Hauptausschuss der Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Am 11. Juli 1946 gründete die Staatsregierung auf Weisung der US-amerikanischen Militärregierung den Hauptausschuss der Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern. Neben den vor den sowjetischen Truppen Geflohenen mussten die rund 2 Mio. aus dem Sudetenland und den deutschen Ostgebieten nach Bayern gelangten Vertriebenen versorgt werden. 1946 wurden nach den Vereinbarungen der Potsdamer Konferenz vor allem Sudetendeutsche mit der Bahn in die US-amerikanische Besatzungszone transportiert. In Bayern sorgte die US-amerikanische Militärregierung für eine landesweite Verteilung der Vertriebenentransporte und durchmischte gezielt die Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher Herkunft, da sie andernfalls eine Destabilisierung des Landes befürchtete. Im April desselben Jahres hatte sie vorübergehend Flüchtlingsorganisationen und landsmannschaftliche Zusammenschlüsse verboten. Als überparteiliche Interessenvertretung der Flüchtlinge und Vertriebenen entfaltete der Hauptausschuss bis in die 1960er Jahre hinein ausgreifende Aktivitäten. Er erwies sich als effizientes Instrument, die Planungen für die Ansässigmachung der Flüchtlinge und Vertriebenen im damals noch weitgehend agrarisch strukturierten Bayern voranzutreiben. Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde der Bund im Wesentlichen für die Gesetzgebung und die Lastenausgleichsregelung zuständig, so dass der Hauptausschuss der Flüchtlinge und Ausgewiesenen bereits 1949 an Bedeutung verlor. Mit der zunehmenden Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen wurden die von der Staatsregierung bereitgestellten Mittel gekürzt. Am 30. September 1973 schließlich wurde die Geschäftsstelle in München aufgelöst.
Gründung des Hauptausschusses als Beratungsgremium der Staatsregierung
Am 24. Juli 1946 konstituierte sich in München der Hauptausschuss der Flüchtlinge und Ausgewiesenen als selbstverwaltetes Gremium mit 15 und später 17 Mitgliedern. Er sollte die Interessen der Flüchtlinge und Vertriebenen bei der Dienststelle der Staatskommissare vertreten und damit beratend für die Staatsregierung tätig sein, wie dies Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (SPD, 1887–1980, Ministerpräsident 1945–1946, 1954–1957) bereits am 11. Juli 1946 angeordnet hatte. Die Mitglieder des Hauptausschusses, vor allem Juristen und Wirtschaftsfachleute, wurden entsprechend der Sitzverteilung im Landtag von den darin vertretenen Parteien vorgeschlagen und durch die Staatsregierung offiziell berufen, je fünf von den Christlich-Sozialen (CSU) und den Sozialdemokraten (SPD), je einer von den Freien Demokraten (FDP), den Kommunisten (KPD) und der Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung (WAV) sowie je ein Vertreter der Baltendeutschen und der Südostdeutschen. Sie hatten regelmäßig zusammenzutreten, Gutachten zur Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen zu erstellen und Vorschläge für die Landesentwicklung auszuarbeiten. Vor allem hatten sie die Zuweisung von Aufbaukrediten und Neusiedlerstellen, die auf Bodenreformland errichtet wurden, zu begutachten. Darüber hinaus hatten sie Beratungen vor Ort durchzuführen. Dabei waren sie einerseits an eine Satzung gebunden und hatten sich andererseits an Anweisungen der Staatsregierung zu halten.
Als Vorsitzender des Hauptausschusses wurden der aus Nordböhmen vertriebene, ehemalige Prager Abgeordnete der Deutschen Christsozialen Volkspartei (DCSV) Hans Schütz (ab 1946 CSU, 1901–1982) und als Stellvertreter der aus Schlesien stammende Willibald Mücke (SPD, 1904–1984) gewählt. Am 24. Februar 1950 folgte ihnen der aus dem tschechoslowakischen Reichenberg (Liberec/Tschechien) vertriebene und dort in der christlichen Gewerkschaftsbewegung aktiv gewesene Edmund Leukert (CSU, 1904–1983) zusammen mit dem ebenfalls aus den Sudetengebieten stammenden Peter Stark (SPD, 1909-1987) im Vorsitz nach. Die Geschäftsführung wurde dem Sudetendeutschen Roman Herlinger übertragen.
