Hesselberg
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Der Hesselberg bei Wassertrüdingen (Lkr. Ansbach), ca. 60 km von Nürnberg entfernt, ist ein herausragender Erinnerungsort Mittelfrankens und mit 689 m dessen höchste Erhebung. Seine reiche Kulturgeschichte wurzelt in der Steinzeit und erreichte in der Zeit des Nationalsozialismus einen unrühmlichen Höhepunkt. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist der Berg vor allem mit dem "Bayerischen Kirchentag" der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern verknüpft.
Vorgeschichte, Antike und Mittelalter
Der Hesselberg ist als Zeugenberg der Fränkischen Alb geologisch eng verwandt mit dem Staffelberg (Lkr. Lichtenfels) oder dem Walberla (Lkr. Forchheim). Er gibt bis heute einen Eindruck davon, dass die Jurahöhen einstmals viel weiter nach Nordwesten reichten. Der Anstieg zur Fränkischen Alb liegt 13 Kilometer weiter im Osten, weshalb man den Berg in früheren Jahrhunderten immer wieder für einen Vulkan hielt. Wegen der sehr gut studierbaren Gesteinsabfolge aus den verschiedenen Erdzeitaltern ist der Hesselberg unter die "100 schönsten Geotope Bayerns" klassifiziert.
Der sechs Kilometer lange Berg hat drei charakteristische Kuppen, den Gerolfinger, Ehinger und Röckinger Berg sowie eine langgezogene Hochfläche, die Osterwiese. Sein Name wird erstmals in einer oettingischen Grenzbeschreibung von 1315 als "oselberg" genannt, was auf das ahd. "ôdi" schließen lässt und etwa die Bedeutung von "öde, unbewohnt“ hat. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts wird der Name in der heute gebräuchlichen Form verwendet.
Auf den fruchtbaren Böden des Hesselberggebietes haben sich Spuren vorgeschichtlicher, römischer und mittelalterlicher Besiedlung gefunden, die den Berg zu einer wichtigen archäologischen Fundstätte Süddeutschlands machen. Auf der Osterwiese, dem langgezogenen Plateau auf der Ostseite, wurden Reste steinzeitlicher Jagdgeräte entdeckt, die sich auf die Zeit nach der letzten Eiszeit um etwa 10.000 v. Chr. datieren lassen. Zum Ende der Bronzezeit (ca. 2000 – 1300 v. Chr.) entstand auf dem Höhepunkt einer etwa tausendjährigen Besiedlung von zentralörtlicher Bedeutung für das Umland das noch heute vor allem am Rande der Osterwiese erkennbare Wallsystem mit einer Länge von über 1.800 m.
In römischer Zeit verlief nördlich und westlich des Berges der rätische Limes, der in der Gegend des Hesselberges durch Kastelle in der Nähe der heutigen Dörfer Ruffenhofen, Dambach und Unterschwaningen (alle Lkr. Ansbach) gesichert wurde. Auf einen früher von der Forschung auf dem Hesselberg vermuteten römischen Signalturm zur Sicherung des Limesverlaufes gibt es keine gesicherten Hinweise.
Aus mittelalterlicher Zeit stammen die rechteckige Wallanlage auf dem Ehinger Berg (8./9. Jh.), die Ursprünge einer kleinen Burg auf dem "Schlößleinsbuck" bei Lentersheim (Lkr. Ansbach) und der Querwall am Zugang zur Osterwiese, der vermutlich aus der Zeit der Ungarneinfälle (um 950) stammt. Eine größere Burganlage konnte sich auf dem Hesselberg nicht etablieren, was ebenso bemerkenswert ist wie die Tatsache, dass der Berg bei der mittelalterlichen Ausprägung der Gemarkungsgrenzen eher gemeinschaftsbildend denn trennend wirkte: Die Dorfgrenzen trafen sich - und treffen sich bis heute - auf der Kammhöhe, ein Umstand, der bei der neuzeitlichen Bedeutungsentwicklung des Berges sicher eine Rolle spielte.
Die Gegend um den Hesselberg erscheint zunächst in Besitz der Grafen von Truhendingen, die spätestens 1242 von den Grafen von Oettingen abgelöst wurden. Nach zwischenzeitlicher Zugehörigkeit zum Hochstift Eichstätt und zur Herrschaft Hohenlohe gelangte die Herrschaft Wassertrüdingen mit dem Hesselberg 1371 an die hohenzoller'sche Burggrafschaft Nürnberg, aus der das Fürstentum Brandenburg-Ansbach hervorging. Dort blieb das Gebiet bis zum Übergang an das Königreich Preußen 1791.
