Flüchtlinge und Vertriebene
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Von ca. 12 Mio. deutscher Staatsbürger und deutschsprachiger Minderheiten, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verlassen mussten, kamen 1,9 Mio. (1950) nach Bayern, jeweils mit individuellen historischen Wurzeln und spezifischen Erlebnissen aus Flucht und Vertreibung. Später kamen noch andere Gruppen (z. B. SBZ-Flüchtlinge) hinzu. Ihre Aufnahme, Verteilung, Unterbringung in Wohnung und Arbeit sowie ihre soziale und kulturelle Integration stellten auch für Bayern eine große Herausforderung dar; sie wurde insgesamt gut gelöst. Für die Vertriebenen war dies ein Grundschicksal der Veränderung, da sie die angestammte Heimat und ihr gesamtes Lebensumfeld verloren hatten; aber auch Bayern wandelte durch die große Zahl der Neubürger mit andersartigen Traditionen sein Gesicht erheblich.
Historischer Hintergrund
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren ca. 12 Mio. Deutsche und deutschsprachige Bewohner der Staaten in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, sei es durch Flucht aufgrund der Kriegsereignisse, sei es durch staatlich angeordnete Vertreibung. Rund 7,9 Mio. davon mussten in den Westzonen des besiegten Deutschland (seit 1949 Bundesrepublik Deutschland [BRD]) aufgenommen werden, 4 Mio. in der Ostzone (ab 1949 Deutsche Demokratische Republik [DDR]). Einige Hunderttausend gelangten nach Österreich und in andere Länder. Nach Bayern kamen rund 1,9 Mio. Daneben gab es in Bayern gleichzeitig oder später noch Evakuierte (etwa 468.000), ehemalige Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter ("Displaced Persons", rund 360.000), Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bzw. der DDR (bis 1955 ca. 281.000) und Spätaussiedler (1951/1961: etwa 362.000, vor allem aus Polen), schließlich die wenigen, aber sehr einflussreichen Remigranten aus der Gruppe der seit 1933 ins Exil gegangenen Intellektuellen und Politiker. Dies waren jedoch wenige; sie sind daher mit den Vertriebenen nicht vergleichbar. Insgesamt stellen Vertreibung und Aufnahme eine säkulare Veränderung der Bevölkerungsstruktur Deutschlands und Bayerns dar.
Begriffe
Bei der Benennung des Vorgangs und der Betroffenen ist zu unterscheiden zwischen Umgangssprache und öffentlicher Diskussion auf der einen und amtlichen Festlegungen auf der anderen Seite. In der allgemeinen Diskussion haben sich - zurecht - die Worte "Flucht" und "Vertreibung" sowie "Flüchtlinge" und "Vertriebene" angeglichen und werden als gemeinsamer Begriff gebraucht, denn die Flucht vor der Roten Armee im Osten seit Anfang 1945 erfolgte ja nicht freiwillig, ging zudem vor und nach der Kapitulation sehr bald in die Phase "wilder Vertreibungen" über, die anfangs illegal von Partisanen, dann auch bald von Regierung und Armee erzwungen wurden, bis dann nahtlos noch 1945 die offizielle Zwangsaussiedlung einsetzte.
Daneben gab es bald Versuche amtlicher Festlegung der Begriffe. In Westdeutschland führte das Bundesvertriebenengesetz (19. Mai 1953) das Wort "Vertriebene" als Sammelbegriff ein für alle, die ihre Heimat im Osten verlassen mussten, bezeichnete aber die einst dort lebende angestammte Bevölkerung (Stichtag 31. Dezember 1937) als "Heimatvertriebene". Das Wort "Flüchtlinge" wurde für die aus der Sowjetzone/DDR Geflüchteten reserviert. Die Vertreiberstaaten, deren von der Sowjetunion abhängige kommunistische Regierungen die Vorgänge als rechtsförmig behaupteten, versuchten bald das Thema überhaupt zu vermeiden, sprachen dabei aber jedenfalls nicht von Vertreibung, sondern von "Transfer" oder gebrauchten entsprechende Wörter (z. B. tschechisch: Odsun = Abschub). Die DDR legte sich auf "Umsiedlung" und "Umsiedler" fest.
Gründe für die Vertreibung, Rechtslage
Die Vertreibung nur auf den vom Deutschen Reich ausgelösten Zweiten Weltkrieg mit seinen Verbrechen zurückzuführen, greift zu kurz. Die Vertreibung hat vielmehr langfristige Ursachen, und zwar im Nationalismus des 19. Jahrhunderts, dessen Radikalisierung vielfach zu Plänen und zum Versuch "ethnischer Säuberungen" führte, entweder durch nationale Angleichung der Minderheiten oder durch deren Austreibung bis hin zur Ausmerzung (Beispiele: Bevölkerungsaustausch zwischen Türken und Griechen nach dem Ersten Weltkrieg 1923; Umsiedlungen der Südtiroler oder der Deutschbalten seit 1939; Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs; vgl. Ther, Außenseiter). Den Höhepunkt stellten freilich die rassistischen Verbrechen der Nationalsozialisten und die Völkerverschleppungen der Sowjets dar. Aber auch anderswo gab es alte Traditionen des Kampfes von Bevölkerungsgruppen, jeweils mit radikalen Vorschlägen zur totalen Assimilation oder zur Austreibung. Solche Tendenzen wurden schon zu Ende des 18. Jahrhunderts – nach der Teilung Polens 1772/95 – in Preußen sichtbar als administrativ vorangetriebene Germanisierung der polnischen und anderen Bevölkerungsgruppen, in Polen seit etwa 1830 als Bestrebungen, den künftig zu errichtenden Staat einheitlich zu polonisieren (Gehrke, Westgedanke, z.B. 119f., 284), was bis 1918 freilich nur Gedanken und Pläne bleiben mussten und erst dann in der Realität versucht werden konnte. Besonders heftige Kämpfe gab es seit 1848 in Böhmen. Dabei wirkte es in diesem Fall für beide Seiten besonders radikalisierend, dass die Deutschböhmen 1918/19 zwangsweise in den neuen Tschechoslowakischen Staat einbezogen worden waren bzw. dass sie später bei dessen Zerstörung 1938/39 mitwirkten und großenteils mit den NS-Okkupanten zusammenarbeiteten (Münchner Abkommen 1938, Protektorat). Es ist also bei den Vorgängen nach 1945 sowohl nach den Intentionen der Siegermächte zu fragen (bei den Westmächten etwa spielte die Argumentation mit dem griechisch-türkischen Austausch eine große Rolle) wie bei jedem Land einzeln zu prüfen, welche lang- oder kurzfristigen geschichtlichen Gründe die Vertreibung hatte.
Diese war zwar dann auch Rache und Vergeltung für den durch die Deutschen ausgelösten Krieg, dessen Verbrechen und grauenhafte Folgen, und stellte auch ein politisches Kalkül der Siegermächte für die Zukunft dar. Doch gab es keinen Automatismus. Nicht alle Siegermächte vertrieben die Deutschen: Keine Vertreibung gab es etwa in Frankreich (Deutsche im Elsass), nur eine geringe in Rumänien (Siebenbürgen); die Sowjetunion verschleppte ihre Deutschen, wies sie aber (außer im ehemaligen Ostpreußen) nicht aus.
Eine politische Grundlage erhielt die Vertreibung aus Polen, der Tschechoslowakei (ČSR) und Ungarn (nur für diese Staaten) durch das Potsdamer Protokoll der Siegermächte vom 2. August 1945, wo in Artikel XIII anerkannt wurde, dass "die Überführung der deutschen Bevölkerung oder Bestandteile derselben", die in diesen Ländern zurückgeblieben waren, "nach Deutschland durchgeführt werden muss". Während diese Festlegung – ohne Berechtigung nahmen das auch Jugoslawien und zum Teil Rumänien in Anspruch – stets als Begründung für die Austreibung verwendet wurde, sahen die Vertreiberstaaten von den beiden ebenfalls dort formulierten Bedingungen fast vollständig ab, nämlich dass die Ausweisungen vorerst einzustellen seien, bis die künftige Verteilung geregelt sei, und dass jede "derartige Überführung, die stattfinden wird, in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen soll". Angesichts der tatsächlichen Lage hat man diese Formulierungen sogar als "Zynismus" oder "Selbsttäuschung von atemberaubendem Ausmaß" bezeichnet (Douglas 121f.). Da sich die Konferenz über die Ostgrenzen Deutschlands nicht einigen konnte, verstanden überdies Polen und die Sowjetunion die von ihnen besetzten deutschen Ostgebiete als Teile ihrer Staaten und vertrieben die Deutschen auch aus dem Reichsgebiet, ein in der neueren Geschichte einmaliger Vorgang.
