Siemens
Aus Historisches Lexikon Bayerns
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Im heutigen Berlin-Kreuzberg gründeten Werner von Siemens (1816-1892) und Johann Georg Halske (1814-1890) 1847 die "Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske". Sie war die Keimzelle der heutigen Siemens AG, eines Unternehmens, das binnen weniger Jahrzehnte zu einem der führenden Elektrokonzerne Deutschlands und schließlich der Welt aufstieg. In der Geschichte von Siemens spielte Bayern bereits früh eine Rolle – die Anfänge gehen auf ein Abkommen über die Lieferung von elektrischen Telegrafen aus dem Jahr 1856 zurück. Infolge des Zweiten Weltkriegs und der alliierten Besatzung entschied sich die Firmenleitung 1949 angesichts der ungewissen Zukunft des Wirtschaftsstandorts Berlin und der sich verfestigenden Teilung Deutschlands dazu, den Firmensitz nach Bayern zu verlegen. Siemens konnte dabei auf die bereits in Bayern geschlagenen Wurzeln, allen voran mit den Siemens-Schuckertwerken in Nürnberg (Starkstromtechnik) und den Siemens-Reiniger-Werken in Erlangen (Medizintechnik) sowie nachrichtentechnischer Fertigung in München zurückgreifen und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seine Präsenz von dort ausgehend in großem Umfang in ganz Bayern ausbauen.
Gründung
Als Werner von Siemens (1816–1892) und Johann Georg Halske (1814–1890) 1847 in Berlin die „Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske“ gründeten, existierte der Begriff „Elektrotechnik“ noch nicht. Siemens & Halske machte sich zunächst in der elektrischen Nachrichtentechnik und später in der Energietechnik einen Namen und entwickelte sich zu einer global agierenden Firma. Rückblickend schrieb Werner von Siemens, er habe immer vom Aufbau eines „Weltgeschäfts à la Fugger“ geträumt.
Der Firmengründer war bereits früh darum bemüht, ausländische Märkte zu erschließen; die Errichtung erster Agenturen und Gesellschaften in London (1850) und St. Petersburg (1855) sind Belege dafür. Doch schon der Gang über die Grenzen Preußens hinaus bedeutete im Zeitalter der deutschen Einzelstaaten unternehmerisches Engagement im "Ausland". Wenige Jahre nach der 1847 erfolgten Unternehmensgründung begann Werner von Siemens, Bayern als Absatzmarkt für sein erfolgreichstes Produkt, den elektrischen Zeigertelegrafen (1849), zu erschließen.
Die Anfänge von Siemens in Bayern
1854 präsentierte die junge Telegraphen-Bauanstalt ihre Produkte auf der Ersten Allgemeinen Deutschen Industrieausstellung im Münchner Glaspalast. Bereits zwei Jahre später, 1856, wurde ein umfangreiches Lieferabkommen mit der Königlich Bayerischen Eisenbahndirektion über magnetelektrische Zeigertelegrafen abgeschlossen. Für geschäftlichen Auftrieb sorgte aber vor allem die Dynamomaschine, mit der Werner von Siemens den Weg gefunden hatte, auf einfache Weise elektrischen Strom in nahezu unbegrenzter Stärke zu erzeugen. 1868, nur zwei Jahre, nachdem Werner von Siemens das erste Modell vorgestellt hatte, erlebte München einen der ersten Praxiseinsätze der neuen Apparatur. Bayerische Pioniertruppen betrieben mit Dynamomaschinen große Bogenlampen beim nächtlichen Bau der Braunauer Eisenbahnbrücke über die Isar zur Verbindung von Ost- und Südbahnhof. Als Renommierprojekt ganz besonderer Art galt die elektrische Ausrüstung des erweiterten Münchner Hauptbahnhofs im Jahr 1879, dessen vierschiffige Bahnsteighalle Siemens & Halske als erste in Deutschland mit Differential-Bogenlampen versah, die die seit 1851 bestehende Gasbeleuchtung (sog. Petenkofersches Leuchtgas) ablöste. Die 1880er-Jahre brachten dem Unternehmen zahlreiche weitere Großaufträge über Beleuchtungsprojekte für öffentliche Einrichtungen, Gewerbe und Industrie. Es war der Beginn der Ära der Energietechnik, die erste Ansätze zur Breitenversorgung mit elektrischer Energie lieferte – eine Entwicklung, an der Siemens mit der Dynamomaschine großen Anteil hatte.
