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Prozess gegen Wilhelm Joseph Behr (1832-1835)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Michael Wilhelm Joseph Behr (1775-1851). Kupferstich. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv port-016823)

von Rainer Leng

Der liberale Würzburger Bürgermeister und Abgeordnete der Ständeversammlung Wilhelm Joseph Behr (1775-1851) wurde 1832 des Hochverrats und der Majestätsbeleidigung angeklagt und 1835 zu Festungshaft auf unbestimmte Zeit verurteilt. Grundlage für die Anklage waren Spitzelberichte über das Gaibacher Fest von 1832, bei dem mehrere liberale Vertreter aus Franken eine Modernisierung der Verfassung forderten und Behr selbst zwei Reden hielt, in welchen er die Zensur beklagte und zu Reformen aufrief. Vor dem Hintergrund der Julirevolution in Frankreich (1830), des polnischen Novemberaufstandes (1831) und des Hambacher Festes (1832) geriet die Veranstaltung in Gaibach in das Konfliktfeld von liberalem Freiheitsstreben und monarchischer Restauration und ließ einen zunehmenden Konflikt zwischen König Ludwig I. (1786-1868, reg. 1825-1848) und liberalen Kreisen offen zutage treten. Behrs Prozess war Teil einer sehr viel breiter angelegten politischen Verfolgung gegen liberale Kreise in Bayern, der mit harten Strafen zur Abschreckung dienen sollte. Bis zu Behrs Rehabilitierung im Revolutionsjahr 1848 hatte damit der zunehmend repressiv agierende Monarch eine der bedeutendsten Stimmen für einen modernen Verfassungsgedanken auf Grundlage der Volkssouveränität zum Schweigen gebracht.

Wilhelm Joseph Behr und Ludwig I.

Ludwig I. König von Bayern (1786-1868). Kolorierte Lithographie. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv port-016823)

Wilhelm Joseph Behr (1775-1851) studierte an der von katholischer Spätaufklärung geprägten Universität Würzburg Philosophie und Rechtswissenschaften, verinnerlichte spätestens bei einem Studienaufenthalt in Göttingen ein von Immanuel Kant (1724-1804) und Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) geprägtes rationales Staatsverständnis auf Basis von Volkssouveränität und Vertragsgedanken und wurde 1799 zum Professor für Staats- und Lehenrecht an der Universität Würzburg ernannt. Zahlreiche Veröffentlichungen brachten ihm den Ruf eines exzellenten Staatsrechtlers dezidiert liberaler Prägung ein. Die Bayerische Verfassung von 1818 hatte er in einer akademischen Festrede begeistert begrüßt und lediglich dezente Kritik an der starken ständischen Komponente geäußert.

Mit Kronprinz Ludwig (1786-1868, König 1825-1848), der seit 1816 die Residenz in Würzburg bezogen hatte, stand Behr in gutem, mitunter gar als freundschaftlich bezeichnetem Einvernehmen. Ludwig galt wie Behr als liberaler Verfassungsfreund und hatte früh auf eine bayerische Verfassung gedrungen, von der er auch eine bessere Kontrolle seines Vaters, Maximilian I. Joseph (1756-1825, reg. 1799-1825, König seit 1806) erhoffte. Bei seiner Nachfolge auf dem Thron 1825 wurde allgemein erwartet, dass Behr dem neuen König als Berater nach München folgen werde.

In den Jahren nach 1819 kühlte das Verhältnis zwischen Kronprinz und Behr spürbar ab, nachdem Behr als Abgeordneter der Universität Würzburg in der zweiten Kammer der bayerischen Ständeversammlung zum Wortführer der liberalen Opposition geworden war. Seit 1820 ließ die Regierung von Unterfranken Behrs Vorlesung überwachen. Seine Wahl zum Würzburger Bürgermeister 1821 nutzte das Ministerium, um ihn auf der Würzburger Professur in den Ruhestand zu versetzen. Damit wurde ihm die Grundlage für sein Landtagsmandat entzogen. In den kommenden Jahren wurde Behr mehrfach als Städtevertreter in den Landtag gewählt. Die Regierung verweigerte ihm jedoch stets unter z.T. fadenscheinigen Gründen den Zutritt zur Kammer. Behr wehrte sich dagegen in mehreren Eingaben und Druckschriften, was ihm in München den Ruf eines regierungsfeindlichen radikalen Liberalen einbrachte.

