Kirchenverträge, 1924/1925
Aus Historisches Lexikon Bayerns
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Mit den protestantischen Kirchen im rechtsrheinischen Bayern und der Pfalz ausgehandelte Verträge, die das Verhältnis des Staates zu den beiden Religionsgemeinschaften nach dem Sturz der Monarchie neu regelten. Am 15. November 1924 unterzeichnet, traten die Verträge am 27. bzw. 29. Januar 1925 als erste ihrer Art in Kraft. Sie garantierten den protestantischen Kirchen ähnliche Rechte wie der katholischen Kirche, die zuvor ein Konkordat mit dem Freistaat abgeschlossen hatte, und waren Vorbild für die späteren Kirchenverträge anderer Länder.
Entstehung der Verträge
Der Anerkennung der kirchlichen Eigenständigkeit durch die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 entsprach es, nach dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments offene Fragen im Verhältnis von Staat und Kirchen in der Form von Verträgen zu regeln. Während Konkordate mit der römisch-katholischen Kirche schon eine lange Tradition hatten, gab es für Verträge mit den evangelischen Landeskirchen kaum Vorbilder. So erklärt es sich, dass der bayerische Staat längst mit dem apostolischen Nuntius Eugenio Pacelli (1876-1958, seit 1939 Papst Pius XII.) Kontakt aufgenommen hatte und das Konkordat bereits so gut wie unterschriftsreif war, bevor den evangelischen Landeskirchen Bayerns am 4. Februar 1924 Gelegenheit gegeben wurde, ihre Vorstellungen zur näheren Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche darzulegen. Bezeichnend war auch, dass die staatliche Seite zunächst einem Staatsgesetz den Vorzug vor vertraglichen Regelungen geben wollte, dann aber vorschlug, in den Verträgen mit den evangelischen Kirchen mit Ausnahme der Artikel über die Staatsleistungen im Wesentlichen pauschal auf die entsprechende Geltung der Konkordatsartikel zu verweisen. Der Landeskirchenrat der rechtsrheinischen Kirche legte daraufhin in den Verhandlungen, die auf staatlicher Seite der Staatsminister für Unterricht und Kultus, Dr. Franz Matt (1860-1929), und auf kirchlicher Seite die Kirchenpräsidenten D. Friedrich Veit (1861-1948, München) und Dr. Karl Fleischmann (1868-1954, Speyer) führten, eine vollständig ausformulierte Vertragsfassung vor, da die Verträge mit den evangelischen Kirchen nicht als bloße Anhänge zum Konkordat erscheinen sollten.
Strittige Punkte betrafen im Wesentlichen Entsprechungen in den evangelischen Kirchenverträgen zu den Bestimmungen des Konkordats zur Schulfrage, den Status der Theologischen Fakultäten, zur Fühlungnahme mit dem Staat vor der Ernennung eines Bischofs ("politische Klausel") und zur Mitteilung der Personalien der Pfarrer sowie die Höhe der Staatsleistungen. Nachdem hier eine Einigung erzielt war, kamen die Verhandlungen mit der Unterzeichnung der beiden Verträge am 15. November 1924 zum Abschluss. Nicht zuletzt in der Hoffnung, auf diesem Wege für die Ratifizierung des Konkordats die Unterstützung auch der protestantischen Abgeordneten zu finden, brachte die Regierung Held die Verträge zusammen mit dem Konkordat im Rahmen eines gemeinsamen Zustimmungsgesetzes im Landtag ein, wo sie am 15. Januar 1925 die parlamentarische Zustimmung erhielten. Die Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins hatte dem Vertrag bereits am 19. Dezember 1924 zugestimmt; das Zustimmungsgesetz der Synode der Vereinigten Protstantisch-Evangelisch-Christlichen Kirche der Pfalz folgte am 25. Januar 1925. Die Verträge wurden mit ihrer Verkündung in den kirchlichen Amtsblättern am 27. bzw. 29. Januar 1925 wirksam. Insofern sie als erste - im Unterschied z. B. zum Braunschweigischen Kirchenvertrag vom 8. August 1923 - nicht nur die finanziellen Leistungen des Staates an die Kirchen, sondern aus damaliger Sicht in umfassender Weise die Beziehungen zwischen Staat und Kirchen regelten, wurden sie zum Vorbild für die später in Preußen (1931) und in Baden (1932) sowie für die nach dem Zweiten Weltkrieg geschlossenen evangelischen Kirchenverträge.
