Abwasserbehandlung (nach 1945)
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Kommunen, Industrie und Gewerbe haben im Freistaat Bayern seit 1945 einen hohen Standard bei der Abwasserbehandlung zum Schutz der Menschen und Gewässer erreicht. Die Zielvorstellung der Staatsregierung im "Programm Gewässerschutz in Bayern" von 1972, für alle Fließgewässer die Güteklasse II (mäßig belastet) anzustreben, ist seit der Jahrtausendwende weitgehend erfüllt. Neue Herausforderungen und Beurteilungsmaßstäbe haben sich inzwischen aus der europäischen Wasserrahmenrichtlinie ergeben. Kanalisation und Kläranlage gehören zum größten Vermögen der Kommunen und müssen für immer höhere Ansprüche laufend instand gehalten, nachhaltig modernisiert und verbessert werden.
Abwasserentsorgung in Bayern (Stand: 2022)
Jährlich werden in Bayern rund 1,8 Mrd. cbm Abwasser in kommunalen Anlagen gemäß den wasserrechtlichen Anforderungen behandelt und in den Wasserkreislauf zurückgegeben. Dafür wurden seit 1950 bislang etwa 36 Mrd. € investiert. Der Staat beteiligte sich mit 9,2 Mrd. € daran. Das Abwasser wird über eine ca. 105.000 km lange öffentliche Kanalisation gesammelt und abgeleitet, in die ca. 11.000 Bauwerke zur Regenrückhaltung integriert sind. Etwa 2.300 kommunale Kläranlagen reinigen das Abwasser von 97 % der Bevölkerung, außerdem auch von vielen Industrie- und Gewerbebetrieben, die als Indirekteinleiter an die öffentliche Kanalisation angeschlossen sind – davon etwa 2.000 nach einer wasserrechtlichen Genehmigung. Annähernd 84 % des erzeugten Klärschlamms werden thermisch verwertet. Auf Dauer werden 3 % der Bevölkerung ihr Abwasser in rund 83.000 privaten biologischen Kleinkläranlagen behandeln oder in 16.000 abflusslosen Gruben sammeln und einer ordnungsgemäßen Entsorgung zuführen. Etwa 1.000 Industrie- und Gewerbebetriebe betreiben als Direkteinleiter eigene Kläranlagen, die genau auf ihr Abwasser abgestimmt sind. Große Wärmekraftwerke sind mit Rückkühleinrichtungen für ihr Kühlwasser ausgestattet, um das Ökosystem der Gewässer vor schädlichen Veränderungen bewahren.
Grundlagen der Abwasserbehandlung
Von privaten Haushalten, öffentlichen Einrichtungen, Industrie und Gewerbe wird Wasser in vielfältiger Weise genutzt. Das dabei anfallende Abwasser wird im Regelfall in ein Gewässer mit Wiedereintritt in den Wasserkreislauf eingeleitet. Zuvor muss es ordnungsgemäß behandelt werden. In kommunalen Kläranlagen geschieht dies heute in drei Reinigungsschritten, die sich seit den Anfängen einer geordneten Abwasserentsorgung entwickelt haben. In einer mechanischen Stufe (Rechen, Sandfang, Fettabscheidung u. ä.) werden ungelöste Abwasserbestandteile entfernt. Die biologische Stufe (z. B. Belebungsbecken, Tropfkörper) beseitigt biologisch abbaubare Stoffe und Stickstoffverbindungen, um Fäulnis und Sauerstoffmangel im Gewässer zu vermeiden. Außerdem werden dort schlecht lösliche Schadstoffe im belebten Schlamm gebunden und mit dem Überschussschlamm entfernt. In einer chemischen Stufe werden schließlich Phosphorverbindungen durch Fällung entfernt, um eine Überdüngung der Gewässer zu vermeiden.
Rotationstauchkörper als zwischengeschaltete biologische Stufe der Abwasserteichanlage Markt Indersdorf, Ortsteil Niederroth (Lkr. Dachau), 1986. (Foto: Peter Schleypen)
Tropfkörper mit Kunststoff-Füllmaterial im Klärwerk Garmisch-Partenkirchen, 1988. (Foto: Peter Schleypen)
Belebungsbecken-Kompaktanlage mit aerober Schlammstabilisierung in Windischeschenbach (Lkr. Neustadt a. d. Waldnaab), 1976. (Foto: Peter Schleypen)
Diese dreistufige Behandlung stößt an ihre Grenzen bei Stoffen, die weder durch biologischen Abbau noch durch Bindung an den Klärschlamm entfernt werden können. Sie gelangen in Gewässer, wo sie als sogenannte Spurenstoffe oder Mikroverunreinigungen in sehr niedrigen Konzentrationen nachgewiesen werden können. Sollen auch solche Stoffe noch entfernt werden, sind neuartige Verfahren in einer bislang rechtlich noch nicht vorgegebenen vierten Reinigungsstufe erforderlich. Hierzu gehört nach heutigem Stand die oxidative Behandlung mit Ozon oder die adsorptive Bindung an Aktivkohle, die nach Beladung verbrannt wird.
Abwasser aus Industrie- und Gewerbebetrieben kann häuslichem Abwasser weitgehend entsprechen (z. B. in der Lebensmittelindustrie) und dann mit vergleichbaren Verfahren behandelt werden. In vielen Branchen fällt jedoch Abwasser mit besonderen Schadstoffen an, die spezielle Verfahren erfordern. Oft werden bereits im Vorfeld der abschließenden Abwasserbehandlung definierte innerbetriebliche Maßnahmen zur Vermeidung oder zumindest Verringerung solcher Stoffe nach dem Stand der Technik eingesetzt.
Recht und Vollzug (Stand: 2022)
Wesentliche Rechtsgrundlagen für die Abwasserbeseitigung sind das Wasserhaushaltsgesetz des Bundes (WHG) mit der zugehörigen Abwasserverordnung (AbwV) und das Bayer. Wassergesetz (BayWG), die auch EU-Vorgaben umsetzen. In der Abwasserverordnung werden für Kommunalabwasser und für wichtige Gewerbe- und Industriebranchen Mindestanforderungen an die Abwasserentsorgung festgesetzt, die dem Stand der Technik bzw. dem Anforderungsniveau „Beste Verfügbare Technik (BVT)“ nach der EU-Industrieemissionsrichtlinie entsprechen.
Die öffentliche Abwasserbeseitigung durch Sammeln, Behandeln und Einleiten von Abwasser dient der Daseinsvorsorge und dem Gemeinwohl. Dazu sind in Bayern grundsätzlich die Kommunen als Körperschaften des öffentlichen Rechts verpflichtet. Sie erlassen Satzungen mit Anschluss- und Benutzungszwang. In begründeten Fällen können sie die Übernahme von Abwasser ausschließen, z. B. bei besonderem Industrie- und Gewerbeabwasser, oder wenn im Rahmen ihres Abwasserbeseitigungskonzepts die Übernahme bzw. Behandlung des Abwassers technisch oder wirtschaftlich nicht machbar ist.