Der Hauptausschuss arbeitete eng mit den bayerischen Behörden zusammen, insbesondere mit dem Staatskommissar und späteren Staatssekretär für das Flüchtlingswesen und damit mit dem Staatsministerium des Innern. Ebenfalls kooperierte er mit Flüchtlingsorganisationen, Berufsverbänden und Hilfsorganisationen. In engem Kontakt stand der Hauptausschuss mit der in München ansässigen "Wirtschaftshilfe G.m.b.H.", die aus der im Juni 1945 gegründeten "Hilfsstelle für Flüchtlinge aus den Sudetengebieten" hervorgegangen war und an der neben Adolf Schreiner auch Roman Herlinger beteiligt war. Der Leitung des Hauptausschusses unterstanden der 1947 eingesetzte Beirat für Flüchtlings- und Vertriebenenfragen und die auf Ebene der Bezirksregierungen eingerichteten Beiräte sowie die Flüchtlingsausschüsse auf der Ebene der Landkreise. Die Mitglieder des Hauptausschusses traten meist monatlich einmal zu Plenarsitzungen zusammen, an denen oft auch Mitglieder der Staatsregierung teilnahmen. Daneben kamen sie in den Unterausschüssen für Rechtsfragen, Wirtschaft, soziale Fürsorge und Kreditwesen zusammen. Am 22. August 1950 wurde zusätzlich noch ein Unterausschuss für Fragen des Lastenausgleichs eingerichtet. Darüber hinaus wurden für Flüchtlinge und Vertriebene, die beispielsweise als Apotheker, Müller oder Zeitungsverleger nur schwer vermittelbaren Berufsgruppen angehörten, sog. Arbeitsausschüsse gegründet, deren Aufgabe in der Klärung wirtschaftlicher und sozialer Fragen bestand.
Die direkte Aufsicht über den Hauptausschuss, dessen Finanzierung aus dem Staatshaushalt erfolgte, lag beim Staatskommissariat und späteren Staatssekretariat für das Flüchtlingswesen. Diesem stand bis Ende 1950 der aus Breslau stammende parteilose Jurist Wolfgang Jänicke (1881–1968) vor. Danach ging das dem Innenministerium unterstehende Staatssekretariat an Theodor Oberländer (GB/BHE, dann CDU, 1905–1998) über, um nach dessen Ernennung zum Bundesvertriebenenminister 1953 von Walter Stain (BHE, dann Gesamtdeutsche Partei u. CSU, 1916–2001) geleitet zu werden. Als Stain 1955 in der Viererkoalition das Staatsministerium für Arbeit und soziale Fürsorge zugewiesen wurde, konnte er diesem Ministerium die Kompetenz über das Staatssekretariat für das Flüchtlingswesen übertragen.
