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Augsburg, Reichsstadt: Politische und soziale Entwicklung

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Wappen der Reichsstadt Augsburg mit Zirbelnuss und den Stadtfarben Weiß, Rot und Grün. Abb. aus: Wappen der zu Regensburg zur Reichsversammlung 1594 anwesenden Fürsten, [Regensburg] 1594, fol. 47r. (Bayerische Staatsbibliothek, Cod.icon. 326)
Das erste Augsburger Stadtrecht vom 21. Juni 1156. (Staatsarchiv Augsburg, Hochstift Augsburg Urkunden 1156 VI 21)

von Christof Paulus

Die Wurzeln der Reichsstadt Augsburg lagen im Hohen Mittelalter des 12. und 13. Jahrhunderts. Augsburg durchlief einen verfassungsgeschichtlichen Entwicklungsprozess, der mit den stadtgeschichtlichen Typen Bischofsstadt – Königsstadt – Reichsstadt annähernd zu umschreiben ist. Die Übergänge waren hierbei fließend und in ein kompliziertes inner- wie außerstädtisches Machtgeflecht eingebunden. Als zeitweilig eine der größten Städte des Reiches, markiert der Dreißigjährige Krieg eine Zäsur innerhalb der Stadtgeschichte, die sich nicht zuletzt in einer (mehr als) Halbierung der Einwohnerzahl abzeichnete. Das Jahr 1648 brachte eine reichsrechtliche Besonderheit: Augsburg war bis zum Ende des Alten Reichs eine paritätische Reichsstadt, deren komplexes Ämterwesen nun konfessionell mit je einem evangelischen und einem katholischen Amtsträger besetzt war. Die Mediatisierung am 4. März 1806 bedeutete das Ende der reichsstädtischen Entwicklung. Augsburg fiel damit an das Königreich Bayern.    

Reichsstädtische Entwicklungslinien

Faksimilierte Seite aus dem Augsburger Stadtrecht von 1276. Abb. aus: Christian Meyer, Das Stadtbuch von Augsburg, Augsburg 1872, 365. (Bayerische Staatsbibliothek, Bavar. 2520 e)
Der älteste Stadtplan von Augsburg wurde 1521 von Georg Seld (c. 1441-1526/27) geschaffen. Abb. aus: Steinhäusser, Augsburg in kunstgeschichtlicher, baulicher und hygienischer Beziehung, Augsburg 1902. (Universitätsbibliothek Augsburg 221/NS 2565 S822)

Augsburg ist eine der ältesten Städte Deutschlands und erlebte eine erste historische Blüte in der römischen Kaiserzeit (1. Jahrhundert v. Chr.-3. Jahrhundert n. Chr.). Der auf einer Hochterrasse von Lech und Wertach gelegene Ort stieg zur Hauptstadt der Provinz Raetia Secunda auf. Aufgrund archäologischer Funde ist eine Siedlungskontinuität zwischen Spätantike und Frühmittelalter gesichert. Im Laufe des Mittelalters konnte die Stadt ihre Bedeutung nicht zuletzt für die Zentralgewalt nahezu kontinuierlich erweitern. Die Erlangung der Reichsunmittelbarkeit in Augsburg war ein jahrhundertelanger, von mehreren Faktoren und Akteuren bestimmter Entwicklungsprozess. Die ottonisch-salische Stadt stand unter der Herrschaft des Bischofs, doch erhöhte der König nicht zuletzt auch durch seine Gegenwart im Hochmittelalter den Einfluss der Zentralgewalt auf die Stadt. 1156 erließ Friedrich I. Barbarossa (reg. 1152–1190, Kaiser ab 1155) ein Stadtrechtsprivileg, das auf ein älteres Weistum von 1104 rekurriert und durch Festschreibung der Rechte von Bischof, Burggraf und Hochstiftsvogt wesentliche Spielräume für die weitere Entwicklung der Bürgerschaft öffnete. Indem Barbarossa 1176 die Hochstiftsvogtei an sich zog, beschnitt er die Rechte des Bischofs empfindlich. 1237 ist das erste Bürgersiegel belegt. Im Laufe des 13. Jahrhunderts gelang es den Bürgern, einige Rechte vom Bischof zu lösen (etwa Besteuerungsrecht, Wehrhoheit, Ungeld, Zoll, Judenschutz). Nachdem die Stadt bereits 1231 zur Reichssteuer herangezogen und als "urbs regia" bezeichnet worden war, bahnten die königlichen Privilegien Rudolfs von Habsburg (reg. 1273–1291) von 1276 (Stadtbuch) und Adolfs von Nassau (reg. 1292–1298) von 1294 durch das gewährte Satzungsrecht wie das "ius de non evocando" (Bürger durften nur vor die stadtvögtliche Gerichtsbarkeit gezogen werden) den Weg zur städtischen Autonomie. Während dieser Zeit schob sich der Rat als entscheidendes Organ immer mehr nach vorne. 1316 bestimmte König Ludwig IV. der Bayer (reg. 1314–1347, Kaiser ab 1328) die Unveräußerlichkeit der Stadt vom Reich (bestätigt 1358). Das durch Sigismund (reg. 1411–1437, Kaiser ab 1433) verliehene Privileg zur Wahl des Stadtvogts 1426 brachte den Prozess der Immediatisierung Augsburgs zu einem Abschluss.