Für die Einleitung von Abwasser in ein Gewässer (Direkteinleitung) ist grundsätzlich eine wasserrechtliche Erlaubnis der Kreisverwaltungsbehörde erforderlich. Wasserrechtlich verantwortlich ist hierbei der Abwassereinleiter, auch wenn er sich zur Erfüllung seiner Beseitigungspflicht Dritter bedient (z. B. für die Betriebsführung seiner Kläranlage). Die Erlaubnis wird widerruflich und befristet sowie unter Bedingungen und Auflagen erteilt. Eine zusätzliche Anlagengenehmigung ist nötig, wenn für die Kläranlage eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist oder sie unter die EU-Industrieemissionsrichtlinie fällt.
Das Wasserwirtschaftsamt oder das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) ist je nach Zuständigkeit amtlicher Sachverständiger im Erlaubnisverfahren und begutachtet insbesondere, ob das beantragte Vorhaben die Mindestanforderungen der Abwasserverordnung ausreichend berücksichtigt (Emissionsstandards), ob die Einleitung mit den Anforderungen an die Gewässereigenschaften vereinbar ist (Immissionsbetrachtung) und ob die Abwasseranlagen dem erforderlichen Zweck entsprechen. Für die Einleitung besonderer Abwässer aus Industrie und Gewerbe in eine öffentliche oder private Sammelkanalisation (Indirekteinleitung) besteht eine wasserrechtliche Genehmigungspflicht. Sie sorgt für Mindestanforderungen, die bereits vor der Zuleitung zu einer Sammelkläranlage innerbetrieblich umgesetzt werden müssen, um eine Schadstoffelimination nach dem Stand der Technik zu gewährleisten.
Errichtung, Betrieb und Unterhaltung von Abwasseranlagen müssen den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Für Abwasserbehandlungsanlagen nach der EU-Industrieemissionsrichtlinie gilt der Stand der Technik als Anforderungsniveau. Abwassereinleitungen und -anlagen sind vom Betreiber nach der Bayer. Eigenüberwachungsverordnung und ggf. nach entsprechenden Vorgaben der Abwasserverordnung (Betreiberpflichten) zu überwachen. Bei der behördlichen Überwachung wirken dafür anerkannte Private Sachverständige (PSW) mit. Das Bayer. Landesamt für Umweltschutz wertet die wesentlichen Daten zur Abwasserentsorgung zentral aus, z. B. für die Berichtspflicht nach der EG-Kommunalabwasserrichtlinie.
Nach den Abwasserabgabengesetzen des Bundes und Bayerns entrichten die Einleiter jährlich eine Abgabe für die eingeleiteten Rest-Schadstofffrachten. Sie ermäßigt oder erhöht sich, je nachdem wie die Anforderungen des Wasserrechtsbescheids eingehalten werden. Sie kann auch mit neuen Abwasserinvestitionen verrechnet werden, wenn eine wesentliche Verminderung der einzuleitenden Schadstofffracht nach definierten Kriterien zu erwarten ist. Die Mittel aus der Abwasserabgabe kommen ausschließlich dem Gewässerschutz zugute.
Abwasserentsorgung bis 1945
Nach den Cholera-Epidemien von 1837 und 1854 begannen in Bayern die großen Städte mit der systematischen Kanalisierung zur Verbesserung der Ortshygiene. Befürwortet von Max von Pettenkofer (1818-1901), Hygiene-Professor in München, wurden alle Haus-, Gewerbe- und Straßenabwässer in Mischwasserkanälen abgeschwemmt und in die nächsten Fließgewässer eingeleitet. Um 1907 waren in den Grenzen des heutigen Bayern 25 größere Städte geordnet und 35 Orte über 1.000 Einwohner teilweise oder planlos kanalisiert. Einschließlich besserer Trinkwasserhygiene war der Erfolg überwältigend: In München sank die Sterblichkeitsrate zwischen 1870 und 1910 von 41,7 auf 15.6 Personen pro 1.000 Einwohner und Jahr.
Mit der Ableitung des unbehandelten Abwassers verwandelte sich das Hygieneproblem der Siedlungen zu einem Umweltproblem der Gewässer. Die organischen Stoffe im Abwasser und schädliche Gewerbeeinflüsse verursachten dort Sauerstoffmangel und faulende Schlammablagerungen. Besonders kritisch wurden die Verhältnisse im wasserarmen Nordbayern. Der zuständige Innenminister Friedrich von Brettreich (1858-1938, Innenminister 1907-1912, 1916-1918) musste aber auch am Beispiel der Isar unterhalb von München am 7. März 1910 in der Abgeordnetenkammer bekennen: "Die Erwartungen bezüglich der Selbstreinigung der Isar [...] haben sich leider nicht erfüllt. Die Isar wird grob verunreinigt, mit der Fischerei ist es dahin".
Langsam setzte sich die Erkenntnis durch, das gesammelte Abwasser vor der Einleitung zu reinigen und angeschlossene kritische Gewerbeabwässer vorzubehandeln. 1907 betrieben vier Orte kleine mechanische Kläranlagen, drei verwerteten das Abwasser landwirtschaftlich. Die ersten großen bayerischen Klärwerke gingen als mechanische Emscherbecken-Anlagen in Betrieb: 1913 Nürnberg-Süd (Nürnberg II), 1915 Fürth, 1926 München I (Gut Großlappen) mit biologischer Nachbehandlung von Mai bis Oktober im Teichgut Birkenhof der Mittleren Isar AG, 1931 Nürnberg-Nord (Nürnberg I) und 1941 Würzburg. Der anaerob stabilisierte Klärschlamm aus den Emscherbecken war ein begehrter Dünger für die Landwirtschaft.
Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden viele Kanalisations- und Kläranlagenprojekte begonnen, oft aber im Krieg eingestellt. Trotz örtlicher Verbesserungen wurde in den beeinträchtigten Gewässern keine überörtliche Wirkung erreicht.
