• Versionsgeschichte

Gemeinschaftsschule

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Verordnung über die Errichtung der Volksschulen und die Bildung der Schulsprengel (Simultanschulverordnung) vom 22. Juni 1920. (Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Bayern 1920, 347)
Aufruf von Kultusminister Adolf Wagner (1890-1944) zur Einschreibung in die Gemeinschaftsschule. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Plakatsammlung)
Stadtschulrat Josef Bauer in SS-Uniform. (Privatbesitz)
Flugblatt der CSU zur Unterstützung des CSU-Gesetzesentwurfs zur Gemeinschaftsschule 1967. (Archiv für christlich-soziale Politik)

von Fritz Schäffer

Schule, in der Kinder verschiedener christlicher Bekenntnisse und Nichtchristen gemeinsam unterrichtet wurden. Verschiedene Versuche, in Bayern die Simultanschule einzuführen, waren 1873/83 und 1919/20 nur kurzfristig erfolgreich. Die unter dem Vorzeichen der Volksgemeinschaft von den Nationalsozialisten 1937/38 durchgesetzte Entkonfessionalisierung der Volksschulen wurde nach 1945 wieder abgeschafft. Erst 1968 wurde in Bayern durch Volksentscheid die "Christliche Gemeinschaftsschule" eingeführt.

Definition

Gemeinschaftsschulen sind Schulen, in denen Kinder unterschiedlicher Konfessionen und Weltanschauungen gemeinsam unterrichtet und erzogen werden, in der "christlichen Gemeinschaftsschule" nach christlich abendländischen Grundsätzen. Der Einfluss des jeweiligen Bekenntnisses ist auf den Religionsunterricht beschränkt.

Dominanz der Bekenntnisschule bis 1968

Bedingt durch die jahrhundertelange Zuständigkeit der Kirchen für das Schulwesen dominierte in Bayern lange Zeit im Bereich der Volksschule die Bekenntnisschule. Allerdings gab es bereits seit den Zeiten von Maximilian Graf von Montgelas (1759-1838) Bestrebungen, das Schulwesen überkonfessionell zu gestalten. Dennoch konnte sich die Gemeinschaftsschule - oder Simultanschule, wie sie bis in die 1930er Jahre genannt wurde - bis 1968 in Bayern mit Ausnahme der Zeit des Nationalsozialismus nicht endgültig gegen die Bekenntnisschule durchsetzen.

Während der Weimarer Republik existierten bereits in einigen Städten Gemeinschaftsschulen. Die "Hoffmannsche Simultanschulverordnung" vom 1. August 1919 - benannt nach dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten und Kultusminister Johannes Hoffmann (1867-1930) - sah vor, in Gemeinden mit über 15.000 Einwohnern die Eltern über die Wahl der Schule durch Einschreibung bestimmen zu lassen. In kleineren Gemeinden war eine Abstimmung über die Schulart durchzuführen. Ziel des ehemaligen Volksschullehrers Hoffmann war es, eine Trennung von Kirche und Schule nach dem Vorbild des laizistischen Frankreichs durchzusetzen.

Diese Verordnung wurde bereits am 22. Juni 1920 durch eine Verordnung der neuen Regierung (Kabinett Kahr I) unter Ministerpräsident Gustav von Kahr (BVP, 1862-1934) außer Kraft gesetzt. Wo sie jedoch bereits vollzogen war, behielt sie ihre Gültigkeit. Dies war nur in den Städten München, Nürnberg, Augsburg, Fürth, Weißenburg und Selb sowie in der Pfalz der Fall. In allen anderen Gemeinden Bayerns war weiterhin die Bekenntnisschule die Regelschule.

Die "Deutsche Gemeinschaftsschule" der Nationalsozialisten

Die Nationalsozialisten äußerten sich vor 1933 kaum zu konkreten schulpolitischen Themen. Allerdings lässt sich aus Publikationen des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) eine Präferenz für die "christliche Gemeinschaftsschule" ablesen. Dennoch dauerte es bis 1935, bis der "Schulkampf" der Nationalsozialisten gegen die Bekenntnisschulen begann. Die Nationalsozialisten übernahmen in ihrer Agitation die klassischen schulorganisatorischen Argumente der Gemeinschaftsschulanhänger und sahen sich zumindest teilweise in deren Tradition.

