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Beziehungen zu Tschechien (20. Jahrhundert)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Am 17.9.1965 besuchte der bayerische Wirtschaftsminister Otto Schedl (CSU, 1912-1995) eine internationale Messe in Brünn. (Foto: Interfoto, Mediennummer 00844374)
Bis zum Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union (EU) und zum Schengener Abkommen fielen zwischen den beiden Nachbarstaaten Bayern und Tschechien die Grenzkontrollen weg. Damit rückten nach Jahrzehnten der Trennung historische Wirtschafts- und Kulturräume wieder enger zusammen. Das Bild zeigt die Situation am Grenzübergang im bayerischen Schirnding (Lkr. Wunsiedel) am 9.11.1989. (Foto: Interfoto, Mediennummer 00493234)
Der tschechische Premierminister Petr Necas (geb. 1964, Premierminister 2010-2013) nach seiner Rede vor Abgeordneten und geladenen Gästen im Plenarsaal des Bayerischen Landtags am 21. Februar 2013. Erstmals in der Geschichte beider Länder sprach ein tschechischer Premierminister in der bayerischen Volksvertretung. (Foto: Bayerische Staatskanzlei)
Der tschechische Premierminister Petr Necas (geb. 1964, Premierminister 2010-2013) am 21. Februar 2013 beim Eintrag ins Ehrenbuch des Bayerischen Landtags in Anwesenheit der Präsidiumsmitglieder und der Fraktionsvorsitzenden. (Foto: Bayerische Staatskanzlei, MG-0775)
Die bayerische Repräsentanz im Palais Chotek, auch "Haus zur goldenen Melone" genannt, wurde am 4. Dezember 2014 durch den damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (geb. 1949, reg. 2008-2018) eröffnet. (Foto von Christian Petrzik)
Der tschechische Premierminister Bohuslav Sobotka (geb. 1971, Premierminister 2014-2017) während seines Staatsbesuches in München mit Ministerpräsident Seehofer (geb. 1949, Ministerpräsident 2008-2013 und Beate Merk (geb. 1957, Europaministerin 2013-2017), Ministerin für Europaangelegenheiten und regionale Beziehungen, vor der Gedenktafel an der heutigen Hochschule für Musik und Theater in München, die an die Unterzeichnung des Münchner Abkommens 1938 erinnert. Die Beziehungen Bayerns zu seinem östlichen Nachbarn waren bis zu einer Annäherung beider Länder Anfang der 2010er Jahre von Spannungen geprägt, deren Ursachen in den Folgen des Münchner Abkommens und der sog. Beneš-Dekrete lagen. (Foto: Bayerische Staatskanzlei)

von Detlef Brandes

Die Beziehung Bayerns zu seinem tschechoslowakischen bzw. tschechischen Nachbarn war lange Zeit geprägt von den Ereignissen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Streit um das sog. Sudetenland, die faktische Kontrolle der Tschechoslowakei während des Zweiten Weltkriegs durch NS-Deutschland, die Gräueltaten der deutschen Besatzer, aber auch die Vertreibung der deutschen Minderheit nach Kriegsende 1945 belasteten das gegenseitige Verhältnis bis Ende des 20. Jahrhunderts. Besonders seit den 1990er Jahren kam es auf beiden Seiten auch vor dem Hintergrund der europäischen Einigung zu einer vorsichtigen Annäherung, die mehr die Gemeinsamkeiten als das Trennende betonte. Unter Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU, geb. 1949, Ministerpräsident 2008-2018) verbesserte sich das bayerisch-tschechische Verhältnis so weit, dass Bayern 2014 eine Repräsentanz in Prag errichtete und die Sudetendeutsche Landsmannschaft (SL) aus ihren Statuten das Recht zur Rückkehr in die alte Heimat und die Forderung nach der Rückgabe des konfiszierten Eigentums strich. Die Zusammenarbeit wurde intensiviert, v. a. auf kulturellem Gebiet. Trotzdem ist das gegenseitige Verhältnis nach wie vor auch durch Meinungsverschiedenheiten gekennzeichnet, so z. B. in jüngster Zeit in der Flüchtlingspolitik.

Einführung

Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden die deutsche und die tschechoslowakische demokratische Republik. Den tschechischen und slowakischen Exilpolitikern um Tomáš G. Masaryk (1850-1937), Edvard Beneš (1884-1948, Präsident 1935-1938 und 1945-1948) und Milan Rastislav Štefánik (1880-1919) war es im Ersten Weltkrieg gelungen, die Entente-Mächte von der Zweckmäßigkeit der Gründung eines tschechoslowakischen Staates zu überzeugen. Ihre Hauptaufgabe sah die neue Staatsführung in den ersten Monaten in der Anerkennung der historischen Grenzen zwischen den böhmischen Ländern und den Nachbarstaaten. Die deutschen Abgeordneten aus den böhmischen Ländern proklamierten dagegen Ende Oktober 1918 in Wien den Anschluss der mehrheitlich deutschsprachigen Gebiete an Deutsch-Österreich. Dessen Nationalausschuss gab am 12. November seinerseits bekannt, dass Deutsch-Österreich Teil der deutschen Republik werden wolle. Inzwischen drangen jedoch tschechische Truppen in die deutschen Gebiete ein.

