Freie Demokratische Partei (FDP)
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Am 30. Mai 1946 wurde in Nürnberg die bayerische FDP gegründet. Ihr erster Vorsitzender, Thomas Dehler (FDP, 1897-1967, Landesvorsitzender 1946-1956), gehörte zu den prägenden Persönlichkeiten des ersten Jahrzehnts. Die Grundintention der Partei hat sich seither nicht maßgeblich geändert; von Anfang an stand die FDP für die Wahrung von Freiheitsrechten. Mehrmals war sie an Regierungen in Bayern beteiligt, verpasste allerdings auch des Öfteren den Einzug in den Landtag. In der Bundespolitik spielte die bayerische FDP keine ausgeprägte Rolle; mehrere bayerische FDP-Politiker waren dennoch zeitweise Mitglied verschiedener Bundesregierungen. Auffällig ist, dass FDP-Politiker sowohl auf Landes- wie auf Bundesebene das Justizressort besetzten.
Gründungsprozess
Die Gründung der FDP Bayern erfolgte am 30. Mai 1946 in Nürnberg. Diesem Akt vorausgegangen waren Zusammenschlüsse von ehemaligen Mitgliedern der Deutschen Demokratischen Partei (DDP)/Deutschen Staatspartei in Nürnberg und in einigen umliegenden fränkischen Städten, u. a. in Bamberg. In Coburg besaß anfangs die ostdeutsche Liberal-Demokratische Partei (LDP) Einfluss, da sie die Parteigründung vor Ort finanziell unterstützte. Diese Einflussnahme erwies sich nur als ein kurzfristiges Zwischenspiel, das aber immerhin dazu führte, dass die LDP in den ersten Stadtratswahlen in Coburg mehr als 20 % erzielte. In München gewannen vorübergehend ehemalige Mitglieder der Deutschen Volkspartei (DVP) die Oberhand. Ansonsten setzten sich aber linksliberale Kräfte durch.
Erster Vorsitzender der Bayerischen FDP wurde Thomas Dehler (FDP, 1897-1967, Bundesjustizminister 1949-1953), dessen politische Heimat vor 1945 die DDP/DSP war. Mitglieder dieser Partei waren auch die zu stellvertretenden Vorsitzenden gewählten Fritz Linnert (FDP, 1885-1949) und Otto Bezold (FDP, 1899-1984, Wirtschaftsminister 1954-1957, Innenminister 1957-1958). Lediglich der als Schatzmeister dem Vorstand angehörende Everhard Bungartz (FDP, 1900-1984) kam aus der Deutschen Volkspartei (DVP). Trotz dieser anfänglichen Homogenität hatte die Partei aber zunächst nicht den erhofften Erfolg. Dehler kümmerte sich wegen anderer Aufgaben, z. B. als Landrat, Oberlandesgerichtspräsident und Mitglied in der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung und im Parlamentarischen Rat, nicht im notwendigen Maße um die Partei, so dass es zu personellen Konflikten kam. Der organisatorische Aufbau ging angesichts von örtlichen und bezirklichen Auseinandersetzungen nur schleppend voran. Ebenso ließ die finanzielle Ausstattung zu wünschen übrig. Entsprechend mager fielen die ersten Wahlergebnisse auf kommunaler Ebene und in den ersten Landtagswahlen aus. Gleichwohl hielt die Partei an ihrem Vorsitzenden fest.