Was die Rechtslage betrifft, so war vor 1918 die Ausweisung der eigenen Bevölkerung durch einen Staat, da bis dahin unbekannt, kein Thema des Völkerrechts. Erst mit den türkisch-griechischen Zwangsumsiedlungen 1923 begann die Diskussion, die schnell zur Verurteilung solcher Ausweisungen führte. Für den Nürnberger Kriegsverbrecherprozess 1946 war Deportation bereits ein "Verbrechen gegen die Menschheit". Völkerrechtlich festgeschrieben wurde das Verbot von Vertreibungen allerdings erst im Vierten Zusatzprotokoll 1963 zur Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 ("Niemand darf aus dem Hoheitsgebiet des Staates, dessen Staatsangehöriger er ist, durch eine Einzel- oder eine Kollektivmaßnahme ausgewiesen werden"; "Kollektivausweisungen von Ausländern sind nicht zulässig"). Doch kann dies, aufgrund der Entwicklung des Völkerrechts, bereits als allgemeine Überzeugung auch zur Zeit der Vertreibungen gelten (Kimminich, Hintergrund, 241). Heute sind nach dem Statut des Internationalen Militärgerichtshofs in Den Haag (1998) "Deportationen oder zwangsweiser Bevölkerungstransfer" als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gebrandmarkt.
Herkunft: Zahlen und Traditionen
Da Bayern Anteil an den Vertriebenen aus allen Ländern hatte, ist auch deren Gesamtheit zu betrachten. Die Tabelle gibt überschlägige Auskünfte zur Herkunft der Vertriebenen (Grenzen 1937; Volkszählungsjahre vor 1939 verschieden; Zahlen gerundet):
Land | Deutsche und deutsche Minderheiten (1939/1945) | Anteil Deutscher Muttersprache (%) an der Staatsnation vor 1939 | vertrieben | nach Bayern kamen | Anteil in Bayern (%) |
---|---|---|---|---|---|
Ostgebiete des Reiches (Preußen) | 9.575.000/ 9.075.000 | 6.987.000 | 592.000 | 31,8 | |
davon aus: Ostpreußen | 2.473.000 | 80 | 1.890.000 | 87.000 | 4,6 |
davon aus: Ostbrandenburg | 642.000 | 100 | 410.000 | 13.000 | 0,7 |
davon aus: Ostpommern | 1.884.000 | 99 | 1.470.000 | 34.000 | 1,8 |
davon aus: Schlesien | 4.576.000 | 77 [Oberschlesien 61] (polnisch 11, doppelsprachig 28) | 3.210.000 | 458.000 | 24,7 |
Tschechoslowakei | 3.544.000/3.496.000 | 22,5 (tschechisch 50,5; slowakisch 15,7) | 3.055.000 | 1.025.000 | 55,2 |
Polen | 1.200.000/2.370.000 | 4,5 (polnisch 68,9) | 1.405.000 | 48.000 | 2,5 |
Sowjetunion | 1.400.000 | 0,73 (russisch 60) | 980.000 verschleppt | 10.000 | 0,5 |
Danzig | 380.000/388.000 | 96,5 | 305.000 | 11.000 | 0,5 |
Jugoslawien | 536.000/435.000 | 4,3 (serbokroatisch 74,4) | 283.000 | 66.000 | 3,5 |
Ungarn | 600.000/518.000 | 5,5 (ungarisch 92,1) | 210.000 | 49.000 | 2,6 |
Rumänien | 782.000/498.000 | 4,1 (rumänisch 71,9) | 133.000 | 45.000 | 2,4 |
Baltische Staaten: Lettland, Estland, Litauen; Memelland | 250.000/100.000 | 3 (lettisch 75); 1,5 (estnisch 88); 1,4 (litauisch 84,2); Memelland 51 (litauisch 48) | 72.000 (127.000 verschleppt) | 8.000 | 0,4 |
Gesamt | 18.267.000 | 12.450.000 | 1.854.000 |
(Reichling, Vertriebenen 1, 17 ff.; Bayern in Zahlen, Jahrgang 1952)
Der größte Teil der Vertriebenen stammte aus den deutschen Gebieten jenseits von Oder und Neiße, also aus dem Deutschen Reich. Sie waren grundsätzlich deutsche Staatsbürger. Bei den deutschsprachigen Minderheiten in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa handelte es sich dagegen um Angehörige anderer Staaten, vor allem solcher, die sich nach dem Ersten Weltkrieg als Nationalstaaten etabliert hatten. Sie hatten die deutsche Staatsbürgerschaft erst nach der Besetzung durch das NS-Reich und auch da nur zum Teil erhalten.
Was Bayern betrifft, so stellten die Deutschen aus der Tschechoslowakei, d. h. Sudetendeutsche (aus Böhmen, Mähren, "Österreichisch"-Schlesien) und Karpatendeutsche (aus der Slowakei und der Karpatenukraine), die deutliche Mehrheit, nämlich 55,2 % aller Vertriebenen (Schlesier 24,7 %, Ostpreußen 4,6 %). Aber auch jeweils die Mehrzahl der aus Jugoslawien, Rumänien, den Baltenländern und der Sowjetunion stammenden Deutschen (rund 6 % der Vertriebenen) fand in Bayern ihre neue Heimat.
Aufgrund der unterschiedlichen Herkunft ist es problematisch, einfach von den "Vertriebenen" als einer Einheit zu sprechen. Gerade bei den Minderheitsdeutschen kamen Menschen mit den verschiedensten staatlichen und kulturellen Traditionen nach Deutschland, und auch die Deutschen aus den Ostgebieten des Reiches unterschieden sich noch erheblich untereinander und von denen in den Aufnahmeregionen. Deshalb kann man das Selbstverständnis der einzelnen Gruppen und die spätere Integration mit ihren Problemen nur erfassen, wenn man deren jeweilige Geschichte und Kultur vor der Vertreibung kennt. Bei den Sudetendeutschen etwa waren der Sprachen- und Schulstreit seit 1918 und der Aufstieg der "Sudetendeutschen Partei" von Konrad Henlein (1898-1945) seit 1935 von größter Bedeutung; kulturelle Leitfiguren waren bei ihnen etwa der Schriftsteller Adalbert Stifter (1805-1868) oder der Autokonstrukteur Ferdinand Porsche (1875-1951). Bei den Schlesiern waren die Abstimmung in Ost-Oberschlesien und die Kämpfe um den Annaberg 1921 lebendige Erinnerung; zu ihren Leitfiguren zählten der Schriftsteller Joseph von Eichendorff (1788-1857) oder die Breslauer Moderne in der Architektur. Die Donauschwaben in Jugoslawien, Rumänien und Ungarn waren gleichermaßen mit der Geschichte und den Traditionen ihrer Heimat (z. B. Gottschee, Banat, Batschka: bis 1918 Österreich-Ungarn) zutiefst verbunden.
Flucht und Vertreibung – Vorgang und Erlebnisse
Die Erlebnisse beim erzwungenen Verlassen der Heimat haben die Menschen tief geprägt. Ihre individuell höchst unterschiedlichen Erfahrungen waren von den konkreten Geschehnissen bestimmt, die von einfacher Übersiedlung über Lagereinweisung und Transport bis zu wilder Verjagung und Massakern reichten. Wichtigste Vorgänge waren zuerst die noch von deutschen Behörden veranlassten Evakuierungen in den Ostgebieten seit 1944, die meist in gemeinsamen Trecks, oft unmittelbar vor und schon während der sowjetischen Eroberung, stattfanden. Dabei zählten die vielfachen Vergewaltigungen und die Flucht über die Ostsee zu den bekanntesten und besonders tragischen Vorgängen (z. B. Versenkung des Schiffes "Wilhelm Gustloff" am 30. Januar 1945, über 9.000 Tote).