Spätestens die Pariser Julirevolution von 1830, der Polnische Aufstand 1831 und die revolutionären Unruhen in den Staaten des Deutschen Bundes führten bei Ludwig zu einer Distanzierung von den Idealen der Verfassung. Er empfand sie bereits zuvor als einschränkend und wollte sie lediglich in einem dezidiert konservativ-monarchischem Sinne verstanden wissen, der die Verfassung als einseitig den Untertanen gewährte Gnade auffasste. Auf der anderen Seite reagierte Behr als einer der Protagonisten der liberalen Opposition zunehmend besorgt, sah die Verfassung von innen angegriffen und drängte in mehreren Schriften auf Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte und Fortentwicklung im Sinne eines Vertragsgedankens zwischen Volk und Monarchie. Gemeinsam mit anderen, vornehmlich fränkischen Vertretern des Liberalismus arbeitete Behr konsequent auf eine Weiterentwicklung der Verfassung hin, die u.a. mit der von der liberalen Opposition durchgesetzten Rücknahme der Zensurverordnung 1831 auch erste Erfolge aufzuweisen hatte.

Spitzel und Denunzianten

Als großer Nachteil erwies sich für Behr, dass sich einer seiner schärfsten Kritiker in der unmittelbaren Umgebung Ludwigs etabliert hatte. Bereits 1818 hatte der konservative Würzburger Jurist Franz von Berks (1792-1873), ein ehemaliger Schüler Behrs, diesen mit einer denunziatorischen Postille von der Universität zu verdrängen versucht. Sein Scheitern in der öffentlichen Diskussion und auch vor Gericht dürfte die Aversionen gegen Behr verstärkt haben. Berks wurde schließlich Privatsekretär Königin Thereses (1792-1854), Erzieher Maximilians II. Joseph (1811-1864, König 1848-1864) und versorgte Ludwig regelmäßig an der Regierung vorbei persönlich mit Spitzelberichten zur liberalen Bewegung in Würzburg. Der "wohl einflußreichste[.] Denunziant[..] der neueren bayerischen Geschichte" (Götschmann 1994, 785) trug neben den in Würzburg aktiven Spitzeln der Regierung einen erheblichen Anteil, Behr bei Regierung und Monarch in ein denkbar schlechtes Licht setzten.

Das Gaibacher Fest von 1832

Festprogramm für das Gaibacher Fest 1832. (Staatsarchiv Würzburg, Schönborn, Korrespondenz Franz Erwein, Nr. 151)

Zwei Reden Behrs während des Gaibacher Festes am 27. Mai 1832 führten schließlich zum offenen Konflikt, der in den Prozess gegen Behr mündete. Wilhelm Joseph Behr beklagte die Zensur und weitere restriktive Maßnahmen und rief zur Fortentwicklung der Verfassung auf. Das Anliegen sollte durch eine von Behr vorbereitete Adresse an Ludwig, die von zahlreichen Festteilnehmern unterzeichnet und in den nächsten Tagen auch in den Zeitungen verbreitet wurde, mehr Gewicht gewinnen. Behrs im Nachgang auch gedruckte Reden waren sehr moderat. Seine Kritik begleitete er durchweg mit Aufrufen zur unbedingten Verfassungstreue; auch angemahnte Änderungen seien ausschließlich auf verfassungskonformen Weg anzustreben.

