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Literatur (Weimarer Republik)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Oskar Maria Graf, um 1930. (Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek München)
Karl Valentin, Postkarte vom 14. Mai 1924. (Bayerische Staatsbibliothek)
Joachim Ringelnatz, undatiert. (Bayerische Staatsbibliothek Fotoarchiv Hoffmann)
Erika und Klaus Mann, um 1930. (Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek München)
Die Familie Mann in München, 1932. (Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek München)
Thomas (rechts) und Heinrich Mann, undatiert. (Bayerische Staatsbibliothek Fotoarchiv Hoffmann)
Annette Kolb, um 1920. (Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek München)
Hermann Kesten, undatiert. (Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek München)
Ruth Schaumann. (aus: Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft. 2. Band, Berlin 1931, 1615)

von Elisabeth Tworek

Die Literatur zwischen 1918 und 1933 war in Bayern wie im übrigen Reich geprägt von den politischen Ereignissen dieser Epoche. Sie entwickelte sich auf hohem Niveau in verschiedensten Zugängen und Stilrichtungen wie Gesellschafts- und Zeitkritik, Bänkelsang, Volkstheater, Heimat- oder Unterhaltungsliteratur. Zahlreiche herausragende Schriftsteller der Weimarer Republik wurden nach 1933 von den Nationalsozialisten verfolgt und gingen ins Exil.

Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Die Weimarer Republik, benannt nach dem Ort ihrer Verfassungsgebung, währte von Januar 1919 bis 1933, also gerade einmal 14 Jahre. Die deutsche Literatur dieser Zeit ist geprägt von politischen Ereignissen wie Erster Weltkrieg, Ende des Kaiserreiches, Novemberrevolution, Inflation, Hitler-Putsch, Weltwirtschaftskrise und Aufstieg der NSDAP und des Nationalsozialismus. Sie bildeten den Resonanzboden, auf denen Romane, Theaterstücke, Gedichte, Erzählungen von Schriftstellerinnen und Schriftstellern unterschiedlichster Couleur gedeihen konnten. "Das, was Weimar tatsächlich ausmachte, hat wenig zu tun mit dem Mythos der 'Goldenen Zwanziger Jahre', den man sich nach 1945 geschaffen hat, um wieder Anschluss zu gewinnen an eine abgebrochene und unter anderen politischen Vorzeichen (in der Emigration) fortgesetzte Geschichte des deutschen Geistes und seiner literarischen und künstlerischen Hervorbringungen." (Sontheimer, Weimar, 9)

Zwischen Expressionismus und Nationalsozialismus

Nach dem Ende des Kaiserreiches und den sich anschließenden revolutionären Umwälzungen war die Sehnsucht groß, aus dem Chaos zurück in die Kultur, in eine neue Ordnung von Kunst und Geist zu finden. So erklären sich die Lebendigkeit, der Reichtum und das hohe Niveau des kulturellen Lebens der Weimarer Republik vornehmlich aus der Spannung, die aus unvereinbaren, vorübergehend gleichwohl produktiven Gegensätzen herrührt. Das gesellschaftspolitische Spannungsfeld zwischen dem Ende der alten Herrschaftsstrukturen und den neuen Möglichkeiten in einer Demokratie setzte Energien, Talente und Visionen frei, welche die Literatur, Musik und Kunst dieser Zeit entscheidend veränderten, ihr das Jahrhundertgesicht gegeben haben.

Die Literatur der Weimarer Republik ist nichts Einheitliches, vielmehr ein Schauplatz der verschiedensten ästhetisch und politisch ausgerichteten Gruppierungen. Die Schriftsteller, in ihrer Mehrzahl literarische Einzelgänger, kann man auch nur mit Abstrichen generalisierenden Entwicklungsströmen zuordnen.