Funktion und Tätigkeitsfelder des Hauptausschusses
Notparlament
Der Hauptausschuss unterstützte zunächst das bald nach seiner Gründung betriebene Projekt einer parlamentarischen Vertretung der Flüchtlinge und Vertriebenen in Bayern, um deren demokratischer Repräsentation zum Ausdruck zu verhelfen. Zunächst wandte man sich im Herbst 1947 an den bayerischen Ministerpräsidenten mit dem Vorschlag, den Bayerischen Senat zu einer "von Neubürgern beschickten Volksvertretung zu machen" (Die Wirtschaftshilfe, Nr. 5, 1. Jahrg.). Da solche Überlegungen erfolglos blieben, entwickelte man die Idee eines sog. Notparlaments der Flüchtlinge und Ausgewiesenen. Ende des Jahres 1948 wurden unter Beteiligung aller maßgeblichen Verbände und Vertriebenenpolitiker die Parlamentsmitglieder gewählt und der aus Schlesien stammende Günter Goetzendorff (WAV, 1917-2000) vom Neubürgerbund Passau zum Parlamentspräsidenten bestimmt. Das in München tagende Notparlament konnte jedoch keine größeren Aktivitäten entfalten. Vor allem der Vorsitzende des Hauptausschusses und spätere bayerische Arbeitsminister, Hans Schütz, verhielt sich angesichts der Forderungen Goetzendorffs abwartend. Zudem wurde das Notparlament von der Staatsregierung nicht anerkannt und auch nicht mit Finanzmitteln ausgestattet. Bereits im April 1950 wurde es aufgelöst, wobei seine Kompetenzen an den Hauptausschuss übergingen.
Mitarbeit bei Gesetzesvorhaben
Der Hauptausschuss war an der Ausarbeitung vieler, die Flüchtlinge und Vertriebenen betreffenden Gesetzesvorhaben der bayerischen Staatsregierung wie auch der Bundesregierung beteiligt. Besonders zu erwähnen sind das bayerische Flüchtlingsgesetz vom 19. Februar 1947 (Gesetz Nr. 59), das die rechtliche Gleichstellung der Flüchtlinge und Vertriebenen, auch derjenigen von außerhalb der Reichsgrenzen, mit der einheimischen Bevölkerung regelte, und das am 1. September 1952 in Kraft getretene Lastenausgleichsgesetz der Bundesregierung mit seinen zahlreichen Novellierungen. Von großer Bedeutung für den Hauptausschuss waren auch das vor allem ehemalige Beamte betreffende Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes (GG) fallenden Personen von 1951 und das Bundesvertriebenengesetz vom 19. Mai 1953. Mit letzterem wurden die Begriffe "Flüchtlinge" als Bezeichnung für Ankömmlinge aus der sowjetischen Besatzungszone und "Heimatvertriebene" für Deutsche, die aus dem deutschen Staatsgebiet östlich von Oder und Neiße und den deutschen Siedlungsgebieten in Ost- und Südosteuropa stammten, bundesweit verbindlich gemacht.
Gutachtertätigkeit
Der Hauptausschuss wurde in Bayern zu einer Reihe von Verwaltungsmaßnahmen, wie der Vermittlung bestimmter Berufsgruppen der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen, der Lizenzierung von sog. Flüchtlingsbetrieben sowie der Zuteilung von Bauland und Aufbaukrediten, herangezogen. Dazu wurden einzelne Referate und über 20 berufsständische und sachbereichsbezogene Arbeitsausschüsse eingerichtet, von deren Mitarbeitern die anfallenden Anfragen bearbeitet, Beratungen und Umfragen durchgeführt sowie Verzeichnisse und Memoranden verfasst wurden.
Schon im Jahr 1946 war der Hauptausschuss damit beauftragt, mit sog. Regierungs- und Kreisflüchtlingsausschüssen in den Bezirken und Landkreisen ein bayernweites selbstverwaltetes Netz zu errichten. Diese Ausschüsse, zu deren Struktur und Zusammensetzung sich auch in der damaligen Satzung des Hauptausschusses Bestimmungen finden, sollten weitgehende Kompetenzen übernehmen, verloren aber schon Anfang der 1950er Jahre ihre Bedeutung. Dennoch kommt dem Hauptausschuss das Verdienst zu, flächendeckend die Umsetzung der Förderprogramme im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen bewerkstelligt zu haben.
