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Dialektdichtung in Schwaben

Aus Historisches Lexikon Bayerns

von Klaus Wolf und Klaus Wolf


Die schwäbische Dialektdichtung umfasst Mundarten des Ostschwäbischen, des (Nieder-)Alemannischen sowie Teile des Mittelbairischen. Dabei ist das Schwäbische bereits seit der Wende zum 13. Jahrhundert als überregionale Dichtersprache bekannt. Eines der bedeutendsten Zeugnisse der schwäbischen Dialektdichtung ist der um 1300 entstandene sog. Codex Manesse. Zwei weitere herausragende Beispiele aus der Mitte des 15. Jahrhunderts sind das sog. Augsburger Nibelungenlied und das Augsburger Passionsspiel. Die verwendete Sprache variiert zwischen einer auf überregionales Verständnis zielenden und einer die lokalen Besonderheiten berücksichtigenden Version. Von eigentlicher Dialektdichtung und Mundartliteratur kann in Schwaben erst gesprochen werden, als eine überregionale Schriftsprache, die sich entweder am Deutsch Martin Luthers (1483-1546) oder an der Habsburgischen Kanzlei in Wien orientierte, als Literatursprache prägend war. Bedeutender Vertreter schwäbischer Mundartliteratur war vor einer erneuten Blüte im 19. Jahrhundert Pater Sebastian Sailer (1714-1777). Die Heimatbewegungen des 20. Jahrhunderts regten die Produktion regionaler und vor allem auch dialektaler Literatur an. Das gilt auch für die Gebiete Bayerisch-Schwabens, die als Heimat zahlreicher Mundartautoren wiederholt Thema in deren Dichtung wurden. Bis in die Gegenwart ist schwäbische Mundartdichtung lebendig und zeichnet sich durch eine große Bandbreite unterschiedlichster Literaturformen sowie regionaler und lokaler Ausdrucksformen aus.

Schwäbisch – Bairisch – Alemannisch

In Bayerisch-Schwaben gibt es heute (Stand: 2018) verschiedene Mundarten, die im Wesentlichen das Ostschwäbische, das (Nieder-)Alemannische und teilweise seit der Gebietsreform (1972) mit dem "Wittelsbacher Land" zudem das Mittelbairische umfassen. Auch das historische Herzogtum Schwaben, welches neben Bayerisch-Schwaben ebenso weite Teile des heutigen Baden-Württemberg sowie schweizerische und elsässische Gebiete umfasste, war im weiteren Sinne durch das Schwäbische als Bestandteil des noch weiter verbreiteten Alemannischen mundartlich geprägt. Allerdings ist das Schwäbische vom Bairischen nicht von Anfang an getrennt gewesen, denn Rolf Bergmann (geb. 1937) hat zu Recht die Frage gestellt, ob ältestes Alemannisch überhaupt von ältestem Bairisch zu unterscheiden ist. Denn erst seit dem Hochmittelalter können die oberdeutschen Dialekte sinnvoll auseinandergehalten werden. In vielen geschichtlichen Darstellungen wird zudem "Hochmittelalter" mit "Stauferzeit" (11.-13. Jh.) gleichgesetzt. Dabei sind die Staufer als schwäbisches Geschlecht zu bezeichnen. Dies führte schon im 19. Jahrhundert zu einer literaturgeschichtlichen Epochenbezeichnung: "Die Summe der Kenntnisse läuft ungefähr auf folgende vier Worte hinaus: Minnesinger – Schwäbisches Zeitalter – Hohenstaufen – Ritterliche Dichtung. Und diese vier Worte verknüpft man folgendermaßen zu einem Gedanken: 'Unter den Hohenstaufen lebten die Minnesinger, welche in schwäbischer Mundart ritterliche Liebeslieder dichteten.'" (Götzinger, deutsche Literatur, 98).


Schwäbisch, die Sprache mittelalterlicher Dichter

Über Herkunft und Leben des Dichters Hartmann von Aue (gest. zwischen 1210 und 1220) gibt es keine gesicherten Angaben. Die Herkunftsbezeichnung "Aue" bedeutet "Land am Wasser" und ist ein häufiger Ortsname. Sehr wahrscheinlich stammte Hartmann aus dem alemannischen Sprachraum. Darstellung des Hartmann von Aue im Codex Manesse (Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, fol. 184v, lizensiert durch CC-BY-SA-3.0.)