Flächendeckende Erschließung mit Abwasseranlagen
Erste Phase: Abwasserbehandlung nach dem Verursacherprinzip bis in die 1980er Jahre
Nach Kriegsende mussten die weitgehend zerstörten städtischen Abwasseranlagen wieder funktionsfähig gemacht werden. 1949 gab es in Bayern 21 kommunale Kläranlagen, an die 1,8 Mio. Einwohner angeschlossen waren, nur sieben genügten in etwa den damaligen Anforderungen. Mit Neuanlagen wurde zunächst nur zögernd begonnen. Nach der Währungsreform entschlossen sich 1949 Bayern und ab 1953 auch der Bund, den Kommunen Zuschüsse für Kläranlagen und die erstmalige Errichtung von Kanalisationen zu gewähren. Industrie- und Gewerbebetriebe wurden ab 1956 zum Bau ordnungsgemäßer Abwasseranlagen steuerlich begünstigt.
Landesweit setzte der Bau von Kanalisationen und Kläranlagen nach wasserwirtschaftlicher Dringlichkeit ein. Die Anforderungen an die Abwasserbehandlung orientierten sich, noch ohne Festsetzung konkreter Ablaufwerte, an der örtlichen Aufnahmekapazität bzw. der Selbstreinigungskraft der jeweiligen Gewässer. Erste überörtliche Kläranlagen und Kanalisationen entstanden ab 1957 im Rahmen des "Reinhalteprogramms für die bayerischen Seen". An vielen Standorten wurde zunächst mit mechanischen Kläranlagen (erste Reinigungsstufe) begonnen. Seit Mitte der 1970er Jahre kam die Oxidation der Stickstoffverbindungen hinzu, wenn sensible Gewässer vor Sauerstoffmangel und Bildung von fischgiftigem Ammoniak zu schützen waren.
1972 beschloss die Staatsregierung im "Programm Gewässerschutz in Bayern", für alle Fließgewässer vorsorgend die Güteklasse II (mäßig belastet) anzustreben. Für die Abwasserentsorgung kleiner ländlicher Orte mussten zunächst zweckmäßige Verfahren und Strukturen gefunden werden. Seit 1952 wurden die bisher üblichen Haus-/Kleinkläranlagen in der Regel nur noch vorübergehend bis zum Anschluss an eine zentrale gemeindliche Entwässerungsanlage gestattet. Dafür waren einfache, mechanisch wirkende Erdbecken eine schnell und mit wenig Aufwand umzusetzende Lösung für besseren Gewässerschutz; ein Schwerpunkt entstand z. B. im Landkreis Ansbach. Sie dienten in großer Zahl lange Zeit als Behelf, bis zusammen mit umliegenden Orten größere und leistungsfähigere Kläranlagen z. B. durch einen Zweckverband errichtet werden konnten. Viele wurden auch zu großflächigen Abwasserteichanlagen erweitert, manche in Kombination mit Tropfkörpern, Rotationstauchkörpern oder technischer Belüftung.
Größere Orte und Städte setzten bis Mitte der 1960er Jahre das Tropfkörperverfahren als biologische Reinigungstechnik mit relativ geringem Energiebedarf ein, dann aber immer mehr das flexiblere Belebungsverfahren. Manche der größeren Kläranlagen wurden nach dem ersten Bauabschnitt zunächst mechanisch betrieben, bevor die biologische Stufe in einem zweiten Bauabschnitt fertiggestellt war. Kleinere biologische Anlagen wurden oft in Kompaktbauweise errichtet, z. B. nach dem System Schreiber.
Ende der 1970er Jahre hatten alle bayerischen Großstädte Klärwerke mit biologischer Reinigung. Beispiele:
- Ab 1956 und 1958 waren die Klärwerke Nürnberg I und II biologisch mit Tropfkörpern erweitert worden. 1973 forderte ein gemeinsamer Wasserrechtsbescheid zusätzlich Nitrifikation. Es war in Bayern der erste Bescheid, der konkrete Grenzwerte für den Ablauf enthielt.
- 1961 wurde das Klärwerk Fürth die erste großstädtische Belebungsanlage Bayerns mit einem Kombibecken für Belüftung und Nachklärung.
- Ab 1973 erhielt das Klärwerk München I eine Belebungsstufe und ist seither die größte biologische Kläranlage in Bayern.
- 1976 ging in Würzburg auf dem Klärwerk eine Belebungsstufe in Betrieb.
- 1979 begann das Klärwerk Regensburg, jüngste großstädtische Kläranlage in Bayern, mit der Abwasserreinigung.
- Ende 1979 war das 1957 errichtete Klärwerk Augsburg nach dem Belebungsverfahren erweitert worden; der Ausbau zur Nitrifikation stand an.
Seit 1974 werden Mischwasserkanalisationen mit Regenüberlaufbecken ausgestattet, um die Kläranlagen hydraulisch nicht zu überlasten und 90 % der Verschmutzung des Regenwasserabflusses von den Gewässern fernzuhalten. Seit dieser Zeit werden auch Regenrückhaltebecken ohne Überlauf errichtet, um überlastete Kanalstrecken hydraulisch zu entlasten. Eines der größten ist das Regenrückhaltebecken Oberwiesenfeld in München, das 1973 mit einem Speichervolumen von 80.000 cbm gebaut wurde, dem in der Stadt noch viele weitere bis zu einem Gesamtvolumen von 700.000 cbm (Stand 2007) folgten.
Regenrückhaltebecken Oberwiesenfeld in München, 2014. (Foto: Münchner Stadtentwässerung)
Zu Beginn der 1980er Jahre war der flächendeckende Ausbau mit Kanalisationen und Kläranlagen in Bayern zu rund 80 % erreicht. Von den 11 Mio. Einwohnern waren 82 % an Kanalisationen und 75 % an 2.650 Kläranlagen mit einer Ausbaugröße von insgesamt 22 Mio. Einwohnerwerten (EW = Summe der Anzahl der Einwohner und der Einwohneräquivalente von Industrie und Gewerbe einschl. der jeweiligen Reserven) angeschlossen. Die technisch biologischen Kläranlagen hatten daran einen Anteil von über 90 %.
Im Industriebereich hatte sich von 1950 bis 1980 die Produktion fast versiebenfacht. Viele Betriebe mit hohem oder schwierigem Abwasseranfall errichteten, vom Anschluss an kommunale Anlagen befreit, eigene Kläranlagen mit speziell angepassten Behandlungsverfahren. Innerbetriebliche Maßnahmen zum Rückhalt und zum Recycling wassergefährdender Stoffe wurden stetig optimiert. Z. B. waren ab Mitte der 1960er Jahre die Werke der Zellstoffindustrie so weit, dass sie die Ablaugen verbrennen und so die Gewässer wesentlich entlasten konnten. Als neue Industrieschwerpunkte entstanden ab 1963 an der Donau zwischen Ingolstadt und Kelheim sowie im südostbayerischen Chemiedreieck neue Industriestandorte, darunter insbesondere sechs Erdölraffinerien und zwei petrochemische Anlagen mit jeweils eigenen Kläranlagen. Die großen Wärme- und Atomkraftwerke sowie Industriestandorte betrieben in vielen Fällen Rückkühlanlagen und richteten Überwachungsnetze ein, um die Auswirkungen der Abwärme ihrer Kühlwässer (1986 rd. 4 Mrd. cbm) zu begrenzen.
