Gemeindeverfassung (19./20. Jahrhundert)
Aus Historisches Lexikon Bayerns
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Die rechtlichen Verhältnisse in den bayerischen Gemeinden regelten die Gesetze von 1808, 1818, 1869, 1919, 1927, 1935, 1945 und 1952. Nach der Vereinheitlichung und „Verstaatlichung“ gewachsener Rechte 1808 wurde die gemeindliche Selbstverwaltung 1818 begründet, teilweise wiederhergestellt und in den späteren Gemeindeordnungen weiter gestärkt. Die kommunale Gebietsorganisation ist geprägt von der Reduktion von über 8.500 Gemeinden im 19. Jahrhundert auf gut 2.000 seit 1978.
Ausgangslage um 1800
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bildeten nur die Stadt- und Marktgemeinden, basierend auf dem hergebrachten Privilegienrecht, rechtsfähige Korporationen. Das Stadtregiment lag meist in den Händen weniger Ratsbürgerfamilien. Vielfach waren die Verhältnisse durch eigennützige Familien- und Zunftherrschaft und hohe Schulden belastet. Schon 1806 wurden alle Jurisdiktions- und Verwaltungsaufgaben der kleineren Städte und Märkte auf die Landgerichte übertragen, in den so genannten Hauptstädten (München, Landshut, Straubing, Ingolstadt, Burghausen, Amberg) auf die landesherrlichen Stadtgerichte und Polizeidirektoren. Im ländlichen Bereich gab es nur wenige feste kommunale Organisationen. In Altbayern waren die Dorfgemeinden überwiegend bäuerlich-gewerbliche Wirtschaftsverbände ohne wesentliche Rechte der Selbstverwaltung. Ansätze dafür gab es in Franken und Schwaben.
Konstitution und ergänzende Edikte 1808/09
Die Konstitution des Königreichs Bayern von 1808 und die ergänzenden Edikte sahen als unterste, den Landgerichten nachgeordnete Verwaltungsstellen die Gemeinden als öffentliche, mit eingeschränkter Rechtsfähigkeit ausgestattete Körperschaften vor. Die Gemeindebürger (ansässige Grund- und Gewerbesteuerzahler) erhielten gewisse Mitwirkungsmöglichkeiten in der Kommunalverwaltung. Als Vertretungsgremien der Bürger waren die Gemeindeversammlung für kleinere Märkte und Dorfgemeinden (Ruralgemeinden) bzw. der Munizipalrat für größere Märkte und Städte vorgesehen. Beide Gremien durften nur auf staatliche Anweisung zusammentreten und Beschlüsse fassen. Für die Verwaltung der Kommunal- und Stiftungsvermögen war schon 1807 eine Generaladministration beim Innenministerium eingerichtet worden; für die örtliche Verwaltung sollten die 1808 gebildeten, den Generallandeskommissären unterstellten allgemeinen Stiftungsadministrationen zuständig sein.
Die straffe Staatskuratel (Vormundschaft) bewährte sich jedoch nicht. Die Reformen von 1808/09 waren geprägt von starker Zentralisierung und Bevormundung und erwiesen sich als nur teilweise realisierbar. Sie führten insgesamt zur Vereinheitlichung der Gemeindeverfassungen in dem in Neuformation befindlichen bayerischen Staatsgebilde und zu einer ersten Organisation der Ruralgemeinden. Die angestrebte Übereinstimmung von politischer Gemeinde, Steuerdistrikt, Schul- und Pfarrsprengel konnte nicht erreicht werden.
Gemeindeedikt von 1818
Das Gemeindeedikt vom 17. Mai 1818 fasste das Kommunalrecht für das rechtsrheinische Bayern neu. Das Edikt berücksichtigte wieder mehr die historisch gewachsenen Strukturen und gab den Gemeinden die Vermögensfähigkeit zurück. Die Selbstverwaltungsbefugnisse wurden erweitert, doch übten die vorgesetzten Behörden weiter eine straffe Aufsicht (Staatskuratel) aus. Allgemein wurde festgesetzt, dass die Gemeinden ihre Angelegenheiten durch Beschlüsse der Gemeindeversammlungen oder durch deren Vertreter und Bevollmächtigte zu besorgen haben. Im Rheinkreis (linksrheinische Pfalz) blieb weitgehend das französische Gemeinderecht in Geltung (bis 1869).