Parteivorsitzende und Landtagswahlen
Dehler führte die Partei bis 1956. Von diesem Amt trat er im Zusammenhang mit seinem Scheitern als Bundespolitiker zurück. Sein Nachfolger wurde Albrecht Haas (FDP, 1906-1970, Leiter der Staatskanzlei 1957-1958, Justizminister 1958-1962). In der Weimarer Republik Mitglied der konservativen DVP, hat er in der Tradition seines Amtsvorgängers die bayerische FDP bis zu seinem Rücktritt 1964 auf liberal-freiheitlichem Kurs gehalten. Seine Nachfolger Klaus Dehler (FDP, 1926-2005, Landesvorsitzender 1964-1967), ein Neffe von Thomas Dehler, Dietrich Bahner (FDP, 1913-1987, Landesvorsitzender 1967-1970), Josef Ertl (FDP, 1925-2000, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 1969-1983, Landesvorsitzender 1971-1983), Manfred Brunner (FDP, geb. 1947, Landesvorsitzender 1983-1989) und Josef Grünbeck (FDP, 1925-2012, Landesvorsitzender 1989-1991) gaben der Partei einen konservativeren Anstrich. Erst mit Max Stadler (FDP, 1949-2013, Landesvorsitzender 1991-1998) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP, geb. 1954, Bundesjustizministerin 1992-1996 und 2009-2013, Landesvorsitzende 2000-2013) übernahmen wieder Linksliberale das Amt.
Name | Lebensdaten | Amtszeit |
---|---|---|
Thomas Dehler | 1897-1967 | 1946-1956 |
Albrecht Haas | 1906-1970 | 1956-1964 |
Klaus Dehler | 1926-2005 | 1964-1967 |
Dietrich Bahner | 1913-1987 | 1967-1970 |
Josef Ertl | 1925-2000 | 1971-1983 |
Manfred Brunner | geb. 1947 | 1983-1989 |
Josef Grünbeck | 1925-2012 | 1989-1991 |
Max Stadler | 1949-2013 | 1991-1998 |
Hermann K. Stützer | geb. 1952 | 1998-2000 |
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger | geb. 1951 | 2000-2013 |
Albert Duin | geb. 1953 | 2013-2017 |
Daniel Föst | geb. 1976 | seit 2017 |
Auf die Programmatik der bayerischen FDP hatte der Wechsel der Parteivorsitzenden aber nur begrenzte Auswirkungen. So forderte die Partei in der Bundestagswahl 1949 "Macht die Mitte stark". Fast 40 Jahre später bekannte sie sich 1985 zu einer "Politik der Mitte". Schon 1947 sah Dehler die "Mission" der FDP darin, "Freiheit und Demokratie" zum Durchbruch zu verhelfen, und 1985 erfolgte erneut das Bekenntnis zu "Freiheit und Verantwortung". Besonders konkret war das nicht. Es zeigt aber die Grundintention dieser Partei, an der über die Jahrzehnte festgehalten worden ist. Adressat dieser Programmatik war stets das Bürgertum, das die Mehrheit der Mitglieder und der Wähler der bayerischen FDP stellte (Gniss, FDP, 148f.). Anfangs spielte auch die Bauernschaft noch eine Rolle, die aber im Laufe der Zeit an Bedeutung verlor.
Der Wechsel an der Spitze der bayerischen FDP stand sehr oft im Zusammenhang mit den schlechten Wahlergebnissen der Partei. Dies trifft nicht auf den Rücktritt des ersten Vorsitzenden Dehler 1956 zu, denn in dieser Zeit erzielte die FDP noch etwas mehr als 7 % in den Landtagswahlen. Unter der Ägide seines Nachfolgers sanken diese Werte auf unter 6 %. Damit bot er den Vertretern einer stärker deutsch-national ausgerichteten Strömung Angriffsflächen, und er wurde 1964 von Klaus Dehler abgelöst. Dieser scheiterte indessen nach wenigen Jahren an der verlorenen Wahl von 1966, in der die FDP den Einzug in den Landtag erstmals verpasste. Bahner wiederum war nicht bereit, den in Bonn 1969 von der Bundespartei vollzogenen Kurswechsel zur sozialliberalen Koalition auch in Bayern nachzuvollziehen. Er stellte die Vertrauensfrage und scheiterte. Während unter der Ägide Ertls die FDP in den Wahlen von 1970 bis 1978 mit Werten von 5,5 %, 5,2 % und 6,2 % wieder in den Landtag einzog, scheiterte sie in der Wahl von 1982. Hierauf wird u. a. Ertls Verzicht auf eine erneute Kandidatur für den Landesvorsitz zurückgeführt. Auch in den folgenden Jahren blieb für die FDP der Einzug in den bayerischen Landtag meistens versperrt. Eine Ausnahme war lediglich 1990, als sie 5,2 % erzielte, und 2008, als sie mit 8 % das beste Landtagswahlergebnis ihrer Geschichte erreichte. Fünf Jahre später erfolgte jedoch wieder der Absturz. Die FDP blieb mit 3,3 % weit unter der 5 %-Hürde. Die langjährige Vorsitzende Leutheusser-Schnarrenberger trat von ihrem Amt zurück.