Bei Kriegsende erfolgten – für Bayern werden hier die Vorgänge in der ČSR betrachtet – zuerst unautorisierte wilde Austreibungen, zu denen vor allem tschechische Revolutionsgarden aufriefen. Dann folgten schon ab Ende Mai 1945, ebenfalls noch vor dem Beschluss der Alliierten, von der Regierung angeordnete und von der Armee durchgeführte sog. "wilde" Vertreibungen, meist in die Sowjetzone (Arburg, Deutschen, 195-196). Beides führte in manchen Orten zu ungeheuerlichen Exzessen (Brünner Todesmarsch 30. Juni/12. Juli 1945; Aussiger Ertränkungen 31. Juli 1945). Im Sommer und Herbst 1945 begannen dann die "legal" staatlich organisierten Ausweisungen, die durch die "Nationalausschüsse" (národní výbor) äußerst hart, aber geregelter vollzogen wurden. Freilich sprachen auch diese durch den Befehl, die Wohnung mit 30 bis 50 kg Gepäck sofort zu verlassen, durch das Hungerleben in den Lagern, zum Teil durch Zwangsarbeit und durch die schließlich tagelange Verfrachtung in Viehwaggons nach Deutschland den verlangten humanen Standards Hohn. Auch hat sich tief eingeprägt, dass die Deutschen in ihrer bisherigen Heimat nun durch eine weiße Armbinde mit dem Aufdruck N (Němec = Deutscher) und durch viele Verbote diskriminiert wurden. Zu den Erlebnissen gehörte auch die bittere Erfahrung, dass die dortigen Behörden und Autoritäten dem keinen Einhalt geboten, vielmehr oft dazu antrieben, und dass selbst kirchliche Institutionen kein Wort des Protestes fanden. Allerdings gab es immer wieder und keineswegs selten in der Bevölkerung jener Länder persönliche Hilfe, und es wurde Scham über die Vorgänge zum Ausdruck gebracht. All dies ist bald in großen Dokumentationen belegt worden.
Die Verhältnisse in Polen unterscheiden sich in manchem von denen in der ČSR. So gab es zuerst eine große Zahl von Rückkehrern, die vor der sowjetischen Eroberung geflohen waren. Dann gab es eine längere und andere Phase des - freilich nun bitteren - Zusammenlebens mit der neuen polnischen Bevölkerung, die ihrerseits aus den von der Sowjetunion annektierten ostpolnischen Gebieten ausgewiesen war. Dass die sowjetische und die kommunistische polnische Regierung stets (wahrheitswidrig) behaupteten, die Mehrzahl der Deutschen sei geflohen und ihr Besitz verlassen, beraubte diese jeden Schutzes. Deutlicher war auch der nationalistisch polarisierende Aspekt. Auch die katholische Kirchenorganisation gehörte zu den Antreibern, um eine einheitliche polnische Kirche zu schaffen und gleichzeitig die protestantische Kirche, die als deutsch galt, zurückzudrängen (Nitschke, 149-164).
Erst später wurde den Menschen klar, dass ihnen - ebenfalls völkerrechtswidrig - ihr gesamter Besitz weggenommen wurde (in der ČSR: Beneš-Dekret Nr. 5 vom 19. Mai 1945 über die "Nationalverwaltung der Vermögenswerte der Deutschen, Magyaren, Verräter und Kollaborateure" [Odsun, Vertreibung 2, 549-551]; in Polen: unter anderen Gesetze vom 6. Mai 1945 und vom 3. Januar 1946) und jede Rückkehr in die Heimat, wie sie anfangs selbstverständlich angestrebt wurde, ausgeschlossen war.
Nicht überall wurden alle Deutschen vertrieben. In Oberschlesien z. B. hatte es eine große nur oder auch polnisch sprechende Minderheit gegeben, die sich zum Teil im Dritten Reich als Deutsche, nun aber als Polen oder als "Autochthone" (Einheimische) deklarierte, so dass gerade hier eine erhebliche Zahl nur oder auch deutsch Sprechender im Lande blieb (1947 im neuen Polen: ca. 298.000 Deutsche und ca. 1.057.000 Autochthone). In der Tschechoslowakei schienen zuerst die sog. antifaschistischen Deutschen, die sich gegen die NS-Herrschaft und für die ČSR eingesetzt hatten, bleiben zu dürfen, bis bald auch diese das Land verlassen mussten. Hier sind besonders interessant die vom Aussiger Sozialisten Alois Ullmann organisierten freiwilligen Übersiedlungstransporte, die, zum Teil mit tschechischer Hilfe, über 70.000 Sozialdemokraten in den Westen brachten, vor allem nach Bayern (zum größeren Teil mit Hausrat gut versorgt; vgl. dazu Vergnon, Sozialdemokraten, 118-162). Ein kleiner Teil Facharbeiter (z. B. in der Gablonzer Schmuckindustrie) wurde ebenfalls anfangs zurückgehalten, und schließlich gab es Deutsche, die aus verschiedensten Gründen - auch einfach wegen Fortschreitens der Zeit - im Lande blieben (1950: ca. 230.000; offizielle Statistik: 159.138).
Über die nach dem Kriegsende und bei der Vertreibung zu Tode gekommenen Deutschen gibt es seit Jahrzehnten sachliche und methodische Auseinandersetzungen (Beer, Flucht, 127-134). Die Zahlen reichen von 2,8 Mio. (davon in der ČSR 272.000: Nawratil, Schwarzbuch, 73-75) über 1,4 Mio. (ČSR 216.000: Reichling, Vertriebenen 1, 36) bis deutlich unter 1 Mio. (Beer, Flucht, 134; Schwartz, Säuberung, 562). Die 1974 erarbeitete und 1989 veröffentlichte Bilanz des Bundesarchivs nennt - ohne Sowjetunion, Jugoslawien und Rumänien - mehr als 600.000 (ČSR 130.000: Vertreibung und Vertreibungsverbrechen, 53). Vor allem die Vertreibungsverluste im Fall der ČSR sind umstritten. Während Reichling und andere die Vermissten und die ungeklärten Fälle einbeziehen, will sich die 1990 gegründete deutsch-tschechische Historikerkommission möglichst auf die amtlich registrierten Todesfälle zurückziehen und postuliert 15.000, höchstens 30.000 Opfer (Stellungnahme, 603). Beiden Sichtweisen wird apologetische Tendenz zugunsten ihrer Auftraggeber unterstellt. Da das Straffreiheitsgesetz der ČSR von 1946 alle Straftaten, die im Zuge der "Wiedererlangung der Freiheit" oder bei "gerechter Vergeltung für Taten der Okkupanten und ihrer Helfer" bis 28. Oktober 1945 erfolgt waren, für straffrei erklärte, gab es bisher auch kaum gerichtliche Aufarbeitungen solcher Exzesse (Brandes, Lexikon, 652); inzwischen ist aber auf die Dokumentationen von Padevĕt zu individuellem und institutionellem Terror bei Kriegsende zu verweisen (für die Deutschen besonders auf sein Werk "Blutiger Sommer 1945"). Insgesamt kann man mit Schwartz (Säuberung, 578) resümieren: "Auch wenn es noch Schlimmeres gab als die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, sollten die mit dieser größten ethnischen "Säuberung" der modernen Geschichte verbundenen Gewalttaten dennoch deutlich gesehen werden."
