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Coburger "Blutsonnabend", 3. September 1921

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Plakat, mit dem das Umzugsverbot bekannt gemacht wurde. (Stadtarchiv Coburg, Plakatsammlung 1921-1)

von Stefan Nöth

Nach dem Mord an Matthias Erzberger veranstalteten in vielen deutschen Städten die Arbeiterparteien Sympathiekundgebungen für die Republik. In der aufgeheizten Atmosphäre Coburgs eskalierte die Situation, als am 3. September 1921 die Bayerische Landespolizei einen nicht genehmigten sozialistischen Demonstrationszug mit Gewalt auflöste.

Coburger Blutsonnabend

Matthias Erzberger (Minister 1875-1921). Postkarte um 1914. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv port-003520)

Eine von der Coburger Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und den Gewerkschaften veranstaltete Protestdemonstration anlässlich des Mordes an Matthias Erzberger (1875-1921) schlug die Bayerische Landespolizei am 3. September 1921 blutig nieder. Diese Gewalteskalation offenbarte die Differenzen zwischen den sozialistischen Parteien und einem SPD-geführten Stadtoberhaupt als Vorgesetzten der städtischen Polizei auf der einen Seite und dem staatlichen Bezirksamt bzw. der Regierung von Oberfranken, die sich eines Rückhalts der Landesregierung aus München gewiss sein konnten, auf der anderen Seite. Gleichzeitig handelte es sich um eine Durchsetzung staatlicher Gewalt gegen separatistische Bestrebungen im erst seit 1920 mit dem Freistaat Bayern vereinigten Coburg.

Die politische Landschaft in Coburg Anfang der 1920er Jahre

Nach der Absetzung des Herzogs Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha (1884-1954) 1918 stimmten am 30. November 1919 88,11 % der Bevölkerung des Freistaats Coburg gegen einen staatsrechtlichen Anschluss an den Freistaat Thüringen. Somit war der Weg zu Verhandlungen über einen Anschluss an den Freistaat Bayern vorgezeichnet, die in den "Staatsvertrag über die Vereinigung Coburgs mit dem Freistaat Bayern" vom 14. Februar 1920 mündeten. Coburg war also seit dem 1. Juli 1920 Teil des bayerischen Staatsverbands.

Die bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 mit zwei Dritteln der Stimmen konsolidierten sozialdemokratischen Parteien SPD und Unabhänige Sozialdemokratische Partei Deutschland (USPD) verloren bis Ende 1919 erhebliche Stimmenanteile wieder. Es war ihnen nicht gelungen, die agrarisch geprägten Schichten des Landes und die traditionelle Arbeiterschaft in den wenigen Industriebetrieben für die Partei entscheidend zu mobilisieren. Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) hatte in Coburg wegen des fehlenden Industrieproletariats auch nach dem Zusammenschluss mit der USPD im Dezember 1920 und trotz großer Unterstützung aus Thüringen zu keiner Zeit Bedeutung; ihre Anhängerschaft erreichte nicht mehr als 300 Mitglieder. Bis zum Verbot 1923 machte sie sich in der Öffentlichkeit lediglich durch die Inszenierung von Streiks und Agitationen gegen die Lebensmittelteuerung und Arbeitslosigkeit bemerkbar.

Mit den lange nachwirkenden nationalen Traditionen des Herzogshauses seit Herzog Ernst II. (1844-1893) hatte sich in Coburg eine nationalistische Mentalität gebildet, der das politische Klima des seit 1918 nach rechts rückenden Bayern beträchtlich entgegenkam. Allerdings waren die rechtsorientierten Kräfte in Coburg zunächst stark zersplittert und dadurch in der politischen Wirkung vorerst geschwächt. Als eigentliche Träger rechtsorientierten Gedankenguts sind vornehmlich die 17 militärisch ausgerichteten Kriegervereine zu nennen, wie "Militärverein Kameradschaft", "Coburger Kriegerverband", "Verein der Angehörigen des 6. Thüringischen Infanterieregiments 95". Größere Bedeutung hatten in Coburg auch die Wehrverbände, der "Bund Wiking" als Nachfolgeorganisation der "Marinebrigade Ehrhardt", der "Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund", eine Ortsgruppe des "Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten" des Franz Seldte (1882-1947). Dazu traten seit 1922 die Ortsgruppen des von Arthur Mahraun (1890-1950) gegründeten Jungdeutschen Ordens, die von den Pfarrern Willi Döbrich (1895-1981) und Helmuth Johnsen (1891-1947) geführt wurden.

Auslöser: Der Mord an Matthias Erzberger

Nach der Ermordung des Zentrumsabgeordneten und ehemaligen Reichsfinanzministers Matthias Erzberger am 26. August 1921 kam es Anfang September im gesamten Reich zu politisch motivierten Ausschreitungen. In Coburg riefen die Funktionäre der sozialistischen Parteien und der Gewerkschaften sowie die Betriebsräte zu einer Sympathiekundgebung für die Republik auf. Diese sollte am Sonnabend, den 3. September, stattfinden und gleichzeitig eine Demonstration gegen die bayerische Regierung (Kabinett Kahr II) unter Ministerpräsident Gustav von Kahr (BVP, 1862-1934) sein.

