Textilindustrie
Aus Historisches Lexikon Bayerns
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Bei der Textilindustrie handelt es sich um einen fabrikmäßig betriebenen Wirtschaftssektor, der verschiedenerlei Fasern zu Garnen verspinnt, diese dann durch Weben, Stricken, Wirken oder Filzen bzw. Vliestechnik zu textilen Flächen verarbeitet und veredelt. Die Veredelung, wie etwa das Färben, kann dabei auch früher innerhalb des Produktionsprozesses stattfinden. Sachlich ist die Textilindustrie grundsätzlich von der nachgelagerten Bekleidungsindustrie zu unterscheiden. Die Textilindustrie zählt zu den traditionsreichsten Industriezweigen in der bayerischen Geschichte. Wie in vielen anderen deutschen Landstrichen, so begegnet im heutigen Bayern während der Frühen Neuzeit eine reiche Gewerbelandschaft des im Verlag organisierten Textilhandwerks, das über Jahrhunderte überwiegend in Heimarbeit produzierte.
Protoindustrialisierung
Der historische Vorläufer der industriellen Textilherstellung findet sich im Gebiet des heutigen Bayern in dem teils landesherrlich merkantilistisch geförderten Manufakturwesen, das im Zeichen der Protoindustrialisierung Ende des 17. Jahrhunderts anhob und sich dann gegen Ende des 18. Jahrhunderts mit zahlreichen Neugründungen stark verdichtete. Die als großgewerbliche, zentralisierte und kapitalintensive Zusammenschlüsse entstandenen Manufakturen fußten in ihren Fertigungsschritten nach wie vor auf Handarbeit, nutzten ab einem gewissen Zeitpunkt gleichwohl teilmechanisierte Maschinen wie z. B. die "Spinning Jenny". Sie blieben zugleich eng mit einer vor- oder auch nachgelagerten, d. h. dezentral organisierten Heimarbeit verschränkt und setzten ihre Produkte, die nicht selten für den Export bestimmt waren, entweder eigenständig oder über das noch weit verbreitete Verlagssystem ab. In dem für die frühneuzeitliche Wirtschaft typischen Verlagssystem führte ein Verleger die in Heimarbeit hergestellten Produkte bei sich zusammen, um sie dann zu vermarkten respektive zu vertreiben. Nicht selten stellten die Verleger Rohstoffe und selbst Webstühle zur Verfügung, und bisweilen beglichen sie den Lohn für die Heimarbeit in Naturalien.
Textile Manufakturen entstanden in der Regel in Orten oder Regionen, die bereits lange textile Gewerbetraditionen aufweisen konnten. In Bayern verteilten sich Textilmanufakturen auf das ganze Land, konzentrierten sich jedoch besonders in Mittel- und Oberfranken – hier in den Fürstentümern Ansbach und Bayreuth – wie auch in Schwaben und in der Pfalz. Diese Produktionseinheiten widmeten sich vor allem der Wollspinnerei (Plassenburg, Kaiserslautern [Rheinland-Pfalz]), der Wolltuchweberei (Wunsiedel, Frankenthal [Rheinland-Pfalz], Lambrecht [Rheinland-Pfalz]), der zukunftsweisenden Baumwollspinnerei (Schwabach, Ansbach, Lichtenau [Lkr. Ansbach]) und -weberei (Schwabach, Erlangen, Ansbach, Hof), der Färberei (Wunsiedel, Bayreuth), der Zeugdruckerei (Wunsiedel) wie auch dem Kattundruck (Augsburg, Bayreuth, Hof, Ansbach, Schwabach). Aus dem Kreis der Augsburger Kattundrucker ragt eine Produktionsstätte besonders heraus: die Schülesche Kattunfabrik, die in ihrem Wirtschaftssektor zu den bedeutendsten Manufakturen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gehörte. Die Exporte Johann Heinrich Schüles (1720-1811), der große Mengen indischer Baumwollgewebe zum Bedrucken importierte, gingen wiederum nach ganz Europa.
