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Ansässigmachung (19. Jahrhundert)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Die Fallakten der Ansässigmachungen sind eine wichtige Quelle zur Regional- und Familiengeschichte. Hier das Deckblatt des Akts zur Ansässigmachung des Sattlers Hermann Göbel von 1838. (Stadtarchiv Bad Kissingen B 584 (G))

von Herbert Schott

Im 19. Jahrhundert besaß jeder ein Heimatrecht in einer Gemeinde und damit eine rudimentäre soziale Absicherung. Wollte er sich woanders niederlassen und vielleicht heiraten oder ein Gewerbe betreiben, musste er um die Ansässigmachung, d.h. eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis, ersuchen. Das Recht zur Verehelichung war mit der Ansässigmachung verknüpft. Durch die Montgelas’schen Reformen wurden 1808 diesbezügliche kommunale Regelungen beseitigt und erst 1818 wieder eingeführt. 1825 wurden die Regelungen für das rechtsrheinische Bayern vereinheitlicht und 1834 durch ein Vetorecht der Gemeinden verschärft. Erst ab 1868 wurden diese in Deutschland einmaligen Restriktionen wieder gelockert. Die letzten Beschränkungen fielen erst Anfang des 20. Jahrhunderts. Betroffen waren vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten, die die aufgestellten Kriterien (Vermögen und Versorgungsmöglichkeit) nicht erfüllen konnten und denen aus Sorge vor den Kosten für Armenunterstützung häufig die Ansässigmachung oder Verehelichung verweigert wurde.

Aufenthaltsstatus und Bürgerrecht im Alten Reich

Wer in einer Gemeinde oder Stadt leben durfte, wurde im Alten Reich in der Regel von dieser entschieden. In Städten unterschied man zwischen Bürgern und minderberechtigten Einwohnern, Schutzverwandten, die man etwa Beisassen oder Inleute nannte. Nur die Bürger hatten Anteil an der Verwaltung der Stadt, sie mussten alle bürgerlichen Lasten (z.B. Hilfe bei der Verteidigung der Stadt) und Steuern tragen. Wer als Schutzverwandter angenommen wurde, konnte zumindest nicht ohne triftigen Grund der Stadt verwiesen werden. Die Aufnahme als Bürger oder Schutzverwandter war ein Rechtsakt, den sich die Stadt bezahlen ließ (Bürgergeld, jährliche Abgaben für Schutzverwandte).

Es gab kein Recht, sich niederzulassen, wo man wollte, da die Gemeinden und Städte im Bedarfsfall Armenunterstützung leisten mussten, was sie vermeiden wollten. Es gab keine Gewerbefreiheit, um die ortsansässigen Gewerbeausübenden, die oft in Zünften organisiert waren, vor Konkurrenz zu schützen. Mit dem Aufenthaltsrecht gekoppelt war auch das Recht, sich zu verehelichen. Nur wer finanziell abgesichert war, sollte heiraten und Kinder bekommen können, ohne dass die Gemeinden finanziell gefordert waren. Seit der Reichspolizeiordnung 1530 war die Heimatgemeinde für die Unterstützung der Einwohner bei unverschuldeter Armut zuständig. Die Beschränkung der Freizügigkeit diente den Gemeinden und Städten dazu, sich vor ungewollten Sozialleistungen zu schützen.

Die Regelungen über Ansässigmachung und Verehelichung für das Königreich Bayern vor 1825

Anfang des 19. Jahrhunderts entfiel ein Teil der Armenunterstützung für Ortsansässige durch Auflösung zahlreicher geistlicher Institutionen und Klöster in Bayern. Minister Maximilian von Montgelas (1759–1838, Minister des Äußeren 1799–1817) etablierte durch Verordnung vom 22. Februar 1808 ein staatliches Unterstützungssystem. Dadurch wurde die gemeindliche Armenpflege als Prinzip aufgegeben. Eine Verordnung vom 12. Juli 1808 hob Beschränkungen der Verehelichungsfreiheit auf, das Einspruchsrecht der Gemeinden wurde beseitigt. Jetzt waren die staatlichen Polizeibehörden für die Heiratserlaubnis zuständig, die nur versagt wurde, wenn die Eheleute sich nicht durch Arbeit ernähren konnten oder einen „müßigen“ und „liederlichen“ Lebenswandel führten. Für die Genehmigungen waren das jeweilige Landgericht, Patrimonial- oder Herrschaftsgericht zuständig, eine Beschwerde bei den Generalkreiskommissariaten war möglich.

