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Städtische Gerichtsbarkeit

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Das sog. erste Stadtrecht von Augsburg: Schiedsspruch Kaiser Friedrich Barbarossas zwischen den Vögten, dem Bischof und der Stadt Augsburg vom 21. Juni 1156. (Staatsarchiv Augsburg, Hochstift Augsburg Urkunden 27)

von Peter Kreutz

Gerichtsbarkeit, die eine Stadt durch den Stadtrat und städtische Gerichte selbst ausübt. Sie entstand in Bayern seit dem 12. Jahrhundert, parallel mit den einsetzenden Neugründungen von Städten; zuvor wurde sie von Adeligen oder Geistlichen ausgeübt. Das Bestreben der Städte, die Gerichtsbarkeit selbst auszuüben, hatte v. a. wirtschaftliche Gründe. Eine eigene, meist durch königliche Privilegien erlangte Gerichtshoheit gilt als Kern städtischer Unabhängigkeit. Dies trifft in erster Linie auf Schwaben und Franken zu; die altbayerischen Städte waren der herzoglichen Landes- und damit auch Gerichtsherrschaft unterworfen. Hier erhielten die meisten Städte anfangs nur die Niedergerichtsbarkeit; die Hochgerichtsbarkeit folgte oft erst an der Wende zur Frühen Neuzeit. Die städtische Gerichtsbarkeit wurde mit den bayerischen Staatsreformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufgehoben.

Der Begriff "Städtische Gerichtsbarkeit" kann in zweierlei Weise verstanden werden: Im weiteren Sinne liegt sie dort vor, wo eine besondere Gerichtsstruktur über ein städtisches Gemeinwesen errichtet ist. Im engeren Sinne ist städtische Gerichtsbarkeit dort gegeben, wo politische Eigenständigkeit und hoheitliche Sonderstellung einer Gemeinde vorhanden sind, wo also städtische Selbstverwaltung möglich und die Ausübung der Gerichtsrechte über die Stadt in Händen der Organe der Selbstverwaltung liegt. Während die Stadt als solche ein im kontinentaleuropäischen Raum jahrtausendealtes kulturgeschichtliches Phänomen ist, tauchen besondere Gerichtsstrukturen für eine Stadt, selbst wenn man den weiteren Begriff grundlegt, erstmalig in der Spätantike auf. Will man wirkliche Kontinuitäten verfolgen, sind sie vornehmlich eine Erscheinung, die ab dem Hochmittelalter fassbar wird.

Gerichtsbarkeit in Städten der Spätantike und des Frühmittelalters

Noch in der klassischen römischen Antike waren städtische Siedlungen regelmäßig eingebettet in die regionalen und - ab der späten römischen Kaiserzeit - reichsweiten Strukturen der Streitschlichtung und Rechtsfindung. Eine Ausnahme bildeten wohl die beiden Zentralorte des späten Imperiums, Rom und Konstantinopel, die ihrer besonderen Stellung wegen eigene Stadtpräfekten (praefecti urbis) neben dem nicht zuletzt auch als reichsweite Spitze der Rechtspflege fungierenden jeweiligen Vizekaiser (praefectus praetorio) aufwiesen, die das Haupt der Ordnungssicherung und Rechtspflege in den beiden Städten bildeten. Die römische Landstadt (oppidum) war eingegliedert in die allgemeinen Gerichtsstrukturen, wovon sich am Übergang der späten Kaiserzeit zum Frühmittelalter einzelne Abweichungen zeigten, ohne erkennbar strukturrelevant zu werden.

Für das Frühmittelalter galt in den heute bayerischen Gebieten nichts Anderes. Sofern und soweit Siedlungstradition in antiken Städten überdauerte, was zumindest in einigen Orten wie Kempten, Augsburg oder Regensburg einigermaßen wahrscheinlich ist, waren sie Teil der jeweiligen regionalen Streitschlichtungs- und Entscheidungsstrukturen. Alleinstellungsmerkmale wiesen sie allerdings nicht auf. Die Bewohner städtischer Siedlungen waren ebenso wie die Landbewohner regelmäßig einem Gerichtsherrn unterworfen. Dies konnte der König selbst sein, der seine Gerichtsbarkeit in eigener Person oder durch Grafen bzw. Sendboten ausübte, oder ein Adliger oder hoher Geistlicher, dem die Ausübung bestimmter königlicher Gerichtsrechte verliehen worden war. Während die erste Form vom frühen bis ins hohe Mittelalter stetig abnahm, fand sich die Gerichtsherrschaft des Adels und der hohen Geistlichkeit namentlich im süddeutschen Raum deutlich ausgebaut.

Die Bischöfe der im heutigen Bayern gelegenen Bistümer übten regional begrenzte Gerichtsrechte aus, denen insbesondere in den entsprechenden Regionen liegende Städte unterworfen waren. Auch Äbte wichtiger Klöster waren Inhaber von Gerichtsrechten über städtische Siedlungen. Zwar amtierten die Äbte als Gerichtsherrn eher über ländliche Gebiete, angesichts der Unschärfe des Stadtbegriffs wollen sollen sie an dieser Stelle aber nicht unerwähnt bleiben. Da es für Bischöfe, Äbte und sonstige Kleriker aufgrund ihres geistlichen Standes nicht tunlich war, die fraglichen Gerichtsrechte direkt auszuüben, setzten sie jeweils Vögte ein, die die Gerichtsrechte tatsächlich wahrnahmen. Gerade diese Bevogtung war an der Schwelle zum Hochmittelalter Grundlage des Erwerbs eigenständiger Gerichtsrechte städtischer Gemeinschaften, die Vogteirechte an sich brachten.