Die 1792 einsetzenden Koalitionskriege nahmen mit all ihren Turbulenzen einen erheblichen Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg der besagten Manufakturen. So litt eine Reihe von Produktionsstätten darunter, dass die Kriegswirren die Exportmöglichkeiten ins Ausland empfindlich einschränkten. Frankreich selbst schottete im Eigeninteresse den italienischen Absatzmarkt vollständig ab, in den bis dahin viele Manufakturen aus Franken und Schwaben mit großem Erfolg exportiert hatten. Andererseits profitierten die meisten Textilmanufakturen wiederum von der napoleonischen Kontinentalsperre, die seit 1806 die überlegene englische Textilindustrie als Konkurrentin ausschaltete. Die künstliche Marktausgrenzung von England schlug allerdings nach dem Ende der Handelssperre 1812 umso härter auf die textilen Produktionsstätten des bayerischen Königreichs zurück, die mit dem nun massenhaften Import billiger Fabrikwaren von der britischen Insel nicht selten in eine existenzielle Krise gerieten und häufig ihren Betrieb vollständig einstellen mussten.
Frühindustrialisierung
Das bayerische Textilgewerbe benötigte geraume Zeit, um sich von der englischen Marktmacht zu emanzipieren und selbst den entscheidenden Schritt von der Manufakturepoche ins Industriezeitalter zu tun, für das das Fabriksystem kennzeichnend ist. Im Unterschied zur Manufaktur handelt es sich bei der Fabrik um einen, von einer zentralen Energieversorgung gespeisten Großbetrieb, in dem zahlreiche vollmechanisierte Maschinen produzieren und bei dem überdies die Arbeitsteilung der lohnabhängigen Beschäftigten bis zu einem hohen Grad fortgeschritten ist. Die fabrikmäßig betriebene Baumwollspinnerei, die sich einer rasch wachsenden Nachfrage erfreute, sollte dabei den Weg in die Zukunft weisen. Die Industrielle Revolution wurde angetrieben von einer gleichzeitigen Konsumrevolution. Der deutsche Prokopfverbrauch von Baumwolle stieg von 1834 bis 1900 um etwa das Zehnfache von etwa 700 Gramm auf rund sieben Kilogramm, wobei die Vergleichswerte aus dem Deutschen Bund einerseits und dem Deutschen Kaiserreich andererseits stammen.
Industrialisierung
Die erste Fabrik auf wittelsbachischem Terrain findet sich allerdings nicht in Süddeutschland, sondern in Ratingen (Nordrhein-Westfalen), mithin im Herzogtum Jülich-Berg, einem Herrschaftsgebiet des Kurfürsten Karl Theodor (1724-1799, reg. seit 1742). Johann Gottfried Brügelmann (1750-1802) hatte dort 1783 die Textilfabrik Cromford, eine mittels Wasserkraft angetriebene Baumwollspinnerei nach englischem Vorbild, gegründet und erfolgreich in die Zukunft geführt. Die von Brügelmann bereits 1802 in der Au – vor den Toren Münchens gelegen – ins Leben gerufene Textilfabrik hatte allerdings nur für etwa ein Jahr Bestand. Die von seinen Söhnen seit 1803 in Schleißheim (Lkr. München) eingerichtete Textilfabrik nahm dagegen zu keiner Zeit die Produktion auf. Größere Bedeutung darf hingegen die 1820 konzessionierte Tuchfabrik Johann Philipp Lobenhoffers beanspruchen, der seinen Betrieb auf der Nürnberger Pegnitzinsel Wöhrd errichtete und dort 1822 die Produktion aufnahm. In Augsburg war es Karl Ludwig Forster (1788-1877), der im Textilgewerbe das Tor zur Industrialisierung aufstieß. 1807 in die Kattundruckerei Schöppler & Hartmann eingetreten, entwickelte er das Unternehmen in der Folgezeit zu einer der größten Stoffdruckereien im Gebiet des späteren Deutschen Zollvereins. In Kooperation mit den Chemikern und Technikern Johann Gottfried Dingler (1778-1855) und Wilhelm Heinrich Kurrer (1781-1862) löste Forster einen regelrechten Innovationsschub in Augsburg aus. Zug um Zug führte er eine Schnellbleiche, Schwefelsäurefabrik, komplette Walzendruckerei, Dampffärberei, neue Wäscherei, Grundiererei und Mangelei ein. Die Belegschaft war zwischenzeitlich auf 600 Beschäftigte angewachsen.