Die große Hungerkatastrophe von 1816/17 in Europa führte dazu, dass das Königreich Bayern durch Verordnung vom 17. November 1816 die dezentralisierte kommunale Armenpflege wiederherstellte. In den Gemeinden wurden Armenpflegschaftsräte gebildet. Im Zuge der Verfassung von 1818 wurde den Gemeinden wieder die Hauptkompetenz bei der Ansässigmachung und damit des Rechts zur Verehelichung eingeräumt.

Das Gemeindeedikt vom 17. Mai 1818 übertrug den Gemeinden die Entscheidung über die Aufnahme von Personen, aber sie mussten dann für diese auch im Armutsfall aufkommen. Das brachte viele Gemeinden in Zugzwang, denn diese Aufgabe konnte für sie sehr teuer werden. Jede Gemeinde versuchte so gut es ging, sich vor dem Zuzug von potentiellen Armen und den damit verbundenen Kosten zu schützen. Mit einer Verehelichung war oft auch ein Ortswechsel verbunden, weshalb die Gemeinden daran interessiert waren, diese zu kontrollieren. Außerdem fürchtete man sich vor Kosten für die Kinder eher ärmerer Eltern. Vielfach wurde die Entscheidung über Heimat und Ansässigmachung willkürlich getroffen.

Die gesetzlichen Regelungen zur Heimat 1825

Der Landtag debattierte 1819, 1822 und 1825 darüber, wie mit der Ansässigmachung zu verfahren sei. Nach Debatten im Landtag wurde am 11. September 1825 das "Gesetz über die Heimath" erlassen. Dadurch sollten die in Bayern historisch bedingten unterschiedlichen Rechte dazu vereinheitlicht werden. Am gleichen Tag folgte ein "Gesetz über die Ansässigmachung und Verehelichung". Ziel des Gesetzes war es, die Ansässigmachung zu erleichtern, damit die Wirtschaft des Landes anzukurbeln und die Wettbewerbsfähigkeit mit anderen Staaten herzustellen. Von der Erleichterung der Eheschließung erhoffte sich der Gesetzgeber, die Zahl der nichtehelichen Geburten zu senken.

Das Heimatgesetz unterschied zwischen einer erworbenen, einer ursprünglichen und einer angewiesenen Heimat. Jeder Mensch in Bayern hatte eine „Heimat“ als Recht, damit konnte man nach den gesetzlichen Vorgaben seinen Wohnort bestimmen. Man konnte ein Heimatrecht erwerben durch einen Vertrag mit der Gemeinde, die Ansässigkeit in der Gemeinde gemäß dem Ansässigmachungsgesetz oder durch die von der zuständigen Obrigkeit erteilte Erlaubnis zur Verheiratung in diese Gemeinde. Witwen und geschiedene Frauen erhielten die erworbene Heimat, diese bezog sich auf die Heimat ihres verstorbenen oder geschiedenen Mannes. Konnte keiner dieser Erwerbstitel angeführt werden, hatte man seine Heimat in dem Ort, in dem die Eltern sie hatten, bei ehelichen Kindern der Vater, bei nicht-ehelichen die Mutter. Das war die ursprüngliche Heimat. Eine Heimat konnte auch zugewiesen werden, v.a. bei Findelkindern.

Wer das Heimatrecht in einer Gemeinde besaß, hatte damit Anspruch auf einen Wohnsitz in dieser Gemeinde und auf Unterstützung, sollte man wegen Krankheit oder Alter nicht mehr arbeiten können. Niemand musste sich an dem Ort, in dem er das Heimatrecht besaß, aufhalten. Durch die Beantragung der Ansässigmachung konnte man sich in einem anderen Ort niederlassen, als in dem, in dem man das Heimatrecht besaß. Wer sich am Wohnort nicht mehr ernähren konnte, musste in die Gemeinde zurückgehen, in der er Heimatrecht besaß, damit er alimentiert wurde. Für Fragen der Heimat waren die Polizeibehörden zuständig, die Städte, Land-, Patrimonial- und Herrschaftsgerichte.