Die Städte und größeren Märkte wurden nach Familienzahl in drei Klassen eingeteilt und erhielten eine Magistratsverfassung. Die Bürger wählten nach Zensuswahlrecht über Wahlmänner das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten (Gemeindeausschuss), dem die Wahl der Magistratsmitglieder zukam. Der Magistrat setzte sich aus Bürgermeister(n) und rechtskundigen und bürgerlichen Magistratsräten zusammen; der Bürgermeister hatte den Vorsitz des Magistrats inne. Der Magistrat wirkte als Verwaltungsorgan, das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten als Beratungsgremium.
Die Verwaltung der Ruralgemeinden oblag dem Gemeindeausschuss mit dem Gemeindevorsteher (Hauptorgan) an seiner Spitze, dem Gemeindepfleger, dem Stiftungspfleger und drei bis fünf besonderen Gemeindebevollmächtigten. Die Mitglieder des Gemeindeausschusses wurden von der "versammelten Gemeinde" (Gemeindeversammlung) aus ihrer Mitte gewählt. Die wichtigsten Gemeindeämter sollten nur mit Personen besetzt werden, die zum Kreis der Höchstbesteuerten gehörten. Die Gemeindeversammlung hatte beratende Funktion.
Wichtige Aufgaben im eigenen Wirkungskreis der Gemeinden waren die Verwaltung des rückerstatteten Gemeinde- und Stiftungsvermögens, die Aufnahme von Bürgern, die Mitwirkung bei der Zulassung von Gewerben und gewisse Zuständigkeiten in der Kirchenverwaltung und im Volksschulwesen. Im übertragenen Wirkungskreis war die Gemeinde für die Ortspolizei zuständig. Die Erhebung und Verwendung der Gemeindeumlagen wurde 1819 gesetzlich geregelt. Die Landgerichte als untere Verwaltungsbehörden bzw. seit 1862 die neu geschaffenen Bezirksämter übten die Staatsaufsicht über die Gemeinden aus. In Städten erster Klasse (über 2.000 Familien) erfüllte der Magistrat die bei kleineren Gemeinden den Landgerichten zukommenden Aufgaben; diese Städte waren der Kreisregierung unmittelbar unterstellt. Für die Hauptstadt München galten Sonderregelungen.
Die Bildung der Landgemeinden, die bis 1835 als Ruralgemeinden bezeichnet wurden, erwies sich als kompliziert. Wegen der bis 1848 fortbestehenden Sonderrechte des Adels war eine Unterscheidung in landgerichtliche, patrimonial- und herrschaftsgerichtliche Ruralgemeinden nötig. Es gelang jedoch in den Jahren nach 1818, das flächendeckende Netz der Gemeindeorganisation aufzubauen und die kommunalpolitische Beteiligung der Bürgerschaft zu stärken. Die damals geschaffenen über 8.500 Gemeinden bildeten das Grundgerüst des Gemeindewesens bis weit ins 20. Jahrhundert.
1834 erfolgte eine Revision des Gemeindeedikts, die durch die ministeriellen Vollzugsvorschriften von 1837 einem Rückschritt in der kommunalen Selbstverwaltung gleichkam. Eine wichtige Neuerung brachte die Reformgesetzgebung von 1848 mit der Einführung der Öffentlichkeit der Verhandlungen in den gemeindlichen Beratungsgremien.
Gemeindeordnung von 1869
Neue rechtliche Grundlagen schuf die Gemeindeordnung für das rechtsrheinische Bayern vom 29. April 1869. Sie erkannte die Selbstverwaltung der Gemeinden als allgemeinen Grundsatz gesetzlich an und baute diese besonders auf dem Gebiet des Körperschaftsrechts weiter aus. Anstelle der bisherigen Staatskuratel (staatliche Vormundschaft) trat die Rechts- und Fachaufsicht im genau definierten eigenen und übertragenen Wirkungskreis. Im eigenen Wirkungskreis erhielten die Gemeinden die Allzuständigkeit. Ein wichtiger Bereich war das Heimatrecht; es stand in enger Verbindung mit der Armenpflege, die die Heimatgemeinde zur Unterstützung Hilfsbedürftiger verpflichtete. Zum übertragenen Wirkungskreis gehörten die Polizeiverwaltungsaufgaben. Die gemeindlichen Hoheitsrechte leiteten sich jedoch weiter von der gesetzlichen Anordnung ab; vieles blieb weiter staatlicher Genehmigung vorbehalten.