Städtische Eigenständigkeit durch eigene Gerichtsbarkeit

Grundlage für die Ausbildung besonderer, auf die städtische Gemeinschaft bezogener Gerichtsbarkeit im engeren wie im weiteren Sinne war häufig wirtschaftlicher Erfolg und damit eine Hebung des Lebensstandards zumindest in Teilen der Bevölkerung. So war es wohl kein Zufall, dass es regelmäßig Siedlungen von Kaufleuten und Händlern waren, die nach der Erlangung einer eigenen von einem adligen oder geistlichen Gerichtsherrn emanzipierten Gerichtsbarkeit strebten.

So bemühte sich in Augsburg nicht etwa die um den Dom herum gelegene Bischofsstadt um die Erlangung von Gerichtsrechten, sondern die deutlich südlich davon an der alten Via Claudia Augusta entstandene Handwerker- und Kaufleutesiedlung in der Umgegend des heutigen Rathauses. In Kempten war die Situation in gewisser Weise gegengleich: Nicht eine Splittersiedlung außerhalb der auf spätantiken Strukturen gewachsenen Stadt versuchte, Gerichtsrechte zu erlangen, sondern der Abt selbst verließ die bisherige Stadt und siedelte sich mit dem Kloster außerhalb an. Für die Kaufleute und Handwerker in der bisherigen Stadt wurde dies zum Ausgangspunkt eines Strebens um Eigenständigkeit. Auch im herzoglichen Bayern lassen sich ähnliche Entwicklungen feststellen: Lagen etwa die Gerichtsrechte in der alten Stadt Straubing beim Augsburger Domkapitel, so gingen Bestrebungen, davon unabhängige Gerichtsrechte zu erlangen, von der unweit gelegenen Neustadt aus. Der bayerische Herzog förderte sie dahingehend.

Die gerade genannten Beispiele aus den Regionen des heutigen Bayern zeigen zwei grundsätzliche Entwicklungslinien für Gerichtsbarkeit in und über Städte: Die erste Linie führte zur Erlangung von Gerichtsrechten in der Hand der Städte selbst. Dabei handelte es sich (seltener) um solche der Blut- oder Hochgerichtsbarkeit, um das Recht der gerichtlichen Verfolgung von Blutfällen also. Dazu waren regelmäßig (nach modernen Begriffen) Mord/Totschlag, Raub/Diebstahl, Notzucht und Brand zu rechnen. Häufiger ging es dagegen um Rechte der Niedergerichtsbarkeit, welche die sonstigen Streitgegenstände entschied, die tatsächlich nur noch den König als Reichsoberhaupt als Quell dieser Rechte wirken lässt. Darin lag vielfach eine wesentliche Wurzel für die Entwicklung hin zur Reichsfreiheit dieser Städte. Eine andere Entwicklungslinie lässt regionale Herrschaftsträger, den Herzog von Bayern etwa, sonstigen lokalen Adel oder eben Bischöfe und Äbte, zwischen König und Stadtbevölkerung treten und ihrerseits innegehaltene Gerichtsrechte an städtische Siedlungen ganz oder teilweise weiterverleihen.

Entwicklungsstufen eigenständiger städtischer Gerichtsbarkeit

Auch wenn nicht jede Stadtentwicklung nach einheitlichem Schema verlaufen ist, so lässt sich doch eine gewisse einheitliche Struktur der Erlangung eigener Gerichtsrechte beschreiben: Einzelne Stauferkaiser halfen durch Privilegien oder sonstige Bestätigungen von besonderen Rechten gerade für städtische Gemeinschaften, die eigenständige Identität dieser Städte zu festigen. So verlieh Kaiser Friedrich I. Barbarossa (reg. 1152-1190, Kaiser seit 1155) 1156 der unter der Herrschaft des örtlichen Bischofs stehenden Stadt Augsburg eine gesicherte Rechtsposition gegenüber dem Stadtherrn. Die Zuständigkeiten der noch als bischöflich verstandenen Gerichtspersonen, Vogt und Burggraf, wurden schriftlich niedergelegt; der Zugriff des Stadtherrn auf die Stadt wurde namentlich im Gerichtswesen durch Kanalisierung beschnitten. Ähnliches erfuhr Nürnberg unter Kaiser Friedrich II. (reg. 1211-1250 als römisch-deutscher König, seit 1220 als Kaiser), der die Stadt unterhalb der Kaiser- und der Burggrafenburg 1219 mit einer Reihe von Privilegierungen ausstattete, was ebenso von Vorteil für die zunächst eng an Nürnberg gebundene Stadt Rothenburg ob der Tauber (Lkr. Ansbach) war. Für die Stadt Kempten wird ein Eingreifen Friedrichs II. zuungunsten des dortigen Fürstabtes zumindest vermutet. Bei einer Reihe anderer Städte konnten die Staufer unmittelbar tätig werden, da diese direkt ihrer Herrschaft unterstanden oder an das Reich zurückgefallen waren. Dazu zählten Dinkelsbühl (Lkr. Ansbach), Nördlingen (Lkr. Donau-Ries), Kaufbeuren oder Memmingen.