Streit um die Genehmigung eines Demonstrationszuges

Franz Klingler (1875-1933, Staatsrat (Freistaat Coburg), Landtagsabgeordneter (SPD) 1920-1933, Chefredakteur des Coburger Volksblatts). Postkarte von 1950. (Foto von Mib23 lizenziert durch CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Beim Bezirksamt Coburg holten daher der Chefredakteur des "Coburger Volksblatts" und örtliche SPD-Vorsitzende, Franz Klingler (1875-1933), und der Gewerkschaftsführer Otto Voye (1887-1943) die Genehmigung für eine Kundgebung auf dem Schlossplatz ein. Anfangs war ein durch die Regierung eigens zu genehmigender Umzug nicht vorgesehen. In den Augen der Arbeiterführer war er jedoch als selbstverständlich zu erwarten. Aufgrund der geplanten Teilnahme von 4.000-5.000 Arbeitersympathisanten aus den Industriegemeinden um Rodach und Neustadt, besonders aber aus dem thüringischen Sonneberg befürchtete die Bayerische Landespolizei nicht ohne Grund Unruhen. Während mehrerer Besprechungen am Vortag zwischen Oberbürgermeister Gustav Hirschfeld (SPD, 1857-1938), Bezirksamtsvertretern, Stadt- und Landespolizei und den Arbeiterführern konnte kein Verzicht auf den Protestmarsch erreicht werden. Die telefonisch unterrichtete Regierung von Oberfranken in Bayreuth untersagte denn auch einen Umzug, der "mit allen Mitteln" zu verhindern sei. Die Landespolizei sprach sich im Gegensatz zu den moderateren Ansichten der Stadtpolizei energisch für die Absperrung der Innenstadt aus.

Mittlerweile hatte sich die Frage des Umzugs jedoch verselbständigt und war zu einer des politischen Prestiges und der Autoritäten geworden. Da klar war, dass die Kräfte der Landespolizei zu gering waren, entsandte das Landespolizei-Kommando Bayreuth 150 Mann nach Coburg. In einer letzten Besprechung zwischen allen Beteiligten am Vormittag des 3. September setzte man die Arbeiterführer von der Verstärkung der Landespolizei in Kenntnis und davon, dass die Innenstadt abgesperrt, die Hofgartenseite dagegen offen gehalten werde. Klingler protestierte gegen diese Einschränkung der Bewegungsfreiheit vehement; Gewerkschaftsführer Otto Voye befürchtete zu Recht, dass "die Landpolizei an zerstörender Wirkung in einer halben Stunde mehr erreichen werde, als die Sozialistenführer nicht in hundert Reden bewirken können." Das Umzugsverbot wurde durch Plakatanschlag bekannt gemacht.

Die Eskalation der Gewalt

Zur Veranstaltung hatten sich gegen 15 Uhr etwa 3.000 Personen auf dem Schlossplatz eingefunden. Während der Reden fuhr die Landespolizei gegen 15.20 Uhr provokativ auf und begann, die Straßen zur Innenstadt zu sperren. Dadurch geriet die Menge in Aufruhr. Der größere Teil stürmte vom Schlossplatz in die Innenstadt, wo er mit der Landespolizei ins Handgemenge verwickelt wurde. Nachdem durch den Einsatz von Gummiknüppeln die Menge nicht aufgehalten werden konnte und eine Landespolizeieinheit von zwei Seiten eingekesselt worden war, wurden von Seiten der Landespolizei Handgranaten geworfen und Gewehrsalven abgegeben. Dabei wurden etwa 20 Personen verletzt. Zwei Tage später erlag ein Demonstrant seinen Verletzungen. Gegen 17 Uhr zog sich die Landespolizei zurück. Der untätig gebliebenen, die Situation abwartenden Stadtpolizei blieb die Aufgabe, auf die Menge deeskalierend einzuwirken.

Die Hintergründe des "Blutsonnabends"

Für die bayerische Staatsgewalt ging es in erster Linie darum, die Kraftprobe als Ordnungsmacht im neu angeschlossenen Staatsgebiet zu gewinnen. Die nach dem politischen Rechtsruck in Bayern (Rücktritt der Regierung Hoffmann, Regierungsantritt von Gustav von Kahr) seit 1920 in den Reihen der Coburger Linksparteien entstandenen separatistischen Tendenzen "Los von Bayern!" sollten im Keim erstickt werden. Erst in zweiter Linie standen die direkte Auseinandersetzung mit den Provokationen der Sozialistenführer und der (auch in anderen Städten vorhandene) Konflikt zwischen dem Oberbürgermeister bzw. dem Stadtkommissar mit der Stadtpolizei auf der einen Seite und der staatlichen Landpolizei bzw. der Regierung als Gegenpart. Insofern weitete sich in Coburg eine lokale, möglicherweise kontrollierbare Demonstration zu einer regelrechten Staatsaktion aus.

Literatur

  • Jürgen Erdmann, Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923 (Coburger Heimatkunde und Landesgeschichte 22), Coburg 1969, 80-86.
  • Rainer Hambrecht (Bearb.), "Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft". Ausstellung des Staatsarchivs Coburg anläßlich der 75. Wiederkehr der Vereinigung Coburgs mit Bayern am 1. Juli 1920 (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 34), München 1995.

Quellen

  • Staatsarchiv Coburg, LRA 10357, 10358.

Weiterführende Recherche

Empfohlene Zitierweise

Stefan Nöth, Coburger "Blutsonnabend", 3. September 1921, publiziert am 11.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Coburger_"Blutsonnabend",_3._September_1921 (14.10.2024)