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Heiligenverehrung (Mittelalter)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

von Walter Pötzl

Die Verehrung von Heiligen als direkten Mittlern zu Gott setzte in der Antike mit dem Gedenken an die Märtyrer ein und gewann in der mittelalterlichen Welt zunehmend an Bedeutung. Zahl und Bestand der im Raum des heutigen Bayern verehrten Heiligen änderte sich im Mittelalter beständig. Den Anfang bildeten die schon bei der Christianisierung vorhandenen biblischen und römischen Heiligen. Dazu traten regional typische Heilige wie Bischöfe und Äbte der Missions- und Kirchenorganisationszeit; besonders im 8./9. Jahrhundert wurden Reliquien von Heiligen aus Rom und Italien nach Norden verbracht. Später wurden herausragende Gestalten der hochmittelalterlichen Kirchenreform verehrt. Hinzu kamen vor allem im Spätmittelalter teilweise nur schlecht bezeugte lokale Heilige.

Begriffsbestimmung

Die Verehrung von Heiligen setzt in der frühen christlichen Kirche ca. ab dem 3. Jahrhundert ein. Verehrt wurden zunächst die Märtyrer, die als Bekenner ihres Glaubens starben, später auch Persönlichkeiten, die sich durch ihr Wirken und ihre vorbildliche Lebensführung auszeichneten. Ihnen werden Wunder zugeschrieben, die sie zu Lebzeiten bzw. nach ihrem Tod wirkten. Häufig wird die vorbildhafte Lebensführung von Heiligen in Viten beschrieben, wodurch ihr Kult verbreitet und gefördert wurde.

Von den Gläubigen wurden Heilige angerufen, um Fürsprache bei Gott zu halten. Um Anteil an der Heiligkeit des Verehrten zu erlangen, suchten Gläubige deren Nähe, indem sie zu den Gräbern wallfahrten, aber auch, indem sie in Besitz von Reliquien der Heiligen gelangten oder Bildnisse von ihnen anfertigten. Die Heiligsprechung (Kanonisation) übte in der römisch-katholischen Kirche seit 1234 ausschließlich der Papst aus.

Biblische und römische Heilige

Die ältesten Listen von Heiligen enthalten die Handschriften der Gregorianischen und Gelasianischen Sakramentare (beide ab Mitte des 7. Jahrhunderts). Aus ihnen schöpfen die Kalendarien ihre Grundbestände an biblischen und römischen Heiligen. Zu ihnen gehören neben Maria vor allem Petrus, Andreas, Johannes Baptist, Michael und Stephanus.

In die Spätantike reichen für den Raum des heutigen Bayerns möglicherweise Laurentius-Patrozinien zurück, auf jeden Fall der Kult der hl. Afra (gest. 304), die nach ihrem Martyrium an der Römerstraße südlich von Augsburg bestattet wurde. Kirchen mit Afra-Patrozinien liegen fast ausschließlich an oder in der Nähe von Römerstraßen, die nach Augsburg führten. In ihnen könnten alte Stationskirchen an den Pilgerwegen fortleben.

Heilige des Frühmittelalters

Früh wurden Heilige aus der Zeit der Mission und der Kirchenorganisation verehrt. Ihre Kanonisation erfolgte durch Elevatio und Translatio. Dabei wurde der Leib des Heiligen aus dem Grab erhoben und an eine Kultstätte gebracht. Die Obrigkeit erkannte die Verehrung dieser Heiligen also an, noch bevor eine geregelte Kanonisation aufkam. Für den Raum des heutigen Bayerns handelte es sich dabei um Emmeram in Regensburg, Korbinian in Freising und Kilian in Würzburg, ferner Rupert in Salzburg. Ihnen folgen Wunibald in Heidenheim, Sola in Solnhofen (beide Lkr. Weißenburg-Gunzenhausen), Magnus in Füssen (Lkr. Ostallgäu) und Walburga in Monheim (Lkr. Donau-Ries).