Deutschland und die Tschechoslowakei 1918 bis 1933

Auf der Pariser Friedenskonferenz (18.1.1919 - 21.1.1920) hielten die Siegermächte Großbritannien, Frankreich, USA und Italien an den alten Grenzen der böhmischen Länder fest und wollten auch die mehrheitlich deutsch besiedelten Gebiete der neuen Republik angliedern. Bündnisse der Tschechoslowakei mit Frankreich, Rumänien und Jugoslawien sollten die Grenzen gegenüber den Nachbarn sichern. Die Tschechoslowakei verfolgte die außenpolitischen Schritte des deutschen Nachbarn mit Misstrauen. Deutschland blieb trotz einer Halbierung seines Anteils von 32 % (1924) auf 16 % (1937) wichtigster Handelspartner der Tschechoslowakei.

Die drei Millionen Deutschen der böhmischen Länder, für die sich allmählich der Begriff Sudetendeutsche durchsetzte, wurden durch die Pariser Grenzziehung eine Minderheit. Die Tschechoslowakei hatte sich zum Schutz ihrer Minderheiten verpflichten müssen. Viele Deutsche und Tschechen pendelten auch weiterhin zur Arbeit jenseits der Sprach- oder auch Staatsgrenze und verwandten beide Sprachen je nach ihrem Gesprächspartner. Tschechische und deutsche Familien tauschten ihre Kinder zum Spracherwerb für ein Jahr aus und schlossen gemischt-nationale Ehen.

Bevölkerungsgruppen in der Tschechoslowakei (1921)
Ethnische Gruppe Anzahl (in Mio.) Anteil (in %)
Tschechen 6,85 50,3
Slowaken 1,91 14,0
Deutsche 3,123 22,9
Ungarn 0,745 5,5
Ruthenen, Ukrainer, Russen 0,461 3,4
Juden 0,18 1,3
Andere 0,344 2,6

Quelle: Pavel Bělina u. a. (Hg.), Geschichte der Länder der Böhmischen Krone. 2. Teil, Prag 1997, 169.

Im Februar 1920 wurde eine Verfassung verabschiedet, die jedem gleiche Rechte unabhängig von Sprache, Rasse und Religion versprach. Deutsche Parteien waren an der Ausarbeitung nicht beteiligt worden. Sie forderten die Abgrenzung der mehrheitlich deutschsprachigen Randgebiete in sog. Gauen und beklagten sich über eine Benachteiligung bei der Bodenreform, Entlassungen aus dem Staatsdienst nach nicht bestandenen Tschechisch-Prüfungen sowie über den Aufbau tschechischer Minderheitenschulen in den deutschen Gebieten. Neuere Forschungen haben gezeigt, dass die Beschwerden zwar zum Teil berechtigt waren, aber das Ausmaß der Benachteiligung der deutschen Minderheit weit übertrieben worden ist.

Sudetendeutsche und Tschechen verfügten gleichermaßen über ein breites Spektrum von Verbänden und politischen Parteien. Seit 1920 waren deutsche Parteien im Parlament vertreten. Zwei davon standen dem Staat auf Dauer negativ gegenüber: die Deutsche Nationalpartei (DNP) und die Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei (DNSAP). Die drei anderen größeren Parteien, die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei (DSAP), die Deutsche Christlich-Soziale Volkspartei (DCSVP) und der Bund der Landwirte (BdL), begannen schon 1919, sich der neuen Lage anzupassen. Bei den Wahlen von 1925 und 1929 erhielten die drei zur Zusammenarbeit bereiten, sog. aktivistischen Parteien rund drei Viertel der deutschen Stimmen. Seit 1926 beteiligten sich DCSVP und BdL, seit 1929 auch die DSAP an der Regierung. Ihre Hoffnung, durch Mitarbeit nationalpolitische Erfolge zu erzielen, wurde allerdings enttäuscht.

Ergebnisse der Wahlen zur tschechoslowakischen Abgeordentenkammer 1920-1935 (Anzahl d. Mandate)
Parteien/Wahlblöcke 18.4.1920 25.11.1925 27.10.1929 19.5.1935
Tschechoslowakische Sozialdemokratische Partei 74 29 39 38
Tschechoslowakische Volkspartei 33 31 25 22
Tschechoslowakische National-Soziale Partei 24 28 32 28
Tschechoslowakische Nationaldemokratische Partei 19 13 15 -
Tschechoslowakische Argrarier (=Agrarpartei mit untersch. Namen) 28 45 46 45
Tschechoslowakische Gewerbe-Handelspartei 6 13 12 17
Kommunistische Partei der Tschechoslowakei - 41 30 30
Nationale Vereinigung - - - 17
Nationale faschistische Gemeinde - - 3 6
Hlinkapartei (= Slowakische Volkspartei mit untersch. Namen) - 23 19 22
Slowakische Nationalpartei 12 - - -
Bund der Landwirte (dt. Partei) 11 24 - 5
Deutsche Nationalpartei - 10 7 -
Deutsche Nationalsozialistische Partei 15 7 8 -
Deutsche Christlich-Soziale Volkspartei 7 13 14 6
Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei 31 17 21 11
Sudetendeutsche Partei - - - 44
Vereinigte Deutsche Parteien 6 - 16 -
Ungarische Parteien 9 4 9 9
Vereinigte polnische und jüdische Parteien - - 4 -

Quelle: Pavel Bělina u. a. (Hg.), Geschichte der Länder der Böhmischen Krone. 2. Teil, Prag 1997, 172-173.