Die gesetzlichen Regelungen zur Ansässigmachung und Verehelichung 1825

Titelseite des Gesetzes zur Ansässigmachung und Verehelichung aus dem Gesetzblatt für das Königreich Bayern, München 1825. (Bayerische Staatsbibliothek, BHS VIII D 5-1825)

Ebenfalls am 11. September 1825 wurde das Gesetz über Ansässigmachung und Verehelichung erlassen. Die teils noch unterschiedlichen, historisch gewachsenen Verhältnisse im Königreich Bayern sollten vereinheitlicht werden. Es war das ausdrückliche Ziel, die sittliche und bürgerliche Wohlfahrt der Einwohner zu fördern. Das Gesetz stellte Rechtsgrundsätze auf, die die Ansässigmachung in einem Ort regelten. Wer sich ansässig machen, d.h. niederlassen wollte, durfte keine Probleme in seinen zivilrechtlichen Verhältnissen oder mit dem Militär-Conscriptionsgesetz haben, er musste einen guten Leumund besitzen und den vorschriftsmäßigen Schulunterricht und auch den Religionsunterricht während der Sonntags-Schulpflicht absolviert haben, diesen Unterricht konnte er nachholen. Die einschlägigen Fallakten enthalten deshalb vielfach einschlägige Zeugnisse (Schule, Religionsunterricht, Entlassung aus dem Militär).

Das Recht zur Ansässigmachung wurde begründet durch:

  • Besitz eines Grundvermögens mit einem Simplum (einfachen Steuersatz) von 45 Kreutzern, was einem Grundbesitz im Wert von 600 Gulden entsprach. Dazu wurde ausdrücklich die sog. Güterzertrümmerung erlaubt, d.h. der Verkauf eines Teils des Grund und Bodens; dazu musste aber der Grundherr zustimmen und die grundherrlichen Reichnisse (zu leistende Abgaben) mussten geklärt sein. In großen Städten reichte in der Regel jeder besteuerte Grundbesitz für die Ansässigmachung aus, da dieser das Simplum überschritt. In München wurden deshalb häufig kleine Wohnungen in großen Häusern gekauft; wegen hoher Lebenshaltungskosten fielen die Bewohner aber oft trotz eines formalen Grundbesitzes schnell der Armenunterstützung zur Last.
  • Besitz eines Gewerbes, womit ein ausreichendes Einkommen garantiert schien
  • Anstellung mit einem öffentlichen Amt beim Staat, der Kirche oder der Gemeinde
  • ein anderwärts gesicherter Nahrungsstand (Lebensunterhalt).

Waren diese Voraussetzungen nicht gegeben, konnte nach den jeweiligen persönlichen, örtlichen und besonderen Verhältnissen entschieden werden. Ein wichtiges Kriterium war, ob der Bewerber nach Ansicht der Gemeinde Lust und Tüchtigkeit zur Arbeit zeigte. Ausgediente Soldaten sollten bei der Ansässigmachung begünstigt werden. Auch Dienstboten, die ohne häufigen Dienstwechsel zehn Jahre lang treu und fleißig gedient und sich etwas erspart hatten, sollten die Ansässigmachung erhalten können. Das waren aber Kann-Bestimmungen ohne einen Rechtsanspruch, damit hatte man bei der Entscheidung einen gewissen Spielraum.

In engem Zusammenhang mit der Ansässigmachung stand die Verehelichung, die ebenfalls in diesem Gesetz geregelt wurde. Wer einen gesetzlichen Anspruch auf Ansässigmachung hatte, dem durfte die Genehmigung zur Verehelichung oder Wiederverehelichung nicht verweigert werden, es sei denn, es standen kirchenrechtliche oder besondere Polizey-Rücksichten dagegen. Eine Heirat ohne den Nachweis, dass sich das Paar ernähren konnte, sollte verhindert werden.