In den Folgejahren entwickelte sich Augsburg zum bedeutendsten Zentrum der Textilindustrie im süddeutschen Raum. Hier offenbarte sich am augenscheinlichsten, dass die Textilindustrie in der industriellen Entwicklung Bayerns die Funktion eines Leitsektors einnahm. Die 1836 aus der Taufe gehobene Augsburger Kammgarnspinnerei (AKS) und die 1837 gegründete Mechanische Baumwoll-Spinnerei und Weberei Augsburg (SWA) läuteten die Phase der textilindustriellen Großbetriebe ein, wie sie vor allem für die schwäbische Gewerbelandschaft charakteristisch waren. Mit modernsten Textilmaschinen bestückt, bot die im Sommer 1840 fertiggestellte SWA etwa 750 Beschäftigten Arbeit. Von den 1830er bis in die 1860er Jahre lässt sich für Augsburg im Zeichen der Industriellen Revolution eine regelrechte Gründungswelle von Textilunternehmen feststellen. In dieser Phase entstanden über 15 Fabriken. Zwischen 1810 und 1861 stieg die Zahl der in der örtlichen Textilindustrie Beschäftigten von 828 auf 5.257 Personen. Zeitgleich entstanden in ganz Bayerisch-Schwaben neue Textilunternehmen, so beispielsweise in Kaufbeuren (Lkr. Ostallgäu), Kempten (Lkr. Ostallgäu), Blaichach (Lkr. Oberallgäu), Waltenhofen (Lkr. Ostallgäu), Füssen (Lkr. Ostallgäu), Immenstadt (Lkr. Oberallgäu), Ay (Lkr. Neu-Ulm), Memmingen, Sonthofen (Lkr. Oberallgäu) oder auch Bäumenheim (Lkr. Donau-Ries).
Die Etablierung von so zahlreichen Unternehmen ging auf die produktive Verbindung vieler Faktoren zurück. Hierzu gehörten das reichliche Vorhandensein von Energie – ob Wasser- oder Dampfkraft –, von Kohle, Investitionskapital, leistungsstarken Finanzierungsinstrumenten wie etwa den Aktiengesellschaften und einer wachsenden Verkehrsinfrastruktur wie der Eisenbahn und der Flussschifffahrt. Dazu kam die massenweise Verfügbarkeit von textilen Rohstoffen wie Baumwolle und Wolle, die über globale Importwege aus den USA, Indien, Ägypten oder Australien nach Bayern gelangten. Zusätzlich war ein innovationsbereites Unternehmertum vonnöten, um einen internationalen Wissens-, Technik- und Expertentransfer in Gang zu setzen, der die modernen Textiltechniken in Bayern zu implementieren erlaubte. Darüber hinaus brauchte es eine ausreichende Arbeiterschaft, die die neuen Industrieberufe – hier waren es überwiegend Frauen – übernahmen. Staatlicherseits ermöglichte der 1834 vom Königreich Bayern mit ins Leben gerufene Deutsche Zollverein die Schaffung eines gemeinsamen Markts.
Innerhalb Bayerns kristallisierte sich neben Schwaben Oberfranken als die zweite Region textilindustrieller Verdichtung heraus – eine Region, die von der geographischen Nähe zu dem gewerblich ungemein regen Sachsen profitierte. Die im Vergleich zu Schwaben später einsetzenden Fabrikgründungen in Oberfranken lassen sich mit der dort kaum nutzbaren Wasserkraft erklären. Deshalb waren die lokalen Unternehmensgründungen auf Dampfkraft angewiesen. Diese setzte wiederum eine Anbindung an das seit 1844 sich langsam nach Oberfranken ausbreitende und mit den Nachbarstaaten sich verbindende Eisenbahnnetz voraus, über das die zur Verfeuerung notwendige Kohle aus Sachsen, Böhmen und selbst aus dem nahen Stockheim (Lkr. Kronach) herbeigeschafft werden musste. So fielen die frühesten Gründungen oberfränkischer Textilfabriken erst in die 1850er Jahre, beginnend mit der Mechanischen Baumwoll-Spinnerei Bayreuth 1853, der Mechanischen Baumwollspinnerei Hof gleichfalls 1853, der Mechanischen Baumwollspinnerei und Weberei Bamberg 1858 und der Mechanischen Weberei Hof im selben Jahr. Fünf Jahre später entstand die Mechanische Baumwollen-Spinnerei Kulmbach.