Die Gemeindeordnung unterschied für das rechtsrheinische Bayern weiterhin deutlich zwischen Stadt- und Landgemeinden. Die Organe in Gemeinden mit Stadtverfassung waren Bürgermeister und Magistrat als Verwaltungsbehörden und das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten als Gemeindevertretung. Die Gemeindebevollmächtigten wurden von den wahlberechtigten Bürgern unmittelbar gewählt, die wiederum aus ihrer Mitte den Bürgermeister wählten. Die Organe in den Landgemeinden waren der unmittelbar gewählte Gemeindeausschuss und der Bürgermeister (bisher Gemeindevorsteher) als Verwaltungsbehörden. Die Gemeindeversammlung, die Gesamtheit der stimmberechtigten Gemeindebürger, konnte Beschlüsse fassen. Damit blieb die bisherige Trennung zwischen gemeindlichen Behörden und gemeindlichen Vertretungsorganen bestehen. Für die wichtigeren Gemeindeämter war eine staatliche Bestätigung erforderlich. Das bürgerliche Wahlrecht war abhängig von der Entrichtung einer hohen Bürgerrechtsgebühr, wodurch faktisch eine Eingrenzung auf begüterte Kreise erzielt wurde. Formelle Voraussetzung der Wahlberechtigung war die Eintragung in die gemeindlichen Wählerlisten.
Pfälzisches Gemeinderecht
Das Gemeinderecht der Pfalz wurde in einer eigenen Gemeindeordnung vom 1. Juli 1869 teilweise den Verhältnissen im rechtsrheinischen Bayern angeglichen. Ein wichtiger Unterschied blieb, dass es nur eine Form der Gemeindeverfassung gab; "Stadt" war lediglich ein Titel der Gemeinden, die ihn (in Verbindung mit dem Stadtwappen) bisher geführt hatten oder ihn durch königliche Verleihung noch erhielten. In einigen Bereichen hatte das pfälzische Gemeinderecht auch Vorbildfunktion für das rechtsrheinische Bayern. So wurde die in der Pfalz bewährte Möglichkeit der Einrichtung von Bürgermeistereien übernommen, nach der für mehrere kleine Gemeinden nur ein Bürgermeister zuständig sein sollte.
Die Gemeindeordnung von 1869 gilt wegen der gesetzlichen Verankerung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts als Fortschritt in der politischen Entwicklung des Landes. In Einzelbestimmungen zeigten sich jedoch verschiedene Mängel, die das kommunale Leben belasteten. Verschiedene Verbesserungswünsche standen in der politischen Diskussion, wurden aber nicht umgesetzt.
Reformen von 1918/19 und Gemeindeordnung von 1927
Im Rahmen des Reformprogramms von 1918/19 wurde der Ausbau der kommunalen Selbstverwaltung in Angriff genommen. Das Gesetz über die gemeindliche Selbstverwaltung vom 22. Mai 1919 schuf eine einheitliche rechtliche Basis für Bayern und die Pfalz und schränkte die Staatsaufsicht ein. Durch Vereinfachung der Kommunalstrukturen sollten Kosten eingespart werden. Das bisherige Zweikammersystem von Magistrat und Kollegium der Gemeindebevollmächtigten in den Städten (Magistratsverfassung) wurde durch das Einkammersystem (Ratsverfassung) ersetzt. Alleiniges Vertretungs- und Verwaltungsorgan sollte der gewählte Stadt- bzw. Gemeinderat sein, dessen Vorsitz der Bürgermeister führte. Stadt- und Landgemeinden wurden verfassungsrechtlich gleichgestellt. Demokratische Grundsätze sollten auch auf der kommunalen Ebene voll zum Tragen kommen. Neu war die Möglichkeit, den Rat mittels Bürgerentscheid abzuberufen. Durch das neue Gemeindewahlgesetz wurden allgemeine, geheime, gleiche und unmittelbare Wahlen eingeführt. Auch Frauen erhielten Wahlrecht.