Das erste „Technische Büro“ entsteht in München
Hatte im Bereich der Kommunikationstechnik (damals als Schwachstromtechnik bezeichnet) in den ersten Jahrzehnten noch ein zentralisierter, von Berlin aus gesteuerter Vertrieb sich als ausreichend erwiesen, zwang seit den 1880er-Jahren der Aufstieg der Starkstromtechnik – wie man die Energietechnik nannte – zum Umdenken. Die zunehmende Bedeutung von Privatabnehmern in diesem Geschäftsfeld und damit ein wachsender Kundenkreis machten es erforderlich, die Vertriebsstrukturen zu dezentralisieren. Vorerst übertrug Siemens & Halske den Vertrieb auf externe Partner, meist auf in den Städten ansässige spezialisierte Ingenieure, die ihre Dienstleistungen auf die neue Starkstromtechnik verlegt und Ingenieurbüros eröffnet hatten. Im Vordergrund standen der Verkauf und die Installation von Dynamomaschinen, elektrischen Bogenlampen und später Glühlichtanlagen.
Doch dieser Absatzweg war nicht ideal: Als ungünstig bei dem „Vertretergeschäft“ erwies sich die mangelnde Kundennähe; vor allem fehlte es an wichtigen Rückmeldungen über die Qualität der Produkte und die geleisteten Installationsarbeiten. Vorrangiges Ziel war es seit 1885 daher, ein dichtes Netz eigener Vertriebsstellen, sog. Technischer Büros, zu schaffen, die engen Kontakt zum Kunden herstellen und umfassende Beratungs- und Planungsdienstleistungen anbieten sollten. Das erste dieser Technischen Büros richtete Siemens 1890 in München ein, viele weitere folgten im In- und Ausland. Zum Leiter dieser ersten Geschäftsstelle wurde der Ingenieur Adalbert Planck (1852–1930) berufen, ein Bruder von Max Planck (1858–1947, Nobelpreis für Physik 1918). Dass sich der Aufwand einer eigenen Vertretung in München lohnte, zeigen die Umsatzzahlen der ersten Geschäftsjahre, die sich von 1890 (1.350 Mark) bis 1894/95 (179.000 Mark) vervielfachten. Mit dem Bau der ersten städtischen „Drehstromzentrale“, wie Elektrizitätswerke damals genannt wurden, in Erding konnte das Technische Büro München 1892 einen beachtlichen Großauftrag verbuchen.
Geschäftskarte des ersten Technischen Büros von Siemens. Der erste Auftrag des jungen Vertriebsbüros kam von Herzog Karl Theodor von Bayern (1839-1909), der für seine Augenarztpraxis eine elektrische Beleuchtungsanlage bestellte, 1890. (Siemens Historical Institute)
Nürnberg und Erlangen
Neben München entwickelten sich vor allem Nürnberg und Erlangen zu wichtigen Siemens-Standorten in Bayern. 1873 gründete der Feinmechaniker und Telegrafenbauer Sigmund Schuckert (1846–1895) in Nürnberg eine kleine Werkstatt für Dynamometer und Messgeräte. 1903 wurden die Fertigungsstätten der „Elektrizitäts-Aktiengesellschaft vormals Schuckert & Co.“ mit den starkstromtechnischen Abteilungen von Siemens & Halske zu den Siemens-Schuckertwerken fusioniert. Nürnberg stieg in der Folge neben Berlin zum wichtigsten Produktionsstandort der Starkstromtechnik von Siemens auf.
