Luftfahrt
Aus Historisches Lexikon Bayerns
(Weitergeleitet von Luftfahrt)
Ab 1784 gab es auf heute bayerischem Gebiet erste Ballonfahrten. Mit einer Luftschiffer-Lehrabteilung wurde ab 1890 die militärische Luftfahrt in der bayerischen Armee institutionalisiert, die im Ersten Weltkrieg erstmals zum Einsatz kam. Zivile Flugversuche mit Gleitern und Fliegern ab 1907 galten gleichzeitig als publikumswirksame Attraktionen. Ab 1919 entstand mit ersten Linienflügen eine regelmäßige Verkehrsluftfahrt. Im Zweiten Weltkrieg war die Luftwaffe ein bedeutender militärischer Faktor. Schon während der Weimarer Republik hatten sich in Bayern wichtige Betriebe der Luftfahrtindustrie angesiedelt. Nach 1945 erweiterte sich diese Branche durch die Raumfahrtindustrie.
Die Anfänge
Die ersten und zunächst einzigen Fluggeräte folgten dem Prinzip "Leichter als Luft". Der erste Menschenflug gelang am 21. November 1783 mit einem Heißluftballon der Brüder Joseph-Michel (1740-1810) und Etienne-Jacques Montgolfier (1745-1799) vom Garten des Schlosses La Muette bei Paris aus. Noch im selben Jahr wurde durch Jacques Charles (1746-1823) der Ballon mit Wasserstoff als Auftriebsmittel eingeführt, der den Heißluftballon rasch verdrängte. Sein Ballon stieg zum ersten Mal bemannt am 1. Dezember 1783 vom Garten der Tuilerien in Paris auf. Ballone dienten zur Publikumsbelustigung und zur Erforschung der Atmosphäre; das Militär nutzte sie zur Aufklärung.
Im heutigen Bayern begann die Luftfahrt im Januar 1784, als Pater Ulrich Schiegg (1752-1810) in Ottobeuren (Lkr. Unterallgäu) einen Heißluftballon aufsteigen ließ. 1786 folgte der Versuch von Joseph Freiherr von Lütgendorf (1750-1829) mit einem Gasballon. Den ersten Aufstieg über Bayern unternahm am 12. November 1787 der französische Luftfahrer Jean Pierre Blanchard (1753-1809) in Nürnberg. Über München stieg die erste deutsche Luftfahrerin Wilhelmine Reichart (1788-1848) 1820 zur Eröffnung des Oktoberfests erstmals auf. Am 21. November 1889 erfolgte die Gründung des "Münchner Vereins für Luftschiffahrt". In Augsburg gründete August Riedinger (1845-1919) 1897 die "Ballonfabrik Augsburg", die bis 2009 existierte. 1890 stellte die bayerische Armee eine "Luftschiffer-Lehrabteilung" auf, die auf dem Münchner Exerzierplatz Oberwiesenfeld (heute Olympia-Gelände) stationiert war.
"Schwerer als Luft"
Die Luftfahrt mit Fluggeräten, die dem Prinzip "Schwerer als Luft" folgten, begann mit den Gleitflugversuchen Otto Lilienthals (1848-1896) von 1891 bis 1896 und dem ersten Motorflug durch die Brüder Wilbur (1867-1912) und Orville (1871-1948) Wright 1903. Alois Wolfmüller (1864-1948) war in Bayern der Erste, der die Arbeit von Otto Lilienthal fortsetzte und 1907 in der Nähe von Landsberg am Lech mit Gleitern Flugversuche unternahm. Die Vorführungen der Brüder Wright in Frankreich und der erste Überflug des Ärmelkanals durch Louis Bleriot (1872-1936) 1909 machten die Luftfahrt populär und zu einer Sensation. Daraus resultierende Flugwettbewerbe boten ein Betätigungsfeld für Flugzeugkonstrukteure, Hersteller sowie Piloten und stimulierten die Weiterentwicklung der Fluggeräte. Die ersten bayerischen Flugzeugführer waren der Augsburger Fridolin Keidel, der Nürnberger Robert Thelen und der Münchner Otto Lindpaintner (1885-1976), die alle den Pilotenschein des Deutschen Luftschiffer-Verbandes 1910 ausgestellt bekamen. Der erste Flugplatz in Bayern entstand 1910 in Puchheim (Lkr. Fürstenfeldbruck) westlich von München, ein Jahr nach dem ersten deutschen Flugplatz in Berlin-Johannisthal. Er war eine Gründung der "Akademie der Aviatik". Veranstaltet wurden Flugmeetings und Wettbewerbe, die große Besuchermassen anzogen. Hellmuth Hirth (1886-1938) startete im Juni 1911 von Puchheim zu einem Fernflug nach Berlin. Der Platz wurde mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs aufgelöst.