Schon die ältesten deutschen Literaturgeschichten verwenden also den Begriff "Schwäbisches Zeitalter". Anhand einiger Beispiele lässt sich im Folgenden zeigen, dass diese Begriffsbildung ihre Berechtigung hat, und dass das Schwäbische und im weiteren Sinne das Alemannische um 1200 den Nimbus einer überregionalen Dichtersprache hatte. Nicht nur waren namhafte höfische Dichter der Stauferzeit im weiteren Sinne Alemannen, sondern eine oberdeutsch und dabei weniger ost- sondern mehr westoberdeutsch geprägte Literatursprache setzte sich sogar an den Höfen nördlich der Donau, ja sogar nördlich des Mains durch. Auch der ursprünglich auf Mittelniederländisch dichtende Heinrich von Veldeke (um 1150 bis um 1200) übertrug seine eigenen Werke in diese oberdeutsche Dichtersprache.

In den alemannischen Raum führt überlieferungsgeschichtlich und in dieser Vollständigkeit an Lyrikern oder Minnesängern erstmalig schon der berühmte Codex Manesse (um 1300), der auch als große Heidelberger Liederhandschrift bezeichnet wird. Die Handschrift dokumentiert den hochmittelalterlichen Minnesang. Die Sammlung wird eröffnet durch die Lieder und die Miniatur von Kaiser Heinrich. Dabei handelt es sich wohl um den Staufer Heinrich VI. (1165-1197, seit 1169 römisch-deutscher König, seit 1191 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches), den Sohn Friedrich I. Barbarossas (ca. 1122-1190, seit 1169 römisch-deutscher König, seit 1155 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches). Neben diesem letztlich schwäbischen Herrschergeschlecht führt die Entstehung des Codex Manesse selbst in den alemannischen Raum, denn es war das Zürcher Patriziergeschlecht der Manesse, welches der Sammlung nicht nur ihren Namen gab, sondern deren Gehalt und Umfang wesentlich prägte.

Wir finden im Codex Manesse auch einige Minnesänger aus Schwaben selbst. Zu den Vertretern des frühen Minnesangs gehört dabei Meinloh von Sevelingen (Mitte 12. Jahrhundert), der ein Ministeriale der Grafen von Dillingen war. Sevelingen heißt heute Söflingen und ist ein Vorort von Ulm (Baden-Württemberg). Das Mittelhochdeutsche Meinlohs und das anderer Dichter aus Bayerisch-Schwaben ist zwar grundsätzlich einer höfisch geprägten Hochsprache zuzuweisen, lässt sich aufgrund der Reimgrammatik aber doch als Westoberdeutsch einordnen. Dies gilt auch für das Œuvre des Minnesängers Hiltbolt von Schwangau (13. Jahrhundert), der im Allgäu in der Nähe von Füssen (Lkr. Ostallgäu) residierte.

Der Codex Manesse kennt auch den Minnesänger Hartmann von Aue (gest. zwischen 1210 und 1220), der allerdings weniger als Minnesänger, sondern mehr als Begründer der Artusepik in deutscher Sprache literaturgeschichtliche Berühmtheit erlangte. Der alemannische Dichter wird von seinem jüngeren Kollegen Gottfried von Straßburg (Ende 12./Anfang 13. Jh.) wegen seiner "cristallînen wortelîn" gerühmt.

Diese ruhmvolle Nennung im so genannten Literaturexkurs des Tristan-Romans bei Gottfried von Straßburg umfasste nicht nur Epiker wie Hartmann von Aue, sondern auch Lyriker wie Walther von der Vogelweide (ca. 1170-1230). Unter diese fällt mit wenigen Liedern auch Gottfried von Straßburg selbst, der deshalb in einer Miniatur im Codex Manesse gewürdigt wurde. Der Autor Gottfried lebte im alemannischsprachigen Straßburg (Frankreich). Dort starb er auch, bevor das Werk vollendet war. Sein Tristanroman fand Fortsetzung durch den Schwaben Ulrich von Türheim (geb. ca. 1195, gest. ca. 1250) aus dem schwäbischen Unterthürheim (Lkr. Dillingen). Hat sich der Tristan-Fortsetzer Ulrich noch relativ kurz gefasst, so dichtete er in seinem Epos "Rennewart" mehr als 30.000 Verse. Dieses Werk gehört zu den meistüberlieferten in mittelhochdeutscher Sprache überhaupt. Ins schwäbische Augsburg führt auch die altfranzösische Vorlage, welche Ulrich von Türheim benutzte. Die umfängliche und daher kostspielige altfranzösische Quelle erhielt er von Otto dem Bogner (gest. ca. 1261) aus Augsburg, wie Ulrich von Türheim in seinem Prolog nicht zu erwähnen vergisst.