Ankunft und Verteilung
Zwar hatten schon bis 1945 neben Evakuierten und Displaced Persons (DPs) rund 734.000 Flüchtlinge in Bayern Zuflucht gesucht, und auch später noch wurden Vertriebene in ansehnlicher Zahl hierher verwiesen (1947 etwa 128.000); die Hauptmasse kam aber 1946 in Bayern an. Die organisierten Transporte aus der ČSR - in diesem Jahr waren es 764 Transporte mit 777.130 Ausgewiesenen - kamen über sechs Grenzdurchgangslager, von denen Wiesau (Lkr. Tirschenreuth) und Hof (Saale) im Norden, Furth im Wald (Lkr. Cham) im Osten und Piding bei Reichenhall (Lkr. Berchtesgadener Land) im Süden die wichtigsten waren. Die entscheidende Frage für die Alliierten, dann die US-Militärregierung und die bayerische Regierung war die Verteilung der Vertriebenen insgesamt und speziell im Land Bayern. Dieses hatte Ende 1946 rund 1,9 Mio. Menschen aufgenommen (gegenüber 1939 eine Bevölkerungsvermehrung von 28 %) und war damit neben Schleswig-Holstein (1 Mio., 67 %), Mecklenburg (734.000, 52 %) und Niedersachsen (1,8 Mio., 42 %) eines der wichtigsten Aufnahmeländer – die französische Zone (z. B. Rheinland-Pfalz) nahm anfangs überhaupt keine Vertriebenen auf.
Für die Verteilung in Bayern selbst, die unter dem am 14. Dezember 1945 ernannten Staatskommissar Wolfgang Jänicke (1881-1968, früher Regierungspräsident in Breslau) durch fünf Regierungskommissare und 166 Flüchtlingskommissare in den Landkreisen erfolgte, hätte es verschiedene Möglichkeiten gegeben (z. B. nach früheren Wohngemeinden oder Regionen, nach Konfessionen, in einem von den Einheimischen zu evakuierenden Landesteil), was jedoch angesichts der drängenden Not kaum diskutiert werden konnte. Selbst der Versuch, den Regierungsbezirk Niederbayern/Oberpfalz - da bereits stark belegt - oder Fremdenverkehrsorte freizuhalten, war nicht vollziehbar. Was blieb, war die Verteilung in wenig zerstörte Gebiete, also vornehmlich auf das Land. Konkret vollzog sich das durch die (kurzzeitig gedachte) Unterbringung in allen möglichen Gebäuden und in sehr vielen Flüchtlingslagern (Oktober 1946: 1.381 Lager mit 151.113 Personen, allein in München über 20 Lager mit über 6.000 Bewohnern; selbst ehemalige Konzentrationslager wurden dafür verwendet); alternativ wies man Vertriebene (zwangsweise) in Wohnungen der Einheimischen ein.
Die Vertriebenen wurden also unterschiedslos über Bayern verstreut. Trotzdem bildeten sich Schwerpunkte heraus: schon im Oktober 1946 hatten die meisten Schlesier Unterkunft in Oberfranken (42 % aller Vertriebenen im Regierungsbezirk) und Niederbayern (37 %) gefunden, ebenso sehr viele Ostpreußen. Dagegen waren besonders viele Sudetendeutsche nach Schwaben gelangt (195.000 = 71 %), wenn auch noch mehr nach Oberbayern kamen (208.000 = 54 %). Oberbayern als größter Regierungsbezirk hatte die meisten Neubürger, die aber hier doch nur 16 % der Bevölkerung erreichten (Niederbayern 24 %). In Gesamtbayern waren es Anfang 1955 20 % (mit den SBZ/DDR-Flüchtlingen 23 %).
Die Gründe für die konkrete Verteilung sind vielschichtig und bedürfen noch der Klärung. Sie reichen von der Zusammenstellung der Transporte in der Heimat über eigene Initiativen von Familien und Bekannten, dann über die Verteilungspläne der Behörden bis zu Aktivitäten einzelner Bürgermeister, Landräte usw., um bestimmte Gruppen in ihre Region zu bekommen - etwa die Angehörigen der berühmten Gablonzer Schmuckindustrie, um die sich mehrere Bezirke bemühten und die sich schließlich vor allem in Schwaben (Kaufbeuren, Stadtteil Neugablonz) konzentrierten. In diesen Zusammenhang gehören die fünf bayerischen Flüchtlingsgemeinden (neben Neugablonz: in Oberbayern Geretsried [Lkr. Bad Tölz-Wolfratshausen], Waldkraiburg [Lkr. Mühldorf am Inn] und Traunreut [Lkr. Traunstein], in der Oberpfalz Neutraubling [Lkr. Regensburg]), deren große Zahl ein bayerisches Spezifikum ist. Auf ehemaligem Wehrmachtsgelände errichtet, stellen sie eine herausragende Konzentrierung von Vertriebenen dar, widersprachen damit übrigens den Vorgaben der Siegermächte auf vollständiges Aufgehen der neuen Bewohner in der deutschen Bevölkerung.
Die Verteilung und die konkreten Zahlen änderten sich in den nächsten Jahren noch ein wenig. Zum einen durch das bald einsetzende Streben der aufs Bauernland Verbrachten in die Städte, zum anderen auch durch die von der Bundesrepublik und Bayern in Gang gesetzte Umsiedlung in andere westdeutsche Länder, was immerhin über 200.000 Menschen zum Wegzug brachte, vor allem nach Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Die eigenständig unternommenen Ortswechsel waren freilich doppelt so hoch. Dagegen gab es nur eine geringe Auswanderung in die USA – die mancherseits gehegte Hoffnung, dass sich so das Vertriebenenproblem lösen würde, trog. Alle diese Bewegungen hatten freiwillig zu erfolgen; Amerikaner wie Deutsche wollten keinesfalls eine erneute Zwangsumsiedlung.
Arbeit und Wohnung, Auseinandersetzungen
Wider Erwarten gelang es ziemlich bald, den größeren Teil der Vertriebenen in Arbeit zu bringen: Die vielfach handwerklich-industriell sehr gut ausgebildeten und der Schulbildung nach oft sogar überlegenen Neubürger fanden schnell Beschäftigung, vor allem da sie bereit waren, sofort jede Arbeit anzunehmen. Der wirtschaftliche Aufstieg der Westzonen unterstützte dies. Nach 1951 kamen (aufgrund Artikel 131 des Grundgesetzes, der auch die Integration ehemaliger NSDAP-Mitglieder ermöglichte) auch viele frühere Beamte wieder in eine Staatsstellung. Freilich konnte nur ein kleiner Teil der Vertriebenen wieder im gleichen Beruf tätig werden, wobei es die Landwirte am schwersten hatten; ältere Menschen hatten sowieso wenig Chancen. Auch die Arbeitslosigkeit traf zeitweise die Flüchtlinge schwer; sie war hier nicht am Anfang, sondern später gegeben, vor allem nach der Währungsreform im Juni 1948 (Beiträge zur Statistik Bayerns, Die Vertriebenen in Bayern, 12). Trotzdem ist die Arbeitsunterbringung insgesamt sehr gut erfolgt. Auffällig war dabei übrigens die große Zahl vertriebener Lehrer (1950: 28 % der hauptamtlichen Volksschullehrer) und Hochschullehrer (in München vor allem solche aus Breslau), die hier tätig wurden. Die schnelle wirtschaftliche Eingliederung ist auch an bedeutenden Flüchtlingsfirmen zu sehen, von denen für Bayern - neben der schnell wieder aufsteigenden (Neu)Gablonzer Industrie - nur Müllers Karlsbader Backpulver (Neutraubling) oder die Strumpffabrik Kunert (Immenstadt [Lkr. Oberallgäu], früher Warnsdorf/Böhmen) genannt seien. Dazu verhalfen auch vom Staat verbürgte Kredite der Landesanstalt für Aufbaufinanzierung.
Viel schwieriger war die Versorgung mit Wohnungen - 1949 gab es noch 465 staatliche Flüchtlingslager (über 90.000 Personen), erst 1957 wurden die letzten aufgelöst. Da der Wohnungsbau nur langsam begann, kam es in den meisten Fällen zur Zwangseinweisung in Wohnungen der Einheimischen durch die (deshalb oft verhassten) Flüchtlingskommissare, mit der Folge äußerster Beengung für alle, besonders aber für die Eingewiesenen (noch 1950 hatten nur 30 % eine eigene Küche, 51 % nur einen Kochherd im Zimmer, 17 % mussten die Küche der Wohnungsbesitzer mitbenutzen oder hatten überhaupt keine Kochgelegenheit; in den Großstädten war es noch schlimmer: 23/39/35 %). Dass sehr viele Flüchtlinge ohne Möbel und ohne jeden Hausrat ankamen und auch kein Geld für Miete hatten, war eine weitere Erschwernis.
