidigung der parlamentarischen Demokratie gezollt wurde.
Literatur
- Diethard Hennig, Johannes Hoffmann, Sozialdemokrat und bayerischer Ministerpräsident, München 1990.
Quellen
- Wolfgang Ehberger (Bearb.), Das Kabinett Hoffmann I. 17. März - 31. Mai 1919 (Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1919-1945 2,1), München 2010.
- Landtagsprotokoll vom 17. und 18. März 1919 mit der Bildung der Regierung Hoffmann I
Weiterführende Recherche
Verwandte Artikel
- Beisetzung Kurt Eisners, München, 26. Februar 1919
- Der Freistaat. Amtliches Organ der Bayerischen Landesregierung
- Kabinett Hoffmann II, 1919/20
- Kabinett Segitz, 1919
- Landesverband der Einwohnerwehren Bayerns, 1920/21
Bamberger Regierung
Empfohlene Zitierweise
Johannes Merz, Kabinett Hoffmann I, 1919, publiziert am 15.01.2007; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Kabinett_Hoffmann_I,_1919> (7.11.2024)