Bis Ende der 1950er Jahre war das Referat "Siedlung, Wohnungsbau und gewerbliche Wirtschaft" des Hauptausschusses besonders gefragt, zumal viele Anträge auf Zuweisung von Bauland, Wohnungen oder Nebenerwerbssiedlerstellen und auf Gewährung von Aufbaukrediten zu bearbeiten waren. Zunächst hatte man in Bayern eine Bodenreform mit Bodenabtretungen von Großgrundbesitzern vorangetrieben, um Landwirte aus den Vertreibungsgebieten ansässig machen zu können. Dem am 18. September 1946 vom Landtag beschlossenen Bodenreformgesetz zufolge mussten Anträge auf Landzuteilung bei den Landräten gestellt und von einem Überprüfungsausschuss, an dem der Hauptausschuss beteiligt war, genehmigt werden. Bald wurde aber die Kreditgewährung zum eigentlichen Instrument der Förderung und Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen. Vor allem Flüchtlingsproduktivkredite und Gelder aus dem Arbeitsbeschaffungsprogramm der Bundesregierung zur Sanierung der Notstandsgebiete von 1951 und Kredite aus dem "European Recovery Program" (ERP) zur Förderung von Unternehmen und Industriebetrieben ermöglichten vielen Flüchtlingen und Heimatvertriebenen, sich eine Existenz aufzubauen. Besondere Berücksichtigung erfuhren neu geplante Industriestandorte in Vertriebenengemeinden wie Neugablonz (Stadt Kaufbeuren), Waldkraiburg (Lkr. Mühldorf a.I.), Geretsried (Lkr. Bad Tölz-Wolfratshausen), Neutraubling (Lkr. Regensburg) und Traunreut (Lkr. Traunstein), die meist auf dem Gelände ehemaliger Anlagen der Rüstungsindustrie angelegt wurden.
Projektierter "Wirtschaftsplan über das Gelände der Werke Kraiburg-Aschau" um 1950. Er gibt die Nutzung des gegenüber von Kraiburg gelegenen ehemaligen Wehrmachtsgeländes wieder, das als Waldkraiburg Flüchtlingen und Vertriebenen Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten bot. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, SdA, Hauptausschuss der Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern 668-a; Farbige Darstellung und Vergrößerung der Legende: Sonja Schweiger)
Plan der Bebauung der 'Neuen Stadtmitte' Waldkraiburgs um 1950 (Berlinerstr./Inntalstr./Riesengebirgsstr./Gablonzerst./Iglauerstr./Egerländer Str./Braunauer Str.). Der um 1950 entstandene Plan gibt die Bebauung des gegenüber von Kraiburg gelegenen ehemaligen Wehrmachtsgeländes wieder. Die Planungen erfolgten seit 1946 im Zusammenwirken mit dem Hauptausschuss der Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern. Dem Projekt war schon im sog. Sonne-Plan eine Vorrangstellung eingeräumt worden und wurde von Seiten der Staatsregierung vor allem zur Ansiedlung von Vertriebenen aus den Sudetengebieten besonders gefördert. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, SdA, Hauptausschuss der Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern 668-b; Beschriftung: Sonja Schweiger)
Arbeitsausschüsse
Einige Arbeitsausschüsse führten schon 1949 systematisch Fragebogenaktionen zur Berufs- und Einkommenssituation der Flüchtlinge und Vertriebenen durch, um gezielt Richtlinien und Handlungsanweisungen erarbeiten zu können. Besonders nachgefragt war der Arbeitsausschuss der heimatvertriebenen Angestellten von Geldanstalten, der vom ehemaligen Leiter der "Kreditanstalt der Deutschen in Prag" (KdD), Anton Kiesewetter (1888-1961), geleitet wurde. Neben Fragen der Wiedereinstellung der ehemaligen Bankangestellten war Kiesewetter im Hauptausschuss mit vielen wirtschaftspolitischen Fragen befasst. Er verfügte über weitreichende Beziehungen; 1951 wurde er als Direktor in den Vorstand der Bayerischen Landesanstalt für Aufbaufinanzierung (LfA) berufen.