Zwischen dem späten 8. Jahrhundert und 877/78 wurden nach Altbayern und Schwaben zwölf "Heilige Leiber" aus Rom und Italien übertragen. Als Klosterpatrone erlangten von ihnen die Heiligen Quirinus (Tegernsee), Gordianus und Epimachus (Kempten) und Castulus (Moosburg) besondere Bedeutung. Kirchenpatrozinien dieser Heiligen verweisen noch heute auf ehemaligen Klosterbesitz. Die Karolinger übernahmen die merowingischen Königsheiligen Martin (gest. 397) und Remigius (gest. 533) und fügten den hl. Dionysius (gest. 250) hinzu. Martinspatrozinien dürfen in Zusammenhang mit nachgewiesenem Reichsgut (und an Altstraßen) als fränkisch gelten.

Romanische Kalksteinfigur des hl. Mauritius aus Kloster Niederaltaich (Lkr. Deggendorf), ca. 1250. Dieser wurde bereits seit dem 8. Jahrhundert in Niederaltaich verehrt. (Bayerisches Nationalmuseum, Inventarnr.: MA 116)

Heilige der Ottonen

Schon seit der Spätantike und der Karolingerzeit verehrte Märtyrer gelangten durch Reliquienerwerb in ottonischer Zeit zu erneuter Bedeutung. Unter den Liudolfingern wurde der hl. Vitus, dessen Kult von der Reichsabtei Corvey (Nordrhein-Westfalen) ausstrahlte, zum Königsheiligen. Als Schutzheilliger der Ritter und des Heeres erfuhr Mauritius eine lebhafte Verehrung.

Am Laurentiustag (10. August) des Jahres 955 besiegte König Otto I.(reg. 936-973) die Ungarn bei Augsburg, was eine neue Verehrungswelle des hl. Laurentius auslöste. Bei der Abwehr der Ungarn tat sich besonders der Augsburger Bischof Ulrich (reg. 923–973) hervor. Er genoss im Reich höchstes Ansehen und wurde schon bald nach seinem Tod als Heiliger verehrt. Die Reichssynode, die 1036 unter Vorsitz Konrads II. (reg. 1024-1039, ab 1027 Kaiser) in Tribur tagte, beschloss, die Messe des hl. Ulrich feierlich zu begehen. Mit der Feststellung, Ulrichs Heiligkeit durchdringe ganz Europa, leitet Othloh von St. Emmeram (ca. 1010-nach 1070) den Abschnitt in seiner Vita S. Wolfgangi ein, in dem er über Wolfgang von Pfullingens (reg. 972-994) von Ulrich empfangene Priesterweihe berichtet. Von einem so hoch verehrten Heiligen die Weihe empfangen zu haben, übertrug Glanz auch auf den jüngeren, noch nicht so starken Kult des Regensburger Bischofs.

Auch der Kult des ersten Eichstätter Bischofs, des hl. Willibald (gest. ca. 787/789), für den die ersten Belege erst gegen Ende des 9. Jahrhunderts auftauchen, sollte durch den hl. Ulrich gestärkt werden. Der Anonymus Haserensis (Anonymus von Herrieden) behauptete um 1060, Ulrich sei ein Freund des Eichstätter Bischofs gewesen und sei möglichst oft zu dessen Grab gekommen, da er nirgendwo besser habe beten können. Die Tendenz des Anonymus tritt deutlich hervor: Wenn der überall hochverehrte Ulrich ein so großer Verehrer des hl. Willibald war, dann sollten ihm die Menschen nacheifern.

Kulte des hohen Mittelalters

In Niedermünster in Regensburg steigerte sich gegen Ende des 10. Jahrhunderts die Verehrung des hl. Erhard (8. Jh.), die dann in der Elevatio, die Papst Leo IX. (reg. 1049-1054) am 8. Oktober 1052 im Beisein Kaiser Heinrichs III. (reg. 1039-1056, ab 1046 Kaiser) vornahm, ihren Höhepunkt erreichte. Im Mittelpunkt des ersten Mirakels steht eine Nichte Bischof Ulrichs von Augsburg.

Auch im 11. Jahrhundert wurden Translationen vorgenommen. Nach Ebersberg gelangte die Hirnschale des hl. Sebastian, nach Freising kam ein großer Teil der Reliquien des hl. Nonnosus (6. Jh.) und ein Mönch brachte 1053 die Gebeine der hl. Anastasia (3./4. Jh.) nach Benediktbeuern (Lkr. Bad Tölz-Wolfratshausen). Zum Jahre 1070 melden die Annales Augustani, dass in Nürnberg der hl. Sebald (11. Jh.) begann, Wunder zu wirken.