Die Gemeindeordnung vom 17. Oktober 1927 ordnete das Kommunalrecht neu und fasste es zusammen. In Hinblick auf die spätere Entwicklung ist die zentrale Stellung des Gemeinderats und damit eines starken demokratisch-repräsentativen Elements hervorzuheben (Art. 16: "Der Gemeinderat vertritt die Gemeinde und verwaltet ihre Angelegenheiten".) Die Rechte des Bürgermeisters wurden schon 1927 gegenüber den Regelungen von 1919 wieder gestärkt ("modifiziertes Ratssystem").
Gleichschaltung nach 1933
Die nationalsozialistischen Gleichschaltungsgesetze ab 1933 beendeten eine Phase der positiven Entwicklung in der kommunalen Selbstverwaltung. Von 1935 bis 1945 galt in Bayern wie im ganzen Deutschen Reich die Deutsche Gemeindeordnung (30. Januar 1935), die der NSDAP entscheidenden Einfluss im kommunalen Bereich sicherte und dem ernannten Bürgermeister die gesamte Verantwortung für die Gemeindeverwaltung übertrug. Die durch Parteibeauftragte ausgewählten Gemeinderäte, die in den Stadtkreisen die Bezeichnung "Ratsherren" führten, hatten nur mehr beratende Funktion.
Infolge der Rechtslage von 1935 mussten in Bayern etwa die Hälfte der bisher kreisunmittelbaren Städte ihren Sonderstatus aufgeben, die übrigen bestanden nach preußischem Vorbild als Stadtkreise fort.
Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung 1945-1952
Die anlässlich der anstehenden Gemeindewahlen erlassene provisorische Gemeindeordnung vom 18. Dezember 1945 führte das demokratische Wahlrecht für die Gemeinderäte wieder ein. In Gemeinden mit über 3.000 Einwohnern sollte der Gemeinderat aus seiner Mitte den Bürgermeister wählen, während dies in kleineren Gemeinden unmittelbar der wahlberechtigten Bevölkerung zukam.
Eine zukunftsweisende Regelung in der Gemeindeordnung von 1945 war die Gewährleistung der Selbstverwaltung "im Rahmen der Gesetze", nicht mehr wie 1869 und 1927 "nach Maßgabe der Gesetze". Die Gemeinden hatten nun wieder das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu ordnen und zu verwalten, insbesondere ihre Bürgermeister und Vertretungskörper zu wählen. Die Selbstverwaltung der Gemeinden sollte dem Aufbau der Demokratie in Bayern von unten nach oben dienen.
Die Bayerische Verfassung vom 2. Dezember 1946 unterstrich die wichtige Rolle der Gemeinden als ursprüngliche Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts und legte den Wiederaufbau der kommunalen Selbstverwaltung und deren Abgrenzung gegen staatliche Befugnisse fest.
Die umfassende Neuordnung erfolgte in der Gemeindeordnung von 1952. Damit wurde eine schwierige, fast siebenjährige Übergangszeit beendet, während der im Gemeinderecht auf die noch brauchbaren Teile der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 und bewährtes älteres Landesrecht (Gemeindeordnung von 1927) zurückgegriffen worden war.
Gemeindeordnung von 1952 und weitere Entwicklung
Die Gemeindeordnung von 1952 behielt die bewährten Grundsätze der kommunalen Selbstverwaltung bei und stellte die frühere Rechtslage wieder her (auch die nunmehrigen kreisfreien Städte). Die Entwicklung der Gemeindeverfassung seit 1952 ist gekennzeichnet von einer Angleichung der Rechtsverhältnisse von Stadt und Land, der schrittweisen Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung und dem Ausbau der demokratischen Strukturen.
Alle Gemeinden haben eine Ratsverfassung: Hauptorgane der Gemeinde sind die von den Gemeindebürgern direkt gewählte Gemeindevertretung (Gemeinderat, Stadtrat) und der ebenfalls direkt gewählte Bürgermeister (Oberbürgermeister). Unterschiede zwischen Stadt- und Landgemeinden bestehen nur mehr in der Benennung der Gemeindeorgane.