In Erlangen reichen die Ursprünge bis ins Jahr 1877 zurück. Damals baute der Universitätsmechaniker Erwin Moritz Reiniger (1854–1909) feinmechanische und elektrotechnische Geräte in seiner Werkstatt, aus der nach einigen Verflechtungen schließlich 1932 die auf die Herstellung medizinischer Messgeräte und Röntgenröhren spezialisierte Siemens-Reiniger-Werke AG hervorging. Dabei floss annähernd die gesamte elektromedizinische Fabrikation von Siemens & Halske in die neue Gesellschaft ein. Gut 40 Jahre nach der Eröffnung seines ersten Technischen Büros in München mit zwei Mitarbeitern war Siemens somit in Bayern fest verwurzelt. Ende der 1930er-Jahre arbeiteten dort rund 18.000 Menschen für das Elektrounternehmen.
Erster Weltkrieg und Weimarer Republik
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 kam für Siemens wie für die gesamte deutsche Elektroindustrie überraschend und hatte katastrophale Folgen für das Unternehmen. Es verlor einen Teil seiner Unabhängigkeit durch staatliche Vorgaben und Eingriffe, es musste seine Produktion auf Rüstungsgüter und branchenfremde Erzeugnisse umstellen und litt infolgedessen bei einem stark eingeschränkten elektrotechnischen Produktionsspektrum unter großer Rohstoffknappheit. Am schwersten jedoch wog für Siemens als international agierendes Unternehmen der Verlust seiner Netzwerke und die Enteignungen der meisten Tochtergesellschaften im Ausland. Mit dem Entzug des dortigen Besitzes und nahezu aller damit verbundenen Patentrechte büßte Siemens auf einen Schlag 40 % seiner Firmensubstanz ein.
Auch nach Kriegsende hatte das Unternehmen zu kämpfen. Die politisch turbulenten ersten Jahre der Weimarer Republik, Beschränkungen durch den Versailler Vertrag, Reparationen und nicht zuletzt die ausufernde Inflation bis Ende 1923 setzten Siemens zu. Auf diese Herausforderungen reagierte die Firmenleitung mit innerbetrieblichen Umstrukturierungen und der Einführung der maschinellen Massenproduktion. Es gelang, weite Teile der Fertigung und der betrieblichen Prozesse zu rationalisieren und so deren Wirtschaftlichkeit abzusichern.
Die Geschäftsaktivitäten des Elektrokonzerns und seiner Tochter- und Beteiligungsgesellschaften fokussierten sich auf alle Anwendungsgebiete der Elektrotechnik, branchenfremde Produktionen, wie die Automobile, wurden abgestoßen. Nicht zuletzt dank dieser Strategie der Einheit und Vielfalt gehörte Siemens bereits Mitte der 1920er-Jahre wieder zu den fünf weltweit führenden Elektrokonzernen. Entscheidend für die weitere Stabilisierung war die erfolgreiche Rückkehr an den Weltmarkt. Wenn sich dieser Prozess auch länger hinzog und es Siemens bis in die 1930er-Jahre nicht mehr gelang, seinen Anteil am deutschen Elektroexport an das Niveau der Vorkriegszeit heranzuführen, so gewann das Unternehmen seine internationale Ausrichtung dennoch wieder zurück.
Eines der wichtigsten Projekte von Siemens in Bayern nach dem Ersten Weltkrieg war die Errichtung des Walchenseekraftwerks zwischen 1921 und 1924, wofür das Unternehmen die elektrische Installationstechnik lieferte. (Siemens Historical Institute)
Nach den „Goldenen Zwanziger Jahren“ der Weimarer Republik verdüsterte sich die Wirtschaftslage und hatte einschneidende Konsequenzen für Siemens. Die im Oktober 1929 ihren Anfang nehmende Weltwirtschaftskrise führte bis 1933 zu gravierenden Umsatzrückgängen (von 820 auf 330 Mio. Reichsmark). Trotz Kurzarbeit und Lohn- bzw. Gehaltskürzungen waren Kündigungen unvermeidbar. Bis 1932 verringerte sich die Zahl der Beschäftigten von 138.000 auf rund 75.000 Personen – ein herber Einschnitt und bisher einmalig in der Geschichte des Unternehmens.
Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 (in Bayern im März 1933) folgte nicht nur eine radikale politische Zäsur in Deutschland, sondern auch eine Verformung des gesamten wirtschaftlichen Gefüges. Auf der einen Seite waren staatliche Arbeitsbeschaffungs- und Konjunkturprogramme kennzeichnend für die 1930er-Jahre, die 1936 für Vollbeschäftigung sorgten. Andererseits unterwarfen die Machthaber die Wirtschaft einer bis dahin ungekannten staatlichen Lenkung und regulierten zunehmend den Einsatz von Arbeitskräften, Investitionsentscheidungen und Rohstoffbewirtschaftung mit dem Ziel, Deutschland auf absehbare Zeit ökonomisch autark und kriegsfähig zu machen. Ab 1935 erreichte Siemens wieder die Umsätze von vor der Weltwirtschaftskrise, 1939 konnte es mit einer Beschäftigtenzahl von 187.000 seine Spitzenstellung als weltgrößter Elektrokonzern erneut festigen. Siemens profitierte dabei nicht zuletzt von der Rüstungsfertigung der 1930er-Jahre, die nach Kriegsbeginn stark anstieg.
Während der 1930er-Jahre errichte Siemens in Bayern zudem zwei mittlere Werke: um 1935 ein neues Kabel- und Leitungswerk in Neustadt bei Coburg sowie 1938 ein Werk für Hausgeräte in Neustadt an der Saale (Lkr. Rhön-Grabfeld).
Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs führte zu weiter intensivierten staatlichen Eingriffen in das Wirtschaftsleben. Die ab 1942 erfolgte umfassende Umstellung auf Kriegswirtschaft schränkte die zivile Fertigung bei Siemens stark ein. Wenn auch das Unternehmen die Produktion von Waffen und Kriegsgütern im engeren Sinne vermeiden konnte, umfassten elektrotechnische Lieferungen an Luftwaffe, Heer und Marine den Großteil der Produktion. Eine wesentliche Konsequenz des Krieges war der mit seinem Verlauf stetig zunehmende Arbeitskräftemangel in der Industrie. Siemens gehörte zum großen Kreis von Unternehmen, die diesem Mangel mit dem Einsatz von ausländischen Arbeitskräften und Zwangsarbeitenden begegneten. Sie wurden ab Herbst 1940 in größerem Umfang in nahezu allen Werken eingesetzt. In die Rüstungsfertigung eingebunden waren auch die bayerischen Siemens-Werke, allen voran die Region Nürnberg-Erlangen, in der zudem eine größere Zahl an Zwangsarbeitenden herangezogen wurde. Insgesamt mussten zwischen 1940 und 1945 mindestens 80.000 Frauen und Männer im Deutschen Reich sowie in den besetzten Gebieten Zwangsarbeit für Siemens leisten.