Der nächste große Fortschritt wurde in vielen Fällen durch König Rudolf von Habsburg (reg. 1273-1291) erreicht. Augsburg bekam von ihm 1276 sein umfangreiches Stadtrecht bestätigt, das den Bischof weitestgehend aus der Gerichtsbarkeit über die Stadt und damit schlussendlich auch der Stadtherrschaft gedrängt sah. Rothenburg war bereits zwei Jahre zuvor der königliche Schutz bestätigt worden. Ebenfalls 1274 stellte König Rudolf seine Vogteirechte über die Stadt Lindau deutlich heraus. Für Kempten tat er dies im Jahr 1289. 1286 hatte er Memmingen und Kaufbeuren schon die Rechte Überlingens verliehen.

In jedem vorstehenden Beispielsfall wurde für die jeweiligen Städte ein besonderer Gerichtsstand geschaffen bzw. als gegeben bestätigt, der sie aus der Gerichtshoheit der hergebrachten Stadtherrschaft löste und direkt dem Reich unterstellte. Tätig wurde es in den Städten zunächst über Untervögte. Solche Ämter traten allerdings bald aus dem Blickfeld. Die Administration der Städte und damit namentlich die Gerichtsbarkeit ging auf den jeweiligen Rat über, der sich in den meisten Fällen wohl unmittelbar aus den Beisitzern des Gerichtsherrn entwickelte: Zu Gericht saßen traditionell nicht allein die Gerichtsherren selbst oder ihre Vertreter; an der Urteilsfindung wirkte regelmäßig die Gerichtsgemeinde selbst mit, innerhalb derer zunächst eine Reihe Ersturteiler, Mitglieder der Gerichtsgemeinde von erwiesener Autorität, ihr Votum abgaben. Aus dieser Einrichtung entwickelte sich die Institution der Gerichtsbeisitzer, die als letztlich amtsmäßig berufene Gerichtspersonen tätig wurden. Die Vermutung geht dahin, diese institutionalisierten und von der Gerichtsgemeinde bestimmten Personen als Wurzel der späteren städtischen Räte zu sehen, aus deren Mitte heraus das Bemühen um unmittelbare Erlangung von Gerichtsrechten wahrnehmbar wurde. Leider fehlen uns bislang für diese Entwicklung im bayerischen Raum konkrete Nachweise, doch darf dieser Gang der Ereignisse als plausibel gelten.

König Adolf von Nassau (reg. 1292-1298) vollendete in vielen Fällen die Entwicklung hin zu eigener städtischer Gerichtsbarkeit, indem er Städte mit Privilegien ausstattete, die die eigene Gerichtshoheit zu stärken vermochten: Augsburg erhielt 1294 ein Evokationsprivileg (Verzicht auf das königliche Recht, noch nicht rechtskräftig entschiedene Streitfälle an das Königsgericht zu ziehen), Memmingen wurde 1296 zusätzlich das Ulmer Recht verliehen, für Weißenburg (Lkr. Weißenburg-Gunzenhausen) wurde ebenso 1296 der königliche Schutz verbrieft.

Den Abschluss fand die Erlangung eigener Gerichtshoheit der Städte schließlich im 15. Jahrhundert und in der Frühen Neuzeit, als es den Städten gelang, formal noch fortbestehende Rechte der alten Stadtherrschaft abzulösen: So erwarb Nürnberg 1427 die Burg samt aller zugehöriger burggräflicher Rechte über die Stadt, Kempten löste 1525 im "Großen Kauf" alle noch bestehenden Rechte des Fürstabts ab. Eine besondere Variante für den Loskauf einzelner Städte aus fremder Hoheit war die Einlösung von königlichen Verpfändungen durch die verpfändeten Städte selbst, wie sie sich im Spätmittelalter beobachten ließ: 1285 kaufte sich Rothenburg aus der Pfandschaft der Herrn von Hohenlohe frei, 1351 Dinkelsbühl aus der der Grafen von Oettingen (Lkr. Donau-Ries), 1360 befreite sich Windsheim (Lkr. Neustadt a.d.Aisch) selbst aus der Verpfändung.

In jenen Städten, über die Gerichtsrechte bei lokalen Fürsten und kirchlichen Würdenträgern lagen, ist die entsprechende Entwicklung zeitlich versetzt und inhaltlich begrenzt zu beobachten. Blicken wir etwa auf das Herzogtum Bayern, so ist die Verleihung der Niedergerichtsrechte häufig mit der Verleihung der Marktrechte verbunden, während die Hochgerichtsbarkeit erst deutlich zeitversetzt an der Wende zum 17. Jahrhundert auf einzelne Städte übertragen wurde und dies auch nur gegen regelmäßige Zahlungen an den herzoglichen bzw. kurfürstlichen Landesherrn.

Zur Motivation des Strebens nach eigenständiger Gerichtsbarkeit der Städte

Der materiellrechtliche Hintergrund für das über Jahrhunderte währende Bestreben der Städte, die Gerichtshoheit vollständig in die eigenen Hände zu bekommen, ist naheliegend: Durch ihre zunehmende Verflechtung in den Handel war nicht vornehmlich die Streitschlichtung im unmittelbaren Umfeld Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen, sondern es ging um einen Interessenausgleich unter den spezifischen Gegebenheiten von Handel und Kauffahrtei. Hinzu trat der Umstand, dass sich der fortgeschrittene Handelserfolg regelmäßig in einem besonderen Vermögenserfolg der Beteiligten niederschlug, der die Unterordnung unter einen geistlichen oder adligen Gerichtsherrn nicht eben wünschenswert erscheinen ließ. Insoweit verwundert es nicht, dass die Städte zunächst darum bemüht waren, jene Gerichtsrechte ausüben zu können, die von unmittelbar ökonomischer Relevanz waren und eher der Niedergerichtsbarkeit zuzurechnen waren. Die Hochgerichtsbarkeit erhielten die meisten Städte erst in der Schluss- und Konsolidierungsphase ihrer juristischen wie administrativen Verselbständigung an der Wende vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit.