Zwischen Vertriebenen und Einheimischen gab es deshalb gerade anfangs in erheblichem Maß Misshelligkeiten. Die zwangsweise Einweisung, das Aufeinanderprallen unterschiedlichster Traditionen vom Dialekt bis zu den Speisen, die Veränderungen im Berufsleben durch die hohe Aktivität der Flüchtlinge und deren staatliche Förderung, all das gab Anlass zu Unmut, Neid und Sorge vor Überfremdung, was sich verbal und faktisch massiv äußern konnte. Die Flüchtlinge ihrerseits, die nicht selten von oben herab auf ein angeblich zurückgebliebenes Land sahen, hielten sich oft schlicht für abgelehnt. Bei der Wertung solcher Auseinandersetzungen muss man aber sehr vorsichtig sein, auch weil es viele persönliche Hilfen durch die Einheimischen gab. Ernsthafte Versuche, die Flüchtlinge oder Teile davon (die "Preußen") abzuschieben, gab es jedenfalls nicht.
Hilfe und Selbsthilfe
Das Einströmen der Vertriebenen rief zur Hilfe auf. Zuerst setzten sich Institutionen wie Rotes Kreuz, katholische Caritas und evangelische Diakonie sowie neu entstehende Hilfswerke ein - freilich in der damaligen Lage mit nur geringen Mitteln. Sehr bald agierte dann in Bayern der neue Staat. Bereits zur Jahreswende wurde eine Sonderverwaltung etabliert, mit Staatskommissar (ab 31. Januar 1947 Staatssekretär) Wolfgang Jänicke an der Spitze (bis zu ihrer Auflösung 1950). Das Amt unterstand dem Innenministerium, handelte aber sehr selbständig. Nach 1950 war (und ist bis heute) das Arbeitsministerium für Vertriebenenfragen zuständig (heute: Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen). Genauso wichtig war die Errichtung des "Hauptausschusses der Flüchtlinge und Ausgewiesenen" in München (24. August 1946) mit 15 Vertretern der Parteien. Das Flüchtlingsgesetz der US-Zone (19. Februar 1947) stellte Flüchtlinge und Einheimische gleich. Im Landtag wurden die Probleme oft intensiv diskutiert, so auch spektakuläre Proteste und die Lagerrevolte in Dachau im August/Oktober 1948 angesichts sehr schlimmer Verhältnisse bei Wohnung und Nahrung dort (Prinz, Integration 1, 264-270). Daneben sind Bemühungen der entstehenden westdeutschen Zentralbehörden (seit 1949 Bundesbehörden) zu nennen, was 1949 zum Soforthilfegesetz führte, 1952 dann zum großen und mit Recht bewunderten Lastenausgleichsgesetz, das mit Hilfe einer langfristigen Vermögensabgabe der Einheimischen (50 %) die Vertriebenen wenigstens zu einem kleineren Teil für ihren Vermögensverlust entschädigte. Es erreichte freilich lange nicht so viel, wie zuerst gewollt, doch wurde dies durch die allseitigen Erfolge des "Wirtschaftswunders" in den Hintergrund gedrängt (Kittel, Stiefkinder).
Nicht gering ist die Selbsthilfe zu veranschlagen, die gleich nach Kriegsende aufgebaut wurde, oft nach Vorbildern in der alten Heimat. So betrieben etwa aus dem Sudetenland vertriebene Frauen in Greding 1946/50, im Rahmen der Caritas, eine wichtige Flüchtlingsschulungsstätte, wie überhaupt den Frauen damals, angesichts der Kriegsgefangenschaft der Männer, eine besondere Rolle zukam (Aubele). Andere Initiativen hatten neben sozialen und kulturellen auch politische Ziele – so etwa die Sudetendeutsche Hilfsstelle (1946 von den Amerikanern verboten) oder die Notgemeinschaft der Ostdeutschen in Bayern. Sehr bald kam es auch zur Gründung von spezifischen Landsmannschaften (Sudetendeutsche Landsmannschaft in Bayern 1947, im Bund 1956; Schlesier 1950; Ostpreußen 1948), und anderer Vereinigungen, die vielfach in München ihren Sitz hatten (später hier im "Haus des Deutschen Ostens" und im "Sudetendeutschen Haus", 1970 bzw. 1985). Es entstand zudem eine allgemeine Vertriebenenvertretung (nach Vorläufern: 1957 Bund der Vertriebenen), und auch die spätere politische Partei Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) übernahm nicht wenige Betreuungsaufgaben.
Die konkreten Ergebnisse sind nicht leicht auf einen Nenner zu bringen. Der (besonders in den Städten) dringend nötige Wohnungsbau etwa war anfangs behindert durch den Rückkehrwunsch der Vertriebenen wie die Distanz der Einheimischen, wurde dann aber durch den sozialen Wohnungsbau, durch kommunale und kirchliche Maßnahmen und Eigeninitiative schnell vorangetrieben. Ebenso sind Soforthilfe und Lastenausgleich nicht einfach problemlos gelungen. Es bleibt eine Aufgabe, die Einzelheiten der Eingliederung, wie sie gerade die statistischen Übersichten belegen, darzulegen.
Vertriebene und Politik
Wegen der großen Zahl der Vertriebenen waren deren parteipolitische Präferenzen wichtig. Als anfangs eigene Flüchtlingsparteien noch verboten waren, neigte ein großer Teil zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), die damals eine scharf nationale Linie vertrat und auch durch ältere Parteitraditionen (etwa in Böhmen) gut bekannt war. Die SPD nahm auch schnell ehemalige böhmische Sozialdemokraten in ihre Mandatsträger auf, wobei Richard Reitzner (1893-1962) aus Marienbad (tschechisch: Mariánské Lázně) eine große Rolle spielte (vgl. Müller, 57). Dagegen galt die Christlich-Soziale Union (CSU) als bajuwarisch-partikularistisch und den Fremden abgeneigt; doch gab es auch hier bald Kontakte, vor allem über den ehemals christlichen Gewerkschafter Hans Schütz (CSU, 1901-1982) aus Rumburg (tschechisch: Rumburk). Das Bild wandelte sich jedoch, als zuerst die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV), dann der in Schleswig-Holstein 1950 gegründete "Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten" (BHE) auch hier beachtliche Erfolge hatten (BHE: Landtag 1950: 12,3 % = 26 Mandate; bis 1962 im Landtag vertreten, 1953-1957 auch im Bundestag; in den bayerischen Regierungen 1950/62 Koalitionspartner). Theodor Oberländer (1905-1998), BHE-Vorsitzender in Bayern und später im Bund, 1953-1960 Bundesminister (seit 1956 CDU), und Walter Becher (1912-2005), 1954 BHE-Fraktionsvorsitzender im Landtag, 1965-1980 MdB (seit 1967 CSU), waren führende Vertreter. Ihre Partei-Übertritte spiegeln auch den baldigen Niedergang des BHE wider und die Hinwendung der Vertriebenen zu den (jetzt das nationale Erbe betonenden) Unionsparteien. Doch arbeiteten in allen Parteien Vertriebene mit, oft in hoher Position (so die Deutschböhmen Walter Stain aus Prag [1916-2001, BHE, bayerischer Arbeitsminister 1954-1962], Hans Schütz, 1964-1966 bayerischer Arbeitsminister; Volkmar Gabert [1923-2003, SPD, Remigrant], 1963-1972 SPD-Landesvorsitzender). Anders als die Parteien waren die anfangs hochbedeutenden Landsmannschaften zwar bei verschiedenen Projekten, etwa der Gesetzgebung zum Lastenausgleich, sehr aktiv, doch waren sie eher pressure groups als von unmittelbarem Einfluss. Zudem marginalisierte sich ihre Bedeutung seit Mitte der 1960er Jahre aufgrund der neuen Ostpolitik und später der Wende von 1989, dann aber auch wegen Überalterung der Mitglieder.