Trotz bischöflicher Versuche vor allem im 15. Jahrhundert, das Stadtregiment an sich zu ziehen, blieb die Reichsunmittelbarkeit bestehen, die Herrschaft des Bischofs beschränkte sich weitgehend auf einen Bereich um den Dom. Bei unterschiedlicher Präsenz des Reichsoberhauptes in der Stadt manifestierte sich der immediate Status in finanzieller (Münzprägung, aber auch Steuern, Matrikularbeiträge) und gerichtlicher Hinsicht (Anrufung der Zentralgewalt bei nicht wenigen äußeren Bedrohungen im Laufe der Geschichte, so etwa bei der spätmittelalterlichen Auseinandersetzung mit den nahen wittelsbachischen Territorien) sowie im Bereich der Verwaltung und Vertretung des Gemeinwesens. Die Reichsteilhabe zeigte sich in der Reichsstandschaft, die sich nach Teilnahme auf Städtetagen 1489 in einem eigenen reichsstädtischen Kollegium niederschlug. Ab 1547 nur mit dem Beratungsrecht ausgestattet, hatten die Reichsstädte und damit auch die Reichsstadt Augsburg aber erst ab dem Westfälischen Frieden 1648 Möglichkeiten, in die Entscheidungsprozesse des Reiches einzugreifen. Die Stadtherrschaft des Königs brachte auf der anderen Seite nicht wenige Einflussnahmen der Zentralgewalt in das Verfassungsgefüge der Stadt mit sich. Am wirkmächtigsten zum Ausdruck kam dies 1548 durch die "Karolinische Regimentsordnung", bei der Kaiser Karl V. (reg. 1519–1556, Kaiser ab 1530) der Reichsstadt eine neue Verfassung dekretierte, was unter patrizischen wie katholischen Vorzeichen erfolgte und die Eingriffsmöglichkeiten der Zentralgewalt stärkte (Revisionen bzw. Ergänzungen 1719 und 1740). Das "königliche Element" zeigte sich aber auch bei innerstädtischen Konflikten, die durch entsprechende Kommissionen untersucht wurden. Durch die Mediatisierung kam Augsburg am 4. März 1806 an Bayern und verlor damit seine Eigenschaft als Reichsstadt.          