Der NS-Staat und die deutsche Minderheit 1933 bis 1938

Nach 1933 flohen politisch und rassisch Verfolgte aus Deutschland und Bayern in die Tschechoslowakei, u. a. Politiker wie Waldemar Freiherr von Knoeringen (SPD, 1906-1971) oder Schriftsteller wie Oskar Maria Graf (1894-1967). Die Exilführung der SPD errichtete "Grenzsekretariate" auch an der Grenze zu Bayern, die für den Austausch von Informationen und Propagandaschriften mit den Genossen in der Heimat sorgen sollten. Viele Sudetendeutsche hofften auf einen Anschluss an Deutschland. Als das Verbot von DNP und DSAP bevorstand, gründete Konrad Henlein (1898-1945), Führer des Deutschen Turnverbands, die Sudetendeutsche Heimatfront (seit 1935 "Sudetendeutsche Partei (SdP)"). Während der Weltwirtschaftskrise war die Arbeitslosigkeit in den deutschen Grenzbezirken der Tschechoslowakei etwa doppelt so hoch wie im tschechischen Gebiet. Die SdP interpretierte die Folgen als gewollte nationale Benachteiligung durch die Regierung. Als das Deutsche Reich infolge der Aufrüstung einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte und Arbeitskräfte suchte, pendelten Zehntausende Sudetendeutsche zur Arbeit nach Bayern und Sachsen.

Die Wahlen von 1935 brachten der SdP 62-63 % der deutschen Stimmen. Im November 1937 erläuterte Adolf Hitler (NSDAP, 1889-1945, Reichskanzler 1933-1945) seinen Generälen und seinem Außenminister Konstantin Freiherr von Neurath (NSDAP, 1873-1956, Reichsaußenminister 1932-1938, Reichsprotektor in Böhmen und Mähren 1939-1943) seine nächsten Ziele: den Anschluss Österreichs und die Zerschlagung der Tschechoslowakei. Noch im selben Monat passte sich der SdP-Führer an die neuen Machtverhältnisse in Mitteleuropa an. Henlein schrieb: Die SdP sei zur Erkenntnis gekommen, dass "eine Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen in der Tschechoslowakei praktisch unmöglich" sei und die Lösung nur vom "Reich" herbeigeführt werden könne.

Nach dem sog. Anschluss Österreichs im März 1938 radikalisierte sich die Stimmung. Im sog. Karlsbader Programm vom April 1938 forderte Henlein die "Freiheit des Bekenntnisses zur deutschen Weltanschauung". Trotz dieses Bekenntnisses zum Nationalsozialismus lösten sich BdL und DCSVP auf und schlossen sich ebenso wie die großen nationalen Verbände der SdP an. Nur Sozialdemokraten und Kommunisten blieben außerhalb der nationalsozialistischen Einheitsfront. Der SdP waren im Juli 1938 schon 1.350.000 Sudetendeutsche (rund 44 % aller Sudetendeutschen) beigetreten. Bei den Kommunalwahlen von Mai/Juni 1938 votierten etwa 85 % der Sudetendeutschen für die SdP. Am 21. Mai 1938, dem Tag der ersten Wahlrunde, erfolgte in der Tschechoslowakei eine Teilmobilmachung aufgrund von Nachrichten über deutsche Truppenbewegungen, die sich allerdings als falsch erwiesen und deren Ursprung bislang nicht geklärt ist. Hitler reagierte darauf mit der Anweisung, die Tschechoslowakei schon in nächster Zukunft zu vernichten.

Unter dem Druck der Westmächte stimmte die tschechoslowakische Regierung Ende August der Bildung von drei deutschen Gauen und schließlich Anfang September sogar eines deutschen Bundeslandes innerhalb der Tschechoslowakei zu. Trotzdem brach Henlein die Verhandlungen dazu am 7. September ab. Die SdP gab die Parole "Heim ins Reich" aus und stellte ein "Sudetendeutsches Freikorps" mit Hauptquartier im oberfänkischen Selb auf, das auch von Bayern aus Überfälle auf tschechische Zollstationen unternahm, tschechische Beamte gefangen setzte und nach Bayern verschleppte.

Die tschechoslowakische Regierung willigte unter massivem Druck der britischen und französischen Regierungen am 21. September 1938 in die Abtretung der Grenzgebiete mit mehr als 50 % deutschsprachiger Bevölkerung ein. Auf der Münchener Konferenz vereinbarten Vertreter Deutschlands, Italiens, Großbritanniens und Frankreichs am 29. September 1938 einen Zeitplan für die Annexion der Grenzgebiete. Alle Quellen berichten von einem Freudentaumel der sudetendeutschen Bevölkerung beim Einmarsch der Wehrmacht in den ersten Tagen des Oktober 1938. Die Deutschen hofften auf eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage. Vor allem aber beruhte die nationale Hochstimmung auf der Vereinigung mit den Deutschen des Reiches und Österreichs. Hitler wurde als "Befreier" verehrt.