Entscheidend neu war der Volksgemeinschaftsgedanke, der zum Hauptantrieb für die Gemeinschaftsschule wurde. Ging es auch vor 1933 um die Überwindung von konfessionellen und zum Teil auch sozialen Schranken und wurde deshalb bereits vereinzelt die nationale Einheit als Argument gegen die Bekenntnisschulen verwendet, so bekam dieser vormalige Nebenaspekt nun zentralen Charakter. Widersprach eine Spaltung des rassisch einheitlichen Volkes durch Konfessionen schon der nationalsozialistischen Weltanschauung, so war eine Schule, die ihren gesamten Unterricht unter die Prämisse dieser Spaltung stellte, völlig unannehmbar. Volk, Nation und Rasse sollten die Leitgedanken der nationalsozialistischen Schule sein, nicht ein christliches Bekenntnis. Diesem Gedanken verlieh der Begriff "Deutsche Gemeinschaftsschule" Ausdruck, der von den Nationalsozialisten als Ersatz für "Simultanschule" gewählt wurde.

Dabei wurde der Münchner Schulkampf zum Muster für die 1938 erfolgreich abgeschlossene Beseitigung der Bekenntnisschulen in ganz Bayern. In der Landeshauptstadt nutzten die Nationalsozialisten, angeführt vom Stadtschulrat Josef Bauer (1881-1958), die jährliche Schuleinschreibung, um durch eine Kombination aus groß angelegter Propaganda und Zwang den Bekenntnisschulen die Schüler abzuwerben, um diese mangels Masse schließen zu können. Dabei behinderte man die Kirchen durch polizeistaatliche Methoden massiv an der Werbung für die Einschreibung an einer Bekenntnisschule und verquickte demonstrativ Schul- und Parteiinteressen. Die behördliche Behinderung kirchlicher Werbung durch Versammlungsverbote, Beschlagnahmung von Materialien, Überwachung, Schutzhaft etc. machte eine rege Betätigung von Laien im Gegensatz zu den früheren Auseinandersetzungen fast unmöglich. Das Hauptgewicht der kirchlichen Aktionen trugen nun der Klerus und die Kirchenleitung.

Entscheidend wurde die Einschreibung 1937. Mit größtmöglichem propagandistischen Aufwand und konsequenter Behinderung kirchlicher Gegenöffentlichkeit wurde in München ein Einschreibungsergebnis von 96 % für die Gemeinschaftsschule erreicht, in Nürnberg 91 %. Aufgrund dieser Ergebnisse wurden in beiden Städten sämtliche verbliebenen Bekenntnisschulen geschlossen und durch Gemeinschaftsschulen ersetzt. Nach diesem Erfolg wurden erst in Oberbayern und schließlich im gesamten Bayern Abstimmungen herbeigeführt. Wo Propaganda und Einschüchterung nicht zu den erwünschten Ergebnissen führten, ließ man kurzerhand den gleichgeschalteten Gemeinderat pro forma abstimmen. Im Zweifelsfall gab sich das Ministerium sogar mit dem Votum des Bürgermeisters alleine zufrieden. Schließlich verkündete das Kultusministerium im Oktober 1938 die vollständige Umwandlung aller Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen.

Die Einführung der christlichen Gemeinschaftsschule durch Volksentscheid von 1968

Nach 1945 wurde in Bayern - wie in zahlreichen anderen Ländern - die Bekenntnisschule als Regelschule wieder hergestellt. Angesichts der zunehmenden konfessionellen Vermischung, des neuen Verhältnisses zwischen den Konfessionen und dem Nachlassen der religiösen Bindungen schafften Ende der 1960er Jahre fast alle deutschen Länder, in denen Bekenntnisschulen noch existierten, diese zugunsten der christlichen Gemeinschaftsschulen ab (Ausnahme: Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen).

Wichtige Argumente für die Gemeinschaftsschule waren ihre organisatorischen und pädagogischen Vorteile, wie die Verkürzung der Schulwege, die Auflösung von Zwergschulen und jahrgangsübergreifenden Klassen sowie die Verkleinerung der Klassengrößen.

Bei der Verabschiedung des Volksschulgesetzes im November 1966 im Landtag sahen die Oppositionsfraktionen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und der Freien Demokratischen Partei (FDP) die Chance verpasst, eine Angleichung der Verfassung an "zeitgemäße Grundsätze" zu erreichen. Der Artikel 10 des Volksschulgesetzes legte stattdessen für die Errichtung von Gemeinschaftsschulen sehr hohe Hürden auf, die in Gebieten mit konfessionellen Minderheiten kaum zu überspringen waren.