Insgesamt betrachtet verzehnfachte sich die Kapazität der bayerischen Baumwollspinnerei zwischen 1847 und 1861 von 56.533 auf 536.825 Spindeln. In Schwaben waren 1861 knapp 9.100 Menschen in der Textilbranche beschäftigt, während für Oberfranken 3.782 und in der Pfalz 2.676 Beschäftigte gezählt wurden. Im Vergleich zur großgewerblichen Struktur der Augsburger Textilindustrie entstanden in Oberfranken viele kleinere Betriebe, die sich mit der Zeit als ungemein langlebig erwiesen.
Den Rohstoff Baumwolle bezogen die bayerischen Spinnereien seit den 1840er Jahren vor allem aus den USA – eine Versorgung, die mit dem 1861 ausbrechenden amerikanischen Bürgerkrieg ernsthaft ins Stocken geriet. Der Sezessionskrieg führte bei den bayerischen Spinnereien deshalb zu einem verstärkten Import indischer Baumwolle. Die weitere Ausbreitung der bayerischen Baumwollindustrie ließ sich jedoch nicht von dem bis 1865 dauernden Bürgerkrieg in Übersee aufhalten.
Hochindustrialisierung
Insgesamt legte Bayern, das während der Phase der 1840er Jahre im deutschen Vergleich noch stark zurückgelegen war, bis 1875 so deutlich zu, dass es in der Baumwollspinnerei nach Sachsen den zweiten und in der Weberei nach Schlesien und Sachsen den dritten Platz einnahm. Im Vergleich zur Gründungsphase der bayerischen Textilindustrie begegnet zur Zeit des Kaiserreichs ein deutlich verschärfter – nationaler wie internationaler – Wettbewerb. Kam es in Oberfranken noch zu einer Reihe von Neugründungen, so z. B. in Münchberg (Lkr. Hof), wo bereits 1854 eine staatlich geförderte Webschule entstanden war, so reagierten viele schwäbische Unternehmen in den Jahrzehnten der Hochindustrialisierung mit Spezialisierung oder Ausbau bereits vorhandener Kapazitäten. Bis in das Jahr 1875 erhöhte sich die Spindelzahl der bayerischen Baumwollindustrie auf 875.825, was 20 % der gesamten damaligen Produktionskapazität im Deutschen Reich entsprach. Die Zahl der im Königreich Bayern betriebenen mechanischen Webstühle wuchs bis 1875 auf 12.460 an. Bis 1905 sollte die Produktionskapazität der bayerischen Baumwollindustrie auf 1.578.000 Spindeln und 30.800 Webmaschinen zulegen. Mit der Mechanischen Baumwollspinnerei und Weberei Augsburg (SWA) befand sich in Augsburg die größte Baumwollweberei des Kaiserreichs. Die Spinnerei der SWA und die Augsburger Baumwollspinnerei am Stadtbach gehörten zu den größten Baumwollspinnbetrieben ihrer Epoche. Trotz Gründerkrise und diversen – mehr oder weniger dramatischen – Konjunktureinbrüchen setzte sich die Expansion der heimischen Textilindustrie bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs fort. Bis dahin gelang es einer Reihe von Großbetrieben, an ihre Aktionäre ansehnliche Dividenden auszuzahlen, die in der gesamten Zeit des Kaiserreichs zwischen 10 und 20 % lagen. Dies hinderte die Unternehmen nicht, im Falle von Konjunktureinbrüchen den Fabrikbetrieb einzuschränken, um nicht zuletzt einer möglichen Überproduktion die Spitze zu nehmen.
Der Erste Weltkrieg und seine Folgen
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in dessen Verlauf die britische Seeblockade schon bald die Zufuhr amerikanischer Baumwolle nach Deutschland unterband, verhinderte auch in Bayern weitgehend ein normales Wirtschaftsleben. Bereits 1916 vermochte ein Großbetrieb wie die Augsburger SWA nur mehr 7,5 % ihrer Friedensproduktion zu leisten. Das Ausweichen auf andere Baumwollprovenienzen machte mitnichten den Ausfall des amerikanischen Rohstoffes wett. So verödeten die über Jahrzehnte gewachsenen internationalen Strukturen und Wirtschaftsbeziehungen der bayerischen Baumwollindustrie und warfen diese nach dem Friedensvertrag von Versailles 1919 vielfach auf den nationalen Rahmen zurück.