Ratsgerichtsbarkeit freier Städte

Die städtische Gerichtsbarkeit als Gerichtsbarkeit des jeweiligen städtischen Rates wurde am Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit deutlich von dem Merkmal geprägt, die Formalismen älteren Gerichtsgebrauchs zugunsten eines effektiven und raschen Verfahrensablaufs aufzugeben. Dies betraf insbesondere die Eröffnung und den Schluss des gerichtlichen Verfahrens, durchaus aber auch den formalen Verlauf. Auffallend ist das Ausgreifen der Gerichtsbarkeit auf eine Reihe gegenständlich neuer Bereiche des Rechtslebens. Von besonderer Bedeutung für die Städte waren all jene Materien des Rechts, die wir heute dem Zivilrecht zurechnen würden und welche gerade über den überregionalen Handelsverkehr insbesondere mit Italien zu manchem Einfluss des dortigen - im Kern römisch-rechtlichen - Rechtsdenkens auf Süddeutschland führte. So überrascht es nicht, dass sich in den frühneuzeitlichen Stadtrechtsreformationen und Gerichtsordnungen der Städte deutliche Spuren der Rezeption dieses römisch geprägten Rechtsdenkens finden.

Gerichtsbarkeit über die Stadt Augsburg

Stich des Augsburger Rathauses 1643. (Abb. aus: Matthaeus Merian, Topographia Sueviae, Taf. 4)
Die Gerichtsstube des Augsburger Rathauses während einer Sitzung. Abb. aus: Salomon Kleiner, Das Prächtige Rath Hauß der Stadt Augspurg, Augsburg 1733, Taf. VII. (Bayerische Staatsbibliothek, Res/2 Bavar. 476 r)
Die Gerichtsstube befand sich im ersten Stock des Rathauses (farblich markiert). Ausschnitt aus: Salomon Kleiner, Das Prächtige Rath Hauß der Stadt Augspurg, Augsburg 1733, Taf. III. (Bayerische Staatsbibliothek, Res/2 Bavar. 476 r)

Das frühest greifbare Zeugnis für die Ausbildung eigenständiger städtischer Gerichtsbarkeit in der Lechstadt stellt das Augsburger Stadtrecht von 1156 dar, in welchem noch Normen über gerichtliche Zuständigkeiten den Text der Urkunde dominieren. Das zeitlich folgende Stadtbuch von 1276 enthält ebenfalls zahlreiche Normen formellen Rechts, hat aber zudem in großem Umfang materiellrechtliche Inhalte, z. B. des Kaufrechts, des Nachbarrechts oder des Baurechts sowie des Erb- und Familienrechts. Dies stellt einen deutlichen Widerhall erlangter gerichtlicher Zuständigkeiten dar. 1156 ging es einzig um Kompetenzabgrenzung und Kompetenzerhaltung zwischen dem bischöflichen Burggrafen (zuständig für die Niedergerichtsbarkeit), dem Stadtvogt (dem das Hochgericht vorbehalten war) und der Stadtgemeinde. 1276 konnte auf der Grundlage gesicherter und verbreiterter Gerichtskompetenz ein zu diesem Zeitpunkt für die Interessen der Stadt bereits ausgebauter materiellrechtlicher Normbestand königlich verbrieft werden, der in der Folgezeit noch merklich anwuchs. Nicht zuletzt wurde dies dadurch begünstigt, dass die Stadtvogtei in königliche Hände gelangt und der Reichslandvogtei zugeschlagen worden war. Spätestens seit 1426 wurde der Vogt seitens der Bürgerschaft schließlich aus ihrer Mitte bestimmt.

Die Genese der eigenständigen städtischen Gerichtsbarkeit in Augsburg spiegelt sich in der Zusammensetzung des Stadtgerichts wider, das aus den alten Vogtgerichtsstrukturen herausgewachsen war. Ausgangspunkt der Entwicklung war der Umstand, dass dem Stadtvogt, der dem Gericht vorsaß, eine Reihe Beisitzer beigeordnet war, die sich aus wenigen als vornehm angesehenen Geschlechtern rekrutierten, aus welchen sich das reichsstädtische Patriziat entwickelt haben dürfte. Diesem Rat wurden nun durch das Reichsoberhaupt schrittweise die Gerichtsrechte über die Stadt übertragen, der sie durch das Stadtgericht ausüben ließ. Am Ausgang des Mittelalters bestand dieses Augsburger Stadtgericht aus zwei patrizischen Ratsherrn, zwei Ratsherrn aus dem Kreis der Kaufleute und acht Vertretern der Zünfte. Den Vorsitz führte der auf ein Jahr bestimmte städtische Oberrichter; die übrigen Mitglieder des Gerichts amtierten als seine Beisitzer. Ihre Zahl wurde in der Frühen Neuzeit mehrfach verändert. Tagungsort des Stadtgerichts war das Rathaus, im Renaissanceneubau des Baumeisters Elias Holl (1573-1646) ist dafür eine (im 19. Jahrhundert umgenutzte und im Zweiten Weltkrieg zerstörte und später nicht rekonstruierte) prächtige Gerichtsstube unterhalb des Goldenen Saales vorgesehen. Der Stadtvogt und der Burggraf nahmen in repräsentativer Funktion an den Gerichtssitzungen teil.

