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Geschichtsschreibung (Spätmittelalter)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

von Rolf Sprandel (†)

In der spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung gab es zwei Gattungen: Die Fortsetzungschronistik - ein Erbe des Früh- und Hochmittelalters - und spätmittelalterliche Neuschöpfungen. Wichtigste Träger waren nicht mehr die Klöster allein, sondern nun auch geistliche und weltliche Fürsten und ihre Höfe. Kennzeichnend für die wittelsbachische Hofchronistik ist die Chronik des Andreas von Regensburg, die zum Muster für bayerische Landeschroniken im 15. Jahrhundert wurde. Bedeutende Werke entstanden auch in Reichsstädten wie Nürnberg oder Augsburg. Am Ausgang des Spätmittelalters blühte allerdings auch wieder die Klostergeschichtsschreibung auf (früher Klosterhumanismus).

Historisch-politische Hintergründe

Anfang der gedruckten Chronik Hartmann Schedels aus dem "Liber chronicarum", Nürnberg 1493. (bavarikon) (Bayerische Staatsbibliothek, Rar. 287, fol. 1)

Die spätmittelalterliche Geschichtsschreibung im Raum des heutigen Staates Bayern wurde davon geprägt, dass ihre Träger in Altbayern, Franken und Schwaben staatlich, kirchlich und städtisch besonders vielfältig geformt waren. So wandelte sich das Stammesherzogtum Bayern in ein Territorialfürstentum, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Geschichtsschreibung. Auch die Verluste Bayerns bei der Ausbildung von Österreich und den Alpenländern mussten sich auf die Geschichtsschreibung auswirken. Die bayerischen und fränkischen Stammesgebiete standen sich bis in das 19. Jahrhundert hinein getrennt gegenüber. In Franken bildete sich in geistlichen und weltlichen Territorien, durch Reichsstädte (und in der Frühen Neuzeit Ritterkantone) eine sehr zersplitterte Staatlichkeit aus. Dieser Staatlichkeit entsprach eine vielfältige, aber ganz ungleiche Geschichtsschreibung in einigen Klöstern, Bischofskurien und Städten. Nürnberg ragte hervor. Ähnliches gilt für die kleineren Teile von Schwaben, die teilweise schon früher an Bayern kamen und in denen immerhin die Bischofs- und Reichsstadt Augsburg dem Nürnberger Beispiel folgte und einen eigenen bedeutenden Schwerpunkt für die Geschichtsschreibung bildete.

Gattungen

In der spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung existierten zwei Gattungen: Zum einen die Fortsetzungschronistik als früh- und hochmittelalterliches Erbe, zum anderen die spätmittelalterlichen Neuschöpfungen, deren Aufblühen durch die erste Zeit der großen Epidemien von der Mitte des 14. bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts unterbrochen oder verzögert wurde. Der wichtigste Träger der Chronistik des frühen und hohen Mittelalters waren die Klöster. Bei der spätmittelalterlichen Verlagerung der Chronistik auf geistliche und weltliche Fürsten wurden die Vogteiverhältnisse wichtig. Insbesondere weltliche Fürsten profitierten von der Chronistik jener Klöster, deren Vögte sie waren.

Klösterliche Fortsetzungschronistik

Für die Geschichtsschreibung im wittelsbachischen Territorium sind besonders die Klöster Scheyern (Lkr. Pfaffenhofen a. d. Ilm), Ebersberg, Tegernsee (Lkr. Miesbach) und Benediktbeuern (Lkr. Bad Tölz-Wolfratshausen) erwähnenswert. Letzeres brachte Äbte-Gesta, eine der typischen Formen der klösterlichen Geschichtsschreibung, hervor (Sprandel, Festschrift Jürgen Petersohn, 368-383). Eine frühe Erweiterung war das an der Donau gelegene Kloster Niederaltaich, dessen Vogtei die Wittelsbacher in einer Art feindlicher Übernahme von den Grafen von Bogen erhielten. Die Wittelsbacher profitierten von einer Ausformung der Klosterchronistik durch individuelle und vielseitige Chronisten. Abt Hermann von Niederaltaich (gest, 1275) verfasste die "Annales" - ein Werk über die allgemeine Reichs- und Kirchengeschichte und die bayerische Geschichte, das zu den wichtigsten Quellen des 13. Jahrhunderts zu rechnen ist. Es fand eine überaus große Verbreitung und entwickelte sich zum Vorbild für spätere Generationen von Geschichtsschreibern.