Die folgenden Jahre der alliierten Reparationsforderungen, der Rohstoffknappheit, des Kapitalmangels, der Hyperinflation, des weitgehenden Ausschlusses vom Export und des nochmals verschärften Wettbewerbs zwangen die bayerischen Textilunternehmen vielfach zur Neuausrichtung, zu Zusammenschlüssen, Verschuldungen, zur Aufnahme von Investoren, zu eigenen Investitionen und Rationalisierungsmaßnahmen. Erst der sog. Dawes-Plan und die Währungsreform von 1924 halfen, die Wirtschaft für kurze Zeit wieder zu konsolidieren, bis die Weltwirtschaftskrise 1929/30 auch die bayerische Textilindustrie erschütterte. Anders als die restlichen Industriezweige hatte die Textilbranche 1930/31 die Talsohle jedoch schon durchschritten. Ein leichter Aufschwung machte sich bemerkbar, wenn auch nach wie vor kurzgearbeitet werden musste.
Unter dem Diktat nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik
Von der nationalsozialistischen Machtübernahme versprach sich die bayerische Textilindustrie, die 1933 gut 89.200 Erwerbstätige zählte, einen volkswirtschaftlichen Aufschwung. Mit Beginn der nationalsozialistischen Regierung trat sie jedenfalls in die Phase eines nie dagewesen Staatsinterventionismus ein. Die anfängliche konjunkturelle Belebung führte im Verein mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu einem anfänglichen Anstieg der Beschäftigtenzahlen. Aber vorrangig förderte die NS-Wirtschaftspolitik die deutsche Rüstungsindustrie im Gegensatz zur Textilindustrie als Konsumgüterbranche, die – aus der Sicht des Regimes – nur wertvolle Devisen für den Rohstoffimport verschwendete.
Diese einseitige Strukturpolitik führte die klassische Textilindustrie in Bayern in eine nachhaltige Krise. Rigide gesetzliche Maßnahmen – so ein zeitweiliges Einfuhrverbot für Baumwolle, dann die Faserstoff-Verordnung 1934 und auch das Spinnstoffgesetz 1935 – zielten im Sinne einer Autarkiepolitik darauf ab, die Importe von Baumwolle und Wolle langfristig durch die Verwendung heimischer textiler Rohstoffe wie etwa den Flachs, die Wolle und die stark geförderte Zellwolle zu ersetzen. Die von der NS-Regierung durchgesetzten Rohstoffkontingentierungen, einhergehend mit Preisfestsetzungen und Investitionsverboten, brachten für die Belegschaft der bayerischen Textilunternehmen erhebliche Einschnitte, die sich vor allem in der ungeliebten Kurzarbeit äußerten.
Dessen ungeachtet bereicherten sich regimefreundliche Unternehmen an der Arisierung jüdischer Textilbetriebe. In Augsburg verloren etwa die bedeutenden Unternehmerfamilien Kahn & Arnold sowohl die Spinnerei und Weberei am Sparrenlech als auch ihr mehrheitliches Eigentum an der Neuen Augsburger Kattunfabrik. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verschärfte sich die Lage für die konventionelle Textilindustrie in Bayern weiter.
Zu Zeiten des Krieges kursierte beispielsweise die Idee, die Augsburger Textilfabriken komplett stillzulegen, um ihre Beschäftigten der lokalen Rüstungsindustrie zur Verfügung zu stellen. Kriegsbedingte Einberufungen zur Wehrmacht schwächten zudem den Personalstand. Die Exporte gingen mit den fortschreitenden Kriegsjahren zurück, die Produktivität fiel immer weiter ab, die Fertigungskosten erhöhten sich und entsprechend brachen die Umsätze ein. Soweit bayerische Produktionsstätten von alliierten Bombardements betroffen waren, kam die Textilproduktion dort völlig zum Erliegen. Augsburg als ausgewiesene Rüstungsindustriestadt wurde von Bombenschäden besonders stark in Mitleidenschaft gezogen. Aber auch andernorts in Bayern fügten Luftangriffe der Textilindustrie erheblichen Schaden zu. So fiel etwa die Spinnerei und Weberei Kottern (Kempten) den Bomben zum Opfer. Noch kurz vor Kriegsende, im April 1945, wurde die Mechanische Baumwoll-Spinnerei & Weberei Bayreuth gänzlich verwüstet.
Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg
Hatten die Augsburger Textilunternehmen weit stärker unter Kriegsschäden zu leiden als etwa die oberfränkischen Betriebe, so verbannte der aufziehende "Kalte Krieg" letztere ins Zonenrandgebiet und schnitt sie so von den ehedem vitalen Wirtschaftsverbindungen zu Sachsen und Böhmen ab. Trotz Arbeitskräftemangels stieg die Zahl der Beschäftigten von Ende 1945 bis Ende 1947 von 22.108 auf 49.943 an, lag jedoch vom Vorkriegsniveau noch weit entfernt. So hatte die Produktion bis 1948 erst ein Drittel des Fertigungsvolumens von 1936 erreicht. Erst die Währungsreform im Juni 1948 und der Marshallplan mit seinen Krediten brachten die bayerische Textilindustrie wieder richtig in Schwung. Billige Baumwolle und günstige Arbeitskraft erleichterten die ökonomische Erholung. Neu eingebunden in die Weltwirtschaft begann sie sich nach den Gesetzen der freien Marktwirtschaft rasant zu entwickeln. Bis Ende 1950 kletterte die Zahl der Beschäftigten auf 96.266. Mit einem Umsatz von fast 1,7 Mrd. Mark stellte das Textilgewerbe die größte Industriesparte des Freistaats dar.
Den Arbeitskräftemangel halfen seit Kriegsende Flüchtlinge und Vertriebene zu lindern, die sich in Schwaben, aber noch häufiger in Oberfranken niederließen, wo – wie z. B. in Münchberg – Textilbetriebe mit einer Belegschaft von bis zu 40 % Heimatvertriebenen arbeiteten. Insgesamt fanden bis September 1950 rund 37.000 Heimatvertriebene in der bayerischen Textilindustrie eine neue Beschäftigung. Nicht selten gründeten sie eigene Betriebe. In Bayern wagten zahlreiche Strumpfunternehmen, die auf die Produktion von Feinstrümpfen spezialisiert waren, einen Neuanfang, wie etwa das aus Sachsen stammende Unternehmen Elbeo, das zuerst nach Augsburg ging, oder das Unternehmen Kunert aus Böhmen, das sich in Immenstadt niederließ. Und selbst der namhafte Textilkonzern Dierig verlegte seinen Firmensitz vom niederschlesischen Langenbielau (Bielawa) nach Augsburg, wo er bereits seit Januar 1918 die Mechanische Weberei am Mühlbach besaß. Von knapp 1.380 bayerischen Textilbetrieben im September 1955 befanden sich etwa 42 % im Eigentum von Flüchtlingen und Vertriebenen, wobei es sich meist um Kleinbetriebe handelte. Im Zeichen des sog. Wirtschaftswunders wuchs auch die bayerische Textilindustrie weiter. Bis 1957 stieg die Zahl der Beschäftigten auf einen Höchststand von 119.688 an. Allein in Augsburg waren 17.500 Menschen in dieser Branche tätig.
Im Zeichen der Krise
Dieser offensichtliche Erfolg täuscht jedoch über zwei Tatsachen hinweg: Zum einen blieben die Wachstumsraten der Textilindustrie merklich hinter denen der übrigen deutschen Wirtschaft zurück; selbst in Bayern hatten der Maschinenbau und die Elektroindustrie bis 1958 die bis dahin führende Textilindustrie an Beschäftigtenzahl und Umsatz überflügelt. Zum anderen stand ein größtenteils veralteter Maschinenpark einer höheren Produktivität im Weg.
Das Jahr 1957 markierte zugleich eine folgenreiche Wende in der Geschichte der deutschen Textilindustrie, indem die Menge der ausländischen Textilimporte zum ersten Mal das Volumen der deutschen Exporte übertraf. Diese Einfuhren kamen zunächst aus Westeuropa wie beispielsweise aus Frankreich oder Belgien und über die Jahre in steigendem Maße auch aus Osteuropa wie der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), Polen, Tschechoslowakei, Rumänien oder Bulgarien. Der hierfür verantwortliche liberalisierte Außenhandel begann sich - gemeinsam mit der Absenkung von Zöllen - auf die bayerischen Textilunternehmen negativ auszuwirken, die selbst oft eine schwache Exportquote aufwiesen. So nahm auch im Freistaat eine tiefgreifende Strukturkrise der Textilindustrie ihren Anfang.