Beteiligung der FDP an der bayerischen Landespolitik
Für die Anfangsjahre nach 1945 ist die FDP als "irrelevanter Faktor in der bayerischen Politik" (Hein, Milieupartei, 71) bezeichnet worden. Wenn man die Wahlergebnisse insgesamt betrachtet, kann diese Aussage aber mit gewissen Abstrichen auch auf die Zeit danach ausgeweitet werden. Schon in der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung, die aus 180 Mitgliedern gebildet wurde, war die FDP lediglich mit vier Abgeordneten, darunter Thomas Dehler, vertreten. Dieser bezeichnete die Gruppierung als "kümmerliche Schar", die in der Landesversammlung "wenig zu sagen", aber daher auch "nur eine geringe Verantwortung" zu tragen habe (Wengst, Dehler, 114). Letztlich war die Situation im Ersten Bayerischen Landtag nicht anders. Trotzdem ist Dehler in beiden Gremien immer wieder als Redner in Erscheinung getreten. Besonders im Gedächtnis geblieben ist sein Auftritt im Landtag, als dieser über das Grundgesetz abstimmte. Hier votierte er mit Entschiedenheit für dessen Annahme.
Obwohl die FDP auch in den folgenden Legislaturperioden des Landtags aufgrund der unbefriedigenden Wahlergebnisse nur wenige Abgeordnete entsenden konnte, stellte sie von 1954 bis 1962 Minister in der Staatsregierung. In der sog. Vierer-Koalition unter Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (SPD, 1887-1980, Ministerpräsident 1945-1946, 1954-1957) aus SPD, Gesamtdeutschem Block (GB)/Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), Bayernpartei (BP) und FDP von 1954 bis 1957 stellte sie mit Albrecht Haas den Leiter der Staatskanzlei und mit Otto Bezold den Wirtschaftsminister. Dieses Amt hatte er übernommen, um die Bedenken seiner Partei gegen eine Koalition mit der SPD zu zerstreuen. In der nachfolgenden Koalitionsregierung unter Ministerpräsident Hanns Seidel (CSU, 1901-1961, Ministerpräsident 1957-1960) aus CSU, GB/BHE und FDP amtierte Bezold als Innenminister, Albrecht Haas fungierte als Staatssekretär im Finanzministerium. Im nachfolgenden Kabinett in derselben Parteizusammensetzung und wieder unter der Führung von Seidel verlor Bezold sein Ministeramt. Albrecht Haas wechselte in das Justizministerium. Dieses behielt er auch im folgenden Kabinett unter Hans Ehard (CSU, 1887-1980, Ministerpräsident 1946-1954, 1960-1962).
In den folgenden Landesregierungen war die FDP nicht mehr vertreten, da die CSU von nun an lange Zeit alleine regieren konnte und die FDP über Jahre hinweg mit einer Unterbrechung von 1990 bis 1994 nicht mehr im Landtag vertreten war. Erst 2008 glückte der Einzug in den Landtag wieder. Da die CSU zur gleichen Zeit erhebliche Stimmeinbußen aufzuweisen hatte, kam es zu einer Koalitionsregierung mit der FDP. Diese stellte mit Martin Zeil (FDP, geb. 1956, Wirtschaftsminister 2008-1013) den stellvertretenden Ministerpräsidenten und den Staatsminister für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie und mit Wolfgang Heubisch (FDP, geb. 1946, Wissenschaftsminister 2008-2013) den Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Das war aber nicht mehr als ein kurzes Intermezzo. Denn in der Landtagswahl von 2013 gelang der FDP wiederum nicht der Einzug in den Landtag, und die wieder erstarkte CSU konnte erneut allein regieren.
