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*[https://www.bavarikon.de/object/GDA-OBJ-00000BAV80000798?lang=de Konstitution für das Königreich Bayern, in: Königlich-Baierisches Regierungsblatt 1808, 985-1000.] | *[https://www.bavarikon.de/object/GDA-OBJ-00000BAV80000798?lang=de Konstitution für das Königreich Bayern, in: Königlich-Baierisches Regierungsblatt 1808, 985-1000.] | ||
*[https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11565624?page=68,69 Piloty, Robert (Hg.), Die Verfassungsurkunde des Königreichs Bayern: nebst den auf die Verfassung bezüglichen sonstigen Gesetzen mit Anmerkungen herausgegeben. München 1895.] | *[https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11565624?page=68,69 Piloty, Robert (Hg.), Die Verfassungsurkunde des Königreichs Bayern: nebst den auf die Verfassung bezüglichen sonstigen Gesetzen mit Anmerkungen herausgegeben. München 1895.] | ||
*[https://www.bayerischer-ministerrat.de/?vol=hoe11&doc=hoe11p005#hoe11p005t01 Protokolle des Bayerischen Ministerrats, Ministerratssitzung vom 30.10.1945, TOP I. Gesetz über die bayerische Staatsangehörigkeit.] | |||
*[https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1935&page=1288&size=45 Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935, in: Reichsgesetzblatt I 1935, 1146.] | *[https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1935&page=1288&size=45 Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935, in: Reichsgesetzblatt I 1935, 1146.] | ||
*[https://de.wikisource.org/wiki/Reichs-_und_Staatsangeh%C3%B6rigkeitsgesetz Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913, in: Reichsgesetzblatt 1913, 583.] | *[https://de.wikisource.org/wiki/Reichs-_und_Staatsangeh%C3%B6rigkeitsgesetz Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913, in: Reichsgesetzblatt 1913, 583.] | ||
Version vom 31. Oktober 2025, 08:22 Uhr
Eine bayerische Staatsangehörigkeit (Indigenat) wurde erstmals in der Konstitution von 1808 vorausgesetzt und in der Folge genauer definiert. Sie trat an die Stelle der vielfältigen Beziehungen, die in der ständischen Gesellschaft der Frühen Neuzeit Loyalitäten, soziale Ansprüche oder Partizipationsrechte begründet hatten. Seit der Reichsgründung von 1871 folgten aus dem bayerischen Indigenat auch Rechte im Deutschen Reich, während der Zugang zur bayerischen Staatsangehörigkeit nun teilweise durch Reichsgesetz geregelt wurde. In der Weimarer Republik verlor die bayerische Staatsangehörigkeit im Vergleich zur deutschen Staatsangehörigkeit an Bedeutung; 1934 schaffte die NS-Diktatur Staatsangehörigkeiten in den deutschen Ländern vollständig ab. Die bayerische Verfassung sah 1946 die Rückkehr zu einer bayerischen Staatsangehörigkeit vor; ein spezielles Staatsangehörigkeitsgesetz wurde in Bayern aber nicht erlassen. Regelungen des Grundgesetzes 1949 machten die Frage nach einer bayerischen Staatsangehörigkeit weitgehend überflüssig.
Begriffsbestimmung
Staatsangehörigkeit (Indigenat) und Staatsbürgerschaft beschreiben die Zugehörigkeit von Personen zu Staaten, wobei die Staatsangehörigkeit in der Regel nur die Zugehörigkeit zum Staat, die Staatsbürgerschaft auch den Anspruch auf die Ausübung politischer Rechte bezeichnet. Neben der Existenz eines Staatsgebiets und einer Staatsgewalt gilt die Definition einer Gruppe von Staatsangehörigen ("Staatsvolk") als Kern moderner Staatlichkeit.
Vorgeschichte
In der Frühen Neuzeit gab es kaum einheitliche Regelungen der Zuordnung von Personen zu Herrschaftsgebieten. Aus der Zugehörigkeit zum Adel, dem Bürgerrecht in Städten, der Mitgliedschaft in Universitäten, einer Beschäftigung in Haushalten oder individuellen Privilegien ergaben sich abgestufte, für längere oder kürzere Fristen gültige Rechte und Pflichten.