Es setzte ein Wettlauf mit der Zeit ein, in dem viele bayerische Betriebe mit beachtlichen Investitionen, Rationalisierungen, Umstrukturierungen, Prozess- und Produktinnovationen sich gegen die immer stärker werdende Importkonkurrenz stemmten. Manche Unternehmer suchten ihr Heil in der Konzentrierung der Produktion im Sinne einer "economy of scale". So erwarb etwa der ehemalige Baustoffhändler Hans Glöggler (eigtl. Johann Nepomuk Glöggler, 1910-2004) seit Ende der 1960er Jahre, ausgehend von Augsburg, eine ganze Reihe von vor allem bayerischen Textilunternehmen wie etwa die Augsburger Kammgarn-Spinnerei (AKS), die SWA, die Mehrheit der Erlanger Erba AG, der Val. Mehler (Fulda), einen 17%igen Anteil von Dierig und eine 25%ige Beteiligung an Ackermann in Gögginen (Augsburg). Bereits zuvor hatte er die Hanfwerke Füssen-Immenstadt erstanden. Dieser großbetriebliche Zusammenschluss versammelte insgesamt rund 12.000 Beschäftigte.
Solche Umstrukturierungen bzw. Unternehmenskonzentrationen der bayerischen Textilindustrie gingen jedoch wie auch die dadurch erreichten erheblichen Produktivitätssteigerungen sämtlich auf Kosten von Arbeitsplätzen eines vordem ungemein arbeitsintensiven Wirtschaftszweigs. Die Zahl der in der bayerischen Textilindustrie Beschäftigten nahm seit Ende der 1950er Jahre beständig ab. 1971 belief sie sich nur noch auf gut 100.000. Den ersten größeren Rückschlag von 1966/67 übertraf die 1973 einsetzende Krise, die dann 1975/76 auch zum Zusammenbruch des Glöggler-Konzerns führte. Der Zerschlagung des Unternehmenszusammenschlusses und dem folgenden Rettungsversuch der einzelnen Betriebe blieb ein nachhaltiger Erfolg verwehrt. Allein zwischen 1970 und 1980 verlor die Textilindustrie im Freistaat fast 40.000 Erwerbstätige; ihre Zahl sank von 105.543 auf 66.097.
Trotz wirksamer Modernisierungen erwies sich die klassische Textilindustrie im internationalen Wettbewerb als immer weniger konkurrenzfähig. Der skizzierte Negativtrend setzte sich in Bayern in den folgenden Jahrzehnten fort: von 49.729 im Jahr 1990 auf nur noch 23.376 im Jahr 2000. Die Zahl der Textilbetriebe – in der Mehrzahl mittelständische Unternehmen – war seit 1970 von 704 auf 193 im Jahr 2000 zurückgegangen. Im selben Zeitraum stieg jedoch die Produktivität sehr beachtlich an, gemessen am Jahresumsatz pro Mitarbeiter: von 46.966,27 Mark (1970) auf 252.719,54 Mark (2000). Allerdings sank der Umsatz der gesamten bayerischen Textilindustrie im Volumen von 9,484 Mrd. Mark im Jahr 1990 auf 5,907 Mrd. Mark im Jahr 2000. 2010 zählte die bayerische Textilindustrie nur noch 13.476 Beschäftigte, die in 117 Unternehmen tätig waren. Der Umsatz ging von 3,090 Mrd. € im Jahr 2005 auf 2,686 Mrd. € im Jahr 2010 zurück.
Innovationsmarkt: Technische Textilien
Die immer noch beträchtliche Wertschöpfung der bayerischen Textilindustrie der letzten Jahrzehnte resultiert weniger aus der textilen Fertigung für die Bekleidungsindustrie, die mitsamt der Strumpfindustrie weitgehend in Billiglohnländer abgewandert ist, sondern aus der Spezialisierung auf bestimmte Nischenprodukte wie z. B. Dekorationsstoffe einerseits und aus der Konzentration auf den Wachstumsmarkt der technischen Textilien andererseits. Zu letzteren zählen Airbag-Gewebe, Gurte, Schläuche, High-Tech-Filze oder Vliese, sog. Non-Wovens, die etwa für Hygieneartikel, im Automobilbau, für Filtertechnik oder Haushaltstücher zum Einsatz kommen. Anders als in Augsburg hat sich um die oberfränkische Stadt Hof mit den benachbarten Landkreisen Hof, Kulmbach und Bayreuth eine im bundesrepublikanischen Vergleich bedeutende Verdichtung textilindustrieller Produktion behauptet, die im Bereich der technischen Textilien führend ist.