Mit der Ausführung des Gesetzes wurden die Gemeinden beauftragt. Entscheidungen trafen die Landgerichte, die Gemeinden hatten nur noch beratende Funktion. Entsprechend den Bestimmungen der Verfassung von 1818 waren in den adligen Grundherrschaften die Patrimonial- und Herrschaftsgerichte zuständig, worauf im Gesetz ausdrücklich hingewiesen wurde. Ältere Verordnungen über Ansässigmachung und Verehelichung, die in einzelnen Landesteilen aus historischen Gründen unterschiedlich waren, wurden damit aufgehoben.

In engem Zusammenhang mit der Ansässigmachung stand das Gesetz über das Gewerbewesen vom gleichen Tag. Bayern war gegen die unbeschränkte Gewerbefreiheit. Wer eine Konzession, d.h. das Recht zur Ausübung eines Gewerbes, erwerben wollte, musste persönlich fähig sein und die Voraussetzungen für eine Ansässigmachung haben. Wurden zu viele Konzessionen vergeben, waren Handwerke in den Gemeinden schnell überbesetzt.

Die Diskussion über eine Revision der Regelungen bis zum Gesetz von 1834

Gegen die Regelungen von 1825, die den Gemeinden die Entscheidung über die Ansässigkeit nahm, gab es von deren Seite heftigen Widerstand, da ihnen die Gesetze zu liberal waren. Für die Gemeinden war die Begrenzung der Ausgaben für Arme ein Problem, sie konnten ihre Finanzen bedrohen. Besonders in den Städten, z.B. München, wuchs die Einwohnerzahl stark an, viele benötigten Armenunterstützung, denn die Einkommen vieler Einwohner waren oftmals gering. Unterstützt wurden die Gemeinden beim Widerstand gegen die gesetzlichen Regelungen durch Gewerbetreibende, Zünfte, Gewerbevereine und viele Abgeordnete des Landtags. Wer ein Gewerbe ausübte, hatte Angst vor neuer Konkurrenz. Wer ein Gewerbe betrieb, wollte keine Konkurrenten auf dem Markt. Nach der Julirevolution in Frankreich 1830 wurden in Bayern liberale Gedanken zurückgedrängt. König Ludwig I. (1786-1868, reg. 1825-1848) wandte sich aus Furcht vor Unruhen zunehmend konservativen Vorstellungen zu. Auf Seite der Kommunen stand v.a. der Innenminister Ludwig Fürst von Ötttingen-Wallerstein (1791–1870, Innenminister 1832–1837). Er meinte, wenn der Staat das Armenwesen nicht in eigener Regie betreiben konnte, müsse er den Gemeinden, die zur Unterstützung der Armen verpflichtet waren, das Recht der Entscheidung darüber geben. Er schlug dem Landtag 1834 vor, den Gemeinden den absolut hindernden Widerspruch, also ein Veto, bei Bitten um Ansässigmachung zu übertragen in allen Fällen, in denen der Antragsteller keinen ausreichenden Grundbesitz oder eine persönliche Gewerbekonzession oder ein reales oder radiziertes Gewerbe hatte. Er hoffte, dass die höheren Hürden für eine Verehelichung ein Anwachsen der ärmeren Bevölkerungsschichten verhindern würden. Nur die, die sich und eventuelle Kinder langfristig ernähren konnten, sollten sich ansässig machen und heiraten dürfen. Der Landtagsabgeordnete Ignaz Rudhart (1790 – 1838, seit 1825 Mitglied der Kammer der Abgeordneten) sprach sich gegen das Gesetz aus und warnte vor der möglichen Willkür der Gemeinden. Er meinte, die bereits Ansässigen würden die Ansässigmachung neuer Bewohner aus Neid und Furcht verhindern, die Ressourcen würden nicht allen genügen. Außerdem gab er zu bedenken, der Monarch könne so auf ein königliches Recht verzichten.

