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Demobilmachung, 1918-1923 (ökonomisch, gesellschaftlich, kulturell)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

(Weitergeleitet von Demobilmachung, 1918-1923 (ökonomisch, gesellschaftlich, kulturell))

von Stephanie Neuner

Der Weltkrieg von 1914-1918 hatte als erster "totaler Krieg" (Erich Ludendorff) zu einer bis dahin unbekannten Mobilisierung von Wirtschaft und Gesellschaft an der "Heimatfront" geführt. Demzufolge konzentrierte sich die Demobilmachung nach dem Waffenstillstand vom 11. November 1918 nicht mehr ausschließlich auf den militärischen Bereich (ab 10. Januar 1919), sondern im Besonderen auch darauf, Kriegswirtschaft und Kriegsgesellschaft auf die Friedensverhältnisse umzustellen. Die ökonomische Umstrukturierung verlief vor dem Hintergrund der politischen Umwälzungen durch Revolution, Räterepublik und deren Niederschlagung 1919 insgesamt erfolgreich. Der Prozess dauerte mehrere Jahre und gilt erst mit dem Jahr der Hyperinflation 1923 als abgeschlossen.

Organisatoren der wirtschaftlichen Demobilmachung

Die Leitung der wirtschaftlichen Demobilmachung oblag auf Reichsebene dem "Reichsamt für wirtschaftliche Demobilmachung". In Bayern ernannte die Regierung Eisner am 12. November 1918 einen "Staatskommissar für Demobilmachung", dessen Aufgabe es sein sollte, "alle Anordnungen zu erlassen, die erforderlich sind, um Störungen des Arbeitsmarktes infolge der wirtschaftlichen Demobilmachung vorzubeugen oder abzuhelfen" (Bayerische Staatszeitung 1918, Nr. 265, 14. November 1918). Bis zur Auflösung am 13. Mai 1919 (Bayerische Staatszeitung 1919, Nr. 128, 20. Mai 1919) hatte das Amt Martin Segitz (SPD, 1853-1927) inne, sein Stellvertreter (und späterer Leiter der "Demobilmachungsstelle Süd") war Friedrich Gruber (1879-1949). Auf regionaler Ebene wurden "Demobilmachungskommissare" eingesetzt, die durch "Demobilmachungskreisausschüsse" sowie kommunale "Demobilmachungsausschüsse" unterstützt wurden, welche paritätisch mit Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertretern besetzt wurden. Für Süd- und Nordbayern existierten ab dem 29. Januar 1919 "Demobilmachungsstellen" in München und Nürnberg.

Aufbau der Friedenswirtschaft

Am 30. November 1918 ordnete der bayerische Staatskommissar an, die Rüstungsarbeiten am 6. Dezember 1918 einzustellen. Aufgrund des dramatischen Rohstoffmangels stellte man in Bayern die Kriegsproduktion wesentlich früher ein als in anderen Teilen des Deutschen Reiches, wo die Kriegsproduktion bis zum 31. Januar 1919 und darüber hinaus weitergeführt werden konnte. Das Ziel sämtlicher Demobilmachungsverordnungen war die Stabilisierung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lage bei gleichzeitiger Reintegration der rund 900.000 rückkehrenden Soldaten in den Arbeitsmarkt. Die Regelungen umfassten hauptsächlich staatliche Eingriffe in die Beschäftigungspolitik, den Ausbau des Arbeitsnachweiswesens sowie die Organisation der Erwerbslosenfürsorge. So genannte Notstandsarbeiten sollten der Arbeitsbeschaffung dienen, beispielsweise im staatlichen Straßen- oder Brückenbau, in der Forstwirtschaft oder innerhalb der Wasser- und Elektrizitätsversorgungsanlagen. Die mittel- und unmittelbaren Effekte der wirtschaftlichen Demobilmachung trafen die industriellen Ballungsräume Bayerns ungleich stärker als die ländlichen, von der Agrarwirtschaft geprägten Regionen Süd- und Ostbayerns.

Rohstoffmangel

Neben knapper Auftrags- und desolater Transportlage (so mussten z. B. Lokomotiven an die Siegermächte abgeliefert werden) erschwerte der anhaltende Mangel an Rohstoffen die Umstellung der Industrie auf Friedensproduktion. Vor allem aufgrund der dauerhaft ungenügenden Kohlenversorgung waren viele Betriebe wie die Bayerischen Geschützwerke, die Bayerischen Flugzeugwerke (BFW) oder die Zeppelinwerke Lindau gezwungen, ihre Produktion zeitweise stillzulegen oder ganz einzustellen. In Bayern versuchte man dem Rohstoffmangel langfristig entgegenzuwirken, indem man die Wasserkraft zur Elektrizitätsgewinnung heranzog und das Walchenseekraftwerk sowie die Großkraftwerke an der mittleren Isar bauen ließ (ab 1918/21).

Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit

Bekanntmachung des Staatskommissars für Demobilmachung über die Einstellung von Arbeitslosen, 16. Mai 1919. (Bayerische Staatszeitung, 20. Mai 1919, 11)

Nach einer gewerblichen Betriebszählung von 1917 arbeiteten in Bayern ca. 90% der Beschäftigten unmittelbar oder mittelbar für die Rüstungsindustrie (StJB 1921, 209f). Um die nach einem plötzlichen Stopp der Rüstungsproduktion befürchtete Massenarbeitslosigkeit von Industriearbeitern und heimgekehrten Kriegsteilnehmern zu verhindern, wurden zahlreiche dirigistische Maßnahmen in der Beschäftigungspolitik getroffen. Hierzu gehörten die Einführung des Acht-Stunden-Tages (in Bayern am 13. November 1918) und die Verordnungen, die Wiedereinstellung sowie Weiterbeschäftigung von Arbeitern und Angestellten staatlichen Vorgaben unterwarfen. So wurden Arbeitgeber u. a. verpflichtet, aus dem Krieg zurückkehrende Männer wieder in ihre alten Arbeitsplätze aufzunehmen. Den schwierigen Ausgangsbedingungen entsprechend stieg die Arbeitslosenzahl ab Ende November 1918 stark an und erreichte im Februar 1919 in ganz Bayern ihren Höhepunkt (1,1 Mio.), was die Regierung Eisner maßgeblich schwächte. Im landesweiten Vergleich fanden sich die meisten Arbeitssuchenden in den Regierungsbezirken Oberbayern sowie Ober- und Mittelfranken. Die höchsten Arbeitslosenzahlen entfielen, noch vor München, auf die fränkischen Industriezentren Fürth und Hof. Die Entwicklung des Arbeitsmarktes in der Pfalz entsprach grundsätzlich der im rechtsrheinischen Bayern, auch hier erreichten die Arbeitslosenzahlen im Februar 1919 ihren Höchststand. Witterungsbedingt ging jedoch die Zahl der Arbeitslosen in der Pfalz schneller zurück als in anderen Teilen Bayerns, nämlich bereits ab April 1919. In ganz Bayern sank ab Dezember 1919 die Arbeitslosigkeit insgesamt deutlich (470.000).

Zurückdrängung der Frauenerwerbstätigkeit

Die reibungslose Reintegration der Kriegsteilnehmer in die Erwerbsgesellschaft wurde in erster Linie dadurch ermöglicht, dass Frauen, die während des Krieges in der Rüstungsindustrie, im Transportgewerbe oder in der Post- und Eisenbahnverwaltung tätig gewesen waren, ihre Arbeitsplätze zwangsweise räumten. Die über 90.000 Frauen, die nach einer Zählung von 1917 in der bayerischen Kriegsindustrie beschäftigt gewesen waren (StJB 1921, 112), wurden nach einer entsprechenden Verordnung des Reichsdemobilmachungsamtes sukzessive entlassen.

Lebensmittelmangel und Wohnungsnot

Den Demobilisierungsprozess prägte, neben Inflation und Teuerung, der anhaltende Mangel an Wohnraum und Nahrungsmitteln. Um die katastrophale Wohnungs- und Versorgungslage zu entschärfen, entschied man sich in beiden Bereichen für eine Zwangsbewirtschaftung. Dementsprechend wurden Beschaffung und Verteilung von Lebensmitteln bzw. Wohnraum sowie die Kontrolle der Preise (Bayerische Landespreisstelle) durch staatliche Behörden koordiniert.

Zur Verbesserung der Lebensmittellage, die in München am 11. März 1920 zu öffentlichen Ausschreitungen geführt hatte, wurden zusätzlich öffentliche Suppenküchen eingerichtet und Schulspeisungen angeboten. Die Wohnungssituation, insbesondere in München, verschlechterte sich seit Kriegsende dramatisch. Noch 1920 lagen dem Wohnungsamt München ca. 17.200 Wohnungsgesuche vor (StJB 1921, 380). Um kurzfristig zusätzlichen Wohnraum zur Verfügung stellen zu können, wurden zunächst Massenquartiere und Notunterkünfte eingerichtet. Durch Zivileinquartierungen, wobei die Eigentumsrechte der Besitzer und Vermieter von Häusern und Wohnungen stark einschränkt wurden, konnten in München bis April 1920 ca. 5.700 Wohnungen gewonnen werden (Rudloff, Wohlfahrtsstadt, 415). Aufgrund des anhaltenden Mangels, vor allem an Kleinwohnungen, förderte man den öffentlichen Wohnungsbau in den bayerischen Städten.