Schwäbische Literatur in der Frühen Neuzeit

Noch im 15. Jahrhundert war Augsburg eine Pflegestätte der höfischen Literatur. Dazu gehört das Augsburger Nibelungenlied, das in die patrizische Literaturpflege einzuordnen ist. Das ursprünglich in Passau (um 1200) entstandene Nibelungenlied wird in der Mitte des 15. Jahrhunderts in eine ostschwäbische Schreibart überführt. Sogar das Bildprogramm geht dezidiert auf Augsburger Verhältnisse ein. Dies gilt auch für das Augsburger Passionsspiel (nach 1440), welches später die Grundlage des ältesten Oberammergauer Passionsspiels (1662) abgab.

Mit diesen Spielen ist die frühneuhochdeutsche Epoche angesprochen, die einerseits lokale Schreibsprachen ausbildete, andererseits mit der Augsburger Druckersprache sich auch um überregionale Gültigkeit bemühte. Denn die Augsburger Drucker befleißigten sich nicht der ostschwäbischen Stadtmundart, sondern bemühten sich in Orientierung an der Habsburgischen Kanzlei um Verständlichkeit im gesamten oberdeutschen Sprachraum, wobei auch das Mitteldeutsche als Rezeptionsraum anvisiert wurde. Letztendlich sollten die Druckerzeugnisse auf den Frankfurter Buchmessen reichsweiten Absatz finden. Während so die Augsburger Inkunabeln des 15. Jahrhunderts überregionalen Absatz fanden, waren Augsburger und schwäbische Handschriften allgemein auf ein lokales Publikum beschränkt. Je nach Textsorte ist so ein Schwanken zwischen Schreibdialekt und Überregionalität für Dichtung aus Schwaben erkennbar. Dies gilt etwa für die zahlreichen Vertreter der schwäbischen, nicht nur handwerksmäßigen, sondern ständisch tendenziell höherstehenden und gebildeten Meistersinger in Augsburg, Memmingen und andernorts, welche sich einer eher überregionalen Dichtersprache befleißigten, während der Handwerkerdichter Jonas Losch (gest. 1583) die Augsburger Stadtmundart des ausgehenden 16. Jahrhunderts recht getreulich widerspiegelt.