Städtische Gerichtsbarkeit in Regensburg

In Regensburg rangen nicht nur zwei Parteien um die Herrschaft über die Stadt (König und Bischof), sondern zusätzlich noch eine dritte: die bayerischen Herzöge. Die Rivalität dieser drei Mächte zeitigte für die Regensburger Bürgerschaft manches Privileg, um welches anderswo kraftvoll zu streiten war.

Portrait des Regensburger Hansgrafen Johann Peter Praunsmändl (1590-1656). Brustbild aus dem Wahl- und Porträtbuch des Vormundsamtes der Stadt Regensburg von 1537-1787. (Stadtarchiv Regensburg, Reichsstadt Regensburg, I Aa 6)
Portrait des Regensburger Stadtrichters Johann Andreas Wolfsteiner (geb. 1689). Brustbild aus dem Wahl- und Porträtbuch des Vormundsamtes der Stadt Regensburg von 1537-1787. (Stadtarchiv Regensburg, Reichsstadt Regensburg, I Aa 6)

Im 10. Jahrhundert sehen wir als Gerichtsorgane in der Donaustadt den königlichen Burggrafen einerseits und den bischöflichen Vogt andererseits. Letzterer war in seinen Gerichtsbefugnissen, die auch das Hochgericht umfassten, zusehends auf den engen Bezirk der bischöflichen Immunität zurückgeführt, da das Burggrafenamt, an sich auf Gewerbeaufsicht und Marktgerichtsbarkeit beschränkt, in den Händen der Familie der Babonen lag, die gleichzeitig Grafen des Donaugaus waren, wodurch sie Hochgerichtsrechte auch über Regensburg ausübten. Ab dem 12. Jahrhundert gab es zudem einen dem Burggrafen nachgeordneten Schultheißen, der nach dem Erwerb des Burggrafenamtes 1185 durch Bayern die Hochgerichtsrechte ausübte. 1279 erhielt die Stadt das Schultheißenamt verpfändet, ab 1360 lag es endgültig bei ihr. Spätestens hier lässt sich auch für Regensburg von echter und eigenständiger städtischer Gerichtsbarkeit sprechen. Träger der entsprechenden Rechte war auch in Regensburg der Rat, der wie in Augsburg aus dem Kreis der regelmäßig berufenen Gerichtsbeisitzer entstanden sein dürfte und 1245 durch königliches Privileg seine freie Wahl verbrieft bekam. Dem bayerischen Herzog verblieb zunächst immerhin die Berufungsgerichtsbarkeit über Regensburg; 1315 ging dieses Recht ebenfalls auf den Regensburger Rat über. An die Stelle des bischöflichen Domvogtes war 1245 der Propst getreten, der die Gerichtsrechte über die bischöfliche Immunität wahrnahm; 1571 erwarb die Stadt auch diese Rechte.

Auf eine Besonderheit in der gewachsenen Regensburger Gerichtsverfassung sei an dieser Stelle immerhin hingewiesen: den Hansgraf (Verkürzung von Hansegraf), der als Haupt der städtischen Kaufmannsgenossenschaft fungierte und dem dabei die Aufrechterhaltung der Ordnung in Angelegenheiten des Marktes und der Kauffahrtei oblag, wozu ihm namentlich die Marktgerichtsbarkeit zustand. Durch ein Privileg des Jahres 1207 lag die Besetzung des Amtes in den Händen der städtischen Gremien.

Nürnberg und seine Stadtrechtsfamilie

Im sogenannten Wolff'schen Bau des Nürnberger Rathauses tagte das Stadtgericht. (Abb. aus: Johann Alexander Boener, Nürnbergische Kleider-Trachten, (...) Nürnberg, 1689, fol. 21r)
Im Nürnberger Kleiderbuch werden die Kleider des Gerichtspersonals dargestellt. Neben dem Consulenten (Rechtsberater) waren auch Prokuratoren (Anwälte) und Gerichtsboten am Stadtgericht tätig. (Abb. aus: Johann Alexander Boener, Nürnbergische Kleider-Trachten, (...) Nürnberg, 1689, fol. 5r)

Grundlage für die Entwicklung städtischer Gerichtsstrukturen in Nürnberg war die um 1190 erfolgte grundsätzliche Trennung der Administration der Siedlung Nürnberg vom Burggrafenamt; über die Stadt amtierte seither ein königlicher Schultheiß. Um 1245 wurde die Gemeinde erstmalig als eigenständiges Subjekt erwähnt; 1256 war von zwei "consules" die Rede, von Gemeindeoberhäuptern. Es geht sicher nicht fehl, wenn der Ursprung dieser Funktionen wie auch in Augsburg oder Regensburg im Umfeld von städtischen Gerichtsstrukturen gesucht wird. Nicht zufällig finden sich für etwa dieselbe Zeit Beisitzer zum Gericht als Mitzeichner einer Schultheißenurkunde und ist mehrfach von "nominati" (auch "Genannten") die Rede, die als besonders ausgezeichnete Persönlichkeiten neben dem Schultheiß insbesondere gerichtlich tätig sind.