Inhalt des Vertrags mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins
Der Staatsvertrag mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins wiederholte zunächst die - auch unter dem Grundgesetz fortgeltenden - Weimarer Verfassungsgarantien der Religionsfreiheit, der kirchlichen Eigenständigkeit und der ungestörten kirchlichen Kultusausübung (Art. 1 StKV), des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen (Art. 4 und 10), der Staatsleistungen (Art. 15 StKV), der Anstaltsseelsorge (Art. 17 StKV), des Schutzes kirchlichen Eigentums (Art. 19 StKV) und der Kirchensteuererhebung (Art. 20 StKV) und entzog sie damit der einseitigen Verfassungsänderung.
Bezüglich der Theologischen Fakultät an der Universität Erlangen war der kirchlichen Seite daran gelegen, allen Anschein zu vermeiden, dass die Freiheit der Wissenschaft angetastet werden könnte. Im Unterschied zu Art. 3 des Konkordats, das die Ernennung von Hochschullehrern vom "nihil obstat" des Diözesanbischofs abhängig macht und diesem ein Beanstandungsrecht hinsichtlich Lehre und Lebensführung einräumt, ist deshalb - in Fortführung der bereits in § 13 des bayerischen Protestanten-Edikts vom 26. Mai 1818 enthaltenen Regelung - nach Art. 2 StKV für die Besetzung von theologischen Lehrstühlen lediglich eine gutachterliche Einvernahme des Landeskirchenrates nötig.
Schule und Religionsunterricht
Breiten Raum nehmen wie im Konkordat die Bestimmungen über das Schulwesen und den Religionsunterricht ein, zumal die Volksschulen - bis zur Einführung der christlichen Gemeinschaftsschule im Jahre 1968 - weiterhin grundsätzlich Bekenntnisschulen waren. Deshalb wurde bestimmt, dass auf Antrag der Erziehungsberechtigten evangelische Volksschulen zu errichten waren, sofern dies schulorganisatorisch möglich war (Art. 9 StKV).
Der Unterricht und die Erziehung der Kinder an den evangelischen Volksschulen durften dabei nur solchen Lehrkräften übertragen werden, die geeignet und bereit waren, in verlässlicher Weise in der evangelischen Religionslehre zu unterrichten und im Geiste des evangelischen Glaubens zu erziehen (Art. 5 StKV). Die evangelischen Kirchen legten in diesem Zusammenhang großen Wert darauf, jeglichen Anschein der Inanspruchnahme einer geistlichen Schulaufsicht, die mit Verordnung der Regierung Eisner vom 16. Dezember 1918 aufgehoben worden war, auszuschließen.
Das im Konkordat vorgesehene kirchliche Beanstandungsrecht bei "Missständen im religiös-sittlichen Leben der katholischen Schüler" sowie bei deren "nachteiliger oder ungehöriger Beeinflussung in der Schule" (Art. 8 Abs. 2) sollte für die Evangelisch-Lutherische Kirche nur gelten "wenn und soweit die Kirche darauf anträgt" (Art. 14 StKV).
Art. 7 StKV ermöglicht es kirchlichen Einrichtungen, wie damals der von Hermann Bezzel (1861-1917) 1896 gegründeten Lehrerinnenbildungsanstalt der Diakonissenanstalt Neuendettelsau, Lehrkräfte für den staatlichen Volksschuldienst auszubilden.
Den Schülern aller öffentlichen Schulen ist ausreichende Gelegenheit zur Erfüllung ihrer religiösen Verpflichtungen, insbesondere auch zum Besuch des Konfirmandenunterrichts zu geben (Art. 11 StKV).
Wegen der durch das staatliche Verfassungsrecht der Kirche zugeschriebenen Verantwortung für Inhalt und Didaktik des Religionsunterrichts werden dieser die Beaufsichtigung und Leitung des Religionsunterrichts gewährleistet (Art. 12 StKV).
Für die Erteilung evangelischen Religionsunterrichts an Volksschulen bedürfen staatliche Lehrkräfte neben einer entsprechenden Ausbildung, an der die Kirche zu beteiligen ist, der Bevollmächtigung (vocatio) durch den Landeskirchenrat (Art. 6 StKV).