Dialekt- und Mundartliteratur als Gegensatz zur Schriftsprache

Von eigentlicher Dialektdichtung und Mundartliteratur, wobei die Begriffe hier weitgehend synonym verstanden werden sollen, kann in Schwaben erst gesprochen werden, als eine überregionale Schriftsprache, die sich entweder am Deutsch Martin Luthers (1483-1546) oder an der Habsburgischen Kanzlei in Wien orientierte, als Literatursprache prägend war. Während es im Hoch- und Spätmittelalter zunächst nur mehr oder wenig regional geprägte Dichtersprachen gab, ja selbst das so genannte "klassische" Mittelhochdeutsch je nach Dichter stark regional geprägt war, was etwa an der Reimgrammatik sichtbar wird, gibt es überregionale Literatursprachen eigentlich erst seit der Zeitenwende um 1500, wobei aber regionale Schriftsprachen bis weit ins 18. Jahrhundert hinein in Geltung bleiben. Für ein überregionales Deutsch in schriftlicher Form ist zwischen einem mehr mitteldeutsch und protestantisch, nicht zuletzt durch die Lutherbibel geprägten Typus und einem mehr oberdeutsch und katholisch geprägten, von Wien ausgehendem Typus der überregionalen Literatursprache auszugehen. Erst als Gegensatz einer solchen überregionalen Literatursprache vermag sich Dialektdichtung seit dem 18. Jahrhundert zu etablieren. Für die Ausbildung einer überregionalen deutschen Schriftsprache im Gegensatz zu den Schreibdialekten sind sowohl Lutherdeutsch als auch oberdeutsche Kanzleisprachen in einem permanenten Konkurrenzverhältnis, welches die (im Gegensatz zu Frankreich etwa) frühe Ausbreitung einer regional übergreifenden einheitlichen Schriftsprache verzögert. Tendenziell stehen sich so das mehr mitteldeutsch geprägte Lutherdeutsch und die mehr oberdeutsch geprägte Habsburgische Kanzleisprache noch bis ins ausgehende 17. Jahrhundert durchaus feindlich gegenüber. Erst im 18. Jahrhundert gibt es als Folge von Sprachgesellschaften und Reformern wie Martin Opitz (1597-1639) und Johann Christoph Gottsched (1700-1766), nicht zu vergessen der "Parnassus Boicus" (Zeitschrift der gleichnamigen Münchner Gelehrtengesellschaft aus der ersten Hälfte des 18. Jh.), allmählich wirklich überregionale schriftliche Sprachnormen. Von diesen können sich bewusste Dialektdichtungen absetzen. Diese huldigen (mitunter ironisch) einer sog. Volkspoesie in der Nachfolge Johann Gottfried von Herders (1744-1803).

Sebastian Sailer, der Vater der schwäbischen Mundartliteratur im 18. Jahrhundert

Pater Sebastian Sailer (geb. als Johann Valentin Sailer, 1714-1777) stammte aus Weißenhorn (Lkr. Neu-Ulm) und wurde zu Lebzeiten "Schwäbischer Cicero" (Cicero Suevico) sowie "schwäbischer Aristophanes" genannt. Er gilt als Vater der schwäbischen Dialektliteratur. Kupferstich von Gottfried Bernhard Götz (1708-1774) und Franz Regis Götz (1737 bis nach 1789), Augsburg, um 1760. (Östereichische Nationalbibliothek, PORT_00129514_01)

Pater Sebastian Sailer (1714-1777) aus Weißenhorn (Lkr. Neu-Ulm) wird gemeinhin als Vater der schwäbischen Mundartliteratur und Dialektdichtung im 18. Jahrhundert bezeichnet. Seine von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) geschätzte Mundartdichtung wirkt vor dem Hintergrund der damals schon üblichen überregionalen Dichter- und Hochsprache. Sailer war ein Zeitgenosse von Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) und Gottsched, den er außerordentlich schätzte. Die Mundartstücke Sailers, ja Opern in schwäbischer Mundart (bei gleichzeitiger Dominanz der italienischsprachigen Oper), wurden vor einem höfisch gebildeten Publikum aufgeführt. Am berühmtesten ist die "Schwäbische Schöpfung".

Schwäbische Dialektdichtung ab dem 19. Jahrhundert

Ludwig Aurbacher (1784-1847). Der Schriftsteller stammte aus Türkheim (Lkr. Unterallgäu) und kam 1808 nach Stationen in Dießen a. A. (Lkr. Landsberg a. L.), München, Ottobeuren (Lkr. Unterallgäu) und Ulm (Baden-Württemberg) 1808 erneut nach München und trat eine Lehrerstelle im kgl. Kadettenkorps an. Als Professor für Deutsch und Ästhetik zählten zu seinen Schülern u. a. August Graf von Platen (1796-1835). Regelmäßig verkehrte er in München u. a. mit Joseph von Görres (1776-1848), Franz Graf von Pocci (1807-1876) und Johann Andreas Schmeller (1785-1852). Holzschnitt, erstmals veröffentlicht in der Leipziger Illustrierten Zeitung 83 (1884), 209. (Bayerische Staatsbibliothek, ana-000681)

Nach diesem ersten Höhepunkt im ausgehenden 18. Jahrhundert wird das Schwäbische im 19. Jahrhundert (parallel mit dem bairischen Mundartboom) auf breiter Front wieder literaturfähig. Hyazinth Wäckerle beispielsweise war schon zu Lebzeiten ein berühmter Mundartdichter. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich Joseph Fischer (1836-1896) aus dem schwäbischen Ziemetshausen bei Günzburg. Eine gewisse Berühmtheit erlangte die Anthologie "Biera ond Zelta" (1977), die die Klassiker schwäbischer Mundartlyrik des 19. und 20. Jahrhunderts versammelt.