Kaiser Heinrich II. (reg. als 1002-1024, ab 1014 Kaiser) wurde im Herrscherlob und im Messoffizium bereits verehrt, bevor um 1145 ein Kanonisationsverfahren eingeleitet wurde. Bestrebungen, Heinrichs Gemahlin Kunigunde (gest. 1033) als Heilige zu verehren, datieren erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts. In Konkurrenz zum Bamberger Dom entwickelte sich auf dem Michelsberg am Grab des Bamberger Bischofs Otto I. (reg. 1102-1139) ein Kult, der dann 1189, 50 Jahre nach dessen Tod durch die Kanonisation bestätigt wurde. In der Krypta des Würzburger Domes blühte kurz nach 1200 die Verehrung Bischof Brunos (reg. 1034-1045) auf. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts setzte in Kloster Prüfening (Stadt Regensburg) die Mirakelüberlieferung des Gründungsabtes Erminold (gest. 1121) ein.

Die Heiligenverehrung erschöpfte sich bei weitem nicht in den Heiligen, deren Gräber man in den heimischen Gefilden aufsuchen konnte. Im liturgischen Bereich, in der Hagiographie und in der Patrozinienwahl tauchten "neue" Heilige auf: Eine erste Welle der Verehrung des Hl. Nikolaus (gest. im 4. Jh.) hatte sich im Umfeld der Kaiserin Theophanu (gest. 991) entfaltet. Eine zweite Welle brachte die Überführung der Reliquien des Nikolaus nach Bari (Italien) 1087. Dieses Ereignis wurde als so bedeutsam erachtet, dass es Aufnahme in Kalendarien, Annalen und Chroniken fand. Aus Frankreich drang im späten 11. Jahrhundert die Verehrung des hl. Ägidius (St. Gilles) (7./8. Jh.) und der hl. Magdalena (Ve'zelay), vom 12. Jahrhundert an der Kult des hl. Leonhard (ca. 6./7. Jh.) vor, der bis in die Barockzeit vor allem als Gefangenenpatron galt.

Gefördert durch das Reformpapstum und die Gottesfriedenbewegung erlebte das Pilgerwesen bereits im 11. Jahrhundert einen starken Aufschwung. Einzelne Jakobskirchen kannte bereits die Karolingerzeit, doch jetzt erreichte die Verehrung des hl. Jacobus ihren Höhepunkt. Teilnehmer von Pilgerfahrten ins Heilige Land im 11. Jahrhundert und der seit 1095 einsetzenden Kreuzzüge gelangten nicht nur an Heiliglandreliquien, sondern kamen auch in Kontakt zu vorwiegend dort verehrten Heiligen wie Georg, Katharina und Margaretha. Das Rittertum verehrte daneben besonders die Heiligen Michael, Mauritius und Pancratius, Sebastian, Oswald und Sigismund, die hl. Drei Könige sowie Elisabeth von Thüringen (1207-1231). Die Kanonisation der hl. Elisabeth 1235 fand großes öffentliches Interesse. Der Deutsche Orden, in dessen Marburger Niederlassung sie begraben ist, die Familie mit ihren weit gespannten dynastischen Beziehungen und vor allem die Bettelorden und deren weibliche Zweige förderten ihre Verehrung. Als einzige deutsche Heilige fand sie Aufnahme in die weit verbreitete Legenda aurea.

Lokale Kulte des späten Mittelalters

In Eichstätt wurden im Jahre 1309 die Gebeine Bischof Gundekars II. (reg. 1057-1075) erhoben und in einem Hochgrab beigesetzt, was zunächst einen größeren Zustrom von Wallfahrern auslöste. Nach der Eroberung von Herrieden (Lkr. Ansbach) zwang Ludwig der Bayer (reg. 1314-1347, ab 1328 Kaiser) den Eichstätter Bischof, das Grab des hl. Deokar (8./9. Jh.) zu öffnen und die Reliquien herauszugeben, um sie den Bürgern von Nürnberg zu schenken, wo noch heute in der Lorenzkirche ein Altar von der Verehrung des Heiligen zeugt. Offensichtlich davon angeregt, besann man sich in Herrieden des eigenen Heiligen und erhob 1482 die verbliebenen Gebeine. In Augsburg blühte in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts der Kult des hl. Simpert, Bischof von Augsburg (reg. ca. 778–807), auf.