Metropole Berlin

Das kulturelle Zentrum der 1920er Jahre war die Weltmetropole Berlin. Die Stadt war ein Spannungsfeld in sich. Dort war man den neuen Entwicklungen des Jahrhunderts am nächsten. "In Berlin begann sich damals Mitteleuropa zu amerikanisieren. Ein hektische Atmosphäre von Geschäft, Sensation, Literatur und Ruhm; Berlin verlieh durch seine weit ins Reich wirkende Presse die ausschlaggebende Publizität, es verlieh Öffentlichkeit." (Rühle, Theater, 23). Dort waren die tonangebenden Theaterbühnen, Zeitungen und Verlage der Zeit. Das Unterhaltungstheater vom Boulevardstück bis zur Nacktrevue erhielt speziell in Berlin einen so starken Auftrieb, dass es zu einem eigenen Phänomen der 1920er Jahre wurde. Der Schriftsteller Alfred Döblin (1878-1957) setzte im ersten deutschen Großstadtroman „Berlin Alexanderplatz“ (1929) dem hektischen Treiben der Stadt ein literarisches Denkmal.

Provinz-Debatte

Was vom Gesichtspunkt der Reichshauptstadt etwas hochmütig "Provinz" genannt wurde, gewann plötzlich vielerorts neue initiative Kraft. In München sammelten sich die jungen Kräfte an den Kammerspielen, die 1917 Otto Falckenberg (1873-1947) übernommen hatte. Dort wurde 1922 Bertolt Brechts (1898-1956) avantgardistisches Theaterstück "Trommeln in der Nacht" uraufgeführt. Doch als sich die Stadt München immer mehr zum "Hort der Reaktion" entwickelte, in der aufstrebende Nationalsozialisten im öffentlichen Leben zunehmend eine Rolle spielten, wanderten namhafte Schriftsteller wie Brecht, Marieluise Fleißer (1901-1974) und Lion Feuchtwanger (1884-1958) um 1925 nach Berlin ab. Ricarda Huch (1864-1947), der gebürtige Würzburger Max Mohr (1891-1937), Joachim Ringelnatz (1883-1934) und Heinrich Mann (1871-1950) folgten ihnen wenige Jahre später.

Zeit- und Gesellschaftskritik

Die beherrschende Wilhelminische Kultur hatte ihren Führungsanspruch preisgeben müssen. Eine kleine Gruppe von Intellektuellen – der in München ansässige Heinrich Mann steht exemplarisch dafür - sah mit der Republik eine neue, bessere Zeit anbrechen und war dementsprechend enttäuscht, als vieles, was sie zum Aufbau eines demokratischen Lebens für notwendig erachteten, nicht realisiert wurde. Sie entwickelten sich zu den heftigen Kritikern des Systems.

Der Anarchist, Bohemien und Schriftsteller Erich Mühsam (1878-1934), wie Ernst Toller (1893-1939) aktiver Teilnehmer an der Münchner Räterepublik, gehörte dazu. Heinrich Manns jüngerer Bruder Thomas Mann (1875-1955) erhielt 1929 den Nobelpreis für Literatur. Sein 1924 vollendeter Jahrhundertroman "Der Zauberberg" und sein forciertes Eintreten für die junge Weimarer Republik machten ihn zum bedeutendsten Repräsentanten des "deutschen Geistes" im In- und Ausland. Mit seiner Familie verkörpert er das schwere Los der deutschen Intellektuellen, die Flucht und Vertreibung zu Weltbürgern machte. Die Deutsch-Französin Annette Kolb (1870-1967) lieferte in ihrem feinsinnigen und vielgestaltigen historischen Roman "Daphne Herbst" (1928) einen Abgesang auf das Bayern der Prinzregentenzeit. Der gebürtige Münchner Lion Feuchtwanger thematisierte in seiner "Wartesaal-Trilogie" mit den Romanen "Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz" (1930), "Die Geschwister Oppermann" (1933) und "Exil" (1940) den Aufstieg des Nationalsozialismus und seine Folgen.

Die neuen Jungen

Eine Schar junger aufrührerischer Dichter lief gegen die alte patriarchalische Welt der Väter Sturm. In ihren Werken reagierten sie höchst sensibel auf die politischen, sozialen und kulturellen Erosionsprozesse ihrer Zeit. Als Heranwachsende hatten sie den Krieg erlebt oder kamen gerade verwundet, geschunden und traumatisiert aus dem Krieg zurück. Auf Vergangenes und Verlorenes blickten sie nicht zurück, sondern wandten sich ganz realistisch der Welt zu, wie sie nun einmal war.