Anfang der 2010er Jahre konzentrieren sich die Entwicklungsanstrengungen auf die seit den 1970er Jahren industriell genutzte Carbonfaser. Sie wird in kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffen (CFK) verarbeitet, die wiederum bereits im Auto-, Flugzeugbau, in der Weltraumtechnik, Architektur, im Gesundheitsbereich oder im Design zum Einsatz kommen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat, beginnend im Jahr 2012, dem Spitzencluster MAI Carbon erhebliche Förderung zuteil werden lassen. Darin gehen Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen, die sich im Umkreis der Städte München, Augsburg und Ingolstadt befinden, der Aufgabe nach, carbonfaserverstärkte Kunststoffe zur Serienreife weiterzuentwickeln, wobei auch die Herausforderung des Recyclings eine wichtige Rolle spielt.
Jahr | Unternehmen | Beschäftigte | Umsatz |
---|---|---|---|
1950 | 631 | 96.266 | 1.697.800.000 Mark |
1955 | 779 | 110798 | 2.345.200.000 Mark |
1960 | 803 | 115.804 | 3.007.300.000 Mark |
1965 | 764 | 107.625 | 3.837.460.000 Mark |
1970 | 704 | 104.047 | 4.886.700.000 Mark |
1975 | 576 | 75.732 | 5.136.801.000 Mark |
1980 | 624 | 66.097 | 6.178.300.000 Mark |
1985 | 337 | 53.331 | 8.192.886.000 Mark |
1990 | 300 | 49.729 | 9.484.197.000 Mark |
1995 | 285 | 31.326 | 6.521.864.000 Mark |
2000 | 193 | 23.376 | 5.907.572.000 Mark |
2005 | 153 | 18.292 | 3.090.267.000 € |
2010 | 117 | 13.476 | 2.686.225.000 € |
Anm.: Die Zahlen zur bayerischen Textilindustrie sind entnommen aus dem Statistischen Jahrbuch für Bayern. Es gibt dabei gewisse statistische Unschärfen bei der Zählung der Unternehmen/Betriebe, je nachdem ab wie viel Personen ein Betrieb als Unternehmen behandelt wird. Unschärfen bestehen auch bezüglich des Zeitpunkts der Zählung der Unternehmen sowie der Beschäftigten – am Jahresende oder im Jahresdurchschnitt.
Literatur
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- Friedrich Schworm, Die Bayrische Textilindustrie und ihre Entwicklung seit 1875, München 1904.
- Gerhard Slawinger, Die Manufaktur in Kurbayern. Die Anfänge der großgewerblichen Entwicklung in der Übergangsepoche vom Merkantilismus zum Liberalismus 1740-1833, Stuttgart 1966.
- Peter Theißen, Vom Rohstoff zum Garn. Maschinenspinnerei in Cromford, in: Die erste Fabrik, Ratingen-Cromford (Rheinisches Industriemuseum Schriften 11), Köln 1996, 38-49.
- Gustav Wunderlich, Die nordostbayerischen Mittelgebirge als Standraum der Textilindustrie, Diss. München 1949.
- Martina Wurzbacher, Münchberg - Stadt der Textilindustrie. Entwicklung und Bedeutung der Textilindustrie im 19. und 20. Jahrhundert (Beiträge zur Münchberger Stadtgeschichte 7), Münchberg 2002.
Quellen
- Statistisches Jahrbuch für das Königreich Bayern / Statistisches Jahrbuch für den Freistaat Bayern / Statistisches Jahrbuch für Bayern, hg. vom Königlichen Bayerischen Statistischen Bureau / Bayerischen Statistischen Landesamt / Bayerischen Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, 1-58, München 1894-2015.
Weiterführende Recherche
Externe Links
Empfohlene Zitierweise
Karl Borromäus Murr, Textilindustrie, publiziert am 20.02.2018; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Textilindustrie> (7.10.2024)