Von Berlin nach Bayern – Verlagerung des Unternehmenssitzes
Das Ende des Zweiten Weltkriegs und die späten 1940er-Jahre waren für das gesamte Unternehmen Siemens eine Zäsur und sollten auch für den Standort Bayern größte Bedeutung erlangen. Denn in diesen Jahren vollzog das Management einen Entscheidungsprozess, an dessen Ende die Verlagerung des Unternehmenssitzes von Berlin nach Bayern (München und Erlangen) stand. Als um die Jahreswende 1944/45 die unmittelbare Kriegsniederlage abzusehen war und zudem die Pläne der Alliierten über die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen bekannt wurden, kam die Berliner Firmenleitung im Februar 1945 überein, wichtige Führungsaufgaben an sogenannte Gruppenleitungen zu delegieren, die man in Süd- und Westdeutschland errichten wollte. Grund für diese geplante Verlagerung des Verwaltungszentrums aus Berlin-Siemensstadt war die Sorge, im Falle einer russischen Besetzung Berlins als Unternehmen nicht mehr voll handlungsfähig zu sein. Das Management fasste diesen Entschluss, als es die drohenden ungünstigen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen voraussah, die sich dann auch tatsächlich negativ auf freie unternehmerische Entscheidungen auswirken sollten. Zwar befand sich Siemensstadt und damit nahezu alle Werke in der späteren Britischen Zone Berlins, dennoch bildete West-Berlin als Exklave in den nächsten Jahren einen unter betrieblichen Gesichtspunkten problematischen Produktionsstandort.
Folgende Gruppenleitungen wurden mit je einem Vertreter der Firmenleitung an der Spitze gebildet:
- Die Gruppe West für die auswärtigen Werke und Betriebsbereiche der Siemens-Schuckertwerke AG mit Sitz in Mülheim an der Ruhr (Nordrhein-Westfalen),
- die Gruppe Süd für die in Mitteldeutschland, Sachsen und Bayern gelegenen Werke,
- die Gruppe Südost für die in der sog. Ostmark (Österreich) befindlichen Werke.
Für Siemens & Halske wurde als Sitz München, für die Siemens-Schuckertwerke zunächst Hof an der Saale und später Erlangen festgelegt. Somit war die entscheidende Wiederaufbauphase nach Ende des Zweiten Weltkriegs durch eine umfassende Standortverlagerung von Berlin in die Westzonen, und hier insbesondere nach Bayern, gekennzeichnet. Für Berlin bedeutete diese Entwicklung einen erheblichen Einschnitt, da es sich bei der Verlagerung nicht nur um den Abzug administrativer Abteilungen handelte, sondern nach und nach auch Produktionsbereiche betroffen waren. Während beispielsweise 1939 die Berliner Siemens-Schuckertwerke noch 30.000 Mitarbeiter und die in Westdeutschland gelegenen Werke rund 17.000 Personen beschäftigten, kehrten sich diese Verhältnisse bis zum Jahr 1951 um, als die Berliner Betriebe nur noch 8.500 Personen Arbeit boten, die Werke im Westen jedoch 22.000, der größte Teil von ihnen in Bayern.
Der Bruch zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion zeichnete sich immer deutlicher ab, als die Währungsreform von 1948 in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) nicht vollzogen wurde und als im Sommer desselben Jahres die einsetzenden Blockade Berlins ein starkes Signal der Spannung sendete. Auf die sich ankündigende Gründung der Bundesrepublik Deutschland reagierte die Unternehmensleitung durch die Aufwertung der Gruppenleitungen in München und Erlangen. Eine am 1. April 1949 in Starnberg stattfindende Sitzung der Aufsichtsräte und Vorstände beider Stammfirmen beschloss die offizielle Umsiedlung der Firmensitze von Siemens & Halske nach München und von Siemens-Schuckert nach Erlangen unter Beibehaltung von Berlin als zweitem Firmensitz. Hinter dem Entschluss, nach München und Erlangen überzusiedeln, stand die motivierende wirtschaftliche Dynamik des die drei Westzonen umfassenden Vereinigten Wirtschaftsgebiets. Mit der Konzentration von Firmensitz und Fertigungskapazitäten allein in Berlin hätte vor allem das Auslandsgeschäft als Folge der exponierten Lage der Stadt und insbesondere wegen der unsicheren Verbindungswege nur schwer aktiviert werden können; besonders die Berlin-Blockade 1948/49 machte dies deutlich.