In den Jahrzehnten um 1800 wuchs der Bedarf an allgemeineren Regelungen, für die es auch immer mehr Vorbilder gab. Postrevolutionäre Gesellschaften wie die USA oder Frankreich definierten sich als Gemeinschaft von prinzipiell gleichberechtigten Staatsbürgern (citizens, citoyens). Entsprechend fanden sich in der französischen Verfassung von 1791 Regelungen zum Erwerb und Verlust von Staatsbürgerschaft (Art. 2-6). Zudem wurde in den Kriegen der Revolution und Napoleons, in denen Staaten die Loyalität ihrer Bevölkerungen einforderten, die klare Abgrenzung von Zugehörigkeiten wichtiger.

Kodifikationen bürgerlichen Rechts, wie der napoleonische Code Civil, regelten ebenfalls grundsätzlich, wer die "rechtliche Eigenschaft des Franzosen" (Code Civil 1804, Art. 8-12) besaß; in Österreich war in diesem Zusammenhang von der "Österreichische[n] Staatsbürgerschaft" die Rede (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch 1811; § 28-32).
Schließlich machten es die gesellschaftlichen Folgen der Kriege zwischen 1793 und 1815, die zu massenhafter Flucht und weitreichenden wiederholten Grenzverschiebungen geführt hatten, notwendig, die Zuordnung von Bedürftigen zu Staaten zu regeln.
Diese Regelungen bezogen sich primär auf unterschiedliche soziale Schichten und auf verschiedene Handlungszusammenhänge: Die Verfassungen auf potentielle politische Entscheidungsträger oder Rekruten, die bürgerlichen Gesetzbücher auf die Regelung von Besitz- und Eigentumsverhältnissen, Verträge über Heimatsverhältnisse auf mobile Bedürftige. Sie waren selten völlig widerspruchsfrei.
Bayerisches Indigenat (1808-1871)
Die bayerische Konstitution von 1808 enthielt eine erste allgemeine Beschreibung der Zugehörigkeit von Personen zum Staat. Sie garantierte 'Staatsbürgern' Grundrechte ("Sicherheit der Person und des Eigentums", Gewissensfreiheit, Pressefreiheit). Im Gegenzug mussten 'Staatsbürger' im Alter von 21 Jahren einen Eid auf Verfassung und König ablegen und sich damit in allen Teilen Bayerns gleichermaßen zum in dieser Form neuen Staat bekennen. Nur "Eingeborne, oder im Staate Begüterte" durften staatliche Ämter bekleiden. Zudem erwähnte die Verfassung ein Indigenat, das "nur durch königliche Erklärung oder ein Gesetz" verliehen werden konnte (§ 7, 8). Genauer erläutert wurden diese Konzepte erst 1812 in einem "Edikt über das Indigenat". Es zielte vor allem darauf, die exklusive Zuständigkeit des Staates für die anwesende Bevölkerung festzustellen, dauerhaft Abwesende zu Ausländern zu erklären und Personen mit uneindeutiger Loyalität dazu zu zwingen, Bindungen an andere Staaten zu lösen, um ihre Rechte oder ihren Besitz in Bayern bewahren zu können. Anders als in der Verfassung war nun Indigenat die breitere, Staatsbürgerschaft die engere Kategorie.
In der ersten "Beylage" zur Verfassung von 1818 folgte ein neues Edikt, das bis 1871 galt. Das dort beschriebene Indigenat berechtigte nun zum "vollen Genusse aller öffentlichen und Privat-Rechte in Baiern". Es wurde durch Abstammung als Kind eines bayerischen Vaters oder einer ledigen bayerischen Mutter sowie durch Eheschließung einer ausländischen Frau mit einem bayerischen Mann automatisch erworben. Es konnte zudem aus einer mit Zustimmung einer Gemeinde erfolgten förmlichen Ansässigmachung im Land folgen, wenn "die Entlaßung aus dem fremden persönlichen Unterthans-Verbande" belegt und die Zustimmung der übergeordneten Behörde eingeholt worden war. Diese Regelung, die dazu führte, dass Einbürgerungen in der Regel von Gemeinden ausgingen, wurde in der Gemeindeordnung von 1869 bestätigt und präzisiert. Alternativ konnte der Monarch nach Konsultation des Staatsrats persönlich das Indigenat verleihen.
