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Bayerisches Chemiedreieck

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Übersichtskarte Bayerisches Chemiedreieck mit Liste der Standorte und Firmen, 2006. (MORE Werbung und Kommunikation GmbH)

von Dietmar Grypa

Als "Bayerisches Chemiedreieck" wird der Raum zwischen Trostberg, Töging am Inn und Burghausen an der Salzach bezeichnet. In dem nur wenig urbanisierten Gebiet siedelten sich seit 1908 zahlreiche Betriebe der chemischen Industrie an, die für ihre energieintensive Produktion die Wasserkraft von Inn und Alz nutzen. Bedeutende Entwicklungsschübe brachte der Ausbau der Rüstungsproduktion im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Nach dem Bau der Raffinerie Burghausen Mitte der 1960er Jahre, die an die transalpine Ölleitung angeschlossen wurde, entwickelte sich das Chemiedreieck zu einem wichtigen Standort der petrochemischen Industrie.

Entstehung vor 1914

Als "Bayerisches Chemiedreieck" wird der Raum zwischen Trostberg, Töging am Inn und Burghausen an der Salzach bezeichnet. Grundlage für die Ansiedelung der Produktionsstätten mehrerer elektro-chemischer Unternehmen in dieser Region war die Nutzung der Wasserkräfte der Flüsse Alz und Inn. Gleichzeitig mit den Betrieben entstanden daher in unmittelbarer Nähe Elektrizitätswerke, wie die Alzwerke und das Innwerk.

Die am 6. November 1908 von der Cyanidgesellschaft und der Deutschen Bank gegründete "Bayerische Stickstoffwerke AG" errichtete ab 1908 in Schalchen ein Karbidwerk und in Trostberg ein Werk, das Karbid zu Kalkstickstoff und diesen zu Dünger weiterverarbeitete.

Ausbau während des Ersten Weltkriegs und Konsolidierung in der Weimarer Republik

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 bekam die Trostberger Produktion für die Kriegswirtschaft eine besondere Bedeutung, da Kalkstickstoff auch als Vorprodukt für die von den Munitions- und Pulverfabriken benötigte Salpetersäure genutzt werden kann. Während des Ersten Weltkriegs erfolgte im späteren Chemiedreieck die Errichtung einer weiteren Karbidfabrik der Bayerischen Stickstoffwerke in Hart, die Gründung der "Innwerk, Bayerische Aluminium AG" und der Bau der "Alexander Wacker-Werke" in Burghausen. Während der Weimarer Republik wurde der Aufbau der im Ersten Weltkrieg projektierten Werke abgeschlossen, zugleich aber auch die Karbidproduktion in Schalchen stillgelegt.

Weiterer Ausbau während des Zweiten Weltkriegs 1939-1945

In direkter Nachbarschaft zum Werk der Anorgana GmbH in Gendorf (Lkr. Altötting) lebten KZ-Häftlinge in Baracken. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Gefangenen zu Arbeiten in der Rüstungsproduktion herangezogen. (InfraServ GmbH & Co. Gendorf KG)

Nach 1933 gelang es den zu diesem Zeitpunkt bestehenden Großbetrieben in der Region, nicht zuletzt durch die nationalsozialistische Rüstungspolitik, ihre Kapazitäten weiter auszubauen. Ferner errichtete die "Anorgana GmbH", eine Tochtergesellschaft der Interessengemeinschaft Farbenindustrie ("IG-Farben"), im Auftrag des Heereswaffenamts in Gendorf bei Burgkirchen von 1939 bis 1941 einen weiteren elektro-chemischen Betrieb, da mit den Karbidwerken in Burghausen und Hart in nächster Nähe Lieferanten der wichtigsten Rohstoffe für die Produktion des neuen Werks zur Verfügung standen. Von Luftangriffen blieben die Produktionsstätten des Chemiedreiecks verschont.