Der in Nürnberg aufgewachsene Schriftsteller Hermann Kesten (1900-1996) umschreibt die "jungen Nachkriegsleute" als "Gezeichnete einer Zeit". "Es sind alles junge Menschen", so Hermann Kesten im Vorwort zu seiner Anthologie "24 neue deutsche Erzähler", "die zu wissen glauben, daß ein Schriftsteller notwendig ist in dieser korrumpierten und bedürftigen Welt". Sie glauben an die "Wirkung des Wortes". Gleichzeitig tragen sie aber "den Schauder eines sogenannten Weltkrieges in den Sinnen, im Herzen, im Kopf wie Greise einen Rheumatismus in den Gelenken." (Hermann Kesten, Junge Schriftsteller). Der Augsburger Bertolt Brecht, die Ingolstädterin Marieluise Fleißer, der in Murnau ansässige Ödön von Horváth (1901-1938), der Nürnberger Kesten oder Ernst Toller gehören zu ihnen.

Bänkelsang, Volkskunst und Volkstheater

In der Sprache und den Ausdrucksformen der Volkskunst und des Volkstheaters fanden Revolutionsliteraten, Pazifisten, Anarchisten, Expressionisten und volkstümliche Realisten ein adäquates Deutungsmittel ihrer "verlorenen Revolution". Der "Meisterzauberer dieser Sprachgebärde" (Wolfgang Frühwald, Als München nicht mehr leuchtete, 44) war der Träger des Kleistpreises Ödön von Horváth. Mit seinen zwischen 1929 und 1933 entstandenen Volksstücken revolutionierte er formal und ethisch die Theaterbühne. Befreundet war er mit dem Anarchisten und Stegreiferzähler Oskar Maria Graf (1894-1967) aus Berg am Starnberger See, der sich "zum Volk gehörig" fühlte. Auch als Graf 1933 ins Exil ging, blieb er in seinen Romanen und Erzählungen der bäuerlichen Welt in Bayern eng verbunden. Der Kabarettist, Schauspieler, Filmemacher und Komiker Karl Valentin (1882-1948) darf zu den Lehrmeistern Brechts gezählt werden. Volkssänger, Dadaist oder Situationskomiker wird er gerne genannt. Mit seiner Skurrilität und Salto schlagenden, bizarren Logik brachte es das Universalgenie aus der Münchner Vorstadt - zusammen mit seiner Bühnenpartnerin Liesl Karlstadt (1892–1960) – zu Weltrang. Der Kabarettist Joachim Ringelnatz, der etwa zur gleichen Zeit München eroberte, war dort das Aushängeschild der Bohème und Hausdichter in der Schwabinger Künstlerkneipe "Simplicissimus". Seine grotesk-heiteren Verse verbinden gekonnt Tiefsinn mit Stumpfsinn.

Heimatliteratur und Christentum

Landschaft, Freundschaft und gläubige Zuversicht waren leitende Themen insbesondere in der von Knut Hamsun (1859-1952) beeinflussten "neuen Heimatliteratur". Die Bildhauerin und Dichterin Ruth Schaumann (1899-1975) und die Schriftstellerin Regina Ullmann (1884-1961) gehörten zum Kreis um Carl Muths (1867-1944) Zeitschrift "Hochland" in München, die seit ihrer Gründung 1903 die Synthese von Heimatliteratur und katholischem Christentum förderte. Religion und Geschichte waren auch die großen Themen der Dichterin Gertrud von le Fort (1876-1971), die dem christlichen Weltbild ebenso tief verbunden war wie der Arzt und Schriftsteller Hans Carossa (1878-1956) aus Bad Tölz, der in seinem Werk empfindlich auf das kälter werdende "seelische Klima" seiner Gegenwart reagierte. Sein Regensburger Schriftstellerkollege Georg Britting (1891-1964) besang in zahlreichen Gedichten die bayerische Landschaft. In seinem Roman "Lebenslauf eines dicken Mannes, der Hamlet hieß" (1932) wehrt sich ein skeptischer Mensch durch Essen und Trinken gegen die "Belagerung und Bedrohung durch das Leben".

Literarische Einzelgänger

Ähnlich dem einzelgängerischen Schaffen von Hermann Hesse (1877-1962) lässt sich auch das Werk des Münchner Zeitungsredakteurs und Lyrikers Eugen Roth (1895-1976) in keine Schublade stecken. Er fand besonders durch seine "Ein Mensch"-Gedichte große Beachtung.