Militärische Nutzung
In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg begann die bayerische Armee das Potential der Flugzeuge zu nutzen. Die Ausbildung fand ab 1910 zunächst bei der privaten "Bayerischen Fliegerschule" auf dem Münchner Oberwiesenfeld statt. Der erste bayerische Militärpilot war Leutnant Wildt. 1912 wurde eine Königlich-bayerische Fliegertruppe mit 62 Mann aufgestellt. Standort war Oberschleißheim (Lkr. München), wo südlich des Schlosses ein Flugplatz angelegt wurde. Er ist einer der ältesten noch bestehenden Flugplätze (heute befindet sich hier das Zweigmuseum "Flugwerft Schleißheim" des Deutschen Museums). Die Aufgabe bestand zunächst in der Ausbildung von Flugzeugführern und Beobachtern. Bei der Mobilmachung 1914 hatte die Königlich-bayerische Fliegertruppe 335 Mann. Von Oberschleißheim aus zogen vier Fliegerabteilungen mit insgesamt 22 Flugzeugen in den Ersten Weltkrieg. Bis Kriegsende wuchs die Zahl der bayerischen Fliegerabteilungen auf 41 Stück an, bei einer Truppenstärke von 12.000 Mann. Dies zeigt die gewachsene Bedeutung der Luftfahrt in der Kriegsführung. Die Kapazitäten in Oberschleißheim reichten nicht aus; in Bayern entstanden weitere Flugplätze: Lachen-Speyersdorf (heute Rheinland-Pfalz), Fürth, Lechfeld (Lkr. Augsburg), Gersthofen (Lkr. Augsburg), Bamberg und Germersheim (heute Rheinland-Pfalz). Als Folge des Versailler Vertrags wurden die bayerischen Fliegertruppen am 8. Mai 1920 aufgelöst.
Beginn der Verkehrsluftfahrt 1919
Der gewerbliche Luftverkehr mit planmäßigen Post- und Passagierlinien wurde in Bayern 1919 aufgenommen. Der 1919 im München gegründete Bayerische Luft-Lloyd bediente in den Sommermonaten 1921 und 1922 die Strecke München-Konstanz. Der Rumpler Luftverkehr verkehrte 1921 von München nach Augsburg und über Fürth nach Leipzig und Berlin. 1923 wurden beide Gesellschaften vom Junkers Luftverkehr übernommen, der auch internationale Verbindungen nach Wien und Zürich eröffnete. Ab 1925 machte ihm der Süddeutsche Aero-Lloyd Konkurrenz. Diese Gesellschaft bot Flüge nach Bad Reichenhall (Lkr. Berchtesgadener Land), Berlin, Stuttgart-Mannheim, später auch nach Innsbruck, Frankfurt, Dortmund und Amsterdam an. Die Fluggesellschaften konnten sich nicht selbst tragen und erhielten Subventionen durch das Reich, die Länder und Kommunen. Auf Druck des Reichs fusionierten die Gesellschaften 1926 zur Süddeutschen Lufthansa. 1925 wurden in München (Oberwiesenfeld) 8.747 Passagiere abgefertigt; diese Zahl erhöhte sich bis 1938 auf 49.156.
Militärische Luftfahrt in der Weimarer Republik und im "Dritten Reich"
Durch den Versailler Vertrag war die Miltärluftfahrt in Deutschland verboten. Die Reichswehr verfolgte das Ziel, im Geheimen ehemalige Weltkriegspiloten in Übung zu halten und neue auszubilden. Sie bediente sich dabei der Bayerischen Sportflug GmbH, die Flugschulen in Oberschleißheim, Würzburg und Fürth unterhielt. Der erste Kurs begann 1925. 1927 übernahm diese Funktion die Deutsche Verkehrsfliegerschule (DVS), die im staatlichen Auftrag Verkehrsflugzeugführer und im Geheimen Militärpiloten ausbildete. Standorte in Bayern waren Würzburg und Oberschleißheim.