Im Übrigen lebte die Klosterchronistik im Schutze und Schatten von Bischofskirchen weiter. Sie stand in einem Wettbewerb mit der Chronistik an den Bischofskirchen. Eine gewisse Bischofschronistik gab es überall, auch als Gesta episcoporum (so zum Beispiel in Eichstätt). In einigen Fällen überragte die dem Bischof nahestehende Klosterchronistik die Bischofschronistik weithin. Dabei spielte die Nähe von Bischofsklöstern zu Reformbewegungen und deren Einfluss auf die Chronistik eine Rolle. Als Beispiele sei auf Michelsberg in Bamberg und Prüfening bei Regensburg verwiesen, dessen Bibliothekar Wolfger (gest. nach 1173) mit Michelsberg in besonderer Verbindung stand.

Neuschöpfungen des Spätmittelalters

Bei der Geschichtsschreibung ist der Einbruch der Epidemien 1348 so tiefgreifend, dass vorhergehende Veränderungen demgegenüber verblassen. An der südlichen Grenze Bayerns, im Kloster Marienberg im Vinschgau, schrieb ein Klosterchronist: "Alle starben außer dem Abt, zwei Brüdern und dem Berichterstatter". So hing die durchgehende Berichterstattung gewissermaßen am "seidenen Faden". 1347-1517 wurden wenigstens an 110 Orten in Deutschland Chroniken geschrieben, 1348-1350 waren es nur 16 Orte. Anschließend kam es zu einem Aufschwung. Der Nürnberger Ulman Stromer (1329-1407) griff am Ende des 14. Jahrhunderts mit Einzelnachrichten bis auf 1349 zurück.

Reichsstädte Augsburg, Nürnberg, Regensburg

Sigismund Meisterlin, Augsburger Chronik, Augsburg 1479-1481. (Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 213)

Unter den neuen Chroniken ragen die Chroniken der Reichsstädte Nürnberg, Regensburg und Augsburg hervor. Sicherlich fehlen ihnen kirchliche Einbindungen oder religiös-reformerische Einflüsse durchaus nicht. Dabei begegnet man Berufschronisten wie Sigismund Meisterlin (um 1435-nach 1479), der zuerst für Augsburger Klöster und dann für Nürnberger Patrizier Chroniken schrieb, in denen er besonders kirchliche Einbindung mit reichsstädtischem Interesse und humanistischen Einflüssen verband. Auch der Klosterhumanist Johannes Trithemius (1462-1516) schrieb am Ende einer langen Laufbahn als Chronist außerhalb unserer Gebiete eine Klosterchronik für das Würzburger Schottenkloster.

Aber es gab auch ausgesprochen laikale Chronisten. Das herausragende Beispiel ist wohl Hartmann Schedel (1440-1514) - ein Nürnberger Arzt und Humanist, der an die chronikalische Tradition anknüpfte und aus der früheren Papst-Kaisergeschichte mit vielen neuen, humanistischen Elementen eine Weltgeschichte machte. Die laikalen städtischen Chroniken haben zwei Anknüpfungspunkte nahe dem Rathaus in einem quasi paraliterarischen Bereich: zum einen die Rechenschaftsberichte - so verfasste in Nürnberg der Bierbrauer Heinrich Deichsler (1430-1506/07) eine Art chronikalisierten Rechenschaftsbericht als Bettlervogt der Stadt -, zum anderen die heroldsartige Darstellung zum Ruhme der Stadt oder einiger Geschlechter in ihr. Einen Sonderfall stellt Augsburg mit seiner "Sodalitas literaria Augustana" dar, in der gebildete Laien sich um die Sammlung von Geschichtsquellen kümmerten.