Automatisch verloren wurde das Indigenat durch die Ehe einer bayerischen Frau mit einem ausländischen Mann, durch Einbürgerung in einem ausländischen Staat oder durch Auswanderung. Eine Vererbung des Indigenats war bei dauerhaftem Aufenthalt im Ausland somit weiterhin nicht möglich.
Die Regelungen für Erwerb und Verlust waren asymmetrisch. Das Indigenat ging durch offiziell genehmigte oder faktisch vollzogene Auswanderung automatisch verloren, wurde aber seit 1818 durch längerfristige Anwesenheit nicht mehr automatisch erworben; das Edikt von 1812 hatte noch eine automatische Naturalisation (Verleihung des Indigenats) nach zehn Jahren unbescholtenem Aufenthalt vorgesehen. Allerdings kannte das bayerische Recht keine Frist, die einer Einbürgerung vorausgehen musste. Stimmten die Behörden zu, konnte die Verleihung des Indigenats sofort erfolgen. Personen, die auswanderten, wurden dagegen mindestens vorübergehend staatenlos, wenn sie in Länder umzogen, die wie die USA eine Wartezeit vor der Einbürgerung vorsahen. Zwischen deutschen Staaten regelten bilaterale Verträge, die 1851 im Gothaer Vertrag zusammengefasst wurden, Aufenthaltsrechte und soziale Ansprüche ehemaliger bayerischer Staatsangehöriger.
Das Indigenat war Voraussetzung, um die Rechte ausüben zu können, die mit der bayerischen Staatsbürgerschaft verbunden waren. 'Staatsbürger' waren seit 1818 Volljährige, die als Grundbesitzer oder Gewerbetreibende steuerpflichtig oder Inhaber eines öffentlichen Amtes waren. Wer aus dem Ausland stammte, galt erst sechs Jahre nach Erlangung des Indigenats als Staatsbürger. Da es sich bei den Rechten von Staatsbürgern im Wesentlichen um politische Rechte handelte, mussten weitere Bedingungen erfüllt sein, für das Wahlrecht etwa männliches Geschlecht, die Zugehörigkeit zu einer der drei anerkannten christlichen Konfessionen und Unbescholtenheit.
Bayerische Staatsangehörigkeit im Deutschen Reich (1871-1919)
Der Beitritt Bayerns zum Deutschen Reich 1871 verlieh laut Artikel 3 der Reichsverfassung allen Inhabern des bayerischen Indigenats (wie auch denen anderer Bundesstaaten) "ein gemeinsames Indigenat" für "ganz Deutschland". Dieses umfasste das Recht, auch außerhalb Bayerns an Reichstagswahlen teilzunehmen, sowie den deutschen konsularischen Schutz bei Reisen außerhalb des Reichsgebiets. Rechte auf Armenhilfe wurden nicht verliehen; auch das Recht zur Niederlassung in Bayern wurde Angehörigen anderer deutscher Staaten ausdrücklich nicht gewährt. Allerdings hatte "der Angehörige (Unterthan, Staatsbürger)" eines anderen deutschen Staates, der eine Niederlassungserlaubnis in Bayern erhalten hatte, nun einen Anspruch auf 'Aufnahme' (statt Einbürgerung) in das bayerische Indigenat.
Die Regelungen des bereits 1870 erlassenen Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit ersetzten in Bayern die meisten Bestimmungen des Edikts von 1818; dabei handelte es sich aber um eine formale Änderung ohne inhaltliche Folgen. Einbürgerungen blieben Sache der einzelnen Staaten und wurden weiterhin nach Ermessen gewährt. Der automatische Verlust der Staatsangehörigkeit durch Abwesenheit sollte fortan aber erst nach zehn Jahren Abwesenheit eintreten. Die Reichsgesetzgebung zur Gleichberechtigung aller religiösen Bekenntnisse beendete in Bayern die Beschränkung staatsbürgerlicher Rechte auf Angehörige der großen christliche Konfessionen.