NS-Politik in den böhmischen Ländern

Nach der Annexion terrorisierten Kommandos aus Mitgliedern der SdP und des Sudetendeutschen Freikorps Tschechen, Juden, Sozialdemokraten und Kommunisten. Etwa 50.000 Staatsangestellte sowie weitere 150.000 Tschechen flohen bis Juli 1939 aus den abgetrennten Grenzgebieten, die zum größten Teil in einem "Reichsgau Sudetenland" vereinigt wurden. Das Gebiet zwischen der Further Senke und Prachatitz mit knapp 88.000 Einwohnern wurde dagegen staatlich an die bayerischen Regierungsbezirke Niederbayern und Oberpfalz sowie an den Parteigau Bayerische Ostmark (Bayreuth) angeschlossen. Durch den Anschluss verlor dieses industriearme sog. Sudetenbayern für zwei Jahre die Verbindung zum böhmischen Binnenland (bis die Zollgrenze zum "Protektorat" aufgehoben wurde), während viele der bisherigen und neuen Arbeitslosen ins Altreich abwanderten.

Am 14. März 1939 erklärte der slowakische Landtag die Unabhängigkeit der Slowakei. Noch am selben Tag verhandelte der Präsident der Tschechoslowakischen Republik Emil Hácha (1872-1945) in Berlin über die Folgen der slowakischen Separation und eine noch engere Anlehnung an Deutschland. Als Hermann Göring (1893-1946) mit der Bombardierung Prags drohte, legte Hácha "das Schicksal des tschechischen Volkes und Landes vertrauensvoll in die Hände des Führers des Deutschen Reiches". Hitler versprach dem tschechischen Volk "eine autonome Entwicklung seines völkischen Lebens". Am 15. März 1939 marschierten deutsche Truppen in Prag und Brünn ein, das restliche Böhmen und Mähren wurde im sog. Protektorat Böhmen und Mähren zusammengefasst.

Die deutsche Tschechienpolitik war während des Krieges wegen der kriegswirtschaftlichen Bedeutung des Protektorats gemäßigter als die gegenüber Russen, Serben und Polen. Hácha blieb Staatspräsident, es gab eine tschechische Protektoratsregierung und Reichsprotektor Konstantin Freiherr von Neurath besaß eine begrenzte Autonomie gegenüber Berlin. Im Herbst 1939 nutzte jedoch Karl Hermann Frank (NSDAP, 1898-1946), der sudetendeutsche Stellvertreter von Neuraths, Demonstrationen gegen die deutsche Besatzungspolitik, um den Kurs zu verschärfen: Die tschechischen Hochschulen wurden geschlossen, 1.200 Studenten im KZ Sachsenhausen interniert und neun Studentenführer erschossen.

Nach dem Angriff auf die Sowjetunion verstärkte sich der tschechische Widerstand. Ende September 1941 wurde Reinhard Heydrich (NSDAP, 1904-1942, Leiter des Reichssicherheitshauptamts 1939-1942) stellvertretender Reichsprotektor. An Mitgliedern der Widerstandsbewegung ließ er über 400 Todesurteile vollstrecken und 4.000-5.000 Personen verhaften. Die Protektoratsregierung wurde nun weitgehend gleichgeschaltet. Anfang Oktober 1941 erklärte Heydrich vor deutschen Beamten, Parteifunktionären und Offizieren in Prag: Zur Vorbereitung der "Endaufgabe", nämlich der "deutschen Besiedlung" müsse er eine "rassisch-völkische Bestandsaufnahme" machen: Ein Teil der Tschechen könne eingedeutscht, andere müssten an die Wand gestellt, sterilisiert bzw. nach Osten abgeschoben werden. Die im Krieg erweiterten bzw. neu angelegten Truppenübungsplätze sollten nach dem Krieg mit Deutschen besiedelt werden und die Basis je einer "deutschen Siedlungsbrücke" über Prag und entlang der böhmisch-mährischen Grenze bilden. Nach dem Attentat auf Heydrich am 27. Mai 1942 wurden fast 1.600 Tschechen ermordet. Nach Heydrichs Tod baute Frank seine Macht aus, forderte die Anpassung der Tschechen an die gegebenen Machtverhältnisse, ließ Familienangehörige führender Exilpolitiker in Geiselhaft nehmen und ging mit Geiselerschießungen gegen die tschechische Widerstandsbewegung vor.

Der NS-Rassenpolitik in der Tschechoslowakei fielen 260.000 Juden und 6.000 Roma zum Opfer. Eine in gekürzter Form auch von der Deutsch-Tschechoslowakischen Historikerkommission veröffentlichte Untersuchung schätzt, dass von den übrigen tschechoslowakischen Staatsbürgern, die infolge NS-Terror und Krieg getötet wurden, etwa 8.300 zum Tode verurteilt und erschossen wurden, 20.000 in Konzentrations- und anderen Lagern sowie 3.000 beim Zwangsarbeitseinsatz bzw. 4.000 bei Luftangriffen umgekommen sind. 15.000 fielen bei bewaffneten Zusammenstößen im Protektorat und an den Fronten, 19.000 wurden während des Slowakischen Aufstandes 1944 im Kampf bzw. bei sog. Sühnemaßnahmen getötet. Zu den Opfern gehörten auch etwa 1.000 sudetendeutsche Antifaschisten. Der Prager Aufstand, der am 5. Mai 1945 ausbrach und vier Tage darauf mit einem Abkommen über den Abzug der deutschen Truppen aus der Stadt endete, kostete unter der tschechischen Bevölkerung etwa 1.700 Todesopfer. Aus Rache wurden auch rund 900 Deutsche ermordet.