Daraufhin strebte die FDP im Alleingang ein Volksbegehren an, durch das in Artikel 135 der Bayerischen Verfassung Bekenntnisschule und christliche Gemeinschaftsschule als gleichberechtigt erklärt werden sollten. Nachdem dieses Volksbegehren gescheitert war, entschloss sich die SPD, ein eigenes Volksbegehren unter Wahrung der kirchlichen Verträge und des Konkordats anzustreben. Der Gesetzesentwurf der SPD, dem hohe Chancen eingeräumt wurden, sich durchzusetzen, sah die christliche Gemeinschaftsschule als Regel vor. Bekenntnisschulen sollten weiter auf Antrag möglich sein.

Um den zu erwartenden Erfolg der SPD zu verhindern, entschloss sich die Christlich Soziale Union (CSU) nach Vorgesprächen mit dem päpstlichen Nuntius in Bonn, Corrado Bafile (1903-2005), selbst eine Initiative zur Änderung des Artikels 135 zu starten. Der Gesetzesentwurf der CSU hob die bisherige Trennung in Gemeinschaftsschulen und Bekenntnisschulen auf und ging damit über die Vorschläge von SPD und FDP hinaus. Stattdessen sollten gemeinsame Volksschulen für alle Kinder errichtet werden, die eine christliche Erziehung in Übereinstimmung mit dem Willen der Eltern garantieren sollten.

Dieser Vorschlag hatte den Vorteil, dass es künftig nicht mehr zu Abstimmungskämpfen über die Schulart kommen konnte und eine pädagogisch sinnvolle Schulorganisation möglich wurde. In der darauf entfachten heftigen öffentlichen Diskussion vermittelte der Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Wilhelm Ebert (geb. 1923), und erreichte, dass sich Regierung und Opposition zu gemeinsamen Verhandlungen bereiterklärten. Auf Seiten der CSU geschah dies vor allem auf Drängen ihres Vorsitzenden Franz-Josef Strauß (1915-1988), der einen Erfolg des SPD-Entwurfs fürchtete, und nach der Zustimmung des Erzbischofs von München und Freising, Julius Kardinal Döpfner (1913-1976, 1961-1976 Erzbischof).

Der gemeinsam erarbeitete Gesetzesentwurf der drei Langtagsfraktionen beschränkte sich darauf, die Volksschule als gemeinsame Schule aller Kinder zu erklären, in der nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichtet und erzogen werde. Das nähere sollte ein Volksschulgesetz bestimmen.

Bei dem am 7. Juli 1968 durchgeführten Volksentscheid standen nun drei Gesetzesentwürfe zur Wahl: Das Volksbegehren der SPD, der Gesetzesentwurf der CSU und der von allen Parteien gemeinsam getragene Gesetzestext des Landtags. SPD und CSU empfahlen die Ablehnung ihrer eigenen Vorschläge und die Annahme des gemeinsamen Entwurfs. Schließlich konnte dieser Kompromiss über 76,3 % der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen. Die Verfassungsänderung trat bereits am 1. August 1968 in Kraft. In der Folge wurden noch die Kirchenverträge und das Konkordat von 1924 entsprechend der neuen Rechtsgrundlage abgeändert (Unterzeichnung am 7. Oktober 1968) und das Volksschulgesetz, in dem die pädagogischen und schulorganisatorischen Bedingungen präzisiert wurden, ohne weitere Streitigkeiten im Landtag verabschiedet.

Dokumente

Literatur

  • Winfried Müller, Schulpolitik in Bayern im Spannungsfeld von Kultusbürokratie und Besatzungsmacht 1945-1949 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 36), München 1995.
  • Jana Richter, Eine Schule für Bayern. Die schulpolitischen Auseinandersetzungen um die Einführung der Christlichen Gemeinschaftsschule in Bayern nach 1945 (Miscellanea Bavarica Monacensia 169), München 1997.
  • Fritz Schäffer, Ein Volk, ein Reich, eine Schule. Die Gleichschaltung der Volksschule in Bayern 1933-1945 (Miscellanea Bavarica Monacensia 175), München 2001.
  • Lydia Schmidt, Kultusminister Franz Matt (1920-1926). Schul-, Kirchen- und Kunstpolitik in Bayern nach dem Umbruch von 1918 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 126), München 2000.
  • Franz Sonnenberger, Schulkampf in Bayern. Der Streit um die Konfessionalität der Volksschule 1804-1950, München 1980.

Weiterführende Recherche

Verwandte Artikel

Simultanschule

Empfohlene Zitierweise

Fritz Schäffer, Gemeinschaftsschule, publiziert am 30.06.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Gemeinschaftsschule> (19.03.2024)