Elemente der direkten Demokratie fanden zunehmend Eingang in die Bayerische Gemeindeordnung (Art. 18). Das Mitberatungsrecht der Bürger wurde schon 1952 durch die Einführung der mindestens einmal jährlich abzuhaltenden Bürgerversammlung gesetzlich verankert. Seit 1995 besteht die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen in wichtigen kommunalen Angelegenheiten über ein Bürgerbegehren einen kommunalen Bürgerentscheid mit endgültiger Beschlusswirkung herbeizuführen. Bayern gilt als das Land mit den bürgerfreundlichsten Regelungen bei Bürgerentscheiden in Deutschland. Deshalb werden hier auch am häufigsten Bürgerentscheide durchgeführt. Eine weitere Mitwirkungsmöglichkeit bietet der Bürgerantrag (Antrag auf Behandlung einer gemeindlichen Angelegenheit im zuständigen Gemeindeorgan).
Eine wichtige Basis der kommunalen Selbstverwaltung ist das Konnexitätsprinzip, das allgemein schon in der Bayerischen Verfassung von 1946 grundgelegt war (Art. 83, Abs. 3: "Bei Übertragung staatlicher Aufgaben an die Gemeinden sind gleichzeitig die notwendigen Mittel zu erschließen"), dann 2003 noch konkretisiert und gestärkt wurde. Demnach ist der Staat verpflichtet, für die finanzielle Absicherung der Gemeinden bei der Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben zu sorgen. Zur Umsetzung des Konnexitätsprinzips vereinbarte die Staatsregierung ein Konsultationsverfahren mit den kommunalen Spitzenverbänden.
Im Hinblick auf die anderen deutschen Länder ist festzuhalten, dass sich im letzten Jahrzehnt die süddeutsche Ratsverfassung gegenüber der norddeutschen Magistratsverfassung als dominierendes Modell der Gemeindeverfassung in den Flächenstaaten (mit Ausnahme von Hessen) durchgesetzt hat.
Gemeindegebietsorganisation
Als strukturelles Problem der Kommunalorganisation galt seit Beginn des 19. Jahrhunderts die Vielzahl von Klein- und Kleinstgemeinden. Die Staatsregierung bemühte sich immer wieder um eine Reduzierung der über 8.500 Gemeinden, konnte jedoch kaum gegen gewachsene Einschätzungen und Vorurteile gegenüber Nachbargemeinden ankommen. Auch die 1869 für sehr kleine, wenig leistungsfähige Gemeinden angestrebte Einrichtung von Bürgermeistereien (ein Bürgermeister sollte für mehrere Gemeinden zuständig sein) war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Verstärkte Bemühungen um eine Reduzierung der Kleinstgemeinden gab es 1906 bis 1911, dann wieder 1923 bis 1926.
Eine insgesamt wenig erfolgreiche Gemeindegebietsreform wurde unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Angriff genommen. Die amerikanische Militärregierung drängte 1945 auf eine Bereinigung der bayerischen Kommunallandschaft noch vor den für den 27. Januar 1946 terminierten Gemeindewahlen. Die Gemeinden sollten auf weniger als die Hälfte reduziert werden. Die Besatzungsmacht verfügte nach Abstimmung mit den zuständigen deutschen Stellen die Auflösung vieler kleiner Gemeinden zum 1. Januar 1946. Bei der Bevölkerung stieß dieses Vorgehen überwiegend auf Ablehnung und Widerstand. Die Auflösungen wurden oft einfach ignoriert, die Geschäfte wie früher weitergeführt. Viele Gemeinden erlangten nach den 1947/48 durchgeführten Volksabstimmungen die Selbständigkeit wieder.
Kommunale Gebietsreform 1970-1978
Die Gebietsreform seit Anfang der 1970er Jahre gestaltete die kommunale Gliederung völlig um. Nach einer Phase der freiwilligen Zusammenschlüsse, die bis 1976 andauerte, standen dort, wo entsprechende Maßnahmen ausblieben, ab 1976 Zusammenlegungen "von Amts wegen" an. Der ursprünglich angestrebte Richtwert von wenigstens 5.000 Einwohner je Gemeinde war in vielen Fällen dennoch nicht erreichbar; viele Gemeinden hatten auch 1978 nach Abschluss der Reform weniger als 3.000 Einwohner. Dennoch war es gelungen, die Zahl der Gemeinden von über 7.100 im Jahr 1952 auf 2.052 im Jahr 1978 zu reduzieren. Eine zusätzliche Möglichkeit der organisatorischen Straffung und Kosteneinsparung ergab sich durch die Bildung von Verwaltungsgemeinschaften (1978: 393 Verwaltungsgemeinschaften für 1.287 Gemeinden). Damit war die Gemeindegebietsreform eigentlich abgeschlossen, doch eine Reihe von Gemeinden war mit dem erreichten Status nicht zufrieden, unternahm alles, um die Selbständigkeit oder den Austritt aus ungeliebten Verwaltungsgemeinschaften wiederzuerlangen. Einzelne hatten damit auch Erfolg.