Bevölkerungszahlen

Wie in vielen Städten sind quellenbedingt nur Annäherungswerte an die vormoderne Demographie möglich. So schwanken die Schätzungen für die Blütezeit des reichsstädtischen Augsburgs um 1500 zwischen 30.000 und 50.000 Bewohnern. Erst ab dem späteren 16. Jahrhundert sind weitgehend verlässliche Aussagen möglich, da die bis Mitte des 18. Jahrhunderts erhaltenen "Bevölkerungsverzeichnisse" einsetzen und auf Basis der Geburten, Sterbefälle und Hochzeiten eine weitgehend gesicherte Basis liefern. Eine wichtige Ergänzung erfahren die Register durch den Bestand der Steuerbücher. Angenommen wird zumeist, dass Augsburg um 1500 ca. 30.000 Einwohner zählte und die Bevölkerungszahl bis zum Dreißigjährigen Krieg um weitere 10.000 stieg. Eine große demographische Zäsur ist in den Wirren der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu setzen. Nach einer großen Pestepidemie mit ca. 9000 Toten (1628) ergab eine Volkszählung 1635 eine Einwohnerzahl von 16.432 (davon 12.017 protestantisch und 4415 katholisch). Zeitgenossen schätzten die Einwohnerzahl Augsburgs zu Ende des Alten Reichs auf 34.000–38.000. Der Anteil der Konfession verschob sich im Laufe der folgenden eineinhalb Jahrhunderte, und so ergab eine Zählung von 1809 11.534 Protestanten, 16.944 Katholiken und 634 Juden.         

Stadt der Hof- und Reichstage

Verlesung und Übergabe der Augsburger Konfession in der Bischöflichen Pfalz auf dem Augsburger Reichstag im Jahre 1530. Stich von Melchior Küsel (1626-1683) aus dem Jahre 1656 im Augspurgischen Friedens-Gedächtnis des Johann Michael Roth (1691-1769), entstanden ca. 1677. (Universitätsbibliothek Erlangen, H62/4 SLG.RICKLEFS F 2, fol. 7v)

Die Bedeutung Augsburgs für die Zentralgewalt ab der Zeit Karls des Großen (reg. 768–814, Kaiser ab 800) zeigt sich in insgesamt 109 Königsaufenthalten von 787 bis 1267, wobei zahlreiche dieser Aufenthalte als Hoftage zu kategorisieren sind. Jene Bedeutung resultierte neben einer vorhandenen Infrastruktur auch in der strategisch bedeutsamen Lage, nicht zuletzt als Sammlungsplatz für Italienzüge. Zum Jahr 1235 wurde Augsburg in einer italienischen Quelle (Rolandinus von Padua, gest. 1276) als eigentliche Stadt des Kaisers in "Deutschland" bezeichnet ("civitas scilicet imperatoris in Alemannia et semper imperii propria mansio"). Ob die Präsenz der Zentralgewalt im Früh- und Hochmittelalter auch einen größeren baulichen Niederschlag innerhalb der Stadt zeitigte (als Königspfalz), ist umstritten und insgesamt eher unwahrscheinlich.

Ihren Höhepunkt erreichte die Präsenz des Königs und des Reiches im 15. und besonders im 16. Jahrhundert, korrelierend mit der wirtschaftlichen Blüte der Reichsstadt. Maximilian I.(reg. 1486/1493–1519, Kaiser ab 1508) steigerte die schon bei seinem Vater Friedrich III. (reg. 1440–1493, Kaiser ab 1452) sich abzeichnende königliche Bezugnahme und besaß ein eigenes Haus in der Reichsstadt. 12 Reichstage des 16. Jahrhunderts wurden in Augsburg gehalten, darunter die besonders geschichtsmächtigen von 1518 mit dem Verhör Martin Luthers (1483–1546), 1530 ("Confessio Augustana"), 1548 ("Geharnischter Reichstag") und 1555 ("Augsburger Religionsfrieden"), die Augsburg in die erste Riege der bedeutendsten Reformationsorte einreihen. Nach den erfolgreichen "Gemeindereformationen" (Rolf Kießling) sah sich schließlich auch der lange zögernde Augsburger Rat 1534 veranlasst, die Religionshoheit an sich zu ziehen, und verbot 1537 sogar den katholischen Ritus.