Nachdem bereits um 1276 eine erste ratsähnliche Versammlung die Geschicke der Stadt mit zu bestimmen suchte, wurden 1287 die Privilegien der Stadtgemeinde bestätigt. Dem Burggrafen waren bereits 1273 seine Rechte verbrieft worden. 1302 begann der Rat damit, ein eigenes Statutenbuch zu führen, seine Rechtssetzung namentlich in materieller Hinsicht zu sammeln und zusammenzustellen. 1315 erhielt die Stadt das Appellations- und das Evokationsprivileg, 1355 wurde das Handwerkerrecht gezielt zusammengestellt. In mehreren Schritten gelang es der Stadt bis 1427, die Besetzung des Amtes des Schultheißen, formal Inhaber der Hochgerichtsbarkeit über die Stadt, in ihre Hände zu bekommen. Damit vereinigte sie alle wesentlichen Gerichtsrechte auf sich. Der Rat übte seine Gerichtsbarkeit vom eigenen Rathaus aus aus, welches seinen Platz seit dem 14. Jahrhundert ununterbrochen an der Stelle des heute sog. Wolffschen Baus (errichtet 1617 bis 1622) hatte.

Die auf den gerade genannten Rechten beruhende Gerichtsbarkeit der Stadt Nürnberg und hier des Rates erfuhr in Nürnberg und - mit Abstrichen - in den Städten, die nach Nürnberger Recht lebten, eine recht deutliche Ausdifferenzierung. Neben dem Stadtgericht, dem wohl ältesten Gericht der Stadt, das bis zur anbrechenden Neuzeit in seiner Spruchtätigkeit auf Zivilrecht und hier namentlich Eherecht reduziert worden war, amtierten ein Halsgericht, das als Strafericht über schwere Delikte (Mord, Diebstahl, Brandstiftung, Notzucht; Gegenstände der Hochgerichtsbarkeit) urteilte. Ab 1427, dem endgültigen Übergang der Schultheißenrechte in Nürnberg auf die Stadt, machte dies eine Bestätigung seiner Urteile durch den Inneren Rat erforderlich. Weiterhin gab es ein Fünfergericht, das sich geringfügiger Vergehen annahm, sowie ein Ruggericht, das auf der Grundlage des Handwerksrechts entschied. Beim Nürnberger Bauerngericht wurden alle Niedergerichtsrechte sowie Zivilgerichtsrechte auf der Grundlage der Grundherrschaft der Stadt als solcher oder ihrer Bürger gebündelt. Forst- und Zeidelgerichte fanden sich ebenso wie eine ganze Reihe von sog. "Untergerichten" für bestimmte Gegenstände. Der eigentliche Rat fungierte in dieser stark differenzierten Gerichtsstruktur faktisch allein als Rechtsmittelinstanz.

Den anwachsenden Normbestand, auf den die städtischen Gerichte ihre Entscheidungen stützten, reformierte Nürnberg, soweit er städtischen Ursprungs war, ab 1450. Nürnberg legte 1479 als erste deutsche Stadt eine umfassende Stadtrechtsreformation im Geist des Gemeinen Rechts vor, die sowohl das materielle als auch das Zivilverfahrensrecht umfasste und 1484 als erste deutsche Stadtrechtsreformation gedruckt erschien.

Das Nürnberger Stadtrecht schon in seiner nicht reformierten Gestalt war Grundlage einer Stadtrechtsfamilie geworden, die zahlreiche heute bayerische Städte umfasste (freilich nicht nur diese), so auch Rothenburg o.d.Tauber und Dinkelsbühl sowie in Teilen Weißenburg. Durch die Übernahme bzw. Verleihung von Nürnberger Recht an rund 22 Städte des näheren oder weiteren Umlandes der Pegnitzstadt wurden aus diesen Städten Rechtsfragen an das Nürnberger Stadtgericht gerichtet (dorthin "appelliert"), so dass die städtische Gerichtsbarkeit der Reichsstadt deutlich über deren unmittelbaren Einflussbereich hinaus auszugreifen vermochte. Entsprechende Appellationen wurden etwa aus Bayreuth, Kulmbach, Weiden i.d.Opf., Amberg oder Neumarkt i.d.Opf. nach Nürnberg gesandt und dort entschieden. Die Appellation gen Nürnberg nahm zeitweise Umfänge an, die König Wenzel IV. von Böhmen (reg. 1378-1419) im Jahr 1387 veranlassten, für die nach Nürnberger Recht lebenden Städte seines böhmischen Herrschaftsgebietes die Appellation an das Gericht der Altstadt Prag zu richten.

Von den Städten ausgehende Gerichtsbarkeit

Nicht eigentlich städtische Gerichtsbarkeit, wohl aber von den Städten ausgehende Rechtspflege waren die dort bestehenden Gerichte, deren Zuständigkeit sich auf Gerichtsunterworfene bezog, die nicht innerhalb der städtischen Mauern bzw. befriedeten Bezirke wohnten. Hierher rechneten die Gerichte der Spitäler ebenso wie die mancherorts bestehenden Gerichte, die ihren Hintergrund in Grundherrschaftsrechten der Städte haben (wie etwa das bereits angesprochene Bauerngericht in Nürnberg und Städten Nürnberger Rechts). Diese Gerichtsbarkeiten wurden zwar von durch die jeweilige Stadt bestellten Amtsträgern ausgeübt, sie bestanden jedoch auf der Grundlage des den Spitälern bzw. Städten eigenen Grundbesitzes. Gleiches gilt für die Gerichtsbarkeit, die seitens der in den Städten situierten Stifte über ihren Grundbesitz ausgeübt wurde. Diese Stifte waren ihrerseits gegenüber der eigentlichen städtischen Gerichtsbarkeit in der Regel immun.