Die neuen Regelungen zur Ansässigmachung 1834

Darstellung eines Gerichtstages in Starnberg. Auf dem Gemälde von Karl von Enhuber (1811-1867) von 1862 erkennt man Wartende, die aufgerufen werden und ein junges Paar, das das Gericht vermutlich mit einer Genehmigung zur Verehelichung verlässt. (Bayerische Staatsgemäldesammlungen, 7675 lizenziert durch CC BY-SA 4.0)

Das Gesetz über Ansässigmachung und Verehelichung wurde am 1. Juli 1834 geändert. Die Bemühungen der ersten Kammer, das Gesetz abzumildern, hatten nur wenig Erfolg. Als Voraussetzung für die Ansässigmachung wurde jetzt ein schuldenfreier Grundbesitz in Höhe des Steuer-Minimums gefordert, die Erwerbung eines realen oder radizierten Gewerbes, d.h. der Besitz eines entsprechenden Grundstückes oder Hauses mit dem Recht, ein Gewerbe auszuüben (z.B. Schmiede), eine persönliche Gewerbekonzession oder ein anderweitig vollständiger und gesicherter Nahrungsstand. Das geforderte Grundsteuer-Simplum unterschied sich nach der Verfassung der Gemeinden und den Betroffenen: In Landgemeinden war es niedriger als in Gemeinden mit magistratischer Verfassung. Außerdem gab es für sog. Ausländer (Nicht-Bayern) höhere Anforderungen als für Eingeborene (in Bayern geboren und lebend). Ein nachhaltig gesicherter Lebensunterhalt konnte laut Gesetz unter bestimmten Bedingungen auch aus Lohnerwerb stammen. Bei Dienstboten wurde jetzt gefordert, sie müssten 15 Jahre ohne großen Wechsel und bei Vorhandensein namhafter Ersparnisse im Ort gelebt haben.

Die Gemeinden durften auch höhere Aufnahmegebühren erheben, gestaffelt nach Städten erster Klasse, Städten zweiter Klasse, Städten dritter Klasse und Märkten mit magistratischer Verfassung und Landgemeinden. Die Gemeinden erhielten quasi ein Vetorecht gegen Ansässigmachungen. Dieses kommunale Veto, das Recht des absolut hindernden Widerspruchs, war ohne Beispiel und Vorbild in Deutschland.

Die Kreisregierungen in Bayern sahen das kommunale Veto bei der Ansässigmachung bzw. Verehelichung sehr kritisch, sie warfen den Kommunen Willkür vor. Die Revolution von 1848 brachte hier keine Liberalisierung, auch die Sozialpolitik König Maximilians II. (1811–1864, König ab 1848) scheiterte für diesen Bereich letztendlich an den Mehrheitsverhältnissen der 2. Kammer des Landtags. Erst 1868 kam es zu einer deutlichen Liberalisierung.

Das Gesetz über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt vom 16. April 1868

Die Rechtslage änderte sich teils entscheidend durch das "Gesetz über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt" vom 16. April 1868. Das Heimatrecht wurde neu geregelt. Das Gesetz legte fest, dass jene Angehörigen des bayerischen Staates einen Anspruch auf Verleihung des Heimatrechts in der Aufenthaltsgemeinde hatten, in der sie – nach ihrer Volljährigkeit – in den fünf unmittelbar vorausgegangenen Jahren freiwillig und selbständig Aufenthalt gehabt, in dieser Zeit direkte Steuern an den Staat gezahlt sowie ihre Verpflichtungen gegenüber der Gemeinde- und Armenkasse erfüllt hatten, ohne dabei Armenunterstützung beansprucht oder erhalten zu haben. Erfüllten sie diese Voraussetzungen nicht, konnten sie mit der Gemeindeverwaltung Bedingungen für den Erhalt des Heimatrechts vereinbaren. Die Gemeinden konnten gestaffelt nach der Einwohnerzahl Gebühren für den Erwerb des Heimatrechts fordern in Höhe von 12 bis 48 Gulden. Das Heimatrecht schloss das Aufenthaltsrecht und die Hilfe bei Bedürftigkeit ein. Bei Streitigkeiten mit den Gemeindebehörden waren die Bezirksämter, bei unmittelbaren Städten die Kreisregierungen zuständig.