1582 endete die Reichstagsgeschichte in der Lechstadt. Die Gründe, weswegen sich die "Schritte" der (institutionalisierten) Reichsgeschichte zunehmend von Augsburg wegbewegten, sind multikausal, liegen aber nicht zuletzt in der Bindung des Reichstags ab 1594 an Regensburg. Eingebettet zwischen den habsburgischen Machtbereichen im Westen und den wittelsbachischen im Osten, führte die geostrategische Lage Augsburgs zu einer politischen Ambivalenz, die es mied, sich größeren Bündnissen anzuschließen (oder dies dann erst spät vollzog). Diese Haltung war wohl in noch höherem Maße ein Grundzug reichsstädtischer Politik als bei vergleichbaren Gemeinwesen.     

Die paritätische Stadt   

Evangelisches St. Anna-Gymnasium. Kupferstich nach einer Zeichnung von Jakob Christoph Weyermann (1699-1757). (bavarikon) (Bayerischer Staatsbibliothek, Bildarchiv port-000533)
Katholisches St-Salvator-Gymnasium, das 1582 von Jesuiten gegründet wurde. Kupferstich nach einer Zeichnung von Simon Grimm (1636-1684), 17. Jh. (bavarikon) (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv port-000797)

Von aufgeklärten Zeitgenossen im 18. Jahrhundert verspottet wurde die reichsrechtliche Besonderheit der Parität, die Augsburg mit Biberach, Ravensburg (beide Baden-Württemberg) und Dinkelsbühl (Lkr. Ansbach) gemeinsam hatte. Diese konfessionelle Gleichberechtigung in religiöser sowie politischer Hinsicht und unbeachtet der demographischen Mehrheitsverhältnisse war im Augsburger Religionsfrieden von 1555 angelegt und wurde durch den Westfälischen Frieden 1648 festgeschrieben. Konkret besetzten je ein evangelischer und ein katholischer Vertreter die städtischen Ämter. Dies galt im Spitals- und Stiftungswesen, aber etwa auch bei der Zensur der reichen Augsburger Druckerzeugnisse; auch die Sitzverteilung im maßgeblichen Kleinen Rat war festgelegt. Die Parität schützte die konfessionelle Minderheit, zunächst die Katholiken, ab der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Protestanten.

Im "Kalenderstreit" von 1582 kam es zu einem heftigen konfessionellen Aufeinandertreffen. Der von Papst Gregor XIII. (reg. 1572-1585) verbesserte, da an den Sonnenstand angeglichene Kalender stieß auf massive Ablehnung von Teilen der Protestanten, die dem katholischen Oberhaupt nicht die "Herrschaft über die Zeit" einräumen wollten. Nach dem Streit waren fast keine nennenswerten Konflikte mehr zu verzeichnen. Dennoch lief zwischen den Konfessionen eine "unsichtbare Grenze" (Étienne François), die sich in Vornamengebung, Heiratsverhalten, Trachten oder Fassadengestaltung spiegelte.                  

Nicht zuletzt prägte sich die Parität auch im Schulwesen der Reichsstadt wirkmächtig aus: Das 1531 bzw. 1582 gegründete Gymnasium bei St. Anna bzw. von St. Salvator monopolisierte in hohem Maße die Ausbildung des evangelischen bzw. katholischen Nachwuchses. Daneben konnten von den auf das Mittelalter zurückgehenden Pfarrschulen nur noch die Domschule und die Lateinschule bei St. Moritz bis ins 18. Jahrhundert ihr Bestehen bewahren.                 