Kulte bestanden nicht immer in ungebrochener Kontinuität fort. So gerieten die Gebeine des hl. Castulus in Moosburg (Lkr. Freising) in Vergessenheit, wurden 1212 wieder gefunden, begründeten aber zunächst keinen lange anhaltenden Kult; dies geschah erst nach der Inventio von 1469. In Hohenwart (Lkr. Pfaffenhofen an der Ilm) wurden 1485 die in Vergessenheit geratenen Gebeine der hl. Richildis (gest. 1100) wiederentdeckt. In Wendelstein (Lkr. Roth) wurde seit der Mitte des 14. Jahrhunderts das Grab der hl. Achahild (gest. 970) verehrt. Nicht viel mehr wissen wir von der historischen Stilla von Abenberg (12. Jh.). Historisch schwer fassbar bleibt auch die hl. Gunthild in Suffersheim (Lkr. Weißenburg-Gunzenhausen).

Die Verehrung von Hildegard (gest. 783), der dritten Gemahlin Karls des Großen (reg. 768-814, ab 800 Kaiser), die in Metz bestattet ist, führte im 15. Jahrhundert in Kempten dazu, das Grab in der eigenen Klosterkirche zu behaupten. Eine Brot-Stiftung wurde auf sie zurückgeführt. In Holnstein (Gde. Berching, Lkr. Neumarkt i.d.Oberpfalz) zeigt die Grabplatte den hl. Reymotus mit Broten. Die Wallfahrer opferten, so 1480, Getreide, das verbacken und dann an die Armen verteilt wurde. Viele Fragen wirft auch der Grabstein des seligen Eberhard von Seeon aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts auf. Gleiches gilt auch für den genauen Standort der Grabstätte des hl. Albert (ca. 12. Jh. ?; Elevatio 1742) in Wörleschwang (Markt Zusmarshausen, Lkr. Augsburg). Gegen Ende des 14. Jahrhunderts entstand in Nürnberg das Legendar "Der Heiligen Leben", das auch deutsche Heilige berücksichtigte. Es entwickelte sich in Süddeutschland zum Standardwerk und wurde, reich mit Holzschnitten versehen, wiederholt gedruckt (Augsburg, Zainer u.a.; Nürnberg, Koberger). Die Größe des Heiligenhimmels veranschaulichten auch die im späten Mittelalter gepflegten Heiltumsschauen, die in den Bischofsstädten Würzburg, Bamberg und Augsburg, aber auch in Nürnberg (Reichsheiligtümer) und vor allem in Andechs (Lkr. Starnberg) viele Menschen anzogen. Im persönlichen Bereich äußerte sich die Heiligenverehrung jetzt auch in der Namensgebung.

Die Vierzehn Nothelfer

Erstmals erscheint eine Gruppe von Vierzehn Nothelfern 1284 in einer Ablassurkunde Gottfrieds von Passau (reg. 1283-1285) für die Liebfrauenkirche in Krems (Österreich). Aus dem 14. Jahrhundert haben sich zwei Nothelfer-Gebete erhalten; weitere Patrozinien sind für St. Peter in München, Lauf (Lkr. Nürnberger Land), in der Spitalkirche in Auerbach (Lkr. Amberg-Sulzbach) und im Heiliggeistspital in Nürnberg bezeugt. Die Gruppe dürfte auf den Reliquienbestand einer Altarweihe zurückgehen. Die Visionen des Schäfers von Frankenthal von 1445/46, in denen die Wallfahrt Vierzehnheiligen (Gde. Staffelstein, Lkr. Lichtenfels) gründet, lösten eine starke Kultintensität aus. An vielen Orten entstanden Nothelferkapellen, Altäre und Bilder.