Die Auswirkung des gemeinsamen Indigenats auf politische Rechte in Bayern wurde in der juristischen Literatur kontrovers diskutiert. Es war unklar, was Artikel 3 der Reichsverfassung damit meinte, dass "der Angehörige (Unterthan, Staatsbürger) eines jeden Bundesstaates in jedem anderen Bundesstaate […] als Inländer […] zur Erlangung des Staatsbürgerrechtes […] zuzulassen" war. Klar war nur, dass Nicht-Bayern von der Teilnahme an Wahlen auf lokaler oder staatlicher Ebene in Bayern ausgeschlossen blieben. Umstritten war, ob es rechtens war, dass Bayern weiterhin auf der Wartezeit von sechs Jahren zwischen einer Aufnahme in das bayerische Indigenat und dem Erwerb der Staatsbürgerschaft beharrte.
Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 koppelte die Eigenschaft, 'Deutscher' zu sein, ebenfalls primär an die "Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaat" (§ 1). Eine automatische Ausbürgerung nach Auswanderung war in diesem Gesetz nicht mehr vorgesehen; Bundesstaaten konnten nun wechselseitig Einbürgerungsvorschläge blockieren. Das richtete sich vor allem gegen die aus preußischer Sicht zu liberale Praxis in den süddeutschen Staaten.
Bayerische Staatsbürgerschaft in der Weimarer Republik (1919-1933/34)
Die 1919 erlassenen Verfassungen des Freistaats Bayern und des Deutschen Reichs hielten prinzipiell an der Staatsangehörigkeit in den Ländern und den seit 1913 gültigen Regeln für deren Erwerb oder Verlust fest. Der Unterschied zwischen Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft war gemäß den Bestimmungen der bayerischen Verfassung von 1919 fortan nur noch eine Frage des Alters, "ohne Unterschied der Geburt, des Geschlechtes, des Glaubens und des Berufes" (§ 6). Politische Rechte in allen Ländern des Reichs folgten nun aus der Eigenschaft, 'Deutscher' zu sein, denn: "Jeder Deutsche hat in jedem Lande des Reichs die gleichen Rechte und Pflichten wie die Angehörigen des Landes selbst" (Art. 110 Weimarer Reichsverfassung). Dies war bereits bei den Wahlen zum bayerischen Landtag im Januar bzw. Februar 1919 so gehandhabt worden. Allerdings wurde bei Wahlen auf kommunaler Ebene an einigen Orten mindestens bis Ende der 1920er Jahre weiterhin der Nachweis der bayerischen Staatsangehörigkeit gefordert. Ausweispapiere nannten weiterhin die Zugehörigkeit zu einem Land, da diese für die Beziehungen zwischen Individuen und Kommunen, für soziale Ansprüche, für Aspekte des staatlichen Prüfungswesens sowie für die Wahl von Einsatzorten in der Reichsverwaltung von Bedeutung blieb. Die Einbürgerungspolitik wurde weiterhin weitgehend von den Ländern bestimmt und auf der Ebene des Reichs lediglich koordiniert. Bayern vertrat dabei eine extrem restriktive Linie, mit sehr langen Fristen von bis zu 20 Jahren und dem Ziel, nur Personen 'deutschen Blutes' einzubürgern. Während die Gleichstellung von Bayern und Deutschen auch von der Bayerischen Volkspartei (BVP) kritisch gesehen wurde, wurde eine strikte Differenzierung zwischen Bayern und Deutschen in den 1920er Jahren nur noch im monarchistischen Spektrum gefordert; so schloss der Bayernbund selbst Personen, welche die bayerische Staatsangehörigkeit nach 1918 erworben hatten, von politischen Veranstaltungen aus.