Literatur
- Hans Hammer, Die neue Gemeindeverfassung in Württemberg und Bayern im Vergleich zur rheinischen Bürgermeisterverfassung, Heidelberg 1928.
- Karl Helmreich/Julius Widtmann, Bayerische Gemeindeordnung. Kommentar. 2 Bände, München 2. Auflage 1959/60; als Loseblattausgabe fortgeführt von Erhard Glaser, München 5. Auflage 1986ff.
- Gustav von Kahr (sen.), Bayerische Gemeindeordnung für die Landestheile diesseits des Rheins. Kommentar. 2 Bände, München 1896/1898.
- Franz-Ludwig Knemeyer, Die Stellung der bayerischen Gemeinden nach Grundgesetz, Bayerischer Verfassung und bayerischen Landesgesetzen, in: Bayerische Gemeinden - Bayerischer Gemeindetag. Festschrift 75 Jahre Bayerischer Gemeindetag, München 1987, 95-133.
- Franz-Ludwig Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, Stuttgart/München 11. Auflage 2004.
- Jörg-Detlef Kühne/Friedrich Meißner, Züge unmittelbarer Demokratie in der Gemeindeverfassung: Bürgerentscheid, Bürgerbegehren, Bürgerversammlung u. a. (Schriftenreihe des Deutschen Städte- und Gemeindebundes 28), Göttingen 1977.
- Wilhelm Laforet/Heinrich von Jan/Max Schattenfroh, Die Bayerische Gemeinde-, Bezirks- und Kreisordnung von 1927. 2 Bände, München 1931.
- Emma Mages, Bürgermeistereien im rechtsrheinischen Bayern. Ein kommunalpolitischer Reformversuch (1869-1923), in: Konrad Ackermann (Hg.), Staat und Verwaltung in Bayern. Festschrift für Wilhelm Volkert zum 75. Geburtstag (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 139), München 2003, 655-669.
- Christoph Masson, Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern mit Landkreisordnung, München 1952.
- Christoph Masson/Rudolf Samper/Martin Bauer, Bayerische Kommunalgesetze, Stuttgart/München 1961.
- Max von Seydel, Das Staatsrecht des Königreichs Bayern, hg. von Josef Graßmann, Tübingen 3. Auflage 1903.
- Wilhelm Volkert (Hg.), Handbuch der bayerischen Ämter, Gemeinden und Gerichte 1799-1980, München 1983.
- Wilhelm Volkert, Die Staats- und Kommunalverwaltung, in: Max Spindler (Begr.)/Alois Schmid (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Vierter Band: Das neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart. Zweiter Teilband: Die innere und kulturelle Entwicklung, München 2. Auflage 2007, 72-153, hier 91-94.
- Josef A. Weiss, Die Integration der Gemeinden in den modernen bayerischen Staat. Zur Entstehung der kommunalen Selbstverwaltung in Bayern 1799-1818, München 1986.
Quellen
- Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1919, 239; 1927, 293; 1933, 105, 127; 1946, 225; 1952, 19; 1971, 247; 1975, 398; 1979, 317; 1995, 730; 1999, 86; 2003, 816.
- Franz Ludwig Knemeyer (Hg.), Die bayerischen Gemeindeordnungen 1808-1945 (Schriften zur öffentlichen Verwaltung 41), Köln 1994.
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Externe Links
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Kommunalverfassung, Gemeindliche Selbstverwaltung, kommunale Selbstverwaltung
Empfohlene Zitierweise
Emma Mages, Gemeindeverfassung (19./20. Jahrhundert), publiziert am 11.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Gemeindeverfassung (19./20. Jahrhundert)> (14.11.2024)