Soziale Schichtung, ständische Gliederung und Sozialtopographie

Idealisierte Darstellung des spätmittelalterlichen Marktgeschehen auf dem Augsburger Perlachplatz. Gemälde (Öl auf Leinwand) von Heinrich Vogtherr d. J. (1513-1568), entstanden um 1540. (Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Inv. Nr. 9330)

In den Quellen gibt es insgesamt keine terminologische Einheitlichkeit bezüglich der sozialen Schichtung. Deshalb sind Klassifizierungsversuche auch stets methodisch zu hinterfragen. Grundsätzlich lässt sich die Bürgerschaft der frühneuzeitlichen Reichsstadt gliedern in Geschlechter – Mehrer (nichtpatrizische Mitglieder der Herrenstube) – Kaufleute – Gemeinde. Im 18. Jahrhundert ist in Augsburg und andernorts ein mentalitätsgeschichtlicher Wandel zu verzeichnen, der neben rechtlichen Aspekten auch etwa den Bildungsgrad zur Kategorisierung einbrachte. Dies gilt auch für die Künstler, die sich in der Wahrnehmung des ausgehenden Alten Reiches teilweise als neuer Stand zwischen Gemeinde und Kaufleute schoben. Bei der untersten Schicht sind Bürger (die dem Stadtrecht unterworfen waren und vom Gemeinwesen unterstützt wurden) und auswärtige Randständige zu unterscheiden. Auch Versuchen der Einteilung in Unterschicht und Oberschicht (mit jeweiligen Unterteilungen) haftet aufgrund der an die jeweils angesetzten Vermögensverhältnisse angebundenen Einteilung ein gewisser Grad an Willkür an. Bei einem Anschlagvermögen bis zu 99 fl. gehörten im 15. Jahrhundert stets über drei Viertel der Bürger der so definierten Unterschicht an, während sich 1492 gut 80 % des Gesamtvermögens in Händen von 5 % der Bürger ballten. Um 1610 waren knapp 40 % als vollkommen mittellos und 7,5 % als reich bzw. "steinreich" anzusprechen. Ab dem 17. Jahrhundert zeichnet sich in den Quellen auch deutlich eine Sozialtopographie ab: Das Vermögen sammelte sich in der Oberstadt; Lechviertel und Jakobervorstadt waren mit Ausnahmen eher ärmlich strukturiert.

Eng mit der sozialen Entwicklung verbunden war die hier nur zu skizzierende Wirtschaftsgeschichte. Augsburg als eine seit dem Spätmittelalter in die Strukturen des Lokal- wie Fernhandels eingebundene und diesen auch mitbestimmende Reichsstadt war deshalb massiv den Auswirkungen der gewerblichen Situation unterworfen. Die Blütezeit des Augsburger Handels ab 1500 bedingte ein Bevölkerungswachstum, das erst im 19. Jahrhundert wieder erreicht wurde. Allerdings klaffte die soziale Schere schon damals gewaltig, was nicht zuletzt an der Dominanz des empfindlichen Textilgewerbes lag. Dieses hatte sich ab dem 16. Jahrhundert mitteldeutscher, aber auch englischer und niederländischer Konkurrenz zu erwehren. Insgesamt markiert auch hier der Dreißigjährige Krieg eine Zäsur. Die Bevölkerung ging um etwa 60 % zurück, die Zahl der Weber sogar um vier Fünftel. Nach 1648 setzte erneut ein ökonomischer Aufschwung ein, der nicht zuletzt an Textilwesen, Kunstgewerbe und Goldschmiedearbeiten gebunden war. 1738 zählte die Reichsstadt etwa 275 Goldschmiedemeister, deren Erzeugnisse europäischen Rang hatten und an die großen Fürstenhöfe der Zeit geliefert wurden. Das Kunstgewerbe konnte sich während des 17. und 18. Jahrhunderts ebenfalls einen guten Ruf erarbeiten, so dass etwa im späten 18. Jahrhundert Zeitgenossen zur Kennzeichnung einer Rokokostilrichtung vom "Augsburger Geschmack" sprachen.