Der Arbeitsausschuss Hochschule – dieser Ausschuss wurde zunächst von dem an der "Deutschen Karls-Universität in Prag" (nach 1945: Univerzita Karlova/Karls-Universität) bis 1945 in führender Stellung tätig gewesenen Rechtshistoriker Wilhelm Weizsäcker (1886-1961) geleitet – war am 22. November 1948 mit dem Ziel gegründet worden, den heimatvertriebenen deutschen Hochschullehrern Stellen an bayerischen und westdeutschen Hochschulen zu verschaffen oder sie mit Ausgleichszahlungen abzufinden. Der Nachfolger Weizsäckers, der Zeitungswissenschaftler Josef März (1892-1955), verfasste viele Denkschriften und Eingaben und wandte sich damit unter anderen an den Landtag sowie die Staats- und Bundesregierung und darüber hinaus an die Westdeutsche Rektorenkonferenz (WRK). Dabei kam auch die Idee erstmals zur Sprache, in Regensburg eine vierte bayerische Landesuniversität zu gründen.
Bundesweite Bedeutung erlangte der Arbeitsausschuss Sozialversicherung, der die Beschaffung von Rentenversicherungsunterlagen für die nach Westdeutschland gekommenen Heimatvertriebenen aus der Tschechoslowakei besorgte und 1952 als eingetragener Verein selbstständig wurde. Über den aus Südmähren stammenden Vertreter der kommunistischen Partei im Hauptausschuss Alfred Hadek (KPD, 1898-1975) war es möglich geworden, Kontakte zum tschechoslowakischen Konsulat in München aufzunehmen und für die Sudetendeutschen Rentenanwärter die notwendigen Unterlagen aus Prag zu vermitteln. Nach der Schließung des Konsulats 1953 konnte dann die Bereitstellung der notwendigen Dokumente bis zur Einrichtung der tschechoslowakischen Botschaft über die tschechoslowakische Militärmission in West-Berlin abgewickelt werden.
Landesplanung und Beiratstätigkeit
Schon von 1949 an wurde der Hauptausschuss auch in die Überlegungen zur Landesplanung und Raumordnung in Bayern, vor allem in die Planung von Industriestandorten im Rahmen der von Hans Christian Sonne (1891–1971) geleiteten amerikanischen "Economic-Cooperation-Administration-Kommission" einbezogen. In der 1958 eingerichteten Landesplanungsgemeinschaft Bayern, in die der Vorsitzende und der Geschäftsführer des Hauptausschusses berufen wurden, spielte er dann nur noch eine untergeordnete Rolle.
Mit dem 1947 von Seiten des Hauptausschusses eingerichteten Beirat für Vertriebenen- und Flüchtlingsfragen schuf sich der zum Staatsminister für Arbeit und soziale Fürsorge avancierte Walter Stain eigens ein Beratungsgremium für das Flüchtlingswesen. Allerdings traten die Ausschüsse des Beirats nur gelegentlich zusammen, ohne die Flüchtlinge und Vertriebenen direkt zu betreuen und Siedlungsprojekte und Kreditanträge zu begutachten.
Öffentlichkeitsarbeit
Die Geschäftsführung des Hauptausschusses berichtete in regelmäßig erscheinenden Rundbriefen über die laufenden Vorhaben und Entwicklungen. So wurde die Öffentlichkeit über den Kreis der Flüchtlinge und Vertriebenen hinaus über die Tätigkeit der einzelnen Referate und Arbeitsausschüsse des Hauptausschusses in Kenntnis gesetzt, zumal auch Informationsblätter und Zeitschriften zum Flüchtlingswesen erschienen. Das von Adolf Schreiner ab Juni 1947 zweimal monatlich herausgegebene Mitteilungsblatt "Die Wirtschaftshilfe", in dem Hintergrundberichte geboten und vielfach auf die Arbeit des Hauptausschusses verwiesen wurde, erreichte eine Leserschaft in ganz Bayern. Ab März 1949 gab der Hauptausschuss eine Art Zeitschrift, den "Mitteilungs- und Informationsdienst" (MID), heraus, womit er seine Wirksamkeit erheblich steigern konnte. Von dessen Mitarbeiterstab wurde auch das "Mitteilungsblatt des Hauptausschusses der Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern", der spätere "Vertriebenen-Anzeiger", herausgegeben. Beide Presseorgane mussten aber im Juli 1955 an gewerblich agierende Herausgeber veräußert werden, nachdem es zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten gekommen war.