Wenn ein Mann bestimmte Voraussetzungen erbrachte, v.a. die Ableistung der Militärpflicht nachweisen konnte, wurde ihm von seiner Heimatgemeinde ein Verehelichungszeugnis ausgestellt. Hatte er in den vorausgegangenen drei Jahren Armenunterstützung erhalten, konnte die Gemeinde ihm die Verehelichung versagen. Wurde trotzdem eine Ehe geschlossen, galt sie als bürgerlich ungültig; Ehefrau und Kinder erhielten kein Heimatrecht. Man konnte, wenn man in einem Ort Heimatrecht hatte, seinen Aufenthalt im ganzen Königreich nehmen, eine Anmeldung bei den Behörden war aber Pflicht. Damit herrschte weitgehend Freizügigkeit, denn die Ansässigmachung konnte quasi nicht mehr verwehrt werden.

Das Ende der Beschränkungen der Ansässigmachung

Die Entwicklung in Preußen unterschied sich von der in Bayern. In Preußen gab es das Konzept des Unterstützungswohnsitzes, die armenrechtliche Verantwortung ging nach drei Jahren gewöhnlichen Aufenthalts an den Ort des Wohnsitzes. Darauf aufbauend erließ der Norddeutsche Bund am 6. Juni 1870 das „Gesetz über den Unterstützungswohnsitz“, die Heimatberechtigung war damit verbunden. Auch nach Inkrafttreten der Verfassung des Deutschen Reiches 1871 blieb die bayerische Heimatgesetzgebung als Sonderrecht in Kraft, es wurde in Art. 4 der Reichsverfassung garantiert. Bayern behielt sein Heimatrecht und verwarf die Idee des Unterstützungswohnsitzes. Am 17. März 1892 wurde eine Novelle des Heimatgesetzes in Bayern erlassen. Dadurch wurde das Recht zur Verehelichung liberalisiert, auch ohne Verehelichungszeugnis war eine geschlossene Ehe jetzt bürgerlich gültig. Die letzte Fassung der Gesetze über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt wurde im Jahre 1899 nochmals in einer Bekanntmachung veröffentlicht. Erst durch einen kurzen Eintrag in das Armengesetz vom 21. August 1914 wurden die Einschränkungen für Verehelichung und des Aufenthalts mit Wirkung zum 1. Januar 1916 aufgehoben: Damit waren die Einschränkungen der Ansässigmachung bzw. Beschränkung des Aufenthalts und der Verehelichung und die entsprechenden Genehmigungsverfahren erloschen. Bayern schloss sich jetzt dem Konzept des Unterstützungswohnsitzes an, der das Heimatrecht ersetzte.

Sonderregelungen für Juden

Ansässigmachungsgesuch des jüdischen Kaufmanns Siegmund Würzburger (1815-1867) als Schnitt- und Kurzwarenhändler an den Stadtmagistrat Bayreuth, 1847. (Stadtarchiv Bayreuth, StVBT Nr. 3715)

Die jüdische Bevölkerung Bayerns unterlag lange einem Sonderrecht mit weiteren Beschränkungen und damit nicht den Ansässigmachungsgesetzen von 1825 und 1834. Das „Edikt die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen im Königreiche Baiern betreffend“ vom 13. Juni 1813, meist Judenedikt genannt, bestimmte die Voraussetzungen, nach denen Juden als Staatsangehörige galten. Jüdische Staatsbürger wurden in ein Verzeichnis, die Judenmatrikel, eingetragen. Die Zahl jüdischer Familien durfte nicht vermehrt werden. Über die Vergabe der Matrikelstellen entschieden die betroffenen Kommunen und bei Kommunen mit Landgemeindeverfassung das Land- oder Herrschaftsgericht. Eine Ansässigmachung über die festgelegte Zahl der Matrikelstellen je Ort hinaus blieb dem Innenministerium vorbehalten. Erst 1861 wurden die einschlägigen Einschränkungen aufgehoben und die jüdische Bevölkerung hinsichtlich der Ansässigmachung der nicht-jüdischen gleichgestellt.

Das linksrheinische Bayern

Im linksrheinischen Bayern (Pfalz) galten die Beschränkungen zu Ansässigmachung und Verehelichung, die das Königreich Bayern erlassen hatte, nicht. Dort galt die obligatorische Zivilehe, das Zivilrecht beruhte auf dem napoleonischen Code Civil. Das Königreich tastete die liberalen Regelungen in der Pfalz nicht an.