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Pass des Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg Mathäus Hahn (1868-1932), ausgestellt am 11. August 1931. (Stadtarchiv Nürnberg, C 21/VII Nr. 58/11)
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Ausweiskarte des bayerischen Staatsangehörigen Hans Kleber (1907-1986) für die Universität München, 1920er Jahre. (Privatbesitz)
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Kinderausweis von Johanna Gräfin von Zech (1921-1939). (Foto: Privat)
Es entsprach der zentralistischen Staatsvorstellung der NS-Diktatur, dass sie mit der Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit vom 5. Februar 1934 die Staatsangehörigkeit in den Ländern beseitigte. Ein Jahr später folgte das 'Reichsbürgergesetz'. Dieses traf eine Unterscheidung zwischen der Staatsbürgerschaft, die den bisherigen Regeln folgte, und einer 'Reichsbürgerschaft', die nur dem "Staatsangehörige[n] deutschen oder artverwandten Blutes, der durch sein Verhalten beweist, daß er gewillt und geeignet ist, in Treue dem Deutschen Volk und Reich zu dienen", zugänglich sein sollte; damit zielte das Regime perspektivisch darauf ab, Staatsangehörigkeit gänzlich durch die Kategorie der 'Rasse' abzulösen.
Bayerische Staatsbürgerschaft seit 1945
Mit dem Gesetz Nr. 1 hob der Alliierte Kontrollrat im September 1945 unter anderem das 'Reichsbürgergesetz' auf und setzte damit die vor dem 30. Januar 1934 gültige Regelung wieder in Kraft. Einige Verfassungen (etwa Rheinland-Pfalz) reagierten darauf, indem sie implizit von einer Staatsbürgerschaft (auch) im Land ausgingen. Die bayerische Verfassung von 1946 sprach in Art. 6 und 7 explizit von einer Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft auf Landesebene, die in einem Gesetz genauer zu regeln sei. Sie ging damit etwas weiter als die Bamberger Verfassung von 1919, die keine neue Regelung des Zugangs zur Staatsangehörigkeit vorgesehen hatte. Ein zentrales Anliegen aller im Landtag vertretenen Parteien war es, die massenhaften Ausbürgerungen der NS-Diktatur und die Entrechtung auf Grundlage einer vermeintlichen 'Rasse'-Zugehörigkeit rückgängig zu machen und für die Zukunft auszuschließen. Daher sollte es unmöglich werden, die bayerische Staatsangehörigkeit abzuerkennen. Ansonsten wollte man zu den Regeln, die zum 1. Januar 1934 bestanden hatten, zurückkehren; nach ihnen waren auch Ansprüche, die zwischen 1934 und 1946 erworben worden wären, zu beurteilen. Die Differenzierung zwischen Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft basierte wieder nur auf dem Alter, "ohne Unterschied der Geburt, der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens und des Berufs" (Art. 7). Wie in der Weimarer Republik sollten alle "deutschen Staatsangehörigen, die in Bayern ihren Wohnsitz haben", bayerischen Staatsangehörigen gleichgestellt sein (Art. 8).
Ein entsprechender, konziser Gesetzesvorschlag fand in der verfassunggebenden Landesversammlung eine breite Mehrheit. Widerspruch kam von der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), die eine Abkehr von einer gesamtdeutschen Staatsangehörigkeit und eine Benachteiligung von 'Volksdeutschen', etwa aus der Tschechoslowakei, die nie eine deutsche Staatsangehörigkeit besessen hatten, befürchtete. Daher schlug sie vor, "alle Staatsangehörige des ehemaligen Deutschen Reiches sowie alle als Deutsche aus anderen Ländern Ausgewiesenen" ebenfalls zu berücksichtigen (Verhandlungen der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung, 87). Der Ausschluss war aber von der Mehrheit bewusst intendiert, da Personen, die sich möglicherweise nur vorübergehend in Bayern aufhalten würden, keine Staatsangehörigkeit verliehen werden sollte. Diese Zurückhaltung bei der Übernahme von Verpflichtungen war wiederum ein Grund dafür, warum das am 15. Oktober 1946 von der Verfassunggebenden Versammlung verabschiedete und der Regierung übermittelte bayerische Staatsangehörigkeitsgesetz auf Wunsch der Militärregierung nicht ausgefertigt wurde. Der neu gewählte Landtag beschäftigte sich mit dem am 25. Februar 1947 in unveränderter Form eingebrachten Gesetzesentwurf dann nicht mehr.