Unter dem Geschäftsführer Oskar Böse (SPD, 1924-2016), der zwischen 1963 und 1967 die Geschäfte des Hauptausschusses leitete, wurden in bayerischen Städten und Gemeinden mit einem hohen Anteil von Flüchtlingen und Vertriebenen sog. Sprechtage abgehalten. Auf diesen Veranstaltungen, an denen oft Landtagsabgeordnete mitwirkten, konnten sich Betroffene von Experten in mündlicher Form Auskunft geben lassen und Petitionen einreichen.
Auflösung und Bilanzierung der Wirksamkeit des Hauptausschusses
Der Hauptausschuss arbeitete nicht nur mit den staatlichen Stellen, sondern auch mit den maßgeblichen Vertriebenenorganisationen eng zusammen. Zu nennen ist vor allem die Sudetendeutsche Landsmannschaft, die in Bayern circa eine Million Vertriebene aus den Sudetengebieten vertrat, und die Dachorganisation der Landsmannschaften, der 1957 gegründete Bund der Vertriebenen (BdV). Dieser nahm neben seinen politischen Funktionen auch die Rolle eines Interessensvertreters der Vertriebenen wahr. Als Anfang der 1960er Jahre der Arbeitsanfall beim Hauptausschuss stark zurückgegangen war und sich auch die meisten Arbeitsausschüsse bereits aufgelöst hatten, wurden die Mittelzuweisungen von Seiten des Arbeitsministeriums stark eingeschränkt. 1973 stellte er mit der Schließung der Geschäftsstelle seine Aktivitäten ein. Die Beratungen und Verfahren der Abteilungen für das Rechts- und das Sozialwesen wurden vom bayerischen Landesverband des BdV übernommen und weitergeführt. Offiziell aufgelöst wurde der Hauptausschuss erst im Jahr 2007. Mit der Planungs- und Beratungstätigkeit, die vor allem die Kreditvergabe für Flüchtlinge und Vertriebene, die Lastenausgleichsregelung und die Entwicklungspolitik betraf, hatte er für Bayern grundlegende wirtschafts- und sozialpolitische Perspektiven eröffnet.
Wertung
Die eigentliche Leistung des Hauptausschusses der Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern ist in der sachbezogenen überparteilichen Gutachtertätigkeit seiner Mitarbeiter zu sehen, die sich in vielen Denkschriften und Stellungnahmen niedergeschlagen hat. So stellte zur Bedeutung des Hauptausschusses schon der Staatsekretär für das Flüchtlingswesen Wolfgang Jänicke (1881-1968) im Jahr 1950 fest: "Die Verbindung, welche über den Hauptausschuß der Flüchtlinge und Ausgewiesenen hergestellt wird, trägt wesentlich dazu bei, all die Kenntnisse und Erfahrungen zu schöpfen, die für die richtige Beurteilung der immer wieder neu auftretenden, vielfältigen Probleme erforderlich sind; denn kaum ein Zweig der Staatsverwaltung muß so lebensnah arbeiten wie gerade der mit dem Heimtatvertriebenenproblem betraute, wo es um die nackte Existenz und das Wohlergehen von fast 2 Millionen entwurzelten Menschen handelt." (Jänicke, Betreuung, 35). Der Hauptausschuss hat entscheidend dazu beigetragen, die Versorgung und Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen zu bewerkstelligen und darüber hinaus deren Potential für den politischen und wirtschaftlichen Aufbau des Landes zu gewinnen, ohne dass es zu gravierenden Notlagen oder zu Übergriffen gekommen ist. Seine Mitarbeiter haben es verstanden, sich aus der Parteipolitik herauszuhalten und die Weichen für die erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung des Freistaats Bayern zu stellen. Allerdings hat die Rolle des Hauptausschusses bislang in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung keine angemessene Berücksichtigung gefunden. Der seit seiner Gründung angefallene Aktenbestand, der nur zum Teil erhalten geblieben ist, war lange nicht zugänglich. Er ist über Umwege ins Sudetendeutsche Archiv gelangt, das heute als Depositum im Bayerischen Hauptstaatsarchiv verwahrt wird.