Wittelsbachische Herzogshöfe

Auszug aus Andreas von Regensburgs Werk „Chronik von den Fürsten zu Bayern“ aus dem 15. Jahrhundert. (Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 94, fol. 16v-17r)

Außerhalb oder am Rande der Städte gab es die wittelsbachischen Herzogshöfe, in denen sich über die Jahrzehnte des 14. und 15. Jahrhunderts geradezu ein System von Chroniken zum Ruhme der Herzöge ausbildete. Zuerst ist die Chronik "De gestis principum" (bis 1326) aus Fürstenfeld, einer wittelsbachischen Zisterziensergründung, zu erwähnen. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts war die (alt-)bayerische Geschichtsschreibung insgesamt stark von der Herrschaft Kaiser Ludwigs des Bayern (reg. 1314-1347, als Kaiser seit 1328) geprägt.

In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ragt die "Chronik der Fürsten von Baiern" heraus, die der Augustinerchorherr Andreas von Regensburg (um 1380-nach 1442) verfasste. Sie stellt die erste zusammenhängende bayerische Landesgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart dar und entwickelte sich zum Vorbild für die bayerischen Historiographen des 15. Jahrhunderts. Andreas arbeitete im Auftrag der Landshuter Wittelsbacher. Überhaupt trugen die Teilungen Bayerns zur Verbreiterung dieses Systems dynastischer Chronistik bei. Andreas' Fortsetzer ist in Landshut der weltliche Hofadelige Ebran von Wildenberg (gest. 1502), der das bisher lateinische Werk in Deutsch weiterführte. In München, wo man sich in Opposition zu Landshut befand, wurde diese Fürstengeschichte trotzdem durch Ulrich Fuetrer (um 1420-1496/1500) und Veit Arnpeck (1435/40-1495) rezipiert und als Grundlage der baierischen Geschichtsschreibung auch nach der Vereinigung von 1505 verstanden.

Aufschwung der Geschichtsschreibung nach 1400

Der rasche Aufschwung der Geschichtsschreibung nach 1400 profitierte von der Ausbreitung einer - nach der heutigen Terminologie - "nationalen" Gesinnung nicht nur in Ritter- und Bürgerkreisen, sondern auch unter Literaten, beispielsweise unter Chronisten. Diese Gesinnung korrespondierte mit regionalen Aspirationen. Sie führte auch zu heftigen Stellungnahmen bei innerdeutschen Konflikten. So schrieb der Abt des niederbayerischen Klosters Vornbach (Gde. Neuhaus a. Inn, Lkr. Passau) Angelus Rumpler (1460/62-1513) in seiner Chronik, als er eine Koalition deutscher Fürsten gegen Bayern im niederbayerischen Erbfolgekrieg aufmarschieren sah: "Tota pene Germania ad unius regionis perditionem animata est" (etwa "Ganz Deutschland will ein Gebiet/eine Region vernichten").

Ein weiteres Motiv für den Aufschwung war das Bedürfnis nach Neuigkeiten, das überall in Deutschland, so auch in Bayern, spürbar wurde. Ein Lübecker Dominikaner, Hermann Korner (ca.1365-ca.1438), war es, der am deutlichsten in seiner großen Stadt- und Weltgeschichte schrieb, er mache sein Werk für Zeitvertreib und Kurzweil der Laien. Dem entspricht Andreas von Regensburg, der seine Chronik beginnt, indem er die Höflinge am Hof in Straubing anspricht: "Lasset es eurem freien Adel zum Wolgefallen sein, daß ich in kurzweiligen Worten in geheimem Gespräch ein wenig mit euch plaudere".