Wiederaufbau und Aufstieg zum Weltkonzern
Wenn sich auch der Wiederaufbau von Siemens nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst im Inland vollzog, lag der Fokus seit den 1950er-Jahren verstärkt auf der Rückkehr an die Weltmärkte. Investitionen in neue Technologien und wachstumsstarke Geschäftsfelder (unter anderem Halbleiter- und Datentechnik) waren ebenso wichtige Voraussetzungen dafür, dass Siemens bis Mitte der 1960er-Jahre wieder seinen angestammten Platz auf dem Weltmarkt innehatte, wie die Rückgewinnung traditioneller Exportmärkte für das Unternehmen. Zwischen 1952 und 1962 gelang Siemens die Wiederaufnahme seiner Aktivitäten in 30 Ländern, die Schwerpunkte bildeten dabei Europa und Südamerika. Bereits 1957 machte das Exportgeschäft wieder rund ein Viertel des Gesamtumsatzes aus. Um das Profil des Unternehmens zu stärken und die unterschiedlichen Kompetenzen und Aktivitäten des Konzerns unter einem Dach zu bündeln, wurden die drei Stammfirmen Siemens & Halske AG, Siemens-Schuckertwerke AG und Siemens-Reiniger-Werke AG 1966 in der Siemens AG zusammengefasst.
Die bayerischen Standorte expandieren
In Bayern und gerade in München war das Unternehmen seit Jahrzehnten präsent: Ab 1897 befand sich die Schuckert-Geschäftsstelle in der Prannerstraße, in der ab 1903 nach der Fusion der beiden Firmen auch Siemens & Halske eingezogen war. Ein weiterer Standort war in der Hofmannstraße, wo die 1927 erworbene Isaria Zählerwerke AG die Keimzelle für eine sich ausbreitende nachrichtentechnische Fertigung bildete. Denn in den nachfolgenden Jahrzehnten wurde die Fabrik immer wieder erweitert und ausgebaut, und es kamen weitere Standorte in München hinzu, indem man Fabriken ankaufte und Firmen einrichtete. Herz des Unternehmens wurde schließlich ab 1949 das Palais Ludwig Ferdinand (auch: Alfons Palais) am Wittelsbacher Platz. Das Areal am Wittelsbacher Platz ist bis heute Sitz der Firmenleitung, es wurde 2016 in der eigens geschaffenen Werner-von-Siemens-Straße direkt nebenan um ein neues Hauptgebäude erweitert.
In dem repräsentativen Stadthaus in der Münchner Prannerstraße (Aufnahme um 1935) war ab 1903 zunächst das Technische Büro untergebracht. 1954 zogen hier das Siemens Museum und das Unternehmensarchiv (heute Siemens Historical Institute in Berlin) ein und blieben bis 1999. (Siemens Historical Institute)
Dass sich nach 1945 nicht Nürnberg zum neuen Schwerpunkt der Starkstromtechnik entwickelte, sondern Erlangen, ist zuallererst darauf zurückzuführen, dass der Nürnberger Standort wie die gesamte Stadt im Luftkrieg außerordentlich stark beschädigt wurde und eine Konzentration der Siemens-Schuckertwerke als nicht ratsam erscheinen ließ. Nichtsdestotrotz baute man die Nürnberger Produktionsstätten wieder auf und modernisierte sie im Lauf der Zeit entsprechend. Schwerpunktmäßig fertigte Siemens dort mittlere Maschinen (zum Beispiel Elektromotoren, industrielle Antriebe, Gleich- und Drehstrommotoren) und große Transformatoren.
Für Erlangen hingegen sprach neben geringen Kriegszerstörungen die traditionelle Beheimatung der Medizintechnik. Hinzu kam, dass die Stadt ein Universitätsstandort war und damit – eine gute Perspektive für die Zukunft von Siemens – über eine bereits eingerichtete Ausbildungsstätte für den betrieblichen Nachwuchs verfügte. Hof, wo die zuständige Gruppenleitung ursprünglich aufgebaut werden sollte, war im Juni 1945 durch die Erweiterung des sowjetischen Machtbereichs in Deutschland auf Thüringen zu nahe an die sowjetische Besatzungszone geraten, sodass Siemens die Stadt als Standort verworfen hatte. Neben München entwickelte sich Erlangen mit der Energie- und der Medizintechnik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts damit zur tragenden Säule des Unternehmens.