16. und 17. Jahrhundert
Eine (Neben-)Rolle von hoher Symbolkraft spielte der Berg im Bauernkrieg von 1525. Bauern aus dem Umland hatten sich mehrmals auf dem Berg getroffen, um dort über ein gemeinsames Vorgehen gegen die grund- und landesherrliche Obrigkeit zu beraten. Anführer war der Müller Thomas Schmalz, ein Freibauer aus Röckingen (Lkr. Ansbach). Die Hesselberger Bauern schlossen sich dem bei Deiningen (Lkr. Donau-Ries) lagernden Rieshaufen an und wurden am 7. Mai 1525 nahe Ostheim am Hahnenkamm (Lkr. Rhön-Grabfeld) von Truppen des Markgrafen Kasimir von Ansbach (reg. 1515-1527) vernichtend geschlagen.
Auf dem Höhepunkt des Dreißigjährigen Krieges in Franken soll einer sagenhaften Überlieferung zufolge der schwedische König Gustav II. Adolf (reg. 1611-1632) den Hesselberg besucht haben. Der erste schriftliche Hinweis auf das Ereignis datiert, unter Hinweis auf eine Volksüberlieferung, allerdings erst aus dem Jahr 1789. Gesichert ist lediglich, dass der König im Jahr 1632 viermal in die Nähe des Berges kam, insbesondere sich vom 20. bis zum 24. September in Dinkelsbühl (Lkr. Ansbach) aufhielt. Die Dinkelsbühler Ratsakten, die diesen Zeitraum betreffen, sind verloren gegangen.
18. und 19. Jahrhundert
1791 ging der Hesselberg mit den umliegenden Ortschaften in den Besitz Preußens über. Im Rahmen einer Visite in den neu erworbenen Territorien kam König Friedrich Wilhelm III. (reg. 1797-1840) am 10. Juni 1803 in Begleitung seiner Frau Luise (1776-1810) auf den Berg.
Der Königsbesuch wurde zum Ausgangs- und Bezugspunkt aller Hesselberg-Aktivitäten des 19. und 20. Jahrhunderts. Auch die bis heute bestehende Hesselbergmesse (auch Bergmesse) geht auf den Königsbesuch von 1803 zurück. 1856 entstand in Erinnerung an den Besuch des preußischen Königs und an die legendenhafte Visite Gustav Adolfs das Hesselbergdenkmal auf dem Ehinger Berggipfel. Die vier beteiligten Anliegermeinden Ehingen, Gerolfingen, Lentersheim und Röckingen waren damit einem Aufruf König Maximilians II. (reg. 1848-1864) gefolgt, an geschichtlich bedeutsamen Orten Bayerns Gedenktafeln zu errichten.
Für die Genese des Berges als beliebtes Ausflugsziel, die bereits zum Ende des 18. Jahrhunderts eingesetzt hatte, muss jedoch vor allem ein verkehrstechnischer Grund genannt werden: 1849 wurde der Streckenabschnitt der Ludwig-Nord-Süd-Eisenbahn zwischen Augsburg und Nürnberg vollendet, der ursprünglich über Gunzenhausen-Wassertrüdingen-Oettingen und damit unmittelbar am Hesselberg vorbei führte.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts rückte der populär gewordene Hesselberg auch als Schauplatz gesellschaftlich-politischer Manifestationen in den Blickwinkel der Öffentlichkeit. Den Anfang machten nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 die örtlichen Krieger- und Soldatenvereine, die regelmäßig den sog. Sedantag auf dem Hesselberg feierten; am 2. September 1913 war der Berg anlässlich des 100. Jahrestages der Völkerschlacht bei Leipzig Schauplatz einer vaterländischen Jahrhundertfeier mit Feldgottesdienst und Huldigungsakt am Hesselbergdenkmal.