Das gesamte Fest verlief in friedlichen Bahnen. Anders als beim zeitgleichen Hambacher Fest gab es keine demonstrativen Angriffe auf die bestehende staatliche Ordnung, die bayerische Monarchie oder laute Rufe nach Revolution oder dem Nationalstaat. Einige Rufe nach 'Revolution' sollen in sehr viel lauteren Forderungen nach 'Reform' untergegangen sein. Dass die Teilnehmer Behr auf ihren Schultern mit den Worten 'dies ist unser neuer Frankenkönig' um die Säule getragen haben sollen, findet sich lediglich in Spitzelberichten und wurde von Behr stets energisch bestritten. Dennoch sah sich Ludwig selbst durch diese moderate Verfassungskritik derart herausgefordert, dass strenge Maßnahmen gegen den Festausschuss, die Redner und alle liberalen Blätter einsetzten, die vom Fest berichteten. Behrs Reden hatten jedenfalls zum endgültigen Bruch mit Ludwig geführt. Die noch viel weitergehenden Forderungen, die auf dem Hambacher Fest laut wurden und die einen eindeutigen Angriff auf die Souveränität des bayerischen Monarchen darstellten, dürften das Vorgehen gegen die vergleichsweise moderat auftretenden fränkischen Liberalen deutlich verschärft haben.

Erste Maßnahmen

Der Bruch wurde öffentlich, als Ludwig im August 1832 bei seiner Rückkehr aus Bad Brückenau (Lkr. Bad Kissingen) einen Besuch in Würzburg verweigerte, weil die Stadt ihren Bürgermeister in die Delegation zum Empfang des Königs gewählt hatte. Die nach den verschärften Zensurmaßnahmen des Deutschen Bundes auch in Würzburg seit Juni 1832 stattfindenden Unruhen nahm Ludwig in einem Reskript vom 29. Juli 1832 zum Anlass, Bürgermeister Behr mangelndes Engagement bei der Aufrechterhaltung der polizeilichen Ordnung vorzuwerfen und ihm das Vertrauen der Regierung zu entziehen.

Parallel erfolgten personelle Eingriffe, um die Voraussetzungen für ein Durchgreifen gegen Würzburger Liberale vorzubereiten. Der Regierungspräsident Joseph Maximilian Freiherr Zurhein (1780-1832), der nach dem Gaibacher Fest noch berichtet hatte, dass Behrs Reden keine gerichtsverwertbaren Anklagepunkte enthielten, wurde durch Graf August von Rechberg (1783-1846) ersetzt. Als neuer Würzburger Stadtkommissär wurde Anton Wiesend (1790-1861) eingesetzt, der zahlreiche Prozesse gegen weitere Würzburger Liberale anstrengte. Der Universität verweigerte der König die Bestellung neuer Professuren, versetzt andere und drohte ihr gar die Schließung an. Das Würzburger Appellationsgericht wurde nach Aschaffenburg verlegt.


Behrs Absetzung als Bürgermeister

Protestschreiben Behrs an den Magistrat der Stadt Würzburg auf Grund des Queszierungsverfahrens vom 18. Oktober 1832. (Stadtarchiv Würzburg, Magistratsakte Nr. 105 b, fol. 4)

Der zunehmende Druck auf die Stadt Würzburg führte zu einem Abrücken konservativerer Kreise im Magistrat von ihrem Bürgermeister. Man fürchtete, durch ein Festhalten an Behr die dauerhafte Ungnade des Monarchen auf sich zu ziehen und sah insbesondere den Fortbestand der Universität in Gefahr. Am 19. September 1832 sprach sich eine Mehrheit von Stadtrat und Gemeindebevollmächtigten für eine Quieszierung (Pensionierung) Behrs aus.

Obwohl Behr selbst dagegen protestierte und auch der Magistrat wegen formaler Fehler, vor allem der verfehlten Zweidrittelmehrheit, die Rechtskraft des Beschlusses anzweifelte, genehmigte Ludwig die Ruhestandsversetzung am 11. Oktober. Ende Oktober wurde Behr, der weiterhin mit Verweis auf das nicht rechtsförmige Verfahren die Amtsgeschäfte führte, auf Druck der Regierung gezwungen, seinen Schreibtisch zu räumen.