Zweite Phase: Abwasserbehandlung nach dem Vorsorgeprinzip mit Nährstoffelimination
Parallel zum Bau der noch fehlenden Anlagen begann in den 1980er Jahren die Zeit der weitergehenden Abwasserreinigung mit Nährstoffelimination (dritte Reinigungsstufe). Ein Anlass dafür war der Rückgang von Seehundpopulationen in der Nordsee, die dort auf vermehrte Algenblüten infolge zu hoher Einträge von Stickstoff und Phosphor zurückgeführt wurden. 1987 verpflichteten sich die Nord- und Ostsee-Anrainerstaaten, die Einträge zwischen 1985 und 1995 um 50 % zu verringern.
Das Vorsorgeprinzip trat im deutschen Wasserrecht und mit der beginnenden EU-Umweltgesetzgebung zum staatenübergreifenden Gewässerschutz in den Vordergrund. Seit Beginn der 1980er Jahre enthalten alle Bescheide für Abwassereinleitungen konkrete Grenzwerte, die wenigstens den bundesweiten Mindestanforderungen – seit 1996 nach dem Stand der Technik – entsprechen müssen. Alle kommunalen Kläranlagen ab 10.000 EW Ausbaugröße sind zur Stickstoff- und Phosphorelimination verpflichtet. Entsprechende Anforderungen gibt es auch für nährstoffrelevante gewerbliche Abwassereinleitungen. Die bestehenden Kläranlagen mussten dafür nachgerüstet und modernisiert werden. Ein Investitionsschub begann, der im kommunalen Bereich von jährlich etwa 600 Mio. € (Ende der 1970er Jahre) bis auf 1,4 Mrd. € (1994) anstieg und erst einige Jahre nach der Jahrtausendwende wieder das alte Niveau erreichte.
Die Anforderungen nach Phosphorelimination waren ohne größere Umbauten durch Fällung mit Kalk, Eisen- oder Aluminiumsalzen erfüllbar. In Bayern gab es hierzu bereits Erfahrungen, denn schon 1964 war in Prien am Chiemsee (Lkr. Rosenheim) die erste deutsche Kläranlage mit Phosphorelimination in Betrieb gegangen. Für das Ziel Stickstoffelimination (Denitrifikation) mussten die Anlagen mit zusätzlichen biologischen Reaktoren und neuen Regelungen erweitert werden.
Für die großstädtischen Klärwerke sind die Entwicklungen in München und Nürnberg beispielhaft:
1989 ging das Klärwerk München II (Gut Marienhof) für 1 Mio. EW mit einer zweistufigen Belebung und sehr strengen Anforderungen in Betrieb. Das gereinigte Abwasser wird unterhalb der Ausleitung des Mittleren Isarkanals (MIK) in die dort im Abfluss verminderte Isar eingeleitet. Seit 1996 wird die Filteranlage vor dem Ablauf auch zur Rest-Denitrifikation genutzt. Das Klärwerk München I (Gut Großlappen) dagegen leitet in den MIK ein. Es wurde 1994 für 2 Mio. EW ebenfalls mit einer zweistufigen Belebung und ab 2008 mit einer ähnlichen Filteranlage wie beim Klärwerk München II ausgestattet. Beide Klärwerke betreiben die Abwasserreinigung über einen 14,5 km langen Verbindungskanal im Verbund.
Im Teichgut Birkenhof, viele Jahre lang für die biologische Nachreinigung des Klärwerks München I genutzt und seit 1962 ein europaweit bedeutendes Vogelschutzgebiet, haben sich die Verhältnisse infolge der Nährstoffelimination auf der Kläranlage total verändert. Der Nährstoffgehalt des zugeführten Abwassers ging so stark zurück, dass die Fischzucht im Jahr 2000 eingestellt wurde. Seit 2002 hat der Bayerische Naturschutzfonds das Teichgut gepachtet.
Seit Mitte der 1980er Jahre wurden in Nürnberg die beiden Klärwerke zur Nährstoffelimination und Ablauffiltration umgerüstet. 1984 übernahm Klärwerk I die gesamte Abwasserbehandlung, bis Klärwerk II 1990 für 230.000 EW mit einer sauerstoffbegasten Belebung in der ersten Stufe und einer luftbegasten Belebung in der zweiten Stufe neu errichtet war. Seit 1990 arbeiten Klärwerk I und II im Verbundbetrieb. Sie betreiben seit 1992 Phosphorelimination und seit 1995 vorgeschaltete Denitrifikation in der zweiten Stufe. 2002 erhielt Klärwerk I, ausgebaut für 1,4 Mio. EW, auch eine Sauerstoff-Belebung in der ersten Stufe.
Mitte der 1990er Jahre wurden über 3.100 kommunale Kläranlagen in Bayern gezählt. Seither sinkt die Zahl, weil kleine Anlagen aufgelassen werden und das Abwasser stattdessen großen Kläranlagen zugeleitet wird. Mittlerweile (Stand 2022) beträgt die Gesamtzahl nur noch wenig über 2.300 Kläranlagen. Die Anlagen bis 10.000 EW, für die keine Mindestanforderungen an die Nährstoffelimination gelten, haben an dieser Gesamtzahl zwar einen Anteil von 84 %, ihr Anteil an der Gesamtausbaugröße macht aber nur 15 % aus. Insgesamt werden von allen kommunalen Kläranlagen 89,5 % des Phosphors und 79,4 % des Stickstoffs aus dem Abwasser entfernt. Die Vorgabe der EU-Kommunalabwasserrichtlinie von jeweils 75 % wird seit 2004 eingehalten.
2001 zeigte die Gewässergütekarte auf, dass die Zielvorstellung der Staatsregierung von 1972, die Güteklasse II zu erreichen, zu fast zwei Dritteln umgesetzt war. Während 1973 noch fast ein Viertel der Gewässer stark verschmutzt war (Gewässergüte schlechter als II-III), betrug deren Anteil 2001 nur noch 1,2 %.
Die EU-Wasserrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000 löste das vorherige Gewässergütekonzept ab und schreibt seither als Bewirtschaftungsziel für Oberflächengewässer den guten ökologischen und chemischen Zustand vor. Entsprechende Bewirtschaftungspläne und Maßnahmenprogramme werden seit 2010 im sechsjährigen Rhythmus aufgestellt. Im dritten Bewirtschaftungszyklus von 2022 bis 2027 sind für eine Reihe von Oberflächengewässern noch weitere Anstrengungen insbesondere zur Reduzierung der Phosphoreinträge erforderlich. Zusätzlich zu entsprechenden Maßnahmen im Bereich der Landwirtschaft müssen bei maßgeblichen Kläranlagen noch strengere Anforderungen erfüllt werden. Darüber hinaus werden weitere Handlungsmöglichkeiten z. B. für die Beseitigung des Niederschlagswassers geprüft.