Weimarer Republik
Die Tradition der sog. Sedantage brach mit dem Ersten Weltkrieg ab. An ihre Stelle trat nun eine Reihe verschiedener gesellschaftlicher, kultureller und zunehmend auch politischer Veranstaltungen wie Sängertage oder Turnerfeste, die den hohen Identifikationswert des Berges unter Beweis stellen. Viel zur steigenden Popularität des Berges trug der in jenen Jahren florierende und 1925 neu errichtete Gasthof "Holzöderhaus" auf dem Berggipfel bei. Gegen Ende der 1920er Jahre erlangte der Berg außerdem Bekanntheit als Startplatz für Segelflugzeuge. Die ideellen Zielrichtungen der hier abgehaltenen Massenversammlungen (Vaterländischer Tag 1923, Großkundgebung des Landbundes der klein- und mittelständischen Bauern 1927 und Schwedentag 1932) geben einen guten Eindruck von der gesellschaftlich-mentalen Grunddisposition der westmittelfränkischen Bevölkerung. Die dabei stattfindende nationalistische Mobilisierung, die über Parteigrenzen hinausging und im protestantischen Franken jener Jahre zum politischen Alltag gehörte, trug Züge der Ideologie der Volksgemeinschaft, die man in Deutschland im Ersten Weltkrieg kennen gelernt hatte und die sich nun als politisches Schlagwort von hoher Suggestivkraft einprägte. Während die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) in weiten Teilen des Deutschen Reiches noch unbekannt war, entfaltete sie in diesem Teil Frankens unter dem Einfluß des späteren Gauleiters von Franken Julius Streicher (1885-1946) bereits eine rege Aktivität, hatte sich aber noch nicht als führende und einigende Kraft der politischen Rechten durchgesetzt.
Die "Frankentage" der NSDAP
Seit Ende der 1920er Jahre bemühte sich vor allem die NSDAP, die identifikationsstiftende Wirkung von Zusammenkünften auf dem Hesselberg für die eigenen Ziele zu nutzen. Aus den "Hesselbergtagen" der NSDAP entwickelte sich nach 1933 mit den "Frankentagen" die größte politische Kundgebung des Nationalsozialismus in Franken nach den Nürnberger Reichsparteitagen.
Begonnen hatte die Transformation des Ausflugsberges zu einem NS-Kultplatz im Jahr 1928. Gauleiter Streicher sprach zum Ende der Hesselbergmesse auf einem Lastwagen vor einigen hundert Anhängern. 1930 trat zum ersten und einzigen Mal Adolf Hitler (1889-1945) auf dem Hesselberg auf.
Nach 1933 wurde daraus der "Frankentag", eine im ganzen Gau Franken propagierte Versammlung der neuen "Volksgemeinschaft", zu der Jahr für Jahr am Wochenende nach der Sommersonnwende bis zu 100.000 Menschen auf den Berg zogen – statistisch gesehen war das jeder zehnte Mittelfranke. Für Streicher wurden die "Frankentage" die Höhepunkte seines Lebens. Hier oben stand nicht, wie beim Nürnberger Reichsparteitag, Hitler im Mittelpunkt, sondern er selbst als "Frankenführer", der seine antisemitischen Haßparolen verkündete. Streicher blieb bis zum letzten "Frankentag" 1939 Hauptredner; weitere prominente Gäste waren Hermann Göring (1893-1946) oder Robert Ley (1890-1945), Leiter der "Deutschen Arbeitsfront". Die zweitägige Veranstaltung lief immer nach dem gleichem Schema ab: Samstagabend Sonnwendfeier, Sonntagmorgen Tanz- und Sportprogramm, Sonntagnachmittags Massenkundgebung mit politischer Rede auf der Osterwiese.
Je deutlicher im Laufe der Jahre der überpolitisch-religiöse Anspruch des Nationalsozialismus zu Tage trat, umso mehr gerieten auf dem Hesselberg neben den Juden die Kirchen in das Fadenkreuz von Streichers Agitation. Der Berg wurde als direkter Konkurrenzort für die Kirchen etabliert. Streicher betrieb mit höchster Energie den Rummel um "seinen" Berg: Die Bergstraße wurde als "Hermann-Göring-Straße" ausgebaut. Ein drei Meter hoher "Hoheitsadler" grüßte am Ortsausgang von Gerolfingen, ein 20 mal 20 m großes Hakenkreuz aus Kalksteinen in der Nähe des Röckinger Steinbruchs. Das Hesselbergdenkmal von 1856 wurde 1936 von einem Schlägertrupp der Wassertrüdinger SA zerstört, weil es der vollständigen ideologischen Einvernahme des Berges durch den NS-Staat im Wege stand: Es habe "in jedem Besucher die Erinnerung an Deutschlands traurigste Zeit und seine tiefste Zerrissenheit wachrufen müssen", berichtete das Bezirksamt Dinkelsbühl über die Zerstörung. Der Bahnhof Wassertrüdingen wurde massentauglich gemacht. Zum "Frankentag" eröffnete die Reichspost ein Sonderpostamt auf dem Berg und gab Sonderstempel aus.