Transferpläne und Vertreibung

Die tschechoslowakische Exilregierung und die tschechische Widerstandsbewegung strebten nach einem "Nationalstaat der Tschechen und Slowaken", möglichst ohne Minderheiten. Präsident Beneš hatte noch Mitte September 1938 eine Kompromisslösung entwickelt: Durch Abtretung strategisch nicht unbedingt erforderlicher Grenzgebiete und durch Teilaussiedlung sollte die Zahl der Sudetendeutschen so weit reduziert werden, dass die Restminderheit assimilierbar würde. Im Grundsatz hielt er an dieser Konzeption bis kurz vor Kriegsende fest. Unter dem Druck der Stimmung in Exilarmee und tschechischer Bevölkerung verringerte er jedoch schrittweise die Größe der abzutretenden Gebiete und die Zahl derjenigen Deutschen, die bleiben dürften. Dagegen hoffte die im Londoner Exil weilende Gruppe um Wenzel Jaksch (1896-1966), Vorsitzender der sudetendeutschen Sozialdemokraten, dass der Schock über die Ergebnisse der Politik der SdP und NS-Deutschlands zu einer radikalen Umkehr unter den Sudetendeutschen führen würde. Von der voraussichtlichen Dauerhaftigkeit einer solchen Wandlung konnte Jaksch jedoch kaum jemanden überzeugen.

Erstmals wurde die Frage der Zwangsaussiedlung von Deutschen aus Ostmitteleuropa in Verhandlungen zwischen dem britischen Außenminister Anthony Eden und dem sowjetischen Diktator Josef Stalin (1878-1953) im Dezember 1941 behandelt. Auf Stalins Initiative einer Zwangsaussiedlung sowie auf die Vorstellungen der polnischen und tschechoslowakischen Exilregierungen hin reagierte das britische Kabinett im Juli 1942 mit einem Doppelbeschluss: Erstens: Annullierung des Münchener Abkommens; Zweitens: Zustimmung zum "allgemeinen Prinzip, nach dem Krieg deutsche Minderheiten in Mittel- und Südosteuropa nach Deutschland zu transferieren, wo dies notwendig und wünschenswert erscheint". Seit März 1943 erklärten auch US-Beamte des State Department und Präsident Franklin D. Roosevelt (1882-1945, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika 1933-1945) mehrfach ihre Zustimmung zum "Transfer". Das endgültige Einverständnis Stalins zur Vertreibung holte sich Beneš im Dezember 1943 in Moskau. Auf der Potsdamer Konferenz war zwar der Umfang der Vertreibung der Deutschen aus Polen umstritten, nicht jedoch die Zwangsaussiedlung der Sudetendeutschen.

In der tschechischen Propaganda wurde die Vertreibung mit der Beteiligung von Sudetendeutschen an der Unterdrückung im Protektorat und Sudetenland begründet, vor allem aber mit der Unterstützung der SdP bei den Wahlen 1938. Die Beneš-Dekrete des Jahres 1945 handelten von "Deutschen, Magyaren, Verrätern und Kollaborateuren" bzw. "anderen Staatsfeinden" und entzogen Deutschen (und Magyaren-Ungarn) in der Tschechoslowakei Staatsbürgerschaft und Eigentum. Noch vor der alliierten Konferenz sollten Fakten geschaffen werden. Besonders diese Phase der sog. wilden Vertreibung forderte viele Todesopfer (ca. 15.000-30.000). Die Potsdamer Konferenz forderte am 2. August 1945 eine "ordnungsgemäße und humane" Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus der ČSR, Polen und Ungarn und die vorläufige Einstellung weiterer Massenausweisungen. Am 20. November 1945 einigte sich der Alliierte Kontrollrat über die Verteilung der Vertriebenen aus der Tschechoslowakei, Polen und Ungarn auf die Besatzungszonen. In die sowjetische Zone sollten weitere 750.000 und in die US-Zone 1.750.000 Deutsche aus der Tschechoslowakei gebracht werden, von denen mehr als eine Million nach Bayern kamen. Die Zahl der Deutschen, die nach 1945 in der Tschechoslowakei verblieben, sank von 200.000 auf 86.000 im Jahre 1970 und 1990 auf 50.000.

Verhältnis zum kommunistischen Nachbarn

Seit 1945 wurde die Tschechoslowakei von einer "Regierung der Nationalen Front" regiert. Im Februar 1948 nutzten die Kommunisten einen Machtkampf innerhalb der Regierung und sicherten sich die alleinige Macht. Bis zum 1. August 1948 flohen gleichzeitig mit einer größeren Zahl von Sudetendeutschen, die sich v. a. vor der beginnenden Deportation ins Landesinnere in Sicherheit brachten, etwa 5.600 Tschechen und Slowaken nach Bayern, u. a. Politiker. Dort trafen sie auf die Feindseligkeit und den Spott der vertriebenen Sudetendeutschen. Mit der Machtdurchsetzung der Kommunisten ging der sog. Eiserne Vorhang auch an der böhmisch-bayerischen Grenze nieder. Seit 1950/51 sendete Radio Free Europe (RFE) ein Programm in tschechischer und slowakischer Sprache in die Tschechoslowakei. Der Sender beschäftigte zahlreiche Emigranten aus Ländern hinter dem Eisernen Vorhang, die in ihren Muttersprachen Radiosendungen für ihre Heimatländer produzierten. Dadurch wurde der Senderstandort München zu einem Zentrum der ostmittel-, südost- und osteuropäischen politischen Emigration. Die Mehrheit der Tschechen und Slowaken beobachtete die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Westdeutschland mit Misstrauen. Die Regierung in Prag stellte die deutsche Politik als revisionistisch und revanchistisch dar: Sie verwies auf den Alleinvertretungsanspruch Bonns, die Nicht-Anerkennung der territorialen Verluste, das Desinteresse Bonns an diplomatischen Beziehungen, das Verharren der Vertriebenenverbände auf dem Heimat- und Rückkehrrecht sowie auf entsprechende Reden einer Reihe von Politikern.

