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Staatsministerium für Soziale Fürsorge

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Demonstrationszug von Kriegsbeschädigten vor dem Ministerium für Soziale Fürsorge am 5. Januar 1919. (Bayerische Staatsbibliothek, Fotoarchiv Hoffmann)
Verordnung über die Staatsministerien, 30. Juli 1928. (Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Bayern 1928, 361)
Heinrich Oswald (1866-1945), Staatsminister für Soziale Fürsorge. (Amtliches Jahrbuch des Bayerischen Landtags, Münchens 1925, 185)

von Josef Anker

Am 14. November 1918 von der Regierung Eisner gebildetes Ministerium, das die Regierung Held im Zuge der Verwaltungsvereinfachung am 30. Juli 1928 wieder auflöste. Das Ministerium für Soziale Fürsorge zählte zu den Revolutionsministerien, die nach dem Sturz der Monarchie 1918 neben die bisherigen klassischen Ressorts traten. Zuständig war es für Fragen des Arbeitsmarktes, der Sozialversicherung, des Wohnungswesens und der Kriegsfürsorge.

Errichtung und Kompetenzen

Die äußerst prekäre soziale Lage Bayerns am Ende des Ersten Weltkrieges war von folgenden Problemfeldern geprägt:

Zur Bewältigung dieser Herausforderungen kam es nach der Revolution in Bayern zu größeren Veränderungen in der bayerischen Ministerialstruktur. Sowohl bei am 2 November 1918 vereinbarten Regierungsneubildung unter Otto von Dandl (1868-1942) als auch bei der Bildung des Kabinetts Eisner vom 8. November 1918 war ein Sozialministerium vorgesehen, das am 14. November 1918 unter der Bezeichnung Ministerium für Soziale Fürsorge errichtet wurde.

Seine Aufgaben und Zuständigkeiten umfassten folgende Bereiche:

  • Behandlung der rechtlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten der Arbeiter und Angestellten
  • Leitung der Gewerbeaufsicht
  • Überwachung des Arbeitsmarktes, insbesondere die Ordnung der Arbeitsvermittlung und der Arbeitslosenfürsorge
  • Durchführung der Sozialversicherung, insbesondere der Vollzug der Reichsversicherungsordnung, des Versicherungsgesetzes für Angestellte sowie der Unfallfürsorgegesetze
  • Regelung des Wohnungswesens, einschließlich der städtischen und industriellen Siedlung.

Im Juni 1919 kam als weiterer Bereich die Kriegsfürsorge, vor allem die soziale Kriegsgeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge sowie die Kriegswohlfahrtspflege, hinzu. Der Dienstsitz des neuen Ministeriums befand sich ab Frühjahr 1919 im Wittelsbacher Palais in der Briennerstraße in München (1944 schwer beschädigt, 1964 abgebrochen).

Staatsminister für Soziale Fürsorge

Erster Staatsminister für Soziale Fürsorge wurde der gelernte Schlosser Hans Unterleitner (1890-1971). Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) in München und war Kurt Eisner (1867-1919) politisch und persönlich eng verbunden. Nach Unterleitners Ausscheiden leitete der ehemalige Staatskommissar für Demobilmachung, Martin Segitz (1853-1927), Mehrheitssozialdemokrat und Mitbegründer des Deutschen Metallarbeiterverbandes, vom 31. Mai 1919 bis zum Rücktritt der Regierung Hoffmann am 14. März 1920 das Ministerium.

In der nach dem Kapp-Putsch gebildeten konservativen Regierung (16. März 1920) unter Gustav von Kahr (1862-1934) übernahm der zum Arbeitnehmerflügel der Bayerischen Volkspartei (BVP) gehörende christliche Gewerkschaftsfunktionär Heinrich Oswald (1866-1945) die Leitung des Ministeriums für Soziale Fürsorge. Er hatte dieses Amt bis zur Auflösung des Ministeriums Ende Juli 1928 inne. Von 1928 bis zu seinem Rücktritt im Dezember 1929 leitete Oswald als Staatssekretär die ins Ministerium für Landwirtschaft und Arbeit überführte "Abteilung Arbeit".

Organisation und Personal

Der Staatsminister wurde von einem Staatsrat vertreten. Die Führungsebene des Ministeriums bildeten rund 20 Ministerial- und Regierungsräte. Sie bestand aus einem Generalsekretariat und drei Abteilungen, denen eine unterschiedliche Zahl von Referaten zugeordnet war:

  • Die Abteilung I war für alle Arbeiter- und Angestelltenfragen einschließlich der Gewerbeaufsicht zuständig.
  • Der Abteilung II oblag das gesamte Wohnungs- und Siedlungswesen.
  • Die Abteilung III umfasste die Angelegenheiten der Sozialversicherung, der Erwerbslosenfürsorge sowie der Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge.