Erste juristische Schritte

Schon kurz nach dem Gaibacher Fest hatte der Wiesentheider Richter Joseph Habersack (1792-1854) Anzeige beim zuständigen Landgericht Volkach erstattet. Das Verfahren brachte nichts Belastendes, wurde jedoch vom Kreis- und Stadtgericht Würzburg übernommen. Dort hatte inzwischen Stadtkommisär Wiesend Behr permanent überwachen lassen, Nachforschungen über Behrs Verhalten in Gaibach (Lkr. Kitzingen) anstellen lassen und Material gesammelt, über das er auch der Regierung berichtete. Neben Behr eröffnete er Prozesse gegen 60 weitere bekannte Würzburger Liberale.

Die Anklageschrift ging am 31. Dezember 1832 beim Würzburger Kreis- und Stadtgericht ein. Sie konnte keine konkreten Vergehen nachweisen, montierte jedoch geschickt Passagen aus Druckschriften Behrs, die Gaibacher Reden, angebliche majestätsbeleidigende Äußerungen in Magistratssitzungen, seine Verflechtungen mit liberalen bürgerlichen Kreisen und Bünden zu einem Gesamtbild, das Behr als Haupt einer liberalen Verschwörung erscheinen ließ, die auf einen revolutionären Umsturz zielte. Die Anklage lautete auf 'hoch- und staatsverräterische Umtriebe und Majestätsbeleidigung'. Nach § 300 des Bayerischen Strafgesetzbuches von 1813 stand damit sogar die Todesstrafe im Raum.

Das Kreis- und Stadtgericht verfügte am 24. Januar 1833 die Verhaftung Behrs, der zunächst auf der Festung Marienberg untergebracht wurde. Am selben Tag erfolgte eine Hausdurchsuchung bei Behr und anderen Würzburger Angeklagten, die jedoch außer bereits bekannten Druckschriften keine neuen Verdachtsmomente, vor allem keine belastende Korrespondenz ans Licht brachte.

Der Prozess in München und das Landshuter Urteil

Fotografie der Angerfronfeste (Unterer Anger), ca. 1905. (Stadtarchiv München, DE-1992-FS-NL-PETT1-3774 lizenziert durch CC BY-ND 4.0 Deed)

Im März 1833 entschied gegen die Proteste Behrs das Münchener Oberappellationsgericht, den Prozess dem Münchener Kreis- und Stadtgericht zu übertragen, wo Prozesse gegen mehrere Liberale parallel stattfanden. Als Obergericht wurde das Appellationsgericht für den Isarkreis in Landshut bestimmt, das für seine scharfen Urteile im Sinne einer restaurativen Monarchie bekannt war. Nach zweijähriger Untersuchung, während der Behr in der Münchner Fronfeste inhaftiert war, überstellte das Gericht am 30. Juli 1835 die Akten dem Appellationsgericht Landshut Am 18. September verkündete das Gericht, dass Behr wegen Hochverrats und Majestätsbeleidigung zu Festungsstrafe ersten Grades auf unbestimmte Zeit verurteilt werde, öffentlich Abbitte vor einem Bild des Königs zu leisten habe und sämtliche Ämter und Würden verliere. Ende März 1836 bestätigte das Münchener Oberappellationsgericht das Urteil. Lediglich die Festungsstrafe ersten Grades wurde abgemildert.

Das Urteil

Das Gericht begründete sein Urteil ausführlich. In mehreren Anklagepunkten erfolgte eine Einstellung der Untersuchung; vom Vorwurf der Majestätsbeleidung während des Gaibacher Festes wurde Behr explizit freigesprochen. Einen fortgesetzten Versuch, zum Hochverrat anzuleiten, leitete das Gericht jedoch aus mehreren Publikationen Behrs sowie einzelnen Passagen der Gaibacher Reden ab. Die Majestätsbeleidigung wurde vorwiegend aus nicht öffentlichen Äußerungen abgeleitet. Hinzu kam noch der Vorwurf der Beleidigung der Amtsehre der Regierung des Untermainkreises.