Die bayerischen Schwaben sind sich der mundartlichen Vielfalt bewusst, so Heinrich Götzger (1900-1983), der auf die Lindauer Ortsmundart rekurriert. Legendären Status hat bis heute (Stand: 2018) in Mittelschwaben Adolf Paul (1859-1905) und sein "Schmied von Schreaza". Die Fülle verschiedener Dialekte wird bereits durch die Titel der Bände deutlich, so etwa bei der Dichterin Clara Rothärmel (geb. 1919) mit ihren "Kaufbeurer Leckerle" oder bei den “Memminger Bildla“ Hermann Pfeifers (1928-2000). Pfeifers "Schwäbischer Jedermann", eine kongeniale Übertragung des "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) ins Memminger Schwäbische, wurde und wird wiederholt erfolgreich aufgeführt (zuletzt 2018 in Memmingen und Edelstetten [Lkr. Günzburg]). Zu den bekanntesten schwäbischen Mundartdichtern des 19. Jahrhunderts zählen Johannes Müller (1784-1837), Ludwig Aurbacher (1784-1847) und Johannes Kähn (1810-1874). Im Jahr 1826 veröffentlichte der Memminger Johannes Müller seine "Gedichte im schwäbischen Dialekt". Der Lehrer und vielseitige Schriftsteller Ludwig Aurbacher aus Türkheim (Lkr. Unterallgäu) schrieb neben Gedichten auch mundartliche Dramen und Erzählungen, darunter die populären Erzählungen von den "Sieben Schwaben". Johannes Kähn aus Baldingen im Nördlinger Ries pflegte als Tierarzt engen Kontakt zur bäuerlichen Bevölkerung. Seine "Gedichte in Rieser Mundart" (1861) thematisieren unter anderem das schwäbische Landleben.

Als Vertreter der Geistlichkeit sind Pfarrer Johann Georg Scheifele (1825-1880) und der spätere Bischof von Augsburg, Dr. Maximilian von Lingg (1843-1930, Bischof von Augsburg 1902-1930) zu nennen. Die Gedichte von Pfarrer Scheifele aus Mindelheim, die er unter dem Pseudonym "Jörg von Spitzispui" veröffentlichte, erfreuten sich schon zu seinen Lebzeiten besonders großer Beliebtheit in geselliger Runde. Der Theologe Lingg war zeitweise Erzieher königlich-bayerischer Prinzen. Aus seiner Studentenzeit sind zwei Auflagen von Mundartgedichten, gespickt mit autobiographischen Details, erschienen.

Joseph Bernhart, Theologe und Dichter des 20. Jahrhunderts

Der schwäbischer Dichter und Theologe Joseph Bernhart (1881-1969) in seinem Arbeitszimmer, ca. 1950. Der aus Ursberg (Lkr. Günzburg) stammende Bernhart war u. a. seit 1949 Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Ehrungen, darunter 1956 das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland und 1959 den Bayerischen Verdienstorden. (Foto: Joseph-Bernhart-Gesellschaft e.V.)

Im 20. Jahrhundert ist im Falle Schwabens unbedingt auf Joseph Bernhart (1881-1969) zu verweisen, nicht zuletzt als führender Vertreter des "Renouveau Catholique" (europäische Literaturbewegung der ersten Hälfte des 20. Jh.). Sein lyrisches Werk wird erst seit 2015 kritisch ediert. Ein Großteil der Gedichte ist in der Hochsprache verfasst und orientiert sich teilweise an der zeitgenössischen modernen Literatur. Einige Gedichte sind aber in seiner Türkheimer Heimatmundart niedergeschrieben. Bernhart gehört aber nicht nur als Philosoph und Theologe zu den großen intellektuellen Gestalten im schwäbischen 20. Jahrhundert. Den zeitweilig mit Thomas Mann (1875-1955) befreundeten Dichter gilt es durch Erst- und Neueditionen stellenweise erst zu entdecken. Dabei stellen seine lyrischen Werke in Mundart unter Beweis, wie Dialekt und tiefgründige Intellektualität eine selten begegnende Symbiose eingehen.