Patriziat

Abraham Schelhas, 1591: Geschlechtertanz in Augsburg. Abb aus: Das Land Bayern. Seine kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung für das Reich, München 1927, S. 344. (Bayerische Staatsbibliothek, 2 Bavar. 1621)

Der Begriff Patriziat zur Umschreibung einer politisch-sozialen städtischen Führungsschicht ist ein moderner Verständigungsbegriff. Im Hoch- und Spätmittelalter als "viri potiores", "herren", "burger des rats" oder allgemein mit "Geschlechter" bezeichnet, ist für Augsburg der Terminus "Patrizier" ab dem 16. Jahrhundert nachzuweisen. Nach Anfängen in der stauferzeitlichen Ministerialität schiebt sich ab dem 13. Jahrhundert verstärkt die wirtschaftliche Komponente in den Vordergrund. Diese Gruppe wuchs im Folgejahrhundert nicht zuletzt durch Zuzug, ehe eine Ratsatzung von 1383 das "offene System" zu einem Geburtsstand abschloss. Trotz Heiraten und seltenen Neuaufnahmen reduzierte sich das Patriziat auf wenige Familien. 1538 erfolgte deshalb eine Aufnahme von 38 weiteren Familien – berühmtestes Beispiel waren die Fugger. Nach dem gewonnenen Schmalkaldischen Krieg (1546-1547) stärkte Kaiser Karl V. die Macht des Patriziats, was auf der anderen Seite aber auch dessen zahlenmäßige Ausweitung durch Mandate der Zentralgewalt bedeutete. Zuletzt erfolgte eine Aufnahme im Jahr 1802.

Zunftwesen und politischer Anspruch

Amtsstube aus dem Zunfthaus der Weber in Augsburg: ausgemalt 1457 von Peter Kaltenhoff, instand gesetzt 1538 von Jörg Breu d. J. (ca. 1510-1547) und 1601 von Johann Herzog. 1864 vom Bayerischen Nationalmuseum erworben. (Bayerisches Nationalmuseum, Inv.Nr. MA 856-860)
Zunfthaus der Augsburger Weber, Neubau des 1913 abgerissenen historischen Gebäudes vor seiner Zerstörung 1944. Foto 1933/39. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-69359)

Die Zünfte als gewerbliche und um Teilhabe am Stadtregiment kämpfende Genossenschaften profilierten sich besonders durch die Zunfterhebung 1368. Sind zuvor handwerkliche Kooperationen mit gewisser innerer Organisation zu bemerken, forderten die über administrative und politische Erfahrungen verfügenden Wortführer der "Aufständischen" nun grundlegende Änderungen in der Steuerordnung wie der Stadtverfassung. Der "Zweite Zunftbrief" (16.12.1368) fixierte die Verteilung der Ratssitze wie städtischen Ämter zwischen Patriziat und den 18 (ab 1397: 17) Zünften. Diese auf Kompromiss angelegte Mischverfassung hatte bis 1548 Bestand. Bei den Zünften verschränkten sich nach innen wie außen zielende, zum Teil hochkomplexe Strukturen. Die durch Wahl ihrer Vollmitglieder gesetzten Zunftzwölfer und Zunftmeister vertraten die Genossenschaft im Rat und Gericht, trafen aber auch bei den zahlreichen sozialen, gewerblichen, gerichtlichen oder administrativen Aufgaben die Entscheidungen. Zunftzugehörigkeit war bei aufstrebenden Familien eine Möglichkeit, politisch Einfluss auf das Gemeinwesen auszuüben.

Der Zunftzwang durch Bürgerrecht und selbständiges Gewerbe (später nur mehr eigenes versteuertes Kapital) war ein innerstädtischer Kontrollmechanismus und führte zur Binnenstrukturierung der Reichsstadt. Diese kam ab dem Spätmittelalter auch baulich zum Ausdruck, da die wirtschaftlich mächtigen Zünfte Domizile ihrer Kooperation errichteten, die neben die patrizischen Wohnsitze traten. Das 1389 gekaufte Weberhaus der in der Summe die Stadtgeschichte prägendsten Zunft zeigte durch die Lage bei St. Moritz und in unmittelbarer Nähe des Rathauses die genossenschaftlichen Ansprüche auf. Die beiden reichsten Augsburger Zünfte – die im Fernhandel tätigen Kaufleute (etwa Gossembrot, Welser, Hörbrot, Hoechstetter) und die Salzfertiger, welche den Handel mit Salz vor allem aus Hallein (Österreich) und Reichenhall(Bad Reichenhall, Lkr. Berchtesgadener Land) organisierten – strukturierten sich in der Herren- und Kaufleutestube und erwarben kein eigenes Zunftdomizil.