Seit Anfang der 1960er Jahre setzte eine vorsichtige Liberalisierung besonders in Wissenschaft und Kultur ein, die im Januar 1968 in den "Prager Frühling" mündete. Die Zahl der Touristen aus dem Westen stieg; aber auch tschechoslowakische Staatsbürger konnten öfter in das westliche Ausland reisen. Wissenschaftler, Künstler und Fachleute verschiedener Berufen knüpften Beziehungen ins Ausland. Die Zahl der Übersetzungen aus westlichen Sprachen bzw. ins Tschechische, der gezeigten westlichen Filme und Theaterstücke stieg auf Kosten sowjetischer Produktionen. Tschechische Filme feierten Erfolge auch in Deutschland. Die Zensur wurde eingeschränkt; die bisherigen Blockparteien begannen sich von der kommunistischen Partei zu emanzipieren, neue Gruppierungen entstanden. Im April versprach die kommunistische Partei in ihrem Aktionsprogramm einen "Sozialismus mit menschlichem Gesicht", zu dem auch ein Statut für die Minderheiten einschließlich der deutschen gehörte. Auch der Reiseverkehr über die Grenze nach Bayern sowie der kulturelle und wissenschaftliche Austausch florierten. Schon am 21. August 1968 machten jedoch Truppen des Warschauer Pakts dem reformkommunistischen Experiment ein Ende. In den folgenden Wochen passierten insgesamt 55.000 tschechoslowakische Flüchtlinge die Grenzübergänge zu Bayern und wurden meist demonstrativ freundlich aufgenommen.

Nach der zeitweiligen Entspannung des deutsch-tschechischen Verhältnisses verschärfte sich der Ton gegenüber der Bundesrepublik wieder. Im Rahmen ihrer Ostpolitik schloss die Bundesregierung 1973 auch mit der Tschechoslowakei ein Abkommen, das vor allem das Münchener Abkommen für nichtig erklärte. Im Übrigen zeigte die deutsche Seite wenig Interesse an Kontakten mit dem Regime der "Normalisierung". Anfang der 1970er Jahre konzentrierten sich Prag und Bonn auf die pragmatische Entwicklung des bilateralen Handels: Im Jahre 1989 betrug der Umsatz rund 40 Mrd. Kronen und der Anteil der Bundesrepublik am Außenhandel der Tschechoslowakei 9 %.

Beziehungen zur demokratischen Tschechoslowakei

Fall des Eisernen Vorhangs und 1990er Jahre

Nach den Umbrüchen in Ungarn, Polen und der DDR entstand 1989 auch in der Tschechoslowakei eine Widerstandsbewegung. Eine Studentendemonstration am 17. November 1989 (50. Jahrestag der Schließung der tschechischen Hochschulen) wurde von der Polizei brutal aufgelöst. Landesweite Protestaktionen waren die Folge. Es bildeten sich in Tschechien mit dem "Bürgerforum" und in der Slowakei mit der "Öffentlichkeit gegen Gewalt" Massenbewegungen. Sie entwickelten sich zu politischen Parteien und standen an der Spitze des friedlichen Übergangs zur Demokratie (sog. Samtene Revolution). Am 28. Dezember 1989 wurde der Schriftsteller und führende Dissident Václav Havel (1936-2011) zum Präsidenten der Republik gewählt. Schon am 2. Januar 1990 besuchte er München.

Nach den Parlamentswahlen 1992 zeigte die neue Regierung unter Václav Klaus (geb. 1941) weniger Interesse an engen Beziehungen zu Deutschland. Zurückhaltend verhielt sie sich gegenüber den zwei Euroregionen entlang der deutsch-tschechischen Grenze, die Anfang der 1990er Jahre gegründet wurden (1993: "Euregio Bayerischer Wald-Böhmerwald"; 1993: "Euregio Egrensis"; 2012 kam mit der "Europaregion Donau-Moldau" eine weitere hinzu) und betonte, eine regionale grenzüberschreitende Zusammenarbeit dürfe die Staatsgrenzen nicht aufweichen. Ziel der Euroregionen war es, Vorurteile über die Nachbarn abzubauen und entlang der Staatsgrenzen wirtschaftlichen Aufschwung und kulturelle Angebote zu schaffen. Kurz nach den Wahlen 1992 einigten sich die Regierungen Klaus (Tschechien) und Vladimír Mečiar (geb. 1942) (Slowakei) auf eine Trennung des föderativen Staates zum 1. Januar 1993.