Das Urteil gegen Behr versuchte eindeutig, mit einem möglichst harten Strafmaß Abschreckung zu erzeugen. Schon dass anstatt begrenzter Zuchthausstrafe die wesentlich schärfere Festungshaft (§ 19: "auf einer Festung, ausgeschlossen von allem menschlichen Umgange, eng verwahrt, und zur Arbeit angehalten") auf unbestimmte Zeit angestrebt wurde, zeigt die höchstmögliche Ausschöpfung des Strafgesetzbuches. So war eine Begnadigung frühestens nach 16 Jahren bei einer wenigstens 10jährigen ununterbrochenen guten Führung möglich. Das erste Landshuter Urteil hatte sogar den ersten Grad verhängt – dies hätte Kettenstrafe einschließlich bürgerlicher Toterklärung bedeutet. Mit dem Urteil bürdete das Gericht Behr auch Prozess- und Haftkosten mit Verweis auf Behrs Vermögen auf. Da Behr mit dem Urteil seine Pensionsansprüche verlor, bedeutete es für ihn auch den finanziellen Ruin.

Vollzug und Haft

Nach dem Urteil verblieb Behr in der Münchner Fronfeste, bis er am 22. Juni 1836 im Plenarsaal des Kreis- und Stadtgerichts München die öffentliche Abbitte vor einem Bild des Königs leistete. Unmittelbar danach erfolgte der Abtransport in die Fronfeste Passau. Die ohnehin von der Zensur gesteuerten und auf Veranlassung Ludwigs noch weiter beeinflussten Presseberichte sprechen von Vergünstigungen und leichten Haftbedingungen.

Tatsächlich wurde Behr zunächst in einer kleinen, finsteren Zelle untergebracht und erhielt erst nach Beschwerden einen Raum mit einem kleinen Fenster. Er blieb dort über Jahre isoliert. Lediglich ein einstündiger Hofgang unter Bewachung war möglich, konnte aber auch jederzeit verweigert werden. Ein Austausch mit anderen Gefangenen, etwa dem ebenfalls in Passau einsitzenden Dr. Gottfried Eisenmann (1795-1867), war ebenfalls untersagt. Briefe wurden kontrolliert; anstößige Passagen musste Behr auf Verlangen des Festungskommandanten umschreiben. Behr besaß Zugang zu Büchern, nicht jedoch zu Zeitungen. In begrenztem Umfang war schriftstellerische Tätigkeit möglich. Veröffentlichungen wurden jedoch stets verhindert.

Eingaben Behrs, seiner Frau und seiner liberalen Freunde um Erleichterungen wurden regelmäßig abgelehnt, selbst eine Verlegung nach Würzburg nach einer tödlichen Erkrankung seines einzigen Sohnes. Ludwig wurde über das Verhalten Behrs stets auf dem Laufenden gehalten. In seinen Tagebüchern bedauerte er 1834 das Schicksal Behrs und seiner Mitstreiter. 1835, noch vor dem Passauer Haftbeginn, hatte er erwogen, einen Fluchtversuch Behrs zu inszenieren, der in eine dauerhafte Abschiebung nach Amerika münden sollte (Wagner 1985, 109f). Nach außen hin verfolgte der König jedoch eine harte Linie und lehnte sämtliche Begnadigungsersuchen ab.

Erst ab August 1838 erhielt Behr die Erlaubnis, sich tagsüber unter Bewachung in der Stadt Passau aufzuhalten. 1839 konnte er sich in Passau eine polizeilich überwachte Wohnung nehmen und 1842 zu seiner Schwester nach Regensburg, 1846 zu seiner Tochter nach Bamberg übersiedeln.