Die Luftfahrtindustrie in Bayern produzierte in geringen Stückzahlen, subventioniert vom Reich, um auf Rüstungskapazitäten zurückgreifen zu können. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 wurde die Wiederaufrüstung der deutschen Luftwaffe erheblich beschleunigt und 1935 schließlich die Tarnung aufgegeben. Bestehende Flugplätze wurden ausgebaut (Oberschleißheim, Lechfeld) und neue angelegt (Fürstenfeldbruck, Neubiberg [Lkr. München], Erding, Memmingen, Neuburg a. d. Donau [Lkr. Neuburg-Schrobenhausen]). Die Luftfahrtindustrie expandierte, und die Fertigungskapazitäten wurden stark ausgeweitet. Neue Werke mit dazugehörigen Flugplätzen entstanden in Oberpfaffenhofen (Lkr. Starnberg) von Dornier und in Regensburg von Messerschmitt.
Wiederaufnahme des Luftverkehrs nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs untersagten die Alliierten alle Aktivitäten der deutschen Luftfahrt. Aus den militärischen Bedürfnissen der Besatzungsmächte entwickelte sich ein Luftverkehr durch die Fluggesellschaften ihrer Länder. In München-Riem nahm am 6. April 1948 Pan American Airlines mit der Strecke London-Wien den Luftverkehr wieder auf. Mit der Rückgabe der Lufthoheit eröffnete die Lufthansa am 1. April 1955 den planmäßigen Inlandsluftverkehr zwischen München und Hamburg. Die beiden bayerischen Verkehrsflughäfen München und Nürnberg wurden in den nationalen und internationalen planmäßigen Luftverkehr eingebunden. Linienverkehr fand auch in Augsburg (bis 2004) und findet in Hof und Memmingen (seit 2005) statt.
Flughäfen und Flugplätze
Der Münchner Verkehrsflughafen war ab 1919 der ehemalige Exerzierplatz Oberwiesenfeld mit anfangs provisorischen Abfertigungsgebäuden. Hallen für die Wartung und das Abstellen der Flugzeuge standen nicht zur Verfügung; dies war nach Oberschleißheim ausgelagert. Der Flugplatz Oberwiesenfeld wurde ausgebaut; das neue Empfangsgebäude und die neue Flugzeughalle wurden 1931 in Betrieb genommen. Um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden, wurde ein neuer Verkehrsflugplatz in Riem errichtet und 1939 eingeweiht. Das Oberwiesenfeld wurde bis zur Errichtung der olympischen Sportstätten in den 1960er Jahren als Sportflugplatz genutzt. Riem wurde 1992 aufgelassen und durch den Verkehrsflughafen "Franz-Josef-Strauß" im Erdinger Moos (Lkr. Erding und Freising) ersetzt. Der zweite Verkehrsflugplatz Bayerns befand sich in Fürth-Atzenhof, ein ehemaliger Flugplatz der Königlich-bayerischen Fliegertruppe. Hier begann 1921 der Luftverkehr. Er wurde 1933 durch den Flughafen Nürnberg-Marienberg ersetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente der zum Industrieflughafen umgewandelte Fürther Flughafen von 1950 bis 1955 dem zivilen Luftverkehr als Interimslösung. 1955 wurde der heutige Verkehrsflughafen Nürnberg in Betrieb genommen. Heute (2010) gibt es in Bayern drei Verkehrsflughäfen (München, Nürnberg, Memmingen) und rund 150 Flugplätze, darunter Hubschraubersonderlandeplätze (beispielsweise an Krankenhäusern) und Segelfluggelände. Der wichtigste Verkehrsflughafen in Bayern ist mit Abstand der von München. Mit 34,7 Millionen Passagieren und 390 000 Flugbewegungen im Jahr liegt er in Deutschland an zweiter Stelle nach Frankfurt am Main mit 53,0 Millionen Passagieren und in Europa an siebter Stelle (hier ist London-Heathrow Spitzenreiter mit 65,9 Millionen Passagieren); weltweit liegt München an dreißigster Stelle (Zahlen von 2010). Der Vergleich mit den Zahlen aus dem Eröffnungsjahr 1992, 12,0 Millionen Passagiere und 192 000 Flugbewegungen, zeigt eine starke Zunahme des Luftverkehrs, die nur durch den Neubau eines zweiten Abfertigungsgebäudes (Inbetriebnahme 2003) bewältigt werden konnte. Die Betreibergesellschaft geht von einem weiteren Wachstum aus und befürchtet Kapazitätsengpässe. Mit der Errichtung eines weiteren Abfertigungsgebäudes (Fertigstellung 2015) und dem Bau einer dritten Start- und Landbahn soll das für 2025 prognostizierte Passagieraufkommen von 58 Millionen Passagieren bewältigt werden. Der Bau der dritten Start-und Landebahn ist umstritten, da von den Gegnern die Wachstumsprognosen bezweifelt werden. Kritisiert werden der Landverbrauch und die Lärmbelästigung der Anwohner.