Im Februar 1992 schloss Deutschland mit der Tschechoslowakei einen Nachbarschaftsvertrag ("Vetrag über gute Nachbarschaft"). Beide Seiten betonten die gemeinsame fruchtbare Geschichte, aber auch die "zahlreichen Opfer, die Gewaltherrschaft, Krieg und Vertreibung gefordert haben" und das "Leid, das vielen unschuldigen Menschen zugefügt wurde". Man erklärte, sich weniger auf die Vergangenheit konzentrieren zu wollen als auf die gemeinsame Zukunft. In der Deutsch-tschechischen Erklärung vom 21. Januar 1997 bekannte sich die deutsche Seite "zur Verantwortung Deutschlands für seine Rolle in einer historischen Entwicklung, die zum Münchener Abkommen von 1938, der Flucht und Vertreibung von Menschen aus dem tschechoslowakischen Grenzgebiet sowie zur Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakischen Republik geführt hat". Gleichzeitig bedauerte die tschechische Seite, "dass durch die nach dem Kriegsende erfolgte Vertreibung sowie zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei, die Enteignung und Ausbürgerung unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde, und dies auch angesichts des kollektiven Charakters der Schuldzuweisung". Tschechischen Kritikern auf der extremen Rechten und Linken ging dieses Bedauern zu weit, der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) nicht weit genug. Die SL forderte weiter die Aufhebung der Beneš-Dekrete. Sowohl der Vertrag von 1992 als auch die Erklärung 1997 bekräftigen die unterschiedlichen Rechtsstandpunkte zum Münchener Abkommen. Die Eigentumsfragen blieben aus Sicht der Bundesrepublik offiziell offen, da ein sog. Schlussstrich womöglich Forderungen auf Entschädigung durch die Sudetendeutschen nach sich ziehen könnte. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD, geb. 1944, Bundeskanzler 1998-2005) distanzierte sich am 8. März 1999 von den Eigentumsansprüchen der Sudetendeutschen, als der tschechische Ministerpräsident Miloš Zeman (geb. 1944) die Beneš-Dekrete für "erloschen" erklärte. Die Erklärung von 1997 nannte Franz Neubauer (1930-2015) beim Pfingsttreffen der SL einen weiteren Versuch, "unserer Volksgruppe den Totenschein auszustellen". Im tschechischen Abgeordnetenhaus fand die gemeinsame Erklärung nur mit einem von der Regierung eingebrachten Zusatz eine Mehrheit, in dem bekräftigt wird, dass "beide Staaten verhindern wollen, dass die Vergangenheit", d. h. also die Eigentums- und Rückkehransprüche der Sudetendeutschen, "die gemeinsame europäische Zukunft erschwert".

Vorsichtige Annäherung und Aussöhnung: Beziehungen seit 2000

In der Erklärung wurde auch die Einrichtung eines Diskussionsforums und eines Zukunftsfonds angekündigt, aus dem auch NS-Opfer Hilfen erhielten. Der Fonds wickelte seit dem Jahre 2000 auch die Entschädigung der Zwangsarbeiter ab und fördert zudem kulturelle und grenzüberschreitende Projekte. Zugleich stieg in Deutschland die Erwartung auf eine humanitäre Geste der anderen Seite, der Tschechien mit der offiziellen Würdigung des sudetendeutschen Widerstands entgegenkam. CDU, SPD und Grüne forderten weiterhin die Verurteilung der Vertreibung bzw. der "Beneš-Dekrete", während SL und CSU deren Aufhebung verlangten. Beide gingen sogar so weit, davon die Aufnahme der Tschechoslowakei in die EU abhängig machen zu wollen. Unterstützung erhielten sie von der 1999 gebildeten österreichischen Regierung aus ÖVP und FPÖ und immerhin 111 Europa-Abgeordneten. Obwohl die vom Europa-Parlament beauftragten Völkerrechtler in ihren Gutachten vom September 2002 in den "Beneš-Dekreten" keinen Hinderungsgrund für die Aufnahme Tschechiens in die EU sahen, stimmten die Europa-Abgeordneten der CSU 2003 gegen den Beitritt.

Seit 2000 steht die Errichtung eines "Zentrums gegen Vertreibung" in Berlin im Raum. Sowohl Bundeskanzler Schröder wie kurz darauf auch Bundespräsident Johannes Rau (1931-2006, Bundespräsident 1999-2004) und Polens Präsident Aleksander Kwaśniewski (geb. 1954) versagten ihre Unterstützung, da sie den Missbrauch "von Erinnerung und Trauer" und eine erneute Teilung Europas befürchteten. Seit 2004 lehnt es die Bundesregierung auch ab, den Ansprüchen der Vertriebenen auf Entschädigung die formale Unterstützung der Bundesregierung zu gewähren. In der Frage eines "Zentrums gegen Vertreibung" einigte sich die CDU/CSU-SPD-Bundesregierung auf einen Kompromiss unter der Parole "eines sichtbaren Zeichens" und 2008 auf die Gründung der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung".

Deutschland förderte aktiv die Integration der Tschechischen Republik in die europäischen Strukturen. Dessen instabiles Parteiensystem und die häufig wechselnden Regierungen erschwerten allerdings die Zusammenarbeit. Tschechien wurde 1999 in die NATO und 2004 in die EU aufgenommen. Diese multilaterale Einbindung stärkte die Position der Tschechischen Republik im Verhältnis zu Deutschland, das seit den 1990er Jahren zum wichtigsten Wirtschaftspartner aufgestiegen war. 2007 trat die ČR der Schengen-Zone bei. In den Jahren 2005 bis 2007 wurde eine tschechische Einheit unter deutschem Befehl in Afghanistan eingesetzt.