Name | Lebensdaten | Amtszeit | Ministerium | Kabinett |
---|---|---|---|---|
Otto Bezold | 1899-1984 | 1954-1957 | Wirtschaft und Verkehr | Kabinett Hoegner II |
1957-1958 | Inneres | Kabinett Seidel I | ||
Albrecht Haas | 1906-1970 | 1958-1960 | Justiz | Kabinett Seidel II |
1960-1962 | Justiz | Kabinett Ehard IV | ||
Martin Zeil | geb. 1956 | 2008-2013 | Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie; stellv. Ministerpräsident | Kabinett Seehofer I |
Wolfgang Heubisch | geb. 1946 | 2008-2013 | Wissenschaft, Forschung und Kunst | Kabinett Seehofer I |
Die bundespolitische Bedeutung der bayerischen FDP
In den Bundestagswahlen seit 1949 hat die bayerische FDP fast immer besser abgeschnitten als in den Landtagswahlen. Eine Ausnahme bilden hier lediglich die 1950er Jahre, und auch beim Wechsel der FDP zur sozialliberalen Koalition 1969 fiel das Wahlergebnis für die bayerische FDP schlecht aus. Ansonsten waren ihre Ergebnisse in den Bundestagswahlen aber durchaus akzeptabel. Auch in den 1980er und 1990er Jahren, als die FDP nicht im Landtag vertreten war, erreichte sie in den Bundestagswahlen in Bayern Ergebnisse, die klar über der 5 %-Hürde lagen. Dieser näherte sie sich mit 5,1 % erst 1998 wieder an, um sie dann mit 4,5 % im Jahr 2002 zu verfehlen. Das Rekordergebnis auf Bundesebene erzielte die bayerische FDP im Jahr 2009, als sie 14,7 % der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Dieses Ergebnis lag sogar geringfügig über dem Wert, den die FDP im Bundesdurchschnitt erzielte. Das war aber eine Ausnahme. Ansonsten konnte die bayerische FDP bei keiner Bundestagswahl – und auch nicht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament - Ergebnisse vorweisen, die mit den Prozentzahlen der Bundes-FDP konkurrieren konnten. Die bayerische FDP lag stets mehr oder weniger deutlich zurück. Insofern ist es beachtlich, dass es immer wieder Repräsentanten der bayerischen FDP gab, die auf der bundespolitischen Bühne eine herausgehobene Rolle spielten. So gab es nicht weniger als drei FDP-Politiker aus Bayern, die jeweils über einen längeren Zeitraum das Bundesjustizministerium leiteten: Thomas Dehler, Hans A. Engelhard (FDP, 1934-2008, Bundesjustizminister 1982-1991) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Der erste bayerische Landesvorsitzende erwarb sich 1948/49 große Verdienste durch seine Tätigkeit im Parlamentarischen Rat. Hier vertrat er die FDP in den wichtigsten Ausschüssen, in denen er zahlreiche Stellungnahmen abgab und Beschlüsse durchsetzte. Im Hinblick auf diese Tätigkeit ist die These gerechtfertigt, dass Dehler von allen FDP-Abgeordneten den stärksten Einfluss auf die Gestaltung des Grundgesetzes ausgeübt hat. Die Ernennung zum ersten Bundesjustizminister ist hierauf zurückzuführen. Dehler hat das Ministerium organisatorisch und personell aufgebaut und auch auf die Errichtung des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Einfluss genommen. Letzteres schlug aber einen Weg ein, den Dehler nicht akzeptierte. Entgegen der vom Bundesverfassungsgericht beanspruchten umfassenden Kompetenzen, verwies er auf dessen Gerichtscharakter. Im Streit um die Ratifizierung des EVG- (Europäische Verteidigungsgemeinschaft) und Deutschlandvertrages im Jahr 1952 attackierte Dehler in scharfer Form das Gericht und machte sich damit Bundespräsident und Bundesverfassungsgerichtspräsident zu politischen Gegnern. Beide sprachen sich nach der Bundestagwahl 1953 dagegen aus, ihn wieder mit der Leitung des Justizministeriums zu betrauen. Konrad Adenauer (CDU, 1876-1967, Bundeskanzler 1949-1963) berief ihn daher nicht erneut zum Minister. Seine Rolle als Bundespolitiker war aber damit noch nicht zu Ende.