Mutter Anna

Holzsskulptur der Hl. Anna selbdritt, mit der bekrönten Maria und dem Jesuskind auf dem Schoß (98,5×42,5×32,5 cm, Regensburg, um 1280/1290). Ursprünglich als Madonna entstanden, wurde die Figur erst nach 1300 zur Anna selbdritt umgearbeitet. (Bayerisches Nationalmuseum, Inv.-Nr.: MA 156)

Der im 13. Jahrhundert einsetzende Kultaufschwung in der Verehrung der hl. Anna, der Mutter der hl. Maria, erreichte in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts seinen Höhepunkt. Theologisch gefördert wurde der Kult durch die Kontroverse um die Unbefleckte Empfängnis Mariens, die durch Papst Sixtus IV. (reg. 1471-1484) positiv entschieden wurde. "Mariä Empfängnis" wurde am 8. Dezember in alten Kalendarien nachgetragen. Die zahlreichen Anna–Selbdritt–Figuren (Anna, Maria, Jesuskind) wurzeln in dieser Theologie. Die Legende vom Trinubium (drei Ehen der hl. Anna) bildete die Grundlage für die häufige Darstellung der hl. Sippe. Die Humanisten begeisterten sich für die Heilige. Es entstand eine umfangreiche erbauliche Anna-Literatur. Anna-Bruderschaften wurden sogar auf dem Land errichtet. Der Vorname Anna war zeitweilig der häufigste Mädchenname.

Quellen zur Heiligenverehrung

Zur Erforschung der Heiligenverehrung kann eine Vielzahl unterschiedlicher Quellen herangezogen werden: An Schriftquellen sind zunächst Viten, Translationsberichte und Mirakel sowie Legenden zu nennen, ferner Dedicationsurkunden und –nachrichten (also Berichte über Kirchenweihen mit Nennung des Patroziniums). Weitere Zeugnisse zur Heiligenverehrung bieten Reliquienverzeichnisse, Messoffizien, Gebete und Litaneien, Lieder sowie Kalendarien und Martyrologien. In Urkunden wurde häufig nach dem Tagesheiligen datiert.

Sachquellen zu Heiligen stellen vor allem Grabplatten und Hochgräber dar, ebenso Reliquien und Reliquiare sowie Bilder und Skulpturen.

Auch Patronate (meist nur aus der Legende entwickelte Zuständigkeiten) können Aufschluss über die Verehrung von Heiligen geben. Ebenso ist dies bei Patrozinien (Weihetitel der Kirchen und Altäre) der Fall. Die originärsten Quellen für Kirchenpatrozinien sind die Weiheurkunden und –notizen. Wilhelm Deinhardt (1904-1938) hat sie für das mittelalterliche Bistum Bamberg ediert. Weihenotizen aus Bayern wurden auch in den Monumenta Germaniae Historica (Scriptores XV, 1026 – 1110, XVII, 563f, XXX, 769) ediert. In der Reihe "Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte, Neue Folge" reihen mehrere Bände an die Urkunden, Urbare und Traditionen auch die Weihenotizen (Schäftlarn, Dießen [Lkr. Landsberg am Lech], Asbach [Lkr. Passau], Weihenstephan [Lkr. Landshut], Grafen von Falkenstein, Wessobrunn [Lkr. Weilheim-Schongau], Osterhofen (Lkr. Deggendorf), Prüfening, Polling [Lkr. Weilheim-Schongau]). Dedicationes im eigenen Klosterbereich oder in benachbarten und inkorporierten Kirchen wurden oft in den Kalendarien vermerkt. In der großen Gruppe der Inkorporationsurkunden werden Patrozinien meist nur in größeren Siedlungen genannt (in denen es zwei oder mehr Kirchen gab).