Wiederaufrüstung und Bundeswehr
Mit der Gründung der Bundeswehr am 5. Mai 1955 wurde auch die Luftwaffe wieder aufgestellt. Sie übernahm die Flugplätze Landsberg am Lech, Leipheim (Lkr. Günzburg), Neubiberg, Erding, Fürstenfeldbruck, Memmingen, Lechfeld und Neuburg an der Donau von den US-Streitkräften bzw. legte sie neu an, zusätzlich die Flugplätze in Roth und Oberschleißheim sowie Landsberg. Ein Erprobungszentrum für Luftfahrzeuge (Erprobungsstelle 61) entstand in Manching (Lkr. Pfaffenhofen an der Ilm). Im Rahmen von Abrüstungsverhandlungen wurden die Fliegerhorste Memmingen (2004), Leipheim (1994), Neubiberg (1991) und Fürstenfeldbruck (1997) geschlossen.
Luftfahrtindustrie
Bayern ist ein bedeutender Standort der Luftfahrtindustrie. Ihr Wiederaufbau erfolgte im Rahmen der Wiederbewaffnung und der Aufstellung der Bundeswehr. Als Firmen sind hier beispielsweise Dornier mit Werken in Neuaubing (Stadt München) und Oberpfaffenhofen, Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB, später Dasa und EADS) in Ottobrunn (Lkr. München), Augsburg und Manching zu nennen. Die Firma Grob fertigt seit 1972 in Mindelheim (Lkr. Unterallgäu) Segelflugzeuge, Motorsegler und Reiseflugzeuge in Kunststoffbauweise. Aus den Flugtriebwerkaktivitäten von Bayerischer Motorenwerke AG (BMW) und der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG (MAN) entstand 1969 die Motoren-Turbinen-Union (MTU) mit Sitz in München-Allach. In Kooperation mit ausländischen Firmen werden Baugruppen für zivile und militärische Triebwerke entwickelt und gefertigt. Am Flugplatz Oberpfaffenhofen wird ein Standort des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) aufgebaut. Schwerpunkte des Forschungszentrums sind unter anderem die Beteiligung an Weltraummissionen, die Klimaforschung, Forschung und Entwicklung zur Erdbeobachtung, der Ausbau von Navigationssystemen und die Weiterentwicklung der Robotertechnik.
Literatur
- Hartmut Buch, Luftfahrtführer Bayern, Oberhaching 1997.
- Erich Hage (Hg.), Flugfeld Puchheim. Bayerns erster Flugplatz, München 2010.
- Bruno Lange, Typenhandbuch der deutschen Luftfahrttechnik, Koblenz 1986.
- Stefan Lülf, London – Regensburg – Indien. Die Einbindung bayerischer Städte in den Luftverkehr 1919-1933 (Münchener Historische Studien, Abteilung Bayerische Geschichte 26), Kallmünz 2017.
- Harald Potempa, Die Königlich-Bayerische Fliegertruppe 1914-1918, Frankfurt 1997.
- Werner Schwipps, Schwerer als Luft. Die Frühzeit der Flugtechnik in Deutschland, Koblenz 1984.
- Karl-Dieter Seifert, Der deutsche Luftverkehr. 1926-1945. Auf dem Weg zum Weltverkehr, Bonn 1999.
- Karl-Dieter Seifert, Der deutsche Luftverkehr. 1955-2000. Weltverkehr-Liberalisierung-Globalisierung, Bonn 2001.
- Werner Treibel, Geschichte der deutschen Verkehrsflughäfen, Bonn 1992.
- Helmuth Trischler/Kai-Uwe Schrogl (Hg.), Ein Jahrhundert im Flug. Luft- und Raumfahrtforschung in Deutschland 1907-2007, Frankfurt am Main/New York 2007.
- Helmut Trunz, Flughafen München. Drehkreuz des Südens, Stuttgart 2009.
- Verein zur Erhaltung der historischen Flugwerft Oberschleißheim e. V., Geflogene Vergangenheit. Luftfahrt in Schleißheim seit 1912, Oberschleißheim 2. Auflage 2001.
- Wolfgang Wagner, Der deutsche Luftverkehr. Die Pionierjahre 1919-1925, Koblenz 1987.
Weiterführende Recherche
Externe Links
Flugverkehr, Luftverkehr
Empfohlene Zitierweise
Gerhard Filchner, Luftfahrt, publiziert am 17.10.2011; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Luftfahrt (10.10.2024)