Mundartliteratur als Heimatpflege im 20. Jahrhundert

Die Heimatbewegungen des 20. Jahrhunderts regten die Produktion regionaler und vor allem auch dialektaler Literatur an. Das gilt auch für die Gebiete Bayerisch-Schwabens, die als Heimat zahlreicher Mundartautoren wiederholt Thema in deren Dichtung wurden. Dies zeigt sich beispielsweise im Gedichtband "D' Huimat" von Otto Hengge (1870-1960) aus Oberstdorf (Lkr. Oberallgäu) oder auch im Werk von Antonie "Toni" Gaßner-Wechs (1900-1956), deren Erzählungen, Stücke und Gedichte im Oberallgäu angesiedelt sind. Im umfangreichen Werk Wilhelm Wörles (1886-1959), einem der produktivsten Mundartautoren Bayerisch-Schwabens, finden sich Gedichte, in denen der Lehrer und Autor nicht nur die Fuggerstadt selbst, sondern auch die "Augsburger Mädchen" lobt. Und in den Geschichten und Gedichten von Max Eichmeier (1923-1988) erfährt man etwas über "Riasr Land ond Leit" – Land und Leute im Nördlinger Ries.

Wie auch in anderen Regionen sehen sich viele bayerisch-schwäbische Mundartautorinnen und -autoren der Heimatpflege verpflichtet. Luitpold Schuhwerk (1922-2005) aus Türkheim (Lkr. Unterallgäu) ist neben seiner Mundartdichtung vor allem auch als Förderer und Leiter des kulturgeschichtlichen "Sieben-Schwaben-Museums" in seiner Heimatstadt bekannt. Die Autorin Thekla Hafner (1933-2013) verewigte in ihrem Buch "Auf d'r Gass" Kinderspiele aus ihrer Allgäuer Heimat. Auch der Lindauer Arzt Dr. Albert Baldauf (1880-1959) schuf seinem Dialekt mit einem "Westallgäuer Wörterbüchlein" und dem Gedichtband "Krutt und Rüebe" ein literarisches Denkmal. Mundartpflege und -erhaltung sind ebenfalls ein Anliegen des Pfaffenhofener Autors Nikolaus Maucher (geb. 1944), der den schwäbischen Dialekt in seinen Theaterstücken einsetzt. Charakteristisch für all die eben genannten Vertreter ist das Rekurrieren auf die jeweilige Heimatmundart. Denn ein einheitliches Schwäbisch als Dichtersprache existiert weit weniger als beim Mittelbairischen, wo sich bei den Mundartdichtern im 20. Jahrhundert eine Orientierung an Ludwig Thoma (1867-1921) ausmachen lässt. Die schwäbische Mundartdichtung trägt von daher ausgesprochen individuellen Charakter und muss auch bezüglich ihrer einzelnen Vertreter in regionaler Vielfalt ernst genommen werden. Zugleich dokumentieren diese Dichtungen die individuellen Dialekte ihrer Autorinnen und Autoren, sie sind deshalb auch ein Zeugnis der Sprachgeschichte.

Dialekt und Humor

Seit jeher finden sich in der Dialekt- und Mundartliteratur Schwabens, wie für Mundartliteratur im Allgemeinen durchaus charakteristisch, humorvolle Züge. Sprachspiele und Wortakrobatik sind beispielsweise eine Art Markenzeichen des Memminger Schriftstellers Karl Fuß (1893-1962), der unter dem Pseudonym Wendelin Überzwerch publizierte. 1951 erschien von ihm auch ein Gedichtband "Uff guat Schwäbisch". Alfred Weitnauer (1905-1974) aus Kempten übertrug ganze Balladen und selbst Homers "Ilias" geschickt in die schwäbische Mundart. Das Ergebnis zeugt von sprachlicher Originalität und Witz. "Heitere Gedichte" erschienen auch von dem Dillinger Arzt Karl Fackler (1909-1977). In der schwäbischen Mundartliteratur findet sich auch Schwankhaftes und Komisches, Gelegenheitsdichtung und Trivialliteratur. Dialektdichtung in Schwaben kennt ernste Themen ebenso wie experimentelle Formen. Die Texte in Ernst T. Maders (geb. 1953) "Allgäuer Ansichten" beispielsweise zeigen, dass Mundartlyrik, typographisch modern arrangiert, ganz ohne Reime und Klischees auskommt. Zu erleben ist dies auch in den Auftritten der preisgekrönten Kabarettisten und Autoren Max Adolf (geb. 1958) aus Berghofen (Lkr. Oberallgäu) und Maxi Schafroth (geb. 1985) aus dem Unterallgäu.