Kleinkläranlagen als Dauerlösung für nicht an öffentliche Anlagen anschließbare Einwohner
Ende der 1990er Jahre zeichnete sich ab, dass rund 97 % aller Einwohner an zentrale öffentliche Abwasseranlagen angeschlossen werden können und die restlichen ca. 3 % nach den Abwasserbeseitigungskonzepten der Kommunen auf Dauer dezentral über private Anlagen entsorgt werden müssen. Die ca. 83.000 vorhandenen Kleinkläranlagen erfüllten die Mindestanforderungen der Abwasserverordnung im Regelfall nicht und waren daher mit einer biologischen Stufe nachzurüsten. Dies war 2021 bei 95 % der Anlagen erfolgt und damit nahezu abgeschlossen. Zwischen 2003 und 2015 wurden für die Nachrüstungen vom Freistaat Bayern Zuwendungen von insgesamt 187 Mio. € für die Nachrüstungen ausgezahlt.
Für die Kleinkläranlagen gelten die Mindestanforderungen der Kläranlagengrößenklasse 1 der Abwasserverordnung; weitergehende Anforderungen (Nitrifikation, Stickstoff- und Phosphorelimination, Hygienisierung) sind möglich. Zugelassene Private Sachverständige (PSW) haben alle zwei Jahre – bei Mängelfreiheit alle vier Jahre – den ordnungsgemäßen Betrieb zu bescheinigen. Bereits 2014 konnte festgestellt werden, dass über 90 % der umgerüsteten Anlagen ohne erhebliche Mängel betrieben werden.
Neben den Kleinkläranlagen sind auch noch ca. 16.000 abflusslose Abwassersammelgruben in Gebrauch, in denen das häusliche Abwasser aufgefangen und in der Regel zu einer kommunalen Kläranlage abgefahren wird. Ihre Dichtheit muss alle zehn Jahre durch einen PSW bescheinigt werden.
Neue Herausforderungen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit
Kanalisation
Bis in die 1990er Jahre wurde in Bayern für Kanalisationen mehr das Mischsystem (zwei Drittel Anteil) und weniger das Trennsystem angewandt. Nach neuen Erkenntnissen und Festlegung im WHG von 2010 ist es für den Gewässerschutz und das Ortsklima von Vorteil, wenn Niederschlagswasser möglichst unmittelbar versickert, verrieselt oder ohne Vermischung mit Schmutzwasser direkt in ein Gewässer eingeleitet wird.
Alte Kanalisationen sind oft schadhaft. Die Kommunen sind seit 1995 verpflichtet, ihre Kanalisationen regelmäßig zu überprüfen und die erforderlichen Sanierungen vorzunehmen. Seit 2012 zeigen Erhebungen, dass ca. 15 % der öffentlichen Abwasserkanäle kurz- bis mittelfristig saniert werden müssen. Seit 2016 unterstützt Bayern die Sanierungen nach einer Härtefallregelung. Allein für den laufenden Erhalt sind jährlich rund 1,5 % des Kanalnetzes zu renovieren bzw. zu erneuern. Auch bei den Kanälen für den Anschluss privater Grundstücke an die öffentliche Kanalisation ist eine regelmäßige fachliche Überprüfung und Behebung aufgetretener Schäden erforderlich. Die Gemeinden können in ihre Abwassersatzungen hierzu entsprechende Vorgaben für die Einleiter aufnehmen.
Betrieb der Abwasseranlagen
Seit Mitte der 1990er Jahre wurden bei den Kommunen neue Organisationsstrukturen im Abwasserbereich möglich. Vor allem Großstädte (z. B. Augsburg 1992, München 1993, Nürnberg 1996) gingen vom Regie- zum Eigenbetrieb über, organisatorisch und mit eigenem Haushalt verselbständigt. Andere Kommunen beauftragten Dritte im Rahmen eines Betreibermodells, 1996 z. B. die Stadt Bad Wörishofen für Bau und Betrieb des kommunalen Klärwerks. Zunehmend bewähren sich kommunale Zweckverbände und gemeinsame Kommunalunternehmen.
Alle Abwasseranlagen müssen laufend modernisiert und optimiert werden, nicht nur zur Verbesserung der Reinigungsleistung, sondern auch nachhaltig im Sinne der Resourcenschonung und des Klimaschutzes. 2012 hat hierzu das Umweltministerium erstmals – seither alle zwei Jahre – den "Abwasser-Innovationspreis" ausgeschrieben, für den sich die Träger kommunaler Abwasseranlagen bewerben können. Die ersten Auszeichnungen überreichte Umweltminister Marcel Huber (CSU, geb. 1958, Umweltminister 2011-2014 und 2018) im Januar 2013 an die Gemeinde Rott (Lkr. Landsberg a.Lech) und die Städte Cham, Pegnitz (Lkr. Bayreuth) und Straubing für ihre herausragenden und vorbildlichen Projekte.
Spurenstoffelimination und hygienische Aspekte
Seit 2003 demonstriert die Stadt Monheim (Lkr. Donau-Ries) mit ihren Abwasseranlagen im Karst der schwäbisch/fränkischen Alb, dass Abwasser auch in sehr sensible Gewässer eingeleitet werden kann. Die abflussarme Gailach versickert 6 km unterhalb der Stadt und tritt nach weiteren 5 km wieder als Karstquelle zu Tage. Das am Regenüberlaufbecken vor der Kläranlage abgeschlagene Mischwasser durchströmt vor Einleitung in die Gailach einen Retentionsbodenfilter mit bakteriologisch/hygienischer Wirkung. Die neue Kläranlage ist eine Belebungsanlage für 9.700 EW mit aerober Schlammstabilisierung, Stickstoff- und Phosphorelimination. Statt eines Nachklärbeckens trennen Hohlfaser-Membranen mit 0,1 µm Porenweite das gereinigte Abwasser vom belebten Schlamm. Der Erfolg kann sich sehen lassen: Das Wasser enthält nahezu keine Feststoffe mehr und ist hygienisch einwandfrei. Der Membrantechnik sind jedoch Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, alle Mikroverunreinigungen gezielt zu entfernen. Dafür ist eine vierte Reinigungsstufe erforderlich.