Grundsätzlich gilt, dass Patrozinien nicht isoliert (oder gar schematisch) betrachtet werden dürfen. Sie müssen in die Kultgeschichte des Heiligen und in deren breites Quellenspektrum eingebettet werden. Das wird umso wichtiger, wenn frühe Urkunden fehlen (was bei den meisten Patrozinien der Fall ist). Die geographische Lage einer Kirche (im alten Siedlungsland, in Siedlungen der verschiedenen Ausbauperioden, in abgelegenen Regionen) kann nicht außer Acht gelassen werden. In Städten oder größeren Siedlungen, in denen zwischen mehreren Kirchen unterschieden werden musste, lassen sich Patrozinien relativ früh fassen; ansonsten erscheinen sie in größerer Dichte erst ab dem 15. Jahrhundert in urkundlichen Quellen. Viele Heilige weisen eine mehrschichtige Kultgeschichte auf: Der hl. Martin z. B. war nicht nur der merowingisch-fränkische Königsheilige, sondern auch der Patron der Ritter und der Bischöfe des hohen Mittelalters. Der hl. Vitus war nicht nur der Königsheilige der sächsischen Kaiserzeit, sondern auch Volksheiliger des späten Mittelalters. Haben Heilige ein Kultzentrum, erklärt sich ein Teil der Patrozinien aus den Stationskirchen auf dem Weg dorthin. Zur Bewertung eines Patroziniums muss auf jeden Fall das Patronatsrecht herangezogen werden, konnte doch dessen Inhaber entscheidenden Einfluss auf die Kirche und damit auf deren Patrozinium nehmen. Ein Patrozinium konnte wechseln, vor allem wenn das Patronatsrecht in andere Hände fiel oder wenn der Heilige nicht mehr so aktuell erschien. Bei einem Wechsel wurden Patrozinien mitunter nur verschoben (vom Hauptaltar auf den Nebenaltar und umgekehrt). In den einzelnen Bistümern war der Patrozinienwechsel, der als mehr oder minder große Ausnahme gelten darf, unterschiedlich stark ausgeprägt. Besonders oft scheint er in Franken vollzogen worden zu sein.

In der Frömmigkeit wurde das Patrozinium als Fest vollzogen, das in der Regel auch in den weltlichen Bereich ausstrahlte. Kirchenheilige prägten zudem die Namensgebung.

Literatur

  • Andreas Jakob, Ein Spiegel des Heiligenhimmels auf Erden – Die mittelalterlichen Patrozinien im Bistum Bamberg, in: Rolf Bergmann/Günter Dippold u. a. (Hg.), Missionierung und Christianisierung im Regnitz- und Obermaingebiet, Bamberg 2007, 267-282.
  • Walter Pötzl, Die Anfänge und die ersten Jahrhunderte der Verehrung des Hl. Leonhard in Deutschland, in: Manfred Seifert/Winfried Helm (Hg.), Recht und Religion im Alltagsleben. Perspektiven der Kulturforschung. Festschrift Walter Hartinger zum 65. Geburtstag, Passau 2005 (Neue Veröffentlichungen des Instituts für ostbairische Heimatforschung 56), 259-282.
  • Walter Pötzl, Die Verehrung der Vierzehn Nothelfer vor 1400, in: Jahrbuch für Volkskunde NF 23 (2000), 157-186.
  • Walter Pötzl, Kirchengeschichte und Volksfrömmigkeit (Der Landkreis Augsburg 5), Augsburg 1994.
  • Walter Pötzl, Volksfrömmigkeit, in: Walter Brandmüller (Hg.), Handbuch der bayer. Kirchengeschichte. 1. Band: Von den Anfängen bis zur Schwelle der Neuzeit, 2. Teil: Das kirchliche Leben, Sankt Ottilien 1999, 995-1078.
  • Helmut Weigel, Das Patrozinium des Hl. Martin. Versuch einer Grundlegung von Ostfranken aus, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 100 (1964), 82-106.
  • Gerd Zimmermann, Patrozinienwahl und Frömmigkeitswandel im Mittelalter, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 20 (1958), 24-126; 21 (1959), 5-124.

Quellen

  • Arno Borst (Hg.), Der karolingische Reichskalender und seine Überlieferung bis ins 12. Jahrhundert, Hannover 2001 (Monumenta Germaniae Historica Libri memoriales I, 1-3).
  • Adolf Lagemann, Der Festkalender des Bistums Bamberg im Mittelalter. Entwicklung und Anwendung, in: Bericht des Historischen Vereins Bamberg 103 (1967), 7-264.
  • Engelbert Kirschbaum (Hg.), Lexikon der christlichen Ikonographie. 8 Bände, Rom, Freiburg u. a. 1968ff.

Weiterführende Recherche

Empfohlene Zitierweise

Walter Pötzl, Heiligenverehrung (Mittelalter), publiziert am 25.03.2019, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Heiligenverehrung_(Mittelalter)> (14.12.2024)