Gerichtsbarkeit über Städte im Herzogtum Bayern

Am Ausgang des Mittelalters findet sich für Altbayern eine einigermaßen homogene Gerichtsstruktur, in der zumindest den bedeutenderen Städten eine gewisse Zentralfunktion zukommt. München, Ingolstadt, Burghausen (Lkr. Altötting), Landshut und Straubing sind Sitze von Vitztumsämtern, die ältere Grafschafts- und Vogteirechte, die die Wittelsbacher erworben oder seit alters her innegehabt hatten und welche sie über Ämter und dort amtierende beamtete Richter hatten ausüben lassen, überwölbten. Später führten die Vitztumämter die Bezeichnung Rentmeisterämter oder Rentämter.

Die Niedergerichtsbarkeit wurde zunächst in den Hofmarken durch den beamteten herzoglichen Hofmarksrichter ausgeübt. Daneben konnten entsprechende Gerichtsrechte auch bei fürstlichen Eigenherrschaften liegen, die teilweise noch der Rentamtsstruktur zeitlich vorgelagerte Rechte ausübten, die mancherorts auch Blutgerichtsrechte mit umfassten. Eine weitere Ausnahme in der Hofmarksgerichtsbarkeit bildeten die Hochstifte, die zumindest über ihre Güter die Niedergerichtsbarkeit ausübten.

Städte ragten in dieser Struktur nur insoweit heraus, als ihnen mit der Verleihung von Stadt- und Marktpriviliegien in der Regel die Niedergerichtsbarkeit verliehen wurde. Dadurch wurden sie aus der Hofmarksgerichtsbarkeit herausgelöst und lagen bei den Organen der Stadt oder des Marktes (bei Bürgermeister und Rat), die sie regelmäßig durch beamtete Stadtrichter ausüben ließen. Diese waren ursprünglich durch den Herzog eingesetzt worden. Die Städte, denen die Gerichtsrechte übertragen worden waren, hatten es aber vermocht, Einfluss auf die Besetzung des Stadtrichteramtes zu gewinnen. Schließlich konnten sie den Stadtrichter selbst auszuwählen, welchen der Herzog schließlich ernannte.

Die Hochgerichtsbarkeit blieb regelmäßig dem Herzog vorbehalten, welcher sie in den Städten wiederum durch die Stadtrichter ausüben ließ. Diese waren also in der Niedergerichtsbarkeit und in der Zivilgerichtsbarkeit für die Kommunen selbst tätig. Darüber hinaus arbeiteten sie im Bereich der Hochgerichtsbarkeit für den herzoglichen Landesherrn. Auf die Städte ging die Hochgerichtsbarkeit erst im Laufe der Frühen Neuzeit über. Sie wurde den Städten, die Rentamtssitze waren, eingeräumt. München hatte sie bereits 1561; die hohe Gerichtsbarkeit wurde der Stadt in jenem Jahr bestätigt, Burghausen 1581, Landshut 1601 und Straubing 1602. In allen Fällen erfolgte die Übertragung der Hochgerichtsrechte gegen eine ansehnliche jährlich zu wiederholende Zahlung an den Herzog.

Landesherrliche Gerichtsbarkeit über Städte in Franken und Schwaben

Auf dem westlich des Grafeneckhart gebauten Flügel des Würzburger Rathauses wird die ehemalige Gerichtslinde abgebildet, die vor dem Rathaus stand und wo im Mittelalter Gericht gehalten wurde. (Foto von Bbb lizenziert durch CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons; Straßenbahnoberleitungen retuschiert)

Außerhalb Altbayerns gab es unterschiedlich deutlich ausgeprägte Situationen städtischer Gerichtsbarkeit. Blicken wir zunächst nach Franken, nach Würzburg, wo sich die Stadt mutmaßlich im Kontext des bischöflichen Immunitätsbezirkes entwickelt hatte. Dieser verlieh ihr von vornherein eine eigene Rechtsstruktur neben der umgebenden Grafschaft, die freilich unauflöslich an die Rechte des Bischofs geknüpft war. Letzterer war es denn auch, der die Amtsträger in der Stadt bestimmte, den Schultheißen zunächst, den Oberrat später. Demgegenüber trat der von den Einwohnern der Stadt gebildete Unterrat in Funktion und Einfluss zurück. Hintergrund dieser sehr eng auf den bischöflichen Stadtherrn bezogenen Stadtstruktur war der um die Mitte des 13. Jahrhunderts bereits recht fortgeschrittene Versuch der Stadt Würzburg, sich aus der Herrschaft des Bischofs zu emanzipieren. Der Versuch endete mit der Schlacht von Bergtheim im Jahre 1400 gewaltsam. Ein im Entstehen begriffenes städtisches Patriziat, wie wir zuvor mehrfach sahen, Indiz nicht zuletzt für bürgerschaftliche Beteiligung am Gerichtswesen, wurde beseitigt. Die Herrschaft des Bischofs wurde gefestigt, er blieb der Stadt- und Gerichtsherr Würzburgs; eine eigenständige städtische Gerichtsbarkeit vermochte sich nicht zu bilden.