Rehabilitation und weiteres Engagement

Vor allem die ersten Jahre der Haft in München und Passau hatten Behr gesundheitlich schwer geschadet. Erst 1846 erhielt Behr das Verfügungsrecht über sein Vermögen zurück, nachdem ihm der Würzburger Stadtrat bereits 1843 ein kleines jährliches Legat ausgesetzt hatte. Am 6. Juni 1847 – Behr stand nun im 72. Lebensjahr - erließ ihm Ludwig die Reststrafe. Die Rehabilitierung erfolgte jedoch erst wenige Tage nach der Abdankung Ludwigs im März 1848. Unmittelbar danach erhielt Behr seine Ehrenrechte als Würzburger Bürgermeister zurück sowie eine Pension von 1.800 Gulden. Weiterhin folgte auf Antrag des bayerischen Parlaments eine Entschädigung und ein von König Max II. gewährtes Gnadengehalt – späte Eingeständnisse des politisch motivierten Prozesses. Behr wurde noch zum Abgeordneten der Stadt Kronach in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt, die ihm auch die Funktion des Alterspräsidenten antrug. Behrs Gesundheit erlaubte jedoch kein intensiveres Engagement mehr. Bereits im November 1848 gab er sein Mandat auf. Am 1. August 1851 starb er in Bamberg.

Nachleben

Behr wurde bereits 1819 Ehrenbürger von Würzburg und Volkach (Lkr. Kitzingen). Eine ehrende Memoria setzte schon zu Lebzeiten im Umfeld der Rehabilitierung mit der (Wieder-)Zuerkennung von Ehrenrechten und -pensionen ein. Dass seine Büste in die von König Ludwig zur "Anerkennung bayerischen Verdienstes und Ruhmes" geschaffene Münchener Ruhmeshalle aufgenommen wurde, darf auch als Zeichen postmortaler Wiedergutmachung angesehen werden.

Behr gilt heute als bedeutender Vorkämpfer von Volkssouveränität und Vertragsgedanken im Verfassungsrecht. In Sulzheim (Lkr. Schweinfurt) und Würzburg sind Straßen nach ihm benannt. Einen Behr-Preis vergibt die Stadt Volkach für die beste Leistung im Fach Geschichte im Landschulheim Schloss Gaibach. Seit 1983 ehrt die Stadt Würzburg mit einer Behr-Medaille Einzelpersonen oder Gruppen, die sich in außergewöhnlicher Weise in bürgerschaftlicher Mitarbeit hervorgetan oder für die Demokratie in Würzburg eingesetzt haben.

Beurteilung

Der Prozess ist weniger als persönliche Auseinandersetzung zwischen König und liberalem Bürgermeister zu deuten, als vielmehr das Aufeinandertreffen von Behrs konsequent verfolgten staatsrechtlichen Idealen von Vertragsgedanken und Volkssouveränität mit einem monarchischen Staat, der jede liberale Weiterentwicklung der Verfassung abzuwehren versuchte.

Behr war hier ein prominentes Ziel in einem sehr viel breiter angelegten Spektrum politischer Verfolgung, das sich gegen das liberale Zentrum Würzburg, gegen die Teilnehmer des Hambacher Fests in der Pfalz sowie gegen liberale Kreise, bürgerliche Vereinigungen und liberale Publikationen in allen bayerischen Landesteilen richtete. Neben Behr und Eisenmann richteten sich die politischen Verfolgungen auch gegen die Organisatoren des Hambacher Festes, insbesondere Philipp Jakob Siebenpfeiffer (1789-1845), Friedrich Schüler (1791-1873) oder Johann Georg August Wirth (1798-1848).

Mittelfristig hatte der Prozess gegen Behr zur Folge, dass eine der bis 1832 meistgehörten Stimmen der liberalen Opposition verstummte. Die politischen Verfolgungen führten zu einer deutlichen Verzögerung und Abschwächung der öffentlichen Diskussion über eine Fortentwicklung der Verfassung. Ludwigs Abdankung 1848 erfolgte dann auch eher aus einer persönlichen Vertrauenskrise denn aus Modernisierungsimpulsen. Die Kontinuität monarchisch-ständischer Verfassungselemente blieb auch über die gescheiterte Revolution von 1848 und die Reichsgründung von 1871 hinaus gewahrt. Die von Behr verfolgten staatsrechtlichen Grundsätze wurden erst mit der Verfassung von 1919 umgesetzt.