Das Grundgesetz eröffnete 1949 in Art. 74 Abs. 1 Nr.8 (der bis 1994 galt) die Möglichkeit, Gesetze über "die Staatsangehörigkeit in den Ländern" zu erlassen. 1952 forderte der bayerische Landtag auf Antrag der Bayernpartei (BP) die Staatsregierung auf, einen neuen Gesetzentwurf zur bayerischen Staatsangehörigkeit vorzulegen, was allerdings nie geschah. In ihrer Antwort auf eine von einem Abgeordneten der Bayernpartei 1963 erhobenen Klage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof nannte die Staatsregierung dafür verschiedene Gründe: Neben dem Wunsch, zunächst die Klärung des Status der Flüchtlinge und Vertriebenen abzuwarten, und der Einschätzung, dass vor dem Hintergrund der deutschen Teilung eine Differenzierung der gemeinsamen deutschen Staatsangehörigkeit inopportun sei, verwies sie auf den Verwaltungsaufwand, der für die Bestätigung einer rein "ideelle[n]" Eigenschaft betrieben werden müsste (BayHStA, StK 11253).
Ein konkreter Regelungsbedarf bestand in der Tat nicht, da bereits das bayerische Wahlgesetz vom 14. Februar 1946 das Wahlrecht "alle[n] deutschen Männer[n] und Frauen" mit mindestens einjährigem Wohnsitz in Bayern (Art. 1) gewährt hatte. Zudem sah das bundesrepublikanische Passgesetz keine Einträge der Landesangehörigkeit in Ausweisen oder Pässen mehr vor. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof ließ in seinem Urteil 1965 die Frage offen, ob die Verfassung nicht doch eine Verpflichtung beinhalte, ein entsprechendes Gesetz zu erlassen; die Klage scheitere aber in jedem Fall daran, dass Privatpersonen weder die Regierung noch das Parlament dazu zwingen könnten, in politischen Fragen tätig zu werden.
1986 wurde eine erneute Klage mit analogen Gründen zurückgewiesen. Während Rheinland-Pfalz den Bezug auf eine Landes-Staatsbürgerschaft 1991 aus der Verfassung entfernte, blieben die entsprechenden Artikel der bayerischen Verfassung auch nach der Wiedervereinigung unverändert. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof bestätigte 2018 seine Rechtsprechung, dass kein individueller Anspruch auf den Erlass eines bayerischen Staatsangehörigkeitsgesetzes bestehe, weil dieses prinzipiell keine zusätzlichen Rechte verleihen könne; dennoch "könne offenbleiben, ob Art. 6 Abs. 3 BV den bayerischen Gesetzgeber verpflichte, ein solches Gesetz zu erlassen" (Az. Vf. 1-VII-17).
Literatur
- Dorlis Blume/Dieter Gosewinkel/Raphael Gross (Hg.), Staatsbürgerschaften. Frankreich, Polen, Deutschland seit 1789, München 2022.
- Otto Bockshammer, Das Indigenat des Art. 3 der Deutschen Reichsverfassung, Diss. rer. pol. Tübingen 1896.
- Julia Angster/Dieter Gosewinkel/Christoph Gusy, Staatsbürgerschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Tübingen 2019.
- Dieter Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen. Die Nationalisierung der Staatsangehörigkeit vom Deutschen Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaften 150), Göttingen 2001.
- Hans-Peter Mayer, Die Staatsangehörigkeit in Bayern, Würzburg 1974.
- Theodor Meder/Winfried Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern: Kommentar, Stuttgart u.a. 4. Auflage 2014.
- Ingo von Münch, Die deutsche Staatsangehörigkeit. Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft, Berlin 2007.
- Jochen Oltmer (Hg.), Handbuch Staat und Migration in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert, München 2016.
- Christoph Schönberger, Die Bürgerschaft der Europäischen Union. Anmerkungen zu einem multinationalen Bürgerrecht in historischer Perspektive, in: Geschichte und Gesellschaft 42, 2016, 651-668.
- Oliver Trevisiol, Die Einbürgerungspraxis im Deutschen Reich 1871-1945 (Studien zur historischen Migrationsforschung 18), Göttingen 2007.
Quellen
- Bekanntmachung: Betreff die Wahl des 1. Bürgermeisters in Rosenheim, in: Rosenheimer Anzeiger 13.11.1919.
- Bekanntmachung, die Uebereinkunft wegen Uebernahme von Ausgewiesenen zwischen Bayern, Preußen, Sachsen (…) betr., in: Regierungsblatt für das Königreich Bayern, 1851, 1396-1407.