Komponisten wie Horst Karl Ferdinand Platen (1884-1964), seit 1938 Intendant am Fürther Stadttheater, oder der Nürnberger Lehrer Erhard Feist (1891-1971) schrieben Hesselbergmusiken, Hobbydichter schmiedeten Verse. Der Laienarchäologe Hermann Hornung (1885-1969) grub in Streichers Auftrag nach Zeugnissen der germanischen Vergangenheit. Die literarisch wertvollste Auseinandersetzung mit dem Geschehen auf dem Hesselberg lieferte 1936 der satirische Roman "Wodans Wiederkunft" mit einer ausführlichen Beschreibung des "Frankentags". Verfasst wurde dieser von dem späteren bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner (1887-1980) unter dem Pseudonym "Urs Liechti" im Exil in Zürich.
Nicht über das Planungsstadium hinaus kamen das Julius-Streicher-Mausoleum, konzipiert als kreisrunde Halle mit einem Durchmesser von 120 m und Glaskuppel, sowie eine von zehn in ganz Deutschland geplanten Adolf-Hitler-Schulen (AHS). Der Kriegsbeginn im September 1939 beendete alle weiteren Ausbaupläne. Nach 1939 fand kein "Frankentag" mehr statt.
Der Hesselberg als evangelischer Berg
Schon 1948 schrieb der evangelische Landeskirchenrat an das Bayerische Landesamt für Vermögensverwaltung: "Wir begrüßen es, wenn gerade an der Stätte, an der betont die nationalsozialistische und antichristliche Weltanschauung verkündigt wurde, ein Heim entsteht, in dem sich die Jugend zu rechter christlicher Lebensführung sammelt". Gemeint war die Errichtung einer Landvolkshochschule nach skandinavischem Vorbild, die den Bauern eine solide gesellschaftspolitische und ethische Wissensbasis ermöglichen sollte.
Tatsächlich wurde die ehemalige Segelfliegerschule, um deren künftige Nutzung es erbitterte Auseinandersetzungen gegeben hatte, am Pfingstmontag, 14. Mai 1951 von Landesbischof Hans Meiser (1881-1956) als evangelisch-lutherische Landvolkshochschule vor über 10.000 Teilnehmern offiziell ihrer Bestimmung übergeben. Nach der zwangsweisen Ausquartierung der letzten Flüchtlinge im Jahr 1952 begann auf dem Hesselberg der Lehrbetrieb. 1954/55 entstand das neue Hauptgebäude der Schule; weitere Neu- und Ausbauten ließen die Einrichtung in der Folgezeit zu einem beachtlichen Gebäudekomplex anwachsen. Auf dem Berg etablierten sich unter dem organisatorischen Dach der Volkshochschule evangelische Fachschulen für Familienpflegerinnen, Dorfhelferinnen und Betriebshelfer.
Seit 2005 trägt das Haus den Namen "Evangelisches Bildungszentrum Hesselberg (EBZ)". Aus der Eröffnungsfeier für die Landvolkshochschule im Jahr 1951 entwickelte sich der Bayerische Kirchentag auf dem Hesselberg, der als zentrale Veranstaltung des bayerischen Protestantismus in den Nachkriegsjahrzehnten mit Besucherzahlen bis zu 16.000 Menschen große Bedeutung erlangte. Sein Ablauf mit Gottesdienst und nachmittäglicher Festveranstaltung blieb im Kern bis in die Gegenwart unverändert.
Literatur
- Arthur Berger, Der Hesselberg. Funde und Ausgrabungen bis 1985 (Materialhefte zur bayerischen Vorgeschichte 66), Kallmünz 1994.
- Max Börner, Im Bannkreis des Hesselberges. Ein Heimatbuch, Dinkelsbühl 1927.
- Thomas Greif (Hg.), Der Hesselberg. Eine Kulturgeschichte, Gunzenhausen 2011 [hierin Bibliographie aller Literaturtitel mit namentlichem Hesselberg-Bezug, 313-319].
- Thomas Greif, Frankens braune Wallfahrt. Der Hesselberg im Dritten Reich (Mittelfränkische Studien 18), Ansbach 2007.
- Manfred Kittel, Provinz zwischen Reich und Republik. Politische Mentalitäten und Parteiwesen in Deutschland und Frankreich 1918-1933/36 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 47), München 2000.
Frankentage
Weiterführende Recherche
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Empfohlene Zitierweise
Thomas Greif, Hesselberg, publiziert am 16.12.2019; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Hesselberg> (31.10.2024)