Bereits im September 1953 wurde Dehler zum Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion und im März 1954 zum Parteivorsitzenden gewählt. Die Erwartungen, die die Partei an ihn als Hoffnungsträger richtete, vermochte der fränkische Politiker indessen nicht zu erfüllen. Mit wiederholten rednerischen Entgleisungen und heftigen Attacken auf den Bundeskanzler heizte er das politische Klima auf. Dies führte zum Bruch der Koalition und Spaltung der FDP-Bundestagsfraktion. Dehler verlor Anfang Januar 1957 den Vorsitz in Partei und Fraktion. Aber auch danach blieb er ein Faktor in der bundesdeutschen Politik. Zu verweisen ist hier z. B. auf seine nächtliche Abrechnung mit der Deutschlandpolitik Adenauers im Bundestag im Januar 1958, die sich in das kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik eingegraben hat. Von 1960 bis zu seinem Tod 1967 fungierte Dehler schließlich als Bundestagsvizepräsident.
Auf einen FDP-Politiker aus Bayern griff auch Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU, 1930-2017, Bundeskanzler 1982-1998) 1982 bei der Besetzung des Justizministeriums zurück, nämlich auf den Münchner Rechtsanwalt Hans A. Engelhard. Engelhard war ein "angesehener Rechtspolitiker" (Kohl, Erinnerungen, 28), und der Bundeskanzler hoffte, mit dieser Personalentscheidung zwischen den bisweilen sehr konservativen Rechtsauffassungen der Union und den stark auf Reformen bedachten Kreisen innerhalb der FDP vermitteln zu können. Diese Rechnung ist insgesamt aufgegangen, und Engelhard hat das Amt erst 1991 "freiwillig, nicht unter Druck" (Fromme, Engelhard, 223) aufgegeben.
1992 besetzte mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine FDP-Politikerin das Bundesjustizministerium, die wiederum aus Bayern kam. Im Unterschied zu Engelhard handelte es sich bei ihr um eine "überzeugte Liberale" (Metzler, Leutheusser-Schnarrenberger, 441), der es darum ging, rechtspolitische Reformvorhaben voranzutreiben. Dabei war sie bereit, auch persönliche Konsequenzen zu ziehen. Als die FDP mehrheitlich für den von ihr abgelehnten großen Lauschangriff votierte, trat sie 1995 als Bundesministerin zurück. 2009 kehrte sie in dasselbe Ressort in das zweite Kabinett unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, geb. 1954, Bundeskanzlerin 2005-2021) zurück. Die entschieden liberalen Kräfte hatten mit ihr wieder eine Vertreterin in der Bundesregierung. Die neue Ministerin wandte sich mit unterschiedlichem Erfolg gegen umfassende Überwachungsmaßnahmen und wollte diese nur dann akzeptieren, wenn sie zur Sicherung der Freiheit dienten.