Religionslehrkräfte an höheren Lehranstalten können staatlicherseits erst ernannt werden, wenn gegen die in Aussicht genommenen Kandidaten keine Erinnerung erhoben worden ist. Bemerkenswert für einen evangelischen Kirchenvertrag ist das kirchliche Beanstandungsrecht in Bezug auf Lehre und sittliches Verhalten dieser Religionslehrkräfte (Art. 3 StKV).
Da es sich bei den damals bestehenden evangelischen Privatschulen im Wesentlichen um Gründungen der Inneren Mission handelte, bezog sich die in Art. 13 StKV enthaltene Gewährleistung, Privatschulen zu gründen und zu führen, ursprünglich nur auf die kirchlich anerkannten Diakonen- und Diakonissenanstalten.
Anstaltsseelsorge, Staatsleistungen und sonstige Bestimmungen
Der Bayerische Staat verpflichtete sich zur Übernahme der Kosten für die Anstaltsseelsorge (Art. 17 StKV), zu Zuschüssen für den Personal- und Sachkostenaufwand einschließlich der Versorgungsaufwendungen für die Beamten des Landeskirchenrates (Art. 21, 22 und 24 StKV) sowie zur weiteren Überlassung und zum Unterhalt der Dienstgebäude der früheren Konsistorialbehörden (Art. 23 StKV).
Im Bereich der Staatsleistungen musste die kirchliche Seite in den Verhandlungen die Position der staatlichen Seite hinnehmen, dass trotz "möglichster Gleichstellung der christlichen Religionsgesellschaften ... die tiefgreifenden Unterschiede tatsächlicher und rechtlicher Natur nicht unbeachtet" bleiben können. So wurden den Leistungen an die katholische Kirche entsprechende Erhöhungen der Personalkostenzuschüsse für den Landeskirchenrat abgelehnt und im Unterschied zum Konkordat (Art. 10 § 1 Buchst. h und i) Zuschüsse zur Altersversorgung der Pfarrer und für die Predigerseminare nur als freiwillige und von den jeweiligen Willigungen des Staatshaushaltes abhängige Leistungen deklariert (Art. 25 StKV).
Als vertragliche Verpflichtungen für die Kirche werden in Art. 26 bis 28 StKV die Voraussetzungen für die Verwendung von Geistlichen, Religionslehrern und Kirchenbeamten geregelt. Zu der in Art. 29 StKV eingegangenen Verpflichtung der Landeskirche, vor der Wahl des Kirchenpräsidenten (seit 1933: Landesbischofs) mit der Bayerischen Staatsregierung in Verbindung zu treten, "um sich zu versichern, dass gegen die für die Wahl in Betracht genommenen Kandidaten Erinnerungen politischer Natur nicht obwalten", ist festzustellen, dass die Landessynode selbst bei Vorliegen solcher Bedenken nicht an der Wahl gehindert wird, dadurch also dem Staat kein Vetorecht eingeräumt wird.
Auf die ursprünglich in Art. 30 StKV enthaltene, 1978 ersatzlos gestrichene Verpflichtung der Kirche, vor Ernennung der Pfarrer der Staatsregierung die Personalien der in Aussicht genommenen Geistlichen mitzuteilen, ist staatlicherseits bereits während des "Dritten Reiches" - mit Entschließung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 16. Juni 1941 - verzichtet worden.
Im Sinne einer Freundschaftsklausel verpflichteten sich die Vertragspartner in Art. 31 StKV, bei auftretenden Schwierigkeiten in der Auslegung der Vertragsbestimmungen zu ihrer Beseitigung in gegenseitiges Benehmen zu treten.
Inhalt des Vertrags mit der Pfälzer Kirche
Der mit der Vereinigten Protestantisch-Evangelisch-Christlichen Kirche der Pfalz ausgehandelte Vertrag entsprach inhaltlich und in seinen Formulierungen weitgehend dem rechtsrheinischen Staat-Kirche-Vertrag, soweit nicht besondere Verhältnisse in der Pfalz andere Regelungen notwendig machten. Demgemäß waren insbesondere Bestimmungen zu Theologischen Fakultäten und zu kirchlichen Privatschulen entbehrlich. Kirchenpolitisch spielten auch in der Pfalz die Schulartikel eine wesentliche Rolle.