Eine vierte Reinigungsstufe wird seit März 2015 auf dem Klärwerk Neu-Ulm des Zweckverbands Steinhäule baden-württembergischer und bayerischer Kommunen betrieben. Die Mikroverunreinigungen (Pharmazeutika, Hormone, Haushaltschemikalien usw.) lagern sich in Kontaktbecken hinter der Nachklärung an Pulver-Aktivkohle (10 mg/l) an. Die mehrfach beladene Aktivkohle gelangt mit dem Überschussschlamm in die klärwerkseigene Klärschlamm-Verbrennungsanlage. Die phosphathaltige Asche geht als Rohstoff an die Düngemittelindustrie.
Eine andersartige vierte Reinigungsstufe betreibt die Kläranlage Weißenburg seit 2017, anfänglich im Rahmen eines wissenschaftlich begleiteten Pilotvorhabens. Die Kläranlage ist mit Stickstoff- und Phosphorelimination für 35.000 EW ausgebaut und leitet das gereinigte Abwasser in die sensible, abflussarme Schwäbische Rezat ein. Nach der Nachklärung werden hier die Mikroverunreinigungen in einem Ozon-Reaktor oxidiert bzw. aufgebrochen und die Rückstände in einer anschließenden Filterstufe entfernt. Die eine Filterstraße ist mit biologisch aktivierter, granulierter Aktivkohle, die andere zu Vergleichszwecken mit Filtersand gefüllt.
Mit der Regierungserklärung vom 28. Oktober 2020 hat Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler, geb. 1970, Umweltminister seit 2018) den Ausbau von 90 kommunalen Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe als Ziel innerhalb der Strategie "Wasserzukunft Bayern 2050" vorgegeben.
Klärschlammentsorgung
Der stabilisierte Klärschlamm, Nebenprodukt der Abwasserreinigung, wurde lange Zeit nass oder nach Entwässerung in Trockenbeeten bodenbezogen, d.h. landwirtschaftlich, gärtnerisch oder im Landschaftsbau verwertet. Ab Mitte der 1970er Jahre setzten vor allem größere Kläranlagen, später auch Lohnunternehmer, zur Entwässerung technische Verfahren (Zentrifuge, Filterpresse, Trocknung) ein. Aus großen Klärwerken wurde der Schlamm deponiert, oft gemeinsam mit Müll. Das ist seit 2005 nicht mehr gestattet. 1973 bis 1976 wurden erste Klärschlamm- bzw. Müll-Klärschlamm-Verbrennungsanlagen bei den Klärwerken Steinhäule (Neu-Ulm), Marktoberdorf und dem Abwasserverband Ampergruppe eingerichtet. München errichtete noch 1980 eine Klärschlamm-Monodeponie, verbrannte einen Teil seit 1985 im Kraftwerk Nord und nahm schließlich 1998 eine eigene Klärschlamm-Verbrennungsanlage in Betrieb.
Für die bodenbezogene Klärschlammverwertung wurde ab 1982 die Klärschlammverordnung maßgebend. Seitdem darf nur noch seuchenhygienisch unbedenklicher Schlamm aufgebracht werden, jedoch nicht auf Grünland und Feldfutteranbauflächen. Für die Aufbringung wurden die jährlich zulässigen Mengen, die Schadstoffgehalte und der Aufbringungszeitraum beschränkt. Auch wenn für die Schadstoffgehalte die Grenzwerte der Verordnung in der Regel gut eingehalten wurden, hat die Staatsregierung im Jahr 2001 beschlossen, aus Vorsorgegründen und im Sinne der Nachhaltigkeit auf ein Ende der bodenbezogenen Verwertung hinzuwirken. Seither ist die thermische Verwertung des Schlamms der Hauptentsorgungsweg. Mit der Verordnung zur Neuordnung der Klärschlammverwertung vom 2. Oktober 2017 wurden vom Bund weitere Eckpunkte festgelegt. Grundsätzlich besteht für alle Klärschlammerzeuger nun die Verpflichtung, den Schlamm im Hinblick auf den Phosphorgehalt möglichst hochwertig zu verwerten. Kläranlagen über 100.000 EW dürfen ab 2029 Klärschlamm nicht mehr bodenbezogen verwerten, für Kläranlagen über 50.000 EW gilt dies ab 2032. Bei diesen Anlagen wird dann grundsätzlich die Phosphorrückgewinnung zur Pflicht.
2020 fielen in Bayern rund 288.000 Tonnen Klärschlamm-Trockenmasse an. Davon wurden 7,7 % noch landwirtschaftlich (vor allem in ländlichen Bereichen), 4,4 % im Landschaftsbau und für Rekultivierungen sowie 83,8 % thermisch (Monoverbrennung oder Mitverbrennung in Zementwerken oder Müllheizkraftwerken) verwertet.
Bayerische Besonderheiten
Seenreinhaltung
Der Bodensee, drittgrößter europäischer Binnensee, an dem Bayern Anteil hat, kann seit Beginn des 21ten Jahrhunderts wieder aufatmen. Überdüngung, vor allem durch Phosphor infolge von unzureichend behandelten Abwassereinträgen in den See und dessen Zuflüsse, hatte in den 1950er Jahren zu einem drohenden Kollaps geführt. Der See hat große übernationale Bedeutung als Trinkwasserreservoir für etwa 5 Mio. Menschen, für die Siedlungsentwicklung, Schifffahrt, Fischerei, Naherholung und den Tourismus. Seit 1959 arbeiten rund um den See die Länder und Kantone (Baden-Württemberg, Bayern, Österreich und Schweiz) in der Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB) weltweit anerkannt zusammen. Mit für die Abwasserbehandlung abgestimmten strengen Richtlinien sowie Bau- und Investitionsprogrammen (bis 2019 rund 5 Mrd. €) konnte im Seewasser wieder ein ökologisch akzeptabler Zustand erreicht werden, der ständig beobachtet und weiterentwickelt werden muss. Neue Herausforderungen zur Sicherung und nachhaltigen Entwicklung der vielfältigen Pflanzen- und Tierwelt treten seit einiger Zeit hinzu, z. B. Bewältigung des Klimawandels, Gestaltung naturnaher Uferbereiche, Vermeidung diffuser Einträge und von Mikroschadstoffen.
Über 300 km Ring- und Abfangkanäle schützen heute mehr als 20 größere bayerische Seen und leiten das Abwasser zu unterhalb gelegenen Kläranlagen. Sie sichern deren Freizeitnutzung und schützen die Seen vor Eutrophierung. Diese Verfahrensweise wurde in den 1950er Jahren in Bayern entwickelt und seither vielfach nachgeahmt.