Ab 1971 entstand innerhalb von 13 Jahren in München-Perlach eine „Denkfabrik für die Datentechnik“, in deren ausgedehntem Gebäudekomplex der Bereich Datenverarbeitung und die Zentralabteilung Technik untergebracht wurden. Als Zentrum der Mikroelektronik von Siemens wurde München damals auch als „Silicon-Bavaria“ bezeichnet, 1987. (Siemens Historical Institute)
Der Wandel, den Siemens in dieser Phase vollzog – vom Elektro- zum Elektronikunternehmen mit der schrittweisen Durchdringung nahezu aller Produktionsbereiche durch die Mikroelektronik – machte sich besonders am Gesamtstandort Bayern bemerkbar. So engagierte sich Siemens seit den 1960er-Jahren stark für den Ausbau seiner dortigen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten. Beispielsweise wurde 1965 in Erlangen das größte privatwirtschaftliche Forschungszentrum auf dem Gebiet der Starkstromtechnik eingeweiht und parallel investierte man systematisch in den Auf- und Ausbau moderner Produktionsanlagen und -technik. Zwischen 1971 und 1984 errichtete Siemens am Standort München-Perlach eine „Denkfabrik für die Datentechnik“. Bereits ab 1965 wurden die Werke in Augsburg (Nachrichtentechnik und Datenverarbeitung) entsprechend ausgebaut, 1987 entstand in Regensburg die damals modernste Halbleiterfabrik Europas. Weitere Fertigungszentren folgten, unter anderem 1990 in Amberg (speicherprogrammierte Steuerungen). Im Jahr 2003 unterhielt Siemens 24 Einzelstandorte in Bayern, beschäftigte mehr als 85.000 Mitarbeiter und erwirtschaftete einen Umsatz von 2,6 Milliarden €.
Siemens in Bayern im 21. Jahrhundert
Um die Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert begann Siemens schrittweise sein Gesicht zu verändern. Einerseits trennte sich das Unternehmen von traditionsreichen Sparten wie der Halbleitertechnik (1999/2000) und der Computertechnik (2009). Aus dem ältesten seiner Geschäftsfelder, der Telekommunikation, stieg Siemens 2008 endgültig aus. Insgesamt wurden Bereiche und Geschäftsgebiete mit einem Umsatz von rund 17 Milliarden D-Mark und rund 60.000 Mitarbeitern aus dem Unternehmensportfolio herausgelöst. Auch Bayern war von diesen Veränderungen betroffen; die Einschnitte waren zu groß, um am Freistaat spurlos vorbeizugehen. Deutlich zeigte sich dies am Beispiel Münchens. Zu Beginn der 1990er-Jahre verfügte Siemens in und um München herum noch über Betriebsflächen von rund 2 Millionen Quadratmetern mit mehr als 40.000 Mitarbeitern. Knapp 20 Jahre später waren nur noch etwa 14.000 von ihnen direkt bei Siemens beschäftigt, und Standorte wie der in der Balanstraße oder auch in der Hofmannstraße wurden im Zuge der Umstrukturierungen im Unternehmen geschlossen.