Die Vertretung und damit Einbindung durch die großen Parteien, dann auch durch den BHE, bedeutete auch einen Schutz vor Radikalisierung. Denn ein erheblicher Teil der Vertriebenen war durch ein – wenig reflektiertes – nationales, ja nationalistisches Denken geprägt. An den Grenzen des Reiches, vor allem aber als Minderheiten in den Nachbarstaaten (besonders in der ČSR), hatten die Deutschen seit langem, parallel den anderen Ethnien, einen hinhaltenden Kampf um Sprache, Kultur und politische Selbständigkeit führen müssen, was sie später für rechtsradikale Parolen besonders anfällig machte (schon 1935 in der ČSR größte Erfolge der Henlein-Partei) und (nach der Besetzung des Landes) den Eintritt in die NSDAP oft ganz selbstverständlich erscheinen ließ. Eine deutlich nationale Komponente war deshalb vielen Vertriebenen auch nach 1945 eigen. Zu einer tiefgreifenden Auseinandersetzung gerade mit der Frage des Antagonismus der Völker und mit der eigenen Schuld vor und in der NS-Zeit kam es auch und gerade bei ihnen lange Zeit nicht.
Trotzdem stellte sich die weit überwiegende Mehrheit der Vertriebenen entschlossen auf den Boden des Grundgesetzes und nahm die demokratischen Ideale an. Das zeigen nicht nur ihr gleichberechtigtes Mitwirken in der Landes- und Bundespolitik, ihre Distanzierung von Rechts- und Linksradikalen und ihr unbedingter Wille zur Integration. Deutlich macht dies auch die am 5. August 1950 in Stuttgart verabschiedete "Charta der deutschen Heimatvertriebenen", in der einerseits am Recht auf Heimat festgehalten, andererseits jeder Rache und Vergeltung abgeschworen und ein geeintes Europa als Ziel proklamiert wurde. Die Charta wurde von maßgeblichen Vertriebenenvertretern formuliert, wobei Deutschbalten und Sudetendeutsche eine wichtige Rolle spielten. Man hat - zum Teil ernsthaft, zum Teil tendenziös - an der Charta kritisiert, dass sie der deutschen NS-Verbrechen und auch anderer Opfer nicht gedenke, dass sie auf Vergeltung verzichte, die den Vertriebenen gar nicht zugestanden sei, dass die meisten der für den Text Verantwortlichen ehemals der NSDAP angehört hätten (dazu Schwartz, Funktionäre, 19-26) und dass die Urkunde überhaupt mit christlichem Abendland und Naturrecht argumentiere (Weger, "Volkstumskampf", 465-476). Dem wurde entgegnet, dass solche Kritik, von heutiger Sicht auf damals angewendet, zum größten Teil ins Leere gehe: Damals gehörten die meisten Eliten früheren ideologischen Parteien an; das zweifellos beschränkte, aber zeittypische Denken muss ernstgenommen werden. Und bei den Vertriebenen verhinderte die Charta nicht nur eine Radikalisierung und förderte die Einordnung in das neue Europa (Douglas, 390), sie hob sich auch positiv ab von den Racheaufrufen in den Vertreiberstaaten und deren jahrzehntelangen Schmähungen. Sie bleibt deshalb ein hochbedeutendes Dokument. Freilich verhinderten offizielle Grundsätze nicht, dass noch lange utopische und auch rechtlich fragwürdige Rückkehrüberlegungen und Revisionsbemühungen angestellt wurden.
Soziale und kulturelle Beziehungen
Neben Unterkunft und Arbeit waren die gesellschaftlichen und kulturellen Kontakte entscheidend. Ein wichtiger Gradmesser sind die Ehen zwischen Vertriebenen und Einheimischen. Wider Erwarten erfolgten solche sehr schnell. Schon 1953 gab es nur noch gut 40 % reine Vertriebenen-Ehen, wobei der durch den Krieg verursachte Männermangel eine Rolle spielte. Allerdings blieb auf Dauer ein kleiner Sockel von reinen Vertriebenen-Ehen erhalten (Bayern in Zahlen 9, Heft 2). Weniger eng war der räumliche Kontakt in den Kommunen, die für die Neubürger nicht selten Wohnungen und Bauland in weniger guten Vierteln oder in deutlicher Entfernung zum alten Wohnkern auswiesen, was oft heute noch erkennbar ist. Wichtig waren dann die Vereine und andere Zusammenschlüsse, besonders in den Bereichen Musik und Sport: Die Vertriebenen fanden hier leicht Zugang und wurden nicht selten - aufgrund ihrer gerade auf diesen Gebieten gegebenen Erfahrungen - zu Initiatoren solcher Aktivitäten. Die gleiche deutsche Sprache und das gemeinsame Schicksal in den letzten Jahrzehnten waren zweifellos dafür grundlegend. Aber ebenso ist festzuhalten, dass sich innerhalb und außerhalb der organisierten Landsmannschaften nicht wenige reine Vertriebenen-Zusammenschlüsse bildeten. Bei den Sudetendeutschen war das etwa die sehr aktive "Egerländer Gmoi" oder an sachlich orientierten Gruppen die sozialdemokratische Seliger-Gemeinde (nach Josef Seliger [1870-1920]), die katholische Ackermann-Gemeinde und der national ausgerichtete Witiko-Bund, die jeweils ihre kulturellen Traditionen pflegten.
Eingliederung oder Distanz zeigten sich auch auf anderen Gebieten. Relativ leicht war im Allgemeinen der religiöse Kontakt, da die katholische Kirche wenig regional gefärbt ist – bei den Evangelischen war es schwieriger. Anfängliche Probleme bei der Benutzung der in Bayern oft vermieteten Kirchenbänke (was Überlegungen zu eigenen Gottesdiensten hervorrief) oder der Friedhöfe wurden schnell beseitigt. So fanden viele Vertriebene zuerst in den Kirchen den Anschluss an die neue Heimat; doch gab es lange auch spezielle Vertriebenen-Wallfahrten (Sudetendeutsche etwa Vierzehnheiligen [Lkr. Lichtenfels], Schlesier Andechs [Lkr. Starnberg]) und kirchliche Zentren (z. B. katholisches Priesterseminar in Königstein/Taunus). Die Initiativen besonders der katholischen Kirche um die Seelsorge bei den Vertriebenen sind bereits gut erforscht (vgl. Bendel), regionale Entwicklungen bedürfen noch der Untersuchung (vgl. Stadtrecher). Schnelle Assimilation gab es auch in der Sprache. Die alten Dialekte, weder in der Schule noch staatlich gepflegt, starben weitgehend aus. Ziemlich resistent war dagegen das Brauchtum, besonders Trachten und Feste, was auch leichter an die junge Generation zu vermitteln war.