- Der die Verfassung im Herzen trägt, in: Süddeutsche Zeitung, 9.10.2018.
- Die Fehlen gerade noch, in: Ingolstädter Anzeiger, 9. August 1924.
- Edikt über das Indigenat, das Staatsbürger-Recht, die Rechte der Forensen und der Fremden in Bayern, in: Königlich Baierisches Regierungsblatt 1812, 209.
- Edict über das Indigenat, in: Gesetzblatt für das Königreich Bayern 1818, 141-148.
- Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 9. Oktober 2018, Az. Vf. 1-VII-17.
- Entwurf eines Gesetzes über die bayerische Staatsangehörigkeit, Beilage 8 in: Verhandlungen der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung 15. Juli bis 30. November 1946. Stenographische Berichte, München [1946], Beilagen 3-4.
- Entwurf eines Gesetzes über die bayerische Staatsangehörigkeit, Beilage 102 in: Verhandlungen des Bayerischen Landtags, I. Tagung 1946/1947, Beilagen-Band I, München 1948, 59f.
- Gesetz, die Gemeindeordnung für die Landestheile diesseits des Rheins betr., in: Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern 1866/69, 865-1006.
- Gesetz Nr. 1, vom 30. September 1945, bez. der Aufhebung von Nazi-Gesetzen, in: Journal officiel du Conseil de contrôle en Allemagne, Nr. 1946, 6.
- Gesetz Nr. 36 für die Wahl einer Verfassunggebenden Landesversammlung vom 14. Februar 1946, in: Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 18, 1946, 261-265.
- Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit, in: Bundes-Gesetzblatt für den Norddeutschen Bund 1870, 355-360.
- Lorenz August Grill, Die Reichsgesetze über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 und über die Freizügigkeit vom 1. November 1867 unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des k. bayer. Verwaltungsgerichtshofes und der Litteratur erläutert und mit den Vollzugsvorschriften für Bayern, München 1893.
- Königliche allerhöchste Verordnung (Die National-Kokarden betreffend), in: Königlich-Baierisches Regierungsblatt 1806, 25.
- Konstitution für das Königreich Bayern, in: Königlich-Baierisches Regierungsblatt 1808, 985-1000.
- Piloty, Robert (Hg.), Die Verfassungsurkunde des Königreichs Bayern: nebst den auf die Verfassung bezüglichen sonstigen Gesetzen mit Anmerkungen herausgegeben. München 1895.
- Protokolle des Bayerischen Ministerrats, Ministerratssitzung vom 30.10.1945, TOP I. Gesetz über die bayerische Staatsangehörigkeit.
- Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935, in: Reichsgesetzblatt I 1935, 1146.
- Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913, in: Reichsgesetzblatt 1913, 583.
- Verfassung des Deutschen Reichs, in: Bundes-Gesetzblatt für den Norddeutschen Bund, 1871, 64-85.
- Verfassung des Deutschen Reichs. Vom 11. August 1919, in: Reichsgesetzblatt 1919, 1383-1418.
- Verfassung des Freistaates Bayern, in: Gesetz- und Verordnungs-Blatt für den Freistaat Bayern 1919, 531-553.
- Verfassungsbeschwerde Max Lallingers wegen Unterlassung der Vorlage des Entwurfes eines Staatsangehörigkeitsgesetzes seitens der Bayerischen Staatsregierung (1963/65). (BayHStA, StK 11253).
- Verhandlungen der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung 15. Juli bis 30. November 1946. Stenographische Berichte, München [1946].
- Verordnung (Die Uebereinkunft über die wechselseitige Uebernahme der Vaganten und anderer Ausgewiesenen in den Baierischen, Württembergischen und Badenschen Staaten betreffend), in: Königlich-Baierisches Regierungsblatt 1816, 731-738.
- Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit vom 5. Februar 1934, in: Reichsgesetzblatt, Teil I, 1934, 85.
Weiterführende Recherche
Staatsbürgerschaft, Indigenat
Empfohlene Zitierweise
Andreas Fahrmeir, Staatsangehörigkeit, publiziert am 20.10.2025; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Staatsangehörigkeit> (5.12.2025)