Literatur
- Franz J. Bauer, Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik in Bayern 1945-1950 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 3), Stuttgart 1982. [besonders: 280-301]
- "Eine Klammer zwischen allen unsern Volksgruppen", in: Sudetenpost, Folge 12, 26. Jg., 19.06.1980. [Würdigung Peter Starks]
- Martin Kornrumpf, In Bayern angekommen. Die Eingliederung der Vertriebenen. Zahlen, Daten, Namen, München 1979. [besonders: 133-136]
- Wolfgang Jänicke, Vier Jahre Betreuung der Vertriebenen in Bayern 1945-1949. Ein Bericht über den Stand der bisherigen Eingliederung und über ungelöste Probleme, anläßlich des vierten Jahrestages der Errichtung der bayerischen Flüchtlingsverwaltung, München 1950.
- Edmund Leukert, Von der "Hilfsstelle der Flüchtlinge" zum "Hauptausschuß der Flüchtlinge und Ausgewiesenen" in Bayern, in: Horst Glassl/Otfrid Pustejovsky (Hg.), Ein Leben - Drei Epochen. Festschrift für Hans Schütz zum 70. Geburtstag, München 1971, 541-548.
- Daniel Schönwald, Integration durch eine Interessenpartei. Der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten in Bayern 1950-1981 (Münchener Historische Studien, Abteilung Bayerische Geschichte, Bd. 24), Kallmünz 2014. [besonders: 216-220]
- Thomas Weger, "Volkstumskampf" ohne Ende? Sudetendeutsche Organisationen 1945-1955, Frankfurt a. M. 2008. [besonders: 79-85]
Quellen
- Bayerisches Hauptstaatarchiv, Sudetendeutsches Archiv, Hauptausschuss der Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern.
- Bayerisches Hauptstaatarchiv, Sudetendeutsches Archiv, Landesverband Bayern des Bundes der Vertriebenen (BdV).
- Bayerisches Hauptstaatarchiv, Sudetendeutsches Archiv, Nachlass Walter Becher 1074 (Sammlung des Mitteilungsblatts "Die Wirtschaftshilfe").
- Bayerisches Hauptstaatarchiv, Sudetendeutsches Archiv, Nachlass Raimund Graf.
Weiterführende Recherche
Externe Links
- Bund der Vertriebenen (BdV): Geschichte des Landesverbands Bayern.
- Generaldirektion der staatlichen Archive Bayerns: Findmitteldatenbank.
- Porta fontium, Tschechisch-bayerischer Archivführer: Beständeübersicht Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Hauptausschuss der Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern.
- Sudetenpost. Offizielles Organ der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich
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- Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE)
- Flüchtlinge und Vertriebene
- Flüchtlingslager
- Flüchtlings- und Vertriebenenpolitik (nach 1945)
- Landsmannschaften (nach 1945)
- Lastenausgleich
- Sudetendeutsche Landsmannschaft
- Vertriebenengemeinden und -siedlungen
- Vertriebenenverbände
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Empfohlene Zitierweise
Helmut Demattio, Hauptausschuss der Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern (nach 1945), publiziert am 28.09.2020, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Hauptausschuss_der_Flüchtlinge_und_Ausgewiesenen_in_Bayern> (05.12.2024)