In anderen Bereichen zeigen sich Ambivalenzen zwischen Initiativen und konkreter Durchführung. Zweifellos am wichtigsten waren die Folgen des Bundesvertriebenengesetzes von 1953, wo es dem damaligen bayerischen Staatssekretär Theodor Oberländer gelungen war, einen Paragraph 96 einzufügen, der die Sicherung und Erhaltung des Kulturguts der Vertriebenen und dessen allseitige Verwertung durch entsprechende Einrichtungen Bund und Ländern zur Pflicht machte, was heute noch gilt (Pohl, Integration, 326-361). Das bedeutete nicht nur eine Anerkennung des hohen Wertes der kulturellen Traditionen des Ostens, es flossen dadurch auch erheblich Mittel an verschiedenste Einrichtungen, von den Museen bis zur Medienarbeit. Besonders hervorgehoben seien im Kunst- und Kulturbereich die bedeutende "Ostdeutsche Galerie" in Regensburg (eröffnet 1970, seit 2003 "Kunstforum") sowie das 2020 eröffnete Sudetendeutsche Museum in München, im wissenschaftlichen Bereich das 1956 in Nachfolge der Prager Karls-Universität gegründete Collegium Carolinum zur Erforschung der Geschichte der böhmischen Länder in München. Bei der konkreten Durchführung gab es aber auch oft Probleme institutioneller und inhaltlicher Art, wie am Beispiel der sog. Ostkunde im Unterricht zu sehen ist, die der BHE 1957 für Bayern durchsetzte. Da sie jedoch nur als Unterrichtsprinzip, nicht als Schulfach eingeführt wurde und dann überdies zwischen Erinnerungen an die alte Heimat, fragwürdigen politischen Zielen und allgemeinem Interesse an Osteuropa hin und her schwankte, kann man ihr kaum größeren Erfolg attestieren. Ähnlich war es mit den vielen Patenschaften, die bayerische Kommunen für Heimatstädte im Osten übernahmen. Insgesamt war auch ein Problem, dass die Kulturförderung zwar den Vertriebenen half (in Bayern besonders durch die Kulturwerke der Schlesier in Würzburg, der Sudetendeutschen und Südostdeutschen in München, der Bukowinadeutschen in Augsburg, der Ostpreußen in Ellingen), aber die Beziehungen zur neuen Heimat dadurch nur wenig gestärkt wurden: weithin blieben die Neubürger unter sich. Das ist gerade auch zu sehen an den nur geringen Kontakten zur etablierten Bayerischen Landesgeschichte an Universität und Akademie; doch war immerhin der Ordinarius für bayerische Landesgeschichte Karl Bosl (1908-1993) lange auch Vorsitzender des Collegium Carolinum (1958-1980) und hat das große "Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder" (4 Bände, Stuttgart 1967/70) herausgegeben. Der Münchner Mediävist Friedrich Prinz (1928-2003) hat sich mit der Geschichte Böhmens sowie Integrationsfragen befasst, und mehrere bayerische Landeshistoriker waren an der bekannten Veröffentlichungsreihe des Arbeitsministeriums über "Die Entwicklung Bayerns durch die Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge" maßgeblich beteiligt. Schriftsteller und Künstler wurden meist nicht als Vertriebene wahrgenommen (und wollten es oft auch nicht); die Symbolfiguren der Vertriebenen wie Stifter und Eichendorff waren von Symbolen bayerischer Identität weit entfernt.
Schwach ist schließlich auch die Memoria in der Öffentlichkeit. Ehemalige Flüchtlingslager etwa sind völlig in Vergessenheit geraten, Gedenkstätten dafür gibt es nicht (positiv der Bericht über das Lager Hof-Nord: Heidler). Und trotz zahlreicher Straßenbenennungen nach Orten der alten Heimat und trotz einer Vielzahl von Mahnmalen, vor allem auf Friedhöfen, die in meist schlichter Form auch der Vertriebenen gedenken, gibt es bisher nur ganz wenig zentrale Gedenkstätten der Vertreibung (so seit 1999 auf dem Hallmarkt in Nürnberg) und nur wenig eindrucksvolle Denkmäler (etwa in Waldkraiburg und besonders in Neugablonz).
Integrationsfragen: Bayern und die Vertriebenen verändern sich
Wenn Vertriebene in manchen Bereichen ihre früheren Traditionen verloren, in manchen erhalten haben, so kann man dies als Assimilation bzw. Nicht-Assimilation bezeichnen. Integration dagegen meint, dass die Neubürger sich in die neuen Verhältnisse einfügten, jedoch ihre eigene Identität zum Teil behielten und gleichzeitig die einheimische Gesellschaft zum Teil veränderten. Zweifellos erfolgte in vielen Bereichen eine solche Integration in die Aufnahmeländer.
Veränderungen in Bayern gab es zwangsläufig durch den Zustrom einer so großen Zahl von Menschen: alle Gemeinden vergrößerten sich, einige Städte wurden zu Großstädten über 100.000 Einwohner (z. B. Regensburg). Auch die berufliche Zusammensetzung der Bevölkerung veränderte sich. Zwangsläufig war auch das Ende bisher konfessionell geschlossener Regionen gekommen (1939 gab es 1.564 einheitliche Gemeinden, 1946 waren es nur noch neun), was entscheidend zum Ende der Konfessionsschule in Bayern 1968 beitrug. Das Gesamtverhältnis der Konfessionen (Sudetendeutsche meist katholisch, Schlesier z. T. evangelisch) änderte sich jedoch nicht. Deutlich vorangetrieben wurde die industrielle Entwicklung, vor allem durch die Vielzahl kleiner und mittlerer Betriebe, z. T. mit Spezialfertigung; die traditionelle und nun in der Not noch verschärfte Agilität der Grenzlanddeutschen brachte frischen Wind in das Arbeits- und Berufsleben (am wenigsten auf dem Land, wo sie vielmehr die Landflucht verschärften). Politisch bedeutete die Mitarbeit in Parteien und Regierungen, dass Bayern stärker als früher gesamtdeutsch agierte, im Bund etwa die alten Reichsgrenzen verteidigte (Klage beim Bundesverfassungsgericht 1973) und sich sogar in Auseinandersetzungen mit der ČSR, u. a. wegen der Beneš-Dekrete (Staatspräsident Eduard Beneš [1884-1948]), einließ. Es ist kein Wunder, dass angesichts dieser Bedeutung der Neubürger der bayerische Staat die Schirmherrschaft über die Sudetendeutschen übernahm, ja sie sogar als vierten Stamm neben Bayern, Franken und Schwaben bezeichnete (1954/62), was einmalig in Deutschland ist. Für die Ostpreußen wurde 1978 eine Patenschaft übernommen. Die Untersuchung des konkreten Einflusses von Vertriebenen in der bayerischen Gesellschaft (z. B. Politik: Herbert Hupka aus Schlesien [1915-2006], tätig im Bayerischen Rundfunk und als langjähriger Abgeordneter im Bundestag [SPD/CDU]; Bildung: Wilhelm Ebert aus Böhmen [1923-2017], Vorsitzender des Bayerischen und Welt-Lehrerverbandes; Wissenschaft: Dietmar Willoweit aus Memel [geb. 1936], Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 2006-2010) ist ein Desiderat.
Aber auch die Vertriebenen haben sich stark gewandelt. Vor allem bilden sie seit 1945 keine regionalen Einheiten mehr. Nachdem die Sprache und manch andere Eigenheiten schon fast verloren sind, werden sie immer mehr zu Bewohnern Bayerns in den hier lebendigen "Stämmen" und Dialekten. An eine Rückkehr in den Osten (was bis 1989 auch in kommunistische Diktaturen bedeutet hätte) dachten bald nur noch wenige. Die alte Heimat wurde, vor allem bei den jüngeren Generationen, weithin aufgegeben. Dagegen blieben kulturelle Traditionen in bemerkenswerter Weise bestehen und werden weitergegeben, von den Erinnerungen an die Herkunft (Heimatstuben) über die landsmannschaftlichen Vereinigungen mit ihren Zentren und Festen (z. B. Sudetendeutscher Tag) bis zu neuen, seit dem Fall des Eisernen Vorhangs leicht möglichen Kontakten zu den früheren Heimatorten und Herkunftsländern.
Eine neue, erfreuliche Entwicklung begann - anfangs sehr langsam - mit der Verbesserung der staatlichen Beziehungen (zu Polen seit 1970, ČSSR seit 1973). Sie erreichte seit 1989 erhebliche Breitenwirkung gerade bei der jüngeren Generation, und zwar sowohl bei den Nachkommen der Vertriebenen wie in der Bevölkerung ihrer früheren Heimatländer, was sich in vielfachen persönlichen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Kontakten äußert; erwähnt sei für Böhmen die 2021 erfolgte Eröffnung einer Dauerausstellung im Stadtmuseum in Aussig über "Unsere Deutschen". Auf nationalstaatlichem Feld ist der Weg freilich noch schwierig, wie die jahrelangen Auseinandersetzungen um das (im Juni 2021 endlich eröffnete) "Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung" in Berlin gezeigt haben. Vorbildlich hat sich auf diesem Feld in den letzten Jahren Ungarn gezeigt, sowohl gegenüber den vertriebenen wie den im Land gebliebenen Ungarndeutschen (Einführung eines Gedenktages der Vertreibung 2012; finanzielle Förderung). Bei weiterer positiver Entwicklung könnten die Heimatländer der Vertriebenen bald eine große Zahl von Vertretern ihrer Geschichte und Kultur in Deutschland haben und auch selbst von diesen Ansätzen einer neuen Symbiose profitieren.