Veränderungen der Betriebsstruktur nach 1945

Leitungen für den Bau der Erdölraffinerie Burghausen (Lkr. Altötting) im Holzfelder Forst durch die 1962 gegründete Deutsche Marathon Petroleum GmbH. Foto 1967. (OMV Deutschland GmbH)
Die Raffinerie Burghausen (Lkr. Altötting) im Jahr 1968. Seit 1987 ist die Raffinerie Eigentum der OMV. (OMV Deutschland GmbH)

Nach dem Zweiten Weltkrieg unterstand die Anorgana als Teil der IG-Farben bis zum 18. Dezember 1952 alliierter Kontrolle. Danach wurde sie vom bayerischen Staat übernommen, der das Werk Gendorf 1955 an die Hoechst AG, eine der drei IG-Farben-Nachfolge-Gesellschaften, übergab. Im Rahmen der Umstrukturierung des Hoechst-Konzerns von 1993 bis 1998 entstand aus dem Werk Gendorf eine offene und dynamische Verbundstruktur von eigenständigen Unternehmen mit der Bezeichnung "Industriepark Werk Gendorf".

1966/67 errichtete die 1962 gegründete "Deutsche Marathon Petroleum GmbH" im Holzfelder Forst nördlich von Burghausen eine Erdöl-Raffinerie, die an die transalpine Ölleitung von Triest nach Ingolstadt angeschlossen wurde. Die Raffinerie, seit 1987 im Besitz der OMV, erzeugte vor allem Acetylen und Äthylen für das Produktionsprogramm der Wacker-Chemie und der Hoechst AG. Dies ermöglichte der Wacker-Chemie in den Jahren von 1965 bis 1969 die Umstellung auf petrochemische Rohstoffe. Bis dahin hatte Wacker in Burghausen Acetylen aus Karbid selbst hergestellt. Mitte 1976 stellte die Raffinerie die Produktion von Acetylen ein und erhöhte dafür die Erzeugung von Äthylen.

Der Strukturwandel am Ende des 20. Jahrhunderts führte dazu, dass 1996 die VAW in Töging die Aluminiumverhüttung einstellte und die Innwerk AG in die Bayernwerk AG (heute E.ON) eingegliedert wurde, die ihren Verwaltungssitz in Landshut hat.

Literatur

  • Ernst Bäumler, Die Fabrik im Grünen oder Das Werk, das niemand haben wollte, Burgkirchen an der Alz 1990.
  • Peter Blickle u. a. (Red.), Moderne Chemie im Einklang mit der Region: das südostbayerische Chemiedreieck, o.O. [Trostberg] o.J. [1998].
  • Erich Engelmann, Geschichte der Innwerk Aktiengesellschaft Töging, in: Oettinger Land 3 (1983), 142-165.
  • Egon Falbesaner, Die Wacker-Chemie und ihr Gründer - zum 75jährigen Firmenjubiläum, in: Oettinger Land 9 (1989), 173-190.
  • Werner Freiesleben, Im Wandel gewachsen. Der Weg der Wacker-Chemie 1914-1964, Wiesbaden 1964.
  • Dietmar Grypa, Studien zu Kriegsende und Neuanfang im Landkreis Altötting (Burghauser Geschichtsblätter 46), Burghausen 1991.
  • Helmut Hilz, Der Ausbau der Inn-Wasserkräfte 1906/07-1945 und die industriewirtschaftliche Entwicklung in Südostbayern, insbesondere im Raum Burghausen-Altötting, Magister-Arbeit im Fach Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der LMU 1988.
  • Rudolf Huber, Garching an der Alz und der Bau des Karbidwerkes in Hart an der Alz, in: Oettinger Land 12 (1992), 165-177.
  • Horst Krebes, Töging, in: Der bayerische Bürgermeister 4 (1998), 130-132.
  • Manfred Pohl, Das Bayernwerk 1921 bis 1996, München/Zürich 1996.
  • Rudolf Rossgotterer, Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Dr. Ing. Nikodem Caro (1871-1935), ein bedeutender Naturwissenschaftler, Unternehmer und Ehrenbürger unserer Heimat, in: Oettinger Land 15 (1995), 103-111.

Quellen

  • Firmenarchiv der Wacker Chemie AG, Postfach 1240, 84480 Burghausen.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Dietmar Grypa, Bayerisches Chemiedreieck, publiziert am 06.10.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bayerisches Chemiedreieck (29.03.2024)