Die weltweit erste Ringkanalisation errichtete von 1957 bis 1965 der am Tegernsee 1956 gegründete erste bayerische kommunale Zweckverband zur Abwasserbeseitigung. Schon kurz darauf entstanden ähnliche Anlagen an anderen großen Seen, z. B. am Ammersee (1961-1972) und Starnberger See (1965-1976). 1971 beschloss die Staatsregierung das "Reinhalteprogramm für die bayerischen Seen" mit dem Sofortziel, hygienisch einwandfreie Wasserqualität für die Erholungsnutzung, insbesondere zum Baden, an den Seen zu sichern. Mittelfristig sollten die Seen auch von Nährstoffen entlastet werden, um die bestehende Eutrophierung zurückzudrängen und die natürlichen Verhältnisse wiederherzustellen. 1989 war mit Fertigstellung der Ringkanalisation und des Klärwerks zur Reinhaltung des Chiemsees erreicht, dass alle großen bayerischen Seen vor unmittelbaren Abwassereinträgen geschützt wurden. Bundespräsident Richard Freiherr von Weizsäcker (CDU, 1920-2015, Bundespräsident 1990-1994) und Ministerpräsident Max Streibl (CSU, 1932-1998, Ministerpräsident 1988-1993) nahmen im November die Anlagen in Betrieb. Als Soforterfolg war an allen so geschützten Seen die Badegewässerqualität gesichert. Nach und nach konnten sich die Seen wieder dem ursprünglichen Gütezustand annähern und in der Folge auch mit hochwertigen Fischpopulationen.
Kleinere, von Abwasserzuflüssen befreite Seen erhielten ab 1979/80 zusätzlich eine Seentherapie, um den Wasserkörper vor der Rücklösung von Phosphor aus dem Bodenschlamm zu schützen. Hierzu wurden z. B. im Schliersee die Totalumwälzung, im Wesslinger See die Tiefenwasserbelüftung, im Obinger See der Tiefenwasserabzug und im Fischkaltersee eine chemische Behandlung eingesetzt.
Badegewässerqualität in Fließgewässern
Begleitend zur Renaturierung in und außerhalb der Millionenstadt München wurde die Isar durch Abwasserdesinfektion über 130 km Flussstrecke ein Badegewässer – einmalig in Europa.
Mit einer Filtration und nachgeschalteten Desinfektion können die Abläufe kommunaler Kläranlagen soweit keimfrei gemacht werden, dass sie die Anforderungen der Bayer. Badegewässerverordnung erfüllen. Solche Maßnahmen machen dort Sinn, wo im aufnehmenden Gewässer die Keimbelastung aus diffusen Einträgen gering ist. An der Oberen und Mittleren Isar zwischen dem Sylvensteinsee und Moosburg a.d.Isar (Lkr. Freising) sowie an der Würm zwischen Starnberg und München ist das mit Ausnahme von Zeiten mit längeren Starkniederschlägen der Fall. Dort desinfizieren jährlich vom 15. April bis 30. September elf Kläranlagen ihren Ablauf mit UV-Bestrahlung. Bayern unterstützt und fördert das freiwillige Sonderprogramm. Die erste UV-Anlage wurde im September 2000 von Umwelt-Staatssekretärin Christa Stewens (CSU, geb. 1945) auf dem Klärwerk Bad Tölz in Betrieb genommen. Die größte UV-Anlage bestrahlt seit 2005 den Ablauf im Klärwerk München II (Gut Marienhof). Nach dem bisher großen Erfolg haben sich im August 2016 die Betreiber der Kläranlagen mit Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU, geb. 1967, Umweltministerin 2014-2018) geeinigt, das Sonderprogramm mindestens bis ins Jahr 2030 zu verlängern.
An der Unteren Ilz liegen in Niederbayern ebenfalls günstige Verhältnisse vor. Dort läuft ein ähnliches Programm seit 2005.
Abwasser-Fachleute in Bayern
Staatliche Abwasser-Fachleute sind in den Wasserwirtschaftsämtern, den Bezirksregierungen und dem Landesamt für Umwelt im Zuständigkeitsbereich des Umweltministeriums tätig. Ihre Hauptaufgaben sind, im Vollzug der Gesetze mitzuwirken, Strategien und Konzepte für eine nachhaltige, landesweite Gewässergütewirtschaft zu entwickeln, sowie die Öffentlichkeit, Verwaltung und Politik zu beraten. Öffentlich geförderte Projekte begleiten sie baufachlich. Entwicklungsvorhaben werden von ihnen in Auftrag gegeben und betreut, in der Regel aus Mitteln der Abwasserabgabe finanziert.
Anerkannte Private Sachverständige (PSW) sind seit 2002 für Kleinkläranlagen im wasserrechtlichen Erlaubnisverfahren als Gutachter und für die Bauabnahme eingesetzt. Sie bescheinigen alle zwei bzw. vier Jahre den ordnungsgemäßen Betrieb und die fachgerechte Wartung. Seit 2012 können den PSW auch Überwachungstätigkeiten als Verwaltungshelfer vor Ort bei kommunalen und bestimmten industriellen Kläranlagen übertragen werden.
Ingenieurbüros auf dem Abwassersektor sind fachliche Berater, planen Abwasseranlagen und sind bei der Baudurchführung tätig. 250 bayerische Ingenieurbüros führen im Rahmen ihrer DWA-Mitgliedschaft einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch durch.
Die fachbezogenen Lehrstühle an den bayerischen Hochschulen sind in Forschungs- und Entwicklungsprojekte eingebunden und werden zur Beratung herangezogen.
Mit dem Ziel, die Fachleute der Wasserwirtschaft zusammenzuführen, ist der Bayer. Landesverband der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) tätig. Er wurde 1952 als Landesgruppe der damaligen Abwassertechnischen Vereinigung e. V. (ATV) gegründet und hat rund 2.450 Mitglieder (Stand: 2021). Zu seinen Schwerpunkten gehören - unterstützt durch die bayerische Umweltverwaltung - die Fort- und Weiterbildung des Betriebspersonals von Abwasseranlagen, Erfahrungsaustausche der Kommunen und Ingenieurbüros sowie im Rahmen des Bundesverbands die Entwicklung und Fortschreibung des Technischen Regelwerks "Abwasser- und Abfalltechnik". Seit 1962 werden vom Landesverband Kurse zu den Grundlagen des Kläranlagenbetriebs durchgeführt. 1973 begannen der Erfahrungsaustausch und die Weiterbildung des Betriebspersonals im Rahmen von Nachbarschaften. Jede der 92 regionalen Kanal- und Kläranlagen-Nachbarschaften (Stand: 2021) trifft sich zwei- bis dreimal im Jahr auf einer Anlage, um unter Leitung eines erfahrenen Abwassermeisters oder Ingenieurs praxisnah Betriebsprobleme zu diskutieren und Erfahrungen auszutauschen. Ergänzend zu den regionalen Nachbarschaften gibt es 20 Sondernachbarschaften zu den Themen "Maschinelle Schlammentwässerung", "Phosphor-Elimination", "SBR-Anlagen", "Kleine Kläranlagen", "Große Kläranlagen" und „Labor“.