Überlieferung und Bedeutung der Ansässigmachungsakten

Fallakten, d.h. die Gesuche um Ansässigmachung und Verehelichung einschließlich der eingereichten Zeugnisse, finden sich in sehr großer Zahl in allen Staatsarchiven in Bayern, aber auch in den Stadt- und Gemeindearchiven. Insbesondere die Akten aus der Zeit vor der Gesetzgebung im Jahre 1868 enthalten vielfach Unterlagen zu den persönlichen und sozialen Verhältnissen der Antragsteller. In den Akten findet man auch häufig Dokumente aus dem privaten Bereich, z.B. Schul- oder Militärentlasszeugnisse, Impfscheine, pfarramtliche oder Religionszeugnisse. Wichtig sind auch Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen, Grundbesitz, Berufsausbildung. Diese Akten sind auch eine wichtige Quelle für die Sozial- und Regionalgeschichte sowie zur Familienforschung.


Literatur

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  • Thomas Götz, “Heimat“ als Berechtigung: Städtische Ansässigmachungspolitik im vormärzlichen Bayern – eine Studie zum gesellschaftlichen Stoffwechsel vor der fossilenergetischen Transformation, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 81(2021), 291–351.
  • Reinhard Heydenreuter, Heimatrecht, Heiratserlaubnis und Ansässigmachung. Die Gesetzgebung zum Heimat- und Ansässigmachungsrecht im Königreich Bayern, in: Forum Heimatforschung 16 (2013), 120-138.
  • Reinhard Heydenreuter, Heimat, Heirat, Bürgerrecht. Juristische Vorgaben für das Fremdsein von „Münchnern“ im München des 19. Jahrhunderts, in: Hans-Joachim Hecker/Andreas Heusler/Michael Stephan (Hgg.), Stadt, Region, Migration – Zum Wandel urbaner und regionaler Räume (Stadt in der Geschichte 42), Ostfildern 2017, 217–229.
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  • Richard Mehler, Die Matrikelbestimmungen des bayerischen Judenediktes von 1813. Historischer Kontext – Inhalt – Praxis (Franconia Judaica 6), Würzburg 2011.
  • Emil Riedel, Das bayrische Gesetz über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt vom 16. April 1868, nebst einer Darstellung der älteren bayrischen Gesetze über Heimat, Ansässigmachung, Verehelichung und Armenpflege, 4. Aufl. Nördlingen 1868.
  • Cordula Scholz Löhnig/Martin Löhnig, Die Anwendung der bayerischen Gesetzgebung zur Ansässigmachung und Verehelichung im 19. Jahrhundert in Ruralgemeinden um Haßfurt, in: Hans-Georg Hermann / Hans-Joachim Hecker (Hgg.), Rechtsgeschichte des ländlichen Raums in Bayern (Rechtskultur Wissenschaft 8), Regensburg 2012, 105–115.
  • Herbert Schott, Ansässigmachungs-, Verehelichungs-, Konzessionsakten sowie Heimatakten im Staatsarchiv Nürnberg, in: Blätter für fränkische Familienkunde 41(2018), 241–270.
  • Max Seydel, Bayerisches Staatsrecht. Bd. 1: Die Staatsverfassung: nebst geschichtlicher Einleitung, 2. Auflage neubearbeitet von Josef Graßmann u. Robert Piloty, Tübingen 1913.
  • Edeltraud Weber, Heimatlose, in: Christoph Bachmann/Karin Dütsch (Hgg.), Alte Zeiten, rauhe Sitten. Underdogs aus Bayerns Geschichte, München 2014, 8-17.
  • Jan Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt. Paradigmatische Überlegungen zum grundrechtlichen Freiheitsschutz in historischer und verfassungsrechtlicher Perspektive (Jus publicum 21), Tübingen 1997.

Quellen

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Herbert Schott, Ansässigmachung (19. Jahrhundert), publiziert am 30.06.2025; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Ansässigmachung_(19._Jahrhundert)> (13.07.2025)