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Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche im rechtsrheinischen Bayern, 1921

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Generalsynode 1920: Zug der Synodalen vom Ansbacher Schloss zum Eröffnungsgottesdienst in die Gumbertuskirche am 17. August 1920, vormittags. (Landeskirchliches Archiv der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Fotosammlung Orte [Ansbach, Synode 1920] O 6)

von Andrea Schwarz

Zum 1. Januar 1921 in Kraft getretene Neuregelung der inneren Verfasstheit der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, die durch das Ende des landesherrlichen Kirchenregiments mit dem Sturz der Monarchie notwendig geworden war. 1972 wurde sie durch eine neue Verfassung abgelöst. Im Gefolge der Revolution von 1918 endete wie im übrigen Deutschland in Bayern das landesherrliche Regiment über die evangelische Kirche. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts war es in der Gestalt des (katholischen) Königs als Summepiscopus (= oberster Bischof) personifiziert gewesen. Eine Neudefinition der inneren Verfasstheit der Kirche wurde unabdingbar.

Die Evangelisch-Lutherische Kirche im Königreich Bayern 1803-1918

Die 1920 ausgearbeitete neue Kirchenverfassung baute auf den Rechtsverhältnissen des 19. Jahrhunderts auf: 1803 hatte im Kurfürstentum Bayern das Religionsedikt die rechtliche Gleichstellung der katholischen, der evangelisch-lutherischen sowie der evangelisch-reformierten Konfession festgeschrieben. Mit der Konsistorialordnung von 1809 (quasi der ersten, vom Staat oktroyierten Kirchenverfassung) wurde ein erstes Organisationsstatut des evangelischen Kirchenwesens in Bayern festgelegt.

Im Protestantenedikt (der zweiten, ebenfalls oktroyierten Kirchenverfassung), einer Beilage zur Verfassungsurkunde von 1818, wurde der Kirchenaufbau konsolidiert (konsistoriale Organisation mit synodalen Zügen und begrenzt selbständiger Verwaltung).

Die landesherrliche Kirchenhoheit übte das Innenministerium, ab 1847/1849 das Kultusministerium im Namen des Königs aus. Oberstes evangelisches Leitungsgremium für die inneren Kirchenangelegenheiten, aber dem Ministerium unmittelbar untergeordnet, war das Oberkonsistorium in München. Auf der mittleren Ebene gab es die Konsistorien Ansbach, Bayreuth und Speyer (das Konsistorium Speyer war zuständig für die Vereinigte Protestantisch-Evangelisch-Christliche Kirche der Pfalz, eine seit 1818 bestehende Union der lutherischen und der reformierten pfälzischen Kirchen. 1849 wurde das Konsistorium Speyer direkt dem Kultusministerium unterstellt. Die "bayerische" Kirche gab sich daraufhin den Zusatz "rechts des Rheins").

Die Konsistorien waren den Kreisregierungen zugeordnet, nur das Dekanat München, das sich im Lauf des 19. Jahrhunderts in Oberbayern immer mehr ausdehnte (bis Bad Reichenhall und Burghausen), unterstand als Sonderfall unmittelbar dem Oberkonsistorium. Die Konsistorialbezirke waren in Dekanate eingeteilt, diese wiederum in Pfarreien. Ab 1823 tagten alle vier Jahre auf Konsistorialebene Generalsynoden, die ab 1849 auch als Vereinigte Generalsynode (der Bezirke Ansbach und Bayreuth) mit paritätischer Zusammensetzung aus Geistlichen und Laien (unter anderem aus allen Dekanaten sowie aus den sieben reformierten Gemeinden) wirken konnten, seit 1881 mit Zustimmungsrecht. Zwischen den Synodaltagungen agierte ab 1887 der Generalsynodalausschuss.

Der Umbruch 1918-1921

Durch eine Verordnung des bayerischen Gesamtministeriums vom 15. November 1918 ging die oberste Kirchenleitung auf Johannes Hoffmann (1867-1930) über, den ersten Kultusminister der bayerischen Republik. Dieser Zustand dauerte bis zum 11. August 1919, als mit Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung das Staatskirchentum offiziell endete. Am 24. Juni 1919 erlangte die Evangelisch-Reformierte Kirche Bayerns auf Grund ihrer neuen Kirchenordnung die innerkirchliche Selbstständigkeit. Eine Verordnung der Regierung Hoffmann vom 28. Januar 1920 löste die Verbindung des Oberkonsistoriums und der Konsistorien mit dem Staat auf und schrieb so die von der Weimarer Reichsverfassung vorgesehene institutionelle Trennung von Kirche und Staat auch für den Freistaat Bayern fest.