Arthur Maximilian Miller

Besondere Hervorhebung verdient das Werk von Arthur Maximilian Miller (1901-1992). Neben einem regionalen Bezug zu Schwaben zeichnet sich seine Dichtung durch eine große Themenvielfalt aus. Der Lehrer und Autor verfasste neben Weihnachts- und Hirtenspielen nicht nur mehrere Romane und Novellen, sondern auch 30 Schattenspiele, zu denen er gekonnt Scherenschnitte anfertigte. In Zusammenarbeit mit dem Musiker Otto Jochum (1898-1969) entstanden außerdem rund 300 Liedtexte. Besondere Beachtung verdienen jedoch seine Gedichte, die verdeutlichen, wie poetisch und ästhetisch anspruchsvoll Mundartlyrik sein kann. Millers Schaffen fand in mehreren Auszeichnungen und in der Erhaltung seiner Wirkstätte in seiner Wahlheimat Kornau (Lkr. Oberallgäu) Würdigung.

Botschafter des Schwäbischen

Robert Naegele (1925-2016), Schauspieler, Schriftsteller und Hörspielautor. Der aus Nattenhausen (Lkr. Günzburg) stammende Naegele spielte u. a. in Serien wie dem "Tatort" oder "Derrick" mit. Über die Verwendung des Schwäbischen sagte er einmal: "Beim Theater hat man mir das Schwäbisch-Schwätza abgewöhnt. Aber das Schwäbisch-Schnaufa konnte man mir nicht abgewöhnen." (Augsburger Allgemeine, 13.01.2016). Foto von Felicitas Timpe (1923-2006), um 1970. Seit 2017 vergibt der Verein "Schwäbisches Literaturschloss Edelstetten e. V." den "Robert-Naegele-Preis", einen Nachwuchsförderpreis für junge Mundartdichter. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv timp-006950)
Volker Klüpfel (geb. 1971, rechts) und Michael Kobr (geb. 1973), Autoren der Romane um den als Allgäuer Original porträtierten fiktiven Kommissar Kluftinger. Im Bayerischen Fernsehen (BR) war 2009 die Verfilmung des Romans "Erntedank" mit dem aus Sonthofen (Lkr. Oberallgäu) stammenden Herbert Knaup (geb. 1956) in der Hauptrolle. Weitere Verfilmungen folgten. Aufgrund schlechter Quoten verkündete die ARD im Juli 2018 allerdings das Ende der Serie (Augsburger Allgemeine, 28.07.2018). (Foto © Hans Scherhaufer)

Die Schauspieler Hermann Wächter (geb. 1937) und Robert Naegele (1925-2016) sind als Urgesteine in Film, Funk und Fernsehen und auf den deutschen Theaterbühnen wohl bekannter denn als Autoren. Von ihnen stammen jedoch auch Hörspiele und Schriften im schwäbischen Dialekt. Ihnen gemeinsam ist die große Wertschätzung in Bayern und Schwaben. Das Lebenswerk des im Jahr 2016 verstorbenen Robert Naegele findet seine Fortsetzung im jährlich verliehenen Robert-Naegele-Preis des Vereins "Schwäbisches Literaturschloss Edelstetten". Dieser Nachwuchsförderpreis wird an Kinder und Jugendliche verliehen - und zwar für selbstgeschriebene Mundartliteratur auf Schwäbisch. Weniger schwäbisch, sondern teilweise mit niederalemannischen Dialektzitaten arbeitet die Kultstatus aufweisende Kluftinger-Reihe des Autorenduos Volker Klüpfel (geb. 1971) und Michael Kobr (geb. 1973), welche den fiktiven Kemptener Kommissar Kluftinger als Allgäuer Original präsentieren.