Von allen bayerischen FDP-Politikern diente Josef Ertl am längsten als Bundesminister. Es war überraschend, dass der konservative Diplomlandwirt als Landwirtschaftsminister in das erste sozialliberale Kabinett von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD, 1913-1992, Bundeskanzler 1969-1974) eintrat. Obwohl sich Ertl vor dessen Wahl noch abträglich über diesen geäußert hatte, ebnete ihm Brandt den Weg in das Kabinett. Mit dieser Personalentscheidung wollte er den konservativen Flügel der FDP in die Kabinettsdisziplin einbinden. Dies ist insoweit gelungen, als Ertl sowohl zu Brandt wie auch zu dessen Nachfolger Helmut Schmidt (SPD, 1918-2015, Bundeskanzler 1974-1982) zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit fand und deshalb in der Koalition zu einem wichtigen Bindeglied wurde. Aber nicht nur deshalb amtierte er während der gesamten Regierungszeit der sozialliberalen Koalition. Hinzu kam, dass Ertls Fachkenntnisse unbestritten waren, dass er sich auf dem schwierigen Brüsseler Terrain bald bestens auskannte und auch lange Zeit starken Rückhalt in der Partei besaß. Bundeskanzler Helmut Kohl berief ihn im Herbst 1982 auch in das erste von ihm gebildete Kabinett. Nach der Bundestagswahl im Frühjahr 1983 endete jedoch Ertls Ministerkarriere, da die CSU das Ressort beanspruchte. Ertl ist wohl der einzige Bundesminister, von dessen Tätigkeit Bayern profitierte. Als Landwirtschaftsminister hat Ertl die europäische Agrarpolitik in Brüssel stark beeinflusst und damit nicht unbeträchtliche Zahlungen an die bayerischen Landwirte erhandelt.
Literatur
- Jacob S. Eder, Liberale Flügelkämpfe. Hildegard Hamm-Brücher im Diskurs über den Liberalismus in der frühen Bundesrepublik, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 64 (2016), 291-325.
- Friedrich Karl Fromme/Hans A.(rnold) Engelhard, in: Udo Kempf/Hans-Georg Merz (Hg.), Kanzler und Minister 1949 -1998. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2008.
- Fritz Glashauser, Die Bildungs- und Kulturpolitik der bayerischen FDP. Programmpolitik zwischen öffentlicher Darstellung und parteiinterner Willensbildung, München 1988.
- Daniela Gniss (Bearb.), FDP, Freie Demokratische Partei. Mitgliedschaft und Sozialstruktur, in: Handbuch zur Statistik der Parlamente und Parteien in den westlichen Besatzungszonen und in der Bundesrepublik Deutschland. 3. Band: FDP sowie kleinere bürgerliche und rechte Parteien. Mitgliedschaft und Sozialstruktur 1945-1990 (Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 12,3), Düsseldorf 2005.
- Dieter Hein, Zwischen liberaler Milieupartei und nationaler Sammlungsbewegung. Gründung, Entwicklung und Struktur der Freien Demokratischen Partei 1945-1949 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 76), Düsseldorf 1985.
- Internationales Biographisches Archiv (Munzinger-Archiv online).
- Helmut Kohl, Erinnerungen 1982–1990, München 2005.
- Berthold Mauch, Die bayerische FDP. Portrait einer Landespartei 1945 bis 1949, München 1981.
- Gabriele Metzler, Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine, in: Udo Kempf/Hans-Georg Merz (Hg.), Kanzler und Minister 1998-2005: Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2008.
- Thomas-Dehler-Institut (Hg.), Der bayerische Liberalismus nach 1945, München 1986.
- Udo Wengst, Thomas Dehler. 1897–1967. Eine politische Biographie (Eine Veröffentlichung des Instituts für Zeitgeschichte und der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien), München 1997.
Quellen
- Karl Bosl, Das historische Erbe des Liberalismus in Bayern. Zum 125. Jubiläum der Liberalen Partei in Bayern. Festvortrag beim Festakt der Freien Demokratischen Partei Bayerns am Dienstag, 15. März 1988 im Max-Joseph-Saal der Münchener Residenz.
Weiterführende Recherche
Externe Links
Die Liberalen
Empfohlene Zitierweise
Udo Wengst, Freie Demokratische Partei (FDP), publiziert am 22.05.2018; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Freie_Demokratische_Partei_(FDP)> (12.12.2024)