Forschungsgeschichte
Die Geschichtsschreibung zu den Vertriebenen hat nicht nur ein Auf und Ab gesehen (besonderes Interesse bis Ende der 1950er Jahre, Verdrängung bis in die 1980er, weil das Thema aufgearbeitet und zudem politisch unerwünscht schien, dann neue Zuwendung im Rahmen allgemeiner Migrationsthematik), sie war auch immer geprägt und gefährdet durch massive ideologische und politische Einflüsse (Nationalismus, Kalter Krieg, Konservativismuskritik), die zum Teil immer noch gegeneinander kämpfen (z. B. Nawratil; Hahn). Neue Diskussionen brachte seit 1999 der Streit um ein "Zentrum gegen Vertreibungen" in Berlin. Man muss deshalb gerade bei diesem Thema darauf hinwirken, dass stets alle sachgerecht vorgetragenen Sichtweisen ernsthaft gewürdigt werden.
In der Sache begann schon bald die Sammlung der historischen Daten und die Auseinandersetzung mit dem Thema, allgemein in Deutschland wie in Bayern. Große Quellenwerke (z. B. Dokumentation der Vertreibung) und ein dreibändiges Handbuch (Lemberg-Edding) haben bis 1960 maßgebliche Grundlagen geschaffen. Für Bayern waren Unternehmungen der Professoren Friedrich Prinz (München) und Rudolf Endres (Bayreuth, geb. 1936) von besonderer Bedeutung, desgleichen die Veröffentlichungsreihe des Arbeitsministeriums (Prof. Hermann-Joseph Busley [geb. 1930], Entwicklung Bayerns). Seit den 1990er Jahren wurde das Thema vor allem über die Länder und die gesellschaftlichen Gruppen hinweg untersucht (z. B. Krauss, Integrationen; Teuchert, Gemeinschaft). Beachtenswert ist auch der Einfluss bekannter Filme (z.B. Grün ist die Heide, 1951; Heimatmuseum, 1988), die freilich meist weniger die Vertreibung als die erfolgreiche Integration zeigten; für lange Zeit bedeutend bleibt die literarische Auseinandersetzung von Schriftstellern mit dem Vertriebenenthema, in Novellen, Romanen und Gedichten (vgl. Dornemann). Eine erfreuliche Entwicklung ist, dass auch in den ehemaligen Vertreiberstaaten mittlerweile weithin ein sachgerechter Umgang mit den Ereignissen eingesetzt hat, sowohl bezüglich der Vertreibung selbst wie zu den Problemen des Neuaufbaus, etwa in den Grenzländern von Polen und Tschechien. Das hat auch den Blick deutscher, tschechischer und besonders auch angelsächsischer Forscher für die Nachbargebiete geweitet (z. B. Bretschneider; Hofmann; Wiedemann; Spurný; Gerlach), so wie dies im gesellschaftlichen Bereich bereits die Einrichtung der Euregionen (z. B. Euregio Eger) getan hat. Wichtig sind auch Grundsatzdiskussionen zu Volkstum und Nationsbildung, wie sie seit mehreren Jahrzehnten geführt werden, ebenso wichtig Vergleiche, wie sie etwa angestellt wurden über die Museen zum Thema Vertreibung in verschiedenen Ländern (Regente), mit einem für Deutschland eher positiven Ergebnis. So hat die Vertreibung als säkularer Vorgang auch in der Öffentlichkeit wieder deutliches Interesse gefunden, wobei die frühere Euphorie, die Integration sei voll geglückt, eher in Zweifel gezogen wird. Neben wissenschaftlichen Werken und Sachbüchern steht eine große Zahl von Heimatbüchern und persönlichen Erinnerungen, die nicht gering geschätzt werden dürfen. Sie werden von den Bibliotheken und Archiven im Haus des Deutschen Ostens und im Sudetendeutschen Haus bzw. vom Bayerischen Hauptstaatsarchiv, das auch die Bestände des Sudetendeutschen Archivs betreut, gesammelt. Hinzuweisen ist auch auf die vielen "Heimatstuben" und Heimatsammlungen. Diese bieten, obwohl im Geist der Nachkriegszeit errichtet und ausgestattet, für die einzelnen Vertreibungs-Regionen doch hervorragendes Material, von Briefen und Schriften bis zu Bildern und Trachten (vgl. Henker; Eisler); da nach dem Ende der Erlebnisgeneration immer mehr von diesen aufgelöst werden, ist auf die Verwahrung des Materials an anderen Orten, etwa Archiven und Museen in Bayern und Böhmen, besonders zu achten (Sauer, Nachrichten).
Literatur
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- Wolfgang Jaenicke, Vier Jahre Betreuung der Vertriebenen in Bayern 1945-1949. Ein Bericht über den Stand der bisherigen Eingliederung und über ungelöste Probleme anlässlich des 4. Jahrestages der Errichtung der bayerischen Flüchtlingsverwaltung, München 1950.
- Jahrbuch für Volkskunde der Heimatvertriebenen 1 (1955)-6 (1961/62), dann Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 7 (1962/63)-36 (1993/94), seit damals Jahrbuch für deutsche und osteuropäische Volkskunde 37 (1994/5) ff. [Zeitschrift]
- Wilhelm Jun, Die Vertreibungs-Transporte des Jahres 1946: eine zusammenfassende statistische Darstellung [aus der ČSR, Österreich und Ungarn in die amerikanische und sowjetische Besatzungszone], Augsburg 2009.
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- Theodor Schieder (Hg.), Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa. 8 Bände, 1954/1961, ND 1984.
- Sarah Scholl-Schneider u. a., Sudetské příbĕhy - Sudetengeschichten. Vertriebene - Alteingesessene - Neusiedler, Prag 2010. [zweisprachig]
- Robert Simon/Martina Fleischmann/Walter Bauernfeind u. a., Die Entwicklung Bayerns durch die Integration der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge. Gemeinsames durch das Staatsministerium für Arbeit, Familie und Sozialordnung initiiertes Forschungsprojekt der bayerischen Landesuniversitäten. 6 Bände, Bayreuth 1990-1994. [letzter Band 4,3: Abschlussbericht mit Bibliographie und Quellenbestandsübersicht]
- Stellungnahme der Gemeinsamen deutsch-tschechischen Historikerkommission zu den Vertreibungsverlusten, in: Soudobé dějiny 3 (1996), 600-603.
- Vertreibung und Vertreibungsverbrechen 1945-1948. Bericht des Bundesarchivs vom 28. Mai 1974, Bonn 1989.
- Ulrich Völklein, "Mitleid war von niemand zu erwarten". Das Schicksal der deutschen Vertriebenen, München 2005. [Erlebnisberichte in der neuen Heimat]
- Walter Ziegler (Hg.), Die Vertriebenen vor der Vertreibung. Die Heimatländer der deutschen Vertriebenen im 19. und 20. Jahrhundert. Strukturen, Entwicklungen, Erfahrung. 2 Teile (Die Entwicklung Bayerns durch die Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge 5), München 1999.
Weiterführende Recherche
Externe Links
Verwandte Artikel
- Landsmannschaften (nach 1945)
- Sudetendeutsche Landsmannschaft
- Ukrainische Freie Universität
- United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA)
- Vertriebenengemeinden und -siedlungen
- Vertriebenenverbände
Neubürger, Heimatvertriebene, Flucht und Vertreibung
Empfohlene Zitierweise
Walter Ziegler, Flüchtlinge und Vertriebene, publiziert am 06.09.2011 (Aktualisierte Version 15.11.2021); in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Flüchtlinge_und_Vertriebene> (16.10.2024)