Andererseits richtete sich Siemens in Folge der genannten Maßnahmen seit den 2000er-Jahren konsequent neu aus mit einer Fokussierung auf die Bereiche Industrie, Energie und Medizintechnik. Im Zentrum stand dabei das Ziel, das Unternehmen auf die technologischen wie gesellschaftlichen Anforderungen der Digitalisierung und eines nachhaltigeren Wirtschaftens auszurichten. Der Prozess einer völligen Neuaufstellung begann dann 2018 mit dem Börsengang der Medizinsparte Siemens Healthineers AG, dem im Herbst 2020 die Abspaltung des Energiegeschäfts in die Siemens Energy AG folgte. Die eigentliche Siemens AG besteht somit Stand 2023 aus den industriellen Kernbereichen Smart Infrastructure, Digital Industries und Siemens Mobility (seit 2018 als eigenständige GmbH). Alle unter der Dachmarke Siemens zusammengefassten Unternehmen haben den gemeinsamen Anspruch, die digitale Transformation voranzutreiben und nachhaltiges Wachstum zu schaffen.
Diese Entwicklungen stärken den Standort Bayern. Vor allem von hier aus steuert Siemens sein weltweites Geschäft: Siemens Digital Industries, Siemens Mobility und die Siemens Healthineers AG haben ihren jeweiligen Hauptsitz in Erlangen, Nürnberg und München. Mit rund 61.000 Mitarbeitern (2019) – das sind 16 % der Mitarbeiter weltweit und 52 % der in Deutschland Beschäftigten – an 19 Niederlassungen und Fertigungsstätten ist Siemens eines der größten Unternehmen im Freistaat.
Jahr | 1890 | 1900 | 1911 | 1927 | 1939 | 1945 | 1955 | 1965 | 1975 | 1985 | 1995 | 2008 | 2019 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Mitarbeiter | 2 | 380 | 10.000 | 14.500 | 18.000 | 17.000 | 57.000 | 97.000 | 103.000 | 106.000 | 108.000 | 68.000 | 61.000 |
Literatur
- Werner Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Von 1945 bis zur Gegenwart, München 2011.
- Johannes Bähr, Werner von Siemens 1816-1892. Eine Biografie, München 2016.
- Oskar Dünisch, Von Reiniger bis heute. 100 Jahre Medizinische Technik in Erlangen, in: Das neue Erlangen 42 (1977), 3067–3094.
- Wilfried Feldenkirchen, Siemens 1919-1945, München 1998.
- Wilfried Feldenkirchen, Siemens. Von der Werkstatt zum Weltunternehmen, München 2003.
- Susanne Hilger, "Amerikanisierung" deutscher Unternehmen. Wettbewerbsstrategien und Unternehmenspolitik bei Henkel, Siemens und Daimler-Benz (1945/49-1975) (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 173), Stuttgart 2004.
- Dirk Götschmann, Wirtschaftsgeschichte Bayerns. 19. und 20. Jahrhundert, Regensburg 2010.
- Bernhard Plettner, Abenteuer Elektrotechnik. Siemens und die Entwicklung der Elektrotechnik seit 1945, München 1994.
- Willi Schön, Erlangen wird Großstadt: Siemens-Aufbau in Erlangen, 1945 bis 1968 (Erlanger Bausteine zur fränkischen Heimatforschung. 38,1), Erlangen 1990
- Siemens Historical Institute (Hg.), Zukunft gestalten. Die Siemens Unternehmer 1847–2018, Hamburg 2018.
- Bernd Windsheimer/Alexander Schmidt (Hg.), Von Auschwitz nach Nürnberg. Das KZ-Außenlager der Siemens-Schuckertwerke, Nürnberg 2020.
- Frank Wittendorfer, Das Haus Siemens in Erlangen 1945–1955, in: Jürgen Sandweg/Gertraud Lehmann, Hinter unzerstörten Fassaden. Erlangen 1945–1955, Erlangen 1996, 433–457.
Quellen
- Conrad Matschoß (Hg.), Werner Siemens. Ein kurz gefaßtes Lebensbild nebst einer Auswahl seiner Briefe, Bd. 1, Berlin 1916.
- Werner von Siemens, Lebenserinnerungen, München 2008.
Externe Links
Weiterführende Recherche
Siemens-Schuckert
Empfohlene Zitierweise
Ewald Blocher, Siemens, publiziert am 11.05.2023, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Siemens> (15.10.2024)