Fortentwicklung der Verträge nach 1945
Der mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern geschlossene Staat-Kirche-Vertrag, dessen Fortgeltung die Bayerische Verfassung vom 2. Dezember 1946 in Art. 182 bestätigt, wurde 1968 infolge der Ablösung der Bekenntnisschule durch die christliche Gemeinschaftsschule erstmalig geändert. Weitere Änderungsverträge waren 1974 und 1978 aufgrund der Eingliederung der Pädagogischen Hochschulen in die Universitäten und der dadurch erforderlich gewordenen Einrichtung Evangelisch-Theologischer Lehrstühle an den Universitäten, an denen keine Evangelisch-Theologischen Fakultäten bestehen, veranlasst.
Außerdem wurden in Ausführung des Staat-Kirche-Vertrages im Vereinbarungswege detaillierte Regelungen zu bestimmten Sachgebieten getroffen. Diese betreffen die Verwendung von Pfarrern als Religionslehrer an staatlichen Schulen (1949), die Vergütung des von kirchlichen Kräften gehaltenen Religionsunterrichts (1958 ff.), die Staatsleistungen (1958), die Erfüllung der staatlichen Baupflicht an Pfarrgebäuden (1962, 1994), die Einrichtung einer Evang.-Theol. Fakultät an der Münchner Universität (1967), die Seelsorge an Universitätskliniken und in den bayerischen Justizvollzugsanstalten (1982) sowie die Streichung von evangelisch-theologischen Lehrstühlen und die Konzentration der Ausbildung von evangelischen Religionslehrern (2007).
Bei der 1945 erfolgten Ausgliederung der Rheinpfalz aus Bayern trat das Land Rheinland-Pfalz gemäß Art. 137 Abs. 1 der Verfassung von Rheinland-Pfalz in den mit der pfälzischen Kirche geschlossenen Vertrag ein. Er wurde unter Fortführung seiner wesentlichen Grundsätze durch den Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den Evangelischen Landeskirchen in der Pfalz vom 31. März 1962 abgelöst.
Dokumente
- Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins (aus: Gesetz- und Verordnungs-Blatt für den Freistaat Bayern 1925, 61-64)
- Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der Vereinigten Protestantisch - Evangelisch - Christlichen Kirche der Pfalz (Pfälzische Landeskirche) (aus: Gesetz- und Verordnungs-Blatt für den Freistaat Bayern 1925, 65-67)
Literatur
- Ernst-Rudolf Huber/Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. Jahrhundert. Band 4, Berlin 1988.
- Hans-Peter Hübner, Neuordnung der Evang.-Luth. Landeskirche und ihres Verhältnisses zum Staat, in: Gerhard Müller (Hg.), Handbuch der Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern. Band II, Sankt Ottilien 2000, 211-232.
- Hans-Peter Hübner, Der Vertrag der Evang.-Luth. Kirche in Bayern mit dem Staat von 1924 in: Wolfgang Sommer/Friedrich Veit (Hg.), Kirchenleitung zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, Nürnberg 2011, 255-260.
- Christoph Link, Zwischen königlichem Summepiskopat und Weltanschauungsdiktatur - Die bayerische evangelische Kirche im Spiegel ihrer Verfassungsentwicklung 1800-1945 (Arbeiten zur Kirchengeschichte Bayerns 93), Nürnberg 2013.
- Hugo Maser, Evangelische Kirche im demokratischen Staat, München 1983.
- Lydia Schmidt, Kultusminister Franz Matt (1920-1926). Schul-, Kirchen- und Kunstpolitik in Bayern nach dem Umbruch von 1918 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 126), München 2000.
- Friedrich Stähler, Der Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der Vereinigten Protestantisch-Evangelisch-Christlichen Kirche der Pfalz (Pfälzische Landeskirche) vom 15. 11. 1924, Diss. jur. Würzburg 1932/34.
Quellen
- Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Bayern
- Joseph Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987.
Weiterführende Recherche
Externe Links
Verwandte Artikel
- Bayerisches Konkordat, 1924
- Evangelische Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche)
- Patronatsrecht (19./20. Jahrhundert)
- Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Weimarer Republik)
- Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche im rechtsrheinischen Bayern, 1921
- Verfassung der Vereinigten Protestantisch - Evangelisch - Christlichen Kirche der Pfalz, 1921
Verträge des Freistaats mit den evangelischen Kirchen, Verträge mit der evanglischen Kirche rechts des Rheins und der Pfälzer Landeskirche
Empfohlene Zitierweise
Hans-Peter Hübner, Kirchenverträge, 1924/1925, publiziert am 05.10.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Kirchenverträge,_1924/1925> (06.11.2024)