Armenfürsorge in der Vormoderne

Diese Zeichnung zeigt die Fuggerei in Augsburg aus der Vogelperspektive. Die von 1514 bis 1523 erbaute Fuggerei ist heutzutage die älteste bestehende Sozialsiedlung der Welt. Sie umfasst 67 Häusern mit 140 Wohnungen, eine Kirche und Verwaltungsgebäude. Die Jahresmiete beträgt 0,88 € und täglich drei Gebete für das Seelenheil des Stifters Jakob Fugger (1459-1525). Abb. aus: Augsburg, die Stadt der Fugger und Welser, München 1934, 71. (Bayerische Staatsbibliothek, 4 Bavar. 3230 n)

Wie die andere süddeutsche Großstadt der Vormoderne, Nürnberg, so sah sich auch Augsburg mit einem massiven Armutsproblem konfrontiert. Almosenabgaben spiegeln die sozialen Realitäten im Wandel: So wurden etwa zwischen 1625 und 1629 dafür rund 170 % mehr an Ausgaben aufgebracht als zu Beginn des Jahrhunderts. Die Organisation des Armenwesens diente der administrativen Durchdringung des Gemeinwesens, wenngleich die Hauptmotivation zweifellos im christlichen Gebot zur Nächstenliebe und dessen tätiger Bestätigung für das eigene Seelenheil bestand. Besaß im Hochmittelalter die Kirche das "Monopol" zur Armenpflege, rückte kontinuierlich die Stadt bzw. das Bürgertum mit einem breiten Stiftungswesen an deren Stelle. So überzog ein dichtes Netz von meist durch Pfleger verwalteten, oft im Spätmittelalter entstandenen Seel- (für arme verwitwete oder unverheiratete Frauen), Siechenhäusern und Spitälern die Stadt. Berühmteste und bis heute wirksame Einrichtung ist die ab 1516 errichtete und 1521 für arme, bedürftige Augsburger "Bürger und Einwohner" gestiftete Fuggerei mit insgesamt 52 Häusern zu je zwei Wohneinheiten – die älteste bestehende Sozialsiedlung weltweit.

Weitere Natural- und Geldabgaben wurden ab dem beginnenden 16. Jahrhundert zentral durch das Almosenamt gesteuert. Vermögen der in der Reformationszeit säkularisierten Konvente floss wohltätigen Zwecken zu. Die sechs Almosenherren und deren -knechte suchten das Bettelwesen in den Griff zu bekommen. 1541 wurden auswärtige Bettler aus der Stadt verbannt, nachdem ihnen zuvor noch eine Dreitagesfrist eingeräumt worden war. 1711 wurde das neue Armen- und Almosenamt installiert. Die Forschung stellt in der Regel der reichsstädtischen Armenfürsorge und ihren sozialdisziplinierenden Bemühungen kein besonders gutes Zeugnis aus, doch trug sie das Gemeinwesen über Jahrhunderte. Allerdings wurde von Zeitgenossen durchaus Kritik am zuweilen rigorosen Durchgreifen der städtischen Behörden geübt. In reichsstädtischer Wahrnehmung war die Armut zu Ende des Alten Reiches ein kaum mehr steuerbares Massenphänomen, wobei die Weberunruhen von 1784 und 1794 gewiss diese Einschätzung beeinflussten. Erst die von unterschiedlicher Seite erbrachten Antworten auf die "Soziale Frage" stellten im 19. Jahrhundert die Armenpflege auf eine neue Stufe.