Dem literarischen Reichtum der Mundart- und Dialektdichtung in Schwaben steht eine nur unzureichende literaturgeschichtliche Erschließung gegenüber. Trotz der "Schwäbischen Literaturgeschichte" von Hans Pörnbacher (2002) fehlt sogar eine grundlegende heuristische Bestandsaufnahme. Denn auch in der jüngsten "Schwäbischen Literaturgeschichte" von Hermann Bausinger (2017) werden sowohl Bayerisch-Schwaben als auch Dialektdichtungen nur am Rande gewürdigt.

Literatur

  • Hermann Bausinger, Eine Schwäbische Literaturgeschichte. 2. Auflage, Tübingen 2017.
  • Rolf Bergmann/Ursula Götz, Altbairisch = Altalemannisch? Zur Auswertung der ältesten Glossenüberlieferung, in: Deutsche Sprache in Raum und Zeit. Festschrift für Peter Wiesinger zum 60. Geburtstag, Wien 1998, 445-461.
  • Max Eichmeier, Riasr Land ond Leit. Geschichten und Gedichte. Nördlingen 1985.
  • Michaela Eser (Hg.), Augsburger Nibelungenlied und -klage. Edition und Untersuchung der Nibelungen-Handschrift b. (Editio Bavarica. Erst- und Neueditionen bairischer oder in Bayern entstandener und überlieferter Texte 2), Regensburg 2015.
  • Heinrich Götzger, Gedichte in Lindauer Mundart. Sigmaringen 1977.
  • Max Wilhelm Götzinger, Die deutsche Literatur. Erster Theil. Stuttgart 1844.
  • Helmut Graser/ B. Ann Tlusty, Jonas Losch, Teutscher Dichter und Componist. Die Lieder- und Reimspruchsammlung eines Augsburger Webers aus den Jahren 1579-1583 (Editio Bavarica. Erst- und Neueditionen bairischer oder in Bayern entstandener und überlieferter Texte 1), Regensburg 2015.
  • Thomas Groll/Klaus Wolf (Hg.), Perspektiven bayerisch-schwäbischer Literaturgeschichtsschreibung, Lindenberg i. Allgäu 2015.
  • Wilhelm Kosch, Ludwig Aurbacher, der bayerisch-schwäbische Volksschriftsteller. Köln 1914.
  • Adolf Layer (Hg.), Biera ond Zelta. Schwäbische Mundartgedichte aus zwei Jahrhunderten (Beiträge zur Landeskunde von Schwaben 4), Weißenhorn 1977.
  • Ernst T. Mader, Allgäuer Ansichten. Blöcktach 1982.
  • Adolf Paul, Ebbes Luschtig’s! Gedichte in schwäbischer Mundart. Kaufbeuren 10. Auflage 1952.
  • Hans Pörnbacher, Schwäbische Literaturgeschichte. Tausend Jahre Literatur aus Bayerisch Schwaben. Weißenhorn 1. Auflage 2002.
  • Bernhard Sowinski, Lexikon deutschsprachiger Mundartautoren. Hildesheim 1. Auflage 1997.
  • Lothar Voetz, Der Codex Manesse. Die berühmteste Liederhandschrift des Mittelalters. Darmstadt 2015.
  • Alexandra Wehr, Stadtgespräche aus Memmingen. Meßkirch 2014.
  • Peter Wiesinger, Zur Reimgrammatik des Mittelhochdeutschen. Methodik – Anwendung – Perspektiven. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 110 (1991), Sonderheft: Mittelhochdeutsche Grammatik als Aufgabe, 56-93.
  • Klaus Wolf, Bayerische Literaturgeschichte. Von Tassilo bis Gerhard Polt. München 2018.
  • Klaus Wolf, Theater im mittelalterlichen Augsburg. Ein Beitrag zur schwäbischen Literaturgeschichtsschreibung. In: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 101 (2007), 35-45.
  • Klaus Wolf (Hg.), Schwabenspiegel. Jahrbuch für Literatur, Sprache und Spiel. Augsburg 2013ff.

Quellen

Externe Links

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Tanja Sandner/Klaus Wolf, Dialektdichtung in Schwaben, publiziert am 22.01.2019; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL:<https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Dialektdichtung_in_Schwaben> (19.03.2024)