Dass die Strukturen, die sich für Würzburg beschreiben lassen, in ihrem Grundmuster durchaus typisch für die heute zu Bayern gehörigen größeren und kleineren Herrschaften und Territorien der Kirche sind, zeigt der Blick in die neben Würzburg zweite große geistliche Herrschaft Frankens, nach Bamberg. Die Stadt erhielt 1306 zwar ein schriftliches gefasstes Stadtrecht, 1320 eine Stadtordnung und versuchte 1435, gegen die Steuerfreiheit der in der Stadt gelegenen Immunitätsbezirke einzelner Stifte vorzugehen; als Stadtherr verblieb jedoch der Bischof. Anders als in Würzburg war es in Bamberg nicht die Immunität des Bischofs, durch die die besondere rechtliche Struktur der Stadt ausgebildet werden konnte; es war vielmehr eine Entscheidung des bischöflichen Stadtherrn selbst, der Bamberg im 12. Jahrhundert aus der Zuständigkeit des Landgerichts löste und ein von ihm eingerichtetes Stadtgericht schuf. Für die Stadtbürgerschaft gab es zwar eine Reihe königlicher Privilegien, durch die nicht zuletzt deren Recht verbrieft wurde, nicht vor auswärtige Gerichtsbarkeit treten zu müssen; sie blieben jedoch dem Bamberger Stadtgericht unterworfen, das ein Gericht des bischöflichen Landesherrn war und blieb, denn vergleichbar der Würzburger Situation gab es auch in Bamberg kein bürgerschaftliches Gremium, dem Gerichtsrechte hätten verliehen werden können, wurde doch der Bamberger städtische Rat durch den Bischof gebildet.

Für die kleineren säkularen Herrschaften etwa in Schwaben gilt im Kleinen, was im größeren Zusammenhang für das Herzogtum Bayern festzustellen war: Blicken wir etwa auf die zu Österreich gehörige Markgrafschaft Burgau, so lagen die Gerichtsrechte zunächst beim Landesherrn, der die Niedergerichtsbarkeit meist an den lokalen Adel, an örtliche Klöster oder an die Städte und Märkte selbst vergab (etwa im Falle Günzburgs). Das Hochgericht blieb zunächst in den Händen des burgauischen Landrichters, bis auch dieses im Vertragswege auf die genannten Herrschaftsträger übertragen wurde, weswegen in der Stadt Günzburg die Hoch- und Niedergerichtsbarkeit städtisch ausgeübt wurde. Eine Sondersituation entstand in und um die Stadt Leipheim (Lkr. Günzburg). Dort waren es nicht die Gremien Leipheims, die namentlich die Hochgerichtsbarkeit übertragen bekamen; es war die Reichsstadt Ulm, die die fraglichen Gerichtsrechte ausübte.

Eine Zwischenform der Gerichtsherrschaft fand sich in Städten, die kleineren und kleinsten säkularen Landesherrschaften angehörten, wie etwa Weißenhorn (Lkr. Neu-Ulm), das zur Herrschaft der Fugger gehörte. Zwar urteilte auch hier ein durch den Landesherrn ernannter Richter; der Bürgermeister der Stadt hatte jedoch das Recht, an Verfahren und Beratung teilzunehmen.

Königreich und Freistaat Bayern

Auf dieser materiellrechtlichen wie formalen Grundlage blieb die Gerichtsbarkeit in und über Städte im Herzogtum Bayern und später in Kurbayern sowie in den Gebieten und Territorien Frankens und Schwabens bis zu den großen bayerischen Staatsreformen Anfang des 19. Jahrhunderts bestehen. Durch diese wurde jede Form eigenständiger städtischer Gerichtsbarkeit, sei es aus eigenem oder übertragenem Recht, zugunsten einheitlicher staatlicher Gerichtsbarkeit, die in exakt abgegrenzten Bezirken stattfand, aufgehoben. Eine eigenständige städtische Gerichtsbarkeit existiert seither in den Städten Bayerns nicht mehr.

Literatur

  • Roswitha von Bary, Herzogsdienst und Bürgerfreiheit. Verfassung und Verwaltung der Stadt München im Mittelalter. 1158-1560 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt München 3), München 1997.
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Quellen

  • Christoph Becker (Hg.), "Consvetudines almae Reipublicae Augustanae" von Matthaeus Laimann und Georg Tradel mit "Notwendigs Bedenckhen" von Georg Tradel. Eine Zusammenstellung Augsburger Stadtrechts mit einer Denkschrift zu seiner Reform vom Ende des sechzehnten Jahrhunderts (Augsburger Schriften zur Rechtsgeschichte 14), Berlin 2008. (Handschrift der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg 2° Cod. Aug. 168)
  • Gerhard Köbler, Reformation der Stadt Nürnberg, Gießen 1984.
  • Hans Schlosser/Ingo Schwab, Oberbayerisches Landrecht Kaiser Ludwigs des Bayern von 1346, Köln 2000.

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Peter Kreutz, Städtische Gerichtsbarkeit, publiziert am 31.07.2014; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Städtische_Gerichtsbarkeit> (13.12.2024)