Überlieferung

Die Presse nahm sowohl am Gaibacher Fest als auch an den nachfolgenden Maßnahmen gegen Behr lebhaften Anteil. Die Berichte entstanden jedoch unter Bedingungen der Zensur und sind entsprechend kritisch zu lesen. Bei Prozess und Urteilsverkündung waren offenbar keine Pressevertreter zugegen. Die meisten Blätter berichten lediglich, dass dem Vernehmen nach ein Urteil erfolgt sei, ohne auf das Ergebnis einzugehen. Intensiver ist die Berichterstattung über die Abbitte Behrs vor dem Bild des Königs. Gleichlautende Berichte lassen ebenfalls auf Zensur schließen. Nach der Verbringung Behrs aus der Münchner Untersuchungshaft in die Festungshaft nach Passau berichtete die Würzburger Zeitung über die angeblich mäßig strengen Haftbedingungen. Auf persönliche Initiative Ludwigs musste der Artikel in zensierter Form noch einmal erscheinen, wobei die Haftbedingungen auf Gnadenerweise der Regierung zurückzuführen waren. Die meisten Blätter druckten die zensierte Form nach. 1837 musste ein Gerücht über den angeblichen Tod Behrs berichtigt werden. 1839 berichteten noch viele Blätter gleichlautend über die Gewährung von Freigang in Passau. Danach erlischt das Interesse der Presse und beschränkt sich bis zur Rehabilitierung und Wahls Behrs in die Nationalversammlung auf kleinere sporadische Meldungen seiner Umzüge nach Regensburg und Bamberg.

Ungedruckte Quellenbestände überliefern meist im Zusammenhang mit Personal- oder Prozessakten der Beteiligten partielle Einblicke. Hinzuweisen ist auf die Akten im Staatsarchiv Würzburg: Regierung von Unterfranken, Präsidialakten 10 (Hofrath und Bürgermeister Behr, Berichtsanforderungen des Innenministeriums über Veröffentlichungen und Haltung Behrs, Verzeichnis der politischer Umtriebe verdächtiger Universitätsangehöriger, Prozessakten etc.); Regierung von Unterfranken, Präsidium 101 (alt: Präsidialakten 400, Presse und Zensur); Stadtarchiv Würzburg, Magistratsakten Nr. 105a (Untersuchung gegen Behr); Magistratsakten 105b (Qieszierung Behr); Biomappe Wilhelm Joseph Behr. Auszüge aus weiteren Quellen des Hauptstaatsarchivs München, des Staatarchivs Bamberg, der Stadtarchive Bamberg und Frankfurt, der Staatsbibliothek Bamberg und der Universitätsarchivs Würzburg sind bei Wagner (1985) gedruckt. Einblicke in die Anteilnahme Ludwigs am Vorgehen gegen Behr erlauben seine im Geheimen Hausarchiv gesammelte Korrespondenz sowie die im zugeleiteten Spitzelberichte. Beide Quellengruppen sind bei Ziegler (1985) und Götschmann (1994) ausgewertet.