Folgerichtig erarbeitete vom 17. August bis zum 12. September 1920 eine Verfassung gebende Generalsynode in Ansbach die neue Kirchenverfassung, die zum 1. Januar 1921 in Kraft trat. Die Synode bestand aus 147 Synodalen, davon 98 weltliche, überwiegend politisch konservativ gesinnte Akademiker. Zum Synodalpräsidenten wurde Wilhelm Freiherr von Pechmann (1859-1948) gewählt. Die Verfassung ging auf einen Entwurf zurück, den federführend der weltliche Oberkonsistorialrat Karl Gebhard (1864-1941) erarbeitet hatte.


Inhalt der Verfassung

Oberste Gremien der evangelischen Kirchen rechts des Rheins (nach der Verfassung von 1921). (Gestaltung: Stefan Schnupp)
Friedrich Veit, Kirchenpräsident von 1920 bis 1933. (Landeskirchliches Archiv der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Fotosammlung Personen [Veit, Friedrich] P 6)

Die Präambel legt fest, dass die Kirche auf der Heiligen Schrift basiert und sich an das evangelisch-lutherische Bekenntnis hält (Bekenntnisstand). In acht Abschnitten wird die "äußere Ordnung ihres Lebens" definiert:

  1. Die Landeskirche (Körperschaft des öffentlichen Rechts, Steuererhebungsrecht, Gliederung in Kirchengemeinden und Kirchenbezirke, oberste Organe: Landessynode, Landessynodalausschuss, Kirchenpräsident, Landeskirchenrat);
  2. Kirchengemeinde (I) und Pfarramt (II) (I: Körperschaft des öffentlichen Rechts, Selbstverwaltungsrecht, Zugehörigkeit nach Wohnortprinzip – mit Ausnahmen; II: Aufgaben der Amtsinhaber: Dienst an Wort und Sakrament, geistliche Gemeindeleitung; Ordination, Ausschreibung der Pfarrstellen)
  3. Dekanat (I) und Kirchenbezirk (II) (I: Leitung durch Dekan, dessen Aufgaben: Pflege und Prüfung des Kirchenwesens im Dekanatssprengel sowie Leitung und Beratung der Geistlichen im Sprengel; II: Gesamtheit der Kirchengemeinden im Dekanatsbezirk, Körperschaft des öffentlichen Rechts, Repräsentation durch Bezirkssynode beziehungsweise Bezirkssynodalausschuss);
  4. Die Landessynode (Vertretung der Kirchengemeinden, 90 geistliche und weltliche [männliche] Mitglieder, Tagungsmodalitäten, Modalitäten des Kirchengesetzgebungsrechts, zustimmungspflichtige Themen, Mitteilungs- und Berichtspflicht anderer gegenüber der Synode, Rechte des Kirchenpräsidenten gegenüber der Synode);
  5. Der Landessynodalausschuss (Vertretung der Landessynode zwischen den Tagungen, insgesamt neun geistliche und weltliche Mitglieder, Aufgabe: Förderung des Zusammenwirkens von Kirchenleitung und Landessynode, Einbringungsrecht von Gesetzentwürfen bei der Synode, Berichtspflicht gegenüber der Synode, Kirchensteuerausschuss);
  6. Kirchenpräsident (I), Landeskirchenrat (II), Kreisdekane (III) (I: Spitze der Landeskirche; Aufgaben: Vertretung der Landeskirche nach außen sowie Leitung des Landeskirchenrates; II: oberste Verwaltungsbehörde, Zusammensetzung: Kirchenpräsident, Stellvertreter und Oberkirchenräte einschließlich der Kreisdekane (11 Personen), Aufgaben: Vollzug von kirchlichen Gesetzen sowie Verwaltung der Landeskirche, Organisation (Abteilungen); III: Position: Oberkirchenräte [in den Kirchenkreisen Ansbach, Bayreuth und München] mit Sitz und Stimme im Landeskirchenrat, Aufgaben: Pflege und Prüfung des „inneren“ Kirchenwesens im jeweiligen Kreis);
  7. Verhältnis zu anderen evangelischen Landeskirchen (Bemühungen um engeren Zusammenschluss zur Lösung gemeinsamer Aufgaben unter Wahrung des Bekenntnisstandes);
  8. Übergangs- und Einführungsbestimmungen.

Im Verfassungsentwurf waren vor allem starke konsistoriale Elemente für die Kirchenleitung vorgesehen gewesen (Bedeutung des Landeskirchenrats). Tatsächlich wurde aber auf Wunsch zahlreicher Synodaler in die Verfassung ein starkes episkopales Element in Gestalt des Kirchenpräsidenten eingebaut. Dieser war einerseits Leiter des Landeskirchenrates, der obersten kirchlichen Verwaltungsbehörde, andererseits in Personalunion als "Oberhirte" Nachfolger des Summepiscopus, geistlicher Repräsentant und "Führer".