Während seines Staatsbesuchs im Mai 2000 hielt Präsident Václav Havel an der Universität Regensburg eine Rede, die er als Impuls für engere Beziehungen zu Deutschland und Bayern gedacht hatte, die jedoch nicht die gewünschte Resonanz fand. Die fragilen Beziehungen erhielten einen Rückschlag, als die Europa-Abgeordneten der CSU 2003 gegen die Aufnahme Tschechiens in die EU stimmten. Wegen dieses Verhaltens lehnte Petr Pithart (geb. 1941), Vorsitzender des tschechischen Senats, im Mai 2004 die Europa-Medaille ab, die ihm die bayerische Regierung verleihen wollte. Dennoch war mit der Aufnahme Tschechiens der Konflikt um die Beneš-Dekrete im Grunde überholt. Nach dem Regierungswechsel in Berlin 2005 forderte auch Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU, geb. 1941, Ministerpräsident 1993-2007) 2006 nicht mehr die Aufhebung, sondern nur noch einen Dialog über die Beneš-Dekrete. Positiv bewertet wurden von bayerischer Seite etwa die Gründung des Aussiger Collegium Bohemicum, das die Geschichte und Kultur der Deutschen in den böhmischen Ländern dokumentieren soll, die Geste der Regierung Jiří Paroubek (geb. 1952) gegenüber den sudetendeutschen Antifaschisten und die entsprechende Wanderausstellung (2009 in München unter dem Titel "Vergessene Helden") oder den Besuch tschechischer Senatoren im Sudetendeutschen Haus in München. Zu den kulturellen Ereignissen gehörten die Gründung des Tschechischen Zentrums in München (1999), die Ausstellung "Bayern – Böhmen: 1500 Jahre Nachbarschaft" (2007) und ein Abkommen mit Bayern zur Zusammenarbeit der Hochschulen (2009). Jüngster Höhepunkt auf kultureller Ebene war die bayerisch-tschechische Landesausstellung 2016/17 mit ihren Ausstellungsorten Prag und Nürnberg.

Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU, geb. 1949, Ministerpräsident 2008-2018) leitete eine neue Phase in den Beziehungen zwischen Bayern und Tschechien ein. Dabei wurde er vom neuen Sprecher der SL Bernd Posselt (CSU, geb. 1956) unterstützt, der ihn auch bei seinen Besuchen in Tschechien seit Dezember 2010 begleitete. Auf die Forderung der SL nach einer tschechischen Entschuldigung für das angetane Leid reagierte Seehofer mit den Worten, dass für die Schaffung nachbarschaftlicher Beziehungen "nichts wertvoller als der Dialog" sei (Juni 2011). Bei seinem Besuch im November 2011 verneigte sich Seehofer vor den Opfern des NS-Terrors in Lidice und Theresienstadt ebenso wie vor den deutschen Opfern des Massakers in Aussig. Beide Seiten unterstützten die Verbesserung der Verkehrsverbindungen zwischen Bayern und Böhmen. Bayern bleibt mit knapp 30 % (2015) der wichtigste Wirtschaftspartner Tschechiens in Deutschland. Zahlreiche Partnerschaften verbinden bayerische und tschechische Städte, Gemeinden und Hochschulen. 2013 sprach der tschechische Premier im Bayerischen Landtag und drückte auch sein Bedauern über das Leid aus, das die Sudetendeutschen durch die Vertreibung erlitten hatten. 2014 eröffnete Bayern eine eigene Repräsentanz in Prag, die Seehofer als "Symbol für eine gewachsene Freundschaft zwischen Bayern und Tschechien" feierte. Zur positiven Routine wurden die regelmäßigen Besuche Seehofers in Tschechien ebenso wie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Euroregionen. Entspannend wirkte auch die Entscheidung der SL, aus ihren Statuten das Recht zur Rückkehr in die alte Heimat und die Forderung nach der Rückgabe des konfiszierten Eigentums zu streichen.

Allerdings stieß bald darauf die deutsche Flüchtlingspolitik und Forderung nach einer Beteiligung auch Tschechiens an der Aufnahme von Flüchtlingen bei fast allen tschechischen Parteien auf mehr oder weniger scharfe Reaktionen. Noch vor dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise hatten Berlin und Prag einen "strategischen Dialog" mit dem Ziel vereinbart, möglichst in allen Bereichen die Zusammenarbeit zu intensivieren, was auch zu einer Reihe von Treffen, Absprachen und Vereinbarungen zwischen Prag und München führte.

Literatur

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Quellen

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Weiterführende Recherche

Externe Links

Verwandte Artikel

bayerisch-tschechoslowakische Beziehung, Verhältnis zur Tschechoslowakei, Tschechische Republik, ČSSR, Böhmen, Tschechische Republik, Tschechien, Bayern-Tschechien

Empfohlene Zitierweise

Detlef Brandes, Beziehungen zu Tschechien (20. Jahrhundert), publiziert am 04.06.2018; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Beziehungen_zu_Tschechien_(20._Jahrhundert) (20.04.2024)