Literatur

  • Max Domarus, Bürgermeister Behr. Ein Kämpfer für den Rechtsstaat, Würzburg 1971.
  • Johannes Erichsen/Michael Henker (Hg.), "Vorwärts, vorwärts sollst du schauen ...". Geschichte, Politik und Kunst unter Ludwig I. (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur, Nr. 8), München 1986, 155 f.
  • Dirk Götschmann, Die Repräsentanten der Universität Würzburg in der bayerischen Ständeversammlung 1819 bis 1848, in: Konrad Ackermann/Alois Schmid (Hg.): Staat und Verwaltung in Bayern. Festschrift für Wilhelm Volkert zum 75. Geburtstag, München 2003, 477-504.
  • Leo Günther, Würzburger Chronik. Personen und Ereignisse von 1802 – 1848, B. 3, Würzburg 1925, 628-642.
  • Paul Hoser, Kritiker und Opfer: Wilhelm Joseph Behr, in: Wilhelm Liebhart (Hg.), König Ludwig I. von Bayern und seine Zeitgenossen. Biographische Essays, Frankfurt am Main u.a. 2003, 135–150.
  • Eva Pfeiffer, Wilhelm Joseph Behr. Studie zum bayerischen Liberalismus der Metternichzeit, Emsdetten 1936.
  • Georg Polster, Politische Studentenbewegung und bürgerliche Gesellschaft. Die Würzburger Burschenschaft im Kräftefeld von Staat, Universität und Stadt 1814-1850 (Darstellungen und Quellen zur Geschichte der Deutschen Einheitsbewegung im 19. und 20. Jahrhundert 13), Heidelberg 1989, 199-207.
  • Georg Seiderer, Gaibach: Vom Verfassungs- zum Freiheitsfest, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 81 (2018), 105-120.
  • Manfred Treml, Gegen die Restauration. Wilhelm Joseph Behr (1775-1851), in: Evamaria Brockhoff (Hg.): Rebellen, Visionäre, Demokraten. Über Widerständigkeit in Bayern (Edition Bayern, Sonderheft 6), Regensburg 2013, 61-63.
  • Ulrich Wagner, Bürgermeister Wilhelm Joseph Behr – Vorkämpfer der Demokratie, in: Ulrich Wagner (Hg.): Geschichte der Stadt Würzburg, Bd. 3: Vom Übergang an Bayern bis zum 21. Jahrhundert, Stuttgart 2007, 58-60.
  • Ulrich Wagner, Wilhelm Joseph Behr. Eine biographische Skizze, in: Wilhelm Joseph Behr- Dokumentation zu Leben und Werk eines Würzburger Demokraten (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg 1), Würzburg 1985, 17-62.
  • Ulrich Wirz, Der deutsche Liberalismus und seine fränkischen Vorkämpfer Franz Ludwig von Hornthal, Wilhelm Joseph Behr und Johann Georg August Wirth, in: Günther Dippold (Hg.): Die Revolution von 1848/49 in Franken, 2. Aufl. Bayreuth 1999, 11-54.
  • Walter Ziegler, Ludwig I. und Behr, in: Wilhelm Joseph Behr- Dokumentation zu Leben und Werk eines Würzburger Demokraten (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg 1), Würzburg 1985, 63-112.
  • Ludwig Zimmermann, Die Einheits- und Freiheitsbewegung und die Revolution von 1848 in Franken (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte IX,9), Würzburg 1951, bes. 138-147.

Quellen

  • Wilhelm Joseph Behr - Dokumentation zu Leben und Werk eines Würzburger Demokraten. Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg 1), Würzburg 1985, Quellen Nr. 1-13, 131-199, bes. Nr. 9, 186-195, Urteil des Appellationsgerichts Landshut vom 18. September 1835 mit Bezug auf die Reden am Gaibacher Fest und Nr. 1, 132-178, Rechenschaftsbericht Behrs aus Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Misc. 76/1, Passau 1840 und Bamberg 1848, mit Behrs Darstellung des Gaibacher Festes,155-159.
  • Wilhelm Joseph Behr, Die vom Hofrath Dr. W. J. Behr am 27. Mai in Gaibach gesprochenen Worte. Mit einer kurzen Vor- und Schluß-Bemerkung, Würzburg 1832.

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Empfohlene Zitierweise

Rainer Leng, Prozess gegen Wilhelm Joseph Behr (1832-1835), publiziert am 07.11.2023; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Prozess_gegen_Wilhelm_Joseph_Behr_(1832-1835)> (27.04.2024)