Geschichtsschreibung als reichsstädtischer Spiegel - Historiographie als mentalitätsgeschichtliches Beispiel

Die Reichsstadt Augsburg verfügt über eine im Vergleich ausgesprochen reichhaltige und vielfältige Chronistik seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert. Das reichsstädtische Bewusstsein spiegelte sich nicht zuletzt bei umfangreichen Darstellungen zum "wirdig herkomen" der Stadt, bei der die Anfänge in biblischer oder mythologischer Zeit gesucht wurden und sich beim Benediktiner Sigismund Meisterlin (ca. 1435–n. 1492) auch mit frühhumanistischen Ansätzen verbanden. Die Geschichtsschreibung differenzierte sich nach Institutionen aus, denen die Schreiber angehörten. So griff etwa der Ratsherr Hektor Mülich (1418/1430–1489/1490) ebenso zur Feder wie der Kaufmann Burkhard Zink (1396–1474/1475), dem eines der frühesten "autobiographischen" Zeugnisse deutscher Sprache überhaupt gelang. Quellengeschichtlich bedeutsam ist die Edition der römischen Inschriften der Stadt (1505) durch Konrad Peutinger (1465–1547) sowie die Darstellung der Frühgeschichte (1594) durch Markus Welser (1558–1614), die ein humanistisch begründetes Interesse an der eigenen Stadtgeschichte zeigen. Spätere Geschichtswerke spiegeln dann nicht zuletzt auch die konfessionellen Auseinandersetzungen innerhalb der Reichsstadt.    

Reichsstädtisches Archiv und Quellenlage

Wichtige Bestände, darunter das "Geheime Archiv" mit der Urkundenüberlieferung ab dem Mittelalter, wurden in Schränken des Rathauses gelagert, während andere Bestände in verschiedenen Räumlichkeiten aufbewahrt wurden. Die dezidiert "reichsstädtische" Überlieferung - heute Stadtarchiv Augsburg - setzt um 1280 ein (etwa Stadtbuch 1276, Missivbücher 1280, Bürgerbuch 1288, ungebundene Akten 1290). Ab dem 14. Jahrhundert lässt sich auch zunehmend ein Registraturwesen der Ämter fassen. Insgesamt hat die kommunale Überlieferung Augsburgs als eine der bedeutendsten in Deutschland zu gelten, da Bestände in nicht selten geschlossener Folge seit dem Spätmittelalter überliefert sind, z. B. Strafbücher (ab 1273), Baumeisterrechnungen (ab 1320), Steuerrechnungen (ab 1346), Ratsprotokolle (ab 1392), Einnehmerbücher (ab 1462), Stadtgerichtsbücher (ab 1480), Ehegerichtsbücher (ab 1518) oder Bürgeraufnahmeakten (ab 1548). Zum Teil haben sich auch noch Reste der ehemaligen reichsstädtischen Archivschränke erhalten. Das reiche Material ist in der Summe nur punktuell und für gewisse zeitliche Schwerpunkte (z. B. um 1500, 18. Jahrhundert) intensiver erschlossen. Neben den erwähnten Beständen des Stadtarchivs sind vor allem noch Quellen des Staatsarchivs Augsburg, wo besonders die Überlieferung der geistlichen Institute zu nennen ist, sowie die Handschriften in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg von herausragender Bedeutung. 

Literatur

Quellen

  • Michael Cramer-Fürtig (Hg.), Aus 650 Jahren. Ausgewählte Dokumente des Stadtarchivs Augsburg zur Geschichte der Reichsstadt Augsburg 1156-1806, Augsburg 2006.

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Christof Paulus, Augsburg, Reichsstadt: Politische und soziale Entwicklung, publiziert am 08.12.2017, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Augsburg,_Reichsstadt:_Politische_und_soziale_Entwicklung (19.04.2024)