Ende des 15. Jahrhunderts nahm schließlich auch die Klostergeschichtsschreibung nochmals einen Aufschwung, vor allem in den Stiften um Passau (etwa Angelus Rumpler von Vornbach mit seinem Hauptwerk "Gestarum in bavaria libri VI" oder Wolfgang Mayer von Aldersbach). Hier werden bereits die Anfänge des bayerischen Klosterhumanismus sichtbar.

Literatur

  • Franz Brendle (Hg.), Deutsche Landesgeschichtsschreibung im Zeichen des Humanismus (Contubernium 56), Stuttgart 2000.
  • Paul Gichtel, Die Weltchronik Heinrichs von München in der Runkelsteiner Handschrift des Heinz Sentlinger (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 28), München 1937.
  • Johanna Heike Mierau, Die Einheit des imperium romanum in den Papst-Kaiser-Chroniken des Spätmittelalters, in: Historische Zeitschrift 282 (2006), 281-312.
  • Michael Müller, Die Annalen und Chroniken im Herzogtum Bayern 1250-1314 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 77), München 1983.
  • Hans Patze (Hg.), Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen 31), Sigmaringen 1987.
  • Constance Proksch, Klosterreform und Geschichtsschreibung im Spätmittelalter (Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel im Mittelalter. Neue Folge 2), Köln 1994.
  • Franz Josef Schmale, Funktion und Formen mittelalterlicher Geschichtsschreibung. Eine Einführung, Darmstadt 2. Auflage 1993.
  • Alois Schmid, Das Bild des Bayernherzogs Arnulf in der deutschen Geschichtsschreibung von seinen Zeitgenossen bis zu Wilhelm Giesebrecht (Regensburger Historische Forschungen 5), Kallmünz 1976.
  • Karl Rudolf Schnith, Die Geschichtsschreibung unter den ersten Wittelsbachern (1180-1347), in: Hubert Glaser (Hg.), Die Zeit der frühen Herzöge. Von Otto I. zu Ludwig dem Bayern. Beiträge zur Bayerischen Geschichte und Kunst 1180-1350 (Wittelsbach und Bayern 1/1), München 1980, 359-368.
  • Rolf Sprandel, Chronisten als Zeitzeugen. Forschungen zur spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung in Deutschland (Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel im Mittelalter. Neue Folge 3), Köln 1994.
  • Rolf Sprandel, Die Chronik des Klosters Benediktbeuern von Antonius Funda (mit Teiledition), in: Matthias Thumser u. a. (Hg.), Studien zur Geschichte des Mittelalters. Jürgen Petersohn zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2000.
  • Rolf Sprandel (Hg.), Zweisprachige Geschichtsschreibung im spätmittelalterlichen Deutschland (Wissensliteratur im Mittelalter 14), Wiesbaden 1993.
  • Birgit Studt, "Kleine Formen" der spätmittelalterlichen Geschichtsüberlieferung. Zu Vermittlungsweisen und Verbreitungsmustern von Fürstengeschichten, in: Jaroslaw Wenta (Hg.), Die Geschichtsschreibung in Mitteleuropa. Projekte und Forschungsprobleme (Subsidia Historiographiaca 1), Torun 1999, 305-321.
  • Paul Uiblein, Studien zur Passauer Geschichtsschreibung des Mittelalters, in: Archiv für österreichische Geschichte 121 (1956), 93-180.

Quellen

  • Joachim Schneider, Heinrich Deichsler und die Nürnberger Chronistik des 15. Jahrhunderts (Wissenliteratur im Mittelalter 5), Wiesbaden 1991.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Historiographie

Empfohlene Zitierweise

Rolf Sprandel, Geschichtsschreibung (Spätmittelalter), publiziert am 08.08.2012; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Geschichtsschreibung_(Spätmittelalter) (10.12.2024)