Seit 1984 werden Facharbeiter für Abwassertechnik im ersten staatlich anerkannten Ausbildungsberuf des Umweltbereichs ausgebildet. 1987 folgte die Verordnung für die Meisterprüfung. Bis 2015 hatten schon weit mehr als 350 Beschäftigte bayerischer Abwasseranlagen ihre Meisterprüfung erfolgreich abgelegt.
Literatur
- Abwassertechnische Vereinigung e. V. (Hg.), ATV-Handbuch Biologische und weitergehende Abwasserreinigung, Berlin 4. Auflage 1997.
- Erwin Bach, Pettenkofer – Sein Beitrag zur Lösung der Abwasserfrage, in: Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft und Technische Universität München, Seminar "Geschichtliche Entwicklung der Wasserwirtschaft und des Wasserbaus in Bayern" am 30. April 1981. Informationsberichte des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft 4/81, München 1981, 261-285.
- Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Statistik der öffentlichen Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in Bayern 1991-2013, 2017.
- Bayerisches Landesamt für Umwelt, Abwasserentsorgung in Bayern – Schutz von Fließgewässern und Seen, Neudrossenfeld 2010.
- Bayerisches Landesamt für Umwelt, Umsetzung der EG-Kommunalabwasserrichtlinie in Bayern – Lagebericht Gewässerschutz 2004, 2005.
- Bayerisches Landesamt für Umwelt, Umsetzung der EG-Kommunalabwasserrichtlinie in Bayern – Lagebericht 2020, 2021.
- Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft, 100 Jahre Bayer. Landesamt für Wasserwirtschaft – Festschrift (Schriftenreihe des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft 8), München 1978.
- Baureferat der Landeshauptstadt München Hauptabteilung Entwässerung, 100 Jahre Stadtentwässerung München 1885-1985, München 1985.
- Klaus Bucksteeg, Seenreinhaltung in Bayern – Eine Zwischenbilanz nach 25 Jahren Gewässerschutzarbeit, in: Informationsbericht 2/83 des Bayer. Landesamtes für Wasserwirtschaft, München 1983, 313-327.
- DWA-Landesverband Bayern, Chronik zum 60jährigen Bestehen, München 2012.
- Oberste Baubehörde im Bayer. Staatsministerium des Innern, Tätigkeitsbericht Bayerische Staatsbauverwaltung 1948–1968, München 1968.
- Oberste Baubehörde im Bayer. Staatsministerium des Innern, Seenreinhaltung in Bayern (Schriftenreihe Wasserwirtschaft in Bayern), Garching 1971.
- Karl Imhoff/Klaus R. Imhoff/Norbert Jardin, Taschenbuch der Stadtentwässerung, 32. Auflage München 2017.
- Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB), Der Bodensee – Zustand, Fakten, Perspektiven, Bregenz 2004
- Landeshauptstadt München Baureferat, Stadtentwässerungswerke, Im Untergrund von München – Die Kanaler einer Großstadt erzählen, München 2001.
- Leonhard Lutz, Gesellschaft und Wirtschaft Nürnbergs unter Otto Freiherr von Stromer, Stuttgart 1992.
- Wilhelm Salisko/Friedrich Wieselsberger, München – Wasserversorgung und Abwasser, in: Bayerisches Landesamt für Wasserversorgung und Gewässerschutz (Hg.)/Max Lohr (Bearb.), Gewässerschutz in Bayern, München 1966, 49-53.
- Peter Schleypen, Abwasserreinigung in Bayern. Entwicklung der Klärtechnik bei kommunalen Abwasseranlagen, in: BAU INTERN. Zeitschrift der Bayerischen Staatsbauverwaltung 7 (1988), 118-125.
- Thomas Schranner, Kleinkläranlagen bewähren sich in der Praxis. Auswertung der Überwachungsdaten von über 50.000 bayerischen Kleinkläranlagen, in: KA Korrespondenz Abwasser 8/2014, 695-700.
- Stadt Nürnberg Stadtentwässerungsbetrieb, Alles klar – Jubiläums-Festschrift 125 Jahre Stadtentwässerung 1874-1999, Zirndorf 1999.
- Fritz Stimmelmayr, Das Bayerische Landesamt für Wasserversorgung und Gewässerschutz – seine Aufgaben und seine Organisation, in: Bayer. Landesamt für Wasserversorgung und Gewässerschutz (Hg.)/Max Lohr (Bearb.), Gewässerschutz in Bayern. Anläßlich der 3. Internationalen Abwasserkonferenz 1966 in München, München 1966, 9-15.
- Ludwig Strobel, Wasserwirtschaft in Bayern als Zukunftsauftrag und Herausforderung (Schriftenreihe des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft 22), München 1988.
- Heinrich Völk, Wasserversorgung und Gewässerschutz, in: Wasserbau und Wasserwirtschaft in Bayern 1, München 1962, 22-27.
- Friedrich Wieselsberger, Stand der Abwasserbeseitigung in Bayern. Wasserwirtschaft in Bayern. Aus dem Arbeitsbereich des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft. Seminar am 8. Februar 1983, München 1983.
Quellen
- Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Akten und Veröffentlichungen der Obersten Baubehörde bis 1993, der ehemaligen Landesstelle für Gewässerkunde 1905-1957, des ehemaligen Landesamtes für Wasserversorgung und Gewässerschutz von 1957-1974 und des ehemaligen Landesamtes für Wasserwirtschaft von 1974-2005.
Weiterführende Recherche
Externe Links
- Bayerisches Landesamt für Umwelt: Wasser - Startseite
- Bayerisches Landesamt für Umwelt: Grundsätze und gesetzliche Anforderungen der Abwasserentsorgung
- Bayerisches Landesamt für Umwelt: Abwasserentsorgung von Einzelanwesen
- Bayerisches Landesamt für Umwelt: Kanalisation
- Bayerisches Landesamt für Umwelt: Niederschlagswasser
- Bayerisches Landesamt für Umwelt: Überwachung von Abwasseranlagen/Datengewinnung
- Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz: Förderung wasserwirtschaftlicher Vorhaben
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Empfohlene Zitierweise
Kurt Müller/Peter Schleypen, Abwasserbehandlung (nach 1945), publiziert am 31.07.2017 (aktualisierte Version 14.07.2023); in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Abwasserbehandlung_(nach_1945)> (31.10.2024)