Veteranen und Kriegsbeschädigte

Die ökonomische Integration der Kriegsteilnehmer war weitgehend konfliktfrei verlaufen. Die befürchtete destabilisierende Wirkung des gesamten Demobilisierungsprozesses auf die politischen Verhältnisse war ausgeblieben, auch wenn sich ein Teil der heimgekehrten Soldaten umgehend in den politisch heterogenen, paramilitärischen Verbänden (Freikorps, Einwohnerwehren, Wehrverbände) mobilisieren ließ. Weit schwieriger erwies sich jedoch die Reintegration der Kriegsinvaliden in Gesellschaft und Arbeitsmarkt, die als Blinde, Amputierte oder "Kriegszitterer" das Straßenbild der Weimarer Republik prägten. In Bayern zählte man 1924 95.000 Kriegsbeschädigte, die staatliche Renten- und Fürsorgeleistungen durch die bayerischen Versorgungsämter erhielten (Reichsbund 1926, 19). Die Kriegsbeschädigten organisierten sich in Veteranenverbänden, die vornehmlich sozialpolitische Ziele verfolgten und sich darin von den traditionellen Kriegervereinen unterschieden.

Kulturelle Demobilmachung?

Trotz erfolgreicher wirtschaftlicher und militärischer Demobilmachung belasteten die Folgen des Ersten Weltkriegs die Wirtschaft und vor allem die politische Kultur der Weimarer Republik nachhaltig. In den öffentlichen Debatten, etwa um die deutsche "Kriegsschuld" oder die "Dolchstoßlegende", offenbarte sich, dass der "Krieg in den Köpfen" noch Jahre nach dem Waffenstillstand lebendig geblieben war. Es war nicht gelungen, auch eine umfassende kulturelle Demobilmachung der Gesellschaft zu erreichen.

Dokumente

Verordnung der Staatsregierung betreffend Maßnahmen gegen Wohnungsmangel und Obdachlosigkeit vom 22. November 1918, aus: Gesetz- und Verordnungsblatt für den Volksstaat Bayern 1918, 1244-1248.

Literatur

  • Richard Bessel, "Eine nicht allzu große Beunruhigung des Arbeitsmarktes". Frauenarbeit und Demobilmachung in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, in: Geschichte und Gesellschaft 9 (1983), 211-229.
  • Martin H. Geyer, Wohnungsnot und Wohnungszwangswirtschaft in München 1917-1924, in: Gerald Feldman/Carl-Ludwig Holtfrerich/Gerhard A. Ritter/Peter-Christian Witt (Hg.), Die Anpassung an die Inflation, Berlin/New York 1986, 127-162.
  • John Horne, Kulturelle Demobilmachung 1919-1939. Ein sinnvoller historischer Begriff?, in: Wolfgang Hardtwig (Hg.), Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit 1918-1939, Göttingen 2005, 129-150.
  • Sabine Kienitz, Beschädigte Helden. Zur Politisierung des kriegsinvaliden Soldatenkörpers in der Weimarer Republik, in: Jost Dülffer/Gerd Krumeich (Hg.), Der verlorene Frieden. Politik und Kriegskultur nach 1918, Essen 2002, 199-214.
  • Sieglinde Reif, Hunger, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, "Demobilmachung". Folgen des Ersten Weltkrieges in München, in: Sybille Krafft (Hg.), Zwischen den Fronten. Münchner Frauen in Krieg und Frieden 1900-1950, München 1995, 108-122.

Quellen

  • Bayerische Staatszeitung und Bayerischer Staatsanzeiger 1918, 1919.
  • Der Freistaat, Amtliches Organ der Bayerischen Landes-Regierung 1918, 1919.
  • Statistisches Jahrbuch für den Freistaat Bayern 14 (1919), 15 (1921), 16 (1924).
  • Kurt Königsberger, Die wirtschaftliche Demobilmachung in Bayern während der Zeit vom November 1918 bis Mai 1919, in: Zeitschrift des Bayerischen Statistischen Landesamts 52 (1920), 193-226.
  • August Lang, Die Entwicklung der Erwerbslosenfürsorge in München in den ersten zehn Monaten nach Eintritt der Demobilmachung, in: Zeitschrift des Bayerischen Statistischen Landesamts 53 (1921), 495-524.
  • Josef Nothaas, Die Kriegsbeschädigtenfürsorge (unter besonderer Berücksichtigung Bayerns), in: Zeitschrift des Bayerischen Statistischen Landesamts 53 (1921), 48-209.
  • Reichsbund. Organ des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegshinterbliebenen 3 (1926), 19.
  • Die Regierung Eisner 1918/1919. Ministerratsprotokolle. Dokumente, eingeleitet und bearbeitet v. Franz J. Bauer (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 1/10), Düsseldorf 1987.

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Stephanie Neuner, Demobilmachung, 1918-1923 (ökonomisch, gesellschaftlich, kulturell), publiziert am 31.10.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Demobilmachung,_1918-1923_(ökonomisch,_gesellschaftlich,_kulturell) (1.12.2024)