Andere deutsche Kirchenverfassungen: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Die bayerische Kirchenverfassung hat mit den anderen in den deutschen Ländern nach 1918 entstandenen evangelischen Kirchenverfassungen – bei allen (historisch bedingten) Unterschiedlichkeiten – doch etliche Strukturmerkmale gemeinsam:

  1. die Betonung des Kirchenvorstandes als Repräsentationsorgan der Gemeinde, in dem Ehrenamtliche mit Pfarrern zusammenarbeiten.
  2. die Einteilung des Gesamtsprengels in regionale Einheiten (in Bayern: Dekanate und Kreise).
  3. die Art der Leitungsorgane – generell ist das Bedürfnis nach einer persönlichen Führungsfigur in allen Ländern stark ausgeprägt. In einigen Ländern gibt es neben dem Bischof ein kollegiales Leitungsorgan. Dieses ist aber nur in Bayern identisch mit der obersten Verwaltungsbehörde (Landeskirchenrat). Das Spektrum der Leitungsmacht, die der Synode eingeräumt wird, reicht von „umfassend“ in reformierten deutschen Landeskirchen bis zur eingeschränkteren Bedeutung in Bayern. Hier wird die Synode als Vertretung der Kirchengemeinden zwar als oberstes Organ, aber quasi als Gegenüber der „eigentlichen“ Leitungsorgane Kirchenpräsident und Landeskirchenrat betrachtet.

Ausblick - Wichtige Gesetzesänderungen im Lauf des 20. Jahrhunderts

Übersicht der Kirchenkreise und Dekanatsbezirke der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Stand 1999, aktualisiert 2010. (Foto von Moros lizenziert durch CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons, Ergänzungen durch Sonja Schweiger)

In den Jahrzehnten nach 1920 wurden drei weitere Kirchenkreise errichtet: Nürnberg (1934), Regensburg (1951) und Augsburg (1971). 1930 wurde die Landeskirchenstelle in Ansbach eingerichtet, eine dem Landeskirchenrat unmittelbar untergeordnete mittlere Verwaltungsstelle.

Im Mai 1933 erließ die Landessynode in der Folge der Machtübernahme der NSDAP folgende, die Verfassung ändernde Gesetze:

  1. Wahrnehmung des Amtes des Kirchenpräsidenten durch einen Landesbischof.
  2. Ermächtigung des Landesbischofs zum Erlass von Gesetzen nach Anhörung des Landessynodalausschusses (1946 wieder aufgehoben).

Die Gründung der Deutschen Evangelischen Kirche 1933 hatte keine Auswirkungen auf die Verfassung der bayerischen Landeskirche. Die Landessynode lehnte 1934 eine Eingliederung in die Reichskirche einstimmig ab.

1947 trat die Evangelische Landeskirche (ELKB) der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) bei, 1948 der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Deren jeweiliges Gesetzgebungsrecht steht über dem landeskirchlichen.

1958 erhielten Frauen auch das passive Wahlrecht zur Landessynode. Die von der Verfassung von 1920 angeregte Kirchengemeindeordnung wurde 1964 erlassen.

Eine neue (vierte) Verfassung der ELKB vom 20. November 1971 trat am 1. Januar 1972 in Kraft. In ihr sind als vier gleichberechtigte Leitungsorgane definiert: Landessynode, Landessynodalausschuss, Landesbischof, Landeskirchenrat. Eine Neufassung der Verfassung stammt vom 6. Dezember 1999.

Dokumente

Literatur

  • Wilhelm von Ammon/Reinhard Rusam, Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 20. November 1971, München 2. Auflage 1985 (1-12: Die früheren Verfassungen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern).
  • Günther-Michael Knopp, Das Ende des landesherrlichen Kirchenregiments in Bayern und die Verfassung der evangelisch-lutherischen Landeskirchen in Bayern rechts des Rheins vom 10.9.1920, München 1976.
  • Volkmar Kruk, Kirchliche Verfassungsgebung in der Weimarer Zeit, Bonn 1998.
  • Arne Manzeschke, Persönlichkeit und Führung. Zur Entwicklung des evangelischen Bischofsamtes in Bayern zwischen Novemberrevolution und Machtergreifung, Nürnberg 2000.

Quellen

  • Amtsblatt für die protestantische Landeskirche in Bayern rechts des Rheins 1920, S. 413-426 (Druck der Verfassung).

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Andrea Schwarz, Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche im rechtsrheinischen Bayern, 1921, publiziert am 11.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Verfassung_der_Evangelisch-Lutherischen Kirche_im_rechtsrheinischen_Bayern,_1921> (1.12.2024)