Als Neuerung wurde von Anfang an ein eigenes Frauenreferat eingesetzt, das sich mit der Behandlung der rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte der Berufstätigkeit von Frauen befasste.

Die Gesamtzahl der Beschäftigten schwankte in den Anfangsjahren stark. So stieg die Anzahl der Beamten und Angestellten von 51 im Jahr 1918 auf 81 im Jahr 1919 und sank 1920 wieder auf 75. Die Mehrheit der führenden Mitarbeiter rekrutierte sich aus Funktionärskreisen der Arbeiterbewegung, was wiederholt Zweifel an der Überparteilichkeit des Ministeriums hervorrief.

Tätigkeit

Die größte Herausforderung an die Sozialpolitik stellte die Schaffung von Arbeitsplätzen dar. Zu diesem Zweck wurden umfangreiche, so genannte Notstandsarbeiten in allen Zweigen der Staatsverwaltung in Angriff genommen, ergänzt durch eine allgemeine Erwerbslosenfürsorge für nicht vermittelbare Personen. Einen weiteren Schwerpunkt der Tätigkeit bildete die Reform des Arbeiterschutzes und des Arbeitsrechtes (Achtstundentag, Gesundheitsschutz, Arbeitsgerichte), wobei die Förderung des Tarif- und Schlichtungswesens überwog. Weitere zentrale Aufgaben stellten die Klein- und Sozialrentnerfürsorge sowie die Wohnungsfürsorge dar, bei der neben der Wohnraumbewirtschaftung die Förderung des gemeinnützigen und privaten Wohnungsbaues im Mittelpunkt stand. Im Rahmen der Kriegsfürsorge ging es vor allem um die Wiedereingliederung der Kriegsbeschädigten und -hinterbliebenen in das Wirtschaftsleben.

Auflösung des Ministeriums

Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Sparsamkeit, aber auch aus koalitionspolitischen Erwägungen wurde bei der Bildung des zweiten Kabinetts von Ministerpräsident Heinrich Held (1868-1938) das Ministerium für Soziale Fürsorge zum 30. Juli 1928 aufgelöst und als "Abteilung Arbeit" dem Landwirtschaftsministerium zugeschlagen, das nunmehr den Namen "Staatsministerium für Landwirtschaft und Arbeit" führte. Zugleich fiel der Fürsorgebereich wieder an das Innenministerium zurück, aus dem er 1918 herausgelöst worden war. Eine echte Integration der von einem Staatssekretär geleiteten "Abteilung Arbeit" in das Landwirtschaftsministerium fand aus sachlichen wie aus räumlichen Gründen zu keiner Zeit statt. Bereits 1932 erfolgten die Aufhebung des Landwirtschaftsministeriums und die Neuerrichtung eines "Staatsministeriums des Äußern, für Wirtschaft und Arbeit", in dem die "Abteilung Arbeit" aufgrund ihres eigenen Geschäftsbereichs und der räumlichen Trennung weiterhin relativ eigenständig blieb. Anlässlich der Auflösung des Außenministeriums 1933 gelangte die Abteilung an das neu errichtete Wirtschaftsministerium; 1943 dann an das Innenministerium. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde im Juni 1945 wieder ein Bayerisches Arbeitsministerium gebildet.

Minister für Soziale Fürsorge Lebensdaten Amtszeit Besonderheiten
Hans Unterleitner, USPD 1890-1971 8./14. November 1918 - 12. April 1919
Hans Gasteiger 1876-1965 12. April 1919 - 31. Mai 1919 in Vertretung
Martin Segitz, SPD 1853-1927 31. Mai 1919 - 14. März 1920 zuvor Innenminister
Heinrich Oswald, BVP 1866-1945 16. März 1920 - 30. Juli 1928 anschließend Staatsekretär im Staatsministerium für Landwirtschaft und Arbeit

Literatur

  • Josef Anker, Das bayerische Staatsministerium für Soziale Fürsorge, seine Geschäftsbereiche in der Ministerialstruktur seit 1918 und seine archivalische Überlieferung im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, in: Archivalische Zeitschrift 85 (2003), 221-257.
  • Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales (Hg.), 100 Jahre Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, München 2018.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Josef Anker, Staatsministerium für Soziale Fürsorge, publiziert am 11.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Staatsministerium_für_Soziale_Fürsorge (19.03.2024)