Unterhaltungsliteratur

Den Hauptanteil der belletristischen Literatur bestritten aber nicht die Zeit- und Gesellschaftskritiker oder die literarische Avantgarde. Die Bestseller von damals schrieben Autoren, die nach 1945 zum größten Teil in Vergessenheit gerieten, wie Walter von Molo (1880-1958), der sich in Murnau niederließ, oder Waldemar Bonsels (1880-1952), der bis zu seinem Tod in Ambach am Starnberger See wohnte. Die Auflagen ihrer mehr oder weniger trivialen Bücher gingen damals in die Hunderttausende. Der in Fürth geborene Schriftsteller Jakob Wassermann (1873-1934) schrieb spannende Unterhaltungsliteratur. Viele seiner Romane wurden Bestseller und in andere Sprachen übersetzt. Die Unterhaltungsschriftstellerin Hedwig Courths-Mahler (1867-1950), bis zu ihrem Tod ansässig in Rottach-Egern, träumte sich in ihren Büchern in eine Scheinwelt, in der sich alle Schwierigkeiten mit einem Happy-End auflösen ließen. Das kam in einer Zeit der Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise bei sehr vielen Lesern gut an. Mit ihren 200 Unterhaltungsromanen erzielte sie Millionenauflagen.

Flucht ins Exil

Mit der Machtübernahme Adolf Hitlers (1889-1945) am 30. Januar 1933 wurde dem ersten demokratischen Staat auf deutschem Boden ein jähes Ende gesetzt. Bis zum Abend des 27. Februar, als der Reichstag brannte, spielten Erika (1905-1969) und Klaus Mann (1906-1949) mit ihrem "militant antinazistischen" politischen Kabarett "Die Pfeffermühle" in München gegen den nationalsozialistischen Terror an. Im März 1933 begann für sie wie für so viele Intellektuelle, Künstler, Musiker und Schriftsteller der Weg ins Exil. Wer nicht rechtzeitig fliehen konnte, geriet in das perfide System der "Schutzhaft". Am 10. Mai 1933 verbrannte auf öffentlichen Plätzen "fast das ganze deutsche Schrifttum von Bedeutung", so Oskar Maria Graf. Vom Wiener Exil aus forderte er "Verbrennt mich!" und prophezeite "Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie eure Schmach!" (Oskar Maria Graf, Verbrennt mich, 85).

Literatur

  • Wolfgang Frühwald, Als München nicht mehr leuchtete. Literatur in Bayern 1919-1960, in: Alfons Schweiggert/Hannes S. Macher (Hg.), Autoren und Autorinnen in Bayern. 20. Jahrhundert, Dachau 2004, 41-56.
  • Peter Gay, Die Republik der Außenseiter, Frankfurt am Main 1970.
  • Günther Rühle, Das Theater der Republik, 1. Band 1917-1925, in: Günther Rühle, Theater für die Republik 1917-1933. Im Spiegel der Kritik. 2 Bände, Frankfurt am Main überarbeitete Neuauflage 1988, 11-45.
  • Oskar Maria Graf, Verbrennt mich! Protest anläßlich der deutschen Bücherverbrennung 1933, in: Das Oskar Maria Graf Lesebuch, herausgegeben von Hans Dollinger, München/Leipzig 1993, 83f.

Quellen

  • Alfons Schweiggert/Hannes S. Macher (Hg.), Autoren und Autorinnen in Bayern. 20. Jahrhundert, Dachau 2004.
  • Kurt Sontheimer, Weimar - ein deutsches Kaleidoskop, in: Wolfgang Rothe (Hg.), Die deutsche Literatur in der Weimarer Republik, Stuttgart 1974, 9-18.
  • Elisabeth Tworek, Spaziergänge durch das Alpenvorland der Literaten und Künstler, Hamburg/Zürich 2. Auflage 2004.
  • Hermann Kesten, Junge Schriftsteller (= Vorwort zu der Anthologie "24 neue deutsche Erzähler"), Die Weltbühne, Nr. 44, 29. Oktober 1929, 670/671.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Elisabeth Tworek, Literatur (Weimarer Republik), publiziert am 11.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Literatur_(Weimarer_Republik)> (19.03.2024)